Als König Fußball in Crossen einzog

Erlebnisse und Erinnerungen – Goldene Pionierjahre – von Werner Becker

Ein   kleiner,   unscheinbarer, mit Stofffetzen und Sägespänen gefüllter Ball, dessen Hülle aus einem erbettelten Stück Segeltuch bestand, wurde mein Schicksal. Nicht einmal richtig rund war diese schüchterne Imitation und wies dazu einige grotesk wirkende Beulen auf. Aber mit makel­loser Nähkunst und sonstigen Kniffen konnte   ich damals,   als elfjähriger Knabe, nicht aufwarten. Das war auch gar nicht erforderlich. Viel wichtiger war die Lebensdauer meines ersten Fußballs. Und ich kann heute stolz verkünden, dass dieser Ball meine gewiss sehr festen, derben Straßenstiefel überlebt hat. Der Ball hatte es mir angetan — ich war dem Spiel ausge­liefert. Schon damals. 1921, als wir auf der Promenade, in der Glogauer Straße, in Goldbachs Gässchen mit dem Fußballspielen   begannen. Es waren die schönsten und glücklichsten Stun­den meiner Jugend. In späteren Jah­ren, als Aktiver in Crossen und in Berlin, dann als Sportjournalist und Globetrotter wurden immer wieder die Erinnerungen an jene Jugendspiele in mir lebendig. Schier 35 Jahre ist es her…

Lasset mich, liebe Landsleute, nun aus jenen Erinnerungen erzählen. Crossens Sport kann hier einmal Revue passieren. Es kann selbstverständlich nicht alles registriert werden; um lückenlos zu sein, wären sehr viel Raum, Archivmaterial und die Anwe­senheit altvertrauter Sportkameraden als .geistige Prothesen* erforderlich. Man grolle mir also nicht, wenn die­ser oder jener Name fehlen wird, wenn nicht alle Veranstaltungen und Spiele in epischer Breite geschildert werden können. Alles soll ja schließ­lich nur eine kleine, liebe Erinnerung an unser gemeinsames, schönes, un­vergessliches Crossen sein.

Ich stand auf der Brücke…

und tat genau das, was Sie jetzt schmunzelnd vermuten: . . und spuckte in den Kahn! Oder vielmehr in die Ruderboote der 1885er oder 1913er, wenn sie unter der Oderbrücke pas­sierten. Die Ruderer ärgerten sich je­denfalls, drohten uns, und schließlich verjagte uns Kommelts Fritze, von dem ich sogar einmal eine Ohrfeige bekam. Erst viele Jahre später ver­söhnten wir uns dann beim Plinze-Essen im Bootshaus.

So hatte ich, ehe ich selbst Aktiver wurde, doch schon meine Schaden­freude an den Ruderern. Aber bald wurde das .Brückenspucken“ einge­stellt. Die Schule verlangte ihr Recht, richtiger, ihre Spieler. Wir bildeten Schulmannschaften. Obwohl Polizei, Eltern, seriöse Geschäftsleute, Pfarrer und Krankenschwestern dem Fußball­sport ausgesprochen ablehnend gegen­überstanden, muss ich doch anerken­nen, dass die Lehrer des Realgymna­siums und der Knabenvolksschule un­sere Bestrebungen (im Stillen) förder­ten und uns während des Unterrichts sogar einige Minuten zur Lagebespre­chung (Aufstellung der Mannschaften) einräumten. Ausgesprochen positiv war vor allem di« Einstellung der Studienräte Roland und Hart­wig, von .Sonny boy“ Teichert ganz zu schweigen.

Die Fußballkämpfe Obertertia gegen 1. Klasse Knaben Volksschule (Rektor Hohensee) gehörten zu den Höhe­punkten. Oft gewannen die Volks­schüler; sie hatten die besseren Tech­niker, die dann meist bald die Stützen der Jugend- und Männermannschaften des VfB (Verein für Bewegungsspiele) wurden. Ich nenne Alfred Kern („Fiete*), Erich Schulz („Fummel-Schulze“), die Brüder Reiher, den langen Rangott. Die Gymnasiasten hatten in Helmut Neike, Gustav Prüfer, Hansjoachim Wimmer, Karl Käthner, Erich Machule, Wolfgang Schulz (.Ambi-Massiv“). den Brüdern Zach ihre Matadore. ich selbst, obwohl der kleinste der Klasse, stand im Tor. Hoch durfte nicht geschossen werden — aber da­für war ich immun bei Flachbällen.

Mit der Erlaubnis, einem Fußball­verein beitreten zu dürfen, wurde seitens der Schule sehr sparsam ver­fahren. Ich hatte Glück, dass ich mich dem MTV (Männer-Turnverein) 1860 anschließen durfte, dessen verantwort­liche   Männer    Jäger, Wagner, Schmidt, Milde und Hans Stein waren. Hier war sportkameradschaftliche Disziplin oberstes Prinzip. Ich lernte die Regeln sportlicher Fairness von Grund auf kennen. Vieles von dem, was mir besonders das Zweige­spann Jäger/Wagner vermittelte, blieb haften. Die .Jahre im Crossener Turnerlager haben mir jedenfalls recht wesentlich genützt.

Die machtvolle Entwicklung des Fußballsports, für dessen Popularität nicht zuletzt englische Kriegsgefangene des ersten Weltkrieges auf deutschem Boden gesorgt hatten, fand ihren Nie­derschlag in jeder Stadt, ja sogar in jedem Dorf. Selbstverständlich wurde in den kleineren Ortschaften zunächst ein „toller Stiebel“ zusammengespielt. Die Fußballer aus den Dörfern kamen in kürzesten, oftmals aus durchsich­tiger heller Wolle bestehenden Turn­hosen und rosafarbenen Sporthemden, da ihnen Fußball-Jerseys noch nicht zur Verfügung standen, in die Städte und wurden mit zweistelligen Ergeb­nissen geschlagen. Die Fußballstutzen kannte man ebenfalls vielfach noch nicht, sondern spielte in kurzen Socken. Man war schon stolz, wenn der Erwerb regelrechter Fußballschuhe gelungen war. Sie sehen meist bald sehr mitgenommen aus, weil die Dörfler den Ball zunächst mit der Spitze traten (Pike“ nannten wir es in der Fachsprache). Spann-Schüsse oder das Zuspielen des Balles mit dem Innenrist sahen sich die meisten Dorfmannschaften erst von uns Städtern ab, genauso, wie wir es unseren ho­hen Besuchern abgesehen hatten, die aus Forst, Guben, Grimberg, dann so­gar aus Berlin zu uns gekommen waren, um uns das Fürchten beizu­bringen …

Aber ich muss mich heute immer wieder wundern, wie schnell das Fuß­ballspiel Schule machte, und welch passabler Fußball, der damaligen Zeit angepasst, bald in R ä d n i t z, Deischow, Ziebingen gespielt wurde. Verbote, Warnungen usw. hatten keine Wirkung mehr. Diese ersten goldenen Fußball-Pionierjahre haben das Fundament zu einer platonischen Arena des Sports gelegt. Bald regierte   .König   Fußball“   überall. Freundschaftsspiele, die Ausschreibung von Turnieren und Pflichtspielrunden, die Gründung von Tausenden von Sportvereinen und schließlich die Errichtung des   Dachverbandes „Deut­licher Fußball-Bund* sorgten für orga­nisches Wachstum.

Als „Crossener Tageblatt“ Verleger Rudolf Zeidler mir die Gestaltung des etwa 1927 ins Leben gerufenen Sportteils der Zeitung (jeden Dienstag eine ganze Seite!) übergab, war es mir eine große Ehre, in besonderem Maße publizistisch wirken zu dürfen. Ich war tief getroffen, als mein Lehr­meister Zeidler nach einem England-Besuch in einem feuilletonistlschen Bericht schrieb: „Rohe Gemüter jagten planlos Fußbälle über den bedauerns­werten herrlichen Rasen*, und ich möchte wetten, dass er nie ein Crosse­ner Fußballspiel besucht hat. Aber er schickte mich, der ich nach technischer Ausbildung in der Buchdruckerei blutjunger Hiifsredakteur geworden war, doch im Mai 1930 als Sonderberichterstatter des »CT.* nach Berlin zum Landerspiel Deutschland gegen Eng­land. Und mein Bericht erschien dann fast ungekürzt mit meinem vollen Na­men. Es war mein stolzester Tag als Crossener Redakteur.

Ich könnte von diesem Spiel noch viel erzählen. Ich würde dann einen endlosen Faden spinnen über meine weiteren Erlebnisse und Erfahrungen als Sportjournalist, wodurch ich mich von meinem eigentlichen Thema ent­fernen müsste Aber lassen Sie mich nur kurz erwähnen: Ich‘ habe als Fach­journalist im Berliner Ullsteinhaus meinen Weg in eine Welt angetreten, von der ich schon als Elfjähriger träumte, als ich mit Schulkameraden im Heynepark, in Goldbachs Gässchen und in der Glogauer Straße Fußball spielte, die mit auch als Gymnasiast, als junger Buchdrucker und Journalist im .Tageblatt“-Haus in der Roßstraße als lockendes Ziel erschien. Ich bin unendlich froh, dass mir diese Welt trotz schwerer Erlebnisse in den zu­rückliegenden Jahren nicht zertrüm­mert worden ist. Ich durfte im In- und Ausland die berühmtesten Fußball-Clubs der Welt bewundern. Ich sah die Fußhallartisten Englands, Urugu­ays und Argentiniens, und ich war bei Spielen der Spanier, Franzosen,

Österreicher, Ungarn, Türken und Brasilianer dabei. Und dies in den stolzesten Arenen der Welt in Lon­don, Paris, Brüssel, Basel, Bern und Wien.

Aber niemals habe ich „mein Cros­sen“, habe ich den harten Schlacken-und Kieselplatz hinter der Turnhalle, habe ich den Platz des VfB hinter dem „Vlktoriagarten“ vergessen. Denn Crossen und den Crossenern verdanke ich es, dass ich gut vorbereitet meinen Weg antreten konnte, womit ich im Besonderen auch das „Crossener Tage­blatt* meine. Wenn ich darüber hin­aus noch den Namen eines Mannes nenne, dem ich ebenfalls viel zu ver­danken habe, wird manch einer ver­wundert aufhorchen: Es ist mein treuer väterlicher Freund Erich Weiland, der einstige Aktive und spätere lang­jährige Vorsitzende des VfB Crossen. Er erkannte mein Talent als Fuß­baller. Und von ihm profitierte ich auch in meiner journalistischen Ar­beit. Was dieser Mann für den Cros­sener Sport geleistet hat, wie es zur Gründung des VfB und seinem Auf­stieg gekommen ist, davon und von anderem werde ich noch in den „Hei­matgrüßen* erzählen.

Vom König Fußball in Crossen

Als der VfB im Kommen war – Erlebnisse und Erinnerungen von Werner Becker

Meinen lieben alten Crossener Freunden und Sportkameraden danke ich herzlichst für ihre Briefe, aus denen ich ersehen habe, wie sehr sie immer noch dem Crossener Sport verbunden sind. Ich versuchte in den letzten „Heimatgrüßen* einen Abriss jener für uns (damals) Jüngere so schönen Epoche zu geben, als das beschauliche Leben einer Kleinstadt durch den beginnen­den Siegeszug des Fußballsports auf­gescheucht wurde. Es wate unverzeih­lich, wenn ich neben dem Männer-Turnverein und dem Verein für Be­wegungsspiele, der wohl am meisten Breitenarbeit für den Fußballsport ge­leistet hat, nicht auch die .Konkurrenz“ erwähnen würde: Den Sport-Club Crossen (SCC), der sich hauptsächlich der Leichtathletik verschrieben hatte, später aber auch im Fußball vorüber­gehend eine beachtliche Position ein­nahm.

Wenn ich midi nunmehr anschicke, allerlei aus der Gründungszeit des VfB zu berichten, muss ich folgendes vorausschicken: Ich erhielt einen ein­zigen Protestbrief. Ihn schrieb mein väterlicher Freund und Berater Erich Weiland, Darin heißt es: „Dein Be­richt ist gut, aber der letzte Absatz ist dafür umso schlechter. Du weißt doch, dass ich mich nicht gern raus­stellen lasse. Ich nehme aber an, dass Du es nur gut gemeint hast und bin Dir deshalb nicht böse…“ Ich müsste also diese Artikelserie eigentlich so­fort abbrechen. Denn über den Crossener Sport und besonders über den Fußball zu schreiben, ohne den Namen Weiland zu erwähnen, das wäre etwa so, als wenn man über den MTV 1860 etwas erzählen und dabei wis­sentlich den Namen „Fritze Wagner“ verschweigen würde. Das geht nicht. Erich Weiland muss es sich schon ge­fallen lassen, dass ich die Wahrheit schreibe…

Gewiss, es ist nicht immer Sonnen­schein um jenen Mann gewesen, der den VfB Crossen aufbaute. Missgün­stige Menschen, denen seine Erfolge ein Dorn im Auge waren, gaben ihm Anlass zur Verbitterung. Aber wie prächtig, dass Erich Weiland dann doch weiter schreibt: „Wir waren in Cros­sen Idealisten, und ich hoffe, meine Mitarbeiter sind es auch gewesen. So etwas lässt sich nicht einfach weg­wischen. Wir hatten keine Protektion und keinen Trainer, wir hatten keine Sportkleidung und kein Geld. Und alles, was die Jungen im VfB und in anderen Klubs besaßen, das hatten sie sich mühselig zusammengespart… Wer hat von meinen lieben Sportkameraden den furchtbaren Krieg überstanden? Ich wünschte, ich hätte Gelegenheit, ihnen allen noch einmal die Hand zu drücken, um ihnen zu danken für die Freude; die sie mir bereiteten. Den gelegentlichen Arger habe ich vergessen … Heute bin ich noch oft bei irgendwelchen kleinen namenlosen Vereinen als Schiedsrich­ter tätig. Ja, lieber Becker, die Katze lässt das Mausen nicht!“

So. Und nun wird wohl meine Freundschalt mit Weilands Erich end­gültig zu Bruch gegangen sein. Ich werde es mit Fassung tragen müssen. Aber das gilt nämlich auch von mir; Die Katze lässt das Mausen nicht…

Am 21. September 1919 wurde der Verein für Bewegungsspiele Crossen gegründet. Die Gründer kamen aus den Reihen eines Kegelklubs. Zu ihnen gehörten Erwin Nitschack, Karl Bothe. Karl Schlönert, der Sparkassenangestellte Richard Wachner, Oehme usw. .Prominente“ fand man in Rektor Hohensee und Polizeiinspektor Wal­ter. Begonnen wurde die Arbeit mit der Veranstaltung eines leichtathleti­schen Sporttestes, Wenig später wurde eine Fußballmannschaft zusammenge­stellt. Der erste Gegner war ein Cros­sener Verein, Sportclub .Preußen“, ein Zusammenschluss von Angehörigen des Crossener Bezirkskommandos und des ehem. Landsturm – Infanterie – Ba­taillons HI/25. Der VfB hatte bei die­sem Start nichts zu bestellen; es gab eine haushohe Niederlage. Aber sie war Ausgangspunkt einer von Erich Weiland erfolgreich durchgeführten Besprechung, die zur Fusion beider Vereine führte.

Die Mannschaft, die dann aufgestellt wurde, wies bezeich­nenderweise keinen einzigen Stamm-Crossener auf, Selbst Weiland galt damals noch als Berliner. Ihm ver­danke ich den Großteil der Namen be­sagter .Bomben-Mannschaft“; Torwart Krumm (St. Georg Hamburg); Vertei­digung: Nakoincz (Forst), Schulz (Forst) bzw. Richard Steike (1. FC Guben); Läuferreihe: Richard Steike (1. FC Guben), M. Scholz (Görlitz), Wei­land (Berlin); Stürmerreihe: Handrek (Cottbus), Weltsch (ein Ungar), Liersch (Berlin), B. Steike (1. FC Guben), Berlenburg (Rheinland). Ohne Gewähr seien noch Herzberg und Ratzodi er­wähnt.

Bald aber regte sich der Crossener Ehrgeiz, und es wurde eine – wie man früher sagte – „Kanonen-Mannschaft“ gebildet, in der sich u. a. Erwin Nitschack, Walter Hornschuh, die Ge­brüder Wolff und dann, 1922/23, einige blutjunge, aber hochbefähigte Spieler wie Erhard Leest, Fritz Wehnert, Karl Wehnert, Erich Wehnert (alle drei Brü­der) und weitere Monate darauf die Gebrüder Reiher, Theo Meyerhoff und Gustav Hensei befanden, Die letzgenannten Männer bildeten mit den erfahrenen Routiniers eine erstklassige Mischung.

Die Mannschaft war bald selbst bei bekannteren Klubs in Ga­ben, Grünberg, Neusalz, die sich wie­derholt Schlappen auf dem Platz hin­ter der Turnhalle holten, gefürchtet. Ostern 1923 erschien als hoher Gast Concordia-Charlottenburg. Die sieges­gewissen Berliner mussten ihre Mei­nung über den .Bauernfußball* schnell berichtigen: Denn 4:1, bzw. 6:1 gewann der VfB mit seiner „Bauernmannschaft“, die folgendes Gesicht hatte: Erich Wehnert; Max Nakoincz, Erich Weiland; Walter Wolff, Hermann Lieb­ster, Alfred Reiher; Theo Meyerhoff, Fritz Wehnert, Johannes Drescher, Karl Liersch, Willi Burdadc. Und hier­unter waren sieben Crossener

In meinen letzten Jahren als Schü­ler des Realgymnasiums (1926/27) spielte ich, nach dem ich vorher dem MTV 1860 und kurze Zeit auch dem SCC angehört hatte, in der 1. Schüler ­bzw. 2. Jugendmannschaft des VfB. Bald durfte ich das Tor der 1. Männermannschaft hüten – als jüngster und als einziger Lehrling. In Züllichau er­hielt ich mit kaum 16 Jahren meine Feuertaufe. Wir verloren 1:2, aber trotzdem fand ich Anerkennung bei meinen Mannschaftskameraden. In­zwischen war der VfB in den Bezirk Niederlausitz des Südostdeutschen Fußballverbandes aufgenommen wor­den und nahm nun an den Verbandsspielen teil, bei denen es um die „Punkte*, also um Meisterschaft oder Abstieg ging.

Die VfB-Veteranen Nakoincz, Wei­land, Liersch, Liebster, Wulff usw., wa­ren abgetreten. Ohne großes Lamento machten die Alten den jüngeren Platz. Es gab weder Neid noch Intrigen. Aber Erich Weiland hatte erstklassigen Nachwuchs für den VfB herangezogen. In Hin- und Rückspielen mussten wir antreten gegen Sportverein 1919 Som­merfeld, Deutscher Sport – Club Som­merfeld, 1 FC Guben, Spielvereinigung Guben, Spielvereinigung Gassen usw. Wir waren nicht ängstlich. Außen­seiter, die wir waren, konnte uns ja nicht mehr passieren als zu – ver­lieren. Mit folgenden Spielern wurden die harten Pflichtspiele um die Meisterschaft der 1. Spielklasse im Bezirk Niederlausitz aufgenommen: Fritz und Karl Wehnert, Alfred und Erich Luschert, Josef Arkusczewsky, Theo Meyerhoff, Gustav Hensel, Alfred Graß, Erich Schulz. Alfred Kern, Willi Reinhold, Fritz Burdadc Fritz Krause, Albert Schön, Werner Becker. Wir hatten also, wenn ein Spieler mal angeschlagen wurde, immer ausreichen­den Ersatz.

Gleich im ersten Spiel musste der VfB nach auswärts. Die Spielvereinigung Gassen erwartete uns. Es wurde ein mörderischer Kampf; uns wurden nach Strich und Faden die .Knochen poliert*. Der Schiedsrichter war ein Gassener, und er schien .Tomaten auf den Augen“ zu haben, wenn uns die Gassener, meist Arbeiter der bekann­ten Firma Flöther, in .den kniehohen Sand rammten. Kein Wunder, denn wir waren so frei, nach der ersten Halbzeit mit 3:0 zu führen! Der VfB verlor schließlich mit 3:4, und wir stan­den bereits nach dem ersten Pflichtspiel am Tabellenende. Dann kamen die Gubener nach Crossen. Sie mussten für Gassen büßen. Wir schlugen den 1. FC Guben (2. Mannschaft, da die 1. Elf bereits in der Bezirksliga spielte) mit 4:0. Allmählich fanden wir uns mit den Tücken der Gegner und Plätze ab, und bald war der VfB wieder in der oberen Tabellenhälfte zu finden.

Spiele im Winter stellten ein beson­deres Kapitel dar. Ein eisiger Wind fegte über den hartgefrorenen Sandplatz, auf dem wochentags Viehmärkte abgehalten wurden. Da die sparsame Stadtverwaltung mit Handwerkszeugen für die .Kämmereisoldaten* sehr spar­sam umging, war es den gepumpten VfB-Besen vorbehalten, die Hinter­lassenschaften der Vierfüßler zu be­seitigen. Viel schlimmer wurde es, wenn Schnee gefallen war. Unsere seriösen Gegner warteten ja nur dar­auf, dass der Schiedsrichter unseren Platz hinter der Turnhalle als unbespielbar es klärte, um so kampflos zu den Gewinnpunkten zu kommen. Das gab es damals noch, wenn den Platzverein ein nachweisbares Verschulden traf. So blieb denn den VfB-Mitglie­dern nichts weiter übrig, als am Sonn­abend bis in die sinkende Nacht tüch­tig Schnee zu schippen. Denn: wir wollten doch spielen … Sonntag früh aber mussten wir registrieren, dass wir noch längst nicht am Ende der Schaufelei waren. Zwar war kein Neuschnee gefallen, aber Crossens dienstbare Geister hatten inzwischen Berge von Müll und Asche auf den „Sportplatz“ geschüttet, so dass wir wieder – dies­mal allerdings Dreck – schippen mussten.

Die Anziehungskraft der Spiele nahm zu, die Zuschauerzahlen wuch­sen, das Interesse stieg von Sonntag zu Sonntag. Freilich: Einnahmen wa­ren kaum zu verzeichnen nur hin und wieder spendete ein fußballfreudiger Gönner 20 oder 30 Pfennige. Es gab ja noch keine hohen Lattenzäune, keine Eingangspforten, keine Tribü­nen und Ränge. Tauchte tatsächlich mal ein Kassierer mit Mütze oder Teller auf, dann verkrümelten sich die fußballfreudigen, aber zahlungsunwilligen Zuschauer schleunigst. Aber das tat der Liebe zum Fußball keinen Abbruch.

Nun, ich habe dann mit dem VfB unser höchstes Ziel, die Gruppenmeisterschaft erreicht, was den Aufstieg in die Bezirksliga bedeutete. Darüber berichte ich demnächst.

Crossener Fußball im Scheinwerferlicht  

Kleine Erinnerungen am Rande – Aufstieg des VfB zur Gruppenmeisterschaft – von Werner Becker

Viele Leser der Heimatgrüße werden sich noch an die Jahre der schweren Wirtschaftskrise und der riesigen Arbeitslosigkeit (1929-1932) erinnern.

Gruppen von Arbeitslosen, die, vielfach schon .ausgesteuert“, von morgens bis abends durch die Straßen schlenderten, gehörten auch in Cros­sen zum Stadtbild. Selbstverständlich litten darunter vor allem die Sport­vereine, die kaum Geld in ihre Kassen bekamen. Ein immer schwer lösbares Problem war in dieser Zeit die Bezah­lung der Spielfahrten der 1. Mann­schaft des VfB Crossen. Alle 14 Tage ging es auf Reisen. Oft genug schien es, als müsste das fällige Spiel abgesagt werden, was kampflose Überlas­sung der Punkte an den Gegner be­deutet hätte.

Der Sportgeist und das Entgegen­kommen der jeweiligen Fuhrunterneh­mer halfen auch über diese Klippe hinweg. Die .Arbeitslosenmannschaft“, wie sie spöttisch genannt wurde, er­hielt Kredit. Manchmal dauerte es fast ein Jahr, bis die Fahrtschulden abge­zahlt waren. Einige Mäzene, die selbst nicht auf Rosen gebettet waren, taten ihr Möglichstes, um den immer besser und stärker werdenden VfB nicht untergehen zu lassen.

Für unsere Beförderung sorgte in erster Linie Riedels Maxe, in jener Zeit Kraftfahrer bei Dr. Henschke. Mit einem offenen Lastwagen fuhr er uns zu den Gegnern. Wir saßen auf rohen Holzbrettern, eine Federung kannte man damals kaum. Wenn es regnete, wurde eine Zeltplane über den Wagen gezogen. Es fiel niemand ein, sich we­gen der .harten“ Fahrweise Maxe Rie­dels zu beklagen. Es genügte uns, wenn Maxe „Jetzt festhalten!“ rief, sobald Schlaglöcher in Sicht waren. Ich erinnere mich, dass die Fahrt für die 1. Mannschaft nebst Reisebegleiter (also 12 Köpfe) von Crossen nach Som­merfeld und zurück ganze 12 RM kostete. Später ging der Preis sogar auf 8 RM zurück.

Wurde aber das wackere Fahrzeug am Sonntag einmal für dienstliche Oberlandfahrten benötigt, um Dr. Henschkes Brauselimonade in die Dör­fer zu bringen, dann engagierte der VfB den gelben „Reichsadler“-Omnibus, der von seinem immer etwas schwermütig dreinblickenden Besitzer August Hoch persönlich gesteuert wurde. Das wurde dann schon etwas teurer, weil ja .Aujust* unseretwegen nicht zu den Zügen zum Bahnhof fah­ren konnte. Jedenfalls kamen wir im­mer heil nach Hause.

Die sportliche Kameradschaft wurde in dieser Zeit immer fester. Die Not schweißte uns zusammen. Wie oft teil­ten wir unterwegs unsere Stullen, wie oft auch legten wir unsere Pfennige zusammen, um den Rauchern unter uns auf der Rückfahrt ein paar „Stäb­chen“ zu gönnen!

Unsere Gedanken kreisten auch werktags vor allem um den Fußball. Ich selbst, Schriftsetzer Lehrling beim „Crossener Tageblatt* und gänzlich dem VfB verschworen, war bemüht, zusammen mit Alfred Böhmer, Her­bert Niemann und Friedrich Pipping die ersten sportlichen Fachzeitschrif­ten aus Berlin, Leipzig und Nürnberg heranzubesorgen. Das war damals gar nicht so einfach, in Crossen schon gar nicht. Da waren wir froh, wenn wir bei „Papa Nigmann“ die „B. Z. am Mittag“, die wohl den ersten ausführ­lichen Sportteil herausbrachte, ein­sehen durften.

Meiner Lehre bekam allerdings die Sport- und Fußballbegeisterung nicht gut. Dem Setzerfaktor „Spitzbart“ Scholze war mein Fußball-Enthusias­mus ein Dorn im Auge. Er betitelte den Fußballsport „staatlich erlaubte Körperverletzung“. Immer war er be­müht, mir Fehler in meiner Arbeit nachzuweisen. „Nie wird aus dir etwas Rechtes; am besten, du schläfst gleich auf dem Fußballplatz“, sagte mir der Faktor, „überhaupt Fußball — so ein ordinäres Spiel, und deine Eltern sind doch solche anständigen Leute!“

In der Setzerei arbeitete ich trotz­dem – auf meine Tour – weiter für den VfB, dessen Anzeigen der sonn­täglichen Spiele immer zu Vater Blü­mel, dem Anzeigenmetteur, kamen. Er war mein besonderer Freund. .Herr Blümel, der VfB spielt, geben Sie doch dem Inserat einen guten Platz“. Und Blümel lächelte verständnisinnig, obwohl auch er wusste, dass unsere Anzeigenschulden eigentlich keine Son­derwünsche rechtfertigten. Als er aber einmal das VfB-Inserat direkt unter „Bettnässer* und „Trinkerheilkuren* platziert hatte, beschwerte Ich mich doch beim Prokuristen Fritze Wagner. „Mach dass du rauskommst, und lasse am Sonntag gefälligst nicht mehr so viele Tore durch!“ war die Antwort.

„Wer spielen will, muss leiden“, sagte ich mir. Und blieb meinem Ideal treu. Selbst auf dem Rathaus, bei Schalows Erich. Bei ihm spielten sich jeden Dienstag die Nervenkämpfe mit der Konkurrenz ab. Bei der Vielzahl der Crossener Mannschaften musste eine weise Zeiteinteilung für die Be­nutzung des „Platzes hinter der Turn­halle“ erfolgen. Schalow führte den Kalender. Er fand immer einen Weg, um jedem zu seinem Recht zu verhel­fen. Bevorzugungen gab es bei ihm nicht. Von Sonntag morgens 8 Uhr an bis abends belegten folgende Vereine den Platz: Männer-Turnverein 1860, Sport-Club Crossen, VfB Crossen und der sehr starke Arbeiter-Turn- und Sportverein, von uns kurzweg „Frei-Heil* genannt. Trotz gewisser Kon­kurrenz-Tendenzen verdarb doch kei­ner der Vereine dem anderen das Kon­zept, etwa durch zu späten Spielbe­ginn, was sich auf den letzten dann verheerend ausgewirkt hätte. Alles kam vor Einbruch der Dunkelheit unter Dach und Fach. Zehn, manchmal auch zwölf Stunden lang rollte auf dem harten Sandplatz ununterbrochen die Lederkugel.

Der Außenseiter VfB Crossen war allmählich durch seine Erfolge in das Scheinwerferlicht einer breiteren Fuß ball-öffentlichkeit innerhalb des Be­zirks Niederlausitz im Südostdeutschen Verband gerückt. Bereits konnte er sich in den größeren Fußballzentren sehen lassen. Damit wuchs unser Ehr­geiz, und wir gingen in den Kampf um die Gruppenmeisterschaft, in schärfster Konkurrenz lagen hier VfB Crossen, 1. FC Guben (2. Mannschaft), Spiel-Vereinigung Gassen und SV 1919 Sommerfeld. Die Gubener wurden auf unserem Platz 3:2 besiegt und damit ausgeschaltet. Der Deutsche Sport-Club Sommerfeld bekam die Überlegenheit des VfB ebenfalls zu spüren und verlor 1:5. Aber um unsere Chance zu wah­ren, musste der SV 1919 Sommerfeld bezwungen werden — und das in Som­merfeld! Das Spiel der Vorrunde hatte der VfB gegen diesen Gegner in Crosbus zogen wir uns ohne Rücksicht auf moralische Verluste um. Die Sonntagsspaziergänger, die unser Treiben beobachteten, drohten mit Schirmen und Stöcken. Sie schienen uns für eine Horde schamloser Nacktkulturjünglinge zu halten. Als wir unseren Dress übergezogen hatten, zeigte die Uhr drei Minuten bis 2 Uhr. Aber das Zentrum Sommerfelds war erreicht. Als die nahe Rathausuhr zwei Uhr schlug, fuhren wir mit lautem Hupen an den Platz heran, den schon eine dichte Menge umsäumte. Spielbereit spran­gen wir, kaum dass der Wagen gehal­ten hatte, auf den Platz, auf dem Schiedsrichter Henze aus Guben schon mit der Uhr in der Hand wartete. Die Sommerfelder hatten vergeblich froh­lockt — es war nichts mit kampflosem Sieg.

Unter leidenschaftlichen Anfeuerungsrufen begann das Spiel, das ich niemals vergessen werde. SV 1913 Sommerfeld, der große Favorit, war spielerisch gesehen vielleicht stärker als der VfB und wollte Revanche für Crossen üben. Aber die schnellen und gefährlichen, jedoch überhastet vor­getragenen Angriffe seines Sturms scheiterten in unserer Abwehr, Die Brüder Luschen, Gustav Hensel und auch ich selbst als Torwart hatten einen Glanztag. Wie ließen uns von den Zuschauern nicht beeindrucken und brachten durch hartes Defensiv­spiel Nervosität in die Sommerfelder Mannschaft.

Zur Halbzeit führten wir 1:0 durch einen Elfmeter, den „Knerrle“ Hensel verwandelte. Nach der Pause war Sommerfeld zunächst überlegen. Erich Luschert bremste einen Angriff regelwidrig ab. Elfmeter gegen den VfB! Es waren die heikelsten Sekunden des Spiels, als Sommerfelds Halbrechter Pöschl zum Schuss ansetzte. Ich irri­tierte ihn — das war damals noch ge­stattet — durch ständiges Hin- und Herlaufen auf der Torlinie. Als der platzierte Schuss kam, tauchte ich in­stinktiv in die richtige (linke) Tor­ecke, wehrte ab und hielt auch den Nachschuss. Wenig später schoss Albert Schön aus vollem Lauf das 2:0 für uns heraus. Nachdem Sommerfelds Tor­wart wegen Austeilung eines Kinn­hakens vom Platz gewiesen worden war, erhöhten wir noch auf 3:0 In Crossen aber wollte uns zunächst kei­ner glauben, dass wir gewonnen hatten.

Das entscheidende Spiel gegen Gas­sen buchten wir unerwartet glatt mit 8:0 für uns. Fritz Wehnert schoss die meisten Tore Der Aufstieg in die Liga war damit geschafft. Was uns in ihr blühte, war dann freilich recht depri­mierend. Darüber das nächste Mal.

Fußball-Lehrmeister Forst in Crossen

Der eigene VfB-Sportplatz hinter dem „Viktoriagarten“

— Ballkrieg mit den Nachbarn —

Ein bitterer Kelch Erlebnisse und Erinnerungen von Werner Becker (IV)

Wie im bürgerlichen und im Berufs­leben Erfolg und Misserfolg dicht bei­einander wohnen, so wechseln auch im Sport Sieg und Niederlage oft schnell miteinander ab. Es gibt keinen Freibrief für eine bevorzugte Position. Im Gegenteil: Wer siegte, muss umso stärker mit dem Gegenstoß derjenigen rechnen, die beim Kampf um Titelehren auf der Strecke geblieben sind. Wir Crossener Fußballer haben das in jenem Jahr nachdrücklich erleben müssen, als dem VfB der Aufstieg in die Gauliga (nicht Bezirksliga, wie ich irrtümlich schrieb, weil die Bezeich­nung der verschiedenen Spielklassen mehrfach geändert worden ist) gelun­gen war.

In dieser damals zweithöchsten Spielklasse war uns nicht viel Erfreu­liches beschieden. Die Hauptvereine der Gauliga waren für den VfB doch zu „ausgekocht“, und wir mussten Lehrgeld zahlen. Der harte Kiesplatz hinter der Turnhalle erwies sich als immer weniger geeignet für unsere Zwecke; dies auch wegen der geringen Einnahmemöglichkeiten, die dort ge­geben waren. Der VfB brauchte aber Mittel, um die vielen Fahrten nach Forst und Guben finanzieren zu kön­nen. Daraus ergab sich der Plan der Schaffung eines eigenen Sportplatzes. Wir entschlossen uns, ein Ackerfeld hinter der Gaststätte „Viktoriagarten“ als Fußballfeld und Sportplatz um­zugestalten. Und zwar dies in größt­möglichem Umfange in Eigenarbeit. Die meisten Mitglieder erklärten sich bereit, aktiv mit Hand anzulegen. Wem das nicht möglich war, der hatte einen entsprechenden Betrag zur Be­zahlung fremder Arbeitsstunden zu entrichten. Nun, ich muss gestehen, dass die Sache im Anfängen nicht recht funktionierte. Die Handhabung des Spatens war für manche Leute — zu denen auch ich gehörte — doch recht ungewohnt und schwierig. Schon die Art, wie ich die Schippe in die Hand nahm und mit ihr im Erdreich herum­stocherte, löste den Protest meines Freundes Erich Weiland aus. Er äußerte den Verdacht, dass ich mich auf diese Tour nur vom Gemeinschaftsdienst drücken wolle. Ich weiß jedenfalls heute noch, dass ich mein Pensum nicht erfüllte und den Rest in bar draufzahlen musste.

Schließlich war der neue Platz fer­tig. Die Tore wurden aufgebaut; sie hatten sogar Drahtnetze — ein Novum für Crossen! Das Einweihungsspiel ge­gen unseren Namensvetter aus Forst verloren wir mit 2:5 Toren und erhiel­ten den ersten Vorgeschmack von der Routine der Gauligavereine. übrigens war es nicht so einfach, auf unserem neuen Platz ein Spiel regulär zu Ende zu führen. Denn wir hatten „feindliche Nachbarn“: Der Platz grenzte hart an die Kartoffelfelder und Gemüsebeete einiger „Bauern“. Wenn dann der Ball — was natürlich öfters vorkam — über die Aus-Linie in die. Büsche ge­treten wurde, mussten wir ihn zurück­holen, und er wurde im wahrsten Sinne des Wortes zum Streitobjekt außerhalb des Spielfeldes. Besonders ergrimmt war der alte W., der uns zu wiederholten Malen die Herausgabe des Balles verweigerte, ihn unter den Arm klemmte und damit verschwand. Vorsorglich hatten wir aber einige Bälle in Reserve, ansonsten hätte man­ches Spiel abgebrochen werden müs­sen.

Schließlich stellte der VfB eine aus seinen Jugendmannschaften gebil­dete Platzwache auf: junge Leute, die etwas stärker spurten konnten als der schnauzbärtige Fußballfresser W, Zum Ergötzen des Publikums wurde er dann auf seinem eigenen Gelände beim Wettlauf um den Ball besiegt.

Nach den Spielen hatten wir es nicht weit, um unseren Kummer über ver­lorene Partien mit Hilfe reichlicher „Körner“ wegdebattieren zu können. Denn selbstverständlich wurde der „Viktoriagarten“ unser Vereinslokal. Dort ging es manchmal recht „zünftig“, zu. Kaum hatten wir uns der Fußballkluft entledigt und uns unter der Hofpumpe gewaschen (heißes Wasser zu fordern wagten nur unsere verwöhn­ten Gäste aus der Fußballhochburg Forst), da schmetterte die Musik­kapelle bereits ihren ersten Marsch. Im Nu stürmten wir die Theke. Ein Fußballer soll zwar nicht „saufen“, aber wir mussten einen heben, um un­seren Weltschmerz nach einem verlo­renen Spiele zu betäuben. Und dann ging es zum „Schwof“. Beim Jupiter, waren das schöne Feste! Es war eben immer richtig „gemietlich“. Keine Tanzrunde wurde ausgelassen. Und wer sich den Luxus des Erwerbs einer knallroten Papierblume für eine ganze Mark leisten konnte, war darauf be­dacht, mehr zu leisten, als nur 20 „Stücke“ zu je 5 Pfennig abzutanzen. Auch unsere jeweiligen Gegner fan­den Gefallen am „Viktoriagarten“, Sie blieben recht lange, ihr Autobus war­tete geduldig, und es wurde mit den Sportkameraden, die uns auf dem Platz in fast allen Belangen überlegen waren, mehr als ein Bier-Stiebel ge­leert.

Ja, diese Forster Fußballmannschaf­ten! Sie haben uns manchmal wirklich das Fürchten beigebracht. Und wenn wir gekonnt hätten, wären wir mitten in der Saison ausgestiegen, um in unsere seit Jahren so vertraute 1. Klasse zurückzukehren. Doch wir muss­ten den Kelch bis zur bitteren Neige leeren. Der erste Schluck, der uns al­lerlei Selbstsicherheit raubte, wurde uns von der Gauliga-Mannschaft Amicitia-Forst auf unserem Platz in Gestalt einer 0:9 -Niederlage kredenzt. Hierbei zeigte sich, dass wir in der Tak­tik trotz erworbener Gruppenmeisterschaft noch blutige Anfänger waren. Von Defensiv- und Offensiv-Schema, von präzisem Markieren des Gegners hatten wir nicht viel Ahnung, und die Amicitia spielte uns bereits in den ersten 20 Minuten fast mühelos aus.

Ein „Klatsch“ von 0:9 — das war also der Start des stolzen Gruppenmeisters VfB. Der am meisten spöttisch bedauerte und bemitleidete Spieler war — ich! Als Torwart. In der nach­folgenden Woche war ich in der Stadt nur selten anzutreffen; meinen Nach­hauseweg vom „Crossener Tageblatt“ nahm ich nicht wie sonst durch die Glogauer Straße, sondern über die Westpromenade in Richtung Steinweg. Es folgten Spiele auf Forster Boden. Hämische Beileidskundgebungen be­gleiteten unsere Abfahrt. Denn nach­dem wir schon zu Hause so schwer eingedeckt wurden . . . Trotzdem ha­ben wir in allen weiteren Spielen, we­der daheim noch in Forst oder Guben, nie wieder so katastrophal hoch ver­loren. Das Rückspiel gegen Armeita erbrachte auf dem Platz an der Forster Radrennbahn „nur“ eine 2:5-Niederlage. Gegen Askania verlor der VfB 0:5, gegen VfB Forst 1:3. Langsam stellten wir uns auf die Forster ein, die sich allerdings angewöhnt hatten, uns zu unterschätzen. So kamen wei­terhin VfB Forst, Viktoria Forst, Aska­nia Forst und die Spielvereinigung Guben durch sehr knappe Ergebnisse nur zu mühsamen Siegen. Beim 1. FC. Guben spielten wir 2:4, das Rückspiel ging freilich wieder hoch mit 1:5 in die Binsen. Unser allmähliches Sich finden nützte nichts mehr: Wir mussten die Gauliga wieder verlassen.

Trotz aller Niederlagen war unsere Mannschaft relativ gut. Einer der befähigsten Spieler, der sogar einen Nachwuchskursus unter dem damali­gen Bundestrainer Otto Nerz in Berlin absolvieren durfte, hieß Alfred Kern, Sohn des Schneidermeisters Paul Kern. „Fiele“, wie sein Spitzname war, hat der VfB-Elf sehr starke Impulse ver­mittelt: seine Tricks und sein spieltechnischer Instinkt fanden auch die Achtung der Gegner. Noch ein sehr talentierter Spieler muss hier genannt werden: Albert Vogel von der Fische­rei. Er war das, was Fachkenner mit „Vollblutfußballer“ bezeichnen. Auf der gleichen Ebene bewegten sich Fritz Burdack (genannt „Dackel“) und Erich Schulz („Fummel-Schulze“). Fritz und Karle Wehnert waren unsere „Super-techniker“.

Das nächste Mal werde ich auf die Eigenarten einiger Crossener Fußbal­ler eingehen und einige nette Bege­benheiten in die Erinnerung der Cros­sener Sportkameraden zurückrufen. .

Randerinnerungen an den Crossener Fußball

Letzter Streifzug durch das Sportleben einer kleinen Stadt

von Werner Becker

Nur bis 1931/32 konnte ich aus eige­nem Erleben einen Erinnerungsquerschnitt des Crossener Sportlebens, ins­besondere der Entwicklung des Fuß­balls geben. Dann nahm ich Abschied aus meiner Heimatstadt. Denn — ob­schon in Frankfurt/Oder geboren — betrachtete ich Crossen, wo ich die Kindheit verlebte, wo ich zur Schule ging, wo ich meine Lehrzeit absol­vierte, wo ich meine ersten journa­listischen Sporen verdiente und wo ich bis wenige Tage vor meinem Weggang im Sport aktiv war, — mit Stolz! als meine Heimat. Und wenn ich auch dem Tag entgegen fieberte, da ich endlich in die .weite Welt“ durfte, als es ans Abschiednehmen ging, als ich mit meinen alten VfB-Kame­raden noch einmal jene Stätten auf­suchte, auf denen wir unsere Fußballschlachten geliefert hatten, war mir doch etwas .mulmig“ zumute, Was würde die Zukunft bringen? Bei unserem Oscar Lindner ließen wir — unter Bewältigung einer respektablen Erdbeerbowle — das Vergangene noch einmal Revue passieren. Ganz selbstverständlich, dass wir dabei der beson­deren Typen gedachten, die es wie überhaupt in der Kleinstadt auch im Sportleben, in den Fußballvereinen gab. Sie waren uns eine Quelle der Heiterkeit, und ich muss heute noch herzhaft lachen, wenn ich manchmal zurückdenke, was wir mit ihnen für „Dinger gerissen“ haben.

Ich berichtete bereits von den Not­jahren der Wirtschaftskrise um 1930. Den Sportvereinen flössen Beiträge nur spärlich und unregelmäßig zu, und an den Opfersinn derjenigen, die in Lohn und Brot standen, wurden öfters hohe Anforderungen gestellt. Es gab damals noch keine Fahrtentschädigungen und keine Spesen. Jeder war auf sich selbst gestellt, und angesichts des bekannten „Fußballerdurstes“ wa­ren die Sorgen der Bargeldlosen nicht gering. Aber es lief sich alles immer wieder zurecht. Mancher Stammgast unserer ersten Vereinskneipe Riesner (später A. Eggert) spendierte uns einen mit Bier gefüllten Stiebel, für den wir mit lärmenden Trinksprüchen dank­ten. Auswärts trocknete uns zuweilen fast die Kehle ein. Dort waren wir eben nur die Gegner, denen man sogar zum Umkleiden oft höchst fragwür­dige Räume zuwies.

Als wir einmal in Sommerfeld zu spielen hatten, mussten wir uns in einem Abstellraum umziehen, der zu einer Gastwirtschaft gehörte. Es konnte gar nicht anders sein, als dass wir die Regale rundher­um an den Wänden untersuchten. Und siehe da: Wir fanden Batterien von Flaschen mit Likören, Kognak, Rum usw. — jedenfalls all das, was ein tüchtiger Gastwirt vorrätig haben musste. Mit großer Mühe wurden einige Spieler davon abgehalten, be­reits vor dem Fußballspiel eine Trinkprobe zu wagen. Umso intensiver wurde das nachgeholt, als wir uns nach dem Spiel wieder umgezogen hatten. Es kam uns in unserem jugend­lichen Übermut gar nicht zum Bewusst­sein, dass wir eigentlich eine unge­setzliche Handlung begingen. Wir hat­ten vielmehr einen Höllenspaß an der Angelegenheit, und ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie Alfred Lusohert — .der große Alex* genannt — In erstaunlich kurzer Zeit eine Flasche .Glühwürmchen*, den bekannten gras­grünen Frauenlikör, leerte. Aufrecht, ohne zu schwanken, ging er dann mit uns durch die Hofeinfahrt, um den Omnibus nach Crossen zu besteigen.

Die Gastwirtin stand in der Tür und fragte ziemlich pikiert, ob wir denn nichts zu verzehren gedächten. Worauf der .lange Alex* meinte: .Wir ge­nehmigen nur Glühwürmchen, und den habt Ihr Ja nicht mehr …“ Bevor die Gastwirtin den tieferen Sinn dieser Worte erkannt haben mag, waren wir längst mit August Hochs gelber Kut­sche über die Stadtgrenze hinaus.

Recht ruppig ging es manchmal in Fürstenberg/Oder zu. Die dortigen Jungen Schiffer waren gute Fuß­baller, aber auch hart wie Stein, dies im Nehmen wie Im Geben. Unsere Jungen vom VfB mussten oft die Beine zurückziehen, wenn die Fürstenberger zu .dreschen“ begannen. Einmal be­stritten wir dort bei böigem Wind ein Freundschaftsspiel, Die Fürstenberger Elf — „Stern“ hieß der Verein — führte zur Pause mit 3:0. Dann, mit dem Wind im Rücken, holten wir auf und gewannen das Spiel 5:3. Unsere Gastgeber waren darob so erbost, dass sie danach am liebsten in einen Faust­kampf-Wettbewerb mit uns getreten wären. Wir hätten natürlich den Kür­zeren gezogen, verließen fluchtartig das Gelände und zogen uns im Auto­bus um. Auch so etwas gab es in frü­heren Zeiten.

Die Fußballfahrten über Land hatten es überhaupt In sich. Da war immer etwas los. In Rädnitz, Sawische, Goskar, Briesnitz und Deichow gab es wiederholt Gast­spiele des VfB. Aber nicht immer ge­wann er dort nach Belieben, denn auch in den gegnerischen Mannschaften tauchten, von auswärts kommend, gute Fußballer auf, die in Papierfabriken, Glashütten, als Bauarbeiter am Bober, als Elektriker, Feldmesser usw. be­schäftigt waren und ohne große For­malitäten spielen konnten. Bald konnte der VfB es sich nicht mehr erlauben, eine Reserve-Elf nach Rädnitz oder Deichow zu schicken, ohne schwer ein­gedeckt zu werden.

Ausgesprochene Fußballtalente gab es auch an kleineren Orten. Beim VfB waren dies Alfred Kern (.Fiete“), die Brüder Wehnert, Albert Vogel, „Dackel“ Burdack, Herbert Niemann („Quade“), Alfred Böhmer usw, Aber die Konkurrenz, der Sport-Club Cros­sen und der Arbeiter-Turn- und Sport­verein, hatten ebenfalls Könner in ihren Reihen, Ganz klar, dass hin und wieder versucht wurde, Spieler zu „ziehen“. Meist unternahm man das an der Theke bei Wilhelm Kroschel im .Viktoriagarten* mit Hilfe unge­zählter Biere und Steinhäger. Mitunter gelang es — nur manchmal war der Umworbene trinkfester als der Wer­ber, und am folgenden Tage gab es dann schadenfrohes Gelächter. Es blieb nicht aus, dass einige vom alten Stamm des VfB aus beruflichen Gründen Crossen verlassen mussten. Der Nachwuchs trat an ihre Stelle.

Wenn mir auch nicht alle Namen in Erinnerung sind, so weiß ich doch noch, dass Erich Seifert und Heinz (oder Erich?) Henke die ersten Lücken füllten.

Mit dem Anbruch des .Dritten Rei­ches“ verlagerte sich das Vereinsleben auf andere, fremde Basis. Brief­lich blieb ich mit meinen Crossener Freunden noch in Verbindung. Aber aus ihren Zeilen spürte man Enttäu­schung und Verbitterung darüber, dass die alte Harmonie geschwunden war. .Es ist nichts mehr bei uns los . . .“, so vernahm ich immer wieder. Bei spä­terem, nur kurzem Aufenthalt in Cros­sen empfand ich das selbst. Das war nicht mehr „mein“ Crossen. Ich traf nur wenige Kameraden von ehedem.

Inzwischen hatte bereits der zweite Weltkrieg die ersten schmerzlichen Lücken gerissen. Mit mir gingen viele meiner alten Kameraden den Leidens­weg durch ein furchtbares Inferno. Wie weh wer uns allen zumute, als die Nachrichten vom Soldatentod eines Karl Wehnert, eines Alfred Grafi usw. eintrafen und als viele vermisst gemel­det wurden! Wie weh auch, als wir zum allerletzten Male auf der Berges­höhe standen, noch einmal am verwü­steten Fußballplatz hinter dem „Viktoriagarten“ vorbeigingen und den Platz hinter der Turnhalle besuchten, während wenige Kilometer schon die sowjetische Artillerie hämmerte und nächtlich in Richtung Berlin der Him­mel dunkelrot gefärbt war von Vernichtungsbränden!

Erst zehn Jahre später habe ich einige Crossener wiedergesehen. Ge­legentlich einer Flugreise als Sonder­berichterstatter von Stuttgart nach Berlin traf ich in der Inselstadt Gustav Hensel und Fritz Krause. Ich brauche wohl nicht den Kernpunkt unserer Ge­spräche herauszuschälen: Crossen — immer wieder Crossen an der Oder…