Wir erinnern uns des besten Crossener Bürgers

Vor 25 Jahren starb Dr. Alfred Henschke, der Vater Klabunds

Wer sich die Aufgabe ge­stellt hat, das Antlitz der Hei­mat mit seinen vielfältigen Zü­gen immer wieder der Vorstel­lungskraft der in dieser Heimat verwurzelt gewesenen Men­schen nahezubringen, darf da­bei eins nicht übersehen: Zur rechten Tönung des geistigen Erinnerungsbildes gehören nicht nur Landschalt und Bau­ten, Geschichte und Kultur, die Einwohner und ihre Wirtschaft. Auch die herausragenden Per­sönlichkeiten wirkten auf das Gesamtbild kürzerer oder län­gerer heimatlicher Zeitepochen mitprägend ein.

So sind es 1961 gerade 25 Jahre her. dass ein Mann die Augen für immer schloss, an den fast alles, was in Crossen im Ablauf der ersten Jahr­zehnte dieses Jahrhunderts ge­schah, irgendwie gebunden ist. Gemeint ist der einzige wirk­lich von der Gesamtheit an­erkannte Ehrenbürger unserer Oderstadt, der Apothekenbe­sitzer Dr. Alfred Henschke, dessen verehrungswürdige Ge­stalt den Älteren unter uns immer noch lebendig vor Au­gen steht. Ihm, dem wohl treu­esten  Diener des Crossener Gemeinwesens, sei hiermit ein Blatt des Gedächtnisses geweiht.

Dr. Alfred Henschke war kein gebo­rener Crossener. Er kam erst 1888 als Dreißigjähriger in unsere Stadt und übernahm die Adler-Apotheke, die sich damals in der Dammstraße in einem Hause befand, in dem später ein Fleischermeister sein ehrbares Gewerbe betrieb. Dort wurde dem Ehepaar Henschke übrigens noch 1890 der erste Sohn geboren, der ebenfalls Alfred Henschke geheißen wurde und sich als Dichter später den Namen Klabund beilegte. 1892 wurde die Apotheke in das Eckhaus der Schaede- und damali­gen Roßstraße verlegt, in dem sie sich bis 1945 befand.

Sehr bald wurde man in den maß­geblichen Kreisen Crossens auf den jungen Apothekenbesitzer aufmerksam und suchte sich seine augenfällige Schaffenskraft für den ehrenamtlichen Gemeindedienst zu sichern. Bereits nach fünfjähriger Ansässigkeit wurde er 1893 in den Magistrat berufen, dem er danach bis 1930, also über 36 Jahre, angehörte 1907 wurde Dr. Henschke zum unbesoldeten Beigeordneten und Stellvertreter des Bürgermeisters gewählt. Als solcher nahm er während der Jahre des 1. Weltkrieges und dann nochmals nach dem Abgang des Bürgermeisters Dr. Strauss die Bürde der verantwortlichen Leitung der Stadtverwaltung auf seine Schultern. Bis 1930, fast 23 Jahre, blieb er als Beigeordneter der ruhende Pol bei allem vielfachen personellen Wechsel der städtischen Körperschaften. Innerhalb der Kreisverwaltung wirkte Dr. Henschke von 1910 bis 1925 als Mitglied des Kreisausschusses. Auch der Kirchenvertretung von St. Marien gehörte er rund 20 Jahre an.

In allen seinen vielfältigen Funktionen war Dr. Henschke nie ein Mitläufer. Die wesentlichsten Merkmale seiner Persönlichkeit waren vielmehr unbeugsame Willenskraft, schöpferische Initiative und tatfroher Mut, mit denen sich ernsteste Pflichtauffassung und absolute Selbstlosigkeit vereinigten. Wesensfremd war ihm engstirnige Kleinbürgerlichkeit und deshalb setzte er sich für einen Fortschritt ein, der auch das Wagnis nicht scheute. Er war die treibende Kraft bei zahlreichen Planungen, so beim zeitgemäßen Ausbau des Rusdorfer Wasserwerks, bei der Modernisierung des Gaswerks, beim Bau des Schiachthofs und der Knabenvolksschule, bei der Schaffung des erstklassigen Crossener Straßenpflasters und bei den Schöpfungen der Volks­bücherei und des Heimat­museums.

Nicht hoch genug einzuschät­zende Verdienste erwarb sich Dr. Henschke ferner beim Aufbau einer Freiwilligen Feuer­wehr, die kraft modernster Ausrüstung hervorragend einsatzbereit war. Er selbst stand diesem Instrument bis in sein hohes Alter als Branddirektor vor und pflegte in dessen Rei­hen durch eigenes Beispiel eine vorbildliche Kameradschaft. Er­füllt von tiefster Humanitas war er jahrzehntelang hochver­ehrter Meister vom Stuhl der Crossener Loge .Zur Festen Burg“. Daneben fand dieser seltene Mann noch Zeit, als Schützenmeister der Pfleger altbürgerlichen Brauchtums zu sein, wie überhaupt überall dort mitzutun, wo es um das Allgemeinwohl ging.

Die Stadt Crossen wusste, was sie Dr. Henschke an Dank schuldete. Sie erwies ihm die höchsten Ehren, die sie über­haupt zu vergeben hatte. Zu seinem 60. Geburtstage wurde ihm 1918 als Ehren­gabe der Stadt eine Dr.-Alfred-Henschke-Stiftung zur freien Verfü­gung überreicht. 1922 wurde ihm das Ehrenbürgerrecht verliehen. Als er 1930 aus seinen städtischen Ämtern wegen seines hohen Alters ausschied, wurde ein Teil der Alt-Crossener Roßstraße nach ihm Dr.-Henschke-Straße benannt.

AIs Dr. Henschke, inzwischen 75 Jahre alt geworden, 1933 aus den letz­ten bis dahin von ihm verwalteten Ämtern ausschied, wurde ihm auf dem Sportplatz eine öffentliche Dankeskundgebung bereitet. Daran beteiligten sich mit all den Organisationen, in denen er aktiv tätig gewesen war, so­gar die NS-Formationen, diese aber aus zwielichtigen Gründen Man wusste, dass dieser Mann auf der Gegnerseite. stand, aber man scheute sich, ihn zu brüskieren, weil man fühlte, dass die ganze Einwohnerschaft ihm zugetan war.

Noch drei Jahre sah man den Mann mit dem klugen Gelehrtenkopf, dem schneeweißen Haar und den gütigen Augen, dessen geistiger Regsamkeit!

Crossener Heimatgrüße April 1951