Pannwitz-Wiederentdeckung in Grenzen im Gange

Vielleicht auch in polnischer Sprache – Drei Crossener Häuser, die den Denker beherbergten.

Von dem in Crossen (Oder) aufge­wachsenen Denker und Schriftsteller Rudolf Pannwitz verlautete in den letz­ten Jahrzehnten nicht viel im deutsch­sprachigen Bücher- und Blätterwald. Seine gedruckten Werke schienen ver­gessen zu sein. Ein beachtlicher Feil seiner Arbeiten liegt als Nachlass unveröf­fentlicht im Marbacher Literaturarchiv.

Jetzt ist jedoch eine Art Wiederent­deckung in Grenzen zu verzeichnen. Der S. Fischer Verlag kündigte für Fe­bruar 1994 die Herausgabe des „Brief­wechsel 1907-1926″ zwischen dem Dich­ter Hugo von Hofmannsthal und Ru­dolf Pannwitz an. Die Edition besorgte im Auftrag der Deutschen Schiller Gesellschaft der 1956 gebotene Philologe Gerhard Schuster. Das 920 Seiten starke Werk (ISBN 3-10-1)31553-7) kostet 98 DM.

In der Werbeschrift für diesen litera­turhistorisch bedeutsamen „Briefwech­sel“ heißt es u. a.: „(Er) setzt nach einem flüchtigen Kontakt 1907/08 im Juli 1917 vehement ein. Im Augenblick einer ei­genen schöpferischen Krise … hatte Hofmannsthal von Pannwitz dessen geschichtsphilosophisches Werk Die Kusis der europäischen Kultur erhalten. Die Entschiedenheit, mit der Pannwitz zum Zeitpunkt staatlicher Auflösung und wirtschaftlichen Zusammenbruchs seine Erneuerungsgedanken vertritt, beein­druckt ihn stark. Es ist ohne Vergleich, mit welcher Ausführlichkeit Hofmannsthal dem eben noch Fremden Ein­blick gewährt in Persönliches, ja Priva­tes, ihm seinen Lebenskreis öffnet und über sein bisheriges wie das entstehende Werk Rechenschaft gibt. Gleichzeitig unterstützt er Pannwitz finanziell und versucht, dem freien Autor eine tragfä­hige Basis zu verschaffen.“

„Der Band enthält neben dem Brief­wechsel und dem ausführlichen Kommentar des Bearbeiters Gerd Schuster auch sämtliche Aufsätze von Pannwitz über Hofmannsthal, einen weit ausgrei­fenden Essay von Erwin Jäckle (Schwei­zer Freund von Pannwitz und langjähri­ger Chefredakteur der Züricher Zeit­schrift .Die Tat‘), einen Bildteil sowie Personen- und Werkregister.“

Gerd Schuster blieb nicht der einzige jüngere Geisteswissenschaftler, der sich in letzter Zeit mit dem Werk von Rudolf Pannwitz beschäftigte. Eine Französin schrieb über Pannwitz und die Tsche­chen. Ihr Vortrag „Pannwitz in Böh­men“ ist im Stifter-Jahrbuch, neue Folge 6. von 1992 abgedruckt. Ein Italiener be­fasste sich mit den Beziehungen zwischen Pannwitz und Nietzsche. Ein anderer Italiener entdeckte seine Übersetzungen Leopardis.

Buntbuch des Kleist-Museums über den Ostbrandenburger geplant

Ein deutscher Philologe, Wollgang Hermann (Germering), abonnierte die „Heimatgrüße“ und erwarb alle noch lieferbaren älteren Jahrgänge, um aus ihnen Biographisches über den Den­ker aus Crossen und seine Familie herauszufiltern.

Dr. Hermann verfasste die biographischen Erläuterungen zum Briefwechsel zwischen Hofmannsthal und Pannwitz. Die Leitung der Kleist-Gedenk- und Forschungsstätte in Frank­furt (Oder) trat an ihn mit dem Vor­schlag heran. den Text für ein Buntbuch über Pannwitz und Crossen zu verfas­sen, das 1995 herauskommen soll. Die Buntbücher der oderfrankfurter Kultur­stätte besprach diese Zeitschrift, nach­dem 1991 eine dieser Veröffentlichungen Gottfried Benn und Klabund gewid­met war. Auch bei dem geplanten neuen Buntbuch ist vorgesehen, eine Überset­zung ins Polnische beizulegen, wie schon mehrfach geschehen. Der vorgesehene Autor versicherte sich der Unterstüt­zung der Redaktion der „NOZ, Heimatgrüße“ hinsichtlich der Bebilderung des Pannwitz-Buntbuches. Somit besteht die Chance, dass sich die geistige Welt beiderseits von Oder und Neiße dem­nächst mit dem an der Bobermündung geborenen Philosophen beschäftigt.

Im Interesse der Bilder-Bereitstellung ist nun die Frage aktuell, mit welchen Crossener Straßen und Häusern der Denker und Dichter, abgesehen von dem von ihm besuchten örtlichen Gym­nasium, besonders verbunden war. Sei­ne Eltern wohnten nacheinander in drei verschiedenen Gebäuden. Die beiden wichtigsten fielen durch die Kriegsfolgeereignisse“ der Vernichtung anheim. Von allen dreien gibt es keine guten al­ten Fotos (Nahaufnahmen). Die „Heimatgrüße“-Leser werden deshalb herz­lich gebeten. nachzudenken und nachzukramen, ob sich nicht vielleicht noch ein brauchbares Bild der im Folgenden be­schriebenen Gebäude findet:

Seine wesentlichen Kinder- und Ju­gendjahre verlebte Rudolf Pannwitz im Haus Neumarkt Nr. 274. in dem seine Eltern eine Molkereifachschule unter­hielten. Dieses Grundstück, das nach dem Adressbuch von 1926 dem Maler­meister Max Hoefte gehörte, war das südlichste an der Ostseite des späteren Lutherplatzes. Die Heimatblatt-Redak­tion besitzt lediglich Fotos, auf denen es im Rahmen des gesamten Stadtviertels vom St. Marien-Kirchturm aus anzu­schauen ist.

Das Licht der Welt erblickte Rudolf Pannwitz jedoch nicht am Neumarkt. 1944 schrieb er selbst in einem Brief an seinen Freund Hanns Meinke. der von 1904 bis 1911 als Lehrer erst in Sehee­geln, dann in Kuckädel wirkte: „Sehr lieb, dass Du das Haus fotografieren lässt in dem ich aufgewachsen bin. es ist aber nicht mein Geburtshaus, geboren bin ich in dem das von der Schloss Straße zur Landhausstraße durchgeht dort in der Wohnung unten in der Mitte des Hofes rechts, das hatte ja mein Onkel Paul (Se­ier) und nachher Hegel sein Nachfolger.“

Es handelt sich um den Gebäudekom­plex, in dem sich unten zu des Gründers und zu Polckow-Hegels Zeiten die Ge­schäftsräume der Landmaschinenhandlung und -fabrik Seier befanden. Die bei­den Grundstücke waren als Schinßstr. 196 und Landhausstr. 183 amtlich regi­striert. Im Sollauer Archiv gibt es weder ein Bild von der ansprechenden Schloß­straßen- noch von der schlichten Landhausstraßenfront. Auf Blicken vom Ma­rienturm nach Norden sieht man nur die Dächer, auf Fotos vom Münzplatz die kahle Ostmauer des nördlichen Teils. Das Hof- und Geburtshaus durfte kaum fotografiert worden sein. Wenn doch, wäre die Hilfe der Nachkommen oder Erben der einst dort wohnenden Fami­lien zu wünschen. Ob man wohl aus der Nachbarschaft, vom Hotel ..Schwarzes Roß“ und vom Haus Wallenburg, auf die literaturhistorisch bedeutsame Stätte schauen konnte?

Nach Aufgabe der Molkerei Fachschule zogen die Eltern Pannwitz in die Bergstraße. Sohn Rudolf wohnte zu diesem Zeitpunkt jungverheiratet in Berlin Sein jüngerer Bruder Walther studierte an der Kunsthochschule m Kassel. Mut­ter Therese Pannwitz. geb. Seier, be­schrieb die Wohnung etwa so: Kaufla­den, Fleischer im Hause. Bäcker schräg gegenüber. Eckzimmer mit drei Fen­stern. Sicherlich handelt es sich um das Grundstück Bergstr. 425 a, für das das Adressbuch von 1926 den Kaufmann Paul Schreer als Eigentümer und den Fleischermeister Hermann Kurzreiter als einen der Mieter auswies. Das Ge­bäude, in das der Dichter Deukei nur als Besucher (nachweisbar 1907) kam. überstand bis heute die Zeilen. Die „Hei­matblatt- Redaktion“ besitzt an alten Fo­tos davon nur solche, die aus der Ferne aufgenommen sind, die den ganzen un­teren Stadtberg von der Stromkaserne her zeigen. Vielleicht haben ehemalige Nachbarn Besseres in ihren Alben.

Übrigens gaben Therese und Eduard Pannwitz diese Wohnung bereits 1911 wieder auf. Sie zogen ins Seler’sche Hinterhaus an der Landhausstraße zu­rück.

Und noch eine Frage an die Crossener, vor allem an die einstigen Gymna­siasten: In der Aula der Hindenburgschule hing ab 1932/33 vorn am Redner­pult ein Bild von Rudolf Pannwitz. Es wurde dort im Rahmen einer Montag-morgen-Andacht“‚ angebracht. Dabei hielt Studiendirektor Dr. Hübener einen Vortrag über den bedeutenden Schüler. Der Redakteur meint, dass das Porträt dort noch vorhanden war. als er 1938 mit seinen Klassenkameraden verabschie­det wurde. Ist das ein Irrtum, ver­schwand es schon eher? Oder blieb es bis 1945 an Ort und Stelle? Wer hat es wann noch gesehen?