Oder die Geschichte Preußens und der Hohenzollern – Eine Geschichte von viel Krieg und wenig Frieden
Unter der Bezeichnung „Deutsches Kaiserreich“ versteht man das „Deutsche Reich“ zwischen 1871 und 1918. In diesem Zeitraum war der neugegründete und erste deutsche Nationalstaat zwar bundesstaatlich organisiert, aber eine konstitutionelle Monarchie, ausgerichtet am monarchischen Prinzip.
Eine konstitutionelle Monarchie? Wikipedia schreibt:
„… Eine konstitutionelle Monarchie ist im weiteren Sinne eine Monarchie, in der die Macht des Monarchen durch eine Verfassung geregelt und beschränkt wird. Sie steht damit im Gegensatz zur absoluten Monarchie, in der mangels Verfassung die Macht der Monarchen unbeschränkt ist (heutige absolute Monarchien verfügen zwar über Verfassungen, die jedoch die Macht des Monarchen dennoch nicht einschränken). (…)
Die konstitutionelle Monarchie war die am weitesten verbreitete Staatsform im Europa des 19. Jahrhunderts. Mit der Zeit entwickelten sich viele dieser Monarchien zu parlamentarischen Monarchien. Heutzutage gibt es weltweit nur noch wenige konstitutionelle Monarchien im engeren Sinne.
Mit Absolutismus (…) wird eine Herrschaftsform in Monarchien bezeichnet, die von der Regierung eines aus eigener Machtvollkommenheit handelnden Herrschers ohne oder ohne wesentliche politische Mitentscheidung ständischer oder demokratischer Institutionen bestimmt ist (Alleinherrschaft).
Beispiele für gegenwärtig existierende absolutistische Regierungsformen sind die jeweils aus religiösen Prinzipien abgeleiteten Herrschaften des Königs von Saudi-Arabien und des Papstes im Vatikanstaat.“
Eine konstitutionelle Monarchie, in der die Macht des Monarchen durch eine Verfassung geregelt und beschränkt wird? Aber die Verfassung von 1871 beruhte auf einem monarchistischen Prinzip, dessen Gewalt vom „Bundesrat“ ausging, in dem die Fürsten, die nun dem Reich angehörten, die Macht ausübten unter dem Vorsitz des Reichskanzlers. Staatsoberhaupt war der Kaiser, gleichzeitiger König von Preußen.
Die Reichsverfassung von 1871 war also keine konstitutionelle Monarchie im eigentlichen Sinne, denn weder der Kaiser noch der vom Kaiser eingesetzte Reichskanzler unterlagen irgendeiner parlamentarischen Kontrolle. Das politisch wichtigste Amt war das des Reichskanzlers und auf die Person des Fürsten Bismarck zugeschnitten. Auf gut Deutsch, der Kaiser hatte die größte oder alleinige Macht und der Reichstag verkörperte neben dem Kaiser symbolisch die Einheit des Reiches. „Er repräsentierte das nationale und demokratische Element neben dem Föderalismus der Bundesstaaten und der monarchisch-bürokratischen Exekutive (dem Kanzler) im Machtgefüge des Reiches“, so Wikipedia.
Anders ausgedrückt, das Kaiserreich war also ein preußisch dominierte Obrigkeitsstaat, verkörpert von überwiegend agrarisch-aristokratisch geprägten Machteliten, die versuchten, ihre überkommene Herrenstellung in einer sich rapide modernisierenden Industriegesellschaft zu verteidigen. Eine wichtige Rolle spielte nach alter „preußischer Tradition“ das Militär, ein Staat im Staate.
Die Reichsgründung erfolgte im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles nach dem Sieg des „Norddeutschen Bundes“ und seiner süddeutschen Verbündeten über Kaiser Napoleon III. von Frankreich am 18. Januar 1871 und „Kaiser“ wurde Wilhelm I. von Preußen.
In der Internetpräsenz des Hauses Hohenzollern ist zu lesen:
„… Das Haus Hohenzollern gehört zu den bedeutendsten Dynastien des Hochadels in Europa. Die Familie wurde bereits im Jahre 1061 erstmals erwähnt. (…) Als Kurfürsten von Brandenburg (ab 1415), Könige von Preußen (ab 1701) und Deutsche Kaiser (ab 1871) trug die Familie über 500 Jahre lang große politische Verantwortung in Europa.“
Wikipedia schreibt:
„… Der Name Brandenburg-Preußen bezeichnet die gesamten Herrschaftsgebiete der Kurfürsten von Brandenburg aus dem Haus Hohenzollern in der Zeit zwischen dem Erwerb des Herzogtums Preußen 1618 und deren Erhebung zu Königen in Preußen ab 1701.
Ursprünglich beschränkten sich die Besitzungen der hohenzollernschen Markgrafen auf die Mark Brandenburg selbst. Durch dynastische Erbschaften und Käufe zu Anfang des 17. Jahrhunderts vergrößerten sie ihren Besitz, so dass ein weit verstreutes Herrschaftsgebiet entstand, das anfangs nur durch die Person des Herrschers miteinander verbunden war. Der Westfälische Frieden von 1648 verstärkte die Position Brandenburg-Preußens entscheidend. (…)
Die Politik der Hohenzollern war auf Machtzunahme durch Erwerbung neuer Länder ausgerichtet. Dies versuchten die jeweiligen Herrscher durch geschickte Heiratspolitik zu erreichen, um Erbansprüche im Falle von ausgestorbenen Herrscherhäusern zu erhalten.“
Das Haus Hohenzollern, aber auch Wikipedia waren in Bezug auf Preußen sehr zurückhaltend, denn alleine durch „dynastische Erbschaften und Käufe“ und eine „geschickte Heiratspolitik“ wäre Preußen ein kleiner und relativ unbedeutender Staat geblieben.
Also loht es, die „große politische Verantwortung in Europa“ der Familie und die „Machtzunahme durch Erwerbung neuer Länder“ genauer anzuschauen.
Bereits unter König Friedrich Wilhelm I. entwickelte sich Preußen nicht nur zu einer absoluten Monarchie, sondern auch zu einem zentralistischen Militärstaat. Bereits sein Sohn und Nachfolger Friedrich II. oder „Friedrich der Große“ betrieb die so harmlos beschriebene Politik auf einem ganz anderen „Niveau“.
Im Artikel über die Stadt Crossen schrieb ich: „Erinnere ich mich an meine Schulzeit und den Geschichtsunterricht, so habe ich einen König kennen gelernt, der neben seinen „preußischen Tugenden“ vorbildlich Toleranz „predigte“, Hugenotten als religiös Verfolgte ins Land holte und einen preußischen Staat aufbaute, dem seine Nachkommen besonders in der Zeit der Reichsgründung eine besonderen Verehrung zuteilwerden ließen und dessen „Regierungszeit“ geradezu von einem Mythos umgeben ist.
Friedrich Wilhelm I. schrieb in seinem Testament: „Preußen kann nur in guter Nachbarschaft mit Polen, seinem nächsten Nachbar leben“, Sohn Friedrich hatte eine gegensätzliche Haltung: Die Schwäche der Nachbarn ausnutzen und deren Territorien an sich reißen. So geschehen in den beiden Schlesischen Kriegen (1740-42 und 1744-45), in denen Preußen Schlesien annektierte.“
Die Autorin Beata Halicka formuliert es so: „Die aggressive Politik des preußischen Königs, der auch vor dem Bruch von Verträgen und Abmachungen nicht zurückschreckte, brachte ihm sehr viele Gegner in Europa ein.“
Um endlich „das Kind beim Namen zu nennen“, die „große politische Verantwortung“ bestand aus Kriegen, die mit dem ersten Weltkrieg enden und alle mehr oder weniger dem Hause Hohenzollern angelastet werden können.
Bereits im ersten Jahr der Herrschaft „Friedrich des Großen“ begann der König die drei Schlesischen Kriege (1740–1763), darin enthalten der so genannte „Siebenjährigen Krieg“ (1756-63).
Unterbrochen wurden die preußisch dominierten Kriege durch den dritten Napoleonischen Krieg gegen Preußen in den Jahren 1806 und 1807 zwischen Frankreich und den mit ihm verbundenen Staaten und Preußen und Russland als Kriegsgegner. Diesen Krieg führte der andere Aggressor – Kaiser Napoleon.
„Der alte preußische Staat brach nach der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt im Oktober 1806 zusammen. Der Hof floh nach Ostpreußen. (…) Nach der entscheidenden Niederlage gegen Napoleon in der Schlacht bei Friedland beendete der Frieden von Tilsit den Krieg. Preußen verlor dabei fast die Hälfte seines Gebietes, musste hohe Kriegsentschädigungen leisten und sank auf den Status eines minder mächtigen Staates herab. Dagegen befand sich Napoleon auf dem Höhepunkt seiner Macht“, schreibt Wikipedia.
Es folgten die so genannten Befreiungskriege (1813–1815) zwischen den Truppen des napoléonischen Frankreich und den Alliierten bestehend aus Preußen, Österreich, Russland und Großbritannien. Nach der Befreiung Deutschlands endete der Winterfeldzug 1814 mit der Abdankung Napoleons und dem Ersten Pariser Frieden. Nach der kurzzeitigen Rückkehr Napoleons wurde seine Herrschaft durch die Niederlage gegen die Briten und die mit diesen verbündeten Preußen in der Schlacht bei Waterloo endgültig beendet. (Wikipedia)
Nach der Niederwerfung Napoleons stand Preußen auf der Seite der Sieger und es folgte der Schleswig-Holsteinischer Krieg (1848–1851)
Aus Wikipedia:
„… Die Schleswig-Holsteinische Erhebung wurde zum ersten militärischen Konflikt um die Schleswig-Holstein-Frage. Schleswig, Holstein und Lauenburg gehörten damals zum Dänischen Gesamtstaat. Dänemark wollte die Herzogtümer, zumindest das gemischtsprachige Schleswig, näher an Dänemark binden. Dagegen lehnten sich die Deutschsprachigen in den Herzogtümern auf. Der Deutsche Bund setzte im März 1848 einen Bundesfeldherrn ein, der Truppen deutscher Staaten gegen Dänemark einsetzte. Das entstehende Deutsche Reich übernahm die Rolle des Bundes. Im Jahr 1850 endete die Hilfe deutscher Staaten für die Aufständischen, die im Jahr darauf kapitulieren mussten. In Dänemark wird der Krieg Dreijahreskrieg genannt, international auch „Erster Schleswigscher Krieg“.
Der Deutsch-Dänischer Krieg folgte 1864 – darin verwickelt Preußen. Wikipedia schreibt:
„… Der Deutsch-Dänische Krieg war die militärische Auseinandersetzung um das Herzogtum Schleswig zwischen Preußen und Österreich einerseits und Dänemark andererseits. Schleswig war ein Lehen Dänemarks, in dem sowohl deutschsprachige als auch dänischsprachige Einwohner lebten. Bereits im Vorjahr hatte Truppen des Deutschen Bundes eine Bundesexekution in Holstein und Lauenburg durchgeführt, am Deutsch-Dänischen Krieg und der Besetzung Schleswigs beteiligte sich der Bund nicht mehr, bezeichnete das Vorgehen dagegen als nicht rechtskonform. Am eigentlichen Krieg selbst war der Bund nicht beteiligt, sondern nur die Mitgliedsstaaten Österreich und Preußen.
Der Krieg endete mit einer Niederlage Dänemarks, das die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg an Österreich und Preußen abtrat. Die beiden Siegermächte herrschten daraufhin in den Herzogtümern als Kondominium. Das gespannte Verhältnis beider Staaten verschlechterte sich jedoch in der folgenden Zeit, bis es schließlich 1866 zum Deutschen Krieg kam.“
Und dieser „Deutsche Krieg“ fand 1866 statt und war eine Auseinandersetzung zwischen Preußen und weiterer deutscher Staaten gegen Österreich, Wikipedia schreibt:
„…Der Deutsche Krieg war eine militärische Auseinandersetzung Österreichs und weiterer deutscher Staaten mit Preußen. Er endete mit einem Sieg Preußens und hatte die Auflösung des Deutschen Bundes zur Folge. Preußen übernahm damit von Österreich die politische Vormachtstellung unter den deutschen Ländern und gründete den Norddeutschen Bund.“
Als letzter der so genannten „Einigungskriege“ folgte 1870 der „Deutsch-Französische Krieg“ – eine Auseinandersetzung zwischen Frankreich einerseits und dem Norddeutschen Bund unter der Führung Preußens sowie den mit ihm verbündeten süddeutschen Staaten. Seine wichtigsten Ergebnisse: die Abtretung Elsaß-Lothringens und die Reichsgründung. Bezahlen mussten dafür rund 190 000 Soldaten mit ihrem Leben, und 230 000 wurden verletzt – ein mörderischer Sieg.
Wie schon geschrieben, die Reichsgründung erfolgte im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles.
Einher ging mit dieser Reichsgründung die Wandlung des neuen Staates von einer Agrargesellschaft in einen modernen Industriestaat. Was nichts anderes bedeutete, als eine Wandlung oder einen Rückgang der handwerklichen Arbeitsplätze und auch der Beschäftigten in der Landwirtschaft hin zur städtischen Arbeiterbevölkerung. Und dieser Wandel hatte enorme politische Folgen.
Einzig der Adel behielt sein hohes Prestige, er dominierte weiterhin beim Militär, in der Diplomatie und der höheren Zivilverwaltung.
Mit dabei in Versailles übrigens Paul Ludwig Hans Anton von Beneckendorff und von Hindenburg. Er nahm an diesem Krieg teil und repräsentierte sein Garderegiment bei den Feierlichkeiten. Der gleiche Hindenburg, der nach seiner Wiederwahl 1932 Adolf Hitler zum deutschen Reichskanzler ernannte und als Militärdiktator während des I. Weltkrieges das Deutsche Reich regierte.
Kaiser Wilhelm I.
Wilhelm Friedrich Ludwig von Preußen wurde am 22. März 1797 in Berlin geboren. Er war der zweite Sohn des Kronprinzenpaares Friedrich Wilhelm von Preußen und Luise von Mecklenburg-Strelitz.
Lese ich seine Biographie, begegnen mir zuerst einmal seine militärischen Stationen und die sind schon heftig:
Aus Wikipedia:
„… Am 1. Januar 1807 – Preußen hatte am 14. Oktober 1806 bei Jena und Auerstedt eine vernichtende Niederlage gegen Napoleon hinnehmen müssen – ernannte sein Vater den neunjährigen Wilhelm zum Leutnant. Wilhelm war 13-jährig, als seine Mutter Luise verstarb.“
„1814 begleitete er, zum Hauptmann ernannt, seinen Vater auf den Feldzug in Frankreich, erwarb sich bei seiner Feuertaufe bei Bar-sur-Aube am 26. Februar das Eiserne Kreuz II. Klasse, zog am 31. März mit in Paris ein, folgte seinem Vater auch beim Besuch in England und führte, am 8. Juni 1815 konfirmiert und zum Major ernannt, ein Bataillon des 1. Garderegiments von neuem nach Frankreich, wo indes der Krieg schon zu Ende war.
Am 1. Januar 1816 erhielt er das Kommando des Stettiner Gardelandwehrbataillons, 1818 als Generalmajor das Kommando einer Gardeinfanteriebrigade, am 1. Mai 1820 den Oberbefehl über die 1. Gardedivision und wurde zum Generalleutnant befördert. Am 22. März 1824 übernahm er die Führung des III. Armeekorps, schließlich kommandierte er von 30. März 1838 bis 22. Mai 1848 das Gardekorps.“
Wilhelm war konservativ eingestellt, habe ich gelesen und das war sehr schmeichelhaft ausgedrückt. Weniger schmeichelhaft, er war ein „Kommisskopf“, nur am Aufbau und Ausbau des Militärs interessiert. „Die Majorität des Abgeordnetenhauses war jedoch nicht bereit, im Vertrauen auf des Prinzen konstitutionelle und deutsch-nationale Gesinnung und Politik die Mehrkosten der 1860 eingebrachten durchgreifenden Heeresreorganisation definitiv zu bewilligen.“ (Wikipedia)
Am 11. Juni 1829 heiratet er Prinzessin Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach, aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor:
Friedrich Wilhelm (1831–1888), verh. seit 1858 mit Prinzessin Victoria von Großbritannien und Irland (Tochter von Königin Victoria) und Luise (1838–1923), verheiratet seit 1856 mit Großherzog Friedrich I. von Baden. Zwei Fehlgeburten verhinderten weitere Kinder.
Sein Vater starb 1840 und Wilhelm erhielt als Thronfolger seines Bruders den Titel „Prinz von Preußen“, einhergehend damit die Beförderung zum General der Infanterie.
Als „absoluter Herrscher“ trat er für die gewaltsame Niederschlagung der so genannten „Märzrevolution“ von 1848 ein, die Berliner nannten ihn daraufhin den „Kartätschenprinz“.
Über seine Beteiligung an den Kämpfen in der Pfalz und Baden schreibt Wikipedia:
„… Am 8. Juni 1849 ernannte der Reichsverweser Johann von Österreich Wilhelm zum Oberkommandierenden der „Operationsarmee in Baden und in der Pfalz“, (…) Aufgabe war die Niederschlagung der Revolutionen in der Pfalz und in Baden. Nachdem Wilhelm am 12. Juni bei Ingelheim einem ersten Attentat entgangen war, unterwarf die Operationsarmee in wenigen Wochen die Aufständischen. (…) Mit der Einnahme der Festung Rastatt, der letzten Bastion der Revolutionäre, wurde zugleich auch die Märzrevolution in Deutschland endgültig niedergeschlagen. Die Siegesfeier fand mit dem gemeinsamen Einzug des Großherzogs Leopold von Baden und Wilhelms am 19. August in Karlsruhe statt.
Am 12. Oktober zog er an der Spitze von Truppen, die in Baden gekämpft hatten, in Berlin ein und wurde zum Generalgouverneur der Rheinprovinz und der Provinz Westfalen ernannt.“
Die Berliner sangen derweil Spottlieder auf ihn:
Schlächtermeister Prinz von Preußen
komm doch, komm doch nach Berlin!
Wir wollen dich mit Steinen schmeißen
und die Barrikaden ziehn.
Die Krönung zum preußischen König erfolgte 1861, Wikipedia schreibt:
„… Nach dem Tod seines Bruders Friedrich Wilhelm IV. am 2. Januar 1861 bestieg Wilhelm den preußischen Thron. Am 18. Oktober 1861 fand die prachtvolle Krönungsversammlung in Königsberg in der Schlosskirche statt. Wilhelm setzte sich selbst die Krone aufs Haupt und nahm das Zepter, den Reichsapfel und das Reichsschwert vom Altar, danach krönte er seine Frau zur Königin und sagte: „Von Gottes Gnaden tragen Preußens Könige seit 160 Jahren die Krone. Nachdem durch zeitgemäße Einrichtungen der Thron umgeben ist, besteige ich als erster König denselben. Aber eingedenk, dass die Krone nur von Gott kommt, habe ich durch die Krönung an geheiligter Stätte bekundet, dass ich sie in Demut aus seinen Händen empfangen habe.“
Die Krönung stellte einen Kompromiss zwischen der von Wilhelm bevorzugten Erbhuldigung und der von der Verfassung vorgeschriebenen Eidesleistung des Königs im Parlament dar und verstärkte das Misstrauen gegen die konstitutionellen Ansichten des Königs.“
Liberal? Alleine in den ersten Jahren seiner Regentschaft führte er 1864 den Deutsch-Dänischen Krieg, „in dem Preußen und Österreich gemeinsam als Wahrer deutscher Interessen in den mit Dänemark verbundenen Herzogtümern Schleswig und Holstein auftraten. Wie von Bismarck kalkuliert, kam es nach dem Sieg über die weitere Behandlung Schleswig-Holsteins zum Konflikt mit Österreich, mit dem Preußen damals noch immer um die Führung im Deutschen Bund konkurrierte.“ (Wikipedia) und 1866 resultierte aus diesem Konflikten der preußisch-österreichischen Krieg.
Mit der Gründung des Norddeutschen Bundes am 1. Juli 1867 wurde Wilhelm der Inhaber des Bundespräsidiums.
Und damit war der Weg frei für den nächsten Krieg, der Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71. Den Oberbefehl übernahm Wilhelm I. und er endete mit der Kapitulation Napoleon III. und der schon beschriebenen Gründung des Kaiserreiches in Versailles. Begeistert war der frisch gekrönte Kaiser nicht, er schreibt am Vorabend der Proklamation:
„Morgen ist der unglücklichste Tag meines Lebens! Da tragen wir das preußische Königtum zu Grabe.“
Schließlich nahm er nach einiger Diskussion den Titel „Deutscher Kaiser“ an und versprach: „allzeit Mehrer des Deutschen Reichs zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens auf dem Gebiet nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung“.
Am 16. Juni 1871 hielt er seinen glänzenden Einzug in Berlin.
Ich habe keine Zeit müde zu sein
Aus Wikipedia:
„… Wilhelm, der im hohen Alter hohe Popularität genoss und für viele das „alte Preußen“ verkörperte („Mehr sein als scheinen“), starb nach kurzer Krankheit im Dreikaiserjahr am 9. März 1888 im Alten Palais Unter den Linden und wurde am 16. März im Mausoleum im Schlosspark Charlottenburg beigesetzt.
Aus Sympathie der Deutschen zu Kaiser Wilhelm wurde die Zeile „Wir wollen unseren alten Kaiser Wilhelm wieder haben“ zur Melodie des 1875 von Richard Henrion komponierten Fehrbelliner Reitermarschs gesungen.
Der Satz „Ich habe keine Zeit müde zu sein.“ wurde zum Synonym für Pflichterfüllung bis zum letzten Augenblick und wurde später zum geflügelten Wort. Dies sollen die letzten zusammenhängenden Worte gewesen sein, die Wilhelm I. an seinem Todestag äußerte. Der Satz wurde später teilweise ironisch abgewandelt zu: „Ich habe jetzt keine Zeit, ich bin müde.“
Bis 1918 wurden im gesamten Reich mehr als tausend – teilweise absurde und monströse – Kaiser-Wilhelm-Denkmäler errichtet und sein Enkel, Wilhelm II. wollte ihn mit dem Titel „der Große“ auszeichnen. Das war dann doch des Guten zu viel und wurde abgelehnt.
So groß kann die angebliche Beliebtheit des Kaisers nicht gewesen sein, denn er überlebte fünf Attentate.
Kaiser Friedrich III.
Vollständiger Name Friedrich Wilhelm Nikolaus Karl von Preußen, geboren am 18. Oktober 1831 im Neuen Palais in Potsdam, gestorben am 15. Juni 1888 ebenda, ging in die Geschichte des Kaiserreiches als 99 Tage Kaiser ein. Viel Unheil konnte er in diesen 99 Tagen nicht anrichten, aber da war ja noch die Zeit davor.
Sein Vater ist Kaiser Wilhelm I., Kronprinz damals der ältere Bruder Friedrich Wilhelm, dessen Ehe mit Elisabeth Ludovika von Bayern kinderlos bleibt. Friedrich Wilhelm bestimmt ihn daher zum Kronprinzen.
Seine Erziehung verläuft typisch preußisch, neben der Vermittlung handwerklicher Fähigkeiten liegt der Schwerpunkt in der militärischen Ausbildung.
Unterbrochen wurde diese militärische Ausbildung durch ein Studium der Rechtswissenschaften an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, zudem besuchte er Vorlesungen über Geschichte, Politik und solche über die englische Verfassung. Zu dieser Zeit lebten seine Eltern im nahen Koblenz.
„Unter seinen Professoren waren bekannte Nationalliberale wie Ernst Moritz Arndt und Friedrich Christoph Dahlmann. Auch Kronprinzessin Augusta empfing in Koblenz zahlreiche Personen, die liberal oder konservativ-liberal dachten. Unter ihrem Einfluss wurde auch Kronprinz Wilhelm allmählich für den Gedanken einer konstitutionellen Monarchie empfänglich, die sich nach englischem Vorbild ausrichtete“, ist bei Wikipedia zu lesen.
Anlässlich der ersten Weltausstellung in London 1851 lernt er die acht Jahre jüngere Tochter der englischen Königin Viktoria kennen. Aus gutem Verstehen wird eine Ehe, am 17. Mai 1856 findet die Verlobung trotz Bedenken hauptsächlich aus Berlin statt, knapp zwei Jahre später wurde geheiratet.
Über seine Zeit als Kronprinz nach der Thronbesteigung durch seinen Vater schreibt Wikipedia:
„… Mit der Thronbesteigung seines Vaters Wilhelm I. avancierte Friedrich Wilhelm 1861 zum preußischen Kronprinzen. Von eingeschränkt liberaler politischer Gesinnung, die seine Mutter und seine Gattin förderten und unterstützten, galt er in den Folgejahren als Gegner der Innenpolitik seines Vaters und des Ministerpräsidenten Otto von Bismarck, zeigte sich allerdings in dieser Oppositionsrolle aufgrund seiner Loyalität zum Vater und Monarchen sowie aufgrund der außenpolitisch-militärischen Erfolge Bismarcks immer wieder gespalten und schwankend.“
Im Preußisch-Österreichischen Krieg 1866 war er Befehlshaber der 2. Preußischen Armee und nach der Niederlage bei Königgrätz kapitulierten die Österreicher und im Friedensschluss vom 23, August schieden sie aus dem deutschen Bund aus. Der Weg war frei für einen erneuten Krieg, dem Deutsch-Französischen und wieder zog der Kronprinz als Befehlshaber diesmal der 3. Preußischen Armee in diesen. In der Schlacht von Sedan und der Belagerung von Paris spielte er mit seinen Truppen eine entscheidende Rolle und in Berlin feierte man den Kriegshelden.
Seit Januar 1887 wird Kronprinz Friedrich Wilhelm von verschiedenen Ärzten in Deutschland und England untersucht, bzw. behandelt. Der Verdacht, Kehlkopfkrebs bestätigt sich. Er ist starker Raucher und „vielleicht sollte ich dieses Laster endlich aufgeben“.
Am 9. März 1888 stirbt sein Vater und Friedrich Wilhelm wird preußischer König und deutscher Kaiser.
Über seine 99 Tage Regentschaft ist zu lesen:
„… Als Friedrich Wilhelm durch den Tod seines Vaters am 9. März 1888 König von Preußen und damit Deutscher Kaiser wurde, nahm er, wie schon angekündigt, seinen ursprünglichen Rufnamen Friedrich an. Er war bereits so schwer an Kehlkopfkrebs erkrankt, dass er nicht mehr sprechen konnte. Seine nur dreimonatige Regentschaft („99-Tage-Kaiser“) endete bereits im Jahr der Thronbesteigung und machte mit der Thronbesteigung seines Sohnes Wilhelm II. (1888–1918) das Jahr 1888 zum Dreikaiserjahr. Die kurze Zeit seiner Regentschaft verbrachte er bis auf die letzten zwei Wochen im Schloss Charlottenburg. Volkstümlich wurde ihm der Spruch „Lerne leiden, ohne zu klagen!“ zugeschrieben.
Aufgrund seiner schweren Erkrankung konnte Friedrichs Plan, die Macht des Monarchen und des Reichskanzlers stärker an die Verfassung zu binden, nicht in die Tat umgesetzt werden.“
Eine Art Legende wird ihm angehängt (Wikipedia):
„… Friedrich III. galt als die „liberale Hoffnung“ Preußens und des Deutschen Kaiserreiches nach 1871, die durch seine späte Thronbesteigung und seinen frühen Tod zunichtegemacht worden sei. (…) Es ist jedoch unklar, wie liberal die Politik dieses zwischen preußischer Militärtradition und liberalen Ansichten schwankenden Monarchen tatsächlich gewesen wäre. Wegen des schlechten Gesundheitszustandes des Kaisers und der sich daraus ergebenden Rücksichtnahmen fanden Personalveränderungen, bis auf die Entlassung Puttkamers, kaum statt.
Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass es zu keiner weitergehenden Liberalisierung des Reiches gekommen wäre, auch wenn Friedrich eine längere Lebenszeit vergönnt gewesen wäre. Weder war er ein Anhänger des Parlamentarismus, noch vom liberalen Glauben an den politischen Fortschritt erfüllt. Bereits als Kronprinz hatte er sich als konservativer Konstitutionalist erwiesen, dem nicht an einer Weiterentwicklung der Reichsverfassung – etwa hin zu einem stärkeren Parlament – gelegen war. (…) Nach seinem Tod stilisierten die Regierung und die Liberalen den Kaiser zu einem Vertreter des Liberalismus, mit dem das Deutsche Reich ein liberaler Parlamentarismus nach britischem Vorbild hätte werden können – was heute als Mythos gilt.“
Am 15. Juni 1888 stirbt Friedrich III. im neuen Palais in Potsdam. Sein Nachfolger wird Wilhelm II.
Kaiser Wilhelm II.
Mit vollem Namen Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen, geboren am 27. Januar 1859 in Berlin, war der letzte Deutsche Kaiser und König von Preußen.
Sohn von Kaiser Friedrich III, Enkel von Wilhelm I. und Enkel der britischen Königin Victoria beendete er die Herrschaft der Hohenzollern mit seiner Abdankung am 9. November 1918. Seine Regierungszeit bezeichnet man als das „Wilhelminische Zeitalter“ und ein Ruhmesblatt war diese Epoche nicht.
Bei seiner Geburt gab es Komplikationen, Mutter und Kind überlebten zwar die sehr schwere Geburt, aber Wilhelm behielt eine Behinderung seines linken Armes, einer Armplexus-Lähmung, einer Nervenschädigung, wenn ich das richtig verstanden habe.
Wikipedia:
„… Einige Tage danach bemerkte man, dass das Kind diesen Arm nicht bewegen konnte. Der Arm blieb fortan in seiner Entwicklung deutlich zurück und war im Erwachsenenalter deutlich kürzer als der rechte und nur eingeschränkt beweglich.“
Und über die Einstellung insbesondere der Mutter heißt es weiter:
„… Keinen gesunden Thronfolger geboren zu haben, empfand Victoria als persönliches Versagen, und sie war nur schwer bereit, die Behinderung des Sohnes zu akzeptieren. Kaum etwas blieb unversucht, seine Behinderung zu beheben. Legendär sind Kuren wie das Einnähen des kranken Armes in ein frisch geschlachtetes Kaninchen oder Metallgerüste, die Wilhelm umgeschnallt wurden, um seine Haltung zu verbessern. Auf Fotografien versuchte man, die körperliche Behinderung dadurch zu kaschieren, dass der linke Arm auf dem Säbelkorb ruhte oder im Ärmel versteckt wurde. Wilhelm, von Geburt derart behindert, verbrachte laut eigenen Aussagen „eine recht unglückliche Kindheit“.
Gerade zehn Jahre alt und damit in dem damals üblichen Kadettenalter trat er beim 1. Garde-Regiment zu Fuß formell als Leutnant in die preußische Armee ein. Als Zwölfjähriger wurde er mit der Gründung des Deutschen Kaiserreiches nach dem Sieg über Frankreich 1871 auch zweiter Anwärter auf den deutschen Kaiserthron.
Abitur am Friedrichsgymnasium in Kassel, tritt er am 9. Februar 1877 seinen Militärdienst bei seinem Regiment an. 1880 wurde er am 22. März zum Hauptmann befördert. „Bereits in diesen Jahren bildete sich bei ihm ein Verständnis seiner monarchischen Rolle, das den liberal-konstitutionellen Vorstellungen seiner Eltern zuwiderlief. Seine folgenden Lebensstationen sind unter dem Aspekt einer Erziehung zum Monarchen zu sehen: Er sollte möglichst vielerlei Erfahrungen sammeln, erhielt aber in keinem Feld, nicht einmal im militärischen, die Chance, sich beruflich solide einzuarbeiten.“ (Wikipedia)
Ein viersemestriges Studium im Oktober 1877 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn schließt sich an und 1881 heiratete er Prinzessin Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg (1858–1921).
Bis ins Jahr 1888 diente er in wechselnden Regimentern und wurde schnell bis zum Generalmajor befördert, unterbrochen von Beurlaubungen, um während dieser Zeit mit der zivilen Verwaltung vertraut gemacht zu werden.
Mit Regierungsgeschäften hatte er wenig zu tun, dafür sorgte Reichskanzler Otto von Bismarck, der zwei Kaiser „beherrscht“ hatte und glaubte, auch der dritte akzeptiere seine Machtstellung.
Im „Dreikaiserjahr“ stirbt sein Vater am 15. Juni 1888 und der Sohn wird der Nachfolger. Und dem liegen angeblich soziale Reformen am Herzen, was Hoffnungen in der Arbeiterschaft weckt. Laut Bismarck habe er anlässlich eines Streiks im Ruhrgebiet verlauten lassen: „„Die Unternehmer und Aktionäre müssten nachgeben, die Arbeiter seien seine Untertanen, für die er zu sorgen habe; wollten die industriellen Millionäre ihm nicht zu Willen sein, so würde er seine Truppen zurückziehen; wenn dann die Villen der reichen Besitzer und Direktoren in Brand gesteckt, ihre Gärten zertreten würden, so würden sie schon klein werden“
Großen Ankündigungen folgten in der Regel keine Veränderungen, im Gegenteil, er baute seine absoluten Ansprüche weiter aus und lehnte eine Demokratisierung ab. So behielt Preußen z.B. das undemokratische Dreiklassenwahlrecht und die Regierung wurde nicht vom Reichstag gewählt, sondern vom Kaiser ernannt.
Zusammen mit Bismarck verhinderte er mit allen Mitteln ein Erstarken der Arbeitervereine und der SPD, verhindern konnten beide nicht, dass der Stimmenanteil dieser Partei wuchs.
„König der Armen“ wollte er sein, aber eine Versöhnung mit den Sozialdemokraten hielt er nicht für möglich. Er rief schließlich „zum Kampf für Religion, Sitte und Ordnung, gegen die Parteien des Umsturzes!“ auf. „Die Kirche wird’s schon richten und so suchte er eine Verbindung von „Thron und Altar“, erfolgreich, denn beide Konfessionen spielten mit: „Gib dem Kaiser, was des Kaisers ist.“
Mit dem „Abgang von Bismarck, „der Lotse geht von Bord“, wie es mit seiner Karikatur Sir John Tenniel titelte, begann eine neue Ära nach der letzten Periode der Regierungszeit Bismarcks, in der das Reich einer „Kanzlerdiktatur“ glich. Der Kanzler sollte ins Schloss kommen und sein Abschiedsgesuch mitbringen, Bismarck lehnte ab und per Bote bekam er am nächsten Tag, am 20. März 1890 seine Entlassung. Nachfolger wurde General Leo von Caprivi, einem englandfreundlichen Kanzler.
Unter dem neuen Kanzler begann der wirtschaftliche Aufschwung, auch als „Gründerzeit“ bezeichnet. Wikipedia schreibt:
„… Die Zeit ab 1870 war in Deutschland geprägt durch zahlreiche Unternehmensgründungen und insbesondere Aktiengesellschaften, die starke Erweiterung der Industrieproduktion und die Ausdehnung des Eisenbahnnetzes. (…) Dieses Wachstum wurde durch mehrere Faktoren hervorgerufen und von einer allgemeinen Euphorie im Zusammenhang mit der Reichsgründung begünstigt.
Ein weiterer Grund für das wirtschaftliche Wachstum war, dass in Deutschland 1870 die Konzessionspflicht für Aktiengesellschaften aufgehoben und die Gründung von Unternehmen von strengen gesetzlichen Einschränkungen befreit wurde (vgl. Gewerbefreiheit). Die Folge war die Gründung von 928 Aktiengesellschaften im Zeitraum von 1871 bis 1873 allein im Königreich Preußen. Dadurch wurde immer mehr privates Kapital in die Wirtschaft investiert. Es etablierten sich 61 neue Banken. Die Wirtschaft wuchs rasant; ebenso stiegen die Kurse der Aktien. Das schuf Vertrauen in den Markt und veranlasste weitere Aktionäre zu Aktienkäufen.“
Euro- Banken-Globalisierungskrise! Alles damals auch schon dagewesen, so z.B. 1873 ein Börsenkrach, womit der Einbruch der Finanzmärkte gemeint war. Vor allem durch den gewonnenen Krieg gegen Frankreich gab es eine Überhitzung der Konjunktur, wegbrechende Märkte und eine Überproduktion sorgten für diese.
Sicher auch ein Grund, die Wirtschat brauchte Geld und so kam es am 5. Mai auf den bis dato unbekannten Aktienmärkten 1873 zu großen Kursverlusten, ein vorweg genommener „Schwarzer Freitag“.
Wer war schuld? Ein Sündenbock war schnell gefunden, bei Wikipedia zu lesen:
„…Die Gründerkrise führt nicht zuletzt zu Verschwörungstheorien, die mit Kritik an der Hochfinanz verbunden wurden und somit zu einer weiten Ausbreitung und Radikalisierung des Antisemitismus, der in den 1880er Jahren zu einer breiten Unterströmung wurde. In dieser Wahrnehmung erfolgte eine Trennung in einerseits das „raffende“ Finanzkapital und das „schaffende“ Produktionskapital. Der „gute“, „bodenständige“, „deutsche“ Fabrikbesitzer wurde von antisemitischen Agitatoren (z. B. von Alexander Pinkert oder Theodor Fritsch) in diesem Stereotyp dem „raffenden“, „gierigen“, „blutsaugenden“, „jüdischen“ Finanzkapitalisten in Form des „Plutokraten“ und „Wucherers“ entgegengestellt. In der öffentlichen Debatte in Deutschland kam es zum Berliner Antisemitismusstreit von 1879 bis 1881, bei dem die sogenannte „Judenfrage“ gestellt wurde und um „den Einfluss des Judentums“ gestritten wurde.
Im Anschluss an die „Gründerkrise“ und wohl auch als Reaktion auf die wirtschaftlichen Erfolge jüdischer Unternehmer verstärkte sich der Antisemitismus und führte zur Bildung der „Berliner Bewegung“ (eine antisemitische Sammlungsbewegung, die in den 1880er Jahren im Deutschen Kaiserreich aktiv war). Infolge der Reichstagswahl 1893 zogen zum ersten Mal Vertreter antisemitischer Parteien in den Reichstag ein. Mit 16 Abgeordneten bildeten sie eine antisemitische Fraktion.“
Inwieweit der Kaiser diesen Antisemitismus teilte, darüber streiten die Historiker:
„… Aber selbst hochangesehene deutsche Historiker scheinen das Ausmaß des Antisemitismus’ Kaiser Wilhelms II. schwer einschätzen zu können. Sie weisen darauf hin, dass Wilhelm mit Männern wie Albert Ballin und Walter Rathenau – den sogenannten „Kaiserjuden“ – befreundet war und zahlreiche jüdische Wissenschaftler zum Professor ernannt hat, und folgern daraus, dass er deshalb kein Antisemit gewesen sein kann. Sie übersehen dabei, dass der Kaiser mehrmals erklärt hat, er sehe Ballin nicht als Juden an, dass er Rathenau als „gemeinen, hinterlistigen, niederträchtigen Verräter“ beschimpfte, der zu dem „inneren Ring“ der zweihundert Juden gehört habe, die die Welt regierten, und der mit Recht ermordet worden sei (…)“
– Wolfgang Benz, Werner Bergmann: Vorurteil und Völkermord. Entwicklungslinien des Antisemitismus.
Und von ihm stammt auch das folgende Zitat: „Ich denke gar nicht daran, den Thron zu verlassen wegen ein paar hundert Juden, den paar tausend Arbeitern! (Während der Novemberrevolution.)“. Und in einem Brief schrieb er: „Die Presse, die Juden und Mücken sind eine Pest, von der sich die Menschheit so oder so befreien muss“
Obwohl der Anteil der „jüdischen Bevölkerung“ n Reich nur bei etwa einem Prozent lag, breitete sich dieser Antisemitismus – mehr oder weniger offen gepflegt – rasch aus.
Daher wurde am 26. März 1893 der „Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ in Berlin gegründet, denn die Mehrheit betrachtete sich gewissermaßen als einen Teil der „deutschen Stämme“, womit auch der Zionismus abgelehnt wurde.
Beruflich erfolgreich waren Juden im Bereich von Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und den akademischen Berufen, Damit leisteten sie einen Beitrag zum deutschen und europäischen Kulturleben, der weit über ihrem prozentualen Bevölkerungsanteil lag.
Trotzdem oder gerade deshalb fasste der Antisemitismus politisch und gesellschaftlich Fuß. Wobei dies nicht ein Phänomen in Deutschland war, erinnert sei an die so genannte Dreyfus-Affäre in Frankreich, über diese schreibt Wikipedia folgende Erklärung:
“ … Als Dreyfus-Affäre bezeichnet man die Verurteilung des französischen Artillerie-Hauptmanns Alfred Dreyfus 1894 durch ein Kriegsgericht in Paris wegen angeblichen Landesverrats zugunsten Deutschlands (Deutsches Kaiserreich) und die dadurch ausgelösten, sich über Jahre hinziehenden öffentlichen Auseinandersetzungen und weiteren Gerichtsverfahren. Die Verurteilung des aus dem Elsass stammenden jüdischen Offiziers basierte auf rechtswidrigen Beweisen und zweifelhaften Handschriftengutachten. Für die Wiederaufnahme des Verfahrens und den Freispruch Dreyfus’ setzten sich zunächst nur Familienmitglieder und einige wenige Personen ein, denen im Verlauf des Prozesses Zweifel an der Schuld des Angeklagten gekommen waren.
Der Justizirrtum weitete sich zum ganz Frankreich erschütternden Skandal aus. Höchste Kreise im Militär wollten die Rehabilitierung Dreyfus’ und die Verurteilung des tatsächlichen Verräters Major Ferdinand Walsin-Esterházy verhindern. Antisemitische, klerikale und monarchistische Zeitungen und Politiker hetzten Teile der Bevölkerung auf, während Menschen, die Dreyfus zu Hilfe kommen wollten, ihrerseits bedroht, verurteilt oder aus der Armee entlassen wurden.
Der bedeutende naturalistische Schriftsteller und Journalist Émile Zola (1840 – 1902) musste beispielsweise aus dem Land fliehen, um einer Haftstrafe zu entgehen. Er hatte 1898 mit seinem berühmt gewordenen Artikel J’accuse…! (Ich klage an …!) angeprangert, dass der eigentlich Schuldige freigesprochen wurde.
Die im Juni 1899 neu gebildete Regierung unter Pierre Waldeck-Rousseau (er gehörte zur Partei der Republicains moderes = ‚gemäßigte Republikaner‘) setzte auf einen Kompromiss, nicht auf eine grundsätzliche Korrektur des Fehlurteils, um die Auseinandersetzungen in der Affäre Dreyfus zu beenden. Wenige Wochen nach seiner zweiten Verurteilung wurde Dreyfus begnadigt. Ein Amnestiegesetz garantierte gleichzeitig Straffreiheit für alle mit der Dreyfus-Affäre im Zusammenhang stehenden Rechtsbrüche. Lediglich Alfred Dreyfus war von dieser Amnestie ausgenommen, was es ihm ermöglichte, sich weiter um eine Revision des Urteils gegen ihn zu bemühen. Am 12. Juli 1906 hob schließlich das zivile Oberste Berufungsgericht das Urteil gegen Dreyfus auf und rehabilitierte ihn vollständig. Dreyfus wurde wieder in die Armee aufgenommen, zum Major befördert und darüber hinaus zum Ritter der französischen Ehrenlegion ernannt. Der strafversetzte Major Marie-Georges Picquart (1854 – 1914), ehemals Leiter des französischen Auslandsnachrichtendienstes (Deuxième Bureau) und eine Schlüsselfigur bei der Rehabilitierung von Alfred Dreyfus, kehrte mit dem Rang eines Brigadegenerals in die Armee zurück.“
Diese Affäre – offen gezeigter Antisemitismus – soll der entscheidende Grund sein, dass Theodor Herzl den Zionismus entwickelte. Und einen makabren Abschluss fand diese „Affäre“ Jahre später, Die Witwe Lucie Dreyfus überlebte die Judenverfolgung Hitlers, aber die Enkelin Madeleine Levy wurde in Auschwitz ermordet.
Zurück nach Deutschland und hier hatte dieser Antisemitismus ganz praktische Folgen. Bestimmte Berufe waren verschlossen, so konnten Juden nicht Offiziere werden und der preußische Kriegsminister Karl von Einem begründete dieses Verbot 1907 so:
„ … ein Eindringen jüdischer Elemente in das aktive Offizierskorps nicht nur für schädlich, sondern für direkt verderblich zu erachten sei“
Wikipedia listet weitere Beispiele auf:
“ … Der Anteil jüdischer Universitätsprofessoren lag prozentual deutlich unter dem Anteil jüdischer Privatdozenten … Führende Gelehrte – auch wenn sie die Antisemiten Bewegung als primitiv ablehnten – äußerten sich voller Misstrauen gegenüber dem Eindringen der Juden in die akademischen Berufe und zeichneten das Phantasiegebilde einer möglichen Herrschaft der Juden über die deutschen Universitäten.
Juden wurden nie auf einen Lehrstuhl für deutsche Sprache und Literatur oder für klassische Altertumswissenschaft und Sprachen berufen und bekamen vorwiegend nur in den sich neu entfaltenden mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern und der Medizin eine Chance.“
Der Nobelpreisträger Richard Willstätter schrieb:
„ … viel tieferen Eindruck, entscheidenden, hat auf mich die Haltung der Fakultäten gemacht, nämlich die häufigen Fälle, dass die Berufung jüdischer Gelehrter bekämpft und verhindert wurde, und die Art und Weise in der dies geschah. Die Fakultäten ließen Ausnahmen zu, gewährten aber keine Gleichberechtigung.“
Richter und andere höhere juristische Laufbahnen waren weitgehend verschlossen, einen jüdischen Minister gab es im Kaiserreich nicht (im Gegensatz z. B. zu Großbritannien, wo ein getaufter Jude – Benjamin Disraeli – Premierminister hatte werden können). Einzelne Personen jüdischer Abstammung blieben die große Ausnahme.
Der Antisemitismus des so genannten „Tausendjährigen Reiches war keine Erfindung der NSDAP, Vorbilder waren andere Parteien und Politiker, z.B. die „Deutschkonservative Partei“, die sich 1892 gegen Zitat:
“ .. den vielfach sich vordrängenden und zersetzenden jüdischen Einfluss auf unser Volksleben (einsetzte). und forderte eine christliche Obrigkeit und christliche Lehrer. „
Bestrebungen, den Juden die im Verlauf des 19. Jahrhunderts erlangte bürgerliche Gleichberechtigung wieder zu entziehen, wurden auch von Parteien im Reichstag vertreten, so verlangte eine Antisemitenpetition 1880/81 die Zurücknahme der bürgerlichen Gleichstellung der Juden, wurde jedoch von der preußischen Regierung und den liberalen Parteien im Reichstag abgelehnt.
Ein weiteres Beispiel sei hier eingefügt:
“ … Vom 4. bis 7. Februar 1901 debattierten der Reichstag und am 8. und 9. Februar 1901 das Preußische Abgeordnetenhaus (…).
In den Debatten, welche die Antisemitische Volkspartei AVP – Deutsche Reformpartei initiiert hatte, begründete diese, dass Konitz ein weiteres Beispiel für den übermäßigen Einfluss des Judentums auf die Ermittlungsbehörden offenbare und deutlich zeige, dass der im Volk gärende Ritualmordverdacht gegen den in ihren Augen mitschuldigen Moritz Lewy zu wenig verfolgt werde.
Gegen diese Argumentationsweise verwahrten sich die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Joseph Herzfeld und Arthur Stadthagen energisch. Sie bezeichneten die Ritualmordlegende „als blödsinniges, albernes Märchen“ und machten die AVP-Mitglieder für die Verbreitung des Ritualmordvorwurfs verantwortlich. Im preußischen Abgeordnetenhaus verurteilte der linksliberale Abgeordnete Heinrich Rickert, der zwischen 1895 und 1902 Vorsitzender des „Vereins zur Abwehr des Antisemitismus“ war, dezidiert die Pogrome in Konitz.“
Und natürlich gab es eine antisemitische Presse, z.B. die „Staatsbürger – Zeitung“. Deren Herausgeber und Abgeordneter im Reichstag Wilhelm Bruhn und seine verantwortlichen Redakteure wurden immerhin, nachdem er Walter Graf Pückler (1860–1924) über mehrere Jahre gezielt als antisemitischen Redner aufgebaut hatte, 1899 für den Abdruck einer Rede Pücklers wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt.
Viele Beispiele ließen sich noch aufführen, sie alle waren der Grundstein für die Politik des Braunen Gesindels der NSDAP.
Zurück zum „Tagesgeschäft“ und zum Reichskanzler. Leo von Caprivi wurde am 26. Oktober 1894 vom Kaiser entlassen und zum Nachfolger bestimmte dieser erstmals einen Nichtpreußen, den bayerischen Fürsten und Onkel – wie er in seinen Memoiren Ereignisse und Gestalten schreibt – Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst.
Der Nord-Ostsee-Kanal ist auch heute noch eine der wichtigsten Wasserstraßen, 1895 wurde er als Kaiser-Wilhelm-Kanal fertiggestellt und die Marinehäfen Kiel und Wilhelmshaven ließ Wilhelm II. in großem Maßstab ausbauen. Keine „Wohltat“ für das Reich, sondern eine gewichtige Rolle spielten militärische Gründe. (Ausbau der Flotte, Kolonialpolitik)
Während Bismarck und Caprivi sich noch gegen die deutsche Kolonialpolitik gewehrt hatten, trieb Wilhelm II. diese frei von allen Fesseln voran, trotz der Bedenken der Großmächte England, Frankreich und Japan.
Waren schon vor der Reichsgründung vereinzelt von deutschsprachigen Ländern, z.B. Brandenburg-Preußen ab 1680 überseeischer Kolonialbesitz erworben worden, erfolgte eine systematische „Kolonialpolitik“ erst nach dem Ausscheiden der beiden Kanzler ab 1894.
Wikipedia schreibt: „In diesem Zusammenhang besetzte und pachtete das Deutsche Reich (1898) die chinesische Hafenstadt Tsingtao auf 99 Jahre“ um einen Flottenstützpunkt in Ostasien zu haben.
1899 erwarb das Reich die Karolinen, ein im Inselgebiet von Mikronesien gelegener Archipel im westlichsten Teil des Pazifischen Ozeans. 1899 kamen die Marianen, eine Inselgruppe im Westpazifik hinzu, im gleichen Jahr Palau im Pazifischen Ozean und 1900 Westsamoa.
Eine Provokation Englands stellte 1896 die so genannte „Krügerdepesche“ dar. Wikipedia schreibt:
„.. 1896 versäumte Hohenlohe-Schillingsfürst es, Wilhelm von der „Krüger-Depesche“ abzuhalten, einem Glückwunschtelegramm an die Buren (…), die in Großbritannien mit Empörung aufgenommen und nachhaltig als Abkehr von der englandfreundlichen Politik Caprivis gedeutet wurde. In seinen Memoiren betonte Wilhelm, dass er gegen die Depesche gewesen sei, aber vom Kanzler Hohenlohe zur Unterschrift genötigt worden sei.“
Die Kanzlerschaft von Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst endet 1900, Nachfolger wird Graf Bernhard von Bülow, „der als Reichskanzler weder die anstehenden innenpolitischen Reformen betrieb noch die sich neu gruppierenden außenpolitischen Konstellationen, in Deutschland als Einkreisungspolitik empfunden, zu meistern vermochte“, so Wikipedia.
Und weiter:
„… Das Verhältnis zu Frankreich wurde jedenfalls nicht verbessert, England nun auch durch die Flottenpolitik herausgefordert und Russland auf dem Balkan nicht gegen die Österreichisch-Ungarische Monarchie unterstützt. Wilhelm vertraute Bülow, der ihm nachhaltig zu schmeicheln wusste, lange, bis zur Daily-Telegraph-Affäre 1908 (…)
Inzwischen hatte die öffentliche Meinung begonnen, den Kaiser grundsätzlich kritisch zu sehen, und eine Kampagne schadete ihm konkret: Schon 1906 hatte der Journalist Maximilian Harden in seiner Zeitschrift „Die Zukunft“ die Kamarilla um den Kaiser und damit das „persönliche Regiment“ des Kaisers angegriffen. Zu besonders harten Auseinandersetzungen führte seine Enthüllung, dass Philipp zu Eulenburg, ein enger Freund und Berater des Kaisers, homosexuell sei (was damals noch strafbar war) und einen Meineid geleistet habe, als er dies leugnete. Es folgten drei Sensationsprozesse gegen Eulenburg (Harden-Eulenburg Affäre), die trotz Freisprüchen das Ansehen des Kaisers beschädigten. (…)
1909 zerbrach der Bülow-Block, der Kaiser entließ Bülow und ernannte Theobald von Bethmann Hollweg zum Reichskanzler. Er überließ ihm die Außenpolitik, die aber ihre Ziele – Wiederannäherung an England und Distanzierung von der antirussischen Balkanpolitik Österreich-Ungarns – nicht erreichte. Die antifranzösische Politik wurde 1911 in der zweiten Marokkokrise durch deutschen Interventionismus im „Panthersprung nach Agadir“ verschärft. Heer und Flotte wurden weiter verstärkt. Markante Eingriffe Wilhelms unterblieben. Der Kaiser war zwar Militarist, aber kein Bellizist (deutsch auch als Kriegsverherrlichung bezeichnet), er wollte trotz seiner kriegerischen Reden im Grunde keinen Angriffs- oder Präventivkrieg. Er tat aber auch wenig, um dies deutlich zu machen.“
Erster Weltkrieg
Der erste Weltkrieg wird im Kapitel über diesen beschrieben. Vorausgegangen war diesem die so genannte Julikrise 1914, in der Wilhelm II. eine ambivalente Rolle spielte. „Er versuchte einerseits, den Frieden zu retten – durch einen fieberhaften Briefwechsel mit dem russischen Zaren („Lieber Nicky!“ – „Lieber Willy!“), der bei der nunmehr objektiven Kriegsentschlossenheit sämtlicher Kontinental-Großmächte gar nichts bewirkte. Andererseits drängte er zum Losschlagen. Faktisch steigerte der Kaiser letztlich die Kriegsgefahr, denn er ermächtigte Bethmann Hollweg nach dem Attentat von Sarajewo am 28. Juni 1914, Österreich-Ungarn eine Blankovollmacht für dessen aggressive Politik gegen Serbien zu erteilen“, so Wikipedia.
„Die Julikrise war die Zuspitzung der Konfliktlage zwischen den fünf europäischen Großmächten sowie Serbien, die auf die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 folgte und zum Ersten Weltkrieg führte. Bis heute werden die Motive und Handlungsweisen aller beteiligten Mächte, Politiker und Diplomaten sowohl in der Öffentlichkeit als auch unter Historikern kontrovers diskutiert“, schreibt Wikipedia.
Und nochmal Wikipedia:
„… Faktisch wurde nach der österreichisch-ungarischen Kriegserklärung an Serbien die Außenpolitik von Kaiser und Kanzler dem deutschen Generalstab überlassen: Die Mobilmachung im Russischen Reich erlaubte es nach dem Urteil der Generalität dem Deutschen Reich nicht, mit der Kriegserklärung an Russland und Frankreich länger zu warten, da sonst der deutsche Schlieffen-Plan, bei einem Zweifrontenkrieg erst schnell Frankreich, dann Russland zu schlagen, undurchführbar zu werden drohte.
Wilhelm mischte sich in der Folge nicht in militärische Zielsetzungen ein, überließ diese aber nicht verfassungsgemäß dem Reichskabinett, sondern der Obersten Heeresleitung (OHL).“
Mit der Fortdauer des Krieges verlor der Kaiser immer mehr an Bedeutung. Besonders die „Dritte oberste Heeresleitung“ unter Hindenburg und Ludendorff schloss ihn von den politischen und militärischen Entscheidungen völlig aus und ab 1917 hatte Ludendorff eine faktisch diktatorische Position.
Als „Gallionsfigur“ präsentierte am 13. Mai 1917 Wilhelm II. ein Kriegszielprogramm. Es forderte die Bestrafung aller Gegner, sogar der USA (in Form von Reparationen).
Wikipedia zählt auf:
„… Neben ausgedehnter kolonialer Expansion – Malta, Zypern, Ägypten, Mesopotamien an die Türkei, Madeira, Kapverden, den Azoren und der Kongo an Deutschland – erwartete er die Anbindung der autonomen Länder Polen, Kurland, Litauen, Ukraine, Livland und Estland an sein Reich.
Außerdem forderte er unrealistische Kriegsentschädigungen von allen Kriegsgegnern. Allerdings stand Wilhelm II. gerade in dieser Zeit eher im Hintergrund, er hatte selten ein entscheidendes Wort mitzureden, so dass sein Programm in Kreuznach nicht sehr ernst genommen wurde und nur, was den kolonialen Bereich betraf, in der politischen Planung berücksichtigt wurde.
Im Rahmen einer Balkanreise begeisterte sich der Kaiser über die reichen Gebiete Rumäniens. Das eroberte Land hatte ihm „außerordentlich gefallen“, „bei guter Verwaltung würde das Land zu einer Quelle größten Reichtums werden“.
1918 autorisierte er den Plan, Russland nach Abtretung Polens, des Baltikums und des Kaukasus in vier unabhängige „Zarentümer“ zu teilen: die Ukraine, den Südostbund als antibolschewistisches Gebiet zwischen der Ukraine und dem Kaspischen Meer sowie in Zentralrussland und Sibirien. Diese Form der Beherrschung ergäbe eine „Brücke nach Zentralasien zur Bedrohung der britischen Stellung in Indien“. Der Plan eines „Südostbundes“ stand dabei in Konkurrenz zu osmanischen Absichten. Kanzler Georg von Hertling, der Livland und Estland „in gewisser Ferne als freundschaftlich uns angeschlossene Staaten“ bezeichnete, wurde von Wilhelm zurückgewiesen: „Unsinn! Das Baltikum ist eins, und ich werde sein Herr und dulde keinen Widerspruch, Ich habe es erobert und kein Jurist kann es mir nehmen!“
Völlig „durchgeknallt“ das „Sendebewusstsein“ des Kaisers, das Wikipedia beschreibt:
„Wilhelm sah sein protestantisches Kaisertum, vor allem im Gegensatz zum Haus „Habsburg-Parma“, zunehmend als seine Sendung an:
„Das ultrabigotte Haus Parma erstrebt eine konfessionelle Einkreisung des vom verhaßten Hohenzollernhaus regierten Deutschlands. Unter Wiens Führung, sollen im Bündnis mit ihm, Italien – durch Rückgabe von Trentino und Tirol gewonnen – Frankreich, Polen und Litauen bis ans Meer vereinigt werden! Daher Polens Selbständigkeit und die Wiederaufnahme der in Homburg beseitigten austropolnischen Lösung. Daher ein selbständiges Litauen unter katholischen Fürsten; daher der Widerstand gegen unsere Angliederung des Baltikums inklusive Liv- und Estland, die Litauen angeschlossen und katholisiert werden sollten, um uns vom Meer abzuschneiden.“
Matthias Erzberger, der diesen Interessen diene, sei „ein schurkenhafter Verräter, der unschädlich gemacht werden muß.“
Das Fass ist voll ob derartigem weltfremden Wahnsinn, Am 3. Juni 1917 erscheint in der „Neuen Züricher Zeitung“ ein „offener Brief“ meines Verwandten Klabund an Kaiser Wilhelm II., in dem er diesen zum Rücktritt auffordert, er schreibt:
„… Majestät, Sie haben es in der Hand, den Frieden baldigst zu beschwören. Der Friede eines solchen Krieges kann nicht geschlossen werden: zwischen den vom Volk gewählten und vor dem .Volk verantwortlichen Leitern freiheitlich regierter Länder einerseits und zwischen einem einzig autoritären Manne anderseits, der verfassungsmäßig der einzig befugte zum Friedensschluss ist und seine Macht nicht direkt vom Volk, sondern von der übernatürlichen, übermenschlichen Idee des Gottesgnadentums empfing. Die neue russische Regierung und Wilson in Amerika – die friedensfreundlichsten Ihrer Feinde -, sie warten nur darauf, dass Sie den Weg zur Freiheit Ihres Volkes beschreiten, der es ihnen ermöglichen würde, die Stimme dieses Volkes zu hören und mit seinen Erwählten zu verhandeln.“
Genützt hat dieser Aufruf nichts, Hohenzoller bleibt Hohenzoller.
Eine gescheiterte Frühjahrsoffensive im Westen 1918, verlorene Schlachten des deutschen Heeres und Erfolge der Westalliierten, ein drohender Zusammenbruch des verbündeten Österreich-Ungarn – die „Oberste Heeresleitung“ verlangte am 28. September 1918, ein Waffenstillstandsgesuch und die Übergabe der politischen Verantwortung an eine zivile Regierung.
US-Präsident Woodrow Wilson macht einen Waffenstillstand von der Abdankung des Kaisers abhängig, bevor Friedensverhandlungen über das 14-Punkte-Programm des Präsidenten erfolgen können.
Um es abzukürzen, nach zuerst erfolglosen Versuchen aus der Politik und aus Parteien, die sich zogen und allerlei Versuchen, den Thron zu retten und sei es auch nur der preußische, dankte Wilhelm II. offiziell am 28. November 1918 ab, nachdem bereits am 9. November Philipp Scheidemann (SPD) und Karl Liebknecht (Spartakusbund) die Republik ausgerufen hatten.
Text der Abdankungsurkunde:
„Ich verzichte hierdurch für alle Zukunft auf die Rechte an der Krone Preussens und die damit verbundenen Rechte an der deutschen Kaiserkrone. Zugleich entbinde Ich alle Beamten des Deutschen Reiches und Preussens sowie alle Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften der Marine, des Preussischen Heeres und der Truppen der Bundeskontingente des Treueides, den sie Mir als ihrem Kaiser, König und Obersten Befehlshaber geleistet haben. Ich erwarte von ihnen, dass sie bis zur Neuordnung des Deutschen Reichs den Inhabern der tatsächlichen Gewalt in Deutschland helfen, das Deutsche Volk gegen die drohenden Gefahren der Anarchie, der Hungersnot und der Fremdherrschaft zu schützen.
Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel. – Gegeben Amerongen, den 28. November 1918. – Wilhelm“
Der Kaiser erhält in den Niederlanden Exil, zuerst auf Schloss Amerongen (Niederlande), danach im Haus Doorn bei Utrecht. Dort stirbt seine Frau Kaiserin Auguste Viktoria am 11. April 1921 und bereits am 5. November 1922 heiratet er die verwitwete Prinzessin Hermine von Schönaich-Carolath.
Aus Wikipedia:
„… Wilhelm versammelte Gelehrte zu kulturhistorischen Studien um sich („Doorner Arbeitskreis“), verfasste seine Memoiren und weitere Bücher und hielt sich für die Wiederherstellung der Monarchie bereit. Unter anderem durch den Hitlerputsch 1923 sah er sich in der These bestätigt, nur ein Monarch könne Ruhe und Ordnung garantieren.
Gleichwohl wurden Hoffnungen auf eine kurzfristige und übergangslose Restauration der Monarchie schon bald auch im engsten Kreis um Wilhelm (…) als Ausdruck „vollkommener Hirnverbranntheit“ betrachtet. Diese nachhaltige Ernüchterung wurde nicht zuletzt durch die Tatsache gefördert, dass maßgebliche Monarchisten in Deutschland nach 1925 offen aussprachen, dass weder Wilhelm noch einer seiner Söhne ernsthaft als Thronprätendent in Betracht komme. Der wegen der Flucht und der Gerüchte über seinen Lebenswandel seit 1919 geradezu als „unmöglich“ geltende Kronprinz vertrat im Einvernehmen mit seinem Vater bereits im Mai 1924 die Auffassung, dass zunächst „ein Diktator den Karren aus dem Dreck ziehen“ müsse.“
Einer der größeren Fehler in der „jungen Republik“ war, neben den Hohenzollern auch die anderen ehemaligen „herrschenden Häuser“ und den Adel großzügig abzufinden, obwohl Wilhelm „aus seinem Hass auf die „Saurepublik“ keinen Hehl machte (Wikipedia).
Und Wikipedia schreibt: „Während der Endphase der Weimarer Republik machte sich Wilhelm (bestärkt durch seine Frau, die im Reich umherreiste, und zwei Besuche Görings 1931 und 1932) Hoffnungen auf eine Wiederherstellung der Monarchie durch das NS-Regime. Dies erschien damals insofern nicht ganz unrealistisch, als die in vieler Hinsicht für die Nationalsozialisten vorbildhaften italienischen Faschisten den König von Italien auch während Mussolinis Diktatur im Amt beließen. Die Hoffnungen auf eine Wiedereinsetzung des Kaisers erwiesen sich nach der Machtergreifung der NSDAP Anfang 1933 als Illusion. Wilhelm entwickelte eine zunehmend distanzierte Haltung zur politischen Entwicklung in Deutschland.
Dazu gehörte, dass im November 1938, als er von dem antijüdischen Pogrom, der „Kristallnacht“, erfuhr, er sich entsetzt zeigte, von Schande sprach und jeden Deutschen aufforderte, dagegen zu protestieren.
Nach der „Machtergreifung Hitlers urteilt Wilhelm am 7. September 1933: „Alles wird von den Leuten ja beseitigt: die Fürsten, der Adel, die Offiziere, die Stände usw.; aber das wird sich rächen, man wird die einzige Fahne, die sie noch übrig gelassen haben, die mit dem Hakenkreuz, noch einmal verfluchen, und die Deutschen selber werden sie eines Tages verbrennen“ und hier hat er recht behalten.
Voller Widersprüche schickte er dann allerdings am 17. Juni 1940 Adolf Hitler ein Glückwunschtelegramm, indem er ihm zum Sieg über Frankreich gratulierte:
„Unter dem tiefergreifenden Eindruck der Waffenstreckung Frankreichs beglückwünsche ich Sie und die gesamte deutsche Wehrmacht zu dem von Gott geschenkten gewaltigen Sieg mit den Worten Kaiser Wilhelms des Großen (gemeint ist sein Großvater Wilhelm I.) vom Jahre 1870: ‚Welche Wendung durch Gottes Fügung‘. In allen deutschen Herzen erklingt der Choral von Leuthen, den die Sieger von Leuthen, des Großen Königs Soldaten, anstimmten: ‚Nun danket alle Gott‘“
– Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918–1945. Serie D, Band 9: Die Kriegsjahre. 18. März bis 22. Juni 1940.
Als im April 1940 der deutsche Angriff auf die Niederlande bevorstand, teilte ihm die niederländische Königin Wilhelmina – die bis dato jeden Kontakt mit Wilhelm vermieden hatte – mit, dass seine Internierung aufgehoben sei und er jederzeit ausreisen könne. Zudem kam ein Asyl-Angebot des englischen Königs Georg VI., Wilhelm lehnte beides ab und blieb „wegen seines hohen Alters“ in Doorn. Nach der Besetzung der Niederlande im Mai 1940 wurde das Gelände in Doorn zwar von der „Geheimen Feldpolizei“ abgeriegelt und der „Kaiser“ durfte dieses nach wie vor nur zu kurzen Ausflügen und in Begleitung verlassen, ansonsten aber geschah nichts, der Exmonarch war völlig uninteressant und bedeutungslos geworden.
Wilhelm II. – Exkaiser von Deutschland – Exkönig von Preußen und „Chef des Hauses Hohenzollern“ – starb am 4. Juni 1941 um 12:30 Uhr in Doorn nach einer Lungenembolie.
Wikipedia schreibt:
„… Trauerfeiern im Reich wurden verboten. Die NS-Machthaber erlaubten nur einer kleinen Zahl von Personen (dem engeren Familienkreis, einigen ehemaligen Offizieren, darunter Generalfeldmarschall August von Mackensen) die Fahrt in die besetzten Niederlande zur Teilnahme an der Beisetzung. Der Kaiser hatte seine Beisetzung im engsten Kreis verfügt und Trauerreden, Kränze, Fahnen (um Hakenkreuzfahnen zu vermeiden) untersagt. An der Trauerfeier nahmen Abordnungen der alten Armee und der neuen Wehrmacht teil, die Bestattung endete auf Wunsch des Kaisers mit dem von der Wehrmachtskapelle gespielten Choral und Gebetslied des Großen Zapfenstreichs „Ich bete an die Macht der Liebe“. Wilhelm wurde zunächst in einer Kapelle nahe dem Doorner Torhaus beigesetzt, wobei drei Hände Potsdamer Erde aus der Gegend des Antikentempels – dem Bestattungsort der Kaiserin Auguste Viktoria, später auch von Hermine von Schönaich-Carolath – auf seinen Sarg gestreut wurden. Später wurde sein Sarg in das nach seinen Zeichnungen postum erbaute Mausoleum im Park von Haus Doorn überführt.“
Es wird eine absurde „Feier“ gewesen sein, die alte Reichswehr der Hohenzollern und die neue, verbrecherische Wehrmacht Adolf Hitlers vereint beim großen Zapfenstreich und gemeinsam wird die „Macht der Liebe“ angebetet. Zwei Armeen, an deren Händen Blut klebt und die verantwortlich sein werden für den Tod von Millionen.
Am Dienstag den 4. August 1931 erscheint in der Zeitschrift „Die Weltbühne“ eine Glosse des Autors Ignaz Wrobel mit dem Titel: „Der bewachte Kriegsschauplatz“ und darin schreibt er „Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.
Ignaz Wrobel ist der Schriftsteller Kurt Tucholsky. Carl von Ossietzky schreibt bereits kurz nach den Veröffentlichung: „Es ist falsch wenn man annimmt, dass es sich um die Diffamierung eines Standes handelt; es handelt sich um die Diffamierung des Krieges“ und dem schließe ich mich an.
Sein von ihm selbst ausgewählter Grabspruch lautet:
„Lobet mich nicht, denn ich bedarf keines Lobes;
Rühmet mich nicht, denn ich bedarf keines Ruhmes;
Richtet mich nicht, denn ich werde gerichtet werden.“
Falsch ist nur die letzte Zeile, denn er wurde nie gerichtet.
Wilhelm II, verfügte, dass eine „Umbettung seiner Gebeine in deutsche Erde“ erst nach der Wiedererrichtung der Monarchie in Deutschland durchzuführen sei.
Seine Persönlichkeit beschreibt der US-amerikanische Historiker Robert K. Massie zum Zeitpunkt des Regierungsantritts:
„Wer den neuen deutschen Kaiser betrachtete, sah einen knapp mittelgroßen Mann mit rastlosen, strahlend blauen Augen und lockigem hellbraunen Haar. Sein auffallendstes Merkmal war ein buschiger Schnurrbart mit aufgebogenen Spitzen, die Kreation eines geschickten Barbiers, der jeden Morgen mit einer Dose Wachs im Schloss erschien. … Wilhelm II. wünschte die Zustimmung und Zuneigung seines Volkes, sehnte sich sogar danach, aber die höchste Macht lag für ihn nicht beim Volk oder seinen Vertretern im Reichstag, sondern beim Monarchen, der loyal von seiner Armee unterstützt wurde. „Er war unsicher und arrogant, intelligent und impulsiv, vernarrt in die moderne Technik und zugleich verliebt in Pomp und Theatralik.“
Und Wikipedia fügt hinzu:
„… Anhaltende Schwierigkeiten waren Wilhelm II. verhasst. Das begünstigte wohl auch seine sprichwörtliche Reiselust. Vor allem aber ließ er deswegen auch bewährte Freunde und Parteigänger schnell im Stich, so dass zunehmend Höflinge mit diplomatisierendem Charakter seinen Umgang ausmachten und seine Personalauswahl bestimmten (so wohl auch die Wahl Bülows). Offiziere, unter denen er sich wohl fühlte, erweiterten sein Urteil wenig, denn sie hatten im Zweifel die politischen Vorurteile ihrer kastenartig abgeschlossenen Berufsgruppe, und auch ihr Stil des Schwadronierens färbte auf ihn ab.
Von seiner Persönlichkeit her gesehen behinderten narzisstische Züge seine Einfühlungsgabe und sein Urteil über Andere, wie etwa über Nikolaus II. von Russland. Er selbst sah sich als geradezu und offen, doch seine Taktlosigkeiten waren bekannt. Sie fielen seiner Mitwelt besonders bei seinem Regierungsantritt und bei Bismarcks Entlassung ins Auge. (…)
Gar nicht folgte er der öffentlichen Zurückhaltung des alten Kaisers. Mit Selbstdarstellungseifer drängte Wilhelm II. oft ostentativ in die Öffentlichkeit, wobei seine nicht unbeachtliche Rednergabe ihm Echo einbrachte, ihn aber auch zu politisch bedenklichen Formulierungen hinriss. Auch begünstigte dieser Übereifer sein Verhältnis zu den Massenmedien. Man kann ihn als ersten Medienmonarchen des 20. Jahrhunderts ansehen.
Sein Faible für Uniformen und Orden trug zum Klischee-Bild des nach ihm benannten Wilhelminismus bei. Ein Höhepunkt dieses Stils war die pompöse und von der Berliner Bevölkerung als „Puppenallee“ belächelte Siegesallee im Tiergarten mit 32 Statuen der Brandenburger und Preußischen Markgrafen, Kurfürsten und Könige und weiteren 64 Nebenfiguren. (…)
Wilhelm war zunächst recht populär. Die weniger geschätzten Züge einer Reichseinigung „von oben“ mit Bewahrung alter Machtstrukturen fand in der Kaiserverehrung einen willkommenen Ausgleich. Die weithin monarchistisch gesinnte Presse nahm dies auf, man fand für ihn die Bezeichnungen „Arbeiterkaiser“ und „Friedenskaiser“ (dies geht u. a. auf den Vorschlag von Emanuel Nobel von 1912 zurück, Kaiser Wilhelm II. den von Alfred Nobel gestifteten Friedensnobelpreis zuzusprechen, damals hatte das Deutsche Reich unter seinem Kaisertum 24 Jahre Frieden gehalten.). Doch wurde er andererseits auch als bedrohlich empfunden (vgl. Ludwig Quiddes als Kritik an Wilhelm II. aufgefasste und vielrezipierte 1894er Studie Caligula zum „Cäsarenwahnsinn“) oder aber verspottet: „Der erste war der greise Kaiser, der zweite war der weise Kaiser, der dritte ist der Reisekaiser.“
Auch in der Bezeichnung „Redekaiser“ steckte Kritik. Über seine vielen verschiedenen Uniformen – Graf Philipp zu Eulenburg sprach von „Alle Tage Maskenball!“ – wurden Witze gemacht:
„Serenissimus, im Badezimmer ist ein Rohr geplatzt. – Bringen Sie die Admiralsuniform.“
– Simplicissimus
Von den ihn kritisierenden Demokraten, Sozialisten, Katholiken, auch den kritischen Minderheiten (die Polen, seit 1864 die Dänen, seit 1866 die Welfen/Hannoveraner, seit 1871 die Elsass-Lothringer) wurde ihm zunächst das die öffentliche Meinung beherrschende Bürgertum am gefährlichsten. Bei vielen Schriftstellern war er nicht angesehen, der ironische Thomas Mann war in seinem Roman „Königliche Hoheit“ noch am mildesten mit einem behinderten und etwas einfältigen Dynasten umgegangen. Direkte Kritik verbot der Paragraph zur „Majestätsbeleidigung“ im Strafgesetzbuch, aber die Witze über ihn wurden immer beißender. Man vergleiche nur das viel positivere Kaiserbild des alten Kaisers Franz Joseph in Österreich-Ungarn.
Sein eigener Onkel, der britische König Eduard VII. beschrieb ihn einmal als den „brillantesten Versager der Geschichte“.
Volker Ullrich (Historiker) urteilte auf Grund der nunmehr vollständig vorliegenden Studie Röhls über Wilhelm II. 2008:
„Mit seiner Geringschätzung alles Zivilen, seiner Verachtung der Slawen, seinem Hass auf die Juden, seinen ausufernden Weltmachtfantasien vertrat er Haltungen und Ideen, die von den Nationalsozialisten aufgegriffen, radikalisiert und in die Tat umgesetzt wurden. Insofern ist es durchaus berechtigt, ihn als einen Vorboten Hitlers zu bezeichnen.“
Von Philipp Scheidemann (SPD) und Karl Liebknecht (Spartakusbund), sowie seinem Vetter Max von Baden aus dem Amt getrieben, hätte der Exkaiser mitsamt seiner Familie die „über 500 Jahre lang getragene große politische Verantwortung in Europa“ getrost anderen überlassen können. Aber da waren ja noch seine Söhne und die standen allzeit bereit, diese Verantwortung fort zu führen.
Kronprinz Wilhelm (1882–1951) und Wikipedia schreibt:
„… Wilhelm stand auf der Liste von 895 echten und vermeintlichen Kriegsverbrechern, deren Auslieferung die Siegermächte des Ersten Weltkriegs im Friedensvertrag von Versailles verlangten. Deutschland kam dieser Forderung nicht nach, erst im Februar 1920 erklärten die Siegermächte, sich mit einer Aburteilung vor einem deutschen Gericht zu begnügen. Auch dazu kam es nicht. Ende 1923 kehrte Wilhelm nach Deutschland zurück, was ihm unter Mitwirkung des Reichskanzlers Gustav Stresemann ermöglicht wurde.“
Er wird noch eine wichtige Rolle spielen in einem Verfahren auf Rückgabe ehemaligen „Eigentums“ der “Hohenzollern. Der Grund seiner Rolle: Die Nazivergangenheit des „Kronprinzen“.
Eitel Friedrich (1883–1942) – Wikipedia:
„… Nach dem Krieg war Eitel Friedrich im Stahlhelm und im Semper talis Bund (StB) aktiv. Er war Mitglied des monarchistischen Bundes der Aufrechten. 1921 wurde er wegen Kapitalverschiebung von 300.000 Mark ins Ausland zu einer Geldbuße von 5.000 Mark verurteilt. Er war Mitbegründer der Harzburger Front, aber ein Gegner Hitlers.
Adalbert (1884–1948) – Wikipedia:
„…Er wurde als dritter Sohn Kaiser Wilhelms II. und seiner Gemahlin Kaiserin Auguste Viktoria geboren. (…) Im Ersten Weltkrieg war Adalbert zuerst als Navigationsoffizier auf SMS Kaiser, kam dann später in den Stab des II. Admirals des IV. Geschwaders und war seit Mai 1917 Kommandant des Kleinen Kreuzers SMS Danzig. Adalbert lebte (…) sehr zurückgezogen und nahm keinen Anteil an der deutschen Politik.“
August Wilhelm (1887–1949) – Wikipedia:
„…Unter dem Kurznamen „Auwi“ wurde er in der Endphase der Weimarer Republik und der frühen Zeit des Nationalsozialismus durch sein begeistertes Eintreten für Adolf Hitler und den Nationalsozialismus zu einer bekannten Figur.“
Oskar (1888–1958) – Wikipedia:
„… Nach dem (I. Weltkrieg) war er im „Stahlhelm“ aktiv und versorgte ab 1932 mit seinem Bruder Eitel Friedrich seinen exilierten Vater und früheren Kaiser Wilhelm II. mit Informationen gegen die Nationalsozialisten, deren scharfer Gegner er stets war. Seit 1932 gehörte er dem Vorstand der Deutschnationalen Volkspartei an.
(Oskar war) später Herrenmeister des Johanniterordens und Generalmajor der Wehrmacht.
Joachim (1890–1920) – Wikipedia:
„…(Er war) der sechste Sohn und starb am 18. Juli 1920 durch Selbstmord.
Das Kapitel „Militarismus“ kann natürlich nicht abgeschlossen werden ohne Carl Zuckmayer und seinen „Hauptmann von Köpenick“ und der beschreibt den Schuster Wilhelm Voigt, der am 16. Oktober 1906 als Hauptmann verkleidet mit einem Trupp gutgläubiger Soldaten in das Rathauses der Stadt Cöpenick eindringt, den Bürgermeister verhaftete und die Stadtkasse raubt.
Natürlich lachte halb oder ganz Deutschland über diese Köpenickiade, aber es gab auch nachdenkliche Stimmen, die sich über diesen Untertanengeist und über die unkritische Haltung gegenüber einer Uniform Gedanken machten. Der Berliner Autor Ruprecht Fieling schreibt:
“ … Mit seiner dreisten Tat machte der falsche Hauptmann den deutschen Untertanengeist in der ganzen Welt lächerlich“
Und weniger spaßig ist die so genannte Zabern-Affäre. Wikipedia beschreibt diese wie folgt:
„ … Die Zabern-Affäre war eine innenpolitische Krise, die sich Ende 1913 im deutschen Kaiserreich ereignete. Anlass waren Proteste im elsässischen Zabern (frz. Saverne), dem Standort zweier Bataillone des preußischen Infanterie-Regiments 99, nachdem ein Leutnant (Leutnant Günter Frh. v. Forstner) die elsässische Bevölkerung beleidigt hatte. Das Militär reagierte auf die Proteste mit rechtlich nicht gedeckten Willkürakten.“
Aber auch im „Zivillieben“ des Reiches herrschte ein ähnlicher Geist, wenn man sich an die Aussage des konservativen Abgeordneten Elard von Oldenburg-Januschau erinnert, der in einer Reichstagsrede am 29. Januar 1910 schwafelte: „Der König von Preußen und der deutsche Kaiser muss jeden Moment imstande sein, zu einem Leutnant zu sagen: Nehmen Sie zehn Mann und schließen Sie den Reichstag!“
Oldenburg-Januschau war nicht irgendein Abgeordneter, sondern Nachbar und ein persönlicher Freund Paul von Hindenburgs und gehörte zur „Kamarilla“ (Kreis von „Schattenmännern) um den Kaiser und später um den Reichspräsidenten Die Sozialdemokraten titulierte er in einer Rede als „Schweinebande“.
Geradezu menschenverachtend war die Einstellung der Hohenzollern gegenüber der Bevölkerung, Genannt wurde bereits das „Drei-Klassen Wahlrecht“, aber auch die Jahrhunderte praktizierte „Leibeigenschaft“ zeugt vom Geist in der Monarchie, über die Wikipedia schreibt:
„… Bereits das allgemeine preußische Landrecht von 1794 bezeichnete die Leibeigenschaft als unzulässig. Im Königreich Preußen wurde die Erbhörigkeit, Erbunterthänigkeit und Leibeigenschaft nach jahrzehntelanger stufenweiser Beseitigung erst 1807 durch Erlass des Königs im Zuge der Preußischen Reformen (Oktoberedikt) mit Wirkung zum Martinstag 1810 endgültig abgeschafft. Durch ein Edikt vom 14. Sept. 1811 wurde die Eigentumsverleihung der Bauernhöfe und die Abschaffung der Naturaldienste ausgesprochen.“
Ein trauriges Kapitel ist das „Frauenwahlrecht“ – in Deutschland im November 1918 unmittelbar nach der Auflösung der Monarchie eingeführt, damit Frauen in Deutschland bei der Wahl zur Deutschen Nationalversammlung am 19. Januar 1919 erstmals auf nationaler Ebene wählen konnten.
Im deutschen Kaiserreich gab es über 40 Parteien, von denen die wenigsten demokratische und soziale Ziele hatten, sie tauchen immer wieder in allen möglichen Artikeln dieser Seite auf. Keine dieser Parteien setzte sich für Frauenrechte ein. Sie waren eine reine „Männergesellschaft“.
Aus Wikipedia:
„… In Deutschland gab es bis 1919 etwa 44 Gesindeordnungen, wovon 19 auf Preußen entfielen und die übrigen sich auf die anderen Staaten verteilten. Alle Gesindeordnungen untersagten dem Gesinde das Recht auf Zusammenschluss und das Streikrecht und erlaubten dem Hausherrn in einem gewissen Rahmen die Züchtigung des Gesindes. Das Recht der körperlichen Züchtigung wurde erst ab 1. Januar 1900 im Deutschen Reich aufgehoben.
Zum 12. November 1919 wurde die Beschränkung des Vereins- und Versammlungsrechte für Bedienstete und Hauspersonal aufgehoben, die bis dahin 44 gültigen Gesindeordnungen wurden außer Kraft gesetzt.“.
Es ist erstaunlich, wie wenig sich über diese „Gesindeordnungen“ finden läßt, obwohl sie einen geradezu menschenverachtenden Einfluss auf die betroffene Bevölkerungsschicht hatten. In der Beschreibung der sächsischen „Ordnung“ ist der Hinweis zu finden, dass bereits seit dem Jahre 1482 gesetzliche Bestimmungen erlassen wurden, die sich mit der Gesindeordnung befassten.
Der Gesindeordnung von z.B. Schaumburg-Lippe ist zu entnehmen, dass dort seit 1699 eine solche bestand und in Preußen wurde die dortige 1810 neu gefasst, also ist auch diese wesentlich älter. In anderen Herrschaftsbereichen sah es nicht viel anders aus.
Ein Fazit: Alle „zivilen“ und militärischen Gesetze, Bestimmungen und Erlasse des Kaiserreiches hatten am wenigsten mit dem einfachen Volke zu tun, sie dienten fast ausschließlich der Staatsräson und den herrschenden Klassen.
Als 1919 endlich die „große politische Verantwortung“ des Hauses Hohenzollern erlosch, bestand mit der Weimarer Republik die große Chance einer demokratischen Regierungsform. Dass diese scheiterte, gelang mit kräftiger Unterstützung“ der ehemals Regierenden und der Militärs.
Im Nachhinein
Nachdem sich die ehemaligen „ersten Diener des Volkes“ jahrhundertelangvöllig ungeniert aus den „Töpfen des Staates“ bedient hatten, fordert die jetzige Generation der Hohenzollern Entschädigung für ihre „selbstlosen Dienste“ und für die „große politische Verantwortung in Europa“ die das Haus Hohenzollern getragen hat.
Wikipedia schreibt:
„… Seit 2014 ist der Kronprinz Gegenstand eingehender Betrachtungen durch die historische Forschung, veranlasst durch Entschädigungsforderungen der Hohenzollern an die Öffentliche Hand aufgrund des 1994 verabschiedeten Gesetzes „über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können“ (Ausgleichsleistungsgesetz – AusglLeistG) (EALG).
Es sah neben geringen Zahlungen an die durch entschädigungslose Enteignungen in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR Geschädigten die „Rückgabe beweglicher Sachen“ vor, nämlich des gesamten Inventars der enteigneten Immobilien.
Als es nach Ablauf der im Gesetz vorgeschriebenen 20-Jahre-Frist im Jahr 2014 zu keiner Rückerstattung gekommen war, stand Georg Friedrich Prinz von Preußen, der 1994 seinem Großvater als Chef der Hohenzollern gefolgt war, in diskreten Verhandlungen um Rückgabe oder Entschädigung für bedeutende Kunstwerke, die sich nun ohne gesetzliche Grundlage in Museen befinden.
Nach Bekanntwerden der Forderungen gewann die Bestimmung des Ausgleichsleistungsgesetzes besondere Bedeutung, wonach keine Entschädigung möglich ist, wenn der Enteignete oder der, von dem die Rechte abgeleitet werden, hier also Wilhelm von Preußen, dem nationalsozialistischen System „erheblichen Vorschub“ geleistet hat. Die Folge war eine Reihe fachwissenschaftlicher Gutachten und Aufsätze von Historikern zur Untersuchung der Frage, welche Rolle der Kronprinz in den 1920er und 1930er Jahren gespielt hatte und ob diese als „erheblicher Vorschub“ einzuschätzen sei. Sie widersprechen einander deutlich.
Auf der einen Seite stehen zwei Gutachten, die Nachfahren Wilhelms in Auftrag gaben, eines von Christopher Clark und eines von Wolfram Pyta und Rainer Orth. Ersterer kam in seinem Gutachten zunächst zu dem Urteil, dass der Kronprinz eine bedeutungslose Figur („eine Flasche“) und somit nicht in der Lage gewesen sei, in nennenswerter Weise zur Errichtung der NS-Diktatur beizutragen, die also keinen „erheblichen Vorschub“ geleistet habe. Er merkt an, dass die Nachfahren des Kronprinzen auf die Stellung der an sich berechtigten Restitutionsansprüche aus optischen Gründen besser verzichtet hätten. Die Historiker Wolfram Pyta und Rainer Orth gelangten zu der Auffassung, dass der Kronprinz in entscheidender Weise in die komplizierte Strategie des damaligen politischen Strippenziehers, des Generals Kurt von Schleicher in den Jahren 1931 bis 1933, involviert gewesen sei, die darauf abzielte, eine Übertragung der Staatsmacht an Hitler und seine Nationalsozialisten zu verhindern.
Auf der anderen Seite stehen die von staatlicher Seite in Auftrag gegebenen Gutachten von Stephan Malinowski und Peter Brandt. Beide befanden, dass der Kronprinz durch seine Wirksamkeit, insbesondere in den Jahren 1932 und 1933, einen gewichtigen Beitrag zur Etablierung der NS-Diktatur geleistet habe.
Christopher Clark hat sein Ergebnis Ende September 2020 unter Verweis auf neues von Malinowski und Lothar Machtan ausgewertetes Material widerrufen.“
Zu diesen Forderungen erschien ein Artikel in der Zeitschrift „Neues-deutschland“ vom 24. April 2021 der Bundestagsabgeordneten Simone Barrientos (Fraktion „Die Linke) und ihres Co-Autoren Karsten Krampitz mit dem Titel „„In Staub mit allen Feinden Brandenburgs!“ – Über den Prinz von Preußen, die Forderungen nach Entschädigung der deutschen Adelsfamilie und die Volksinitiative „Keine Geschenke den Hohenzollern“
Mit Genehmigung der beiden Autoren/innen füge ich diesen Artikel ein.
„In Staub mit allen Feinden Brandenburgs!“
„Das Überflüssige zuerst: Die Geschichte der Hohenzollern ist nicht zuletzt eine Geschichte des Bieres. Auf der Internetseite der Königlich Preußischen Biermanufactur lesen wir, dass die Rolle des Bieres am Hof der Hohenzollern bislang nur in Ansätzen erforscht ist.
Dennoch werde deutlich, „dass diesem Getränk als Genuss- und Nahrungsmittel auch in Brandenburg-Preußen eine große Bedeutung zukam“. Schon Friedrich Wilhelm I. sei ein großer Freund und Förderer deutscher Bierkultur gewesen. Friedrich dem Großen, seinem Sohn, habe er sogar aufgetragen, das Brauereihandwerk zu lernen. Und in der Kaiserzeit hätten die Herren am preußischen Hof gerne einen „Schlummertrunk“ zu sich genommen … – Vor dem Hintergrund, dass einer der beiden Brauereieigentümer, namentlich Georg Friedrich Prinz von Preußen, derzeit in 80 Fällen vor Gericht gegen Journalisten, Politiker und Historiker prozessiert, sei hier eine rhetorische Frage vorsichtig formuliert: Kann es sein, dass der „Deutsche Kaiser“ im heißen August 1914 so besoffen war, dass er Russland, Frankreich und Belgien den Krieg erklärte? Oder anders gesagt: Ist es denkbar, dass sein Ururenkel ein direkt unternehmerisches Verhältnis zur Geschichte haben könnte?
Georg Friedrich Prinz von Preußen, geboren 1976 in Bremen, möchte mit der Geschichte seiner Herkunft Geld verdienen, viel Geld. Dazu wird die Geschichte gefiltert. Was dabei herauskommt, ist gewissermaßen historisches Dünnbier, schal und muffig, mit dem man nach Belieben weichzeichnen kann. Und so wie der Alte Fritz zum Bierkenner verklärt wird, will im anderen Zusammenhang eine neue Erzählung die Hohenzollern und ihre Rolle beim Untergang der Weimarer Republik in ein besseres Licht rücken – weil es sonst vom Staat keinen Cent gibt.
Im aktuellen Streit um Ausgleichszahlungen für die nach sowjetischem Besatzungsrecht enteigneten Immobilien sowie um Rückgabe zahlreicher Gemälde, Skulpturen, Möbel, Bücher etc. – insgesamt liegt der Wert wohl im dreistelligen Millionenbereich – offenbart der Brauereibetreiber aus Potsdam das gleiche Geschichtsverständnis wie beim Verkauf seiner Biermarke: Nicht das tatsächlich Geschehene ist relevant, sondern woran „Seine Königliche Hoheit“ erinnern will. Dem Großvater des Potsdamer Bierbrauers, namentlich Wilhelm von Preußen, ehedem bis zur unrühmlichen Flucht seines Vaters deutscher Kronprinz, wird eine Bedeutungslosigkeit angedichtet, die jeder seriösen Geschichtsforschung spottet. Denn im entgegengesetzten Fall, so die Potsdamer Verwaltungsrichter im gegenwärtig ruhenden Verfahren zur Auffassung kämen, dass der damals bevollmächtigte Vertreter des exilierten Ex-Kaisers der Nazidiktatur „erheblichen Vorschub“ geleistet habe – und dafür spricht nach Ansicht der meisten Experten sehr viel! – erlöschen automatisch sämtliche Rückerstattungsansprüche für das von der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) enteignete Vermögen.
Kein Historikerstreit
Zur Frage, ob die in der Novemberrevolution 1918 gestürzte preußische Königsfamilie der Nazidiktatur „erheblichen Vorschub“ geleistet hat – so die Schlüsselformulierung im Ausgleichsleistungsgesetz von 1994 -, gibt es keinen grundsätzlichen Streit unter Historiker*innen – auch wenn sich immer wieder promovierte Lohnschreiber dafür hergeben, anderes zu behaupten, während kritische Stimmen mit einer Flut von Abmahnungen bedacht werden. (Und offenbar gibt es auch keine preußischen Tugenden mehr, jedenfalls nicht im „Haus Hohenzollern“ – von wegen: „Lerne leiden, ohne zu klagen.“) Winfried Süß, Abteilungsleiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und einer der verklagten Historiker, sagt: „Hier werden tatsächlich Grundfragen der deutschen Zeitgeschichte vor Gerichten verhandelt.“
Gleiches gilt mittlerweile auch im Parlament: Bei der Expertenanhörung im Bundestag betonte Stefan Malinowski, dass die Zerstörung der Weimarer Demokratie „eines der wenigen konstanten Ziele des Kronprinzen“ war. Zum selben Thema befragte „Die Zeit“ Heinrich August Winkler, hierzulande eine Art emeritierter Großhistoriker. Winkler konstatiert: „Der Kronprinz hat allein dadurch, dass er Anfang April 1932 beim zweiten Gang der Reichspräsidentenwahl dazu aufgerufen hat, Hitler statt Hindenburg zu wählen, einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, Hitler im konservativen, kaisertreuen Deutschland salonfähig zu machen.“ Und dabei ist es nicht geblieben: In der Zeit seiner terroristischen Machtbefestigung nach den nicht einmal mehr halbfreien Reichstagswahlen vom 5. März 1933 war Hitler auf die Zustimmung des konservativen Lagers angewiesen.
Weil die Legitimation durch Wahlen nur unzureichend erfolgt war, brauchte es weiterer Rechtfertigungen: Etwa des Charismas der Hohenzollern’schen Familientradition, die Vertreter der abgehalfterten Kaiserfamilie bereitwillig in den Dienst der Nazipartei stellten, so bei der „Reaktivierung des Preußenmythos am Tag von Potsdam“ (Winkler). Unter den Ehrengästen, die dem „Führer“ an jenem Tag nach der Wahl die Hand schütteln durften, waren auch die Söhne des letzten deutschen Kaisers. Das Foto ist legendär: In der Uniform der Totenkopfhusaren schenkt Wilhelm von Preußen Hitler ein joviales Lächeln, welches der Gefreite in Zivil mit entzücktem Augenaufschlag erwidert. „Das symbolische Kapital“, sagt Winkler, „das der Kronprinz durch seine Präsenz einbrachte (…), war für die Nationalsozialisten von außerordentlichem Wert. Wenn das keine erhebliche Vorschubleistung zugunsten des „Dritten Reiches“ war, was dann?“
Worum es aktuell geht
Nach der „Wiedervereinigung“ 1990 beantragte das „Haus Hohenzollern“ die Rückgabe sämtlicher ehemaliger Liegenschaften in den neuen Bundesländern. Dazu gehörten unter anderen das Schloss Rheinsberg, das Schloss Charlottenhof, die Villa Liegnitz und die Villa Quandt, einschließlich des dazugehörigen Inventars. Weil die Bodenreform in der SBZ von 1946 dank eines Vetos der ostdeutschen Verhandler bei den Gesprächen zur deutschen Einheit nicht rückgängig gemacht werden konnte, verabschiedete der Bundestag 1994 das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz. Dieses Gesetz ermöglicht es den Erben, vereinfacht ausgedrückt, Ausgleichszahlungen für die entzogenen Güter ihrer Vorfahren zu beziehen und enteignetes Inventar zurückzuerhalten – vorausgesetzt, die zwischen 1945 und 1949 „Enteigneten“ hatten nicht, wie oben erwähnt, dem nationalsozialistischen System „erheblichen Vorschub“ geleistet. Erst vor Kurzem verurteilte das Verwaltungsgericht Potsdam die Erben des Gutsbesitzers Bernd Graf von Arnim, die Ausgleichsleistungen in Höhe von 105 000 Euro zurückzuzahlen. denn wie erst jetzt bekannt wurde, befand sich gegen Ende des Zweiten Weltkriegs auf dem Gelände des Gutshofes ein Außenlager des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück. Die historische Quellenlage für diese juristische Klärung war erdrückend. In der „Causa Hohenzollern“ wird sie es auch sein.
Auch Georg Friedrich Prinz von Preußen, der „Chef“ der Hohenzollern-Erbengemeinschaft, hatte ein entsprechendes Formular ausgefüllt. Und tatsächlich: Der Antrag auf „Ausgleichsleistungen“ wurde 2014 zunächst vom damaligen Amt zur Regelung offener Vermögensfragen Beeskow positiv beschieden. Um ein Haar hätte der spätere Brauereibetreiber aus Potsdam eine Ausgleichszahlung in Höhe von 1,2 Millionen Euro bezogen! Doch im Unterschied zu den Arnims war und ist die Verstrickung der Hohenzollern mit den Nazis im kollektiven Gedächtnis sehr präsent. Der Bescheid sprach sich herum, woraufhin der damalige Finanzminister Christian Görke (nicht zufällig: Die Linke) nunmehr das übergeordnete Landesamt um kritische Prüfung bat. Mit dem Ergebnis, dass der positive Bescheid kassiert wurde. Auf der zweiten Verwaltungsebene waren die Finanzjuristen zur Auffassung gekommen, dass die Hohenzollern, insbesondere der ehemalige Kronprinz Wilhelm von Preußen, dem nationalsozialistischen System „erheblichen Vorschub“ geleistet hatten.
Grundlage dieser Bewertung waren die Gutachten der Historiker Stefan Malinowski und Peter Brandt. Der älteste Sohn Willy Brandts und bis zum Ruhestand Lehrstuhlinhaber an der Fernuniversität Hagen hat vor vielen Jahren eine Sozialgeschichte Preußens verfasst, sich aber auch als Historiker der Arbeiterbewegung einen Namen gemacht. Sein Kollege Stefan Malinowski ist, wie Gustav Seibt in der „Süddeutschen Zeitung“ schreibt, „der unbestritten beste Experte zur Rolle des deutschen Adels im Dritten Reich“. Christopher Clark, Gutachter im Auftrag der Hohenzollern, sieht das inzwischen ähnlich und hat seine ursprüngliche Relativierung der Rolle des Kronprinzen zurückgenommen. Zuvor hatte bereits das zuständige Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) in einer Stellungnahme die Auffassung des Landes Brandenburg bestätigt. Damit ist auch nach Auffassung des BADV eine Ausgleichszahlung ausgeschlossen. Aber auch das war kein Schlusspunkt in der Auseinandersetzung.
Seit August 2016 klagt der Prinz von Preußen gegen den negativen Bescheid des Brandenburger Finanzministeriums. Christian Görke dazu: „Kein Finanzminister, auch keine Finanzministerin kann diesen Bescheid zum Ausgleichsverfahren zurücknehmen. Er ist rechtmäßig und in der Welt. Georg Friedrich Prinz von Preußen kann nicht hoffen oder darauf setzen, dass dieser Bescheid durch eine politische Entscheidung zurückgenommen wird – egal welche Parteifarbe im Finanzministerium in Brandenburg regiert.“ Sobald dieser Bescheid rechtskräftig wird, ist die direkte und indirekte Unterstützung des NS-Systems durch die Hohenzollern amtlich; die überwiegende Meinung der Historiker*innen wäre dann juristisch untermauert.
Ende der Geheimverhandlungen
Im Streit mit den Hohenzollern gibt es seit einigen Jahren noch eine zweite Konfliktlinie. Unabhängig von etwaigen Ausgleichszahlungen führten seit Mitte 2018 Vertreter*innen der Bundesregierung und der Länderregierungen von Berlin und Brandenburg Gespräche mit Anwälten der Erbengemeinschaft, die die Klärung angeblich ungeklärter Besitzverhältnisse aus dem Vertrag von 1926 zum Gegenstand haben. Dabei geht es um tausende Kunstwerke, Möbel und Memorabilia, die größtenteils in Museen in Berlin und Brandenburg ausgestellt sind. Vieles spricht dafür, dass Georg Friedrich Prinz von Preußen beide Konfliktlinien miteinander verknüpfen will, um so auf außergerichtlichem Wege nicht nur Geld zu verdienen, sondern in einem Gesamtpaket den Unwürdigkeitsbescheid des Landes Brandenburg, also den amtlichen Beleg seiner historischen Familienschande, aus der Welt zu schaffen.
Vermutlich wäre ihm das längst gelungen, hätten nicht die „Potsdamer Neuesten Nachrichten“, „Der Tagesspiegel“ und „Der Spiegel“ die, man muss es so nennen, staatlichen Geheimgespräche mit den Hohenzollern publik gemacht. Und nicht nur das! ZDF-Satiriker Jan Böhmermann stellte die bis dahin vertraulichen Historikergutachten ins Netz und klärte die Öffentlichkeit über den eigentlichen Skandal auf:
Die Bundesrepublik Deutschland debattiert mit der Sippe des Ex-Kaisers auf Augenhöhe! Deren Forderungen stellte Böhmermann dann die Entschädigungsklage gegenüber, die Vertreter der Herero und Nama für den Genozid der deutschen Kolonialmacht an ihren Vorfahren einlegten. Denn anders als beim Prinzen, dem Böhmermann „Eier aus Stahl“ attestierte, will der deutsche Staat über die Ansprüche der Herero und Nama bislang nicht ernsthaft verhandeln.
Unwürdigkeitsklausel
Im Jahr 1994, bei den Beratungen zum Ausgleichsleistungsgesetz, wird wohl kein Abgeordneter im Bundestag geahnt haben, welches Gewicht der sogenannten Unwürdigkeitsklausel eines Tages zukommen würde, insbesondere dem Paragrafen 1, Absatz 4. Dem zufolge wird vom Anspruch auf Ausgleich ausgeschlossen, „wer dem nationalsozialistischen oder dem kommunistischen System in der sowjetisch besetzten Zone oder in der Deutschen Demokratischen Republik erheblichen Vorschub geleistet hat“. Einer der damals federführend Beteiligten, der CDU-Abgeordnete Johannes Gerster, erinnerte sich vergangenes Jahr im Interview auf Spiegel.de, wie diese Klausel in das Gesetz kam: „Der Gedanke hat sich uns sehr schnell aufgedrängt, wenn wir diejenigen ausschließen, die sich im SED-Regime schuldig gemacht haben, dann müssen wir erst recht die ausschließen, die sich im NS-Staat schuldig gemacht haben. Und das betraf
sehr wohl Adlige.“
Auf den damaligen stellvertretenden Unionsfraktionschef im Bundestag beruft sich auch Christian Görke von der Brandenburger Linkspartei. Gegenüber dem „nd“ erklärt er: „Es war der Wille des Gesetzgebers, dass Personen, die dem Nationalsozialismus direkt oder indirekt erheblichen Vorschub geleistet haben, keine Kompensation, keine Ausgleichszahlung erhalten dürfen, also nicht entschädigt werden können.“
Vergleichsverhandlungen, wie sie lange Zeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden haben, könnten aber genau das indirekt zur Folge haben. Sie umgingen den Willen des Gesetzgebers, dass bei der Gewährung von Ausgleichsleistungen durch den Staat die historische Verantwortung der Erblasser überprüft wird. Eine juristische Feststellung der erheblichen Vorschubleistung sei daher das einzig Richtige.
Darauf reagiert nun die Volksinitiative der Linkspartei „Keine Geschenke den Hohenzollern!“, die mit über 20 000 gesammelten Unterschriften den Landtag Brandenburg zwingt, sich mit dem Thema zu befassen. Sie erinnert an die KPD-Initiative von 1926 zum Volksentscheid über die Enteignung der Hohenzollern. Sophie Schönberger, Professorin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, sieht noch eine zweite Parallele zur Weimarer Republik: „Auch der Unwille, die gegenwärtige Auseinandersetzung mit den Mitteln politischer Gestaltung und des Rechts zu lösen, sowie das Verharren in der gedanklichen Kontinuität monarchischer Muster offenbaren in den aktuellen Verhandlungen eine geradezu gespenstische Wiederholung der Nachkriegsgeschichte.“ Offenbar ist es zu viel verlangt, dass die CDU sich heute an die selbst beschlossenen Gesetze hält.
Wer hat uns verraten …
In der „Causa Hohenzollern“ fällt vor allem die Geschichtsvergessenheit der in Bund und Brandenburg Regierenden auf. Restaurative Bauprojekte wie der Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses und der Garnisonkirche in Potsdam setzen geschichtspolitisch falsche Zeichen. „Offenbar geht derzeit die kritische Distanz zum Preußentum zunehmend verloren“, so Erhard Grundl, Mitglied des Bundestags für die Grünen, neulich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Das hat er gut beobachtet. Auf Distanzlosigkeit deutet auch der Umstand, dass führende Sozialdemokraten im Jahr 2011 der Hochzeit des Preußenprinzen beiwohnten: Ministerpräsident Matthias Platzeck wie auch der Potsdamer Oberbürgermeister Jann Jakobs waren geladene Gäste. Dass der „Chef“ der Hohenzollern sich bei seinem Entschädigungsantrag gute Chancen ausgerechnet haben muss, ja eine Zeit lang sogar meinte, im Schloss Cecilienhof wieder einziehen zu können, wundert bei diesen Verbindungen nicht.
Geschichte wiederholt sich nicht. Allerdings erinnert die Haltung der Brandenburgischen Finanzministerin Katrin Lange mitunter schon an die zahme Haltung preußischer Sozialdemokraten gegenüber den unverschämten finanziellen Forderungen der abgedankten Hohenzollern an die Weimarer Republik. Sie gestatteten dem Ex-Kaiser nicht nur die Mitnahme von etwa 60 Güterwaggons voll mit wertvollem Umzugsgut. Am Ende stimmte die SPD auch einem Vergleich zu, der der Familie des ehemaligen Kaisers etwa drei Fünftel ihres Millionenvermögens beließ und der so unklar formuliert war, dass er den Verhandlungsparteien bis heute zu schaffen macht. Der ein oder andere Waggon an Kunstschätzen könnte daher jetzt zum Vermögen der Hohenzollern womöglich hinzukommen – oder eben auch nicht.
Als im Januar bei der Anhörung im Brandenburger Landtag die bereits zitierte Juraprofessorin Sophie Schönberger nach einem möglichen Prozessrisiko gefragt wurde, prognostizierte sie: „Beim Verfahren nach dem Ausgleichsleistungsgesetz sehe ich ein geringes Risiko, den Prozess zu verlieren.“ Was die von den Hohenzollern geforderten Kunstschätze und andere Güter, mit Berufung auf einen Vertrag von 1926, betrifft, rät Schönberger der öffentlichen Hand: „Bei genauer juristischer Betrachtung dürfte schon die Unklarheit darüber, wer Vertragspartner ist, dazu führen, dass keinerlei Ansprüche aus dem Vertrag (mehr) geltend gemacht werden können.“
Und jetzt?
Sollte der Brandenburger Landtag das Anliegen der Volksinitiative ablehnen, dass die Forderungen der Hohenzollern vor Gericht geklärt werden sollen – und damit anders als in den 1920er Jahren diesmal nicht von Richtern, die noch in der Kaiserzeit ins Amt kamen -, plant die Linkspartei ein Volksbegehren, wofür 80 000 Unterschriften benötigt werden. Geheimgesprächen, die einer gerichtlichen Klärung vorgreifen wollen, wird damit der Boden entzogen. Frei nach Heinrich von Kleist: „In Staub mit allen Feinden Brandenburgs!“
Die Bundestagswahlen im September werden hoffentlich neue Mehrheiten hervorbringen. Die Grünen könnten mindestens Juniorpartner einer CDU-geführten Bundesregierung sein, was Auswirkungen auf die staatliche Kulturpolitik haben wird, gerade was den Konflikt mit den Hohenzollern betrifft. Die Linkspartei hat sich in dieser Frage eindeutig positioniert. Die Linksfraktionen im Bundestag und in den Länderparlamenten von Berlin und Brandenburg fordern, dass die Bundesregierung sich auf keinerlei außergerichtliche Absprachen mit der Erbengemeinschaft der Hohenzollern einlässt und keine Kulturgüter aus öffentlichem Besitz herausgibt. Die Demokratie wird sich hoffentlich nicht mehr lange von einem preußischen Bierbrauer in den Schwitzkasten nehmen lassen.“
Und mit Datum vom 24. Juli 2019 reichte die Fraktion „Die Linke“ – vertreten durch die Abgeordneten Simone Barrientos, Dr. Petra Sitte, Doris Achelwilm, Dr. Birke Bull-Bischoff, Nicole Gohlke, Ulla Jelpke, Jan Korte, Niema Movassat, Norbert Müller (Potsdam), Victor Perli, Dr. Kirsten Tackmann, Andreas Wagner – eine „Kleine Anfrage“ an die Bundesregierung ein.
Die Internetpräsenz der Abgeordneten Simone Barrientos – sehr lesenswert:
Sie ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages, kulturpolitische Sprecherin für die Bundestagsfraktion und Obfrau im „Ausschuss Kultur und Medien“.
Antwort der Bundesregierung
auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Simone Barrientos, Dr. Petra Sitte, Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.– Drucksache 19/12369 – Ansprüche der Hohenzollern auf öffentliche Kulturgüter.
Vorbemerkung der Fragesteller:
Die Bundesregierung führt laut Medienberichten seit spätestens 2013 nicht‐öffentliche vertrauliche Verhandlungen mit der Familie Hohenzollern über Ansprüche auf mehrere tausend – teils national bedeutsame – Kulturgüter, die in staatlichen Museen, Archiven und Depots verwahrt bzw. ausgestellt sind, sowie zu Entschädigungsforderungen für Liegenschaften in Besitz der öffentlichen Hand (https://m.tagesspiegel.de/berlin/streng-geheime-verhandlungen-hohenzollern-erheben-ansprueche-auf-tausende-bedeutende-kunstwerke/24587204.html).
An den Verhandlungen sind auch die Länder Berlin und Brandenburg und drei Stiftungen des Bundes, die Kunstwerke und Inventar aus ehemaligem Besitz des Hauses Hohenzollern öffentlich zugänglich machen, beteiligt. Bei diesen Gesprächen geht es nach Medienberichten zu Aussagen von Kulturstaatsministerin Monika Grütters um eine „dauerhafte Gesamtlösung für die betroffenen Kunst- und Sammlungsgegenstände“ (www.berlin.de/aktuelles/brandeburg/5835343-5173360-verhandlungen-mit-hohenzollern-woidke-ho.html).
Die Positionen der beteiligten Seiten liegen nach Ansicht der Fragesteller allerdings noch weit auseinander. Die mit Georg Friedrich Prinz von Preußen als Vertreter des Hauses Hohenzollern geführten Verhandlungen mit dem Bund und deren Stiftungen werden im Juli 2019 wieder aufgenommen und sollen nach Angaben des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Prof. Hermann Parzinger, „mit Augenmaß und gegenseitigem Respekt“ weitergeführt werden (Süddeutsche Zeitung, 16. Juli 2019, Seite 2).
Das Haus Hohenzollern vertritt jedoch die Ansicht, dass die Eigentums- und Besitzlage betroffener Vermögensgegenstände aus dem „Privatbesitz der preußischen Königsfamilie“ in staatlichen Museen und Depots seit Jahrzehnten ungeklärt sei (Frankfurter Rundschau, 17. Juli 2019, Seite 27). Mit dieser Demonstration von Besitzanspruch gegenüber Kulturgütern im öffentlichen Raum wird nach Ansicht der Fragesteller das bisherige Modell von Teilhabe der Bevölkerung an Kunst und Kultur in Frage gestellt und mit der Fokussierung auf besonders prestigeträchtige Objekte ein antiquiertes Geschichtsbild in der Öffentlichkeit verfestigt.
Deutscher Bundestag Drucksache 19/12871 19. Wahlperiode 30.08.2019
Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien vom 28. August 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält (…) den Fragetext.
Nach Auffassung der Fragesteller besonders befremdlich klingt die Forderung der Nachfahren der Hohenzollern-Dynastie nach einem unentgeltlichen und grundbuchlich gesicherten Wohnrecht in dem historisch äußerst bedeutsamen Schloss Cecilienhof – dem Ort, bei dem nach der bedingungslosen Kapitulation Hitlerdeutschlands und dem Ende des von Deutschland ausgelösten verbrecherischen Zweiten Weltkrieges die Alliierten im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 u. a. die politische und geografische Neuordnung Deutschlands, seine Entmilitarisierung und den Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern und deren Enteignung verhandelt und festgeschrieben haben.
Vorbemerkung der Bundesregierung
Die Gespräche der öffentlichen Hand mit dem Haus Hohenzollern haben das Ziel, eine dauerhafte Gesamtlösung für verschiedene Kunst- und Sammlungsgegenstände herbeizuführen, deren Eigentumsverhältnisse von beiden Gesprächspartnern unterschiedlich bewertet werden. Hintergrund ist ein Gesetz vom Oktober 1926 über die Vermögensauseinandersetzung zwischen dem Staat Preußen und dem Haus Hohenzollern (sog. Vermögensauseinandersetzungsvertrag). In den Verhandlungen geht es um rechtliche Unklarheiten in den damaligen Regelungen, aber auch um Rechtspositionen, die sich durch die nachfolgenden historischen Ereignisse, insbesondere durch Maßnahmen der sowjetischen Besatzungsmacht und der Regierung der DDR verändert haben.
Das Haus Hohenzollern hat nach der deutschen Wiedervereinigung Ansprüche nach dem sog. Ausgleichsleistungsgesetz geltend gemacht. Dieses Gesetz sieht staatliche Ausgleichsleistungen vor „für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage“. Im Hinblick auf bewegliche Sachen sieht das Gesetz die Rückgabe an den ehemals Berechtigten vor. Das Gesetz definiert auch die Fälle, in denen keine Ausgleichsleistungen gewährt wer-den. Die Gespräche zwischen dem Haus Hohenzollern und der öffentlichen Hand haben u.a. diejenigen beweglichen Gegenstände zum Inhalt, für die in den Ländern Berlin und Brandenburg Rückgabeanträge gestellt worden sind. Es handelt sich um Gegenstände, die sich heute vor allem bei der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG), der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) und bei der Stiftung Deutsches Historisches Museum (DHM) befinden, zum Beispiel um Memorabilia, Möbel, Textilien und Gemälde. Darunter befinden sich auch Gegenstände und Gemälde von erheblichem Wert und historischer Bedeutung.
Mit dem angestrebten Vergleich sollen gerichtliche Verfahren vermieden und eine tragfähige Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen dem Haus Hohenzollern und den betroffenen Einrichtungen gelegt werden. Eine mögliche Gesamtlösung müsste bei einer Einigung sowohl von den Aufsichtsgremien der betroffenen Einrichtungen wie auch den Finanzministerien des Bundes und der Länder Berlin und Brandenburg genehmigt werden. Außerdem werden angesichts der Bedeutung dieser Angelegenheit die Parlamente des Bundes und der beiden Länder einzubeziehen sein.
Drucksache 19/12871 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
1.) Seit wann und mit welchen Inhalten führen die Bundesregierung unter Beteiligung von Bundesländern und kulturbewahrender Bundesstiftungen Gespräche mit der Familie Hohenzollern bzw. deren Bevollmächtigten (bitte nach Jahren und mit den jeweils Beteiligten und Gesprächszielen einzeln aufführen)?Die Bundesregierung sowie die Länder Berlin und Brandenburg als Träger der betroffenen Einrichtungen (Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Stiftung Deutsches Historisches Museum) führen unter Beteiligung der Einrichtungen seit 2014 Gespräche mit dem Haus Hohenzollern. Das Auftaktgespräch hat im Februar 2014 stattgefunden. Auf dieses folgten fünf weitere Gespräche im Februar 2016, im November 2017, im März 2018, im Juni 2018 und im Juli 2019. Die Gespräche hatten allesamt zum Ziel, eine dauerhafte Gesamtlösung für Kunst- und Sammlungsgegenstände herbeizuführen, deren Eigentumsverhältnisse von beiden Gesprächspartnern unterschiedlich bewertet werden.
2.) Welcher Betrag in Euro ist aus Sicht der Bundesregierung erforderlich, um zu einer abschließenden Vermögensauseinandersetzung in Form eines rechtsverbindlichen und außergerichtlichen Vergleichs zu gelangen?
3.) Wenn es zu einer Verständigung kommt, wie soll dieser Betrag zwischen dem Bund und den beteiligten Ländern aufgebracht und aufgeteilt wer-den?Die Gespräche zwischen dem Haus Hohenzollern und der öffentlichen Hand haben bewegliche Gegenstände zum Inhalt, für die in den Ländern Branden-burg und Berlin Rückgabeanträge gestellt worden sind. Es geht in den Gesprächen mithin nicht um Entschädigungsforderungen, sondern um Rückgabeforderungen.Die Fragen 2 und 3 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
4.) Wie beurteilt die Bundesregierung die derzeitige Eigentumslage an öffentlichem Kulturgut unter Berücksichtigung des am 6. Oktober 1926 rechtsgültig abgeschlossenen Abänderungsvertrages zwischen dem Haus Hohenzollern und der damaligen Preußischen Staatsregierung?
5.) Welche Kulturgüter und Kunstsammlungen gingen während der Zeit der Weimarer Republik und im Gefolge dieses Vertrages aus dem Haus Ho-henzollern in Staatsbesitz über (bitte einzeln aufführen)?Hintergrund der Gespräche zwischen dem Haus Hohenzollern und der öffentlichen Hand ist ein Gesetz vom Oktober 1926 über die Vermögensauseinander-setzung zwischen dem Staat Preußen und dem Haus Hohenzollern (sog. Vermögensauseinandersetzungsvertrag). Die Eigentumsfrage wurde darin für viele Immobilien und bewegliche Gegenstände zweifelsfrei entschieden, aber nicht für alle. In den Verhandlungen geht es um rechtliche Unklarheiten in den damaligen Regelungen, aber auch um Rechtspositionen, die sich durch die nachfolgenden historischen Ereignisse, insbesondere durch Maßnahmen der sowjetischen Besatzungsmacht und der Regierung der DDR verändert haben.
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/12871
Die Fragen 4 und 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
6.) Welche Eigentumsansprüche an Besitz von Kulturgütern und auch Liegenschaften werden von der Familie Hohenzollern derzeit gegenüber der Bundesrepublik Deutschland geltend gemacht, die sich a)in den territorialen Grenzen Deutschlands während der Weimarer Re-publik bis 1933 in ihrem Besitz befanden bzw. b)nach dem 8. Mai 1945 auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetischen esatzungszone bzw. DDR in ihrem Besitz befanden bzw. c)nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 sich auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in ihrem Besitz befanden?
Die Bestandsgruppen befanden sich nach dem Ersten Weltkrieg auf dem Gebiet der Weimarer Republik. Die Bestandsgruppen wurden teilweise kriegsbedingt zersplittert. Teile wurden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in die Sowjet-union verbracht, von wo aus eine Teilmenge später wieder an die DDR zurück-gegeben wurde. Diejenigen Bestände, die in Deutschland verblieben, befanden sich teilweise auf dem Territorium der DDR, teilweise auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Eine genaue zahlenmäßige Aufstellung darüber, welches Objekt nach 1945 an welchen Standort gelangte, gibt es bislang nicht.
7.) Welche Leihverträge mit welchen Kultureinrichtungen bzw. Institutionen wurden im Jahr 2019 durch die Familie Hohenzollern gekündigt?
8.) Wie viele Kunstwerke sind insgesamt davon betroffen und damit dem Zugang durch die Öffentlichkeit entzogen?
Die Fragen 7 und 8 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Im Jahr 2019 wurden keine Leihverträge zwischen dem Haus Hohenzollern und der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) gekündigt. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) und die Stiftung Deutsches Historisches Museum (DHM) haben keine Leihverträge mit dem Haus Hohenzollern.
9.) Wie viele von den derzeitig strittigen Kunstwerken und Liegenschaften sind im Register national wertvollen Kulturgutes verzeichnet gemäß § 6 des Kulturgutschutzgesetzes (KGSG; bitte nach Objekt und derzeitigem Standort einzeln getrennt aufführen)?
Von den Objekten, die Gegenstand der Gespräche zwischen dem Haus Hohenzollern und der öffentlichen Hand sind, sind die folgenden in das Verzeichnis national wertvollen Kulturguts eingetragen:
Drucksache 19/12871 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Kennzeichnung Meister oder Epoche Darstellung Ort
Gemälde Jean-Baptiste Pater Badende Mädchen, um 1730 SPSG, Neues Palais
Gemälde Jean-Baptiste Pater Tanz im Freien, um 1730 SPSG, Neues Palais
Gemälde Eduard Gaertner Ansicht Berlins vom Dach der Werderschen Kirche, sechsteiliges Panorama, 1834 SPSG, Schloss Charlottenburg
Gemälde Lucas Cranach der Jüngere Allegorie auf die Einführung der Reformation in Anhalt SPSG, Schloss Grunewald
Gemälde Eduard Gärtner Kronprinzenpalais und Neue Wache, 1853 SPSG, Schloss Charlottenburg
Gemälde Eduard Gärtner Ansicht der Schlossbrücke in Berlin, 1861 SPSG, Schloss Charlottenburg
Gemälde Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff Kronprinz Friedrich (II.) von Preußen, um 1737 SPSG, Schloss Schönhause
Kunsthandwerk Entwurf: Jean Guillaume George Krüger 7 Golddosen aus dem Besitz Friedrichs des Großen, Berlin um 1763/65 SPSG, Schloss Charlottenburg
Kunsthandwerk Brandenburgisches Kur-schwert, ehem. Papst-schwert, ca. 1460 SPSG, Schloss Charlottenburg
Kunsthandwerk Jobst Freudner Schwert der preußischen Souveränität – späteres Reichsschwert, 1540/41 SPSG, Schloss Charlottenburg
Kunsthandwerk Karkassen der preußischen Königskrone (a) und der Königinnenkrone (b) mit Futteralen und eiserner Truhe (c) zur Aufbewahrung der Kronjuwelen, 1701 SPSG, Schloss Charlottenburg.