Carl von Ossietzky

Carl von Ossietzky etwa 1923

… wurde am 3. Oktober 1889 in der Großen Michaelisstraße Nr. 10 in Hamburg geboren und war einer der bedeutendsten deutschen Journalisten und Pazifisten.

Sein Vater war der oberschlesische ehemalige Berufssoldat Carl Ignatius von Ossietzky (1848-1891) und der entstammte einer preußischen Beamtenfamilie, hatte elf Jahre als Unteroffizier gedient um 1879 mit seiner Mutter und zwei Geschwistern in die Hansestadt umzusiedeln. Dort erwarb er die hamburgische Staatsangehörigkeit. Die Familie hatte einen katholisch-polnischen Ursprung, und Carl Ignatius von Ossietzky war der Sohn eines Kreisbeamten aus Oberschlesien.

Vater Carl Ignatius von Ossietzky

„Der Adelstitel, den die väterliche Familie führte, sagt nichts über deren gesellschaftliche Stellung aus. Carl v. Ossietzky legte auf ihn auch nie einen großen Wert. „Ein Wappenring aber, den er als Erbstück be­saß, bedeutete ihm viel. Der Ring zeigt ein Schwert zwischen einem zu- und einem abnehmenden Mond, was Ossietzky als Aufforderung verstand, jeder Zeit zum Kampfe bereit zu sein“, schreibt Werner Boldt in seinem Buch „Carl von Ossietzky . Pazifist und Demokrat, KZ-Häftling und Friedensnobelpreisträger“.

In Hamburg arbeitete der Vater als schlecht bezahlter Stenograf in der Anwaltskanzlei des Senators und späteren Hamburger Bürgermeisters Max Predöhl. Nebenbei betrieb er eine Milchhandlung und Speisewirtschaft.

Hamburger Bürgermeister Max Predöhl Quelle: Wikipedia

Die Mutter – Rosalie Marie Pratzka, aus einer deutsch-polnischen Familie stammend – war ein Jahr vor ihrer Eheschließung mit ihren Eltern und Geschwistern nach Hamburg gekommen und arbeitete dort als Dienst­mädchen.

Die Mutter Rosalie Marie geb. Pratzka

„Die Ehe war nicht aus herkömmlichen Gründen geschlossen wor­den, diente also nicht der Versorgung der Frau. Sie ging aus einer Liebesbezie­hung hervor, und Rosalie Marie war bei der Eheschließung schwanger. In ei­nem solchen Falle musste geheiratet werden, sollte die Mutter mit ihrem un­ehelichen Kind nicht ins gesellschaftliche Abseits geraten“ schreibt Werner Boldt.

Hamburg Gängeviertel

Nach der Heirat wohnte die Familie im Gängeviertel, einem besonders eng bebauten Wohnquartiere in einigen Teilen der Altstadt und Neustadt“, in dem viele Oberschlesier lebten.

Wikipedia schreibt:

„… Am 10. November 1889 im katholischen Kleinen Michel getauft, (eigentlich: Katholische Pfarrkirche St. Ansgar und St. Bernhard) in Hamburg), wird er am 23. März 1904 evangelisch-lutherisch in der Hauptkirche St. Michaelis (volkstümlich: Michel) konfirmiert. Und über die braucht man eigentlich nichts zu schreiben. Sie ist der bekannteste Kirchenbau Hamburgs und die bedeutendste Barockkirche Norddeutschlands, eines der Wahrzeichen der Stadt.“

Der „Kleine Michel“ von Osten mit dem Turm des „Großen Michel“ Quelle: Von Sankt-Ansgar-Kirche_und_St.-Michaelis-Kirche_in_Hamburg-Neustadt.jpg: Claus-Joachim Dickowderivative work: Rabanus Flavus (talk) – Sankt-Ansgar-Kirche_und_St.-Michaelis-Kirche_in_Hamburg-Neustadt.jpg, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=13061437

Carl ist zwei Jahre alt, als der Vater am 4. November 1891 an einem Herzschlag stirbt und dessen Schwester die Erziehung des Einzelkindes übernimmt, während sich die Mutter weiterhin um die Gasstätte und den Milchhandel kümmert.

St. Michaelis (2013) Quelle: Von Foto: Martina Nolte, Lizenz: Creative Commons by-sa-3.0 de, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=26564991

Acht Jahre, vom siebtem bis fünfzehnten Jahr (1896-1904) verbringt Carl an der Rumbaumschen Schule. Diese Stiftsschule war eigentlich den Söhnen wohlhabender Bürger vorbehalten, aber dank der Unterstützung des Senators Predöhl bekam er dort einen Freiplatz. Ein guter Schüler ist er nicht gewesen, wie seinem Abgangszeugnis 1904 zu entnehmen ist. Vor Erreichen der Mittleren Reife bricht er seine schulische Ausbildung ab.

Rumbaumsche Schule in der Kampstr.

Über die Schulzeit und seine weitere „Karriere“ schreibt Wikipedia:

„… Zehn Jahre nach dem Tod ihres Mannes heiratete Rosalie von Ossietzky den Bildhauer und Sozialdemokraten Gustav Walther, und beide nahmen den Jungen zu sich. Walther weckte Ossietzkys Interesse an Politik. So besuchten sie gemeinsam Parteiveranstaltungen, auf denen der SPD-Vorsitzende August Bebel sprach, was einen nachhaltigen Eindruck bei Ossietzky hinterließ.

Gustav Walther + Rosalinde und Amme Marie Juni 1921 in Hamburg

Ossietzky war ein schlechter Schüler. Zweimal versuchte er nach dem achtjährigen Besuch der privaten Realschule und dem Besuch einer privaten Abendschule (Institut Dr. Goldmann) erfolglos, die staatliche Prüfung zur mittleren Reife zu bestehen. Ossietzkys Leistungen in Mathematik bzw. im kaufmännischen Rechnen waren im Gegensatz zu anderen Fächern schwach. Seine Interessen waren eher auf Literatur und Geschichte gerichtet. So blieb er schon in jungen Jahren hin und wieder der Schule fern, um ungestört literarische Klassiker wie Schiller, Goethe und Hölderlin zu lesen. Da ihm eine akademische Laufbahn verwehrt war, bewarb er sich im Alter von 17 Jahren um eine Stelle bei der Hamburger Justizverwaltung. Nur der Intervention seines Fürsprechers Predöhl war es zu verdanken, dass er überhaupt zur Einstellungsprüfung zugelassen wurde. Schließlich war Ossietzky in der Warteliste für „anzustellende Hülfsschreiber“ auf Platz eins vorgerückt und trat am 1. Oktober 1907 in den Justizdienst ein. 1910 wurde er aufgrund akzeptabler Leistungen in das Grundbuchamt versetzt.“

Der Stiefva­ter Gustav Walther, verheiratet mit der Mutter seit 1898 war evangelisch, „Ossietzky wurde nun lutherisch konfirmiert. Doch bald löste er sich von beiden Konfessionen. In der Geburtsurkunde seiner Tochter ist über ihn und seine Frau der Vermerk eingetragen: „beide ohne Religion“. Er selber gab, als er im Mai 1932 eine Gefängnisstrafe antrat, in einem amtlichen For­mular auf die Frage nach seinem Religionsbekenntnis „Dissident“ an“, schreibt Werner Boldt.

Und weiter:

„…Es gibt von Ossietzky keine Äußerungen, die auf Spuren einer religiösen Ein­stellung im eigentlichen Wortsinne schließen lassen. Entschieden wandte er sich gegen alle Ansprüche der Kirchen, in einem säkularisierten Staat Geister und Seelen vom Gemeinwesen zu trennen. Aber er war kein Rationalist, sondern -nach seinen eigenen Worten – ein Diesseits- und kein Jenseitsgläubiger. Er be­jahte eine „neue unkirchliche, unchristliche Religiosität“, die er kommen sah. Seine weite Auffassung von einer Religiosität ohne Glauben erlaubte es ihm, von der „religiösen Glut“ zu sprechen, „mit der ein einfacher Arbeiter für seine Überzeugung kämpft“.

Eine „neue unkirchliche, unchristliche Religiosität“ bejahe ich auch. Ossietzky sah sie kommen, aber mir dauert das zu lange und nach meinen Erfahrungen mit Kirche und Religion könnte es ruhig rascher gehen.

Hamburg Dammtorwall, Blick von der Caffamacherreihe etwa 1892

Im Jahre 1907 ziehen seine Mutter und sein Stiefvater aus dem Gängeviertel in ein „besseres Wohnviertel“, nachdem Ossietzky die verheerende Cholera-Epidemie, die besonders im Gängeviertel wütete, überlebt hatte. Unter den Tausenden Opfern befindet sich auch sein Onkel, der Bruder seines Vaters.

Über die Epidemie schreibt Wikipedia:

„… Die Choleraepidemie von 1892 in Hamburg war der letzte große Ausbruch der Cholera in Deutschland. Er hatte aufgrund hamburgischer Besonderheiten verheerende Ausmaße. Die Epidemie brach während eines heißen Sommers aus. Der Pegel der Elbe war niedrig und das Flusswasser ungewöhnlich warm. Da sich Senat und Bürgerschaft jahrzehntelang nicht auf den Bau einer Filteranlage einigen konnten, wurde das Hamburger Trinkwasser damals noch ungereinigt der Elbe entnommen; die Entnahmestelle zwei Kilometer flussaufwärts war bei Flut dem verschmutzten Sielwasser ausgesetzt. Im benachbarten Altona, das zu Preußen gehörte und eine Sandfilteranlage für Trinkwasser hatte, erkrankten während der Epidemie weit weniger Menschen als in Hamburg. Hamburg hatte zudem unter allen deutschen Großstädten den höchsten Anteil an ungesunden Kellerwohnungen, und in der Innenstadt ballten sich Menschen unter unhygienischen Bedingungen auf sehr engem Raum.

Der zu Hilfe gerufene bekannte Bakteriologe Robert Koch kommentierte die Verhältnisse beim Rundgang durch die Gängeviertel: „Ich habe noch nie solche ungesunden Wohnungen, Pesthöhlen und Brutstätten für jeden Ansteckungskeim angetroffen wie in den sogenannten Gängevierteln, die man mir gezeigt hat, am Hafen, an der Steinstraße, an der Spitalerstraße oder an der Niedernstraße. (…) Ich vergesse, daß ich mich in Europa befinde.“

In der Folge wird am 28. Dezember 1892 in Hamburg das Institut für Hygiene und Umwelt gegründet und das Gängeviertel grundlegend saniert oder abgerissen.

Die Herkunft aus diesem Kleinbürgertum und die Herkunft aus diesem Viertel haben Ossietzky sicher nachhaltig geprägt.

Ossietzky als fünfzehnjähriger mit einem Verwandten

Bereits in jungen Jahren vertrat er pazifistische und demokratische Ideen und hatte einen ausgeprägten Blick für die soziale und politische Umwelt des Kaiserreiches und als Hamburger verstand er sich schon gar nicht, das war nach seiner Meinung eher „ein Ding“ der „hanseatischen Oberschicht“.

Im August 1907 bewirbt er sich beim Hamburger Amtsgericht, an dem schon sein ver­storbener Onkel gearbeitet hatte. Und wieder bekommt er Fürsprache und Unterstützung von seinem Gönner Bürgermeister Max Predöhl. Er nimmt an einer Prüfung teil, die er besteht. Werner Boldt schreibt über die darauf folgende Tätigkeit:

„… Nach einem Jahr Tätigkeit als Hilfsschreiber hielt ein „Qualifikationsbericht“ über ihn fest, dass er „wenig befähigt“, aber „genügend anstellig u. verwendbar“ sei. Zwar erreiche er noch nicht das verlangte Mindestpensum, arbeite aber im Allgemeinen „zuverlässig und umsichtig“. Die „dienstliche Führung“ sei nicht zu tadeln.“ Zwei Jahre später attestierte man ihm leichte Fortschritte. Er erwies sich nun für den Bürodienst „recht gut befähigt“: die Ausführung der ihm über­tragenen Arbeiten und seine Zuverlässigkeit bewertete man als „recht gut“; auch zeigte er sich „stets eifrig und fleißig“, und seine dienstliche Führung galt wei­terhin als „tadellos“.

„Vor der anspruchslosen, wenig inspirierenden Büroarbeit suchte Ossietzky in der Poesie Zuflucht. Insgesamt hat er etwa siebzig Gedichte verfasst, die sich auf die Jahre von 1907, dem Beginn seiner Tätigkeit am Amtsgericht, bis 1910 da­tieren lassen“, schreibt Werner Boldt Und bei Wikipedia lese ich:

„… Ossietzky führte während seiner Zeit im Justizdienst eine Art Doppelleben. Tagsüber verbrachte er die Stunden auf dem Amt, abends besuchte er so viele kulturelle und politische Veranstaltungen wie möglich. Nebenher schrieb er viele Gedichte. Zu seinen ersten literarischen Versuchen jener Zeit gehörte ein romantisches Theaterstück, das er für eine Hamburger Schauspielerin schrieb, in die er verliebt war.“

Seine Grenzen in der „Dichtkunst“ beschreibt er nüchtern: „Ich merke wohl an meinem Lied, dass es nicht ganz originell, dass viele Tausend schon gesungen den Ton, den ich mein Eigen nenne.“ Und so fällt ihm der Abschied aus dieser Episode nicht allzu schwer.

Maud Lichfield-Woods 18 jährig in Lomdon

Im Januar 1912 lernte er Maud Hester Woods kennen, Tochter eines englischen Kolonialoffiziers und in Indien gebo­ren. Die lebte nach dem Tod ihrer Eltern in England und besuchte wiederholt Hamburg, da sie bereits seit mehreren Jahren politisch aktiv und in der englischen Frauenrechtsbewegung engagiert war. Sie trafen sich zum ersten Mal im Januar 1912 in einem Hamburger Café. In ihren Erinnerungen 1966 beschreibt sie diese Begegnung: „Ich wollte gerade aufbrechen, da stand vor mir ein blasser, schüchterner Jüngling… Sehr bald entpuppte er sich als ein gewandter und kluger Gesprächspartner: Er schien sich zu verwandeln, wenn er sprach, die Worte strömten drängend hervor und hellten das Gesicht erstaunlich auf… Von seiner anfänglichen Schüchternheit war nichts mehr zu merken. Seine gro­ßen blauen Augen in einem fein geschnittenen, jetzt nicht mehr blassen Gesicht, unter glattem blondem Haar blickten mich frei und offen an.“

Aus „Bekanntschaft“ wird schnell ein „Liebesverhältnis“, Ossietzkys Briefe an sie sind „zärtlich, intim, tröstend und aufmunternd“, schreibt Werner Boldt. „Aber“, beklagte Ossietzky, er, sei wenig er in der Lage, seine Gefühle auszudrücken: „Ich hätte dir so un­endlich viel zu sagen, aber auf dem Papier klingt alles so leer. Und ich schwärme nicht für Phrasen.

Und was ich dir zu sagen habe, das ist nichts Papiernes, das ist auch nichts, was sich in einem Monologe erledigen lässt: dazu braucht man eine zweite Person. Ach Liebling, ich habe eine große Sehnsucht nach dir“.

Am 19. August 1913 heirateten sie in England. „In der Anzeige ist Ossietzky als Ba­ron bezeichnet. Er hat es hingenommen. Es ist das einzige Mal, dass er mit ei­nem Hinweis auf seinen Adel öffentlich in Erscheinung trat“, so wenigstens Werner Boldt.

Hochzeit in Fairhaven 19. August 1913

Und er schreibt weiter:

„… Nach der Hoch­zeitsreise bezogen die Eheleute ein von Maud in Hamburg angemietetes Zim­mer. Im Frühjahr 1914 nahmen sie mit seinen Eltern eine gemeinsame Wohnung. Im Herbst 1918, noch im Krieg, entschieden sich Maud und ihr Mann für eine eigene, zentral gelegene Wohnung westlich der Außenalster.

Das junge Ehepaar lebte in sehr beengten Verhältnissen. Maud stand ein Erbe von ihrer Mutter zu; doch Treuhänder in England, die es verwalteten, verweiger­ten die ihr nötigen Auszahlungen. Sie erhielt nicht einmal Geld, um Arztrech­nungen zu begleichen. Es mag sein, dass Maud schon in dieser Zeit alkoholab­hängig war, was das Verhalten der Treuhänder erklären könnte. Trotz der finan­ziellen Sorgen schied Ossietzky Anfang 1914 aus dem Staatsdienst aus. Seinen Lebensunterhalt suchte er nun durch historische und literarische Vorträge zu verdienen, auf die er sich viele Stunden in der Staatsbibliothek vorbereitete. Die Idee dazu verdankte er seiner Frau, die ihn ermunterte und einen privaten Vortragszirkel für ihn organisierte. Sie selbst trug mit Bridge- und Englischunter­richt dazu bei, ein eher kümmerliches Dasein zu fristen.“

Hellmut von Gerlach Quelle: Wikipedia

Bereits 1908 wird Ossietzky Mitglied der Demokratischen Vereini­gung um Hellmut von Gerlach und Rudolf Breitscheid und tritt dem Deutschen Monistenbund und der Deutschen Friedensgesellschaft bei. Wikipedia schreibt dazu:

„… Weltanschaulich stand Ossietzky zu dieser Zeit dem Monismus des populären Zoologen und Darwinisten Ernst Haeckel nahe. Mit seinem starken Diesseits- und Fortschrittsglauben war der Monismus für einen Menschen wie Ossietzky attraktiv, der sich von Wissenschaft und Technik eine Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen erhoffte und als Atheist den Einfluss der Kirche auf Erziehung und Bildung zurückdrängen wollte.“

Ernst Haeckel Quelle: Wikipedia

1914, unterdessen in den Vorstand der Deutschen Friedensgesellschaft gewählt, fährt Ossietzky als Delegier­ter zum Parteitag nach Dortmund und verfasst erste politische Artikel für das Organ „Das freie Volk“ der DV. Im Impressum der Zeitung ist er als Mitar­beiter aufgeführt, der Beginn seiner publizistischen Tätigkeit. Er schreibt: „Der Publizist soll weder dozieren noch dreschen, sondern der Zeit den Spiegel vorhalten.“ Und in diesem Spiegel ist die Parteinahme für die Schwachen und Unterdrückten und nicht für die Mächtigen und Etablierten zu erkennen.

Werner Boldt nennt das:

„… Ossietzky wertete und moralisierte nicht vom hohen Ross herab. Er urteilte auf der Basis seiner republikanisch-pazifistischen Gesinnung, aber er propagier­te sie nicht. Er schrieb mit Verständnis und Sympathie für die einfachen Leute, unpolitisch, wenn eine Frau aus der Unterschicht wegen Kuppelei von einem Gericht verurteilt wurde, das einem „vor zweitausend Jahren in einem beschei­denen Distrikt Vorderasiens entstandenen Sittengesetz“ folge,“ und politisch, wenn er an Theodor Heuß den Typ des Parlamentariers ausmachte, der „aus Wolkenhöhen herabblickt auf Flachland, wo sich tief unten das kleine Kropp­zeug abmüht, demokratisch, republikanisch, sozialistisch, ganz ohne Horizont und Niveau, und so grässlich subaltern.“

Arnold Zweig beurteilt – bereits im Exil lebend 1936 den Stil Ossietzkys so: „Sein bestes Portrait ist sein Stil. Sein klares und geschmeidiges Deutsch, das sicher sitzende Wort, der knappe und locker schwingende Rhythmus seiner Sätze, die geheime Ironie sei­ner Anspielungen, oft humorig überglänzt, und der unerbittlich sitzende Flo­rettstoß seines Angriffs – all das gibt es innerhalb Deutschlands nicht mehr.“

Arnold Zweig (links) mit Otto Nagel, 1955 Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-28224-0009 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5350429

Und zum Stil der frühen Artikel meint Werner Boldt:

„… Die frühen Artikel Ossietzkys offenbaren, wie es in ihm brodelt und gärt. Komplexe Vorgänge sucht er zu ergründen und den Lesern durchschaubar zu machen. Dabei geht er den Ursachen des jeweiligen Konfliktes nach, beschreibt das Los der Betroffenen, wagt eine Prognose bei der Beurteilung politischer Vorgänge und zeigt auf, mit welchem Kompass in die Zukunft zu gehen ist. Ohne zu schwanken, geht er seinen Weg als Pazifist, Antimilitarist und Demo­krat. Er sieht die gegebenen Verhältnisse nicht als hinzunehmende Wirklichkeit an, sondern erkennt sie als einen Prozess, der Möglichkeiten für eine Demokra­tisierung eröffnet, und zwar nicht nur staatlicher Einrichtungen und politischer Rechte, sondern auch der Besitzverhältnisse, der Lebensverhältnisse überhaupt.“

Carl von Ossietzky schrieb in dieser Zeit auch für die Blätter des Deutschen Monistenbundes regelmäßig.

Andererseits, In der Zeitschrift „Das freie Volk“ vom 5. Juli 1913 erschien sein Artikel „Das Erfurter Urteil“. Darin ging es um drei Landwehrleute, die auf fünf Jahre ins Zuchthaus wandern sollten. Ossietzky wurde angeklagt wegen „öffentlicher Beleidigung“ weil er die preußische Militärjustiz stark kritisiert hatte. Die 200 Mark Geldbuße, zu der er verurteilt wurde, beglich seine Ehefrau Maud.

„Im August 1914 brach der Erste Weltkrieg aus. So die zumeist häufig verwen­dete Rede- und Schreibweise“, schreibt Werner Boldt.

Die folgenden Sätze habe ich bei ihm abgeschrieben, weil er eben klarmacht, ein Krieg bricht nicht mal eben so aus, es gehören Menschen dazu und die finden sich in seiner Beschreibung:

„… Doch ein Krieg ist kein Vulkan und ein „Kriegs­ausbruch“ kein Naturereignis, sondern Menschenwerk. Am 1. August erklärte die Regierung des deutschen Kaiserreichs Russland den Krieg und am 3. Au­gust Frankreich. Am 4. August bewilligte der Reichstag die zur Führung des Kriegs benötigten Kredite. Alle Parteien, die bürgerlichen wie die SPD, stimm­ten für sie und gingen einen von der Regierung proklamierten „Burgfrieden“ ein. Eine Minderheit der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion schloss sich nur aus Fraktionsdisziplin der Selbstaufgabe der Partei an. Erst bei der zweiten Bewilligung im Dezember 1914 stimmte Karl Liebknecht dagegen. Im Laufe des Krieges folgten immer mehr Abgeordnete seinem Beispiel. Sie gründeten Ostern 1916 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD). Der organisatorische Apparat blieb bei der Mehrheitssozialdemokratie (MSPD). die den Namen Sozialdemokratie weiterführte. Nach der Vereinigung beider Parteien 1922 verwandte man vorübergehend, und zwar noch im gemeinsamen Heidelberger Programm von 1925 die Bezeichnung Vereinigte Sozialdemokra­tische Partei Deutschlands (VSPD).“

Auch die DV (Demokratischen Vereini­gung) verkündete In einem Aufruf an die „Volksgenossen“ das nun alle „ohne Unterschied der Partei“ Brüder seien. Und an die auf dem Balkon des Berliner Stadtschlosses gehaltene Ansprache des Kaisers muss natürlich auch erinnert werden, die da lautete: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.“ Natürlich sieht man den „Massenmord“ voraus­, aber verspricht er nicht auch etwas Gutes? „Er werde „mit seiner entsetzlichen Tragik … den Boden für neue Saat“ düngen. Das Völkermorden des Krieges erscheint als eine Art „Kulturmission“, anders ausgedrückt: „Wie das Jahr 1870 uns die Einheit brachte, so wird uns dieser Weltkrieg größere Ellenbogenweite schaffen und dem Volk freiere Luft.“ „In hoffnungsfroher Aussicht auf eine glänzende Zukunft, die man sich von einem siegreichen Militär versprach, entließ die Partei ihre „kühnen Streiter“ in den „schweren Waffengang“ und schloss: „Auf Wiedersehen, Parteigenossen, nach ehrenvollem Frieden zu neu­er Friedensarbeit!“, schreibt Werner Boldt.

Titelblatt des Wochenblattes das freie Volk

Die Zeitschrift „Das freie Volk“ wird eingestellt mit der Begründung, es bestehe derzeit kein Interesse mehr an „innerpolitischen Fragen“, und über die Kriegsschauplätze berichte die Tagespresse ausreichend, vom Acker gemacht, könnte man meinen.

Und Carl von Ossietzky? Wo er beim Ausbruch des Krieges stand, ist nicht bekannt. Werner Boldt beschreibt einige seiner Äußerungen, doch wirklich helfen werden diese nicht, denn auch Ossietzky fällt offensichtlich auch auf die Propaganda vom „gefährlichen Panslawismus“ mit Russland als Vormacht herein. So fordert er nun „ eine rechtzeitige Abwehr“ gegen die „Barbarei des Zarismus“, Und: „Das feudale kapitalistische Deutsch­land mag vor einem slawischen Ansturm zittern. Das freie Deutschland hat keine Ursache zu Furcht. Mag der Zarismus seine Hunnenherden über Europa hetzen. – Sie sollen sich an unserer überlegenen demokratischen Kultur die Schädel einrennen, wie vor tausend Jahren an den festen Städten Niedersachsens.“

Deutschland eine „überlegene demokratische Kultur“?

Geschrieben hat er also nicht, wo auch, denn die entsprechenden Organe fehlten. Aber gesprochen? Im März und Juli 1915 tritt er als Redner der Hamburger Ortsgruppe der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) auf und vertritt wieder – wenn auch nur eingeschränkt, so Werner Boldt – pazifistische Positionen in einem Vortrag, betitelt „Deutschland im Weltkrieg“. Darüber berichtet das „Blatt“ der „Völker-Frieden“, Organ der DFG: „Nachdem er einige wohltätige Folgen des Krieges aufgezeigt hatte, wies der Vortragende auf die gefährlichen und zerstörenden Wirkungen hin, auf die Gefahren der chauvinistischen Publizistik, auf die Gräuel des Krieges, die Verwirrung der ethischen Begriffe, den Lebensmittelwucher, den blinden Völkerhass und auf die schwankende Haltung der Sozialdemokratie.“

In einem weiteren Vortrag, Titel: „Wofür kämpfen wir?“ spricht er sich gegen jegliche Annexionen aus: „Sie sind ein Fluch, der die Idee der Revanche verewigt. Eroberungen gelten der Regierung und öffentlichen Meinung in Deutschland als ein selbstverständliches Kriegsziel, auch wenn sie damit einen Verständi­gungsfrieden blockieren.“

Wen wundert’s, im selben Jahr wurde von den Militärbehörden der „Völker-Frieden“ verboten.

Rudolf Goldscheid Quelle: https://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_G/Goldscheid_Rudolf_1870_1931.xml

Auch für den DMB (Deutscher Monistenbund) hielt Ossietzky kulturell aus­gerichtete Vorträge. Seit wann er dem Bund angehört, ist unbekannt. Aber im September 1911 richtete die Hamburger Ortsgruppe den Ersten Internationalen Monistenkongress aus, wahrscheinlich trat er dort dem Bund bei. Übrigens verband Ossietzky den Bund mit pazifistischer Gesinnung und berief sich dabei z.B. auf Rudolf Goldscheid, „der mit sei­ner Lehre von der „Menschenökonomie“, die er der „Güterökonomie“ gegen­überstellt, den Krieg anprangerte, in dem der Güter wegen Menschen geopfert werden“: (Werner Boldt)

Kriegsbedingt gibt Ossietzky seine freiberufliche Tätigkeit aus finanziellen Gründen auf und kehrt in das Amtsgericht zurück. Ein Ausgleich, im Januar 1916 schreibt er zwei Erzählungen, amüsante, gefällig anmutende Liebesgeschichten, die er „seiner lieben kleinen Frau“ widmete.

Im Juni 1916 „erwischte“ es Ossietzky doch noch, er wird als Armierungssoldat zum Militärdienst einberufen.

Werner Boldt schreibt:

„… Nicht alle Briefe aus dieser Zeit sind erhalten. Vom Herbst 1916 bis zum Frühjahr 1918 tut sich eine große Lücke auf. In keinem der überlieferten Briefe schreibt er über den Krieg und was er in ihm erlebte. Das ist erstaunlich, befand er sich doch in Flandern inmitten des schlimmsten Kriegs­geschehens.

Im Winter 1917/18 lag Ossietzky monatelang im Lazarett. Auch darüber sagt er nichts.“

Carl von Ossietzky im Lazarett

Und nochmal Werner Boldt über die „Schreibtätigkeit“ Ossietzkys:

„… Obwohl Ossietzky klagte, oft an andere Standorte versetzt zu werden, fand er Zeit, Artikel zu schreiben. So warf er der „Liller Kriegszeitung“ „traurige Gefühlsrohheit“ vor, weil sie mit nationalistischem Pathos scharf getadelt hatte, dass deutsche Soldaten Französinnen, die von ihnen ein Kind erwarteten, hei­raten wollten. Seine Kritik schickte er der pazifistischen Frauenrechtlerin Helene Stöcker, die sie in ihrer Zeitschrift „Die neue Generation“ veröffentlichte. Andere Artikel erschienen in dem monatlichen Mitteilungsblatt der Hambur­ger Ortsgruppe des Monistenbundes. In einem Rückblick weist er daraufhin, dass es ihm in den ersten drei Kriegsjahren nicht vergönnt gewesen sei, als Kriegsgegner einen pazifistischen Artikel in einem deutschen Blatt unterzu­bringen. Erst Ende 1917 sei es ihm vom Lazarett aus gelungen, mit dem Heraus­geber der Hamburger Monatsschrift des Monistenbundes Kontakt aufzunehmen und Raum für pazifistische Beiträge zu erhalten. Bis dahin waren zwei Ab­handlungen über Literatur ungedruckt geblieben sowie das schon erwähnte Ma­nuskript über Monismus und Pazifismus, in dem er dafür warb, aus dem Bund eine pazifistische und demokratische „Sammelstelle für Anhänger freiheitlicher Parteien“ zu machen.“

Delegation der Entente vor dem Salonwagen in Compiègne Zweiter von rechts der französische Delegationsleiter Marschall Foch Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 146-1987-038-29 / CC BY-SA 3.0 DE, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5483371

Der Kieler Matrosenaufstand begann am 3. November 1918, am Morgen des 11. November zwischen 5:12 Uhr und 5:20 Uhr französischer Zeit unterzeichneten die Kriegsparteien den Waffenstillstand von Compiègne, der Krieg war vorbei. Ossietzky kehrte nach Deutschland zurück, Zeitpunkt und nähere Umstände sind unbekannt, aber er ist entschlossen, am friedlichen Aufbau eines demokratischen Deutsch­lands mitzuarbeiten und kündigt am 2. Januar 1919 erneut den Justizdienst.

Eingang zum Pfadweiser Verlag in Hamburg 1919

Im März 1919 wird er Lektor im kleinen monistischen Pfadweiser-Verlag, aber er engagierte sich weder in einer Partei noch in einem Arbeiter- oder Soldatenrat. Optimismus ist angesagt und in einem seiner Artikel schreibt er: „Das arme Deutschland! Das ärmste Land unter der Sonne… Und doch das reichste Land. Das reichste an Hoffnun­gen und günstigen Möglichkeiten. Erbarmungslos ist mit allem Antiquierten aufgeräumt… Es muss ausgesprochen werden gegenüber den allzu Besorgten, den Behutsamen, den wohlmeinend Gemütvollen, dass uns nichts mehr an die Tradition bindet, dass es zwecklos ist, Halbheiten durchzumogeln, dass endlich jene geistige Erneuerung durchgeführt werden muss, die der deutsche Michel jahrhundertelang versäumt hat.“ Und weiter: „Was zusammengebrochen ist, war schlecht fundiert, war nicht Wahrheit, sondern Kulisse. Wir hatten eine wunder­bar entwickelte Technik, eine aller irdischen Gebundenheit spottende Wissen­schaft. Wissenschaft und Technik aber – es ist das nicht allein unsere Schuld, wir folgten einer schlimmen internationalen Tendenz – waren nicht in erster Linie da zu helfen. Sie schufen Werkzeuge der Vernichtung, Werkzeuge grässlichsten Mordens. Wir müssen die Wissenschaft wieder menschlich machen.“

Rosa Luxemburg um 1895–1900 Quelle: Wikipedia

Es folgen in den Monaten Januar und März 1919 die Morde der Militärs in Berlin im Bündnis mit mehrheits-sozialistischen Politikern gegen Rosa Luxemburg, Karl Lieb­knecht und weitere bekannte Kriegsgegner, sowie eine vehementen Hetze gegen die Spartakusgruppe, die sich im Widerstand gegen den Krieg von der SPD getrennt hatte. Zum Jahreswechsel 1918/19 gründete sich die Kommu­nistische Partei.

Karl Liebknecht (ca. 1911) Quelle: Wikipedia

Partei ergriff Ossietzky nicht, sehr wohl aber zeigte er Verständnis für ein „radikales Sektierertum“, das „in Opposition zur Kriegspolitik der alten Partei“, also der Sozialdemokratie, ent­standen sei. „Spartakus“, fasste er zusammen, „ist ein Geschöpf des Burgfriedens. Ebenso ungebärdig und eindeutig wie dieser unwahr.“ Unverständlich daher dass die neuen republikanischen Machthaber sich auf die Sei­te der Militärs schlugen, sicher nicht im Sinne Ossietzkys.

Umso mehr im Sinne Ossietzkys waren die sich damals ausbreitenden Kirchenaustritte. In seinem Sinne deshalb, weil er sich von ihnen politische Reformen versprach. Er dachte dabei an die „Staatskirche“ – übersetzt – an die Obrigkeitshörigkeit der evangelischen Kirche, dessen Geistliche, die er als „devoten Kultusbeamten“ charakterisierte, die sich als ein „Gendarm mit Bibel und Talar“ lächerlich machten.

Etwas gnädiger kam die katholische Kirche weg. Allerdings hatte Ossietzky dabei außer Acht gelassen, dass beide Kirchen vereint die Soldaten der christlichen Kriegsteilnehmer-Länder mit dem Segen der Kirche in einen „gerechten Krieg“ geschickt hatten. 17 Millionen ermordeter Menschen, etwas klarer hätte sein Standpunkt sein dürfen.

Immerhin, es reichte bei der Zentrumspartei – also dem katholischen Klüngel – zu einer „Verfilzung von Religion und Politik“, wobei „im politischen Kampfe der Glaube“ als schützender Schild“ diene.“ Insbesondere stieß ihn die „verkniffene Prüderie“ ab. „Im Un­terschied zu Italien und Frankreich ist der deutsche Katholizismus eine „hoff­nungslose Spießerangelegenheit“.

Im August 1919 wurde Ossietzky zum Sekretär der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) berufen – der Grund für den Umzug nach Berlin und dort wird am 21. Dezember 1919 Tochter Rosalinde geboren. Über das Familienleben wird sie später schreiben, als Ossietzky bereits Herausgeber der „Weltbühne“ war und ein vielbeschäftigter Journalist: „Das Blatt nahm mir meinen Vater und machte meine Mutter krank“. Mit dieser Krankheit ist die Alkoholsucht von Maud von Ossietzky gemeint.

Maud + Rosalie v. Ossietzly

Niedriges Gehalt, ein ärmliches Hinterzimmer, wie ein Mitglied der Friedensgesellschaft in Hamburg schrieb: „Ih­re Wohnung war kaum möbliert, nicht ein einziger Teppich. Es war ein ausge­sprochener Arme-Leute-Haushalt, aber was sie hatten, waren Gebirge von Büchern.“

Der Kinderwunsch ging von Maud aus, aber er wurde trotz materieller Belastungen ein fürsorglicher, liebevoller Vater. Er schreibt am Neujahrstag 1923 in das „Erinnerungsbuch“: „Wir sind jetzt drei. Aus unser beider Leben ist ein neues geworden. Noch zart und schwach. Aber was wir sind, das haben wir mitgegeben. Wir fragen: Haben wir gutes Erbe mitgegeben? Können wir das jetzt beantworten? Ich glaube: nein! Aber eines wollen wir uns geloben: zur Liebe zu dem lieben, kleinen Wesen soll sich Güte gesellen und Nachsicht. Wir müssen versuchen, ihm unsere Kämpfe zu ersparen“ und drei Jahre später: „Wenn ich den kleinen, runden, freundlichen Kinderkopf zwischen uns sehe, dann sage ich mir manchmal, dass wir doch noch nicht unter dem Hammer des Schicksals leben; so ein kleines, Prächtiges Pflänzchen, das würde doch nicht im Schatten von zwei Unfriedsamen gedeihen. Wir haben beide die Anlagen zum Guten wie Bösen, es hilft nichts, wir müssen uns gegenseitig zum Besten entwickeln, einer als Beistand des Andern. Ich mache mehr als gern einen dicken Strich unter Vergangenes. Und wenn ich ein Motto ausgeben möchte für das kommende Jahr, dann eines nur: ein bisschen mehr Lebensfreude! Dazu hilf mir. wie ich willens bin. dir zu helfen. Es wird vieles besser werden, wenn wir beide zusammen, mit unserm Kindchen wieder lachen lernen.“

Werner Boldt schreibt: „Doch die Familie blieb nicht zusammen. Nach ihrer Einschulung im Jahre 1925 kam Rosalinda in ein Kinderheim in der Nähe Berlins. Erst 1930 kehrte sie zu den Eltern zurück. Sie besuchte jetzt ein Lyccum.“ Ossietzky schreibt in’s Erinnerungsbuch:

„Liebste Frau, das vorige Jahr ist für uns nicht sehr ange­nehm verlaufen. Ich lasse beiseite, wer Schuld hat – es wird auf beiden Seiten liegen. Dabei haben wir immer gewusst, dass wir uns gegenseitig nötig haben und liebhaben wie früher… Zu Ostern wird die Kleine zu uns zurückkommen. Damit haben wir eine neue Pflicht. Vielleicht wird damit auch manches besser werden. Ich habe es in diesen Jahren immer wie einen Makel empfunden, dass sie nicht bei uns sein konnte, wie das nur natürlich gewesen wäre.“

Ende Juni 1920 verlässt Ossietzky die Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) und tritt dem Bund Neues Vaterland (BNV) bei, der war im Herbst 1914 wegen der als zu schwächlich empfundenen Oppositionshaltung der DFG von Vertre­tern unterschiedlicher politischer Richtungen gegründet worden. „Ab 1922 nannte sich der Bund nach dem Vorbild seiner französischen Schwe­sterorganisation Deutsche Liga für Menschenrechte (DLfM). In ihrem Pro­gramm bekundete die Liga ihren Willen, „an dem Aufbau der deutschen sozia­listischen Republik auf demokratischer Grundlage und darüber hinaus an dem großen Werke der Völkerversöhnung“ mitzuarbeiten. Mit dieser doppelten Zielsetzung war das Feld umrissen, das Ossietzky als politischer Publizist be­stellte. Die Liga war die einzige Organisation, bei der er sich dauerhaft engagier­te. Zeitweise gehörte er dem Vorstand an. In der Liga erhielt er Anregungen für sein publizistisches Schaffen. Er verdankt ihr tiefere Einsichten in die politische, insbesondere in verfassungsrechtliche Abläufe“, schreibt Werner Boldt.

Nachdem er bereits 1919 gelegentlich Artikel für die „Ber­liner Volks-Zeitung“ (BVZ) geschrieben hatte, wird er nach seinem Ausscheiden als Sekretär der DFG ständiger Mitarbeiter der „BVZ“ von 1920 bis 1924. Zunächst als außenpolitischer Mitarbeiter, später als Redakteur. Daneben engagierte er sich stark in der „Nie wieder Krieg“-Bewegung, die unter der Führung des FdK gegründet worden war.

„Nie-wieder-Krieg“- Bewegung – Aus Wikipedia:

„… Vom FdK ging die Initiative zur Gründung der Nie-wieder-Krieg-Bewegung der Weimarer Zeit aus: Der Aktionsausschuss mit dem Leitmotto „Nie wieder Krieg!“ konstituierte sich am 1. Juli 1920 unter dem Vorsitz des FdK. Er organisierte die jährlichen Großdemonstrationen des Antikriegstages, denen sich zahlreiche andere pazifistische Organisationen anschlossen. Dadurch erhielten diese Veranstaltungen großen Zulauf. Zur ersten Kundgebung dieser Art am 1. August 1920 kamen rund 15.000 Demonstranten, im folgenden Jahr beteiligten sich sogar 200.000 Menschen im Berliner Lustgarten an dieser Aktion. Sie wurde auch von den Gewerkschaften und der SPD unterstützt. In gesamten Deutschen Reich nahmen rund 500.000 Demonstranten an diesen Friedenskundgebungen teil.

Kundgebung nie wieder Krieg 31. Juli 1921

Bei der Kundgebung am 1. August 1922 wurde erstmals Tucholskys Antikriegsgedicht „Drei Minuten Gehör“ vorgetragen, das mit den Zeilen endet:

„Keine Wehrpflicht! Keine Soldaten!
Keine Monokel-Potentaten!
Keine Orden! Keine Spaliere!
Keine Reserveoffiziere!
Ihr seid die Zukunft!
Euer das Land!
Schüttelt es ab, das Knechtschaftsband!
Wenn ihr nur wollt, seid ihr alle frei!
Euer Wille geschehe! Seid nicht mehr dabei!
Wenn ihr nur wollt: bei euch steht der Sieg!
– Nie wieder Krieg –!“

(Theobald Tiger: „Drei Minuten Gehör“, in: Republikanische Presse, 29. Juli 1922, Nr. 6)

Helene Stöcker, vor 1903 Quelle: Wikipedia

Zu den Unterstützerinnen der Bewegung gehörte Helene Stöcker, die in ihrer Monatsschrift „Die Neue Generation“ von den Demonstrationen im In- und Ausland berichtete und mit Artikeln die pazifistischen Ziele beförderte.

Zu jedem Jahrestag des Kriegsausbruches, dem 1. August, organisierte ein „Aktionsausschuss Nie-wieder-Krieg“ große Veranstaltungen in verschiedenen deutschen Städten, vor allem in Berlin. Für die Bewegung gab Ossietzky außerdem ein eigenes Mitteilungsorgan heraus.“

Und einen leider nicht sehr erfolgreichen Ausflug in die Parteipolitik beschreibt Wikipedia:

„… Die pazifistische und journalistische Arbeit, welche Publikationen in zahlreichen Medien umfasste, reichte Ossietzky offenbar nicht aus, um die Ideen von Demokratie und Republik fester in der deutschen Bevölkerung zu verankern. Im März 1924 gründete er daher gemeinsam mit dem Volkszeitungs-Redakteur Karl Vetter die Republikanische Partei (RPD).

Karl Vetter

Ossietzky formulierte das Parteiprogramm, das von den Idealen der Märzrevolution von 1848 und der Novemberrevolution von 1918 getragen war. Es sah eine Stärkung des Staates gegenüber der Privatwirtschaft zum Zwecke des Gemeinwohls vor und enthielt vorsichtige Forderungen nach einer Sozialisierung der Industrie. Ebenfalls trat die RPD dafür ein, volksnahe Einrichtungen der Selbstverwaltung zu bilden. Auch die Forderung nach einer deutschen „Einheitsrepublik“ zur Einigung aller Menschen „deutscher Zunge“ und Kultur klangen an.

Mit dem vagen Konzept eines demokratischen Staatssozialismus unterschied sich die Partei sowohl von der SPD als auch von der KPD. Diese Position sollte Ossietzky bis zum Ende der Weimarer Republik nicht mehr aufgeben, womit er auf Distanz zu den beiden großen Parteien der Arbeiterbewegung blieb. Kritiker und selbst Freunde wie Hellmut von Gerlach warfen der Partei vor allem vor, lediglich zur Zersplitterung der demokratischen und republikanischen Kräfte beizutragen. Da die Partei in der Reichstagswahl vom Mai 1924 nur 0,17 Prozent der Stimmen und kein Mandat erhielt, wurde sie bald danach aufgelöst.“

Hellmuth von Gerlach um 1932

Ab September 1921 arbeitete Ossietzky als Sonderberichterstatter der BVZ in Bayern. „Unter der vom Ministerpräsidenten Gustav von Kahr geführten Mitte-Rechtsregierung entwickelte sich Bayern zur „Ordnungszelle“ des Reiches, in der die rechtsextremen paramilitärischen „va­terländischen“ Verbände gediehen“ schreibt Werner Boldt und meint damit u.a. die Ermordung des Zentrumspolitikers Matthias Erzberger durch Angehörige der „Organisation Consul“, oder die „reaktionä­re Geheimbündelei“ paramilitärischer Organisationen – Ossietzky nannte sie „Eiterbeulen“ – oder „mysteriöse Organisationen“, wie z.B. die National-Sozialistische Partei“ und natürlich gehörte auch „Die Thule-Gesellschaft„, ein politischer Geheimbund, im August 1918 in München gegründet, dazu.

Gustav von Kahr (vorn links) mit Erich Ludendorff (Mitte) im Jahr 1921 Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-R41120 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5368409

Im März 1921 wurde in Weimar der Republikanische Reichsbund ins Leben gerufen, ab 1922 „firmierte“ er um in „Deutscher Republikanischer Reichsbund“ und „war ein überparteilicher Zusammenschluss von Politikern aus den Parteien der sogenannten Weimarer Koalition (SPD, DDP und Zentrum), die sich zu der demokratischen und republikanischen Verfassungsordnung der Weimarer Republik bekannten und den Einfluss antidemokratischer Kräfte im Staatsapparat bekämpfen wollten. Er existierte von 1921 bis 1933“, schreibt Wikipedia.

Und Werner Boldt ergänzt:

„… Gemeinsam mit bürgerlichen Demokraten wie Theodor Heuß, mit So­zialdemokraten wie dem Reichstagspräsidenten Paul Lobe, dem nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch zurückgetretenen Reichskanzler Gustav Bauer und dem preußi­schen Innenminister Carl Severing, mit Pazifisten wie Ludwig Quidde, Künst­lern wie Max Liebermann und Journalisten wie Kurt Tucholsky unterzeichnete Ossietzky den Gründungsaufruf.“

Carl Severing pr. Innenminister August 1923

Diese Mitgliedschaft im „Deutschen Republikanischen Reichsbund“ sollte für Ossietzky Folgen haben, er verlor seine Stellung bei der „Ber­liner Volks-Zeitung“, denn die Zei­tungen des Mosse-Konzerns, zu dem die BVZ gehörte, unterstützen die DDP. Ossietzky verließ im März 1924 die BVZ.

Seine Bilanz jener Tage: Ein „Linkskartell“ war in weite Ferne gerückt, seine Säulen: „Verteidigung der republikanischen Institutionen, Erweiterung der bürgerlichen Freiheiten, unbedingtes Bekenntnis zum sozialen Fortschritt mit den derzeit rein bür­gerlichen Regierung nicht zu erreichen. Seine Sicht: „Es gibt keine Repu­blik in Deutschland! Man spricht häufig von der Republik ohne Republikaner. Es liegt leider umgekehrt: die Republikaner sind ohne Republik. Und es gibt keine Republik, weil es keine Linke gibt. Weil das große Moorgelände der „,Mitte“ alles aufsaugt. Weil man viel lieber .ausbalanciert‘ als kämpft.“

Nächste Station nach seinem Ausscheiden bei der „Berliner Volks-Zeitung“: Stefan Großmann, Herausgeber der Wochen-Schriften „Das Tage-Buch“ und des „Montag Morgen“ stellt ihn als Redakteur ein. Im Umfeld der „Blätter“, aber auch im Umfeld von Repräsentanten der Industrie und des Handels diskutierte man über einen „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich. Auch Ossietzky sprach sich wiederholt für diese Vereinigung aus und berichtete gelegentlich darüber, mit angezogener Handbremse sozusagen und wie bekannt, zustande gekommen ist die „Idee“ nicht, das dauerte noch einige Jahre.

Über das Ende seiner Mitgliedschaft in den Redaktionen „Das Tage-Buch“ und „Montag Morgen“ schreibt Wikipedia:

„… Die Zusammenarbeit mit den renommierten Journalisten währte nicht lange, da beide nach Auffassung Ossietzkys nicht scharf genug das Militär angriffen und über wichtige Themen am liebsten selber schrieben. Daher war er schon im Februar 1925 fest entschlossen, vom „Tage-Buch“ zur „Weltbühne“ zu wechseln. Ein gegen ihn gestellter Strafantrag bewog ihn dazu, die Kündigung aufzuschieben. Im Winter 1925/1926 kam er vorübergehend beim Berliner „Montag-Morgen“ unter, ehe er den entscheidenden Schritt seiner Karriere wagte.“

Herausgeber der „Weltbühne – Wikipedia schreibt:

„… Auf Anregung Tucholskys hatte sich Siegfried Jacobsohn, Herausgeber der Berliner Wochenzeitschrift „Die Weltbühne“, von Sommer 1924 an um die Mitarbeit Ossietzkys bemüht. Es sollte noch bis zum April 1926 dauern, bis zum ersten Mal ein politischer Leitartikel von ihm in dem Blatt erschien. Nach Jacobsohns Tod ernannte die Witwe Edith Jacobsohn — nach einem kurzen Interregnum Kurt Tucholskys — Ossietzky zum Herausgeber und Chefredakteur der Weltbühne.“

Kurt Tucholsky

Wie, wann und warum Ossietzky zur „Weltbühne wechselte habe ich in den Kapiteln „Siegfried Jacobsohn“, „Die Weltbühne“ und „Kurt Tucholsky“ beschrieben und so erscheint Ossietzkys erster Beitrag in der „Weltbühne“ im April 1926.

Endlich „frei“ in der „Weltbühne“ lieferte Ossietzky „eine kritische Bestandsaufnahme des außenpolitischen Systems zwischen Großmachtpolitik und Völkerbund dar, zwi­schen Locarno und Genf, verbunden mit einer Kritik an der Schaukelpolitik zwischen Russland und den Westmächten, die deutsche Konservative in unse­ligem Gedenken an das Kaiserreich wieder aufleben lassen wollten“, schreibt Werner Boldt. Gefolgt von einer Analyse der deutschen Innenpolitik nach einem Jahr Hindenburg unter dem parteilosen Kanzler Luther und diese schließt er ab mit einem Ausblick: „Erst wenn auf Luthers Platz Einer sitzt, der weniger in­teressiert erscheint, reaktionäres Wollen den Gesetzen der Vernunft einzuord­nen   erst dann werden die letzten Möglichkeiten der Präsidentschaft Hindenburg offenbar werden. Denn wer zu lenken ist, ist auch zu schieben.“

Am 3. Dezember 1926 stirbt Siegfried Jacobsohn wir nach Rücksprache mit dem in Paris lebenden Kurt Tucholsky wird Ossietzky im Januar 1927 zum Leiter und verantwortlichen Re­dakteur der „Weltbühne“.

Die „Weltbühne“ und die Zeitschrift „Tage-Buch“ standen auf der demokratischen Linken, ohne sich an eine Partei zu binden, aber die „Weltbühne“ übte die entschiedenere Kritik, z.B. an der politischen Entwicklung der Wei­marer Republik, vor allem aber an den Machenschaften der Reichswehr, wie zahlreiche Anklagen gegen das Blatt und seine Mitarbeiter belegen.

Ossietzky ist Publizist, aber kein „Chef“ im eigentlichen Sinne, es lag ihm nicht daran, die „Weltbühne“ auf eine Linie zu bringen, worin er mit Tucholsky übereinstimmte, wenn dieser schrieb: „Die „Weltbühne“ ist eine Tribüne, in der die gesamte deutsche Linke in des Wortes weitester Bedeutung zu Worte kommt; wir verlangen von unseren Mitarbeitern Klarheit, persönliche Sauberkeit und guten Stil… So habe ich das Blatt von meinem verstorbenen Lehrmeister Siegfried Jacobsohn über­nommen und so habe ich es an Carl von Ossietzky weitergegeben, der keinen Finger breit von dieser Linie abgewichen ist. Die „Weltbühne“ verzichtet bewusst auf ein starres Dogma; bei uns wird diskutiert.“

Rudolf Amheim, Mitarbeiter der „Weltbühne“ schrieb 1932 an Ossietzky, als dieser seine Haftstrafe „absaß“: „Es ist eine grausame Ironie, dass man an einen solchen Ort des Uhrenkults und der preu­ßischen Hausordnung grade Sie verschleppt hat, zu dessen Art es so gehört, sich über die bürgerlichen Regelmäßigkeiten hinwegzusetzen. Sie lieben es doch, Ihren Tag ohne Mittagessen und ohne Mantel hinzuleben, mit Kaffee zu den seltsamsten Tageszeiten und Tageszeitungen; mit halb eingestürzten Papierber­gen auf Ihrem Schreibtisch, Sie bevorzugen Bleistiftstummel, wo andre nicht ohne ein Prunktintenfass mit silbernem Rotstift auskommen… Vermissen Sie das Päckchen Zeitungsausschnitte, das jeden Tag eintrifft? Sie machen ja doch keinen Lärm, wenn Ihnen der Bierhauch der Hakenkreuzbrüder ins Gesicht schlägt, wenn die Freunde von links mit Hammer und Sichel gegen Sie zu Fel­de ziehen und die Freunde von rechts mit Ihren drei Pfeilen nach Ihnen schie­ben. Ich habe Sie überhaupt nie wütend gesehen, außer wenn einer unhöflich oder unkameradschaftlich wurde. Lieber Herr von Ossietzky, die Wand, die wir mit ausgeschnittenen Photos zu dekorieren pflegen und auf der Sie zwischen Greta Garbo und dem Genossen (Karl) Zörgiebel prangen, soll neu tapeziert werden. Der Stubenmaler will Sie, vielleicht aus Rücksicht auf seinen berühmtesten Be­rufskollegen, überkleben. Es wird ihm wenig nützen. Denn wir vermissen Sie alle.“

Karl Zörgiebel li. Parade 11. August 1930

Und der Vollständigkeit halber ein Resümee Ossietzkys, als er sich vor dem Antritt seiner Haft im Mai 1932 von seinen Lesern verabschiedete: „Die „Weltbühne“ war, so wie ich sie von S. J. übernommen habe, ein wunderbar getriebenes Metallgefäß, in dem die schönsten Dinge gesammelt waren, und so funkelte es verführerisch im Abendrot der bürgerlichen Zeit – ein letzter Kämpfer, der in edler Linie focht. Heute ist alles mit Politik und Ökonomie vollgestopft, und aus einem Refugium der Schönheit ist ein Depot aller Sorgen geworden. Aber die „Weltbühne“ hat diesen Übergang gut überstanden, und ich verlasse die Redaktion in dem Bewusstsein, .das Blättchen‘, wie S. J. so gern sagte, unversehrt durch ein paar Jahre getragen zu haben, die als Kriegsjahre zählen müssen und in denen noch mehr Charaktere als kaufmännische Unternehmungen zusammengebro­chen sind.“

Zurück zu Ossietzky, zurück zur „Weltbühne“.

Am 8. September 1926 wird Deutschland in den nach dem Er­sten Weltkrieg gegründeten Völkerbund mit Sitz in Genf aufgenommen.

Wikipedia schreibt:

„… Der Völkerbund war eine zwischenstaatliche Organisation mit Sitz in Genf. Als Ergebnis der Pariser Friedenskonferenz nach dem Ersten Weltkrieg entstanden, nahm er am 10. Januar 1920 seine Arbeit auf.“

Genf, Haus des Völkerbundrates (Aufnahme aus dem Jahr 1931) Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 102-11045 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5415220

Man sollte meinen, die Pa­zifisten hätten sowohl den Völkerbund wie auch die Aufnahme Deutschlands in diesen begrüßen. Aber es kam Kritik. Werner Boldt schreibt:

„… Der erste Punkt betraf einen Geburtsfeh­ler. Die ehemaligen Kriegsgegner der Siegermächte blieben ausgeschlossen und wurden zwecks Bewährung auf eine Wartebank gesetzt. Der Völkerbund war aus ihrer Sicht mit dem Odium belastet, ein Instrument der Siegermächte zu sein. Auch Ossietzky vertrat nur die allgemein herrschende, auch unter Pazi­fisten verbreitete Auffassung, wenn er im Völkerbund das „Machtinteresse der Siegerstaaten“ dominieren sah, ihn ursprünglich sogar als „Interessenvertretung einiger Siegergroßmächte“ abwertete.

Gravierender für eine Reihe von Pazifisten war, dass der Völkerbund nur aus Staaten bestand – in ihren Augen eine Fehlkonstruktion. Der Völkerbund war gerade zwei Jahre alt, als Ossietzky ihn mit der Idee einer anzustrebenden pa­zifistischen Einrichtung konfrontierte: „Der alte Völkerbund von Versailles nahm den Staat als etwas Gegebenes hin, der neue Völkerbund, den wir erseh­nen, gleichsam der soziale Völkerbund, hat die demokratisierte Wirtschaft zum Untergrund und stabilisiert endgültig den internationalen Charakter aller geisti­gen und ökonomischen Strömungen der Gegenwart. Wird sich dieser Gedanke einmal wirklich durchsetzen, dann ist die Zeit der nationalen Politiken endgül­tig abgelaufen, und wie ein toller Wahn wird es in Zukunft erscheinen, dass man einmal das Vaterland anderer zertrümmerte, nur um das eigene zu schützen“.

Carl von Ossietzky – 10. Mai 1932

Obwohl Ossietzky dessen Existenz akzeptiert, hat auch er Bedenken: „Der Völkerbund ist völlig zum Instrument der ver­schiedenen Imperialismen geworden. Was unsre Außenpolitik an überstaatlicher Organisation goutieren kann, das ist nicht der Friedensbund demokratischer Nationen mit fester Bindung der Mitglieder, son­dern ein zu nichts verpflichtender Honoratiorenkonvent, wo man sich auf der Bank der Großmächte dicke tut.“

Parallelen zur UNO und heute?

Auch in ein weiteres ungelöstes „Problem“ nach dem 1. Weltkrieg legte Ossietzky seine Finger, oder im wahrsten Sinne seinen Griffel, die wichtigsten Großmächte besaßen Kolonien und er beklagte das Versagen des Völkerbundes gegenüber den Befreiungsbestrebungen in diesen: „Was hört der Völkerbund vom Brüllen Chi­nas, was von Afrikas dumpfem Grollen? Die Genfer Exzellenzherren wagen nicht einmal von den Bestialitäten in Marokko und Syrien zu sprechen. Aufga­be des Völkerbundes in einer Zeit, wo es überall revolutionär rumort, kann aber nur sein, nicht konservierend, sondern weiterführend zu wirken. Nicht Einbal­samierung modernder Präponderanzen, sondern Schutz des Werdenden, Versu­che, unvermeidliche Entwicklungen möglichst zu entbarbarisieren, – das muss­te sein Programm sein.“ Und ein besonderes Beispiel war China. Aber darauf einzugehen, überschreitet meine Möglichkeiten.

Mit seiner Ernennung zum Chefredakteur der „Weltbühne“ wird Ossietzky einer der wichtigsten Publizisten in der Weimarer Republik. Seine Artikel richten sich u.a. kritisch gegen Parteipolitik und gegen die Schwächung der Verfassung. Wikipedia schreibt:

„… Unter Leitung Ossietzkys behielt die „Weltbühne“ ihre Bedeutung als undogmatisches Forum der radikaldemokratischen, bürgerlichen Linken bei. Dass sich Ossietzky in dieser Funktion großes Renommee erwarb, zeigt auch die Tatsache, dass er nach dem Berliner Blutmai im Mai 1929 den Vorsitz des Ausschusses übernahm, der die Hintergründe für den gewalttätigen Polizeieinsatz klären sollte.“

Trotzdem war Ossietzky für die Kommunisten „verachtetes und bekämpftes Symbol“ der bürgerlichen Opposition. Die Sozialdemokraten griffen ihn an und belächelten ihn als „Idealisten“. Die Liberalen sahen ihn als „Republikzerstörer“, schreibt Wikipedia.

Blutmai 1. Mai 1929

Wegen seiner teilweise sehr scharfen Kritik an der Wiederaufrüstung „landet“ er wiederholt vor Gericht und wird verurteilt.

Der wohl wichtigste Prozess gegen ihn und Walter Kreiser, sozialdemokratischer Militärexperte und Mitglied der Deutschen Liga für Menschenrechte, der so genannte Weltbühnenprozess war ursprünglich auf den 8. Mai 1931 festgesetzt.

Nach monatelanger Geheimhaltung und strenger Zensur erfuhren am 5. Mai 1931 schließlich die Leser der „Weltbühne“ von dem Verfahren, das bereits seit zwei Jahren schwebte. Auslöser war der Artikel „Windiges aus der Luftfahrt“ von Walter Kreiser aus dem Jahr 1929.

Walter Kreiser 1931

Und zum Ausgang des Prozesses und dem Urteil nochmal Wikipedia:

„…Der Prozess endete am 23. November mit der Verurteilung der beiden Angeklagten wegen „Verbrechen gegen den § 1 Absatz 2 des Gesetzes über Verrat militärischer Geheimnisse vom 3. Juni 1914“ zu der von der Staatsanwaltschaft geforderten Gefängnisstrafe in Höhe von 18 Monaten. Auch waren die betreffende Ausgabe der „Weltbühne“ vom März 1929 „ebenso wie die zu ihrer Herstellung notwendigen Platten und Formen“ unbrauchbar zu machen. Die Urteilsbegründung wurde ebenfalls unter Ausschluss der Öffentlichkeit verlesen, „da die tatsächliche und rechtliche Würdigung des inkriminierten Artikels durch das Gericht naturgemäß nicht erfolgen konnte, ohne die in Rede stehenden geheimen Nachrichten zu erwägen und zu beleuchten“.

Seine Haltung hat dieses Urteil anscheinend nicht sonderlich beeinflusst, er schreibt in der „Weltbühne: „Wenn ich an dieser Stelle Allen, die sich mit uns solidarisch erklärt haben, den Kampf für die Meinungsfreiheit weiterzukämpfen, unsern herzlichsten Dank ausspreche, so bin ich mir bewusst, dass darin ein Versprechen an die Zukunft liegt, das gehalten werden muss. Wir werden unsre Tribüne, das von Siegfried Jacobsohn übernommene Erbe, nicht zerschlagen und noch weniger durch Kon­zessionen entwerten lassen… Die heutigen Herausgeber der „Weltbühne“ haben die schwere Erbschaft unter Gefühlen des Schwankens und des Zweifels in die eigne Berufung übernommen. Seitdem sind fünf Jahre dahingegangen, von denen mindestens die letzten beiden Kriegsjahre gewesen sind. Wir haben eine Idee und eine Linie übernommen, und da die „Weltbühne“ heute wieder gehasst und verfolgt wird, so wissen wir, dass wir ihrem Geist nicht untreu geworden sind. Die „Weltbühne“ steht wieder im Kampfe wie einst. Sie lebt also.“

Und um eine Stellungnahme zum Urteil für das „8-Uhr-Abendblatt“ gebeten, schreibt er: „Ich würde keinen Tintenspritzer an einem Widerspruch verschwen­den, wenn das Urteil des 4. Strafsenats die erste Kraftanstrengung des Dritten Reiches darstellen würde. Noch leben wir aber in der demokratischen Republik, auf deren Grundsätze ich schwöre und die ich vom Tage ihrer Geburt an vertei­digt habe. Noch leben wir im Zustand verbürgter Meinungsfreiheit, noch immer in einem Staate, in dem das Militär den zivilen Gewalten unterworfen ist. Des­halb werde ich weiter dafür einstehen, dass der Geist der deutschen Republik nicht durch eine missverstandene Staatsraison verfälscht wird.“

Carl v. Ossietzky Zeichnung von Emil Stumpp im Dortmunder Generalanzeiger 24. Dezember 1932

Warum dieses eindringliche Bekenntnis zur Republik? Werner Boldt meint:

„… Ossietzky wandte sich in diesem Falle an die Leser einer bürgerlich-demo­kratischen Zeitung, die das Notverordnungsregime Hindenburg/Brüning als ei­nen vorübergehenden und somit hinnehmbaren, tolerierbaren Ausnahmezustand betrachtete und nicht als einen ersten Schritt in die Diktatur. Gegenüber den Lesern der Weltbühne sah er im Prozess nur noch das „Dekorum des Rechtsver­fahrens“ gewahrt. Das Urteil des Reichsgerichts bewertete er als einen klaren Anschlag auf die Pressefreiheit. Dennoch gewann er ihm einen „hellem Aspekt“ ab, was er freilich nicht juristisch, sondern politisch meinte. Habe sich die Rechtsprechung des Reichsgerichts seit langem auf die „Parteigänger des Links­radikalismus“ und gelegentlich auf ein paar Pazifisten beschränkt, so deute der Weltbühnenprozess nun auf eine Erweiterung der Arbeitssphäre des Gerichts hin: „Die Öffentlichkeit ist aufgescheucht, die Blicke richten sich wieder nach Leipzig. Es wächst die Erkenntnis für das vom Reichsgericht in langen Jahren angestellte Unglück.“ Fast schon emphatisch rief Ossietzky „alle antifaschistischen Kräfte“ auf zusammenzustehen. Er schloss mit einem Wort aus Schillers „Wilhelm Teil“: „Es ist ein Feind, vor dem wir alle zittern, und eine Freiheit macht uns alle frei!“

Die Reaktion der „Blätter“? Eher bescheiden, Distanz wahrend zu Ossietzky und der „Weltbühne“. Noch am entschiedensten äußerte sich die „Berliner Volks-Zeitung“, eine regionale Tageszeitung, die republikanische Positionen und linksliberale Positionen vertrat, dort schrieb man: „ein Schreckensurteil in Sachen Landesverrat, das offenbar dazu be­nimmt ist, eine neue Ära zu eröffnen, in der jede freie und unbequeme Mei­nungsäußerung gegen Reichswehr und reaktionäre Wehrverbände rücksichtslos unterdrückt werden soll.“

Über die Reaktion der „Rechtspresse“ schreibt Werner Boldt:

„… nahm das Urteil des Reichsgerichts mit Beifall auf. Doch sie befasste sich nicht näher mit ihm, sondern benutzte es für einen Generalan­griff auf die Pazifisten insgesamt. Die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ (DAZ), ein der DVP nahestehendes Organ der Schwerindustrie und der Banken, begrüßte es als einen Schlag gegen den „deutschfeindlichen“ Pazifismus.“

Ehemaliger Reichswehrminister Wilhelm Groener (li) + Otto Geßler 1932

Reichswehrministers Groener erneuert seine Forderung unter Berufung auf den Weltbühnenprozess nach einem Sonder­gesetz gegen Pazifisten, nachdem er bereits im Reichstag angekündigt, gegen Journalisten vorzugehen, die „Märchen“ über die deutsche Aufrüstung verbreiten würden: „Ich stehe nicht an zu erklären, dass ich außer­ordentliche gesetzliche Maßnahmen gegen diese Staatsverleumder für erfor­derlich halte und auch beim Reichskabinett bereits beantragt habe.“ Darauf Ossietzky in einem „Offenen Brief“ in der „Weltbühne“ in dem er sich „ge­gen diffamierende Angriffe auf seine Person“ verwahrt: „Zu meinem Bedauern kann ich nicht verhehlen, dass Ihre Bezugnahme auf unsern Prozess von herzlich wenig Noblesse zeugt. Ein kämpfender Skribent meiner Sorte hat ein sehr ausgepräg­tes Ehrgefühl, das dem eines alten Soldaten nicht nachsteht. Der Leipziger Prozess hat im Dunkeln stattgefunden … Und diesen in der Dunkelkammer exeku­tierten Prozess nehmen Sie zum besondern Anlass, nicht nur um ein Gesetz zu fordern, das die gesamte Presse unter Kuratel bringt, sondern auch um die Ver­urteilten, die schweigen müssen, die kaum mit der linken Hand fechten können, als höchst dubiose Figuren hinzustellen.“ Und weiter: „Sie haben es sich zu einfach gemacht, Herr Minister, Sie set­zen Pazifismus gleich Landesverrat. Aber etwas andres als der Pazifismus steht hier zur Debatte, nämlich die Frage, ob die Deutsche Republik bürgerlich oder militärisch regiert werden soll. In den engen Kreis seiner beschworenen Pflich­ten gebannt zu sein, das ist das besondere berufliche Schicksal des Soldaten, der Verzicht auf bestimmte bürgerliche Betätigung seine besondere Ehre. Bricht er dagegen aus diesem Kreise, dringt er selbst Subordination heischend in das zi­vile Regiment ein, erklärt er seine Kasteninteressen für die vornehmsten der ganzen Nation, so sieht es allemal um einen Staat übel aus. Es gibt kein größe­res Unglück für die Allgemeinheit als den politisierenden Militär.“

„Ossietzkys Angebot, über den Weltbühnenprozess, Landesverrat und Pazifis­mus zu diskutieren, ging ins Leere. Groener ignorierte es. Er hatte vor, weitere Prozesse vom Reichsgericht gegen Pazifisten führen zu lassen“, schreibt Werner Boldt.

Und so zieht Ende März 1932 Ossietzky ein ernüchterndes Fazit: „So sinkt die Freiheit der Presse langsam in sich zusammen, nicht nur weil das im Gesetz der kapitalistischen Entwicklung liegt, das ist ein andres Stück und soll in diesem Zusammenhang nicht berührt werden, sondern weil der immer mehr diktatoriale Formen anneh­mende Staat in jeder fundierten gegnerischen Meinung ein Kardinalverbrechen sieht. Der Effekt bleibt nicht aus. Wir können ohne Übertreibung behaupten, dass es zum Beispiel seit dem Landesverratsprozess gegen die „Weltbühne“ im vergangenen November kaum mehr eine ernsthafte Militärkritik in der deut­schen Presse gegeben hat. Das Exempel hat gewirkt. Wer hat danach noch Lust, sich die Finger zu verbrennen?“

Nachtzutragen wäre noch, dass Ossietzky es strikt ablehnte, sich dem Gefängnisaufenthalt durch Flucht ins Ausland zu entziehen. Stattdessen erklärte er nach der Ablehnung eines Gnadengesuches kurz vor dem Haftantritt: „über eines möchte ich keinen Irrtum aufkommen lassen, und das betone ich für alle Freunde und Gegner und besonders für jene, die in den nächsten achtzehn Monaten mein juristisches und physisches Wohlbefinden zu betreuen haben: – ich gehe nicht aus Gründen der Loyalität ins Gefängnis, sondern weil ich als Eingesperrter am unbequemsten bin. Ich beuge mich nicht der in roten Sammet gehüllten Majestät des Reichsgerichts, sondern bleibe als Insasse einer preußischen Strafanstalt eine lebendige Demonstration gegen ein höchstinstanzliches Urteil, das in der Sache politisch tendenziös erscheint und als juristische Arbeit reichlich windschief.“

– „Rechenschaft“: „Die Weltbühne“, 10. Mai 1932, S. 690.

Kurt von Schleicher

Und aus Wikipedia:

„… Von dem Weltbühne-Mitarbeiter Walter Mehring ist die Episode überliefert, dass der spätere Reichskanzler Kurt von Schleicher persönlich in die Redaktion der Zeitschrift gekommen sei, um Ossietzky zur Ausreise in die Schweiz zu überreden. Ossietzky kommentierte diesen Versuch mit den Worten: „Jetzt sollen die Herren, die mir die Gefängnissuppe eingebrockt haben, sie auch selber auslöffeln.“

Walter Mehring

Am Dienstag den 4. August 1931 erscheint in der Zeitschrift „Die Weltbühne“ eine Glosse des Autors Ignaz Wrobel alias Kurt Tucholsky, mit dem Titel: „Der bewachte Kriegsschauplatz“ und darin schreibt dieser „Soldaten sind Mörder.“ Diese Glosse wird über Jahrzehnte bis in die heutige Bundesrepublik hinein einer der wichtigsten politischen Artikel sein und Carl von Ossietzky kommentiert bereits kurz nach der Veröffentlichung: Es ist falsch wenn man annimmt, dass es sich um die Diffamierung eines Standes handelt; es handelt sich um die Diffamierung des Krieges.“

Hilft auch nicht viel, als verantwortlicher Redakteur der „Weltbühne“ steht er vor dem Schöffengericht Ber­lin-Charlottenburg nach einem Strafantrag General Groeners wegen Beleidigung der Reichswehr. Das Verfahren mit einem Freispruch auch nach der eingelegten Revision.

Eine „Götterdämmerung“ kann man die Reichspräsidentenwahl am 13. März 1932 durchaus nennen. Fünf Kandidaten stellten sich zu dieser Wahl und am äußersten rechten Rand bewarb sich Adolf Hitler, es folgten nur wenig weiter in die Mitte Theodor Duesterberg, nach Tobias Wilhelm Franz Seldte der zweite Bun­desführer des Stahlhelm, gefolgt von Hindenburg – u.a. Ehrenvorsitzender des Stahl­helm – und Gustav A. Winter.

Gustav A. Winter Quelle: Wikipedia

Dieser „stammte aus Großjena und war beruflich als Betriebsanwalt tätig. 1927 gründete er den Volksbund für „Wahrheit und Recht“, der die Aufwertung der rotgestempelten Vorkriegs-Tausendmark-Noten bei der Reichsbank durchsetzen sollte. Winter geriet im Rahmen dieser Bemühungen mit dem Gesetz in Konflikt und wurde wegen Betruges zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Bei der Reichspräsidentenwahl 1932 wurde Gustav A. Winter, noch wegen Betruges in der Landesstrafanstalt Bautzen einsitzend, als Kandidat der Inflationsgeschädigten aufgestellt, erreichte aber nur 0,3 % der Stimmen im ersten Wahlgang, wonach er seine Kandidatur zurückzog“, schreibt Wikipedia.

Der fünfte Kandidat war Ernst Johannes Fritz Thälmann, von 1925 bis zu seiner Verhaftung im Jahr 1933 Vorsitzender der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), die er von 1924 bis 1933 im Reichstag vertrat.

Ernst Johannes Fritz Thälmann Quelle: https://spartakus.fandom.com/wiki/Ernst_Th%C3%A4lmann

Ossietzky auf die Frage, wer wählbar sei – als ein „parteiloser Mann der Linken“ hätte er gern für einen akzeptablen Sozialdemokraten gestimmt. Die SPD aber unterstützte Hindenburg, hoffend, dass dieser an Kanzler Brüning festhalten würde. Ossietzky glaubte an diese „Variante“ nicht und sollte Recht behalten. Alle an­deren Kandidaten sind „mehr oder weniger nuancierte Reaktion“, also wählte er Thälmann und begründete seine Entscheidung in der „Weltbühne“: Er wisse, dass dessen Kandidatur aussichtslos sei, aber er verspreche sich etwas von ihr: „Je besser Thälmann abschneidet, desto deutlicher wird demonstriert, welch einen Erfolg eine sozialistische Einheitskandidatur hätte haben können, welche Möglichkei­ten noch immer bestehen. Auf diese Lektion kommt es an.“ Und an Tucholsky: „Die Sache war unge­wöhnlich schwierig, und die brutale Wahrheit ist. dass ich taktisch laviert habe, während die Entscheidung radikal aussah.“

„Mit seiner Idee einer sozialistischen Einheitskandidatur stieß Ossietzky bei keiner der beiden Arbeiterparteien auf Verständnis. Die Kommunisten hatten schon früh die Kandidatur Thälmanns angemeldet und sich für einen Allein­gang entschieden. Die Sozialdemokraten erwogen intern die Kandidatur des preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun oder des Reichstagspräsidenten Paul Löbe. Ossietzky, der davon offenbar wusste, bezeichnete in seinem Arti­kel beide als akzeptable Kandidaten“, schreibt Werner Boldt.

Reichstagspräsidenten Paul Löbe Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 102-01053A / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5479322

Und weiter:

„… Da die Sozialdemokraten ihr Heil bei Hindenburg suchten, warf Ossietzky ihnen vor, es als allzu selbstverständlich anzunehmen, dass Hindenburg den „von ihnen tolerierten gegenwärtigen Zustand“ beibehalten werde. In der Tat wagten die Sozialdemokraten nicht einmal, sich politische Zusagen geben zu lassen, betrachtete es Hindenburg doch schon als eine Zumutung, von ihnen gewählt zu werden, während sich seine alten nationalkonservativen Anhänger von ihm abwandten und fremd gingen. Es klingt resignierend, wenn Ossietzky feststellte: „Die Sozialdemokratie fragt nicht, fordert nicht. Die Hindenburg-wähler torkeln ins Ungewisse.“

Den ersten Wahlgang gewann zwar Hindenburg, aber er verfehlte die absolute Mehrheit und um es kurz zu machen, nach dem zweiten vom 10. April 1932 hieß der neue Reichspräsident wie der alte, Hindenburg, eine „ehrwürdige Null“, wie ihn schon 1922 der Historiker Hans Del­brück bezeichnet hatte.

Über die Folgen dieser Wahl schreibt Wikipedia:

„… Unmittelbar danach setzte zudem ein Vertrauensverlust Hindenburgs gegenüber Brüning ein, der während der Wahl doch sein aktivster Fürsprecher gewesen war. Der Entlassung Brünings am 29. Mai folgte mit Franz von Papen ein Kanzler, der die Republik ablehnte.

Franz von Papen 1940 als Diplomat in der Türkei Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-S00017 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5368862

Am 30. Januar 1933 ernannte Hindenburg Hitler zum Reichskanzler und erlaubte ihm die geforderte Auflösung des Reichstags für Neuwahlen. Am 4. Februar erließ Hindenburg die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes, mit der zunächst Meinungs- und Versammlungsfreiheit aufgehoben wurden, sowie am 28. Februar die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat, mit der die übrigen Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden. Hindenburg verstarb am 2. August 1934, bereits einen Tag zuvor vereinigte Adolf Hitler per Gesetz die Ämter des Reichskanzlers und des Reichspräsidenten in seiner Person. Am 19. August 1934 ließ die nationalsozialistische Regierung das Volk mit der Volksabstimmung über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs über diese Ämterzusammenlegung abstimmen, wodurch der Urnengang 1932 die letzte Reichspräsidentenwahl im Deutschen Reich blieb.“

Die Wahl Hindenburgs zeigte nicht nur die „Wanderung“ nach rechts auf, sondern war für Ossietzky Antrieb, weiter Appelle an die Parteien der Linken zu richten, die man unter Tucholskys Satz: „Der Feind steht rechts“ zusammenfassen kann. „Ich frage euch, Sozialdemokraten und Kommunisten: – werdet ihr morgen überhaupt noch Gelegenheit zur Aussprache haben? Wird man euch das morgen noch erlauben? Was sich zwischen euch aufgebaut hat, ich ignoriere es nicht. Ich kenne es besser als irgendein Andrer. Denn ich habe in diesen Jahren von beiden Seiten Schläge erhalten. Wenn eure Parteien sich nicht zu dem allein dem Augenblick entsprechenden rettenden Schritt entschlie­ßen können, wenn Vergangenheit noch einmal die dürren Hände reckt, um die Gegenwart zu würgen, dann muss es gute Mittler geben, Parteilose, über jeden Zweifel erhaben, im Trüben fischen zu wollen, nichts für sich wünschend, für den Sozialismus alles. Sie müssen das erste Zusammentreffen in die Wege lei­ten.“

Ossietzky zählte sich zu den „Vermittlern“, die die beiden Parteien KPD und SPD an einen Tisch bringen wollten und dazu hatte er Vorschläge: „Es ist nicht eine Verschmelzung der sozialistischen Parteien anzustreben, sondern die operative Gemeinschaft, ein Kartellverhältnis. Zu diesem Zweck ist ein Kampf­komitee zu schaffen, das die Führer an den Verhandlungstisch bringt und die Aussprache von Partei zu Partei vorbereitet. In den Block der Arbeiterparteien gehören auch die verschiedenen Sezessionsgruppen, in denen sich wertvolle Kräfte unnütz verzehren. Was die beiden großen Parteien trennt, ist nicht zu unterschätzen. Aber der Opportunismus der einen hat sich heute ebenso festge­rannt wie der Radikalismus der anderen. Beide Parteien sind in gleichem Maße zur Revision ihrer bisherigen Haltung genötigt.“

Bei den so genannten „Sezessionsgruppen“ handelte es sich um „Abspaltungen der KPD – die „Kommunistische Partei-Opposition“ (KPO), dem rechten Flügel der KPD, Anfang 1929 von der Partei ausgeschlossen – und um die „Sozia­listische Arbeiterpartei“ (SAP), dem linken Flügel der SPD, der sich im Sommer 1931 von der Partei abspaltete und diese beiden Gruppen betrachtete Ossietzky mit sehr gemischten Gefühlen.

Fritz Küster Quelle: https://www.vorwaerts.de/artikel/pazifistischer-kaempfer-anderes-deutschland

Zu den „Vermittlern“ zählte auch die unabhängige Zeitung für entschiedene demokratische Politik „Das Andere Deutschland“, „eine 1925 gegründete Zeitung für republikanische und pazifistische Politik. Die Zeitung ging aus der 1921 gegründeten Monatsschrift „Der Pazifist“ hervor und wurde ebenso wie ihre Vorgängerin von Fritz Küster herausgegeben. „Das Andere Deutschland“ war das Publikationsorgan des Westdeutschen Landesverbandes der Deutschen Friedensgesellschaft. Ein wichtiger Mitarbeiter war Heinz Kraschutzki“, schreibt Wikipedia. Unter anderen schrieb Kurt Tucholsky für das Blatt und über diesen kam die Zusammenarbeit mit Ossietzky zustande.

Heinz Kraschutzki Quelle: http://lobhudeleien.blogspot.com/2014/04/heinz-kraschutzki-von-den-nazis-fur-tot.html

Der Herausgeber Fritz Küster und der Journalist Berthold Jacob wurden im März 1928 für einen Artikel zu je 9 Monaten Festungshaft verurteil, in dem sie das System der „Zeitfreiwilligen“ aufgedeckt hatten, mit welchen die Reichswehr und die Reichsregierung Luther das Überschreiten der Beschränkung der Reichswehr im Friedensvertrag von Versailles auf 100.000 Mann einschließlich 4.000 Offizieren, durch die „Schwarze Reichswehr“ zu verschleiern suchte. Dieser Prozess ging unter dem Namen „Ponton-Prozess“ in die unrühmliche Geschichte der damaligen deutschen Justiz ein. Für Carl von Ossietzky ein wichtiger Artikel und so schrieb er über den Prozess am 20. März 1928 in der „Weltbühne“

Und um das Kapitel einer sozialistischen Dachorganisation zur Abwehr des „nationalsozi­alistischen Bürgerkriegs“ abzuschließen, antwortete Ossietzky in einem Interview im „Montag-Morgen“ ob er bereit sei sich dafür einzusetzen: „Ja, ja und nochmals ja!“

Am 10. Mai 1932 trat Ossietzky seine Haftstrafe in der Haftanstalt Berlin-Tegel an, nachdem er erklärt hatte er entziehe sich nicht seiner Verhaftung, aber er legte Wert auf die Feststel­lung, dass er nicht aus Gründen der Loyalität ins Gefängnis gehe, sondern weil er als Eingesperrter „am unbequemsten“ sei. Am 22. Dezember wird er aufgrund einer Weihnachtsamnestie entlassen.

Werner Boldt schreibt:

„… Vor dem Gefängnis fanden sich Freunde und Kollegen ein, um ihn zu verab­schieden, unter ihnen Emst Toller, Lion Feuchtwanger, Leonhard Frank und Ar­nold Zweig. Ossietzky nutzte die Gelegenheit, sich mit den „8000 politischen Gefangenen“ zu solidarisieren, „die unbekannt im Dunkel der Gefängnisse schmachteten“. Seine Worte fielen auf fruchtbaren Boden. Als sich die Gefäng­nistore hinter ihm schlössen, erscholl aus der Menge ein Ruf, in den die Ver­sammelten einstimmten: „Heraus mit den politischen Gefangenen.“ Ossietz­ky tat die Solidarität gut.“

Abschied von Ernst Troller 10. Mai 1932 re. Roda Roda

An seine Frau Maud schreibt er: „Es gab Ansprachen, es wurde wieder und wieder photographiert. Unter Hochrufen ging ich durchs Gefängnistor. Dieser Tag, der der traurigste hätte werden können, ist für mich der stolzeste meines Lebens geworden. Dennoch war es gut, dass Du das nicht hast miterlebt. Mich hat es erschüttert, dich hätte es völlig kaputt ge­macht … Ach, liebe Maus. Freundin meiner Jugend, ich wünsche Dir gute Tage. Dir soll das Leben leicht werden. Bitte, sei nicht einsam, verkrieche dich nicht. Trotzdem man mich eingesperrt hat, ist es jetzt sehr ehrenvoll, meine Frau zu sein. Auf all das hast Du Anspruch, nutze es! Ich bin ruhiger, wenn ich weiß, dass Dir es gut geht.“ Und weiter: „„Der Oppositionelle, der über die Grenze gegangen ist, spricht bald hohl ins Land herein. Der ausschließlich politische Publizist namentlich kann auf die Dauer nicht den Zusammenhang mit dem Ganzen entbehren, gegen das er kämpft, für das er kämpft, ohne in Exaltationen und Schiefheiten zu verfallen. Wenn man den verseuchten Geist eines Landes wirkungsvoll bekämpfen will, muss man dessen allgemeines Schicksal teilen.“

Und In’s Erinnerungsbuch: „Ich habe immer zu meiner Meinung gestanden, und deshalb will man mich unschädlich machen. Wenigstens mund­tot. Wenigstens will man mich abschrecken. Das wird nicht gelingen. Auch Du wirst der Meinung sein, dass ich mich nicht ducken darf. Vor den Drohungen irdischer Macht die Anständigkeit der Haltung zu wahren, das ist eine der we­nigen Genugtuungen, die es im Leben gibt. Hält man nicht durch, wird man weich, man bereut es ein Lebelang.“

Die vorläufige Leitung der „Weltbühne“ übertrug Ossietzky an Hellmut von Gerlach, Tucholsky hat Bedenken, Ossietzky beruhigt ihn: „Ich glaube, dass Gerlach die Sache nicht schlecht machen wird. Wir ha­ben ihm immer wieder eingepaukt, dass die politische Haltung nicht changie­ren darf. Verstanden hat er das.“

Unmittelbar nach Ossietzkys Haftantritt schreibt Hellmut von Gerlach an den „General Groener“ in der „Weltbühne“: „Zwei Tage nachdem sich die Gefängnistüren hinter dem Opfer Ih­rer Militärpolitik, Carl v. Ossietzky, geschlossen hatten, sind Sie von den ehr­geizigen Generalen Ihres Bureaus gestürzt worden. Statt uns so blindwütig zu verfolgen, wäre es besser gewesen, Sie hätten uns aufmerksamer gelesen. Am 5. April dieses Jahres schrieb hier Carl v. Ossietzky: „Groener hat den Ehrgeiz, gleichzeitig an den zwei großen politischen Hochzeiten teilhaben zu wollen. Ich bin nicht geneigt, Herrn Groeners Rundungen Unrecht widerfahren zu lassen, aber um zugleich bei der Republik und beim Fascismus zu sitzen, dazu langt nicht einmal der dickste deutsche Ministerarsch. Groener wird bald zwischen die Stühle plumpsen, und niemand sollte den Sturz aufhalten.“ Jetzt sitzen bei­de. Aber Ihre Position zwischen den Stühlen scheint mir die minder ehrenvol­le.“

Odenwaldschule um 1932

Tochter Rosalinde geht auf seine Veranlassung hin zur Odenwaldschule, einer 1910 gegründeten und sehr anerkannten Reformschule, die traurigen Ruhm in der Bundesrepublik erreichen sollte. Nur um seine Frau Maud macht er sich Sorgen, schon am Tage des Haftantrittes schreibt er ihr: „Liebste Maus der 10. Mai 1932 hat eben begonnen. Jetzt noch ein paar Stun­den Schlaf, dann muss ich fort. Wenn ich vorher in unserm Gespräch zu Dir sehr offen gewesen bin, so geschah es nicht, um dich zu kränken, oder um in unsern Abschied einen noch traurigeren Ton zu bringen. Denn es ist ja schon alles schlimm genug. Ich wollte nur, nachdem wir nun einmal sprachen, keine Unaufrichtigkeit hinterlassen. Es war wohl nicht richtig von mir, grade diese Stun­de zu wählen. Du sollst nicht unruhig zurückbleiben, ich stehe zu Dir wie im­mer, ich will für dich sorgen, es soll Dir an nichts fehlen. Niemand ist trauriger als ich, dass ich dich allein zurücklassen muss. Denn ich bin hier zu Haus ja alles, ich bin der Gradchalter in allen Stücken, und bringe Dir abends das Was­ser ans Bett.“

Für Maud beruhigend sollen seine Zeilen klingen, er schreibt ihr: „Von mir selbst ist nicht viel zu sagen. Es geht mir gut, ich lese und schreibe und komme damit über die Zeit hinweg. Ich schlafe auch ganz anständig.“ Und in einem weiteren Brief: „Es geht mir gut. Du brauchst um mich keine Sorgen zu haben. Ich arbeite viel und habe allerlei zu lesen da. Ich stehe morgens um halb sieben auf, von 9 bis 10 Spaziergang auf dem Hofe, um 12 Uhr Mittag, um halb sieben Abendessen, mit dem Dunkelwerden legt man sich in die Falle – so vergeht ein Tag. Weil ich tätig (bin), vergeht die Zeit nicht so langsam.“

Ossietzky war ein starker Raucher und bat um Raucherlaubnis und um 10 Zigaretten täglich. Abgelehnt! Der Antrag, Zeitungen zu beziehen, wurde genehmigt. Er bezog außer der „Weltbühne“ das „Berliner Tage­blatt“ und die „Vossische Zeitung“ sowie die „Deutsche Allgemeine Zeitung“.

Emil Stumpp, ein Pressezeichner, schildert seine Eindrücke bei einem Besuch im Gefängnis:

„Ich darf in den Sprechraum eintreten. Und aus einem Nebengelass tritt Carl v. Ossietzky. Etwas gebückt, die Augen wie halb geblendet, als ob er aus dem Dunkeln käme. Kaum dass er meine Hand findet. Seine Hände sind feucht und kalt wie die eines Kranken … Das freundliche, ja gütige Lä­cheln, das im Gespräch Ossietzkys Gesicht aufleuchten lassen kann, wird im­mer schnell wieder von mühsamer Beherrschung aufgeschluckt. Der schwere Kopf mit der hohen Stirn sinkt in die Schultern, sein mächtiges Kinn vergräbt sich in seine Brust. Bleich und krankhaft sieht er aus, mit dunklen Schatten um die Augen … Er sprach es nicht aus, aber seine ganze Erscheinung atmete Sehn­sucht nach Freiheit. Seine Hände klammerten sich fest zusammen, die Augen schlössen sich halb, die steile Stirn neigte sich, der ganze Mann war ein einzi­ges Sichzusammennehmen, um nicht aufzuschreien vor Verlangen nach Frei­heit. – Schwer wurde mir der Weg zurück ins Freie. Sind wir immer noch nicht weiter, fallen immer noch die dunklen Lose auf die Vorkämpfer für Geist und Freiheit und Menschenwürde?“

Zu Mauds Geburtstag am 8. Dezember 1932 gratulierte er ihr und tröstet, 1932 feiere er das Weihnachten wieder zu Hause. Er irrte, am 22. Dezember kam Ossietzky frei. Bereits am nächsten Tag erscheint im „Berlin am Morgen“ sein Dank: „Es ist mir ein Herzensbedürfnis, in die­sem Augenblick, wo ich die Freiheit wiedererlangt habe, allen denen zu dan­ken, die sich tatkräftig für die Amnestie eingesetzt haben, vor allem den Kollegen von der Arbeiterpresse. Ich bin mir bewusst, dass in dieser unerwarteten Befreiung eine große Verpflichtung liegt, in dem Kampf gegen den Faschismus nicht schlaff zu werden. Auch diese Amnestie hat nicht allen Opfern der politi­schen Justiz die Freiheit gebracht. Für sie wollen wir weiter kämpfen.“

Und in der „Weltbühne“ diese Zeilen: „Jetzt, wo ich in die Redaktion zurückkehre, ist es mir ein Herzensbedürfnis, allen, die meine Freilassung durch Wort und Schrift, durch öffentliche Zustim­mung und politische Handlung unterstützt haben, allen, die Zeichen von Sym­pathie in meine Zelle gelangen ließen, meinen Dank auszusprechen. Es ist selbstverständlich, dass ein beträchtlicher Teil davon der Sache und nicht der Person galt. Der Kampf um die Amnestie ging diesmal nicht um den Einzelnen, wie etwa noch im Falle Max Hölz. Es ist ja bekannt, dass schließlich die sozi­aldemokratische Fraktion den Ausschlag gab, indem sie darauf beharrte: wenn der Landesverräter nicht freigegeben wird, so fällt das Ganze ins Wasser! Als dann später die erforderliche Zweidrittelmehrheit zustande kam, bemerkte ein sozialdemokratischer Abgeordneter resigniert: So, jetzt kann er wieder auf uns schimpfen! Hm.“

Max Hoelz 1928 mit seiner Ehefrau Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-L1129-511 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5434995

Über seine Haftzeit schreibt er: „Im Gefängnis gewesen sein, das ist ein großes Erlebnis, das kein politischer Mensch aus seinem Dasein streichen kann. Es ist die Berührung mit einer ab­gesonderten Welt, die eingemauert zwischen uns ragt und von der wir weniger wissen als von Tibet oder der Osterinsel. Das Gefängnis, das heute in Deutsch­land nicht mehr strafen sondern bessern und erziehen soll, ist damit sozusagen zum Lazarett der bürgerlichen Ordnung avanciert. Ich habe das Gefängnis nicht als ein Haus der gewollten Härte und der traditionellen Quälereien kennen ge­lernt, aber auch so bleibt es ein Haus des Jammers, in dem hinter jeder Eisentür ein andrer trauriger Globus kreist, durch schicksalsmäßige Verstrickung in die­ser Bahn gehalten. Schuld -? In diesem Hause fällt das Wort nicht, hier gibt es nur Opfer. Als ich zwei Tage vor Weihnachten hinausging, hatte ich ein Würgen im Halse, das so etwas wie schlechtes Gewissen war, weil ich heimkehren durfte und die Andern blieben.“ Im handschriftlichen Entwurf hieß es ursprüng­lich: „Schuld? – Wann fällt in diesem Hause das Wort? Es wäre so unsagbar lächerlich.“

Kurt Grossmann (ganz links) zusammen mit Rudolf Olden, Carl von Ossietzky, Alfred Apfel und Kurt Rosenfeld am 10. Mai 1932 vor der Strafanstalt in Berlin-Tegel Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-B0527-0001-861 / Autor unbekannt / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5432343

Gegenüber dem Generalsekretär der deutschen Liga für Menschenrechte Kurt R. Großmann äußert er sich. „es ist furchtbar, in einem Raum eingesperrt zu sein und nur vier Schritte hin- und hergehen zu können. Das schnürt einem die Brust zu. Und so ist es ja allein zu verstehen, dass viele Gefangene irrsinnig werden. Die Beamten tun ihre Pflicht. Aber was ihnen fehlt, ist etwas Psychologie. So ein Gefängnis ist ein Staat der Klassenlosigkeit. Die wirklichen Verbrecher kommen aber auch hier auf ihre Rechnung.“

„Mache Dir keine Sorgen um mich“

Werner Boldt schreibt:

„… In der Nacht zum 28. Februar 1933 brannte der Reichstag – ein Fanal, das den Aus­bruch eines ungehemmten Staatsterrors ankündigte. Tausende Kommunisten, aber auch Sozialdemokraten und andere Gegner des Faschismus wurden inhaf­tiert. Um den Terror formal zu legitimieren, erließ Hindenburg „zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte“ eine von Hitler als Reichs­kanzler unterzeichnete Notverordnung, die heute als Gründungsdokument der NS-Diktatur gilt. Die in der Verfassung niedergelegten Grundrechte wurden au­ßer Kraft gesetzt. Der grassierende Antikommunismus, eine Konstante im politischen System der Republik, fand in der endgültigen Vernichtung des demo­kratischen Verfassungsstaats einen vorläufigen Abschluss. Der Terror kehrte das Verhältnis von „Kavalieren und Rundköpfen“, von „Rittern und Landsknech­ten“ um: Die Wasserträger der Herrenschicht besetzten die politische Bühne.“

Mit einem derartigen Gewaltausbruch hatte Ossietzky nicht gerechnet, obwohl er stets vor der Gewaltherrschaft einer Nazi-Regierung gewarnt hatte.

Der brennende Reichstag am 27 28. Februar 1933 Quelle: Wikipedia

Am 5. März 1933 waren Reichstagswahlen zum achten und letzten Deutschen Reichstag, Wikipedia schreibt:

„… In der beginnenden Diktatur des Nationalsozialismus wurden diktatorische Mittel angewandt. Im Wahlkampf verübten Mitglieder der NSDAP in sehr verstärktem Maße Übergriffe auf politische Gegner aus der KPD und SPD. Gegendemonstrationen wurden verboten, kommunistische und sozialdemokratische Zeitungen durften tagelang nicht erscheinen, zudem wurden Wahlplakate überklebt und praktisch jegliche politische Opposition zunehmend unterdrückt. Daneben setzte bereits die staatliche Verfolgung ein. Dabei kam der Regierung (Kabinett Hitler) auch der Reichstagsbrand vom 27. auf den 28. Februar 1933 zugute. Die tags darauf erlassene Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat („Reichstagsbrandverordnung“) setzte die Grundrechte außer Kraft, und die Strukturen der KPD wurden praktisch zerschlagen. Bei der Wahl selbst konnte die NSDAP zwar stark zulegen, erhielt aber nicht die erhoffte absolute Mehrheit. Zusammen mit der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot, einem von der DNVP dominierten Wahlbündnis, hatte die Regierung nach der Wahl eine parlamentarische Mehrheit und konnte darauf gestützt den Weg in die Diktatur ebnen. Die nächste Wahl im November 1933 sah nur noch eine NSDAP-Einheitsliste in Verbindung mit einer Volksabstimmung über den Austritt aus dem Völkerbund vor.“

Die letzten Sargnägel für die Beerdigung der Republik trugen die Abgeordneten selbst in den Reichstag: Mit dem Ermächtigungsgesetz lieferte der Reichstag die Re­publik der braunen Diktatur aus. Rudolf Kircher von der „Frankfurter Zeitung“ schreibt: „Ein Ungewitter entlud sich über der SPD, wie wir es in all diesen Jahren im Reichstag nie erlebt haben. Welch ein Debatter ist Hitler! Mühelos flogen ihm die Argumente zu, um den Gegner unter dem tosenden Beifall der Braunhemden niederzureden …Aus jedem seiner Sätze sprühten Funken. Wer dies mit ansah, weiß, wenn er es nicht schon wusste, warum Hitler der Sieger von 1933 ist.“ Und Werner Boldt bemerkt: „Den bürgerlichen Parteien musste nicht erst imponiert werden. Sie waren fest entschlossen, Hitler und nicht Wels zu folgen. Sie stimmten bis auf den letzten Hinterbänkler allesamt für das Ermächtigungsgesetz. Freiwillig brachten die Abgeordneten das Kernstück der parlamentarischen Demokratie dem Faschis­mus zum Opfer dar.“

Untersuchungsgefängnis Spandau Quelle: Von Bauamt Süd, Einofski – Herr Einofski, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=14475085

Der von langer Hand vorbereitete Terror erfasste reibungslos mit dem Instrument der so genannten „Schutzhaft“ die noch im Reichstag verbliebenen Parteien genauso wie einzelne „missliebige“ Personen und in diese Schutzhaft wird bereits in der Nacht des Reichstagsbrandes Ossietzky genommen, zuerst in das Polizeipräsi­dium am Alexanderplatz, dann in das Untersuchungs­gefängnis Spandau.

Nach Haft im April 1933 im Berliner Polizeigefängnis wird er in das Konzentra­tionslager Sonnenburg bei Küstrin gebracht worden. „Das Konzentrationslager Sonnenburg entstand am 3. April 1933 als frühes Konzentrationslager auf Initiative des preußischen Ministeriums des Inneren und der Justiz in Sonnenburg bei Küstrin (an der Oder) in einem ehemaligen Zuchthaus“, schreibt Wikipedia.

KZ Sonnenberg 1933

Im KZ-Sonnenburg waren die Zu­stände unerträglich. „Unter dem Kommando eines Polizeioberleutnants übte eine berüchtigte, offenbar im Umgang mit Kommunisten geschulte und nun von ei­ner Berliner SA-Einheit verstärkte Polizeigruppe den Wachdienst aus. Unter ihrem Terror erwarb sich Sonnenburg den Ruf einer „Folterhölle“, so Werner Boldt.

Erich Mühsam

Neben Ossietzky waren auch Erich Mühsam und der Rechtsanwalt Hans Litten in Sonnenburg inhaftiert und als „Ju­den“ besonders schwer misshandelt. Mühsam wurde zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt, aber im Rah­men einer Amnestie nach fünf Jahren entlassen, aber bereits 1934 ermordeten ihn SS-Angehörige im KZ Oranienburg.

Rechtsanwalt Hans Litten Quelle: Twitter

Der getaufte Hans Litten galt nach den rassistischen Kategorien der Nazis als „Halbjude“. Litten eilte der Ruf ei­nes „Anwalts des Proletariats“ voraus. Wikipedia schreibt: „Über seinen Sozietätskollegen Ludwig Barbasch hatte Litten auch Kontakt zur Roten Hilfe – einer von Wilhelm Pieck und Clara Zetkin gegründeten Selbsthilfeorganisation, die insbesondere in Zeiten von Streik und Arbeitslosigkeit notleidende Arbeiterfamilien unterstützte.“

Wilhelm Pieck (1950) Quelle: Von Deutsche Fotothek‎, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6537377

Unter anderem trat er gegen angeklagte SA-Angehörige auf. Dabei stieß er auch auf Hitler, den er heftig angriff, was ihm dieser nie vergessen sollte. Litten überlebte mehrere Konzentrationslager, ehe er 1939 Im KZ Dachau erhängt aufgefunden wurde.

Clara Zetkin Quelle: Wikipedia

In der „Neuen Weltbühne, nun in Prag erscheinend, schreibt ein entlassener Häftling, wie es Ossietzky in Sonnenburg erging: „Ossietzky wurde als Landesverräter und, trotz rein arischer Abstammung, als Jude und Judensau be­sonders maltraitiert. Die Gefangenen traten auf dem Hof zum Dienst an. Carl von Ossietzky wurde im Laufschritt umhergejagt, musste sich hinwerfen, auf­stehen, wieder hinwerfen, wieder aufstehen. Betrunkene SA-Leute ließen sich das Vergnügen nicht nehmen, hinter ihm herzulaufen und Ungeschicklichkei­ten Ossietzkys durch Schläge oder Fußtritte zu bestrafen. Oft vermochte sich Ossietzky kaum noch zu erheben, stumm lag er da, ohne Protest, ohne seinen Schmerz zu äußern. Solche Augenblicke benutzte der Sturmführer Bahr, ihn mit den Füßen zu stoßen und zu brüllen: „Du polnische Sau, verrecke endlich!“ Wenn sich Ossietzky erhob, wurde er wieder geschlagen und getreten. Einige Wochen wiederholten sich solche Szenen auf dem Gefängnishof. Auch in sei­ner Zelle wurde Ossietzky nicht in Ruhe gelassen. Plötzlich stürmten einige SA-Leute herein und schlugen ihn aus nichtigen Anlässen. Da war ein Zellen­geschirr nicht sauber, er wurde im Laufschritt zum Brunnen gehetzt und mus­ste das Geschirr nach fünf Minuten geputzt vorzeigen. War er mit seinem Ge­schirr nach fünf Minuten zur Stelle, so behaupteten die Folterknechte, er habe die Zeit überschritten. Er musste wieder zum Brunnen laufen, und bei jeder Ge­legenheit wurde er geprügelt. Nun ist Ossietzky kein Riese. Die Grausamkei­ten, die seine Peiniger ersannen, zerstörten seine Gesundheit, er brach zusam­men. Mit dem Lazarettdienst war der Polizei Wachtmeister Krüger betraut, dem an dieser Stelle gedankt sei, dass er Ossietzky und andere schwer leidende Ka­meraden in Behandlung nahm, und dass er die Gequälten einigermaßen schütz­te… Ossietzky selbst ertrug alles mit stoischer Ruhe. Er schämte sich, dass ihm die Hände zitterten, und er steckte sie in die Ärmel, um das Zittern nicht zu zeigen.“

Hilde Walter

Hilde Walter, eine Mitarbeiterin der „Weltbüh­ne“ schilderte ihre Eindrücke, die sie als Begleiterin von Maud Ossietzky in Sonnenburg gewonnen hatte: „Ossietzky konn­te sich nur mit größter Anstrengung bewegen. Als er uns auf dem großen men­schenleeren Hof langsam mit kleinen, offenbar schmerzenden Schritten in ei­ner fadenscheinigen feldgrauen Uniform entgegenkam, hingen seine beiden Arme steif, wie geschiente Gliedmaßen, fast bewegungslos an den Schultern; er war so erschreckend abgemagert wie ein Mensch, der in kurzer Frist die Hälf­te seines Körpergewichts verloren hat. Die Halswirbel steckten festgewickelt in einer steifen grauen Soldaten-Halsbinde, die ihn hinderte, den Kopf auch nur wenige Zentimeter nach rechts oder links zu drehen. Das Gesicht war unver­letzt; aber der herzzerreißende Ausdruck seiner Gesichtszüge blieb während des wortkargen kurzen Gesprächs unverändert todernst und starr. Auf die schüch­terne Frage „Wie geht’s?“, antwortete er fast tonlos, mit vielsagender Pause in der Mitte des kurzen Satzes: „Es geht… zur Zeit.“

Im KZ Sonnenberg 1933

Im krassen Gegensatz dazu seine Briefe an Maud, in denen er dann schrieb: „Mache Dir keine Sorgen um mich, mir geht es gut!“ Oder: „Von mir ist nichts zu berichten, es geht mir gut.“

Ausführlicher hingegen beschreibt er seine Sorgen, wenn es um seine Frau ging. Zwar bekam diese Unterstützung u.a. von Edith Jacobsohn, Emigranten veranstalteten immer wieder Sammlungen, aber selbst eine bemerkenswerte Spende eines Engländers brachte keine dauerhafte Lösung.

Werner Boldt schreibt:

„… In dieser Zeit starteten Freunde in Berlin eine Initiative, seine Entlassung zu erreichen. Sie gewannen einen Rechtsanwalt für ein entsprechendes Gesuch. Das Honorar brachte eine von Albert Einstein in den USA in die Wege geleite­te Sammlung ein. Ossietzky versprach sich nicht viel davon. Er hielt die Aktion sogar für „ungünstig“. Doch als die Schließung des KZ Sonnenburg anstand, schöpfte er offenbar Hoffnung. Er unterstützte jetzt das Unternehmen mit Rat­schlägen. Es war vergebens. Ein Jahr später wurde das Gesuch abgelehnt. Da war Ossietzky schon im KZ Esterwegen, wo er sich seit dem 15. Februar 1934 befand – als Häftling Nummer 562.“

„Das ganze Programm“: Prügel, Beschimpfungen, Zwangsarbeit, stundenlanges Exerzieren, das Ziel, ihn zu einer Loyalitätserklärung für Hitler zu bewegen, aber er lehnt ab. Februar 1934 Verlegung in das KZ Esterwegen im Emsländer Moor. „Wir sind die Moorsoldaten“ – zehn Stunden am Tag Torfstechen bei brütender Sommerhitze oder feuchter Winterkälte.

KZ Estwerwegen 1935

Das KZ Esterwegen war eines von drei Konzentrationslagern im Emsland. Am 20. Juni 1933 fiel die Entscheidung, drei Lager in Börgermoor, Esterwegen und Neusustrum zu errichten.

Das Lager Börgermoor wurde durch Wolfgang Langhoffs Buch „Die Moorsoldaten“ bekannt und dort entstand auch das „Moorsolda­tenlied„. Hellmut von Gerlach schilderte in einem Schreiben die dortigen Zustände: „ Die Art und Weise der Misshandlungen von Gefangenen hat sich seit längerem verändert. Es wird gesagt, dass man methodischer vorgeht. Die Gefangenen werden nicht mehr willkürlieh misshandelt, sondern nach lega­lisierten Richtlinien.“

Für Ossietzky war die harte Arbeit im Moor und die unzureichende Ernährung Marter und er verfiel körperlich zusehends. „Ende August 1934 vom Lagerarzt als gesund und kräftig beurteilt, kam er wiederholt in das Lagerlazarett, in das „Re­vier“. Schließlich wurde er zum Küchendienst abgestellt. Seine gesundheitli­chen Schäden erwiesen sich als so gravierend, dass er sich nach seiner Entlas­sung nicht mehr von ihnen erholte. Neben Äußerungen über seine körperliche Gebrechlichkeit stehen solche über seine erstaunliche psychische Widerstands­fähigkeit. Politische Gespräche waren für Ossietzky wichtig und eine Art Lebenselixier. Er führte sie etwa mit den Sozialdemokraten Hans Kurt Eisner, dem 1944 um­gebrachten Sohn des 1919 ermordeten sozialdemokratischen Ministerpräsi­denten, und Theodor Haubach, Mitbegründer des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, der sich nach seiner Entlassung aus dem KZ dem Kreisauer Kreis anschloss und 1945 hingerichtet wurde“, schreibt Werner Boldt.

Hans Kurt Eisner, um 1923 Quelle: Wikipedia

Karl Wloch, ehemali­ger Redakteur der „Roten Fahne“, schrieb nach dem Krieg über Ossietzky: „Ihn interes­sierten die nie abreißenden Scheußlichkeiten der SS-Bewacher nur noch we­nig, umso mehr aber alles, was er über die politische Lage und die Diskussio­nen erfahren konnte. Nur knappe Fragen stellte er, das Reden fiel ihm infolge Atemnot und der herausgeschlagenen Zähne sehr schwer. Aber seine knappen, sehr auf das Wesentliche konzentrierten Fragen bewiesen uns doch, wie sehr er am politischen Geschehen innerhalb und außerhalb des Lagers Anteil nahm. Er wollte z.B. alles über die Nazirüstungen und die Kriegsvorbereitungen wissen, und größtes Interesse rief bei ihm die Politik der Volksfront, z.B. in Frankreich, hervor: ,Die hätten wir bei uns haben müssen‘, sagte er einmal.“

Karl Wloch Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-27828-0005 / Müller, S. / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7453443

Die Begründung für die Haft Ossietzkys und das kurz darauf folgende Verbot der „Weltbühne“ liefert ein Bericht der politischen Poli­zei Stuttgarts von Anfang Februar 1933, darin heißt es: „Die Welt­bühne‘, Wochenschrift für Politik, Kunst, Wissenschaft, Erscheinungsort Ber­lin, geleitet von Karl von Ossietzki, die auch in anderen größeren Städten Weltbühne-Leser-Vereinigungen gegründet hat, muss in ihrer destruktiven Tendenz zu den gefährlichsten Zeitschriften Deutschlands gerechnet werden. Ihre journalistisch äußerst begabten, von einer penetranten intellektuellen Ge­schäftigkeit erfüllten und gerissenen Mitarbeiter üben an Staat und Kirche, an Kultur und Sitte, Geschichte und Tradition ihre ätzende Kritik, die in ihrer subversiven Wirkung viel gefährlicher ist als das plumpe Geschimpf der mei­sten parteikommunistischen Zeitschriften und Zeitungen. Zur besonderen Auf­gabe scheint sich die „Weltbühne“ die Hetze gegen die Reichswehr und ihre Leitung gesetzt zu haben.“

Rechtsbeistand Kurt Rosenfeld Quelle: Von unbekannt – Büro des Reichstags (Hg.): Reichstags-Handbuch 1924, II. Wahlperiode, Berlin 1924, PD-§-134, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=5303782

Die letzten Ausgabe der „Weltbühne“ erscheint am 5. März 1933, darin die „Abschiedsworte an die Leser: „Nach den Ereignissen des 27. Februar wurde eine Reihe von Persönlichkeiten verhaftet, unter denen sich auch der Herausgeber unseres Blattes, Carl von Ossietzky, befindet. Redaktion und Verlag der ,Weltbühne‘ versichern den Lesern, dass sie und ihr Rechtsbeistand Kurt Rosenfeld alles tun werden, was im Rahmen des heute noch Möglichen liegt, um Carl von Ossietzky die Freiheit wiederzubeschaffen. Eine Reihe von Gründen, vor allem technischer Natur, machen es uns diesmal nicht möglich, wie üblich sofort zu dem Wahlergebnis Stellung zu nehmen. Welche Bedeutung ist diesen Wahlen beizumessen? Mit ihnen wird die erste Periode in der Ge­schichte der Deutschen Republik abgeschlossen, mit ihnen beginnt ein neuer Abschnitt dieser Geschichte. Wir dürfen wohl in diesem Augenblick feststellen, dass wir immer unsre warnende Stimme erhoben, dass wir uns nicht gescheut haben, den Ruf ewiger Querulanten auf uns zu nehmen, denen nichts recht zu machen ist. So schmerzlich die Konstatierung auch ist: unsre Kritik, unsre War­nungen waren mehr als berechtigt. Trotzdem: es wird weiter gearbeitet, denn der Geist setzt sich doch durch.“

Sorgen bereitete ihm seine Frau, sie war nervenkrank, sollte eigentlich in ein Sanatorium, was nicht finanzierbar war und die erst kurz zuvor gemietete Wohnung war nicht mehr haltbar. Er machte sich keine Hoffnungen, in absehbarer Zeit freizukommen: Ein klares Bild von der Zukunft habe ich natürlich nicht, aber ich fürchte, dass ich in der nächsten Zeit noch nicht mit völliger Bewegungsfreiheit rechnen kann.“

Rosalie v. Ossietzky April Mai 1933

Wenigstens Tochter Rosalinde war seiner Meinung nach gut versorgt. Durch die Vermittlung von Quäkern war sie in England von der Familie eines Politikers aufgenommen worden. Nach dem Erhalt eines Briefes von ihr tröstete er Maud: „So wie dort für sie gesorgt wird, könntest Du es nicht tun. Sie wird auch heiterere Eindrücke als in unsrer Umgebung emp­fangen. Es ist jede Garantie vorhanden, dass sie dort gesünder und besser auf­wächst als bei uns. Diese Erwägung muss uns die Trennung erleichtern. Aber für dich namentlich ist das bitter genug, denn Du warst mit ihr in letzter Zeit oft zusammen, und ihre liebe kleine Stimme klingt noch immer in Dir nach. Wie auch in mir… und der Brief schließt: „Du bist oft genug Dein schlimmster Feind gewesen, mache Dir und uns keine Schmer­zen, die zu vermeiden sind. Mein armes Kind, Du sollst gesund und ohne Scha­den über die Zeit der Trennung von Mann und Tochter hinwegkommen. Aus allem, was ich schreibe, spricht Liebe für dich und Sorge um dich. Das glaube mir.“

Letztendlich zieht Maud zu ihrem Schwager nach Hamburg, Ossietzky ist beruhigt.

Am 10. Mai 1933 – einem Mittwoch – brennen nach akribischer Vorbereitung in Berlin und zahlreichen anderen Städten die Bücher. („Die „Aktion wider den undeutschen Geist“). „Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist! Verschlinge, Flamme, auch die Schriften von Tucholsky und Ossietzky!“ Wurde gegen beide gehetzt. Mit dieser barbarischen Aktion verbunden natürlich auch das Verbot der Werke und deren Vertrieb und das galt für zahlreiche andere Autoren/innen.

Bücherverbrennung 10. Mai 1933 Opernplatz Berlin

Über die „beherzte“ Kampagne zur Verleihung des Friedensnobelpreises an Carl von Ossietzky berichtet Werner Boldt:

„… Freunde Ossietzkys führten im Exil eine beherzte und kluge Kampagne für die Verleihung des Friedensnobelpreises an den KZ-Häftling. Das Unternehmen schien aussichtslos, doch es gelang ihnen ein politisches Meisterstück. Es ging ihnen nicht allein um Ossietzky. Hilde Walter, Sozialdemokratin und gelegent­lich Mitarbeiterin der „Weltbühne“, unterstrich in einem Brief an den Partei­vorstand der SPD in Prag die weiterreichende Bedeutung: „Die Nobelpreis-Kampagne für den Konzentrationslager-Häftling C.v.O. ist nicht nur die Arbeit für diesen einen Mann, sondern eine Arbeit für alle Hitler-Opfer und alle Hit­lergegner in- und außerhalb Deutschlands. Sie hat in der Welt ganz neue Krei­se für unsere Probleme und für unsern allgemeinen Kampf zugängig gemacht. In einer Zeit, da weite Kreise des Auslandes und viele wichtige ausländische Zeitungen überhaupt nichts mehr von der Schande der Konzentrationslager hören wollten, hat diese einzigartige Nobelpreis-Kandidatur das Interesse und die Phantasie der Indifferenten von neuem entzündet.“

Georg Bernhard (1928) Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 102-06068 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5479785

Im April 1934 begann Georg Bernhard – Chefredakteur des von ihm im Exil gegründeten „Pariser Ta­geblatts“ – die Kampagne, der sich Berthold Jacob und die Prager Sektion der „Liga für Menschenrechte“ anschlossen, genauso wie Hellmut von Gerlach mit einem Freundeskreis in Paris.

Berthold Jacob Quelle: https://www.gdw-berlin.de/vertiefung/biografien/personenverzeichnis/biografie/view-bio/berthold-jacob/?no_cache=1

Nach von Gerlachs Tod übernahm die Publizistin Hilde Walter dessen Wirken und so gab der Freundeskreis Anfang 1935 unter dem Titel „Rettet Carl von Ossietzky“ in Prag eine Broschüre heraus mit Beiträ­gen von bekannten politischen Journalisten und Schriftstellern wie Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger und ausländi­schen Autoren wie Romain Rolland und Upton Sinclair.

Romain Rolland 1915 Quellen: Wikipedia
Upton Sinclair (1934) Quellen: Wikipedia

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Arnold Zweig schreibt darin: „Geistige Vornehmheit bei schlichtester Haltung, wenn man den Gentleman einmal so feststellen will: solch ein Mensch geriet in Deutschland leicht unter die Räder der Wagen, mit denen die Emporkömmlinge, Beutemacher und Schwindler durchs Ziel fuhren – all die kleinen Leute, die in Deutschland große Worte, große Geschäfte oder große Politik machten. In der kurzlebigen Republik, die wir seit 1919 versacken sahen, still abgewürgt durch ihren Respekt vor den alten Mächten und Parteien, noch ehe sie überhaupt begriff, was eine Republik sich schuldig sei, in dieser kurzlebigen Republik wirkten sich die üblichen Kräfte des Kaiser­reichs und seines Krieges erst richtig aus. Gegen sie alle fochten sehr wenige Federn, hinter denen das Pathos der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Gedan­kenfreiheit brannte; unter ihnen war Carl von Ossietzky fast der einzige Gen­tleman.“

Die Kommunisten organisierten im Sinne des Freundeskreises Massendemonstrationen für die drei KZ-Insassen Carlo Mierendorff, einem SPD-Politiker, Sozialwissenschaftler und Schriftsteller, Ernst Thälmann und Ossietzky unterstützt von Antifaschisten. In der Schweiz und den französischen Schriftsteller Henrin Barbusse und Romain Rolland. Auch gewonnen werden konnte Thomas Mann, der sich beim Osloer Komitee für Ossietzky engagierte und Albert Einstein wertete die Verleihung an Ossietzky als eine „geschichtliche Tat“: „Durch die Verleihung des Friedenspreises an diesen Mann würde der Pazifis­mus in demjenigen Lande neue Nahrung finden, das durch die gegenwärtig dort herrschenden Umstände die schwerste Gefahr für den Weltfrieden bedeutet. Auch würde dadurch überall in der Welt das Gewissen aller besseren Menschen aufs Neue erweckt zur Arbeit für eine definitive Festigung einer internationa­len Ordnung.“

Carlo Mierendorff Quelle: Von unbekannt – Büro des Reichstags (Hg.): Reichstags-Handbuch 1932, VI. Wahlperiode, Verlag der Reichsdruckerei, Berlin 1932, PD-§-134, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=5164531

Am 19. November 1934 verkündet das „Nobel-Komitee“, der Friedensnobelpreis 1935 werde nicht vergeben. Rücksicht auf das „Deutsche Reich“, auf die deutsche Regierung?

Befürchtungen, das Interesse an Ossietzky werde schwinden, veranlasste die Unterstützer, um Hilde Wal­ter, darauf hinzuweisen, ihm drohe der Tod, wenn er den Friedenspreis nicht bekommen Sie schreibt: „muss ihnen (der deutschen Regierung) aber so zeitig beigebracht werden, dass nicht etwa am Tage der Verkündung untergeordnete Organe selbständig zu handeln beginnen bevor noch Anweisungen von oben eingetroffen sein können“ und man platziert die Meldung, dass „Genfer Kreise“ die Kampagne für Ossietzky fortsetzen wollten.

Brandt mit Willi Stoph in Erfurt (1970) Quelle: Von Bundesarchiv, B 145 Bild-F031406-0017 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5454688

In dieser Situation schaltet sich die norwegische „Arbeiterpresse“ ein und greift den Außenminister an, er habe sich aus politischer Rücksichtnahme ge­gen die Verleihung an Ossietzky ausgesprochen und auch Willy Brandt plädiert dafür, die Kampagne „mit voller Kraft“ fortzuset­zen. Neue Unterstützer wurden gefunden, als weit über hundert Mit­glieder der Schweizer Bundesversammlung aus den verschiedensten Parteien dem Osloer Komitee Ossietzky vorschlagen. Und auch die norwegische Arbeiter­partei setzte sich im Parlament für Ossietzky ein, der unerschrocken die „geheimen und vertragswidrigen Rüstungen und Kriegsvorbereitungen“ sei­nes eigenen Landes enthüllt habe.“ Parlamentarier aus der Tschechoslo­wakei, der Niederlande, Schweden, Frankreich, sowie Mitglieder des bri­tischen Unterhauses folgten den Schweizer Parlamentariern.

Ab Februar 1936 war es nicht mehr gestattet, neue Vorschläge einzureichen, aber die Unterstützer machten weiter, z.B. im schwedischen Stockholm war der österreichische Sozialdemokrat Kurt Deutsch mit einer Werbebroschüre tätig und er bewog Tochter Rosalinda, die Friedensnobelpreiskampagne zu unterstützen. In einem Brief an die Vorsitzende des Stockholmer Komitees schreibt sie: „Ich kann Ihnen nur sagen was ich Herrn Deutsch bereits schon schrieb, dass mein Vater mir alles ist und dass ich für seine Freilassung bestimmt alles tun würde. Nicht nur weil es mein Vater ist und ein unglücklicher Mensch, sondern auch wegen seiner Gesinnung und seiner unvollendeten Arbeit.“

Die Aktivitäten“ der Unterstützer verlagerten sich neben der Verleihung auch auf die Freilassung Ossietzkys. Durch Besuchsdelegationen des Roten Kreuzes und anderer Organisationen versuchten diese, etwas über den Gesund­heitszustand Ossietzkys zu erfahren nachdem ein Untersuchungsbefund des zuständigen Kreisarztes im März feststellte; „Allgemeine Schwäche, Gliederschmerzen, Husten bis zum Erbrechen, Angstgefühle, Appetitlosigkeit und schlechter Stuhlgang.“

Staatskrankenhaus der Polizei um 1936

Werner Boldt schreibt:

„… Göring entschied sich für eine Verlegung in eine Klinik. Am 28. Mai wurde Ossietzky in das Staatskrankenhaus in Berlin überführt. Dem Roten Kreuz teilte die Gestapo mit, dass es um die Ausheilung einer Mandelentzün­dung ginge. Tatsächlich war der Gesundheitszustand Ossietzkys sehr viel ern­ster, als der Einschätzung des Kreisarztes zu entnehmen war.

Krankenzimmer im Staatskrankenhaus der Polizei um 1936

Das im Kranken­haus angefertigte Gutachten stellte bei ihm eine „schwere offene Tuberkulose mit massenhaft Tuberkelbazillen im Auswurf fest. Der linke Oberlappen war befallen und deutliche Cavernen waren zu erkennen. Der Patient galt als nicht mehr haftfähig, da sich die Tuberkulose während der Haft noch verschlimmern würde. Als Ossietzky Ende August, drei Monate nach seiner Einlieferung in das Krankenhaus, erstmals an seine Frau schrieb, äußerte er sich über seinen wirklichen Gesundheitszustand nicht: „Von mir ist nicht viel zu berichten. Ich darf aufstehen und jetzt auch bei günstigem Wetter eine halbe Stunde in den Garten. Es geht mir wesentlich besser als vor einiger Zeit; ich habe über nichts zu klagen, denn ich bin hier glänzend untergebracht.“ Nach diesen Worten, die beruhigen sollten, aber doch zeigten, dass er sehr krank war und sich nur langsam erholte, lenkte er gleich von sich ab: „Leider ist es mit Deiner Gesundheit nicht so, wie es sein sollte. Wahrscheinlich wirst Du auch sehr unter der schlech­ten Witterung leiden. Wenn ich Dir nur raten und helfen könnte! Hoffentlich tust Du alles, um Dich zu schonen.“

Hedwig Hünicke

Mit der Überführung in das Staatskrankenhaus war Ossietzky keineswegs in Sicherheit. Die SS führte ihn weiterhin als Häftling des neu gegründeten KZ Sachsenhausen, wohin die Insassen des Esterwegener KZ verlegt worden wa­ren. „Erst am 6. November durften ihn seine Frau und sein Stiefvater, beide aus Hamburg angereist, zusammen mit Hedwig Hünicke aus der Gestapo-Zentrale in der Prinz-Albrecht-Straße abholen“, schreibt Werner Boldt. Von der Gestapo weiterhin bewacht brachten sie ihn in das Berliner Kran­kenhaus Westend.

DRK Kliniken Berlin Westend – Blick über die Dächer der Einrichtung Quelle: Von Oana Popa – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=43699520

Von dort schreibt er an Maud, wohl endlich seinen gesundheitlichen Zustandes erkennend: „Die Pflege ist hier recht gut, aber wie es in einem Krankenhaus, und na­mentlich in dieser Abteilung, nun mal ist, man sieht und hört hier viel namen­loses Elend. Alle meine Mitpatienten sind schwer krank. Sie gehören zu jenen bedauernswerten Menschen, deren Leben sich seit Jahren in Spitälern und öf­fentlichen Kuranstalten abspielt. Dieses Dasein hat schon seinen bestimmten Rhythmus: kurze flüchtige Besserung und dann wieder Krankenhaus. Ich bin in der Tuberkulosen-Branche noch neu, mich erschreckt das alles, und ich fin­de das als Aussicht nicht erheiternd, ebenso wenig die Gespräche der guten Leute, die sich auch den ganzen Tag ausschließlich um ihr Leid drehen. In der Tat wirken alle Schwindsüchtigen wie eine große Familie; in die bin ich jetzt aufgenommen. Daran muss man sich erst gewöhnen.“

Die internationale Kampagne, die in Norwegen von dem deutschen Emigranten Willy Brandt organisiert wurde, hatte ihr Ziel inzwischen erreicht. Am 23. November 1936 wurde Carl von Ossietzky rückwirkend der Friedensnobelpreis des Jahres 1935 zugesprochen.

Wikipedia schreibt:

„… Der damalige preußische Ministerpräsident Hermann Göring drängte Ossietzky persönlich dazu, den Preis nicht anzunehmen. Doch vergeblich, Ossietzkys Antwort lautete:

„Nach längerer Überlegung bin ich zu dem Entschluß gekommen, den mir zugefallenen Friedensnobelpreis anzunehmen. Die mir von dem Vertreter der Geheimen Staatspolizei vorgetragene Anschauung, daß ich mich damit aus der deutschen Volksgemeinschaft ausschließe, vermag ich nicht zu teilen. Der Nobelpreis für den Frieden ist kein Zeichen des innern politischen Kampfes, sondern der Verständigung zwischen den Völkern.

Als Träger des Preises werde ich mich bemühen, diese Verständi­gung zu fördern und als Deutscher werde ich stets den berechtigten Interessen Deutschlands in Europa Rechnung tragen.“

– Carl von Ossietzky

Die Gestapo lehnte es ab, Ossietzky zur Entgegennahme des Preises nach Oslo reisen zu lassen. Adolf Hitler verfügte anschließend, dass in Zukunft kein Reichsdeutscher mehr einen Nobelpreis annehmen dürfe. Stattdessen wurde von 1937 an der Deutsche Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft vergeben.“

Vom Propagandaministerium abgesegnet, durfte die deutsche Presse nur eingeschränkt berichten, darin enthalten die Drohung: „Die Verleihung des Nobelpreises an einen notorischen Landesverräter ist eine derart unverschämte Herausforderung und Be­leidigung des neuen Deutschlands, dass darauf eine entsprechend deutliche Ant­wort erfolgen wird.“

Ossietzky antwortete am 27. November dem Osloer Komitee nur mit einem kurzen Telegramm: „Telegramm erhalten stop Annahme mit Dank stop.“

Ausländische Korrespondenten bekamen nur Interviews unter der Regie der Gestapo, die arrangierte solche mit „deutschfreundlichen“ Journalisten aus Dänemark, Norwegen, Schweden und den Niederlanden in Zusammenarbeit mit dem Propagandaministerium und bei diesen „verleugnete Ossietzky seine politische Gesinnung nicht, sondern bekannte: „Ich war Pazifist und werde Pazifist bleiben. Das sollte Folgen haben“, so Werner Boldt.

Ossietzky mit ausländischen Journalisten im Westend-Krankenhaus Nov. 1936

Und er schreibt weiter: „Es gab Überlegungen, Ossietzky die Ausreise zur Annahme des Preises zu gestatten und ihn bei dieser Gelegenheit auszubürgern. Doch in den Augen der Gestapo sprachen wichtige Gründe dagegen. Aus seinem Bekenntnis zum Pa­zifismus schloss sie, dass Ossietzky „im bewussten Gegensatz zum nationalso­zialistischen Gedankengut der Wiederertüchtigung und Wehrhaftmachung des deutschen Volkes“ stehe. In diesem Sinne werde er im Ausland wirken und ihm das Preisgeld ermöglichen, nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren. Göring entschied, Ossietzky die Ausreise zu verweigern und ihn dauernd zu beobachten. Dass Ossietzky nicht nach Oslo durfte, wurde mit seinem schlech­ten Gesundheitszustand begründet.“

Görings Absage für die Fahrt nach Oslo traf Ossietzky tief, aber sie fügte ihm auch einen beträchtlichen finanziellen Schaden zu, als er dem angeblichen Rechtsanwalt Dr. Kurt Wannow, einem Betrüger, Vollmacht erteilte, das auf einer Osloer Bank deponierte Geld abzu­heben und es zu verwalten. Um es kurz zu machen, es blieben ihm von den etwa 100000 „Reichsmark“ noch 16500 übrig.

Nach seiner Einweisung in das Berliner Krankenhaus Nordend, das Werner Boldt eine heruntergekommene Klinik für arme Leute nennt, lebte das Ehepaar Ossietzky unter ständiger Bewachung der Gestapo in einem einzigen Raum. Aus Gestapo-Kreisen heißt es an Göring: „Eine Über­wachung des v. O. ist dort außerordentlich schwierig, da die Beamten, falls sie nicht direkt vor der Tür des Zimmers im Freien stehen sollen, sich nur in einem durch mehrere Türen vom Aufenthaltsraum des v. O. getrennten Zimmer auf­halten können. Obgleich zwar bisher eine Fluchtabsicht weder aus Worten noch aus Taten des v. O. erkennbar war, so ist doch mit seiner zunehmenden Erho­lung und der damit verbundenen Gesundung eine wahrnehmbare Verstärkung seiner alten pazifistischen Gesinnung zu verspüren und es besteht der Verdacht, dass er später das Reich illegal zu verlassen suchen wird. Andererseits hatte seine Frau auch um Schutz und Bewachung ihres Ehemannes gebeten, da sie Sorge hatte, dass unbesonnene Personen in irgendeiner Form einen Anschlag auf ihn unternehmen könnten.“

Die „Sorgen“ waren unbegründet, Carl und Maud Ossietzky lebten sehr einsam, neben einer katholischen Schwester, einem Pfleger und seinem Arzt bestanden keinerlei Kontakte nach außen und selbst das genehmigte Radio konnte nur deutsche Sender empfangen und die Post unterlag strenger Zensur. Zum behandelnden Arzt entwickelt sich ein freundschaftliches Verhält­nis. Weihnachten 1937 schreibt er an ihn: „Wenn ich also heute wie zwangsläufig Bilanz ziehe, so kreisen mei­ne Gedanken immer wieder um Sie, der jetzt seit einem Jahr mein vergängli­ches, irdisches Kleid zum Ausbessern hat. Ich glaubte zunächst, einen guten Arzt gefunden zu haben, der seine Sache versteht und stattdessen habe ich ei­nen sorgenden Freund gefunden, dessen gütige Menschlichkeit sich zwischen mich und die Krise stellt.“

„Ein Bild aus besseren Zeiten“ – Ehepaar Ossietzky im Berliner Zoo 1932

Einem pazifistischen Ehepaar aus Oslo gelang es Ostern 1938 ihn zu besuchen und diesen Besuch schildern sie in einer norwegischen Zeitung: „Das Zimmer, in dem Ossietzky und Frau Os­sietzky wohnten, war 2,5 mal 3,5 Meter groß. Es gab ein kleines Fenster, und die undichte Tür ging direkt auf den Hof- ohne Windfang und ohne Doppeltür. Es gab weder warmes noch kaltes Wasser, es gab überhaupt keine Waschgelegenheit im Zimmer. Ventilation gab es nicht. Es zog von der Tür her. Das Bett­zeug machte einen sehr kümmerlichen Eindruck…Die Betten standen jeweils an der Wand mit einem kleinen Nachttisch dazwischen. Mit Mühe und Not be­kam ich den Stuhl zwischen sie. An Ossietzkys Fußende stand ein kleiner Kristallapparat und ein kleiner Tisch, hinter der Tür ein Schrank und unter den-Betten ein paar Koffer. Keine Bilder, nur eine Inschrift an Ossietzkys Wand. Dort stand: „Durch alle Niederlagen und Widerstände leuchtet doch die Hoff­nung als ein ewiger Leitstern. Er war bleich und mager, und die Hand, die er uns entgegenstreckte, war dünn und kraftlos – aber seine klaren blauen Augen strahlten vor Leben- und ich glaube, vor überströmender Freude. Durch das gesamte Gespräch gab er uns ein strahlendes Beispiel für die Überlegenheit des Geistes über die Gewalt. Os­sietzky hatte seine politische Überzeugung behalten, nicht zuletzt klar und le­bendig seine pazifistischen Ansichten, und es war nicht schwer zu verstehen, dass ein solcher Mann den deutschen Machthabern sehr, unbequem‘ war.“

Dieser Artikel wurde nach Ossietzkys Tod veröffentlicht, konnte ihm also nicht mehr schaden. –

Bei diesem Gespräch tauchte auch der Vorschlag auf, ihn nach Norwegen zu holen, Ossietzky sagte dazu: „Selbst wenn es nicht klappt, so hat es mir etwas gegeben, von dem ich lange lebe.“

Norwegen kam nicht mehr zustande, wenige Tage später, am 4. Mai 1938 starb Carl von Ossietzky. Eine Totenmaske wurde heimlich abgenommen, der Leichnam eingeäschert, eine Totenfeier gab es nicht und das Urnengrab auf dem Friedhof von Berlin-Niederschönhausen blieb namen­los. Erst nach der Befreiung Deutschlands trägt es Ossietzkys Namen. Die In­schrift lautet: „Frieden für immer.“ Heute befindet sich sein Grab wie auch das seiner Frau Maud, auf dem Friedhof Pankow IV am Herthaplatz in Berlin-Niederschönhausen. Es ist ein Ehrengrab der Stadt Berlin.

Grab Carl von Ossietzkys Quelle: Wikipedia

„Ossietzky wurde von seinen Zeitgenossen als großartiger Stilist gewürdigt und verschiedentlich mit Heinrich Heine, Maximilian Harden oder sogar Voltaire verglichen“, schreibt Wikipedia.

„Sein bestes Porträt ist sein Stil. Sein klares und geschmeidiges Deutsch, das sicher sitzende Wort, der knappe und locker schwingende Rhythmus seiner Sätze, die geheime Ironie seiner Anspielungen, oft humorig überglänzt und der unerbittlich sitzende Florettstoß seines Angriffs“

– Arnold Zweig

Arnold Zweig

Aus Wikipedia:

Jacobsohn bezeichnete Ossietzky nach dem ersten Kennenlernen als einen der „größten Umstandskommissare, die mir je begegnet sind“, aber seine Sprache sei „nicht von Pappe“.

Tucholsky charakterisierte ihn nach dessen Verhaftung durch die Nationalsozialisten:

„Dieser ausgezeichnete Stilist, dieser in der Zivilcourage unübertroffene Mann, hat eine merkwürdig lethargische Art, die ich nicht verstanden habe, und die ihn wohl auch vielen Leuten, die ihn bewundern, entfremdet. Es ist sehr schade um ihn. Denn dieses Opfer ist völlig sinnlos.“

– Kurt Tucholsky: Brief an Walter Hasenclever vom 4. März 1933

Sein Mitarbeiter Rudolf Arnheim bezeichnete Ossietzky in seiner stillen und bescheidenen Art dagegen als den einzigen wirklichen Helden, den er je gekannt habe. Er schilderte Ossietzkys Auftreten wie folgt:

„Zurückhaltend und schweigsam, die Zigarette in der leise zitternden Hand, die Augen niedergeschlagen, wirkte er wie ein feinsinniger Aristokrat, den Besuchern nicht leicht zugänglich, den Freunden und Mitarbeitern aber ein warmherziger Kamerad, ein selbstloser Helfer“

– Rudolf Arnheim

Rosalinde vom Ossietzky versuchte in den 1980er Jahren mit Juristen, darunter Heinrich Hannover, versucht, eine Wiederaufnahme des „Weltbühne-Prozesses“ zu erreichen.

Heinrich Hannover (1999) Quelle: Von Günter Prust – http://www.foto-prust.de, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=22867322

Wikipedia schreibt:

„.. Damit sollte das Urteil von 1931 revidiert werden. Rosalinde von Ossietzky-Palm, einziges Kind des Friedensnobelpreisträgers Carl von Ossietzky, leitete als Antragsberechtigte am 1. März 1990 beim Berliner Kammergericht das Verfahren in die Wege. Als neue Beweismittel wurden die Gutachten zweier Sachverständiger vorgelegt, die zeigen sollten, dass die französische Armee bereits vor der Veröffentlichung des Textes über die rechtswidrigen Aktivitäten der Reichswehr informiert war. Außerdem hätten einige der beanstandeten „Geheimnisse“ nicht den Tatsachen entsprochen. Das Kammergericht erklärte eine Wiederaufnahme des Verfahrens als unzulässig. Die neuen Gutachten seien nicht als Tatsachen oder Beweismittel ausreichend, um von Ossietzky nach damaligem Recht freizusprechen.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshof lehnte anschließend eine Beschwerde gegen die Entscheidung des Kammergerichtes ab:

„Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichtes schloß die Rechtswidrigkeit der geheim gehaltenen Vorgänge die Geheimniseigenschaft nicht aus. Jeder Staatsbürger schuldet nach Auffassung des Reichsgerichtes seinem Vaterland eine Treuepflicht des Inhalts, daß das Bestreben nach der Einhaltung der bestehenden Gesetze nur durch eine Inanspruchnahme der hierzu berufenen innerstaatlichen Organe und niemals durch eine Anzeige bei ausländischen Regierungen verwirklicht werden durfte.“

– Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 3. Dezember 1992, Aktenzeichen StB 6/92, veröffentlicht in: BGHSt 39, 75

Maud + Rosalie v. Ossietzky

Mit diesem Beschluss vertrat der Bundesgerichtshof 1992 unwillkürlich die von Hans Filbinger in eigener Sache 1978 geäußerte Rechtsauffassung: „Was damals Rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein!“

An Carl von Ossietzky wurden zahlreiche Preise verliehen und Ehrungen vergeben, ein Auszug (Wikipedia)

Seit 1962 verleiht die deutsche Internationale Liga für Menschenrechte (Berlin) die Carl-von-Ossietzky-Medaille.
Eine weitere Carl-von-Ossietzky-Medaille wurde seit 1963 vom Friedensrat der DDR verliehen.
1983 wurde die Hamburger Staatsbibliothek in Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky umbenannt.
Die Stadt Oldenburg verleiht seit 1984 alle zwei Jahre den Carl-von-Ossietzky-Preis für Zeitgeschichte und Politik.
Das Denkmal Carl von Ossietzky wurde 1989 in Berlin enthüllt.

Carl-von-Ossietzky-Denkmal in der Ossietzkystraße Berlin Quelle: Wikipedia

1991 gab sich die Universität Oldenburg – nach langjährigen Widerständen durch die niedersächsische Landesregierung in Hannover – den Namen Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Ossietzkys Tochter Rosalinde von Ossietzky-Palm war bis zu ihrem Tod im Jahr 2000 Ehrenbürgerin der Universität. Die Universität verwaltet auch den Nachlass von Carl und Maud von Ossietzky.

1996 wurde in den Wallanlagen der Stadt Oldenburg ein von Manfred Sihle-Wissel geschaffenes Bronze-Denkmal aufgestellt.

Ehrengrab der Stadt Berlin auf dem Friedhof Pankow IV – Herthaplatz, 13156 Berlin-Niederschönhausen.
In Deutschland sind einige Schulen nach Carl von Ossietzky benannt.

Es existieren in Deutschland mehrere Carl-von-Ossietzky-Straßen, darunter in Chemnitz, Dortmund, Görlitz, Halle (Saale), Leverkusen, Lüneburg, Marburg, Oldenburg, Potsdam, Wedel, Weimar und Wiesbaden.

Die Zeitschrift „Ossietzky“ wurde nach Carl von Ossietzky benannt.

In der Diele des Hamburger Rathauses befindet sich sein Reliefporträt und die Gipsvorlage des Künstlers Klaus Kütemeier dazu im Carl-von-Ossietzky-Gymnasium in Hamburg-Poppenbüttel,

In Berliner Ortsteil Moabit befindet sich der Carl-von-Ossietzky-Park.

Alle nicht gekennzeichneten Bilder sind gemeinfrei – gefunden in den Buch-Quellen:

Werner Boldt – „Carl von Ossietzky“ – Pazifist und Demokrat, Kz-Häftling und Friedensnobelpreisträger- Erschienen im Donat Verlag ISBN 978-3-943425-87-1

Und

Carl von Ossietzky – 1889-1938 Ein Lebensbild „Von mir ist nichts weiter zu sagen“ – Herausgegeben von Richard von Soldenhoff – erschienen im Quadriga Verlag ISBN 3-88679-173-4