Crossen

Wappen von Krosno Odrzanskie

Am 4. November 1890 wurde Alfred (Fredi) Georg Hermann Henschke im damaligen Crossen/Oder geboren. Bekannt wurde er unter dem Pseudonym Klabund. In diesem Jahr hatte die Stadt 6.657 Einwohner, darunter 327 Katholiken und 148 Juden.

Am 15. Februar 1945 besetzte die Rote Armee die Stadt, Bis auf wenige Ausnahmen (Kirchen und Schulen) wurde die gesamte Innenstadt niedergebrannt. 499 Häuser und damit 65 Prozent der Bausubstanz der Stadt wurden zerstört.

Stadtgeschichte

Crossen an der Oder, heute Krosno Odrzańskie und auf niedersorbisch Krosyn gehört zur polnischen Woiwodschaft Lubuskie (Lebus). Derzeitiger Bürgermeister ist Marek Cebula, geboren am 30. November 1965. Die Stadt liegt ca. 50 km südöstlich von Frankfurt/Oder, nach Guben sind es ca. 30 Km und hier fließt der Bober in die Oder. Um es mit Klabund auszudrücken:

Oft
Gedenk ich deiner
Kleine Stadt am blauen
Rauhen Oderstrom,
Nebelhaft in Tau und Au gebettet
An der Grenze Schlesiens und der Mark
Wo der Bober in die Oder
Wo die Zeit
Mündet in die Ewigkeit.

Crossen (Krossen) an der Mündung des Bober in die Oder auf einer Landkarte von 1905

Im Zusammenhang mit dem Polenfeldzug von Kaiser Heinrich II. im Jahre 1005 wird der Name Crossen erstmals erwähnt von dem Chronisten Thietmar von Merseburg. Er beschreibt die Stadt als starke Festung.

Thietmar von Merseburg Quelle: Von Catatine – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=83995452

Aber archäologischen Untersuchungen bestätigen, dass Crossen spätestens seit der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts als frühmittelalterliche Burganlage existierte.

Beata Halicka schreibt in ihrem Buch: „Crossen an der Oder – 1005-2005“:

„… Seit 966 war das vom slawischen Stamm der Dadosanen bewohnte Territorium um Crossen zum ersten Mal Teil eines Staates, und zwar des christianisierten Polens. In der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts herrschte hier der polnische Herzog Mieszko I., sein Sohn Boleslaw Chro­bry wurde 1025 zum ersten König Polens gekrönt. Die Crossener Burganlage war einer der wichtigsten strategischen Orte im Verteidigungssystem an der westlichen Grenze des jungen polnischen Staates.“

Grabmonument mit den bronzenen Skulpturen von Mieszko und Bolesław I., geschaffen von Christian Daniel Rauch, in der Goldenen Kapelle der Kathedrale zu Posen Quelle: Von Radomil talk – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1206796

Also beginnt die Geschichte der Stadt nach der Wendenzeit. Der Begriff „Wenden“ ist eine Bezeichnung für „Slawen“ und diente eigentlich als „Fremdbezeichnung zur Abgrenzung von „den Anderen.“ Diese Wenden oder Slawen lebten in Gebieten entlang und östlich der Elbe („Elbslawen“), nördlich der Donau, in der Oberpfalz und in Oberfranken sowie in den Ostalpen. Und In der Niederlausitz wird der Begriff bis heute für die Sorben verwendet. Erstmals aufgetaucht ist die Bezeichnung „Wenden“ so etwa um das Jahr 660.

Je nach politischer Lage ordnete man Wenden als eigentlich den Germanen zugehörig ein, brauchte man eine andere „Geschichtsklitterung“, waren sie polnischen Ursprungs. So ganz ernst genommen wurde der Name nie, es sei denn in neuerer Zeit, denn die Sorben sehen sich als Wenden.

Im historisch so wichtigen Jahr 1005 wurde in Crossen die erste Burg erbaut – eine hölzerne Festung – ihr Erbauer Bolesław I. von Polen und mit dieser Festung gelang es ihm, dem Ansturm des Heeres von Kaisers Heinrich II. aufzuhalten. Thietmar von Merseburg nennt dies Festung „Castrum Crosno“ und Crossen gehörte bis 1163 zu Polen.

Bolesław abgebildet auf der Gnesener Bronzetür mit Königskrone, 12. Jahrhundert „https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4890928“>https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4890928

Beata Halicka schreibt über die Nachfolgerin der Burg:

„…Archäologische Ausgrabungen haben bewiesen, dass die frühmittelalterliche Burganlage auf dem westlichen Boberufer um die Wende des 12. zum 13. Jahrhundert aufgehört hat zu existieren. In dieser Zeit also muss die Versetzung der ursprünglichen Anlage stattge­funden haben, verbunden mit dem Wechsel einer Festung aus Holz und Erde in eine Burg aus Stein. Die Entscheidung für eine Verlagerung könnte auch dadurch bedingt gewe­sen sein, dass auf dem Ostufer des Bobers bereits eine Marktsiedlung vor­handen war.

Und bei Wikipedia lese ich:

„… Boleslaws Sohn, der spätere Mieszko II., besiegte im Jahr 1015 die böhmischen Verbündeten des Kaisers. Nach der Wiedereinsetzung der Söhne des Herzogs Władyslaw II. des Vertriebenen 1159 in ihre Rechte in Schlesien kam Crossen zum Herzogtum Breslau. Herzog Heinrich I. der Bärtige von Schlesien verlieh Crossen um das Jahr 1230 das Stadtrecht, errichtete die Wehrmauern, befestigte das Schloss und ließ die Stadtpfarrkirche zur Heiligen Jungfrau Maria sowie eine neue Oderbrücke erbauen. Heinrich der Bärtige starb 1238 in Crossen. (…)

Heinrich der Bärtige. Kupferstich von Bartholomäus Strachowsky, 1733 Quelle: Wikipedia

Während der Mongoleninvasion 1241 flüchteten die Trebnitzer Nonnen, unter ihnen die hl. Hedwig und Herzogin Anna, Gemahlin Heinrichs II., aus Trebnitz und Liegnitz nach Crossen. Nach Heinrichs II. Tod folgte ihm in der Regierung der älteste Sohn Boleslaw, der 1251 das Glogauer Gebiet an seinen jüngeren Bruder Konrad abtreten musste. Crossen wurde 1277 an die Brandenburger Askanier verpfändet und Johann II. führte den Titel „Herr von Krossen“; 1314 gaben die Askanier Crossen im Austausch gegen Gebiete um Züllichau an die Glogauer Schlesischen Piasten zurück.“

Ein ganz schönes Chaos und daraus ließ sich natürlich im Laufe der folgenden Jahrhunderte jedweder Anspruch auf Crossen ableiten. egal, ob er aus der deutschen oder der polnischen Ecke kam und daher eben auch die Verlinkungen auf die Herrscher.

Und nochmal Wikipedia:

„… Der kinderlose Herzog Heinrich XI. von Glogau hinterließ 1476 die Stadt und das Land Crossen testamentarisch seiner Gemahlin Barbara von Brandenburg.

Barbara von Brandenburg Quelle: Wikipedia

1477 kam es zum Kampf um Crossen zwischen Barbaras Vater, dem Kurfürsten von Brandenburg Albrecht Achilles, und dem Herzog Johann II. von Sagan. Johann belagerte und zerstörte die Stadt. 1481 zerstörte ein Brand die Stadt, wobei alle Häuser und die Marienkirche vernichtet wurden. Durch den Frieden zu Kamenz vom 16. September 1482 kam das Herzogtum Crossen an Brandenburg. Man einigte sich zum Verzicht Barbaras auf Glogau und Crossen, während Kurfürst Albrecht das Herzogtum Crossen mit den Städten Crossen, Züllichau, Bobersberg und Sommerfeld als Pfand übernahm, wofür er der Tochter 50.000 Taler jährlich zahlen sollte.

Albrecht Achilles von Brandenburg und seine zweite Gemahlin Anna von Sachsen Quelle: Wikipedia

Der böhmische und römisch-deutsche König Ferdinand I. verzichtete 1538 auf alle böhmischen Rechte auf Crossen. Das Herzogtum und die Stadt kamen nun endgültig zu Brandenburg, dessen Kurfürsten dadurch das Recht auf den Titel „Herzog von Schlesien“ erwarben und den schlesischen Adler in ihr Staatswappen aufnahmen (nach einigen Hypothesen soll der spätere einköpfige schwarze Adler von Preußen von diesem Crossener Adler abstammen). Obwohl historisch zu Schlesien gehörig, wurde das Land Crossen nun als Teil der Neumark angesehen und bis 1815 von Küstrin aus verwaltet. Die böhmische Lehenshoheit bestand bis zum Vorfrieden von Breslau, der 1742 den Ersten Schlesischen Krieg beendete.“

Zwei Klöster hatte die Stadt. Auf Anregung von Hedwig von Andechs wurde in der so genannten hinteren Fischerei 1221 ein Franziskanerkloster gegründet. Und damit diese Gründung auch spektakulär genug sei, gaben die Stadtchronisten an, dass zu diesem Anlass der Gründer des Franziskanerordens, Franziskus von Assisi, nach Crossen gekommen sei, Eine „Ente“, wie angenommen wird. „Das bedeutet, dass das Crossener Franziska­nerkloster vermutlich die erste Gründung dieser Art in Schlesien war, lange bevor die Gründungen in Goldberg oder Bautzen erfolgten. Unumstritten ist jedoch die Tatsache, dass es in Crossen Franziskaner gab. Prokopius (zitiert nach Wedekind), der Stadtchronist aus dem 16. Jahrhundert, vermeldet in seinem Crossener Ephemeridibus über dieses Kloster, dass es aus Holz erbaut wurde und die Form eines Rechtecks hatte. Dass es nun an dem Ort entstanden ist, wo vorher die Vorburg gestanden hatte, bestätigt nur die These, dass die Stadt um diese Zeit bereits weiter östlich angelegt worden war und das Kloster daher außerhalb der Stadtmauer lag, also nicht der Stadt, sondern dem Herzog unterstellt war“, schreibt Beata Halicka.

Die heilige Hedwig von Andechs (1174–1243), Herzogin von Schlesien und Polen (Darstellung von 1353) Quelle: Wikipedia

Nach den Angaben der Stadtchronik brannte das Kloster bereits um die Mitte des 13. Jahrhunderts ab und um den Wiederaufbau kümmerte sich niemand, die Mönche aber zogen 1274 in das Franziskanerkloster in Sorau. Erst in der Mitte des 14. Jahr­hunderts wurde das Kloster zu Crossen wieder hergestellt.

Ein zweites Kloster – das der Dominikaner – soll auf dem späteren Neumarkt vor 1285 erstellt worden sein. Für dieses gilt frei übersetzt: „Was genaues weiß man nicht.“

Wo Klöster sind, sind auch Kirchen und über die muss natürlich auch geschrieben werden, obwohl ich es mit diesen nicht so habe. Beata Halicka berichtet von einer Pfarrkirche, deren Ent­stehungsdatum in keiner Quelle überliefert ist und sie schreibt weiter: „Außerdem ist schon Mitte des 11. Jahrhunderts auf dem gegenüberliegenden, hohen Oderufer die Andreaskirche entstanden, die im Jahr 1232 mit Unterstützung der Heiligen Hedwig neu erbaut wurde.“

Die heilige Hedwig und Herzog Heinrich I., der Bärtige Quelle: Beata Halicka, Crossen an der Oder 1005-2005

Und weiter: „In den kommenden Jahrhunderten teilten die Kirchen das Schicksal vieler in Kriegen zerstörter oder verbrannter Gotteshäuser. Deswegen lässt sich heute über das Aussehen der beiden Crossener Kirchen im Mittelalter kaum noch etwas sagen. Erwähnenswert ist nur, dass die Pfarrgemeinde um die Andreaskirche dem Bischof von Breslau untergeordnet war. Dem gehörte auch der auf dem Crossener Berg schon im 12. Jahrhundert angebaute Wein. Eine von diesen Plantagen trug deswegen noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts den Namen Bischofsgarten.“

Etikett des Crossener Bischofsgarrten 1937 Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Über den Weinanbau gibt es einen Artikel – geschrieben von Karl Wein – erschienen im Crossener Heimatblatt“ Nr. 6 vom Juni 1957 mit dem Titel: Achthundert Jahre Crossener Weinbau und der sei hier eingefügt.

Ein wichtiges Ereignis einer Stadt ist die Verleihung der Stadtrechte und hier geht Crossen wieder einmal einen „eigenen“ Weg. Beata Halicka schreibt: “Auf dieser Grundlage kann man mit Sicherheit sagen, dass die Verleihung des Stadtrechts vor 1233 erfolgt sein muss und nennt als „Verleiher“ Herzog Heinrich I. von Schlesien, den Bärtigen aus der Dynastie der Schlesischen Piasten, der am 19. März 1238 in Crossen starb. Der Crossener Stadtchronist Obstfelder ist der Ansicht, dass die Stadt ihre Rechte bereits im Jahr 1203 bekommen hat.

Herzog Heinrich I., der Bärtige Quelle: Beata Halicka, Crossen an der Oder 1005-2005

Auch über die Rechte aus dieser Stadtverleihung darf spekuliert werden. Eine eigene Verwaltung und Gerichtsbarkeit erfolgte wohl erst im Laufe der Jahrzehnte. Im Jahre 1317 wurde z.B. die Gerichtsbarkeit verliehen und im gleichen Jahr übernahm der Stadtrat die städtische Selbstverwaltung.

Wenn Beata Halicka schreibt: „Das Leben der damaligen Stadtbewohner lässt sich nur bedingt beschreiben, da die wenigen vorhandenen Quellen nach Inter­pretation verlangen und dabei ist es sehr leicht, eigene Vorstellungen hineinzuprojizieren“, stimme ich ihr natürlich zu. Und wir sind einer Meinung, wenn sie Klabund als „Chronisten“ anführt. 1912 erscheinen seine „Alt-Crossener Geschichten“ unter dem Titel „Celestina“, die haben zwar mit den historischen Tatsachen meistens wenig zu tun, bieten aber „dank ihrer künstlerischen Gestaltung ein inter­essantes Bild des mittelalterlichen Crossens“ so die Autorin. Und ich habe in der Vorankündigung geschrieben: „Angeblich zusammengetragen aus alten Archivunterlagen der Stadt und Erzählungen wandert er durch die Jahrhunderte Crossens. Allerdings habe ich den Verdacht, er hat ein bisschen geschummelt und die meisten Geschichten schrieb ein Autor namens „Klabund“.

Über zwei Jahrhunderte blieb Crossen im Besitz der schlesischen Herzöge und damit wären wir schon in der Mitte des 15. Jahrhunderts. Die Stadt war Objekt der Machtkämpfe, die nicht selten durch Kriege „ausgefochten“ wurden, erwähnt sei z.B. die Belagerung der Stadt 1434 durch die Hussiten und dabei verbrannten diese die Vorstadt Rosenthal sowie das St. Georg Hospital und die dazugehörende Kirche.

Nicht vergessen werden darf die im Jahre 1349 herrschende „Schwarze Pest“, die Chronik berichtet und Beata Halicka zählt auf, „dass in der Stadt nicht mehr als acht Eheleute in fünf Häusern von der Krankheit verschont blieben und alle Bäcker, Fleischer und Mälzer der Stadt verstarben. Die Leichen wurden in Massengräbern beerdigt. Zuletzt hat man auch das aufgegeben, da es nicht mehr genügend Menschen gab, die imstande gewesen wären, diese Arbeit zu verrichten. In ihrer Verzweiflung haben die Menschen nach Ursachen gesucht und die Schuld für die Pest den Juden gegeben. Dieser Wahn hatte grausame Folgen; die Juden wurden verbrannt, gefoltert und allen nur möglichen Qualen unterzogen. Die Crossener Juden teilten in diesen Jahren das schreckliche Schicksal vieler Glaubensgenossen in diesem Teil von Europa.“

Gemälde Kurfürst Joachim I. von Brandenburg von Lucas Cranach d. Ä., 1529 Quelle: Wikipedia

Um diese Zeit des ständigen Herrscherwechsels abzukürzen, 1517 trat der schlesische Herzog Karl von Podiebrad Crossen an den brandenburgischen Kurfürsten Joachim I. für 6 000 Gulden ab und zwanzig Jahre später verzichtete der böhmische König Ferdinand zugunsten von Joachim II. ganz auf die Stadt. Crossen war brandenburgisch unter den Hohenzollern und diese nahmen 1538 den Titel „Herzöge in Schlesien zu Crossen“ an und damit begann die Dynastie der Hohenzollern, die bis zum Ende des I. Weltkrieges dauerte.

All diese Herrscher aufzuzählen ist müßig, aber für Crossen bedeuteten sie eine Zeit des Friedens. Unterbrochen 1517 durch die Reformation des Mönches Martin Luther. Katholische Priester wurden vertrieben und Klöster geschlossen, neue Prediger kamen. In Crossen übernahm die Stadt die beiden Klöster und verkaufte weiter.

Das Franziskanerkloster übernahm Hans von Knobelsdorf und ein Teil des Besitzes war für die Einrichtung des Friedhofes, sowie für den Bau einer Kapelle bestimmt. An ihrer Stelle errichtete man dann 1631 eine kleine Kirche, von den Fischern gestiftet, bekam sie den Namen „Heiliges Kreuz“. Ihren Altar stiftete Kurfürst Johann Siegmund. „Nach dem Stadtbrand von 1631 ersetzte sie dann die Pfarrkirche, bis zu deren Wiederaufbau“, schreibt Beata Halicka.

Auch das Dominikanerkloster fiel der Reformation zum Opfer, es wurde abgetragen und an der Stelle und an dessen Stelle der spätere Lutherplatz angelegt.

Auch die Wirtschaft blühte auf, Crossener Kaufleute machten gute Geschäfte vor allem mit Tuch, Wein, Bier, Heringe und Salz in ganz Brandenburg, sowie in Schlesien und in Polen.

Johann von Brandenburg-Küstrin Quelle: Wikipedia

Unter Johann von Küstrin – Markgraf der Markgrafschaft Brandenburg-Küstrin, die die Neumark und weitere Gebiete umfasste, von 1535 bis 1571 – erhielt auch Crossen 1540 ein neues Wahlrecht.

Beata Halicka schreibt:

„… Diese Wahlord­nung ist insofern wichtig, weil nach ihr über zweihundert Jahre lang (bis 1811) die Ratswahlen in Crossen erfolgten. Die wichtigste Änderung darin war die Abschaffung des Bürgermeisteramtes auf Lebenszeiten und die Festlegung alljährlicher Neuwahlen jeweils am 13. Dezember. Der neue Bürgermeister sowie der alljährlich neu gewählte Rat mussten in ihrem Amt vom Kurfürsten bestätigt werden. Die Ratsmänner durften, wenn sie ihre Aufgaben tüchtig erfüllt hatten, wieder gewählt werden, der Bürgermeister war dagegen im Prinzip nur für ein Jahr in seinem Amt. Nur unter besonderen Umständen durfte er wieder gewählt werden.“

Und weiter:

„… Seit 1520 gab es auch in Crossen eine Schützengilde. Diese Vereinigung galt als eine der wichtigsten Gilden in den branden­burgischen Städten. Mitglieder waren hier die städtischen Amtsträger sowie Hofleute des jeweiligen Herrscher und sonstige Stadtbürger sofern sie die Mitgliedsgebühren bezahlen konnten. Sie alle übten sich im Schießen in den so genannten Schießhäusern. Die alljährlichen Schützenfeste gehörten zu den wichtigsten Ereignissen im Stadtleben, zu denen auch wichtige Persönlichkeiten von außerhalb eingeladen wurden. Der Gewinner des Schießwettbewerbs wurde zum Schützenkönig und bekam vom Stadtrat den symbolischen „Gulden zum Hosentuch“ sowie eine Geld­summe, die meistens für den Wein und das Essen während des Festes ausgegeben wurde.“

Durch die vielen Brände schlau geworden, durften innerhalb der Stadt nur noch Steinhäuser gebaut werden, Straßen wurden gepflastert und bereits 1538 bekam Crossen eine Wasserleitung und das Wasser wurde wegen den häufigen Überschwemmungen und der damit verbundenen Verseuchungen aus den Rusdorfer Bergen geleitet.

Katharina von Braunschweig-Wolfenbüttel Quelle: Wikipedia

Im Jahr 1544 wurde durch den Stadtrat der italienische Architekt Hans Sultano nach Crossen geholt und der baute auf dem Marktplatz ein Kaufhaus. Nach der Fertigstellung sieben Jahre später eröffnete darin die erste Apotheke Crossens und die kaufte 1572 die Witwe des Markgrafen, Katharina von Braunschweig-Wolfenbüttel der Stadt ab. Übrigens, der letzte deutsche Apotheker war Friedrich Wilhelm Johannes (Hans) Henschke, geboren am 12. August 1897 in Crossen, Sohn des Apothekers Dr. Carl Wilhelm Alfred Henschke, der seit 1888 die Königlich-privilegierte Adler-Apotheke, die sich in der Dammstraße 344/45 befand, betreibt und Bruder von Klabund.

Zurück zu Katharina von Braunschweig-Wolfenbüttel, sie gründete außerdem in der Stadt die Stiftung „zum hausarmen Lazarus“, die vor allem Obdachlosen betreute. Und noch etwas verdankte Crossen der Fürstin, Beata Halicka schreibt:

„.. engagierte sich Katharina von Braunschweig-Wolfenbüttel für die Ausstattung der Marienkirche, deren Turm mit durchbrochener Spitze 1568 neu mit Schiefer eingedeckt wurde. Sie ließ das Gotteshaus im Inneren weiß, rot und grün ausmalen, den Altarbogen und die Kruzifixe gründlich renovieren und den Ausgang zum Schloss hin (Nordseite) mit erheblichem Materialaufwand bequem gestal­ten. Da der Rat der Stadt außer­dem 1538 von Lukas Cranach in Wittenberg ein Bild der trauernden Maria hatte malen lassen, dürfte die Hauptpfarrkirche damals eine kün­stlerisch wertvolle Renaissa­nce-Innenausstattung gehabt haben.“

Nach der Grundschule „besucht“ Klabund das Real-Progymnasium in Crossen bis zum Herbst 1906 und Vorgängerin dieser Schule ist die so genannte Lateinschule, die nach Meinung von Karl Wein unter städtischer Verwaltung stehend in Crossen 1527 bzw. 1530 gegründet wurde.

Das Gymnasium bei Hochwasser Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Katharina von Braunschweig-Wolfenbüttel ver­brachte in Crossen insgesamt nur drei Jahre, bevor sie am 16. Mai 1574 in der dortigen Piastenburg starb.

„Der Rat der Stadt ließ 1561 einen großen Korb anfertigen, um böse Weiber darein zu setzen“, schreibt der Chronist Dr. Carl von Obstfelder in seiner „Chronik der Stadt Crossen“ und das war wohl in der Stadt der Auftakt zu den ähnlich in ganz Europa stattfindenden Hexenprozessen. „Zum Glück nimmt aber die seit dem 16. Jahrhundert protes­tantische Stadt in dieser Hinsicht keinen besonderen Platz in der Geschichte ein. Die Zahl der wegen Hexerei zum Tode verurteilten Personen war gering, in den Stadtchroniken werden allerdings mehrere Personen erwähnt, die deswegen eine Strafe verbüßen mussten“, so Beata Halicka.

Auch im Falle der Rosina Pech – einer alter Fleischerin aus Drehnow – kam es nicht zu einer Verurteilung, denn sie wurde, um ein Geständnis zu erzwingen, solange im Keller des Rathauses gefoltert, bis sie sich aus Verzweiflung erhängte. So wenigstens berichtet es der Chronist Matthias 1618 und nur zwei Jahre später wurde die so genannte „schwarze Käthe“ angeklagt und verurteilt und wahrscheinlich im Stadtgraben ertränkt.

Über einen weiteren Fall, der wohl das Ende der „Hexenprozesse“ in der Stadt einläutete, berichtet Beata Halicka:

„… Als 1625 in Crossen eine Epidemie ausbrach und den Tod von ca. 1500 Menschen mit sich brachte, suchte man verzweifelt nach Ursachen oder eigentlich nach Verantwortlichen für dieses Unglück. So verdächtigte man eine Frau, dass sie den Brunnen vergiftet habe. Obwohl sie sich für unschuldig erklärte, folterte man sie zu Tode. Da die Einwohner mit diesem Ergebnis nicht zufrieden waren, richtete man die Anklage nun gegen ihren Mann. Noch während der Verhöre soll er wahnsinnig geworden sein und dies sahen die Richter als einen Beweis dafür, dass er vom Teufel besessen war. Der Mann wurde dann auf dem Schei­terhaufen verbrannt. In Crossen gab es in diesen düsteren Zeiten einen Henker; die Todesstrafe – Enthauptung oder Öffnen der Adern – wurde öffentlich auf dem Markt vollstreckt. Sollte der/die Verurteilte erhängt werden, wurde diese Art der Todesstrafe vor dem Glogauer Tor aus­geführt. In der zweiten Hälfte des 17. Jahr­hunderts wurden dann die Strafen wegen einer angeblichen „Teufelsliebschaft“ bereits milder. Als 1666 ein Hirte aus Lagow dieses Verbrechens beschuldigt wurde, wurde er lediglich mit Rutenschlägen bestraft und des Landes verwiesen. Damit scheint für Crossen die Zeit der Hexenprozesse vorüber gewesen zu sein. In anderen Städten fanden solche noch bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts statt, obwohl sie in Preußen 1714 offiziell verboten worden waren.“

Elisabeth von Anhalt-Zerbst Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Ein „Kuriosum“ in Crossen gibt es auch, denn die Stadt wurde immerhin die Geburtsstadt eines Hohenzollernprinzen. Elisabeth von Anhalt-Zerbst, dritte Frau des brandenburgischen Kurfürsten Johann Georg lebte von 1598 bis zu ihrem Tod 1607 ebenfalls in der Burg, damals 35 Jahre alt und schwanger – und gebar – Johann Georg Markgraf von Brandenburg, geboren am 4. August 1598 nach julianischem und 14. August 1598 nach gregorianischem Kalender. Er starb am 27. Januar, bzw. am 6. Februar 1637 auf Schloss Krailsheim und war ein brandenburgisch-kaiserlicher Obrist.

Eine „Fürstliche Witwe“ hat Crossen noch zu bieten, die Kurfürstin Elisabeth Charlotte, Prinzessin von der Pfalz und Witwe des Kurfürsten Georg Wilhelm sowie Mutter des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm und die lebte am längsten – nämlich mehr als zehn Jahre von 1644 bis zu ihrem Tode am 16. April 1660 – im Crossener Schloss,

Elisabeth Charlotte, Prinzessin von der Pfalz Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Als 1640 ihr Mann starb, blieb sie zunächst in Berlin, denn das Schloss in Crossen hatte 1631 durch einen Brand stark gelitten und ein viel wichtigerer Grund war die schwedische Besatzung während des 30-jährigen Krieges. Als 1644 die Schweden die Stadt endlich verlassen hatten, nahm sie ihren ständigen Wohnsitz in Crossen, zumal der Ausbau des Schlosses abgeschlossen war.

Über ihr Wirken schreibt Beata Halicka:

„… Da sie klug, liebevoll und tatkräftig war, handelte sie als wahre Mutter von Crossen und führte die Stadt aus dem Elend nach dem Dreißigjährigen Krieg heraus. Zum Ausbau der Marienkirche schenkte sie sowohl Holz als auch Geld und auf ihre Veranlassung hin wurde 1651 auch der Andreaskirche auf dem Berge eine große Glocke geschenkt, worauf sich ihr Name eingraviert befand.“

Zu den schlimmsten und schreck­lichsten Ereignissen der damaligen Zeit gehörte der Dreißigjährige Krieg, der ab 1618 große Teile Europas beherrschte und vernichtete. Christen gegen Christen, Katholiken gegen Reformierte, ein vordergründiger „Glaubenskrieg“, der aber die Macht in Europa neu verteilen sollte.

Aufgrund seiner Lage, sowie seiner seit 1610 bestehenden Garnison wurde Crossen zu einem begehrten Objekt. Wie immer litt die Zivilbevölkerung besonders unter der Willkür der jeweiligen Befehlshaber, die die besetzte Stadt mit hohen Kontributionen belegten.

Und wenn Wikipedia Kontribution folgendermaßen beschreibt, hatte das der Bevölkerung auch nicht geholfen:

„… Die Kontribution als geordneteres Mittel der Kriegsführung löste die bis ins 18. Jahrhundert zuvor üblichen Kriegsbräuche des Plünderns und der Brandschatzung ab. Ungeachtet dessen wurde sie anfänglich als Äquivalent zur Brandschatzung, also der Androhung des Niederbrennens mit dem Ziel der Erpressung von Geldzahlungen, sowie allgemein als Freikaufen von Verheerungen sonstiger Art, durch Plünderungen etc., verstanden. Später wurde ihr der Sinngehalt einer vom Oberkommando einer feindlichen Armee den Gemeinden oder den Einwohnern an Stelle von Steuern oder Naturalleistungen oder zur Strafe auferlegten Kriegsabgabe beigegeben. Die Kontribution durfte nur durch schriftlichen Befehl des Armee-Oberkommandos oder eines kommandierenden Generals aufgebracht werden und musste gegen Quittung („Kontributionsschein“) durchgeführt werden. Als Kontributionen bezeichnet man auch Gelder, die einem besiegten Feind vom Sieger beim Friedensschluss insbesondere zur Deckung der Kriegskosten auferlegt werden.“

Ab April 1631 wurde Crossen von den Schweden eingenommen, übrigens mit Erlaubnis des Kurfürsten und unter dieser Besatzung litt die Bevölkerung erheblich. Zur Festung erklärt belagerten die kaiserlichen katholischen Truppen diese, eine Einnahme der Stadt gelang ihnen aber nicht. Zerstört wurden aber das Hospital und die St. Georgkirche.

Gustav II. Adolf 1630 Quelle: Wikipedia

Am 4. August 1631 brach ein verheerender Stadtbrand aus Unvorsichtigkeit der Schweden in der Stadtmitte aus. In der Stadtchronik ist zu lesen:

„… Hier hatten schwedische Soldaten noch spät am Abend gestohlene Karpfen und Enten gesotten und gebraten, sich in gemaustem Weine besoffen und sich, unbekümmert um das Feuer, mit ihren Dirnen auf die Streu geworfen. In der Nacht war dieses dann zu Kräften gekommen und hatte bald so schnell und fürchterlich um sich gegriffen, dass binnen vier Stunden die ganze Stadt samt Schloss, Kirche und allen öffentlichen Gebäude in Asche lag“.

Beata Halicka schreibt über diesen Brand:

„… Gustav Adolph Matthias (der Chronist) beschuldigte die Schweden, dass diese, statt das Feuer zu löschen und die Stadt zu retten, raubten was sie nur in die Hände bekommen konnten. Die Bürger konnten selbst nicht eingreifen, da sich nur wenige von ihnen noch in der Stadt aufhielten und die meisten aus Furcht vor den Besatzern und vor der Pestgefahr schon früher geflohen waren. An diesem Tag verbrannten in Crossen 462 Häuser. Gerettet werden konnten nur die kleine Fischerkirche und einige Wohnhäuser auf der Fischerei. Die Kirche der Fischer sowie die Andreaskirche mit der sie umgebenden Siedlung auf dem Berg wurden dann drei Jahre später von den kaiserlichen Soldaten, die die Stadt 1634 eroberten, in Brand gesteckt. Zu den weiteren Verlusten in diesem Krieg zählt auch die Oderbrücke. Ihre Zerstörung war ebenfalls das Werk der Schweden, die diesmal als Gegner der Brandenburger im November 1634 Crossen erneut besetzten. Nach kurzer Zeit wurden sie von den Kaiserlichen gezwun­gen, die Stadt zu verlassen, um dann im Mai 1639 mit einer größeren Truppe wieder zu kehren und diesmal länger an der Bobermündung zu bleiben.“

Fischerei Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Crossen diente von da an als Stützpunkt der Schweden bei ihren Operationen gegen Schlesien und die Neumark. Erst 1641 schloss Kurfürst Friedrich Wilhelm einen Waffenstillstand, aber schwedische Truppen blieben noch bis 1644 in Crossen.

Ab 1640 wurde Friedrich Wilhelm, den man den „Großen Kurfürsten“ nennen wird – aus dem Haus Hohenzollern – Kurfürst von Brandenburg und Herzog in Preußen. Und wie die meisten „Großen“ war auch er ein „großer Krieger“. Im polnisch-schwedischen von 1655-1660 stand er zuerst auf schwedischer Seite, wechselte dann aber die Seiten und unterstützte die Polen, was ihm im Frieden von Oliva 1660 den unabhängigen Besitz von Preußen einbrachte.

„Seine Politik war weiterhin gekenn­zeichnet von der Einmischung in fremde Konflikte. Für seine Untertanen be­deutete seine Regie­rungszeit eine stän­dige Bedrohung durch den Durch­marsch fremder Armeen und das Gefühl von Unsi­cherheit und Kriegs­gefahr“, schreibt Beata Halicka. Und weiter: „Im seinem letzten Jahrzehnt artete der Dreißigjährige Krieg vollends aus und führte zum sozialen, wirtschaftlichen und sittlichen Ruin des Landes, in dessen Folge die Bevölkerungszahl um die Hälfte zurückging. Durch die im Westfälischen Frieden 1648 anerkannte Selbständigkeit der einzelnen deutschen Fürsten wurde die Reichseinheit immer unbedeutender. Jedes Fürstenhaus war nun auf seine Eigeninteressen bedacht und suchte seinen Machteinfluss zu vergrößern. Zum Muster einer neuen Staatsordnung wurde Frankreich. Hier regierte ein absoluter Monarch, dem gegenüber die untergeordneten Stände ihren früher so entschiedenen Einfluss verloren hatten und Adel sowie Bürgertum zu mehr oder weniger machtlosen Untertanen geworden waren. Der absolute Monarch stützte sich auf ein wohl ausgebildetes Beamtentum und auf ein stehendes Heer. Beim Regie­rungsantritt des Großen Kurfürsten im Jahr 1640 war Brandenburg noch ein unbe­deutendes Land, aber durch eine kluge Außenpolitik, Gebietserwerbungen und eine straffe innere Neuordnung wuchs seine militärische Bedeutung, so dass es allmählich zum stärksten deutschen Staate wurde.“

Porträt des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Adriaen Hanneman 1647 Quelle: Wikipedia

Am Beispiel des Salzhandels sei dargestellt, was „Absolutismus“ wirtschaftlich für eine Stadt wie Crossen bedeuten konnte. Bis 1614 hatte die Stadt das alleinige Recht auf den Salzhandel und damit eine bedeutende Einnahmequelle. 1633 führte der Kurfürst neue Regelungen ein, die Einstellung von Zwischenhändlern und diese tauschte er anschließend durch eigene Beamte aus, was zur Folge hatte, dass die Einkünfte der Stadt stark eingegrenzt waren und schrittweise ein Staats­monopol in diesem Bereich eingeführt wurde.

Absolutistisch war natürlich auch die „Militärpolitik“ der Kurfürsten und dabei blieb es bis zum Ende der Monarchie. Kurfürst Johann Siegmund verdankten die Crossener, dass die Stadt seit 1610 Garnisonsstadt wurde – einer der elf Garnisonstädte in Brandenburg. Nach anfänglichem Misstrauen gegenüber den Soldaten gewöhnte man sich an die oft aus fremden Ländern und Kulturen kommende Soldateska. Neue Arbeitsplätze entstanden und örtliche Produzenten sowie Bauern konnten ihre Produkte an die Armee verkaufen.

Infanterie Kaserne an der „Adolf Hitler Srasse Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Aus der Zeit nach dem 30jährigen Krieg berichtet Beata Halicka über eine Reihe von Neuerungen. Zum Beispiel siedelte sich der erste Rechtsanwalt namens Jeremias Pestler 1658 in Crossen an, Waren die Crossener besonders streitsüchtig, fragt sich die Autorin, denn 72 Jahre später sei die Zahl der Anwälte in Crossen auf 77 angestiegen.

Eine weitere Neuerung, im Oktober 1662 wurde die erste fahrende Post nach Frankfurt an der Oder und Grünberg eingerichtet und der erste Postmeister wurde der damalige Stadtschreiber Martin Thickau.

Postkutsch in Crossen Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Der Ratsherr Jeremias Lorenz gab 1675 die erste handgeschriebene Zeitung Newe und interessante Nachrichten“ heraus. „Er entnahm seine Nachrichten der seit 1661 in Berlin gedruckten Zeitschrift „Berliner Botenmeisterzeitung“, die er per Post zugeschickt bekam. Die dort erschienenen Informationen aus der Region und dem Ausland schmückte er zum Teil mit eigenen Erfindungen aus, zum Teil ergänzte er sie auch durch lokale Nachrichten. In dieser Form fand die Zeitschrift unter den gebildeten Crossenern viele treue Leser“, so Beata Halicka, deren Quelle übrigens Johann Joachim Möller und seine „Crossnischen Annalen“ war.

Und sie berichtet auch von der ersten Druckerei in Crossen – 1684 gegründet – löste sie wohl wenig Begeisterung aus, denn der Gründer, der aus Züllichau stammende Michael Schwarz, war Autor von „Seculum Brandenburgicum“ und darin äußerte er sich zu religiösen Fragen und der Reformation der Kirche kritisch, worauf man ihn zu einer Gefängnisstrafe verurteilte. „Wieder auf freiem Fuß“ war er zwölf Jahre lang Buchdrucker in Crossen.

„Nach seinem Tode wurde die Druckerei geschlossen und erst mit dem Zuzug von Christian Müller nach Crossen eine neue eröffnet. Die Tätigkeit von Müller endete 1706 und seinen Platz nahm dann Johann Friedrich Liscovius ein, der mit dem Stadtchronisten Möller verwandt war. Diese Druckerei war ca. fünfzig Jahre lang tätig, bis der preußische König Friedrich II. einem anderen Drucker, Friedrich Grunow, das Monopolrecht für die ganze Neumark erteilte und dem Crossener Liscovius 1761 keine neuen Druckrechte mehr erteilte“, so Beata Halicka.

Kurz vor dem Endes des 30jährigen Krieges begann man in der Stadt mit dem Wiederaufbau, öffentliche Gebäude und neue Wohnhäuser wurden errichtet. Wie die Stadt nach diesem Baumaßnahmen ausgesehen hat, läßt sich nicht mehr feststellen, denn der nächste Stadtbrand von 1708 vernichtete die Archive, aber auch das ganze Hab und Gut der Einwohner, zu denen natürlich auch die Bierbrauer der Stadt zählten. Deren Tradition begann bereits im 15. Jahrhundert und zählte zu den drei wichtigsten Wirtschaftszweigen der Stadt.

Beata Halicka schreibt:

„… Nach Tuchwaren und Wein war das drittwichtigste in Crossen hergestellte Produkt das Bier. Bereits im 15. Jahrhundert waren die Bürger im Besitz eines Privilegs, das ihnen das ausschließliche Recht am Bierausschank in der Stadt und in den umliegenden Dörfern einräumte. Dieses Privileg wurde dann in den folgenden Jahrhunderten zum Streitpunkt zwischen den Crossenern und dem Landadel. Schrittweise gelang es letzterem immer neue Teilkonzessionen vom Kurfürsten zu erlangen und die Rechte der Stadt einzuschränken. In diesem Konflikt stellte sich die bereits erwähnte Kurfürstin Elisabeth Charlotte auf die Seite der Stadtbürger und verteidigte sie gegenüber der Willkür des Landadels. Nach ihrem Tod kam es aber wieder zu heftigem Streit. Da das Stadtbier nur noch in wenigen Dörfern verkauft werden konnte, gerieten die Crossener Brauer in immer größere finanzielle Schwierigkeiten.“

Und weiter:

„… den größten Ruhm erlangte das Crossener Bier gegen Ende des 17. Jahr­hunderts, als Johann Kranz die Schlossbrauerei pachtete. Sein Schlossbier soll besonders schmackhaft gewesen sein, so dass er auch viele Kunden in Berlin fand.“

Am 9. Mai 1688 stirbt in Potsdam der Kurfürst von Brandenburg und Herzog in Preußen Friedrich Wilhelm. Nachfolger wird sein dritter Sohn Friedrich I. – geboren am 11. Juli 1657 in Königsberg – Seit 1688 Kurfürst von Brandenburg und Herzog in Preußen als Friedrich III. und seit 1701 als Friedrich I. erster König in Preußen.

König Friedrich I., Ölgemälde von Antoine Pesne, undatiert, vor 1713 Quelle: Wikipedia

Vor dem Ausbruch des Brandes am 25. April 1708 beschlossen die „Stadtväter neben dem Aufbau und Neubau von Gebäuden auch einen modernen Ausbau des Gotteshauses, aber daraus wurde nichts. Alle Häuser innerhalb der Stadtmauer verbrannten. Zu dem Verlust zählten auch alle seit Jahrhunderten im Ratsarchiv lagernden Stadtbücher, Dokumente, Akten und Antiquitäten.

Ein Skandal um die leere Feuerkasse (siehe Artikel Friedrich I.) lenkte die Aufmerksamkeit des Königs auf das Schicksal Crossens. Anlass war die Affäre um die geplünderte Feuerkasse für Hausbesitzer in der Stadt, durch die nach dem Brand diese nicht ausgezahlt werden konnte. „Solches habe ich nie befohlen … muhs balt und je ehr je Lieber geendert werden“, soll er gesagt haben.

Auf seine Anregung hin wurde ein Wiederaufbaukonzept erstellt, dieses ist bis heute in einem Dokument erhalten geblieben – sein Titel: „Veror­dnung, wegen Wiederaufbauung der abgebrannten Stadt Crossen, und wie es damit gehalten werden soll. Vom 2ten Augusti 1708″

„Als Kenner der Stadtgeschichte von Crossen sei Hanns-Ulrich Wein der Meinung, dass dieses Wiederaufbaukonzept auch heute außeror­dentlich vernünftig und sogar modern ersch­eint, da es gleichermaßen auf Schönheit und Zweckmäßigkeit gerichtet war. Als Ergebnis entstand ein weiträumiger Markt, genau 1 ha groß“, schreibt Beata Halicka.

Wer wollte es den Crossenern verdenken, in das Konzept wurden Maßnahmen zur Verhinderung einer erneuten Feuersbrunst aufgenommen und durch zahlreiche Veränderungen und Um- und Neubauten auch umgesetzt. Vier Jahre nach dem großen Brand, am 9. August 1712, war der Bau des neuen Rathauses abgeschlossen, aber die Bauarbeiten an der Pfarrkirche dauerten noch weitere zwanzig Jahre an.

Friedrich Wilhelm I. im Harnisch mit Hermelinmantel, Marschallstab sowie Bruststern und Schulterband des Schwarzen Adlerordens (Gemälde von Antoine Pesne, um 1733) Quelle: Wikipedia

Als 1722 König Friedrich Wilhelm I. mit dem Beinamen Soldatenkönig als Nachfolger seines Vaters, dem brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III. Crossen besuchte, versprach er für die Pfarrkirche eine große Glocke aus einer der Berliner Kirchen schicken zu lassen, schenkte der Kirche noch 200 Taler für den Bau des Königschors im Kirchen­inneren und reiste sehr zufrieden wieder ab und im gleichen Jahr bekam die Kirche auch noch eine neue Orgel, die bis heute erhalten geblieben ist.

Durch immer wiederkehrendes Hochwasser der Oder wurde immer wieder Schaden auf dem klei­nen Friedhof bei der Pfarrkirche angerichtet. So fiel 1733 die Entscheidung, diesen auf das hohe Oderufer zu verlegen, die Stadt kaufte ein Grundstück von 2 Mor­gen auf der Berglehne nördlich der Oder­brücke und im Laufe der Jahrhunderte wurde der „Bergfriedhof“ immer wieder erweitert. Begraben liegen dort u.a. Klabund und sein Vater Dr. Alfred Hensche. „Nachdem der Friedhof in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts von den Polen beseitigt worden war, gründete man dort einen Park, der den Namen „1000 Jahre-Park“ erhielt und der sich auf das 1000-jährige Bestehen des polnischen Staates bezieht“, berichtet Beata Halicka,

Als König Friedrich Wilhelm I. König wurde, entwickelte sich Preußen nicht nur zu einer absoluten Monarchie, sondern auch zu einem zentralistischen Militärstaat. Für Städte wie Crossen hieß das: Ein starkes Beamtentum, eine zunehmende Intervention des Königs in die Angelegenheiten des Stadt und die Übernahme von Kompetenzen, das Stadtrecht wurde von den Beamten des Königs kontrolliert, den Oberbefehl über die städtische Polizei übernahm der Kommandant der Garnison und auch die Steuereinnahmen der Stadt wurden von Staatsbeamten überwacht. So gab der König am 18. Februar 1719 ein Edikt heraus, mit dem er die bisherige Stadt­verwaltung ihres Amtes enthob und die Stellen mit von ihm ausgewählten Personen besetzte, die auf Lebenszeit ernannt waren, es sei denn, der König entließ sie. In der Praxis verlor die städtische Selbstverwaltung ihre drei wichtigsten Privilegien, das Recht zur Wahl der Vorgesetzten, die selbstständige Verwal­tung des eigenen Vermögens und das Einwirken auf die Regierung.

Crossen Oderpartie Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Bedingt durch die Kriegs- ­und Naturkatastrophen blieb das Lebensniveau in der Stadt ziemlich niedrig. Beata Halicka schreibt:

„… Die gesellschaftliche Struktur zeichnete sich durch eine kleine Zahl reicher Bürger und die sehr breite Schicht der Armen aus. (…) In der günstigsten Lage befanden sich diejenigen, die gleichzeitig noch im Besitz von städtischen Ämtern waren. Das bedeutete nämlich nicht nur Prestige, sondern war auch eine wesentliche Quelle zusätzlichen Einkommens. In den letzten Jahrzehnten des 17. und am Anfang des 18. Jahrhunderts erfolgten wesentliche Verschiebungen innerhalb des Bürgertums. In der ersten, also der reichsten Schicht, sind die Kaufleute geblieben, die gleichzeitig in der Stadtverwaltung tätig waren. Außerdem gehörten zu dieser städtischen Elite noch der Bürgermeister, die Stadträte, die Pastoren sowie Stadt- und Staatsbeamte, Offiziere und Lehrer. (…) Kaufleute, die keine politischen Funktionen ausübten, wurden ab 1697 zusammen mit den Notaren, Rechtsanwälten, Korneinnehmern, Gerichtsbeamten und Apothekern zur zweiten Schicht gerechnet. Die Hauptgruppe der dritten Schicht bildeten die meisten Handwerker, ausgenommen jedoch die Berufe, die als minderwertig bezeichnet wurden. (…) Zu den letztgenannten, minder­wertigen Berufen zählten Maurer, Tischler, Kutscher, Kirchdienstleute, Fischer, Tagelöh­ner und die so genannten Freien, also die ärmsten Stadtbewohner. Diese Menschen bildeten die unterste, vierte Schicht.“

Warum also dieser Soldatenkönig von den Historikern derart „milde“ behandelt wurde, ist mir schleierhaft. Denn schließlich legte er den Grundstein für den Staat, der Jahrhunderte lang als Inbegriff von Militarismus und Untertanentum galt.

Die Garnisonkirche zu Potsdam, Gemälde von Carl Hasenpflug, 1827 Quelle: Wikipedia

Übrigens, die Potsdamer Garnisonskirche wurde im Auftrag des „Soldatenkönigs“   in den Jahren 1730–1735 nach Plänen des Architekten Philipp Gerlach erbaut und seit 1797 erklingt vom Turm der Kirche als Glockenspiel zu jeder vollen Stunde die Melodie „Lobe den Herren“ und zu jeder halben Stunde das Lied „Üb immer Treu und Redlichkeit“, ein Sinnbild preußischer Moraltugend und der so genannten „preußischen Tugenden“ und diese „preußischen Tugenden“ wurden stets auch kritisiert, zu recht!

Beim Luftangriff auf Potsdam – auch als „Nacht von Potsdam“ bezeichnet – am 14. April 1945 ist die Kirche ausgebrannt und 1968 ließ das SED-Regime die gesicherte Ruine sprengen. „ Nach dem „Ruf aus Potsdam“ für den Wiederaufbau des Gotteshauses erfolgt seit 2017 die kontrovers debattierte Rekonstruktion als offene Stadtkirche und internationales Versöhnungszentrum.

Die ausgebrannte Garnisonkirche nach dem Luftangriff Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-J31422 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5434514

Über die Bedeutung der Kirche schreibt Wikipedia:

„… In der wechselvollen Geschichte Deutschlands war die Garnisonkirche ein bedeutender Ort. Unter anderem besuchten Johann Sebastian Bach, Alexander I. und Napoleon das Bauwerk, in dem neben Friedrich Wilhelm I. auch dessen Sohn Friedrich II. bestattet war. Die ersten frei gewählten Stadtverordneten Potsdams tagten in der Garnisonkirche, Lutheraner und Reformierte vereinigten sich in ihr zur Union, und der Organist Otto Becker (1870–1951) entwickelte sie zu einer wichtigen Stätte der Kirchenmusik. Mit dem Tag von Potsdam 1933 wurde das Gotteshaus von den Nationalsozialisten zu Propagandazwecken vereinnahmt; zugleich gehörten Henning von Tresckow, Helmuth James von Moltke und viele weitere Widerstandskämpfer der Kirchengemeinde an.

Adolf Hitler am Tag von Potsdam Quelle: https://www.dw.com/de/der-tag-von-potsdam/a-16672070#

Friedrich Wilhelm I. – geboren am 14. August 1688 in Cölln – starb am 31. Mai 1740 in Potsdam. Sein Nachfolger wurde Friedrich II. oder Friedrich der Große – geboren am 24. Januar 1712 in Berlin; gestorben am 17. August 1786 in Potsdam, volkstümlich der „Alte Fritz“ genannt und ab 1740 König von Preußen.

Erinnere ich mich an meine Schulzeit und den Geschichtsunterricht, so habe ich einen König kennen gelernt, der neben seinen „preußischen Tugenden“ vorbildlich Toleranz „predigte“, Hugenotten als religiös Verfolgte ins Land holte und einen preußischen Staat aufbaute, dem seine Nachkommen besonders in der Zeit der Reichs­gründung eine besonderen Verehrung zuteilwerden ließen und dessen „Regierungszeit“ geradezu von einem Mythos umgeben ist.

Tod Friedrichs II. „des Einzigen“ (Kupferstich, 1796) Quelle: Wikipedia

Aber bereits Beata Halicka schreibt: „In den Nachbarländern wurde er dagegen sehr kontrovers wahrgenommen, in Polen galt und gilt er zum Beispiel heute noch als Sinnbild für alle negativen Eigenschaften, die man mit dem Begriff „der Preuße“ verbindet“ und das hat sie noch sehr vornehm ausgedrückt.

Zur Erinnerung, den Namen „Soldatenkönig“ bekam der Vater, nachdem er ein starkes Heer aufgebaut, aber nur einmal einen Krieg geführt hatte. Sein Regierungsstil allerdings war absolutistisch und extrem militärisch und somit war der Übergang zum Sohn nahtlos oder fließend, politisch aber gab es einen gravierenden Unterschied.

Friedrich Wilhelm I. schrieb in seinem Testament: „Preußen kann nur in guter Nachbarschaft mit Polen, seinem näch­sten Nachbar leben“, Sohn Friedrich hatte eine gegensätzliche Haltung: Die Schwäche der Nachbarn ausnutzen und deren Territorien an sich reißen. So geschehen in den beiden Schlesischen Kriegen (1740-42 und 1744-45), in denen Preußen Schlesien annektierte.

Beata Halicka schreibt:

„… Die aggressive Politik des preußischen Königs, der auch vor dem Bruch von Verträgen und Abmachungen nicht zurückschreckte, brachte ihm sehr viele Gegner in Europa ein. Die österreichische Kaiserin Maria Theresia fand also leicht Unterstützung in anderen Ländern, um Schlesien für sich zurück zu gewinnen.

Jean-Étienne Liotard: Porträt Maria Theresias, Pastellmalerei, 1762 Quelle: Wikipedia

So kam es zum Siebenjährigen Krieg (1756-63), in dem nur England an der Seite von Preußen verblieb. Die Konfrontation mit viel stärkeren Gegnern brachte Friedrich II. zahlreiche Niederlagen ein, es gelang ihm jedoch auch einige Schlachten zu gewinnen. Der preußische Staat, obwohl sehr geschwächt, hielt den Angreifern stand und Schlesien blieb bei Preußen. Die Erfahrungen dieses Krieges zeigten, dass ein weiterer Territoriumszuwachs nur durch Verträge mit anderen Großmächten möglich sein würde. Bei solchen Verhandlungen erwies sich Friedrich II. als exzellenter Politiker, der unter der Beteiligung von Russland und Osterreich zur ersten Teilung des polnischen Staates im Jahr 1772 beitrug. Auf diese Weise erweiterte Preußen seine Gebiete um die ersehnte Landbrücke nach Ostpreußen, also Ermland und Westpreußen.“

Ihre weitere Meinung kann zusammengefasst werden mit den Begriffen „talentierter Pragmatiker“ und „Zyniker“. Wieviele Menschenleben aber diese Politik koste, interessiere ihn nicht. Und Beata Halicka meint, dass seine Regierungszeit von seinen Untertanen meistens sehr kritisch bewertet wurde. So zählte der Crossener Chronist Gustav Adolph Matthias vor allem die Schäden auf, die der Stadt während der von Friedrich geführten Kriege zugefügt wurden.

Zu den Gründen, die zum Ausbruch des ersten schlesischen Krieges führte, schreibt Matthias: „Da durch gütige Unterhandlungen mit dem Wiener Hof nichts erlangt wurde, so versammelte der König noch im Dezember desselben Jahres in und um Crossen eine Armee von 24 000 Mann“. Vorräte im Schloss wurden angelegt, ein sicher lohnendes Geschäft und am 13. Dezember 1740 erscheint der König höchstpersönlich in der Stadt und nimmt im damaligen Netter“schen Haus am Markt Quartier.

Der Sieg brachte der Stadt einige Vorteile: Der Handelsverkehr auf der Oder nahm zu, was für Crossener Schiffer – 39 an der Zahl – sichere und lohnende Arbeitsplätze bedeutete, zumal nach dem letzten schlesischen Krieg zehn friedliche Jahre folgten.

Das 1. preußische Bataillon der Leibgarde in der Schlacht von Kolin. Historiengemälde von Richard Knötel (1854–1914) Quelle: Wikipedia

Aber bereits 1756 brach der „Siebenjährige Krieg“ aus, der großes Leid und große materielle Verluste bringen sollte. In der Schlacht von Kolin – mit 13.700–14.000 Toten und Verwundeten – erlitt die preußische Armee eine schwere Niederlage. Ebenso, wie in der Schlacht bei Kay (oder Paltzig) in der Neumark am 23. Juli 1759 gegen die Russischen Verbündeten der Österreicher und der Schlacht bei Kunersdorf am 12. August 1759, die ebenfalls mit einem Sieg der Österreicher und Russen endete.

Friedrich, verfolgt von Kosaken, wird von Rittmeister Joachim Bernhard von Prittwitz gerettet; zeitgenössische Darstellung von Bernhard Rode Quelle: Wikipedia

Bereits Ende Juli 1759 besetzten russische Truppen Crossen und zwangen die Bürger zur Zahlung hoher Kontributionen und drohten mit Brandschatzung „und ein zweites Mal drang die russische Armee Ende September 1760 in die Stadt ein und verbrannte dabei die Weingärten, das Schloss und zerstörte einige Häuser. Auch diesmal wurde Crossen mit einer riesigen Kontribution belegt und zur Lieferung von Lebensmitteln und Getreide gezwungen. Da die Bürger nicht im Stande waren, eine so hohe Geldsumme zusammenzubringen, wurde vereinbart, dass sie diese zu einem späteren Termin abliefern“, schreibt Beata Halicka.

Der Krieg endete mit dem Tod der russischen Zarin Elisabeth von Russland am 5. Januar 1762, deren Nachfolger Peter III. die verfeindeten Seiten durch seine Beendigung an diesem Krieg zum Friedensschluss gezwungen hatte.

Kaiserin Elisabeth I. von Russland, Gemälde von Charles André van Loo, 1760 Quelle: Wikipedia

Nochmal sei der Chronist Gustav Adolph Matthias zitiert, der berichtet, das gesunkene Lebensniveau der Stadt durch den Siebenjährigen Krieg habe sich um 1800 wieder gehoben, die geforderten Schulden seien fast gänzlich abgezahlt und die Stadt könne dem neuen Jahrhundert positiv entgegen sehen, vor allem in der Hoffnung auf Frieden und politische Stabilisierung.

Die Hoffnung auf Frieden hielt ganze 6 Jahre, denn es folgten die „Napoleonischen Kriege“, von denen der so genannte „Vierte Koalitionskrieg“, auch Dritter Napoleonischer Krieg oder Feldzug gegen Preußen in den Jahren 1806 und 1807 für Crossen eine Rolle spielte.

Wikipedia schreibt:

„… Der Vierte Koalitionskrieg, auch Dritter Napoleonischer Krieg oder Feldzug gegen Preußen fand in den Jahren 1806 und 1807 zwischen Frankreich und den mit ihm verbundenen Staaten wie den Mitgliedern des Rheinbundes auf der einen Seite und im Wesentlichen Preußen und Russland auf der anderen Seite statt. Der alte preußische Staat brach nach der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt im Oktober 1806 zusammen. Der Hof floh nach Ostpreußen. Die Hauptlast des Krieges lag nunmehr bei Russland. Nach der entscheidenden Niederlage gegen Napoleon in der Schlacht bei Friedland beendete der Frieden von Tilsit den Krieg. Preußen verlor dabei fast die Hälfte seines Gebietes, musste hohe Kriegsentschädigungen leisten und sank auf den Status eines minder mächtigen Staates herab. Dagegen befand sich Napoleon auf dem Höhepunkt seiner Macht.“

Einzug Napoleons in Berlin am 27. Oktober 1806 Quelle: Wikipedia

Napoleons Armee marschiert 1806 in Berlin ein und im November des gleichen Jahres standen Franzosen auch in Crossen und hielten die Stadt bis 1809 besetzt. Preußen unterzeichnet einen Vertag, der den Franzosen zusichert, das Königreich auf dem Weg nach Osten durchqueren zu dürfen, also nach Russland und auf diesem „Weg“ lag Crossen.

„Zweifelhaftes Glück“ nennt Beata Halicka diese Abmachung, denn Crossen als Garnisonsstadt wurde Quartier für die Soldaten der „Grand Armee“ und als solche verpflichtet, Verpflegung und Unterkunft zu gewähren. Sie schreibt: „Die Härte dieser Aufgabe bekamen die Crossener besonders in der Zeit des Russlandkrieges zu spüren, als innerhalb von 13 Monaten, vom 1. Januar 1812 bis Ende Januar 1813, insgesamt 370 000 französische Soldaten durch die Stadt zogen und von den Bürgern Nahrung und eine Schlafstelle bekamen. Diese große finanzielle Belastung verbunden mit den hohen Kontributionen, die die Stadt in den vorhergehenden Jahren den Franzosen zu zahlen hatte, brachte mehreren Stadtbürgern den finanziellen Ruin. Der Stadtchronik ist zu entnehmen, dass in dieser Zeit 40 Bürgerhäuser Schulden halber zum öffentlichen Verkauf gestellt werden mussten.“

Karl Freiherr vom Stein, Gemälde von Johann Christoph Rincklake, 1804 Quelle: Wikipedia

Der verlorene Krieg, fehlende Einnahmen des Staates und der Städte – Preußen brauchte dringend Reformen, z.B. ein effektiveres Steuersystem und eine Steigerung der Produktion. Drei große Reformprojekte kamen 1807 zustande, die so genannten Stein und Hardenberg Reformen – eine Agrarreform, die Reform der staatlichen Administration und die neue Städteordnung, letztere am 19. November 1808 verabschiedet.

Karl August von Hardenberg, Gemälde von Friedrich Georg Weitsch, nach 1822 Quelle: Wikipeida

Die erste Stadtratswahl fand am 8. Februar 1809 in Crossen statt, bei der 36 Stadtabgeordnete und 12 Vertreter gewählt wurden. Auf seiner ersten Sitzung wählte dieser neue Stadtrat seinen Vorsitzenden sowie die Mitglieder des Magist­rats für sechs Jahre. Zum Magist­rat gehörte auch der im gleichen Jahr neu gewählte Bürgermeister Friedrich Welack, seine Vertreter sowie die Vorsteher der sieben Stadtbezirke.

Mit der neuen Städteordnung gelangte die Verwaltung der Städte und ihres Kommunalvermögens wieder in die Hände der Bürger und ihrer gewählten Magistrate sowie der unentgeltlich dienenden Stadtverordneten. Wehrmutstropfen – Das Wahlrecht hatten nur die Besitzer des Bürgerrechts, deren jährliches Einkommen, je nach Größe der Stadt, minde­stens 150-200 Taler betrug. Es war also keine Demokratie, sondern nur eine Plutokratie, also eine „Reichtumsherrschaft“, in der Vermögen die entscheidende Voraussetzung für die Teilhabe an der Herrschaft ist. „In einem plutokratischen System gibt es oft einen hohen Grad an sozialer Ungleichheit bei geringer sozialer Mobilität. In einer Plutokratie sind Ämter in der Regel nur den Besitzenden zugänglich. Es existiert ein Zensuswahlrecht, das Besitzlose von den politischen Bürgerrechten ausschließt“, schreibt Wikipedia.

In der Praxis waren daher in Crossen im Jahre 1843 nur die 497 Wohlhabendsten von 6500 Bürgern wahlberechtigt, nicht gerade die reine Demokratie, aber immerhin trug dieses Wahlrecht zur Belebung des politischen Lebens in der Stadt bei.

Einhergehend mit einer territorialen Reorgani­sierung Preußens wurde das Land in zehn Provinzen aufgeteilt, Crossen gehörte von da an zur Provinz Frankfurt/Oder.

Zu den Reformen gehörte auch die Reorganisation der Armee. Crossen – bisher bereits Garnisonsstadt – wurde 1818 Sitz des 1. Bataillons des 12. Landwehrregiments und 1821 zog das 2. Bataillon des 12. Infanterie-Regiments in der Stadt ein. „Wie schon früher erwähnt, hat die Stadt von der Garnison sehr profitiert. Als 1838 Pläne entstanden, die Garnison zu verlegen, unternahm der Stadtrat deswegen Schritte, um das zu verhindern. Aus eigenen Mitteln erbaute die Stadt ein Exerzierhaus und überwies der Armee in der Nähe von Rusdorf einen Exerzierplatz“, schreibt Beata Halicka.

Standort des I. Bataillons Infanterie Regiment v. Alvensleben Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Crossen war also in erster Hinsicht eine Garnisons- und Beamtenstadt. Eine eher bescheidene Einnahmequelle waren die Crossener Handwerker und Fabrikanten trotz den Bemühungen unter Friedrich II., die Entwicklung von Manufakturen und Fabriken zu unterstützen. Immerhin entwickelte sich z.B. die Tuchindustrie sehr rasch. Bereits 1766 konnte einer der ersten Crossener Tuchfabrikanten – Georg Vollsack – jährlich über 300 Stück Tuche auf Messen verkaufen. „Um 1780 arbeiteten in Crossen etwa 400 Arbeiter in 58 Tuchmacherbetrieben und 160 Wollspinnereien“, so Beata Halicla und sie schreibt weiter: „Im Jahr 1825 entstand in der Nähe des Glogauer Tors eine erste mechanische Wollspinnerei, die von einer Wassermühle getrieben wurde. In den nächsten Jahren kamen drei weitere, mit Dampfkraft getriebene dazu. Ähnlichen Antrieb bekam dann auch die neue, 1843 erbaute Tuchfärberei.“

Ein langes Leben war der Crossener Tuchmacherei allerdings nicht beschieden. Mit dem Bau des ersten Dampfschiffes 1807 kam eine Konkurrenz in Europa auf den Markt, gegen den die gesamte europäische Tuchindustrie chancenlos war – die in Amerika hergestellte Baumwolle, von hervorragender Qualität und einem niedrigeren Preis als die einheimischen Produkte. In den Jahren bis 1911 wurden daher alle vier Tuchfabriken in Crossen geschlossen.

Ein weiterer Umstand machte den Unternehmen der Stadt zu schaffen, die „Erfindung“ der Eisenbahn. Wikipedia scheibt:

„… Als erste mit Lokomotiven betriebene Eisenbahn in Deutschland nahm die Ludwigseisenbahn am 7. Dezember 1835 den öffentlichen Personenverkehr auf. Diese fuhr zwischen Nürnberg und Fürth. (…) Am 11. Juni 1836 kam es erstmals zu einem vorerst einmaligen Gütertransport, zwei Fässer Bier wurden in einem Waggon der dritten Klasse transportiert. Ab Herbst 1839 kam es nach dem Umbau von zwei Personenwagen zum regulären Gütertransport. Der Neubau von Eisenbahnstrecken erfolgte zuerst durch private Gesellschaften – Privatbahnen – sowie bald auch durch Staaten – Staatsbahnen.“

1846 fuhr der erste Zug in den Crossener Bahnhof ein Quelle: Beata Halicka, Crossen an der Oder 1005-2005

Mitte des Jahrhunderts war die Bahn zum Haupttransportmittel gewor­den und nur die Betriebe mit einem Anschluss an die Bahn konnten ihre Waren auch weltweit verkaufen. In Crossen aber konnte diese Möglichkeit nicht genutzt werden, Beata Halicka schreibt:

„… Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Crossener Produzenten es geschafft hätten, den Erfordernissen der Industrialisierung und der Gewerbefreiheit Stand zu halten, wenn die Stadt beim Bau der ersten Bahnstrecke in der Region Anschluss an das neue Transportmittel bekommen hätte. Es kam aber anders, obwohl die Stadtväter darum gekämpft hatten, den Verlauf der Bahnlinie von Berlin nach Breslau zu verändern. Der erste Zug fuhr 1846 von Berlin, jedoch folgte er nicht der alten Handelstraße durch Frankfurt an der Oder, Crossen und Grünberg nach Breslau, sondern fuhr durch Frankfurt, Guben und Sommerfeld. Diese Tatsache hatte ungeheure Folgen für die weitere Entwicklung der Stadt an der Bobermündung. (…) Crossen bekam zwar eine Bahn­verbindung 25 Jahre später (1870), dabei handelte es sich aber nur um eine regionale Bahnstrecke (Cottbus – Guben – Crossen – Bentschen – Posen). Aufgrund der Hochwassergefahr wurde der Bahnhof 4 Kilometer entfernt vom Stadtzentrum geplant und führte dazu, dass die Bahn nicht zu einem integralen Teil der Stadt wurde. Es sind zwar Pläne entwickelt worden, nach denen das Gelände zwischen Stadtmitte und dem Bahnhof mit Industriebetrieben bebaut werden sollte, die Zeit des Industriebooms war jedoch vorbei und Crossen hat es nicht mehr geschafft, solche Städte wie Sommerfeld oder   Guben   in ihrer industriellen Entwick­lung einzuholen.“

Einen Niedergang erlebte auch das Brauwesen in der Stadt. nach Angaben des Chronisten Gustav Adolph Matthias verkauften die Stadtbrauer 1734 ganze 4677 Tonnen Bier, im Jahr 1783 dagegen nur noch 1700 Tonnen. Die Gründe hierzu sind sehr vielfältig gewesen und ihre Nennung erspare ich mir.

Ähnlich wie den Bierbrauern erging es den Weinbauern. Durch die Bahn kamen „fremde Weine“ in die Stadt und die meist sauren Crossener Weine fanden nicht mehr genug Liebhaber. Obwohl man in der Stadt noch einen „Ost­deutsche Weinbauverein“ gründete und die Anbauflächen erweiterte, war der Niedergang nicht mehr aufzuhalten. In den Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts sank die Produktion weiter, blieb aber bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges erhalten. Nach 1945 wurde die traditionsreiche Weinkultur nicht mehr weiter gepflegt.

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts blieben in Crossen nur wenige mittelständische Unternehmen, Beata Halicka zählt sie auf:

Werbung der Maschinenfabrik Paul Seler Quelle: Beata Halicka, Crossen an der Oder 1005-2005

Die Maschinenfabrik Paul Seler, gegründet 1869. Sie beschäftigte ca. 100 Personen und betrieb auch eine Großhandlung für landwirtschaftliche Maschinen.

Die Villa des Fabrikbesitzers H. Butting Quelle: Beata Halicka, Crossen an der Oder 1005-2005

Die Kupferwarenfabrik H. Butting gegründet 1777, deren Spezialfabrikate (Röhren) einen guten Ruf bis weit über die Grenzen Deutschlands hinaus besaßen. In den 20er Jahren beschäftigte sie ca. 45 Arbeiter. Nach 1945 verlegte sie ihren Sitz nach Niedersachsen und hat bis heute eine feste Position auf dem europäischen Markt;

Die Crossener Weidenindustrie, ein Betrieb, der während der Saisonmonate etwa 80-100 Personen mit der Verarbei­tung von Schilf und Grünweide bes­chäftigte.

Die Möbelfabrik von Georg Zimmermann galt als die älteste in der Stadt. Da sie 1761 gegründet und bis Ende Januar 1945 in den Händen der Familie blieb. Ihre Tischler- und Polsterwerkstätten stellten Erzeugnisse her, die auch über Crossens Grenzen hinaus Anerkennung und Absatz fanden.

Über   eine hundertjährige Tradition verfügte auch die Firma Nippe, die am Markt einen großen Konfektionsladen besaß, Den übernahm 1910 Walter Reinicke und leitete das Geschäft bis 1945.

In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es in Crossen vier Weinhand­lungen, von denen die von Oskar Müller sogar das hundertjährige Bestehen in den Händen der Familie gefeiert hat.

Werbung Automobilwerkstatt Josef Lux Quelle: Beata Halicka, Crossen an der Oder 1005-2005

Und auch noch wichtig und von Beata Halicka aufgeführt: Im Leben der Stadt spielten auch Dienstleistungen eine wichtige Rolle. Mit der Entwicklung der Automobilindustrie entstanden in Crossen Speditionsunternehmen, die Transportlei­stungen sowohl in Bezug auf Waren als auch Personen anboten. Eine ständige Buslinie gab es dann von der Stadtmitte bis zum Bahnhof.

Werbung der Adlerapotheke von Dr. Henschke Quelle: Beata Halicka, Crossen an der Oder 1005-2005

Die älteste Tradition hatten aber die beiden Crossener Apotheken und die bestanden bis 1945. Die ältere, die „privilegierte Stadt-Apotheke“ befand sich seit 1572 beim Rathaus und wurde dann 1628 in das Eckhaus an der südlichen Seite des Marktes verlegt.   Die Familie Ludwig besaß diese Apotheke seit 1827. Unter dem Titel „Apothekengeschicht(en)“ ist im „Crossener Heimatblatt“ zu lesen:

„.. . Da bringen sich zunächst unsere beiden Apotheken, die von Dr. Alfred Henschke und die andere von Emil Ludwig, in empfeh­lende Erinnerung. Unser Ehrenbürger, der Vater von Klabund, schreibt von der „königl. privilegierten Adler-Apotheke“, und er weist u. a. auf seine Mineralwasserfabrik hin, die später einen so großen Aufschwung nahm, dass für den Transport der Getränke zunächst Pferdegespanne und schließlich sogar Kraftwagen er­forderlich waren. Emil Ludwig, wie unser anderer Apotheker im Volks­munde genannt wurde, bezeichnete sich als „Kgl. Hofapotheker“. Man nannte seine Apotheke deshalb auch die „Hofapotheke“. Beide hatten eine gediegene patriarchalische Inneneinrichtung mit messingnen Mörsern und Feinwaagen sowie lateinischen Na­men auf den vielerlei Gefäßen, wobei in greifbarer Nähe immer „olricini“ (also Rizinusöl) stand. Was aber den Herrn Hofapotheker keineswegs hinderte, neben feinen Seifen aller Art auch Weine und Dr. Struwes Selterwasser anzubieten. Das vierbeinige Fakto­tum der Hofapotheke war der schwar­ze Dackel „Menne“, der als Kontrollinspektor für alle Hundeversammlungen auf dem Markte stets die Morgensonne vor Ludwigs Tür genoss. Man erzählte sich von ihm, er könne die Schlachtfestanzeigen im „Wochenblatt“ lesen. Menne erschien prompt zu jedem Wellwurst-Frühstück! Da sein Herrchen dabei nicht anzutreffen war, muss er die Ankün­digungen wohl doch „gelesen“ haben.“

Werbung der Ludwigapotheke von 1930 Quelle: Beata Halicka, Crossen an der Oder 1005-2005

Von Wilfried Reinicke stammt ein weiterer Artikel zur Geschichte der Crossener Apotheken.

Nach derart niederschmetternden Aussichten stellt sich die Frage: Was waren die Einnahmequellen der Stadt? Anfang des 19. Jahrhundert spielte der Waren-und Brückenzoll eine große Rolle. Beata Halicka zählt ebenfalls dazu: Die Kämmerei-Vorwerke Tschausdorf und Alt-Reh­feld brachten jeweils 1114 und 267 Talern ein. Die städtischen Ziegeleien warfen jährlich einen Gewinn von 290 Talern ab.

„Die zur Stadt gehörenden Dörfer waren verpflichtet, eine Grundsteuer und den so genannten „Hufenzins“, also Abgaben in Naturalien und Tieren, zu zahlen“, so die Autorin und weiter. „Seit 1836 erfolgten diese Abgaben dann nur noch als Bargeld. So zahlten die Dörfer jährlich folgende Summen: Tschaus­dorf – 19700, Rusdorf – 7700, Alt-Rehfeld – 12975, Hundsbelle – 2350 Taler. Ein Teil dieses Besitzes wurde Mitte des 19. Jahrhunderts auch verpachtet, was der Stadt weiteren Profit einbrachte.

Und die Ausgaben? Beata Halicka: „Zu den Ausgaben der Stadt gehörten vor allem die Gehälter für 22 Beamte, von denen die höherrangigen zwischen 100 bis 235 Taler und die anderen dagegen 30 bis 80 Taler erhielten. Nach der Städtereform stiegen diese Gehälter bedeutend. Laut Stadtchronik von Gustav Adolph Matthias betrug 1829 das Gehalt des Bürgermeisters Heyne 800 Taler pro Jahr. Die Entlohnung seines Nachfolgers Carl Hermann Lorenz wurde dagegen aufgrund von Spar­maßnahmen um 200 Taler gekürzt.“ Somit waren unter den Beamten und den Bürgermeistern auch einige wahlberechtigte Bürger.

„Es scheint sehr schwie­rig zu sein, alle Neuer­ungen und Veränderun­gen im Laufe des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in einer chronologischen Reihen­folge zu schildern, ohne in Monotonie der Aufzählung von Daten zu verfallen. Deswegen schlage ich vor, einen Spaziergang durch das Crossen des späten 19. Jahrhunderts zu machen und auf diese Weise einzelne Stadtteile genauer zu betrachten“. Eine gute Idee von Beata Halicka vor und diesem „Spaziergang“ will ich mich anschließen, aber ich gehe noch ein paar Jahre weiter zurück.

Ansichtskarte der Andreaskirche von 1927

Da wäre zuerst einmal die Andreaskirche – nicht nur eines der Wahrzeichen der Stadt, sondern auch am Anfang des 19. Jahrhunderts eines der Sorgenkinder, denn sie drohte einzustürzen. Im Oktober 1825 geschlossen, begann man im folgenden Jahr mit einem Neubau und am 8. August 1826 erfolgte unter der Kanzel die Grundsteinlegung und aus den Chroniken ist zu erfahren, dass der Neubau am 4. März 1827 eingeweiht wurde.

Crossen hatte wie andere Städte auch sehr früh eine jüdische Gemeinde. Bereits im 11. Jahrhundert – damals herrschte in der Stadt der polnischen König Kasimir – gab es beim Odertor eine „Judengasse“ und natürlich gibt es in den Stadtchroniken auch Hinweise auf die folgenden Judenpogrome und Vertreibungen. Die ersten sind in den Jahren 1348-50 erwähnt, als man den Juden infolge der Pest die Schuld für den Tod von tausenden Menschen zuschob. Chronist Gustav Adolph Matthias schreibt von Verbrennungen lebender Menschen, Folter und Jagden mit Hunden auf fliehende Verfolgte und Beata Halicka berichtet: “Zweihundert Jahre später fiel die jüdische Gemeinschaft erneut der Intoleranz und der Bestrafung durch die Allgemeinheit für die Schuld von Einzelnen zum Opfer. Der brandenburgische Kurfürst Johann Georg machte nämlich den jüdischen Schatzmeister Lippold für die Schulden seines Vaters und Vorgängers verantwortlich und wollte durch seine Be­strafung die wegen der Schuldenlast sehr gespannte Situation im Lande mildern. Lippold wurde hingerichtet und 1573 alle Juden aus dem Lande vertrieben.“

Jüdisches Leben war in Crossen erloschen, bis am Anfang des 18. Jahrhunderts vereinzelt jüdische Familien versuchten, sich in der Stadt anzusiedeln. Aber die Stadtväter verweigerten ihnen die Zuzugsbewilligung. Erst das Edikt über die Religionsfreiheit von 1750 des Königs Friedrich II. schuf die Grundlage für das Leben von Andersgläubigen im preußischen Staat, und 1809 lebten zwei jüdische Familien in Crossen, die Familien Casper und Lewin. Ihre Zahl wuchs stetig und bis 1844 stieg die Zahl auf 77. In den Jahren 1858 bis 61 meldet die Crossener Statistik 133 jüdische Mitbürger und Beata Halicka schreibt: „Im ganzen übrigen Kreis dagegen waren es 333, davon: drei Akademiker, drei Rentner, die von ihrem Vermögen lebten, vier wohlhabende Kaufleute, 21 Ladenbesitzer und 19 Kramhändler. Außer­dem gab es einen Versicherungsagenten, einen Speisewirt und zwei Handwerker.“ Und diese bauten 1851 ihre Synagoge an der Ecke „Sichdichfür“ und Brauhausgasse. Für das Gemeindeleben sorgten ein Rabbiner, ein Kantor und ein Religionslehrer. „Bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein blieb der Anteil der jüdischen Bürger in der Stadt konstant und überschritt nicht die 2 %“, so Beata Halicka.

Synagoge Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Im „Crossener Heimatblatt“ ist zu lesen:

„… 1771 wurde der erste Jude, der Schnittwarenhändler Wolf Kaspar, in Crossen ansässig. Erst 80 Jahre später (1851) erhielt Crossen eine Synagoge. Im März des Jahres 1897 findet zum Gedächtnis an den 100. Geburtstag von Kaiser Wilhelm I. in der hiesigen Synagoge in Crossen ein Gedenkgottesdienst statt. Die vollklassige Realschule hält am 09.03.1899 ihre erste Abgangsprüfung ab. Darunter befindet sich auch Willy Lesser. Bereits 1914 verliert er sein Leben auf den Schlachtfeldern für Deutschland. Der Kaufmann Max Treuherz kauft 1902 ein Haus am Markt. Der jüdische Hilfslehrer Moses Calvary wird 1908 vom Magistrat in die Oberlehrerstelle am Realprogymnasium gewählt. Der Schüler Rosenbaum besteht 1914 die Schlußprüfung am Realprogymnasium. Oberlehrer Calvary unternimmt eine Studienreise nach Palästina und wird dafür freigestellt. Der Kaufmann Hugo Lesser kauft 1918 das „Gasthaus zum Stern“ in der Hospitalstraße, 1919 ein Haus in der Junkerstraße. Das Kolonialwaren- und Destillationsgeschäft von Nathan Jacoby am Markt wird von Julius Drucker und Heinrich Pincus erworben.“

Aber „Sichdichfür“ hatte noch andere Besonderheiten zu bieten, im Mittelalter sollen sich die Crossener Bordelle dort befunden haben und als Ausgleich wurde am östlichen Teil der Straße – einer katholischen Enklave – 1854 die neogotische St. Hedwigskirche erbaut mit einer katholischen Schule und dem Pfarrerhaus. Die katholische Gemeinde mit den Gemeindemitgliedern aus den umliegenden Dörfern zählte immerhin 850 Gläubige.

Die katholische Hl. Hedwigskirche Quelle: Beata Halicka, Crossen an der Oder 1005-2005

„St. Hedwig“ blieb im zweiten Weltkrieg und nach dem Stadtbrand von 1945 unversehrt. Die ersten polnischen Bewohner hielten dort ihre ersten Messen ab, zogen dann in die Andreaskirche und nach ihrer Renovierung 1950 in die Marienkirche. Überflüssig geworden wurde „St. Hedwig“ 1969 abgerissen.

Ostern 1887 wird in der Knabengrundschule in Crossen Alfred Georg Hermann Henschke eingeschult, 360 Jahre zuvor war sie die erste Crossener Schule und viel mehr weiß man nicht über sie. Wikipedia schreibt: „Die Crossener Lateinschule wird erstmals 1527 erwähnt. Später war sie die höhere Bürgerschule und dann wurde sie Gymnasium mit den ersten Abiturienten im Jahre 1923.

Knabenvolksschule Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Aber Beata Halicka kann sie „neuere“ Geschichte der Schule beschreiben:

„… Das Gebäude des Crossener Gymnasiums (das heutige Lyzeum) bekam seine äußere Form in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Damals wurde in dem südlichen Flügel ein vierter Stock errichtet und der ganze Komplex bekam einen neuen modernen Putz. (…)

Eine Klasse der Mädchen¬volksschule Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Der erste, südliche Teil des Schulkomplexes wurde als Mädchen­volksschule 1836 erbaut, im nächsten Jahrzehnt kamen dann die Knabenel­ementarschule und die höhere Bürgerschule dazu. (…) Sechzig Jah­re später war die Zahl der Schüler viel höher und die Schulgebäude wurden zu eng. Die Stadtbehörden fassten also den Entschluss, eine neue Mädchenschule in der Nähe der Elisenbrücke zu bauen. Die Bauarbeiten wurden 1904 abgeschlossen, anders als ursprünglich geplant, wurden hier aber nicht Mädchen, sondern nur Jungen unterrichtet. Ein wichtiges Ereignis im Crossener Schul­wesen war in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts das Erlangen des Status‘ einer reformierten Schule, die mit dem Abitur endete und ihre Schüler auf das Universitätsstudium vorbereitete.“

Damit ist alles über Crossens Schulwesen geschrieben? Natürlich nicht, denn in der Februar-Nummer 1973 veröffent­lichten die „Crossener Heimatgrüße“ als Illustration der Besprechung des Buches „Brennendes Herz Klabund“ von Guido v. Kaulla das Foto einer Klasse des Crossener Real-Gymnasiums mit dem Oberlehrer Moses Calvary. Das Fo­to, das hiermit noch einmal abgedruckt wird, stammte aus dem besprochenen Buch, und die Legende dazu sagte aus, das der Junge in der hinteren Reihe links Alfred Henschke, der spätere Klabund, wäre.

Die Leser/innen der Heimatgrüße sind aufmerksam und so entspann sich eine lebhafte Diskussion darüber, ob Klabund ein Schüler Calvary gewesen sei, oder nicht. Das Ergebnis, er war es nicht, wie der Artikel „Klabund gehörte nicht zur Calvary-Klasse“   zeigte.

Aber Klabund kannte Moses Calvary. In einem Brief an seinen Mentor Walter E. Heinrich schreibt er und man beachte das Datum des Briefes – eines Klabund würdigen Datums:

„ … Crossen (Oder), Ostersonnabend 1911 (oder wie man hier sagt: Kuchebacksonnbd.) – Sehr geehrter Herr Heinrich,

– Ich freue mich auf Berlin, Freitag hoffe ich einzutreffen. Ihre Karten kamen mir beide wie Grüße aus einer „besseren Welt“. So sehr wird man hier mit geistigen Menschen überfüttert. Der Oberlehrer Calvary ist der einzige, mit dem sich standesgemäß verkehren lässt. – Der ist es auch gewesen, der mich mal auf antike Skulpturen gebracht hat. Ich habe in ihren Abbildungen ge­schwelgt. Kennen Sie etwas Verehrungswürdigeres als die Brüste der Nike von Samothrake? (Sie wissen, mein Faible für Brüste sitzt tief – und tiefer als der Tag gedacht.)

Knabengymnasium Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Hannelore Kolbe – ehemalige Crossenerin – bestätigt diese Bekanntschaft in einem Leserbrief.

Moses Calvary muss ein außergewöhnlicher Lehrer gewesen sein. Im Schuljahr 1907/08 kam er als wissenschaftlicher Hilfslehrer (Assessor) nach Crossen. Am 14. Mai 1918 wurde er als Oberlehrer (Studienrat) fest angestellt. Über ihn habe ich ein Portrait veröffentlicht, aber wieder einmal in den „Crossener Heimatgrüßen“ wurde auch über ihn berichtet als einen Lehrer, der in bester Erinnerung geblieben ist. „Israels Pestalozzi wirkte zuvor in Crossen“ lautete der Titel.

Zum Abschluss der Schulgeschichte sei das 400-jährige Jubiläum im Jahre 1927 erwähnt, bei dem Klabund mit seinen Eltern und seinem Bruder Hans anwesend war. Die Crossener hatten sich mit ihrem Dichter wohl endgültig ausgesöhnt, nachdem der Kabarettist Werner Fink schon im Januar 1925 in der Zeitschrift „Das Stachelschwein“ die folgenden Verse geschrieben hatte:

In Crossen hat der Herr Klabund
den heimatlichen Hintergrund:
Du fragst: Klabund?
und scheu beiseite
sagt man dir seine Kragenweite.
Den Crossern drum bewegt Klabund
nicht so das Herz als so den Mund.
Man rühmt ihn mit; doch durch die Blume
bekreuzt man sich vor diesem Ruhme.
Und kurz:
Es gilt Klabund in Crossen
indem er dieser Stadt entsprossen – und kurz und gut
man sagt: Klabund –
und jeder hat so seinen Grund.
Tatsache bleibt:
Es hat sich Crossen
im Fall: Klabund
noch nicht entschlossen.

Eine „putzmuntere Springerei“ ist die Geschichte der Oderbrücken im Laufe der Jahrhunderte, die immer zu den Wahrzeichen der Stadt gehörten. Ihr Ursprung reicht sicher zu den Ursprüngen der slawischen Siedlung zurück, allerdings handelte es sich um keine Brücke, sondern nur um einem günstigen Oderübergang.

Oderbrücke um 1905 Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

So etwa um 1300 erwähnen die Chroniken eine Holzbrücke und die stand nie allzu lange. Entweder durch die zahlreichen Kriege, durch Hochwasser oder durch Eisgang im Winter wurde sie immer wieder zerstört. Heute läßt sich nicht mehr feststellen, wie oft die Oderbrücke zerstört und wieder aufgebaut werden musste.

Aber im Falle des letzten Jahrhunderts lässt sich die Geschichte der Oderbrücke erzählen. Beata Halicka tut es:

„… Über vierzig Jahre lang stand die Brücke als massiver Eisenbau, bis sie bei dem Rückzug der deutschen Armee von den Soldaten des Crossener Infanterie-Regiments am 15. Februar 1945 gesprengt wurde. Obwohl der angerichtete Schaden nicht groß war, gelang eine Reparatur der Brücke erst fünf Jahre nach Kriegsende. Im Jahr 2005 feiern die heutigen Einwohner der Stadt Krosno gemeinsam mit den ehemaligen Crossenern das hundertjährige Bestehen der Oderbrücke. Die „Elisenbrücke war nach der Königin Elisabeth benannt, der Gemahlin von Friedrich Wilhelm IV, die einmal im Vorbeifahren die Stadt besuchte.

Die Oderbrücke Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

(…) Bis Ende des 19. Jahrhunderts hatte Crossen eine Holzbrücke mit einem Durchgang für die Schiffe, die mit einem Kettenaufzug zu öffnen war. Da der Verkehr auf Fluss- und Landstraßen im 19. Jahrhundert noch nicht so rege war, bedeutete eine solche Brückenkonstruktion zuerst kein großes Hindernis. Die Schiffe hatten ohnehin in der Stadt zu halten, um die Brückengebühr zu entrichten. Der Nachteil der Konstruktion war jedoch, dass sie nicht senkrecht zum Ufer stand und die Kähne daher, um die schwierige an der nördlichen Oderseite gelegene Durchfahrt passieren zu können, oberhalb der Brücke einschlagen mussten, um dann mit dem talwärts gerichteten Steuer die gefährliche Brücke durchfahren zu können. Ab und zu passierte es, dass Kähne hier Schiffbruch erlitten, weil sie vom Strom gegen die Eisbrecher gedrängt wurden und dort versanken. Da der Verkehr immer mehr zunahm, erschien es am Anfang des 20. Jahrhunderts   immer   dringlicher, in Crossen   endlich   einen Brückenüber­gang zu schaffen, der rechtwinklig zum Flussbett der Oder verlief. Damit hing zusammen, dass die Brücke insgesamt verlegt werden sollte und der Stadtausgang zur Oderbrücke   dann   nicht   mehr von der Dammstraße erfolgen konnte. (…) Die neue Zufahrtstraße sollte also durch die Verlängerung der Rossstraße – spätere Dr. Henschkestr. – entstehen. Zu diesem Zweck mussten die Reste des Odertors sowie einige alte Häuser an der so genannten Mälzergasse abgetragen werden. (…) Als die neue Brücke fertig war, gefiel sie den meisten Bürgern dagegen nicht allzu sehr. (…) Vielleicht war diese Unzu­friedenheit einer der Gründe, dass die offizielle Eröffnung der Brücke am 10. Juni 1905 ohne Feier erfolgte. Ein anderer Grund dafür könnte aber auch die Tatsache gewesen sein, dass die Stadt einen Monat später das 900-jährige Jubiläum der ersten historischen Erwähnung von Crossen groß feierte. In seinem dreißig Jahre später veröffentlichten Artikel warf Rudolf Zeidler den Architekten der neuen Brücke vor, dass sie die weitere Zunahme des Straßenverkehrs nicht berücksichtigt und den Oderübergang nicht breiter geplant hätten. Bereits in der Mitte der 30er Jahre stieg die Zahl der Autos so wesentlich an, dass die engen Straßen im Stadtzentrum und die Brücke zum Verkehrsproblem wurden.“

Übrigens, die neue Zufahrtstraße zur Oderbrücke wurde später Hindenburgstraße genannt, nach dem Feldmarschall und Staatspräsidenten in den Jahren 1925-34. Aber eigentlich hätte sie einen anderen Namen verdient gehabt, als ausgerechnet den eines Militärdiktators.

Oderbrücke vor 1905 Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Noch so ein „altes Fossil“ war die Fischerei. Bereits 1472 verlieh der damalige Kur­fürst Friedrich III. an die Crossener Fischergilde das Privileg des Fischfanges. Im Mittelalter stand hier das Franziskanerkloster und später auch eine „Fischerkirche“ mit einem eigenen Friedhof, ebenso wie einer eigenen Schule.

. Die Fischerei lag bis zur Verlegung der alten Bobermündung zwischen dieser und dem Stadtzentrum. Beata Halicka meint: „Dieser Ort gehört zu den ältesten in der Stadt, da sich hier neben der frühmittelalterlichen Burganlage die erste Siedlung befunden hatte. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts trennte eine Arm des Stadt­grabens (früher des Bobers) diesen Stadtteil ab, was dazu beitrug, dass die Fischerei mit ihrem Inselcharakter in einer bestimmten Isolation vom Rest der Stadt existierte und ihre Ein­wohner ein eigenes Leben führten. Das hing auch damit zusammen, dass hier vor allem Fischerfamilien lebten, die eine besondere Gesellschaftsgruppe bildeten.“ Nicht minder kurios, die Fischergilde hatte bis 1896 einen eigenen Schulzen. Geblieben sind von der Fischerei nur noch alte Fotos.

Die Fischerei Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Weil die Verlegung der Bobermündung schon beschrieben wurde, diese erfolgte um zwei Kilometer nach Westen, oderabwärts in den Jahren 1908-10, um die Hochwassergefahr zu verringern und die städtische Bober-Badestelle wurde in die Nähe der Elisenbrücke verlegt.

Nach dem letzten Krieg und den militärischen Konflikten sollte die Stadt über mehr als hundert Jahre in Frieden leben, der Lebensstandard hob sich und wie sich dieses Leben veränderte, beschrieb Klabund einmal in einem Text und der Ode an Crossen und in diesem Text erzählt Klabund auch über den in Crossen geborenen Schriftsteller und Philosophen Rudolf Pannwitz. Neben dessen Portrait erschien natürlich auch in den „Crossener Heimatgrüßen“ ein Artikel über ihn – Sein Titel: „Pannwitz-Wiederentdeckung in Grenzen im Gange“ und den findet man hier.

Rudolf Pannwitz Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Nicht ganz so poetisch wie Klabund berichtet Beata Halicka über die Veränderungen in der Stadt:

Es sind viele neue Häuser entstanden, die Straßen wurden gepflastert, die Stadt bekam ein Gaswerk, modernisierte die Wasserleitungen und baute einen neuen Sportplatz sowie neue Schulen. Am Silberberg zog 1892 der Landrat ein, nachdem zuvor dort ein beliebtes Weinlokal betrieben wurde. Die Enkelin des Crossener Chronisten Dr. von Obstfelder – Hadwig Stölting – fand dazu folgende Informationen:

„Von den beiden Villen auf dem Silberberg behauptete der Volkswitz, die eine sei im rumänischen Stil, die andere, die Landrats­wohnung, sei im märkisch-posener Stil erbaut. Das war eine Anspielung darauf, dass der Finanzrat Ambronn (vermutlich als Aktionär) bei der rumänischen Eisenbahn und beim Bau der Märkisch-Posener Bahn (Cottbus – Guben – Crossen – Posen) viel Geld verdient hatte“.

Landratsamt Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Am 31. August 1905 brannte das von der Oder aus gesehen linke Gebäude vollständig aus und wurde dann in wenig veränderter Form wieder aufgebaut. Ab 1911 entstand eine neue Anlegestelle für Schiffe. Gebaut wurden ferner die Chausseen von Crossen nach Züllichau (1853) und nach Schwiebus. Nur noch die Straßennamen erinnerten später an die Gebäude oder Ein­richtungen – unrühmliche Straßennamen kamen während der „Nazizeit“ hinzu, erinnert sei an die Adolf- Hitler- oder Hermann Göringstraße.

Das Jahr 1888 ist ein ereignisreiches Jahr. Am 9. März stirbt Kaiser Wilhelm I. und sein Nachfolger wird der Sohn Friedrich III. Bereits am 15. Juni stirbt auch dieser und dessen Nachfolger wird der unselige Wilhelm II. In die Geschichte geht dieses Jahr als „Dreikaiserjahr“ ein. Eine Menge Reden – nicht immer ehrlich – auf das Lob der Verstorbenen hat man sicher in der Stadt gehalten so manche Ehrerbietungen des Militärs wurden sicher abgehalten und dabei ist hoffentlich nicht übersehen worden, dass ein neuer Mitbürger in die Stadt gezogen ist, der die Geschicke der Stadt jahrzehntelang maßgeblich beeinflusst hat.

Dr. Alfred Hensche als Oberführer der Feuerwehr Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Vor 40 Jahren in Crossen – Ereignisse des Jahres 1907“, lautet der Titel eines Artikels in den Crossener Heimatgrüßen“ und in diesem wird zum ersten Mal über Dr. Henschke und die Ereignisse in der Stadt berichtet.

Ein Auszug aus der Familiengeschichte:

Dr. Carl Wilhelm Alfred Henschke wird am 1. März 1858 in Lebus geboren, geht dort auf das Realprogymnasium, macht Abitur in Frankfurt an der Oder und studiert in Marburg, lernt dort seine Braut Antonie (Toni) Buchenau kennen und heiratet diese am 30. September 1887.

Sehr kurz arbeitet er in der väterlichen Apotheke in Frankfurt/Oder, dann macht er sich selbstständig. Seit 1888 wohnte die Familie Henschke in Crossen. Der Vater von Klabund wird Besitzer der „Königlich-privilegierten Adler-Apotheke“.

Die Crossener merken ziemlich schnell, was sie an Dr. Henschke haben und so wurde er bereits 1893 in den Magistrat berufen, dem er bis 1930 angehörte. Für den wegen Krankheit ausge­schiedenen Beigeordneten Lange wurde Apothekenbesitzer Dr. Henschke 1907 zum Nachfolger gewählt. Für ihn rückte Fabrikbesitzer H. Butting in den Magistrat ein. In zahlreichen Artikeln des „Crossener Heimatblattes“ wurde immer wieder an Dr. Henschke erinnert und dabei erwähnte man neben seinen „menschlichen Qualitäten“ auch seine vielen ehrenamtlichen „Ämter“

In meiner Biographie der Familie Henschke schrieb ich:

„… Bedingt durch die Abwesenheit des damaligen Bürgermeisters während des I. Weltkrieges und dann nochmal nach dem Abgang von Bürgermeister Dr. Strauss war er der verantwortliche Leiter der Stadt. In der Kreisverwaltung wirkte er von 1910 bis 1925 als Mitglied des Kreisausschusses und der Kirchenvertretung von St. Marien gehörte er rund 20 Jahre an.“

Einer der Artikel erschien April 1951 in den Crossener Heimatgrüßen unter dem Titel; „Wir erinnern uns des besten Crossener Bürgers“ – Vor 25 Jahren starb Dr. Alfred Henschke, der Vater Klabunds.

In dem Jahr, als die Henschkes nach Crossen kamen, wurde die St.-Johannis-Freimaurer- Loge „Zur festen Burg“ gegründet. Zusammenschluss der Prominenz 1880 gegründet – Im „Reichsadler“ und auf „Hohenzollernhöhe“ – nennt der Verfasser den Artikel, in dem er den 6. Oktober 1880 angibt. Eine andere Quelle nennt allerdings den 16. Oktober als Gründungstag.

Ein bemerkenswertes Portrait in „vollem Ornat“ von ihm gibt es auch, dass ich leider nicht in Farbe habe und natürlich auch dazu gab es einen Artikel – „Das Bildnis Dr. Henschke“.

Einen letzten Artikel über Klabunds Vater – erschienen im „Crossener Heimatblatt“ – gibt es noch: „Von Dr. Alfred Henschke und seiner Familie – Apotheker war Ehrenbürger – Sohn Hans wirkte bis 1947 in Crossen/Krosno.

Adler Apotheke Quelle: Akademie der Künste (AdK) Berlin https://www.adk.de/

Am 24. November 1936 stirbt Dr. Alfred Henschke. Er wurde neben seinem Sohn auf dem Bergfriedhof begraben und diese beiden Gräber ließen die „Nazis“ in Ruhe, der Respekt vor seiner Persönlichkeit in der Stadt war Schutz genug.

Vom Vater zum Sohn – und auch der hat eine ganze Reihe von Erinnerungen hinterlassen und die Erlebnisse, an die er sich nicht mehr selber erinnern konnte, haben andere für ihn aufgeschrieben. Teils lustig, aber auch, um „Falschmeldungen“ zu korrigieren, oder deren Gegenteil zu beweisen, oder die bisherigen Biographien zu ergänzen.

So erscheint z.B. im „Crossener Heimatblatt“ ein Artikel anlässlich seines 75. Geburtstags „zur Erinnerung an Alfred Henschke-Klabund“ und der ist sehr unverfänglich getitelt; „Oft gedenk ich deiner, kleine Stadt“. Ein Dr. Henschke genügt für die Stadt und so räumt der Artikel auf mit der Behauptung, Klabund habe die Würde eines Doktors der Naturwissenschaften erlangt, denn dieser „Dr.“ geistert bis heute durch die Literaturgeschichte – sein Urheber: Otto Zarek, er wird ihn 1924 im Vorwort zur „Bracke“ -Ausgabe der Deutschen Buchgemeinschaft in die Welt setzen.

Und weil ich es von der 400-Jahr Feier der der Crossener Hindenburgschule anno 1927 schon hatte, auch darüber ist ein Artikel zu finden: „Klabund bei der 400 Jahr-Feier

Rudolf Zeidler, mit Klabund aufgewachsen, steuerte immer wieder Erinnerungen im „Heimatblatt“ bei, z.B. „Rund um mein Elternhaus“ in der Ausgabe vom September 1965, sehr unterhaltsam und lesenswert.

Klabund und der Schauspieler Alexander Granach 1926 Quelle: Akademie der Künste (AdK) Berlin https://www.adk.de/

Klabund war auch ein sehr guter Pianist. In „An der Dammstraße erklang ein „Amati“ wird darüber berichtet.

Die „Crossener Heimatgrüße“ veröffentlichen im Oktober 1970 anlässlich des 80. Geburtstages Klabunds eine „Autobiographie des 18jährigen Dichters“, im Untertitel heißt es: „Guido von Kaulla berichtet über ein der Öffentlichkeit unbekanntes Manuskript“

Klabund „Fan“ Herbert Boretius aus Berlin kommentiert die auch die schon von mir beschriebene Lust Klabunds am Lästern über seine Mitmenschen und dann heißt das „Briefzitate des in der Dammstr. Geborenen“ – oder „Klabund über Crossen und die Crossener

Wie schon geschrieben, Werner Fink meinte: „Es hat sich Crossen im Fall: Klabund noch nicht entschlossen“. Stimmt schon, aber mit den Jahren besserte sich das und als „ihr Dichter“ z.B. als „Friedensangebot“ die „Ode an Crossen“ seiner Heimatstadt widmete, waren die Bewohner und „Knallfredi“ auf einem guten Wege.

Sehr versöhnlich erzählt davon auch Wilfried Reinicke in seinem Artikel „Ruhe für Klabund“, veröffentlicht im „Crossener Heimatblatt“ im Mai 2012.

Anlässlich Klabundens 50. Todestages erschien in den Heimatgrüßen 1978 ein Artikel mit dem Titel: „Klabund übers Grab hinaus Ehre erweisen – Vor 50 Jahren starb der Dichter – Totenfeier auf dem Bergfriedhof mit einer Rede Gottfried Benns“, Geschrieben hat ihn Herbert Boretius und diesen Artikel habe ich auch in meiner Klabund-Biographie zitiert. Nachzutragen wäre, der damalige Bürgermeister der Stadt war Franz Küntzel, seit 1921 im Amt.

Klabund und seine erste Ehefrau Brunhilde Heberle bei einem Ausflug nach Mergosscia Quelle: Akademie der Künste (AdK) Berlin https://www.adk.de/

Um das Kapitel Crossen und Klabund abzuschließen, sei nochmal Beata Halicka zitiert, sie schreibt:

„… Das Klabundgrab existiert heute nicht mehr, es wurde von den Polen in den 70er Jahren zusammen mit dem ganzen Bergfriedhof eingeebnet, in den Zeiten also, in denen alles, was an die deu­tsche Kultur in Crossen erinnerte, brutal vernichtet wurde. Nun bleibt zu hoffen, dass (…) eine neue Zeit anfangen wird, in der die Stadtge­schichte als gemeinsames Kulturerbe betrachtet wird.“

Zu den bedeutendsten, vor allem aber zu den großzügigsten Persönlichkeiten der Stadt zählte sicher Hermann Schaede – 1830 in Crossen geboren. Im „Crossener Heimatblatt“ ist zu lesen:

„… Wer in Crossen aufwuchs oder auch nur zeitweilig lebte, verfiel offensichtlich dem Fluidum des Ortes und blieb ihm bis zum Lebensende verbunden. Das fühlt der Besucher, wenn er beim Rundgang über das Pflaster aus schlesischem Granit stapft, das etwa seit 1900 in den Straßen der Altstadt liegt. Der Millionär Schaede, der den größten Industriebetrieb (ZEMAG) der sächsischen Stadt Zeitz schuf, schenkte es seinem Geburtsort, indem er ihm zwei Drittel seines Vermögens vermachte.“

Aktie über 1000 RM der Zeitzer Eisengießerei und Maschinenbau-AG vom November 1941 Von Unbekannte Autoren und Grafiker; Scan von Auktionshaus Vladimir Gutowski – Fundus des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen (BARoV) 2003-2009/ Auktionshaus Dr. Busso Peus, PD-Schöpfungshöhe, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=9746502

Und Beata Halicka schreibt über ihn und die Schaede-Stiftung:

„… An dieser Stelle sollte man sicherlich ein paar Worte dem Mann widmen, von dessen Geld die Stadt den Markt und zahlreiche Straßen neu pflastern lassen konnte. (…) Mit 25 Jahren ließ er sich in Zeitz bei Dresden nieder und gründete dort eine Maschinenfabrik und eine Eisengießerei. Innerhalb von zehn Jahren hatte er sehr viel Geld verdient und wurde als hoch geschätzter Bürger von Zeitz zum Stadtabgeordneten. Diese Funktion übte er bis zu seinem Tod 1900 aus. Da er ein Junggeselle geblieben war, überschrieb er in seinem Testament 464 000 Mark in Gold der Stadt Zeitz und 928 000 seiner Geburtsstadt Crossen, mit dem Vorbehalt, die Gelder sollten für gemeinnützige Zwecke verwendet werden.

Nach dem Willen des Wohltäters wurde eine Stiftung gegründet und von der riesigen zur Verfügung gestellten Summe durften nur die Zinsen ausgegeben werden. Die Stadt dankte dem Manne, dem sie ihr vorzügliches Stra­ßenpflaster und andere Einrichtung verdankte, indem sie ein wichtiges Stück einer inner­städtischen Straße nach ihm benannte und ein Brunnendenkmal errichtete. Letzteres erhielt seinen Platz am Fuße des Bergfriedhofes und damit an der Nordauffahrt zur Oderbrücke. Den Schaedebrunnen mit einem Bronze­medaillon des Wohltäters schuf der Berliner Bildhauer Richard Wagner aus Thüringer Muschelkalkstein. Er wurde am 8. Juli 1914 eingeweiht. Dieses Denkmal sowie ein an­deres, das nicht weit entfernt seit 1875 auf dem Bergfriedhof stand und den in den Jahren 1864, 1866 und 1870/71 gefallenen Soldaten gewidmet war, blieben an ihrem Ort bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts.“

Der Fortschritt hält Einzug in Crossen und so „bekommt die Stadt im Jahr 1861 eine Telegraphenverbindung und 1890 kaufte die Post das Gebäude des Hotels „Stadt London“. und begann in den nächsten Jahren mit dessen Umbau. Die neue repräsentative Post wurde an der Steintorstraße im September 1898 eröffnet, und im gleichen Jahr erhielt die Stadt den Anschluss ans Telefonnetz“, schreibt Beata Halicka.

Das mit der ersten Zeitung (1675) hatten wir schon und auch die erste Druckerei (1684) wurde schon beschrieben, genauso wie die Unterbrechungen durch die jeweiligen Landesherren. Aber am 1. Januar 1823 gründete Samuel Möllenbeck an der Glogauerstraße aus Guben kommend erneut eine Druckerei und Buchhandlung und gab eine Zeitung unter dem Titel „Sonntagsblatt für alle Stände“ heraus und dieses „Blatt“ erschien fünf Jahre lang in einer Auflage von 30 Stück.

 

Fragment der ersten Nummer des Crossener Sonntagsblattes Quelle: Beata Halicka, Crossen an der Oder 1005-2005

Im Jahre 1828 übernahm Johann Christian Riep die Zeitschrift unter dem Namen „Crossener Wochenblatt“ und bereits Ende der 30er Jahre erschien sie zweimal in der Woche. Über den Inhalt schreibt Beata Halicka:

„… Zu lesen gab es hier kurze Erzählungen, Ausschnitte aus der Chronik von Möller, Nachrichten aus der Stadt und dem Kreis sowie öffentliche und private Annoncen. Der ganze Inhalt unterlag der Zensur, die von königlichen Staatsbeamten vorgenommen wurde. Sollten die Zensoren Inhalte finden, die kritisch gegenüber dem König oder dem Staat waren, konnte dem Herausgeber die Konzession für die Zeitung entzogen werden.“

„Crossener Wochenblatt“ Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Übrigens, abgeschafft wurde diese Zensur ab dem 17. März 1848 und so etwa in dieser Zeit entstand eine zweite Zeitschrift, das „Crossener Gewerbe- und Intelligenzblatt“ – kritisch gegenüber dem König und der Regierung und bereits 1851 gezwungen, seine Tätigkeit einzustellen.

Nach dem Tod von Johann Christian Riep übernahm 1865 sein Sohn Ferdinand Riep den Verlag um krankheitsbedingt 1880 an den Crossener Richard Zeidler zuerst zu verpachten und letztendlich zu verkaufen. Unter Richard Zeidler erschien das Crossener Wochenblatt dreimal in der Woche und die Zahl der Abonnements stieg auf rund 1500. Bereits 1904 stieg die Auflage auf von 4600 Exemplaren und erschien nun täglich als „Crossener Tageblatt“. „Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges stieg die Zahl auf 6500 und dank dem Unterneh­mergeist des Verlegers, der seine Zeitung auch unter den an allen Fronten in Europa kämpfenden Crossener Soldaten verkaufte, wurde ein Auflage von 10 000 Exemplaren erreicht“, schreibt Beata Halicka.

Buchdruckerei und Verlag Richard Zeidler Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Schon zu Zeiten von Richard Zeidler präsentierte das „Crossener Tageblatt“ seinen Lesern einen „Aprilscherz“. Nicht immer leicht, etwas Originelles und einigermaßen Glaub­haftes zu finden. Einen besonders originellen Scherz im Jahre 1905 konnte man im „Crossener Heimatblatt“ lesen mit dem Titel: „„April, April …!“

Richard Zeidler Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Ab 1924 wurde Sohn Rudolf Zeidler Nachfolger des Vaters, der den Verlag rund zwanzig Jahre leitete, „was seit 1933 nur durch Kooperation mit der die Macht in der Stadt besitzenden faschistischen Partei möglich war“, so Beata Halicka.

Am 31. Januar 1945 erschien die letzte Ausgabe des „Crossener Tageblatts“ und Rudolf Zeidler floh vor der anrückenden Roten Armee.

Rudolf Zeidler Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Ein wichtiges Kapitel ist für Beata Halicka die Beschreibung des Marktplatzes. Aber nach dem Brand im Februar 1945 ist davon nicht mehr viel übrig geblieben. So helfen heute nur noch alte Fotos und die Erinnerungen der ehemaligen Crossener.

Und dieser Marktplatz hat auch freudigere Ereignisse gesehen. Donnerstags z.B. den so genannten „Pauernsonntag“, einem Bauernmarkt und dort boten die Bäuerinnen der Umgebung ihre Erzeugnisse an. Die viermal im Jahr stattfindenden Jahrmärkte waren beson­dere Ereignisse, sie dauerten mehrere Tage und zu ihnen gehörten neben den zahlreichen Händlern auch Karussells, Schieß­buden und sogar ein Kinematographietheater“.

Bauernmarkt Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Aufführen muss man natürlich auch das Schütz­enfest mit einer Tradition seit dem Mittelalter und bis zum Ende des Ersten Welt­krieges Kaisers Geburtstag, „Die Hauptveranstaltung war ein großer Festzug mit historischen Gruppen. Das war ein interessantes und buntes Gewimmel, das die einzelnen Phasen Crossener Geschichte vor Augen führte. (…) Sonst stellten sich die hiesigen Vereine und Sportclubs, aber auch ehemalige Stadtbewohner vor, die zum Beispiel nach Australien ausgewandert oder in Berlin ansässig waren. Eine besondere Gruppe bildeten die Nachbarn aus Ziebingen, die sich in Volkstracht präsentierten“, weiß Beata Halicka zu erzählen.

Crossener Heimatfest Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Zum Markt gehörte seit mindestens 1590 der Marktbrunnen, berichtet der Chronist Gustav Adolph Matthias und der sei anfänglich ein Holzbrunnen gewesen, verziert „mit Engelköpfen“. Im Laufe der Jahrhunderte wurde aus ihm nach 1715 „ein künstlerisch gestalteter Springbrunnen aus Sandstein, in dessen Mitte ein viereckiger Obelisk, der von vier wasserspeienden Masken geschmückt wurde“, stand.

Marktplatz mit Brunnen Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Viel hat dieser Marktbrunnen erlebt, ein trauriges Kapitel im III. Reich. Im Mai 1933 verbrannte ein grölender und primitiver Haufen die „entartete“ Literatur, darunter Thomas Mann und Bertold Brecht, nicht aber Klabund, wie Beata Halicka schreibt. „In den nächsten Jahren sah der Marktbrunnen zahlreiche Demonstra­tionen der Macht, beispielsweise der Wehr­macht zur Einführung der Wehrpflicht 1935. Siegreiche Feldzüge führten zu Aufmärschen auf dem Markt. Am Ende waren es allerdings die Trecks von weither und die flüchtenden Crossener, die Ende Januar 1945 – am Brunnen vorbei – zur Glogauer Straße und zum Bahnhof strebten“, so Beata Halicka.

Den Brand im Februar 1945 – gelegt von russischen Soldaten – hat er überstanden und Beata Halicka schreibt: „Im zerstörten und fast menschenleeren Krosno kümmerte sich jedoch keiner um ihn. Zuerst wurde der Obelisk abgetragen und an seiner Stelle ein paar Rohre montiert, aus denen das Wasser tropfte, um ihn schließlich in einen Müllcontainer zu verwandeln. Nachdem die Ruinen der Altstadt geräumt worden waren, fanden auf dem nun leer stehenden Marktplatz Militärparaden der Polnischen Armee statt und der im Zentrum des Platzes befindliche halbverkommene Brunnen störte nur dabei. Im Rahmen von Maßnahmen zur Stadtverschö­nerung wurde er daher 1979 abgetragen.“

Und die Autorin erinnert auch an den Orkan vom 14. Mai 1886, Zerstörungen von ungeahnten Ausmaßen, Verletzte und Tote habe er gefordert, berichten in den Tagen danach regionale und überregionale Zeitungen.

Erst im Juli 2004 erscheint in Zeitungen ein Artikel, der sich mit der Geschichte der großen Glocke von St. Marien beschäftigt und die zu dieser Zeit im Turm der Marienkirche in Berlin hängt. Recherchen ergaben, dass im II. Weltkrieg viele Glocken für die Waffenproduktion eingeschmolzen wurden. 8000 sollen es gewesen sein und dieses Schicksal war auch der Crossener Glocke zugedacht. 1943 wurde sie vom Turm geholt, wo sie landete, ist niemals festgestellt worden. „Erst nach sechzig Jahren konnte dank der Recherchen von Johannes Remenz bewiesen werden, dass nicht alle Glocken eingeschmolzen wurden. Die aus Crossen wurde zum Beispiel nach dem Krieg im Turm der Marienkirche in Berlin aufgehängt, da man sie ihrem Heimatort nicht zurückgeben wollte. Neben ihr hängt im Übrigen eine andere aus der Nachbarschaft – eine Glocke aus Sorau“, schreibt Beata Halicka.

die große Glocke vom Marienturm Quelle: Beata Halicka, Crossen an der Oder 1005-2005

Crossener Gesellschaften und Vereine – ein interessantes Kapitel der Stadtgeschichte. Und beginnen soll dieses mit dem 1909 gegründeten Verein für Kunst und Wissenschaft, der sich der Förderung von Musik und Theater widmete, indem er zahlreiche Musik­gruppen, Solisten und Wanderbühnen in die Stadt einlud. Im Laufe der Zeit erweiterte er sein Angebot um Kunstaus­stellungen, Tanzaufführungen, Lyrikabende und populärwissenschaftliche Vorträge.

Ein Höhepunkt 1926 „Der Kreidekreis“ von Klabund, bei dessen Aufführung der Autor persönlich anwesend war und nach der Vorstellung gemeinsam mit den Schauspielern/innen im Hotel „Drei Kronen“ feierte.

In seiner Monographie über das Stadtleben um 1929 gibt der Crossener Paul Kupke an, dass in dieser Zeit in Crossen über 120 Vereine tätig gewesen sind, zahlreiche Musikvereine (der Älteste 1841 gegründet), zwei Chöre, fünf Gesangsvereine und eine Theatergruppe. „Eine besondere Rolle spielte der Anglerverein, der ein altes Recht der Bürger Crossens verteidigte“, schreibt er und weiter: „zahlreiche militärische und kirchliche Verei­nigungen spielten eine Rolle in der Stadt“.

Nicht zu vergessen, die zahlreichen Turn- und Sportvereine, zwei Ruderclubs, Kegelvereine, Wan­dervereinigungen, Schieß-, Schach- und Motorsportklubs und über das Vereinsgeschehen gibt es im „Crossener Heimatblatt“ einige Artikel.

Ruderei auf der Oder Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Bereits 1885 gründete sich der Ruder-Club Crossen. „Von der Ruderei in Crossen“ heißen die Erinnerungen von Manfred Exner, der die Geschichte des Vereines beschrieb.

Vereinsheim des Ruderclubs 1885 Quelle: Beata Halicka, Crossen an der Oder 1005-2005

Der Ruder-Club Crossen von 1913 war eine weitere Gründung der „Ruderei“ in Crossen. In den Crossener Heimatgrüßen 1973 erschien unter dem Titel „Unter weißer Flagge mit rot-blauer Gösch“ ein Artikel über die Geschichte dieses Vereines.

Anlage des Ruderclubs 1913 Quelle: Beata Halicka, Crossen an der Oder 1005-2005

Crossen eine Handball-Hochburg? Immerhin, Im MTV Crossen von 1860 wurde das Feldhandballspiel wohl schon An­fang der 30er Jahre gepflegt. Der Artikel „Als Crossen eine Handball-Hochburg war“ erzählt die Geschichte der „Wurfgewaltigen“.

Am 21. September 1919 wurde der Verein für Bewegungsspiele Crossen (VfB) gegründet. Die Gründer kamen aus den Reihen eines Kegelklubs. Und auch an ihn gibt es Erlebnisse und Erinnerungen: „Als König Fußball in Crossen einzog“.

Crossener Fußballer um 1839 Quelle: Beata Halicka, Crossen an der Oder 1005-2005

Wer von „Vereinsmeierei“ genug hat, dem sei Paul Kupke an’s Herz gelegt, er schreibt: „Sollte aber jemand diesem Verei­nigungsgewimmel entfliehen wollen, so sind für den äußersten Notfall der Begräbnisverein und die Feuerbestattungsvereine bereit, ihn liebevoll zu betreuen und endgültig zufrieden zu stellen“.

Einen besonderen Augenmerk sollte man auf das letzte Gebäude in der Schaedestraße richten, nämlich auf das Hotel „Reichsadler“. Dessen Saal wurde schon 1903 für Filmvorführungen genutzt und später wurden daraus die „Capitol-Lichtspiele“. Im Artikel aus dem „Crossener Heimatblatt“ „Bald nach der Jahrhundertwende Kino im „Reichsadler“ wird diese Kinogeschichte beschrieben.

Ein Artikel des „Crossener Heimatblattes“ gibt Auskunft über die politischen Verhältnisse im Kreis Crossen in den Jahren bis zur „Machtergreifung“ der NSDAP 1933. „Politische Kräfte im Kreis von 1919 – 1932“ beschreibt nicht Wahlen in der Stadt, aber auch z.B. die Wahlen zum Kreistag sagen einiges aus. Mehrere national-bürgerliche Gruppen und die SPD, sowie die KPD erhielten etwa ein Drittel der Stimmen. „National-bürgerlich“ hieß dann allerdings, darunter befand sich die „Deutschnationale Volkspartei“ (DNVP), deren Programmatik Nationalismus, Nationalliberalismus, Antisemitismus, kaiserlich-monarchistischer Konservatismus sowie völkische Elemente enthielt (Wikipedia) und die „Deutsche Volkspartei“, die den politischen Liberalismus zwischen 1918 und 1933 vertrat. Der geringe Anteil der SPD und der KPD kam durch den fehlenden Anteil der Arbeiterschaft“ zustande und variierte je nach Stadt oder Gemeinde. Die restlichen Stimmen verteilten sich auf regionale Gruppierungen aus den Gemeinden des Kreises. Diese „Gemengelage“ verhinderte erstaunlicherweise ein Aufkommen der NSDAP sowohl im Kreistag wie auch in der Stadt Crossen. So bekamen die Nazis zwar bei den Reichstagswahlen 1928 277 Stimmen, aber erst bei der Provinziallandtags-und Kreistagswahl 1929 erhielten die Nazis dann 847 Stimmen und ent­sandten ihren ersten Abgeordneten in den Kreistag.

Der Artikel „Im Crossener Rathaus regierte die Liste Hegel“ beschreibt dann etwas genauer die „Machtverhältnisse in der Stadt und welche Personen hinter diesen Listen standen. Nicht verwunderlich, auch Dr: Henschke taucht darin erneut auf.

Liste Hegel Quelle; Crossener Heimatblatt

„Ab 1930 wurden die nationalsozia­listischen Aktivitäten intensiver. Jetzt gewannen die „Hakenkreuzler“ erheblich an Wählerstimmen. Sogar in der Industriestadt Sommerfeld betrug der NS-Stimmenanteil 1930 bereits 25 Pro­zent. Zwei Jahre später, bei den verschiedenen Reichstagswahlen von 1932, bekannten sich dann 16 000 bis 18 000 Wähler des Kreises zu Hitlers Ideen“, heißt es in den Artikel. „.Werbung für Hitler im Kreis erst ab 1928

„Machtergreifung“ oder auch „Machtübergabe“ könnte man das „Spektakel“ nennen, das am 30. Januar 1933 stattfand. Hitler war am Ziel und Reichswehr und die SA zog im Fackelschein durch Berlin, während hinter den Kulissen bereits eine zentralistische Diktatur vorbereitet wurde. Allerdings hatten die Nationalsozialisten keine Mehrheit und gingen auf eine Koalitionsregierung von NSDAP und nationalkonservativen Verbündeten (DNVP, Stahlhelm) ein und Beata Halicka schreibt: „Im März 1933 meldeten 64,1% der Einwohner des Kreises Crossen „ihrem Führer“ ihre Gefolgschaft.“

Nationalsozialisten veranstalten am Abend der Machtergreifung einen Fackelzug durch Berlin. Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 102-02985A / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5414062

„Auch andere Gründe trugen dazu bei, dass die Mehrheit im Kreis Crossen die NSDAP gewählt hatte“, meint Beata Halicka und führt als Gründe auf, dass z.B. die kommunistische Partei wegen der fehlenden Arbeiterschaft bei der Gegnerschaft zu Hitler nur eine geringe Rolle spielte, während die lange Tradition als Garnisionsstadt einen eher positiven Einfluss gehabt habe. Als dann auch noch nach der „Machtübernahme“ das Reich eine Wirtschaftsbelebung erfuhr – hauptsächlich ausgelöst durch den sofortigen Beginn der Rüstungsindustrie, „konnten viele Crossener glauben, für die Stadt beginne ein neues Leben“ und auch dafür gibt es Beispiele: Rege Bautätigkeiten auf dem rechten Oderufer, der Bau der Alvenslebenkaserne. Eine Artillerie- und eine Infanteriekaserne entstanden entlang einer neuen Straße, die dann den Namen Adolf-Hitler-Straße bekam. Und sicher auch interessant die folgenden Zeilen der Autorin:

„… Bevor der Zweite Weltkrieg ausbrach, baute man in Crossen noch die Pionierkaserne an der Frankfurter Straße und das Offizierskasino, den heutigen Garnisonsklub. Mit Einführung der Wehrpflicht von 1935 füllten sich die neuen Kasernen mit Soldaten und es kam zu der Paradoxie, dass die Zahl der Militärs die der zivilen Einwohner von Crossen übertraf. 1939 lebten hier also insgesamt 2 813 Menschen, davon 10 800 Zivilisten.

„Deutsche wehrt Euch kauft nicht bei Juden“, dieses primitive Geschrei des braunen Mordgesindels leitete die so genannten „Judenboykotte“ im ganzen Reich ein.

SA-Mitglieder bekleben die Schaufenster eines jüdischen Geschäfts Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 102-14468 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5415525

Diese Aktion fand offensichtlich in Crossen keinen großen Widerhall, was wohl daran lag, dass das „bürgerliche Lager“ noch genug Einfluss in der Stadt besaß. Wohl aber änderte sich im Laufe der folgenden Jahre diese Einstellung gewaltig und dies, sowie die Beschreibung der so genannten „Reichs­kristallnacht“ vom 9. November 1938 beschreibt Wilfried C. Reinicke im Artikel „Die jüdische Glaubensgemeinschaft und die Geschichte der Crossener Synagoge“. Darin enthalten auch der Brand der Synagoge, der allerdings erst am Vormittag des darauffolgenden Tages stattfand, die Freiwillige Feuerwehr verhinderte lediglich ein Übergreifen der Flammen auf die Nachbarhäuser, ließ also den Tempel bewusst niederbrennen.

Und von Hans Ulrich Wein stammt der Artikel „Synagoge in Crossen”, der sich ebenfalls mit dem Brand und dem Leben der verbliebenen Juden in der Stadt beschäftigt.

Die orthodoxe Synagoge Ohel Jakob in der Münchner Herzog-Rudolf-Straße nach dem Brandanschlag am 9. November 1938 Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 146-1970-041-46 / Unbekannt / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5418827

Widerrstand in der Stadt gegen das Regime? Beata Halicka schreibt:

„… Das Bild von Crossen in den 30er Jahren, als einer von den Anhängern Hitlers dominierten Stadt, sollte durch Informationen über die Tätigkeit der Regimegegner ergänzt werden, auch wenn es sich hier nur um Erscheinungen von Randbedeutung handelt, die keinen Einfluss auf den Gang der Geschichte ausgeübt haben.“

Mit der „Randbedeutung“ hat sie recht, aber es gab in Crossen immerhin die Bemühungen aus der Pfarrerschaft und aus der Bevölkerung, sich gegen die von den Machthabern installierte Kirchenbewegung der „Deutschen Christen“ zu wehren. Wikipedia beschreibt diese so genannte „Glaubenslehre“ als rassistisch, antisemitisch und am Führerprinzip orientierte Strömung im deutschen Protestantismus, die diesen von 1932 bis 1945 an die Ideologie des Nationalsozialismus angleichen wollte.

Dazu nochmal Beata Halicka: „In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts erschienen in Westberlin die Erinnerungen des Pfarrers Joachim Kanitz, der 1935 als Hilfs­prediger in der Crossener Pfarrgemeinschaft tätig gewesen war. Er beschreibt, wie die Nationalsozialisten die evangelische Kirche zum Beitritt zu der neuheidnischen Religion, den so genannten „Deutschen Christen“, überreden oder auch zwingen wollte.“

„Bischof“ Ludwig Müller im Kreise Deutscher Christen bei der Nationalsynode in Wittenberg, September 1933 Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-H25547 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5364022

„Niemand kann zwei Herren dienen“ und so richtete die „Bekennende Kirche“ als Gegenrichtung der „Deutschen Christen“ am 5. März 1935 „Ein Wort an die Gemeinden“, in dem sie sich gegen die Ausrichtung der „Deutschen Christen“ als gefügige „Staatskirche“ aussprach.

Der ehemalige Pfarrer W. Pfeifer berichtet in einem Artikel des „Crossener Heimatblattes“ über den Beginn des Kirchenkampfes im Kreis Crossen: „Ein Wort an die Gemeinden und seine Folgen“, so der Titel.

Zu den Crossener Pfarrern der „Bekennenden Kirche“ zählte auch Hermann Schultz, der von 1913 bis 1944 in Crossen lebte. Aus den Erinnerungen seines Enkels Auszüge in diesem Artikel.

Pastor Hermann Schultz 1932 Quelle: Familienbesitz

Am 1. September 1939 überfällt das „Deutsche Reich“ Polen, in Crossen anscheinend kein „großer Aufreger“. Beata Halicka schreibt, dass die Propaganda es geschafft hat, das Verhalten der Regierung zu akzeptieren. Der „ Crossener Kreiskalender“ von 1940 veröffentlicht eine Jahresübersicht der wichtigsten Ereignisse des Vorjahres und Karl Wein fasst darin zusammen: „angesichts dieser ungeheuerlichen Provokationen konnte eine Großmacht, wie das Deutsche Reich nicht mehr länger warten. In der Nacht zum 1. September gab der Führer der deutschen Wehrmacht den Befehl, zum Gegenangriff anzutreten und Gewalt mit Gewalt zu vergelten. Es folgte der „Feldzug der 18 Tage“, in dessen Verlauf die unvergleichlichen deutschen Truppen wie ein Sturmwind über Polen hinwegbrausten, seine Streitmacht so vernichtend schlugen, dass von ihr nichts mehr übrig blieb und seine kriegshetzende Regierung aus dem Lande trieben. (…) Danzig hatte in der gleichen Nacht, in der das deutsche Heer zu marschieren begann, seine Wiedervereinigung mit dem Mutterland feierlich verkündet und der Führer konnte nach wenigen Tagen als Befreier auch dort die deutschen Menschen begrüßen“.

Gestellte Aufnahme für die NS-Propaganda. Danziger Landespolizisten und Grenzbeamte reißen den polnischen Schlagbaum bei Zoppot ab. Quelle: Von Hans Sönnke – https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3535747

Aufmerksamkeit erregt vielleicht die Tatsache, dass immer mehr Wehrpflichtige eingezogen werden und als Ersatz Zwangsarbeiter meistens aus Polen an deren Stelle treten. In einer Niederschrift bezüglich der „Ostfrage“ vom 12. Februar 1940 heißt es: „Die Wirtschaft kann nach Lage der Dinge in den Ostgebieten nur dann in gewünschter Weise aufrecht erhalten und gesteigert werden, wenn genügend Arbeitskräfte im Lande bleiben. Das werden weitestgehend Polen sein. (…) Darüber hinaus müssen die gesamten Ostgebiete die vorgesehene Zahl von Arbeitskräften an das Reich abgeben“.

Gegen Ende des Jahres 1944 rückt der Krieg immer näher. Zuerst kommen „Ausgebombte“ aus verschiedenen Regionen in die Stadt und um den 20. Januar 1945 herum treffen die ersten Flüchtlingstrecks aus dem Generalgouvernement und dem besetzten Polen ein. Rudolf Zeidler schreibt: „„Eines Tages – es war wohl der 24. oder 25. Januar 1945 – sahen wir (…) den Beginn des endlosen Elendszuges, der sich, aus den östlichen Gebieten des Reiches kommend, die Bismarckstraße entlang über die Oderbrücke (…) in die westlichen Gegenden ergoss. (…) Aber wie verzweifelt die von solchem Los betroffenen Menschen aussehen, (…) davon hatte bis dahin keiner von uns auch nur eine schwache Vorstellung“.

An eine siegreiche Beendigung des Krieges glaubt niemand mehr, Anfang Februar stand die „Rote Armee“ kurz vor Crossen und es setzte eine panische Fluchtwelle ein. Allerdings glaubten die meisten Geflohenen an ihre Rückkehr. Am 30. Januar wird Crossen zur Festung erklärt und aus der Stadt fliehen weitere Zivilisten, die Post stellt ihre Tätigkeit ein, am Dienstag den 30. Januar 1445 wird das letzte „Tageblatt“  gedruckt, aber nicht mehr versandt. Unter dem Titel: „Letztes „Tageblatt“ wurde nicht mehr verteilt“ berichtet Frau Christel Halama darüber.

Der letzte Bürgermeister der Kreisstadt B. Schwidrowski verlässt in diesen Tagen die Stadt und in den „Crossener Heimatgrüßen“ beschreibt ein anonymer Autor „Crossens Untergang im Februar 1945

„Auf Befehl des Stadtkommandanten werden auf den Straßen Plakate mit Durchhalteparolen geklebt, um auf diese Weise die Stadtbe­völkerung zur Ruhe und zum Bleiben in der Stadt aufzufordern. Zu lesen war dort: „Hinter uns stehen starke Reserven, die bald zur Säuberung des geraubten deutschen Landes unter Einsatz der Geheimwaffen des Führers antreten werden. Sollte jedoch wider Erwarten Gefahr drohen, wird rechtzeitig eine Warnung an die Bevölkerung ergehen „, schreibt Beata Halicka.

Propaganda-Plakat

Und nochmal Beata Halicka:

„… Am 2. Februar 1945 begann von Lochwitz aus ein anfangs mäßiger, später stärker werdender Artilleriebeschuss auf die Stadt. Unter ständigem Störfeuer lagen die Pionierkasernen an der Frankfurter Straße, das Kreis­krankenhaus, der Bergfriedhof, die Züllichauer Straße und die Kasernen an der damaligen Adolf-Hitler-Straße. Am nächsten Tag musste der Stab wegen zunehmenden Beschusses zuerst in den Sitz des Landrates und dann in das Hauptzollamt direkt am rechten Oderufer verlegt werden. Zum Opfer fielen diesem Beschuss auch einige Gebäude auf dem linken Oderufer und einige Zivilisten kamen dadurch ebenfalls ums Leben. Die Kämpfe dauerten zehn weitere Tage und nach den Schätzungen von Rudolf Zeidler sind in diesen Tagen ca. 500 deutsche Soldaten in Crossen gefallen. Da die Bestattung der Gefallenen auf dem Bergfriedhof nicht mehr möglich war, musste ein Ersatzfriedhof geschaffen werden und der wur­de gegenüber von Körners Fabrik an der Ostpromenade angelegt.“

Kreiskrankenhaus Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Am 15. Februar erfolgte die Sprengung der Oderbrücke und die gesamte Brückenkopfbesatzung hat die Stadt verlassen und am Nachmittag besetzten Rotarmisten die Altstadt. Weitere Berichte aus diesen Tagen gibt es nicht mehr, aber Rudolf Zeidler schreibt: „So etwa am 18. Februar abends steht am Ost­himmel ein Feuerschein von solcher Größe und Helle, wie ich nur einmal in meinem Leben, und zwar 1915 vor Brest-Litowsk, gesehen habe. Ich weiß, was dieser Höllenbrand zu bedeuten hat! Tränen rinnen mir übers Gesicht, denn dort brennt mein geliebtes Crossen! Ich aber kann ihm nicht mehr helfen!“

In den „Crossener Heimatgrüßen“ wurden 1984 Erinnerungen über den Brand der Stadt veröffentlicht, Ilse Kluge schreibt:

„… „Meine Eltern und ich haben den Einmarsch der russischen Armee und das Kriegsende in Crossen erlebt. Meine älteste Tochter wurden am 17. Januar 1945 in der Rossstraße geboren und als letztes deutsches Kind vom Boberhöher Pfarrer in der Marienkirche getauft. Um bei einer Sprengung der Oder- und Elisenbrücke nicht in der Innenstadt eingeschlossen zu sein, zogen wir Ende Januar 1945 in die Bahn­hofstraße. (…) Dort erlebten wir das Artillerie­feuer über die Stadt hinweg, die Sprengung der Oderbrücke durch die Deutsche Wehrmacht und dann auch den Einmarsch russischer Soldaten. Bis zu diesem Zeitpunkt war Crossen bis auf wenige kleine Schäden nicht zerstört. In der dritten Nacht nach der Besetzung brannte von uns aus gesehen die linke, also die westliche Hälfte der Innenstadt und in der Nacht darauf die andere östliche Hälfte nieder. Auf beiden Seiten blieben nur die bekannten Randgebiete (…) von den Flammen verschont. Der Brand wurde mutwillig von russischen Soldaten gelegt. Sie zündeten mit Flammenwerfern Haus um Haus an. Das war unter den etwa 60 deutschen Einwohner, die damals in der Stadt weilten, allgemein bekannt. Wir beobachteten in den beiden Nächten jeweils ein Flammenmeer, das sich keinesfalls aus einem zufälligen Schaden­feuer, etwa einer fahrlässigen Brandstiftung, entwickelt haben kann.

Mein Vater Wilhelm Rüge hat mit dem damaligen Kommandanten, einem russischen Juden, über die Ursache des Brandes gesprochen. Nach den Gründen der Brand­stiftung gefragt, antwortete dieser, weil die Oderbrücke gesprengt worden und die Bevölkerung geflüchtet sei. Auch andere sowjetische Soldaten bestritten in Gesprächen die Brandstiftung nicht. Sie warteten lediglich mit Ausflüchten auf.

Die Marienkirche ist auch innen von den Russen nicht beschädigt worden. Nachdem die Polen da waren, besuchte ich noch einmal das Gotteshaus. Jetzt war die Kirche verwüstet, lagen die Pfeifen der Orgel im Gang. Es war ein trauriger Anblick“.

Ruinen der Glogauer Straße nach dem Brand Quelle: Beata Halicka, Crossen an der Oder 1005-2005

Propaganda lügt immer und manipuliert und so war in der kommunistischen Volksrepublik Polen die „einzig richtige“ Wahrheit eine ganz andere und davon zeugt eine „wissenschaftliche Publi­kation“ aus dem Jahre 1972, in der es heißt: „dass die vollständige und systematische Zerstörung der Stadt ein Werk der Deutschen war. Es könnten sowohl die regulären Einheiten der SS oder Mitglieder des Werwolfs gewesen sein“.

Nach der Erklärung der Stadt zur Festung hielten sich an den Stadträndern noch ca. 60 Personen auf, die restliche Bevölkerung war geflohen. Neue Herren in der Stadt waren sowje­tische Soldaten, die zur Sicherung der Front und zur Verpflegung der Armee zuständig waren. Beata Halicka schreibt:

„… Damals kamen auch die Crossener zurück, die sich in den umliegenden Dörfern versteckt hatten. Diejenigen, die dagegen westlich hinter die Oder geflohen waren, hatten zunächst keine Rückkehr­möglichkeit mehr, da die Rote Armee in diesen Gebieten bis zum 16. April 1945, also bis zum Beginn der Berlinoffensive, stationiert war. Die große Rückkehrwelle begann daher erst gegen Anfang Mai, als die Sowjets unterstützt von polnischen Soldaten Berlin erstürmten. Diejenigen, die nach Crossen zurückgekehrt sind, wurden aufgefordert, die Räumungs­arbeiten in der Stadt und Arbeiten in der Landwirtschaft zu verrichten.“

Eine der wenigen Berichte über das Leben in der Stadt im Frühjahr 1945 berichtet: „Anfang Mai 1945 wanderte ich mit meinen Kindern von Senzig bei Königs Wusterhausen zurück nach Crossen. (…) Als wir den unversehrten Turm von St. Marien sahen, setzten wir kräftig zum Endspurt an, um die Stadt noch vor Anbruch der Dunkelheit zu erreichen. Die erste Nacht verbrachten wir in einer völlig ausgeräumten Wohnung in der Nähe des Bahnhofs. Am nächsten Morgen ging es zum Registrieren in die Stadt. (…) Als wir von der Elisenbrücke tief erschüttert auf die zerstörte Stadt blickten, traf eine Hundsbellerin auf mich zu und berichtete, dass auch unsere Scheune abgebrannt sei. (…) Eine junge Polin, in rosaseidener Bluse vor einer Schreibmaschine sitzend, händigte uns die Passierscheine für die Notbrücke aus. Auf der Bismarckstraße waren von Fahrdamm und Gehbahnen die Spuren des Krieges bereits weggeräumt. Aber die Böschung war übersät mit Dingen aus den Wohnungen: Hausrat, Akten, Kinderspielzeug usw. (…) Nach Hundsbelle waren, bis auf wenige Familien, alle Einwohner zurückgekehrt. (…) Die Häuser der nicht wiedergekehrten Einwohner waren vollständig ausgeplündert. Besonders traurig wirkte der Anblick einer Kinderwiege, die als einziges Möbelstück in einem verlassenen Hause stand. (…) Die Männer mussten Aufräumungsarbeiten verrichten: Schützengräben auf der Bergkante entlang zuschütten, tote Tiere begraben. Wir Frauen waren mit dem Setzen von Kartoffeln beschäftigt“.

Marktplatz mit der Ruine des Rathauses Quelle: Beata Halicka, Crossen an der Oder 1005-2005

Zu den ersten polnischen Bewohnern gehörten Zwangsarbeiter, die beim Rückzug der Wehrmacht in die Stadt getrieben wurden. „Tadeusz Slominski, der im April 1945 hierher kam, erinnert sich an acht Polen in Crossen, fünf Männer und drei Frauen. (…) Sie alle wohnten zusammen in der Gärtnerei auf dem Berg. Da in diesem Haus auch der Apotheker Dr. Henschke mit seiner Frau wohnte, kam es zu der ungewöhnlichen Situation, dass in dieser vom Krieg gekenn­zeichneten Zeit Deutsche und Polen unter einem Dach friedlich zusammenlebten. Es war kein Zufall sondern eine freiwillige Entscheidung, man konnte sich nämlich in der Stadt nicht sicher fühlen und deswegen schlossen sich die Menschen zusammen und halfen sich gegenseitig. Tadeusz Slominski erzählt von Familie Henschke mit Hoch­achtung und Sympathie und nennt sie stolz seine Freunde. Dr. Henschke war mehrere Monate lang der einzige Apotheker in der Stadt und nicht selten ersetzte er einen Arzt und half mit seinem Wissen sowohl den Crossenern als auch den Krosnoern. Die Stadt verdankt ihm auch, dass das Kreiskrankenhaus nicht ausgeplündert wurde und die dort vorhandenen Geräte und Arzneimittel rechtzeitig geborgen werden konnten“, so Beata Halicka.

Neumarkt 1948 Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Sehr eindrucksvoll berichtet Beata Halicka über die folgenden Monate und über die „Machtübernahme“ der nun in der Stadt lebenden polnischen Bewohner, „von Machtmissbrauch durch verschiedene kommunale Beamte, einer generellen Misswirtschaft, Betrü­gereien und unrechtmäßige Aneignungen staatlichen Besitzes“. Als Beispiele führt sie die damaligen vier Bürgermeister auf, die alle innerhalb weniger Monate abgelöst wurden.

Unmittelbar nach Kriegsende – August 1945 – begann die Reorganisation der polnischen Armee und diese besetzte die Grenze entlang der Oder und der Glatzer Neiße, um die Rückkehr der geflohenen deutschen Bevölkerung zu stoppen. Crossen wurde wieder Garnisonsstadt,

Der polnische General Sankowski erteilte Ende Juni den Befehl: „alle deutschen Einwohner der Grenzkreise sollten in die Gebiete westlich der Oder und Lausitzer Neiße ausgesiedelt werden“. Und dieser Befehl war rechtswidrig und wird als „wilde Vertreibung“ bezeichnet. Beata Halicka schreibt, es sein zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen in Form von Raub und anderen Gewalttaten gekommen und sie führt die Erinnerungen des damaligen Bürgermeisters Jözef Budzynski an: „In diesem Tag (24. Juni – Anm. der Autorin) erfolgte die Absetzung der deutschen Bevölkerung an der Grenze in Slubice (Dammvorstadt von Frankfurt/Oder – Anm. der Autorin). Es dauerte bis 14 Uhr, bis alle an der ulica Slubicka (Frankfurter Straße – Anm. der Autorin) versammelt waren. Evakuiert wurden vor allem alte, kranke und arbeitsunfähige Menschen. Für Greise und Kinder wurden drei Plattformwagen bereitgestellt. Aus der versammelten Men­schenmenge kam eine Deutsche auf mich zu und spuckte mich an. Die Miliz, die mich begleitete, wollte reagieren, ich ließ jedoch nicht zu, dass man ihr etwas antat. Sie wurde dann von den eigenen Landsleuten mehrmals geschubst. Ca. 100 Deutsche ließ ich in der Stadt verbleiben, da wir sie als Arbeiter brauchten“.

Der Mangel an Arbeitskräften war sehr groß. So konnte z.B. ein großer Teil der Ernte im Jahr 1945 nicht eingebracht werden und viel Nutzvieh verendete. Am 6. Juli 1945 wurde die Vertreibungsaktion daher ge­stoppt. „Nach Angaben der Kreisbehörden waren im November 1945 im gesamten Kreis Crossen noch 4609 deutsche Staatsbürger registriert. Ihre Zahl sank bis Juni 1947 auf 608, einen Monat später waren im Kreis nur noch 16 deutsche Einwohner verblieben. (Beata Halicka).

Erhaltene Häuser Quelle; Bildersammlung H. U. Wein

Hier endet die Geschichte der deutschen Stadt Crossen und eine neue Epoche beginnt. Ihr Name: Krosno Odrzańskie. Zu dieser „neuen Epoche“ gehörte die Beseitigung aller möglichen „Überreste“ der deutschen Kultur, d.h., eine Beschäftigung mit der deutschen Vergangenheit war nicht gern gesehen. Stattdessen hob man die Vergangenheit der Piastenkönige und der schlesischen Herzöge hervor.

Aber nicht nur „deutsche Kultur“ wurde beseitigt, zahlreiche Maschinen, Industrieanlagen und Magazinvorräten gingen als Reparationen in die UDSSR, wie z.B. die Gasanlage, das Pumpwerk sowie zahlreiche Maschinen zur Metallverarbeitung wurden über den Stettiner Hafen abtransportiert.

Die damaligen Stadteinwohner – egal welcher Volkszugehörigkeit – hatten also kein angenehmes Leben. Ein trauriges Kapitel stellten die Überfälle und Vergewaltigungen vor allem deutscher Frauen dar. Aber es gibt auch positives zu berichten: Bereits Anfang Mai 1945 waren wieder zwei Bäckereien eröffnet und „um den 15. Mai herum stellten die Brüder Slomihski die ersten Produkte in der Fleischerei auf der Bergstraße 1 her“, vermerkt Beata Halicka. Das Wasserkraftwerk in Alt-Rehfeld arbeitete ab dem Sommer und versorgte die Stadt wieder mit Strom und auch der Schlachthof konnte 1950 die Arbeit wieder aufnehmen.

Das Wehr und Kraftwerk bei Alt-Rehfeld Quelle: Heimatverein Crossen

Eine wichtige Quelle für diesen Zeitraum sind die Erinnerungen von Dr. Wieslaw Sauter, der als Schulinspektor im Herbst 1945 die Kreisstädte des Lebuser Landes besuchte und den Beata Halicka „aufgetan“ hat, sie schreibt: „Am 10. Oktober 1945 kam er nach Crossen und verließ es mit folgenden Eindrücken: „Um die Sicherheit in der Stadt steht es sehr schlecht bestellt. Die Sowjets scheuten sich nicht, am hellen Tag Menschen zu überfallen und ihnen Geld, Papiere und zum Beispiel ein Fahrrad wegzunehmen, was dem Lehrer Boleslaw Lapuch zugestoßen ist. Die Versorgung der Stadt ist katastrophal. Die Lehrer kommen sogar nicht an ihre Brotra­tionen heran. Die Verwaltung in der Stadt ist unter jeder Kritik. Der erste Landrat, der ein paar Tage vor meiner Ankunft gekündigt hat, eröffnete am nächsten Tag nach seinem Abschied ein eigenes Geschäft und verkaufte dort Gegenstände, die er sich während seiner Amtszeit illegal angeeignet hatte. Aufgrund der Intervention von Bürgern hat man ihm die Konzession für den Laden wieder entzogen und ihn aus den Reihen der Kaufmannsgilde ausgeschlossen. Als ich am Schalter stand, um mir eine Fahrkarte zu kaufen, konnte ich hören, wie Menschen empört über sein Verhalten diskutiert haben. Der neue Landrat Ociepka soll ernsthaft am Werk sein, man weiß aber nicht, wie lange es dabei bleibt. Verblüffung rief auch das Verhalten des Sicherheitsdienstes und des ersten Sekretärs der Partei im Kreis hervor. Ihre religionsfeindliche Einstellung führte dazu, dass sie die Ansiedlung von Priestern im Kreis und in der Stadt nicht zuließen. Die meist gläubige Bevölkerung drückte ihre Empörung darüber aus. Einer der Lehrer ergriff die Initiative und versammelte Menschen in der Kirche, um gemeinsam zu beten. Die aus Ostpolen zwangsumgesiedelten Menschen verlangten hartnäckig nach einem Priester. (…) Herr Julian Kusnierz nahm sich mit großem Engagement der Einrichtung der Schule in Crossen an, die mit Hilfe von anderen Menschen am 10. September 1945 eröffnet wurde. (…) Die Lehrer, unter ihnen auch viele ohne entsprechende Ausbildung, arbeiten unter sehr schwierigen Bedingungen und tun sehr viel Gutes für die Schule. Eingeschrieben sind ca. 100 Schüler“.

Und um nochmal bei Beata Halicka abzuschreiben: „Ein Dokument anderer Art ist der Tätigkeitsbericht der Stadtverwaltung für die Jahre 1945-49. (…) Im Jahr 1945 hatte die Stadt keine Einkünfte zu verzeichnen, in der Stadtverwaltung arbeiteten 30 Personen, in Crossen lebten ca. 1000 Menschen. (…) Der gegen Ende des Jahres 1945 gegründete städtische Baubetrieb beschäftigte sich vor allem mit der Räumung von Trümmern in der Stadt. Zu diesen Arbeiten wurden vor allem Deutsche herangezogen, die in der Stadt geblieben waren und in speziellen für sie bestimmten Gebäuden wohnten. Das Budget der Stadt, das für 1946 auf 6 Millionen Zloty veranschlagt worden war, fiel erheblich klei­ner aus. Nur ein Sechstel der Gelder kam zusammen, da die Stadt die geplanten Mittel nicht bekommen hatte. Mit großen finanziellen Schwierigkeiten hatten die Grund- und Berufsschule zu kämpfen, die außer einer kleinen finanziellen Unterstützung vom Kreis über keine weiteren Mittel verfügten. In diesem Jahr nahm das städtische Wasserwerk seine Tätigkeit auf, das Problem der Wasser­versorgung in der Stadt konnte jedoch trotzdem für eine ganze Weile nicht gelöst werden. Erst im Jahr 1947 bekam die Stadt einen Kredit in Höhe von 800.000 Zloty für die Renovierung der Wasserleitungen. Diese Summe erwies sich jedoch als nicht ausreichend. Es konnten nur das Pumpwerk und ein Teil der Rohrleitungen instand gesetzt werden. (…)Für mehr Sicherheit sorgte nun auch die Straßenbeleuchtung. Um den Straßen­zustand zu verbessern wurde ein Steinsetzer eingestellt, für die Renovierung der Häuser sorgten zwei Dachdecker. Außerdem arbeiteten täglich ca. 50 Leute bei der Gewinnung von Ziegelsteinen aus den Ruinen im Stadtzentrum. Aus diesem Tätigkeitsbericht geht auch hervor, dass die Stadt am Verkauf der Ziegel verdiente. Eine neu gegründete Abteilung der Stadtwerke sorgte für die Müllabfuhr, damit wurden endlich Grundlagen geschaffen, um in der bis jetzt sehr schmutzigen Stadt einigermaßen für Ordnung zu sorgen.

Der Rest des Marktplatzes Quelle: Beata Halicka, Crossen an der Oder 1005-2005

Seit 1949 kann man bereits von einer gewissen Normalität und Stabilisierung in Crossen sprechen. Es gab ein Lyzeum, zwei Grundschulen, einen Kindergarten, einen Kulturraum und eine Bibliothek. (…) In vollem Gang arbeiteten das Krankenhaus, das Ärztehaus, die Molkerei und das Sägewerk. Außer im Handel und im Dienstleistungsbereich arbeiteten die Stadtbewohner im Landmaschinenpark, in dem Ende 1946 bereits 87 Personen angestellt waren, in einer Limonadenfabrik (zehn Angestellte) und in der Ölpresse (drei Arbeiter). Zu diesem Zeitpunkt hatte Crossen 2.200 Einwohner, ein Fünftel also der Zahl aus der Vorkriegszeit. Nach der Statistik des Kreisamtes erhöhte sich die Einwohnerzahl in den nächsten zwei Jahren bedeutend: im Dezember 1948 lebten in Crossen bereits 3.448 Menschen, davon 59,5% Umsiedler aus Zentral- und Großpolen und 35,6% Vertriebene aus Ostpolen. 3,7% bildeten eine Gruppe, die aus dem Ausland nach Polen zurückgekehrt waren, nur 0,9% wurden als so genannte Autochtone, also Alteingesessene, registriert. In dieser Statistik werden keine deutschen Bürger erwähnt.

Krosno Odrza+äskie 001 – Dworzec kolejowy Quelle: Fotoarchiv der Stadtamt Krosno Odrzańskie (Polen) http://www.krosnoodrzanskie.pl/

Die Räumung der Trümmer aus der zerstörten Innenstadt erfolgte ab dem Jahre 1957, man gewann Ziegelsteine für Neubauten oder Wiederaufbauten und einen ersten vereinfachten Bebauungsplan erstellte man im gleichen Jahr. „Am Markt wurde das Grundstück des verbrannten Rathaus eingeebnet und darüber die Zufahrtsstraße zur Oderbrücke geleitet. Zwei Jahre später fertigte Jan Muszyhski eine historisch-stadtplanerische Studie an, in der er den Wiederaufbau des historischen Stadt­zentrums nach dem Vorbild der Bebauung nach dem Brand von 1708 postulierte. Seine Studie wurde im wesentlichen in dem neuen Bebauungsplan von 1966 berücksichtigt. Die wieder aufgebaute Altstadt sollte danach zum Verwaltungs- und Dienstleistungs­zentrum für die Stadt und den Kreis werden. Die Industrie sollte südlich der Stadtmitte, Richtung Bahnhof, angelegt werden. Für neue Wohnsiedlungen wurde dagegen die Bergseite bestimmt“, beschreibt Beata Halicka eine ganze Reihe von Plänen, die so nie verwirklicht wurden und sie berichtet weiter: „Eher lässt sich feststellen, dass das Stadtzentrum auf das rechte Oderufer verlegt wurde, nachdem zahlreiche Wohnblocks, zwei neue Schulen und ein Netz von Geschäften dort gebaut worden sind.“

Die Ruinen der Altstadt standen noch lange, für den Wiederaufbau fehlte einfach das Geld. Für die katho­lische Kirche und für die Schlosskirche fand sich keine Verwendung und man ließ beide in den 70er Jahren abtragen. Auf dem Gelände des ehemaligen Bergfriedhofes wurde eine Freilichtbühne aus den Steinen der katholischen Hedwigskirche gebaut und heute heißt das Gelände Tysiaclecia (Park des tausendjährigen Besteh­ens des polnischen Staats).

Auch Weinreben gibt es wieder Krosno Odrza+äskie 027 – Gostchorze – winnica Quelle: Fotoarchiv der Stadtamt Krosno Odrzańskie (Polen) http://www.krosnoodrzanskie.pl/

Auch der Marktplatz erlebte keine Renaissance, immerhin aber wurde dort in den 60er Jahren eine gepflegte Grünanlagen angelegt und „wie durch ein Wunder hat man dagegen die Überreste der mittelalterlichen Stadtmauer vor dem Abtragen geschützt. Sie wurde dann in das in den 80er Jahren erbaute Gebäude des Busbahnhofs eingegliedert“, spöttelt Beata Halicka.

Auch die alten Pläne einer Industrialisierung der Stadt wurden wieder aufgegriffen und Ende der 50er Jahren plante man, ein Hartfaserplattenwerk und 1976 wurde das Werk vollendet. Für die Belegschaft wurden auch das Hotel und Restaurant „Wodnik“ an der Oderbrücke, sowie Einfamilienhäuser und Wohnblocks am rechten Oderufer gebaut.

Zur Erinnerung, seit 1610 war Crossen Garnisonstadt und diese „Tradition“ wurde von polnischer Seite fortgeführt und mit den Soldaten kamen wieder einmal deren Familien, die brauchten Wohnungen und so konnte der damalige Bürgermeister Boleslaw Borek getrost davon sprechen, dass die Armee der Grundstein von Crossen sei, oder wie Beata Halicka es ausdrückte:

„… Die Soldaten waren gleichzeitig Mitglieder verschiedener Gruppen und Interessenkreise, wurden in Kommissionen und Elternräte gewählt, halfen bei zahlreichen Stadt­veranstaltungen. Bis heute erzählt man sich, wie begehrt die Eintrittskarten für die in den Kasernen veranstalteten Silvester- und Karnevalsfeiern waren. Wer an eine solche Karte kam, konnte sich zu den angesehensten Kreisen in der Stadt zählen. Der Anblick von Soldaten in den Straßen verwunderte in Crossen niemanden.“

In den 80er Jahren litten die Crossener vor allem unter dem Versorgungsmangel, es fehlte sogar an einfachsten Lebensmitteln. „Wegen der Wirtschaftskrise im ganzen Lande wurden auch hier Bauinvestitionen gestoppt. Der Wohnungs­mangel zeigte sich schon bald als brennendes Problem. Bürgermeister Borek äußerte sich auf der Sitzung des Stadtrates am 24. Januar 1985 wie folgt: „Es ist wahr, dass in der Mitte der 80er Jahre in Crossen 500 Familien einen Antrag auf Wohnung gestellt haben“. Die Aussichten eine zu bekommen, waren jedoch sehr schlecht.“, schreibt Beata Halicka.

Krosno Odrza+äskie 033 – Hala Widowiskowo Sportowa Quelle: Fotoarchiv der Stadtamt Krosno Odrzańskie (Polen) http://www.krosnoodrzanskie.pl/

Die politische „Wende“ kam 1989/90 mit dem Sieg von „Solidarnosc“. In Polen wurde demokratisch auf allen Ebenen gewählt, z.B. auch bei den Wahlen auf Stadt- und Gemeindeebene. Zu dieser Wende schreibt Wikipedia:

„… Die politisch-gesellschaftliche Transformation vom kommunistischen Regime zur demokratischen Republik war ein Prozess, der mit den Streiks im August 1980 begann und 1989 abgeschlossen wurde. Es gibt mehrere Daten, die als konkreter Beginn der Dritten Republik angesehen werden. Das Ende der Gespräche am Runden Tisch am 5. April 1989, die ersten teilweise freien Wahlen im Ostblock (4. Juni 1989, deutlicher Sieg der Solidarność-Bewegung), die Regierungsbildung von Tadeusz Mazowiecki am 24. August 1989, bzw. die Wiedereinführung des früheren Staatsnamens Rzeczpospolita Polska (deutsch Republik Polen) und der goldenen Krone auf dem Adler des polnischen Wappens per Verfassungsänderung am 29. Dezember 1989, bis hin zu den ersten freien Parlamentswahlen am 27. Oktober 1991 werden als Beginn der Dritten Republik angesehen.“

Mit einer sehr versöhnlichen „Weissagung“ der Autorin Beata Halicka soll mein Portrait der Stadt an der Oder enden. Sie meint, seit einigen Jahren lasse sich ein wachsendes Interesse der heutigen Crossener an der Geschichte ihrer Stadt beobachten.

„Immer mehr Menschen wollen wissen, wie die Stadt vor dem Zweiten Weltkrieg, vor hundert Jahren und noch früher aussah. Die Antwort auf solche Fragen ist zum Teil in den wenigen historischen Publikationen zu diesem Thema in polnischer Sprache zu finden. Das meiste steht jedoch nur in älteren deutschsprachigen Veröffen­tlichungen zur Verfügung. Eine andere Möglich­keit ist es, die ehemaligen Crossener danach zu fragen. Sie besuchen doch immer wieder die Stadt, um Erinnerungen wach werden zu lassen oder zu erfahren, wie man heute in Crossen lebt“, schreibt sie.

Und weiter schreibt sie: „Nun gilt es nicht mehr zu streiten, wer wem was angetan hat und wer was schuldig ist, sondern im Geist der Vergebung sich darauf zu konzentrieren, was uns heute verbindet, nämlich die gemeinsame, kleine Heimat – die Stadt. Crossen an der Oder und Krosno Odrzahskie, das ist doch eine Stadt in der geschichtlichen Perspektive geblieben, verbunden durch gemeinsames Kulturerbe.“

Da allerdings denke ich, sollte noch etwas hinzukommen, eine gemeinsame Diskussion – kein Streit – über die Geschichte der Stadt und die Vergangenheit. Denn stellvertretend für viele andere Städte zeigt das Beispiel Crossen, was in den letzten Jahrhunderten durch Kriege und Hass entstehen konnte. Als nach dem II. Weltkrieg der unsägliche Staat Preußen aufgelöst wurde, verschwand eine der aggressivsten und militaristischsten Monarchien Europas, menschenverachtend und absolutistisch, nur dem Willen eines Herrschers ausgeliefert. Das darf sich nie wiederholen und deshalb dürfen nie wieder „Herrscher“ über das Schicksal von Ländern bestimmen, egal wie groß sie laut den Geschichtsbüchern sind. Denn schaut man genauer hin, waren sie nur „große Kriegsherren“, aber keine „großen Menschen“.

„Do widzenia w Polsce, auf Wiedersehen in Polen!“ Und auf gute Nachbarschaft

Widmung

Das Es der Dinge, dem ich mich verschrieben,
Es mildert sich zum Du der Träumerei.
Ich werde ewig meine Seele lieben
In ihrer Ruh, in ihrer Raserei.
Geliebte, Ewige an meinen Mund:
Ich bin und war und werde sein Klabund.

Mögen sie miteinander reden – Bürgermeister Marek Cebula und Klabund Quelle: Fotoarchiv der Stadtamt Krosno Odrzańskie (Polen) http://www.krosnoodrzanskie.pl/

Quellen:  

HEIMATKREIS CROSSEN/ODER in der Landsmannschaft Berlin-Mark Brandenburg e.V.

http://www.heimatkreis-crossen-oder.de/

„Crossener Heimatblatt: Die “Crossener Kreiskalender” und die “Crossener Heimatgrüße” sind digitalisiert worden. sie wurden auf drei DVD’s gespeichert:

DVD 1: beinhaltet die Jahrgänge 1949 – 1979 der Heimatgrüße  15,00 €
DVD 2: beinhaltet die Jahrgänge 1980 – 1995 der Heimatgrüße  15,00 €
DVD 3: beinhaltet die Jahrgänge 1913 – 1942 der Kreiskalender 20,00 €

Zu beziehen über den Verein

„Crossen an der Oder – 1005- 2005“ – Das gemeinsame Kulturerbe – Autorin Beata Halicka

Erschienen im Institut Ekoloii Stosowanei in Skirzyn – ISBN 83-922273-0-1

Dieses Buch ist leider vergriffen – zu schade!

Von der gleichen Autorin:

„Polens wilder Westen“ – erscheinen im Verlag Ferdinand Schöningh Paderborn

ISBN 978-3-506-78653-1

Erzwungene Migration und die kulturelle Aneignung des Oderraums 1945-1948

„Mein Haus an der Oder“ – Erinnerungen polnischer Neusiedler in Westpolen nach 1945

Erschienen im Verlag Ferdinand Schöningh Paderborn

ISBN 978-3-506-77694-5

Beide Bücher sind sehr empfehlenswert, wenn man sich für die Nachkriegsgeschichte“ des Oderraumes interessiert.

Fotoarchiv der Stadtamt Krosno Odrzańskie (Polen) http://www.krosnoodrzanskie.pl/