Klabund übers Grab hinaus Ehre erweisen

Vor 50 Jahren starb der Dichter – Totenfeier auf dem Bergfriedhof mit einer Rede Gottfried Benns

Heimatgrüße 1978/4

Wer heute als Besucher an Oder und Bober über den von den Polen in einen Park verwandelten Crossener Berg­friedhof geht, hat auch als Ortskundi­ger Mühe, die Stelle zu finden, an der die Asche des Dichters Alfred Hensch­ke-Klabund der Erde anvertraut wurde. Wesentliche Bezugspunkte wie die den alten Teil des Gottesackers abgrenzen­de gemauerte Erbbegräbnisreihe und die Friedhofskapelle fehlen. Nur nach dem Wegeverlauf kann man ungefähr bestimmen, wo zwischen den Bäumen unter wenig gepflegtem Rasen die Urne ruhen muss. Das bei der Beisetzung am 9. September 1928 von Bürgermeister Küntzel gegebene Versprechen, dass die Stadt das Ehrengrab von Generation zu Generation behüten und pflegen wolle, kann also der politischen Umstände wegen nicht eingehalten werden. Umso mehr fühlen wir noch lebenden Crossener uns aber verpflichtet, dazu beizu­tragen, dass Leben und Werk Klabunds unvergessen bleiben.

Einen solchen Beitrag will ich in diesen Tagen, da sich der Tod Alfred Henschkes am 14. Au­gust 1978 zum 50. Male jährt, dadurch leisten, dass ich hier in den „Heimat­grüßen“ zwei Freunde und Gönner Kla­bunds. die an dem Begräbnis teilnah­men, zu Wort kommen lasse.

Der erste ist Fred Hildenbrandt (ge­storben 1963). Dieser schrieb einen Tag nach dem Begräbnis im „Berliner Ta­geblatt“, dessen Feuilletonchef er da­mals war, unter der Überschrift „To­tenfeier für Klabund“:

„Es wird der kleinen Stadt Crossen immer zur Ehre gereichen, dass sie den Lebenslauf eines ihrer Söhne mit sol­chem liebevollen Interesse verfolgte, dass sie ihm, da dieser Lebenslauf so plötzlich abbrach, über das Grab hinaus alles an Ehren erwies, deren sie fähig war.“

Gestern Nachmittag wurde die Ur­ne mit der Asche Klabunds in Crossen auf dem alten Friedhofe beigesetzt. Feuerwehr sperrte ab. Viele Einwohner hatten steh eingefunden. In der kleinen Kapelle sprach der Pastor die Gebete, worauf die Urne wenige Schritte weiter an das mit Blumen bedeckte Grab ge­tragen wurde. Eine Abordnung von Schülern, in blauen Anzügen und mit derselben Mütze, die Klabund getragen hatte, ließ durch einen Kameraden ein Gedicht vortragen.

Darauf sprach der Bürgermeister von Crossen, im Frack und mit allen Orden, und aus seiner Rede konnte man entnehmen, wie hier schon zu Lebzeiten ein deutscher Dich­ter geliebt und gefeiert worden ist. Er übernahm im Namen der Stadt das Grab und versprach, dass diese Stätte von Generation zu Generation gepflegt und behütet werden solle. Nach ihm hielt Dr. Gottfried Benn eine wunder­volle Andacht für seinen toten Freund, für den Menschen, den Leidenden und den Dichter, eine der herrlichsten Re­den, die je an einem Grabe laut geworden sind. Kränze wurden niedergelegt, darunter der Kranz der Stadt Crossen: „Ihrem großen Sohne“, ein Kranz der Deutschen Bühnengenossenschaft, ein Kranz der Funkstunde, einer der Deut­schen Buchgemeinschaft, einer im Namen Max Reinhardts für das „Deutsche Theater.“

Ein Männerchor sang Lieder. Mit tiefster Bewegung standen die Eltern am Grabe, und sie mögen nicht nur einen Trost der Worte mitgenommen haben, sondern einen wahrhaften Trost des Herzens.“

„Die Stadt Crossen war die erste, die es vorzog, einen Dichter in solcher Weise zu ehren, sie hat ein Beispiel auf­gestellt, indessen in anderen Städten Boxer, Läufer und Männer und Frauen der Muskeln überschwänglich gefeiert werden, fand sie es richtig, einen dün­nen, muskellosen, jünglingshaften, re­kordlosen Menschen zu feiern, der zum Geiste gehört. – Ehre der Stadt Cros­sen.“

Der zweite Freund, der zitiert wer­den soll, ist der Dichter und Arzt Dr. Gottfried Benn (gestorben 1956). Er hielt die Trauerrede, über die der schon genannte Fred Hildenbrandt im Kapitel „Klabund und Carola Neher“ seines Erinnerungsbuches „ …ich soll dich grüßen von Berlin“ (Ehrenwirth-Verlag München) schrieb: „ Es war das Schön­ste, was ich jemals hatte an einem Grabe sprechen hören, ja das Formvollendet­ste, das Tiefste, das Höchste und Feierlichste. In die große Stille des Friedhofs hinein, in dessen Zypressen ein leichter Wind wühlte*; ertönte der Klagegesang eines Freundes für einen Freund, eines Dichters für einen Dichter, gehalten in der einfachsten Sprache eines betrübten Herzens. Und zugleich in der schim­mernden Form des Wortes, wie sie nur von einem Dichter so zum Glühen ge­bracht werden konnte. Niemals, glaube ich, ist eine so herrliche Grabrede ge­halten worden.“ Hier sind ihre ersten Absätze und ihr letzter Absatz:

„Bei dieser Feier, die die Stadt Cros­sen ihrem verstorbenen Sohne weiht, habe ich als des Toten ältester Freund und märkischer Landsmann unter den schriftstellernden Kollegen die Aufgabe und die Ehre, einige Worte zu spre­chen.“„Ich sehe hier versammelt in erster Linie die landschaftliche und genealo­gische Verwandtschaft des Verstorbe­nen, die Eltern, an denen er so hing, die Gattin, die er so sehr liebte, die Angehörigen, die Stadt, zu der er zählte, und wir wollen dies alles auf­nehmen und verehren, da es Klabunds Heimat war.

Aber eine andere Ver­wandtschaft drängt herbei, eine andere Vater- und Bruderschaft macht ihr Recht geltend, heute hier zu sein, eine große Gemeinschaft aus vielen Städten, aus Berlin, aus München und über Deutschlands Grenzen hinaus aus vielen Zentren des abendländischen Lebens bekundet ihr Verlangen in dieser Stun­de ich meine die Gemeinschaft derer, die der Menschheit zu dienen glauben, indem sie dem Worte dienen, ich meine die Gemeinschaft der Künstler, Dichter, Schriftsteller und Literaten, die den Härten des Lebens nichts ande­res entgegenzusetzen haben, als ihren Glauben, ihr Talent und ihr Leiden und zu denen der Verstorbene sich bekannte in den Jahren der Bedürftigkeit wie in den Jahren des Ruhms. Im Namen die­ser will ich sprechen.“

„Da habe ich zunächst das Bedürf­nis, der Stadt Crossen einen Dank abzu­statten. Es ist schön, dass sie es ermög­lichte, dass Klabund auf diesem Fried­hof ruht. In Norddeutschland, von wo er hergekommen ist, in dieser Stadt, die er so oft besungen hat, am bewe­gendsten heute für uns in jener Ode an Crossen, in deren Schlussversen er diese jetzige Stunde beschreibt und sieht, die Stunde: ,in der auf seinen kleinen, kindlich-kümmerlichen Leib die Erde fällt, die ihn gebar, an der Grenze Schlesiens und der Mark, wo der Bober in die Oder, wo die Zeit mündet in die Ewigkeit – „Ich sage, ich möchte mir die Freiheit erlauben, der Stadt zu dan­ken, dass sie es sich nicht hat nehmen lassen, ihren Sohn, diesen, unseren Ka­meraden, der nur ein Künstler war – nur Narr, nur Dichter, wie es im ,Zarathrustra* heißt mit allen Ehren des Lebens und der Öffentlichkeit zu sich zurückzuholen Die Dichter sind die Tränen der Nation es ist vielleicht für Deutschland nicht schlecht, wenn die anderen hören, dass eine Stadt die Zeit und die Innerlichkeit besaß, die­sen Tränen der Nation ihre Aufmerk­samkeit und ihre Ehrfurcht zu bezeu­gen.“

„Und wenn ich an seine Urne etwas zu schreiben hätte, wäre es ein Satz aus einem der großen Romane von Jo­seph Conrad, über die ich oft in der letzten Zeit mit dem Verstorbenen sprach. Ein Wort, das die Verwirrungen des Menschenherzens und der Mensch­heitsgeschichte raunend erhellt: .dem Traum folgen und nochmals dem Traum folgen und so ewig – usque ad finem.‘ Mit diesem Satze nehme ich Abschied von unserer fünfundzwanzigjährigen Freundschaft und im Raunen dieses Satzes ruhe ewig, Klabund.“

Lassen wir zum Schluss einige Verse Klabunds zu uns sprechen, die er uns zum Trost für die verlorene Heimat geschrieben haben könnte:

Man soll in keiner Stadt länger bleiben als ein halbes Jahr. Wenn man weiß, wie sie wurde und war, Wenn man die Männer hat weinen sehen, Und die Frauen lachen, Soll man von dannen gehen, Neue Städte zu bewachen. Lässt man Freunde und Geliebte zurück. Wandert die Stadt mit einem als. ewiges Glück. Meine Lippen singen zuweilen, Lieder, die ich in ihr gelernt, Meine Sohlen eilen unter einem Himmel, der auch sie besternt.

Man soll in keiner Stadt…

Man soll in keiner Stadt länger bleiben als ein halbes Jahr.
Wenn man weiß, wie sie wurde und war,
Wenn man die Männer hat weinen sehen
Und die Frauen lachen,
Soll man von dannen gehen,
Neue Städte zu bewachen.

Läßt man Freunde und Geliebte zurück,
Wandert die Stadt mit einem als ein ewiges Glück.
Meine Lippen singen zuweilen
Lieder, die ich in ihr gelernt,
Meine Sohlen eilen
Unter einem Himmel, der auch sie besternt.