Ode an Crossen

Crossen an der Oder

Bobermündung Quelle: http://www.stiftung-brandenburg.de/

Ganz plötzlich überfiel mich heute die Erinnerung an meine Heimatstadt. Ich blickte von meinem Fenster über den Luga­ner See in die Dämmerung. Ich sah am anderen Ufer Lichter aufblitzen – und da sah ich über der Oder die Silhouette von Crossen, das alte Herzogsschloss, den Marienkirchturm. Ich stand auf der Bismarckstraße und sah die Frühlingsnebel aus der Aue emporsteigen. Da war die Buhne, an der ich meine Ukleis und Plötzen zu fangen pflegte, dann und wann auch einen kleinen Wels. Ich hatte mir kunstreiche Dämme gebaut.

Ein paar Buhnen weiter war die Militärschwimmanstalt, die mich das Schwimmen gelehrt hatte. Dahinter dehnte sich, viele Kilometer breit: die Aue, das alte Strombett der Oder, jetzt mit saftigen Wiesen ausgelegt. Der Heidehibbel schloss die Aue ab. Dort gingen Geister um. Ich habe einmal ver­sucht, die Geister zu beschwören. Aber kein Geist zeigte sich. Nur ein hübsches Mädchen aus Rusdorf.

Wie schön in sei­ner Einfachheit ist der Crossener Markt. Alles Vollkommene ist einfach. Wie hübsch, im braunen Herbst und im weißro­ten Frühling, zur Zeit der Baumblüte, über die Oderhügel zu wandern. Schon hat sich freilich manches seit meiner Kinder­zeit gewandelt. Die alte hölzerne Ziehbrücke hat einer moder­nen, weniger schönen Eisenkonstruktion Platz gemacht. Die Mündung des Bobers ist wegen der ewigen Hochwasserge­fahr einige Kilometer oderaufwärts verlegt worden. Als ich jung war, schwamm ganz Crossen alle Augenblicke im Was­ser, und der Verkehr in den Gassen und Läden war nur durch Kähne und Stege aufrecht zu erhalten.

Friedrich der Große hat den Crossener Fischern und Schiffern abgeraten, sich wei­terhin unten in der Oder- und Boberniederung anzusiedeln. Er riet ihnen, auf die Berge zu gehen. Aber die halsstarrigen Crossener blieben fest. Erbost schrie sie der ärgerliche alte Herr an: »Bleibt wo ihr seid und versauft in eurer Dummheit!“ Nun, sie sind nicht ersoffen, die guten Crossener; auch nicht in ihrer Dummheit, sie sind immer noch recht leben­dig, und hin und wieder schicken sie einen rechten Unruhe­stifter in die Welt, allerlei wunderliche und aufgeregte Leute, wie den alten Konrektor, der als erster am lenkbaren Luft­ballon herumexperimentierte, den Philosophen Rudolf Pannwitz und den Schreiber dieser Zeilen. Über ihn ist sogar schon einmal ein Artikel erschienen unter der Überschrift: „Der Stern von Crossen“, der ihn mit nicht geringem Stolz erfüllte. Denn er ist ein Crossener, mit Freude und Wehmut denkt er seiner Heimat. Und wenn er einmal begraben werden sollte, was hoffentlich noch lange Weile hat, dann soll man ihn auf dem Bergfriedhof neben dem General Friedrichs des Großen begraben. Und ewig wird vor seinen klaren, verklär­ten Augen das Odertal liegen: die Aue, die kleine Stadt und ganz im Hintergrund der Kämpfenberg. Und im Baedecker wird sein Grabdenkmal neben dem Barockdenkmal des Ge­nerals einen Stern bekommen. Den Stern von Crossen.

Ode an Crossen

Oft
Gedenk ich deiner
Kleine Stadt am blauen
Rauhen Oderstrom,
Nebelhaft in Tau und Au gebettet
An der Grenze Schlesiens und der Mark,
Wo der Bober in die Oder,
Wo die Zeit
Mündet in die Ewigkeit –
Denk ich deiner, wenn ein Mond am Himmel
Mir wie dir erglänzt
Und mir am Lid die
Goldne Träne eines Steines hängt.
Ach
Da ich jung war
Wie voll Träumens
Falterübertaumelt
Engerlingdurchwühlt
War die Erde!
Wie erschien
So Sonnentag wie Regentag
Gesegnet
Und von zweien Göttern
Vater Mutter.
Ward die wilde Welt so mild regiert.
Stand am Weg vorm Warenhause ein hölzern Hündchen,
Bellt es freudig, wenn ich kam, und maulte,
Daß es mir nicht folgen durft.
Große Männer auch in schweren Tressen,
Hehre Helden, die von Haus zu Haus
Das Geheimnis ihrer Sendung trugen,
Neigten freundlich oft den mähnigen Kopf,
Schenkten dem Erschauernden
Bunte Marken fremder Palmenländer
Und mich grüßte hold Liberia,
Senkte selbst Korea die Standarten.
Grell
Gewaltig
Führte Phöbus stets von Urbeginn die Zeiten
Führte mir die schnobenden die wütig stolzen
Sonnenrösser übern Heidehibbel hell hinauf.
An den Oderhügeln reifte Wein mit kleinen
Roten zottigen Trauben
Aus den Dörfern
Scholl Gebell Geboll der Hunde
Und es meldete ein Dorf dem andern
So den Wanderer weiter
Der durch Sand und Kiefern
Immerdar ins ewige Zion zog.
Hör ich nicht an meines Bodenzimmers Fenster
Fern den Regen klopfen, wie ein guter
Freund um Einlaß bittet? Ja ich biete
Regensturm dir stürmisch meine offne
Heiße Brust, daß du die wilde
Lust des Lebens
Süß mir kühlst!
immer waren Blitz und Donner schon dem Kinde
Seine liebsten Freunde.
Auf dem sorglich durch ein gläsern Dach vor Unbill
Regens oder Sonnenstich geschätzten
Weinumsponnenen Balkon
Sitzt in seinem weißen Leinenkittel
Seinem weißen Haar
Gütiger weiser Mann
Mein Vater
Hat die goldne Brille abgelegt, damit er
Besser so das Crossner Tagblatt lese,
Neben ihm die zarte zärtliche, die lächelnde
Mutter hegt im Schoße einen Korb
Und emsig
Steint sie Zwetschgen oder Kirschen aus.
Hoch im Himmel
Schwirrt ein Häher,
Der den Regenbogen dort im Westen
Wie ein grauer Blitz durchzuckt.
Vom Marienkirchturm
Fällt ein Schwarm von Nachtigallen
Mit den Abendglocken
In die Dämmerung.
Dir auch dir
Wanderer zwischen tausend Städten
Herzen
Seen
War auch einmal Heimat
Wird
Heimat wieder sein, wenn
Dumpf die Schollen kollern auf den Sarg, der deinen
Kleinen kindlich kümmerlichen
Leib der Erde wiedergibt, die ihn gebar
An der Grenze Schlesiens und der Mark,
Wo der Bober in die Oder,
Wo die Zeit
Mündet in die Ewigkeit –

Erschienen 1925