Zum 60. Geburtstag der Crossener Dichters am 4. November 1950
Einer, dem die Gabe verliehen war, das Instrument der deutschen Sprache meisterlich zu spielen. Im hauchzarten Pianissimo und im brausenden fortissimo. Sein Name war: Alfred Henschke-Klabund. Einer, der mit verschwenderischen Händen ausstreute: Lebende Blüten und leichte 22 Jahre sind drüber hingeflossen: Da starb einer in Davos. Papierrosetten zum Spiel . . . Ein früher Tod nahm ihm das Füllhorn aus den Händen.
Vom märkischen Crossen zog Klabund einst aus. In bunte Fernen. Und sang dort seiner Heimat Lieder. Gab den Gestalten ihrer Sagen Blut und Leben. Dann kehrte er zurück. Zum letzten langen Schlaf. Auf seinem Grabstein hoch über dem Oderstrom stand nur dies eine Wort: „Klabund“
Im Hause seines Apotheker-Vaters, verdienstvollen Ehrenbürgers der Stadt Crossen (Oder), verlebte der am 4. November 1890 geborene Alfred Henschke eine normalbürgerliche, wohlbehütete Jugend. Von der 400jährgem Lateinschule seiner Heimatstadt siedelte er auf das Friedrichsgymnasium in Frankfurt (Oder) über und bestand mit 18 Jahren als Primus Omnium die Reifeprüfung, Es folgten Studienjahre m München, Berlin, Lausanne.
In geruhsamen Ferienwochen daheim in Crossen galt das Interesse des Studenten der Geschichte dieser Stadt. Eine bunte Folge heimatgeschichtlicher Plaudereien und auch kritischer Betrachtungen ergab sich als Frucht solcher Materialsuche. Sie wurden ausnahmslos im .Crossener Tageblatt“ veröffentlicht. In dieser Zeit entstanden auch die unter dem Titel »Celestina* zusammengefassten Altcrossener Novellen, erster bescheidener Bucherfolg für — noch — Alfred Henschke.
Dann aber rief und lockte die große Welt, das bunte Leben. Von München aus schickte er – und erstmals nannte er sich nun Klabund – etliche Gedichte an Alfred Kerr. „Unartige Musenkinder“, frech und saftig und aufreizend, Kerr veröffentlichte sie in seiner Zeitschrift „Pan„. Sie erregten Aufsehen, begegneten Widerspruch. Worauf Kerr reagierte: Die Strophen von Klabund haben so viel Eiderspruch erweckt, dass abermals welche hier stehen sollen.“ Ein Gericht verurteilte beide, Klabund und Kerr, zu geringen Geldstrafen. Was nur dazu diente, den Namen Klabund erst recht bekanntzumachen.
1912 erschien Klabunds erster Gedichtband: „Morgenrot“, Klabund! Die Tage dämmern!* Sein .Karussell“ schloss sich an. Beides Sammlungen, die leidenschaftlich empfunden waren und künstlerisch revolutionär wirkten. Es zuckte viel Spitzbübisches, unbürgerliche Freude am Landstreichertum, Gegensätzliches, das schwer zu umschreiben ist, in dieser Lyrik aus des Dichters Sturm und Drangjahren auf.
Im Laufe der Zeit rang sich Klabund zu einer kultivierten Besinnlichkeit durch. Schwer lungenleidend, wusste er, dass ihm nur ein kurzes Maß von Jahren beschieden sein würde. Deshalb schrieb er mit rastlosem Fleiß und entwickelte eine dichterische Fruchtbarkeit von fast unvorstellbarem Ausmaß. Seiner ersten größeren Erfolge einer war der märkische Eulenspiegel-Roman „Bracke„, in den Bruchstücke der „Celestina“-Novellen übernommen wurden Eine brandenburgische Heimatdichtung, die als solche viel zu wenig erkannt und gewürdigt wurde.
Drei Dutzend Bücher folgten. Gedichte, Novellen, Romane („Moreau„, »Mohammed*, „Pjotr„, .Franziskus“ usw.), Essays, kleine „Literaturgeschichten .in einer Stunde„, Nachdichtungen morgenländischer Poesie („Dumpfe Trommeln und berauschtes Gong„, „Li-Tai-Pe“, „Der Feueranbeter„) und noch vielerlei.
Der größere Teil entstand in Davos, in Sanatorien für Lungenkranke. Dort und in Arosa, in Locarno verbrachte Klabund auch die Jahre des ersten Weltkrieges, als ihm infolge eines in einer Schweizer Zeitung veröffentlichten offenen Briefes an Wilhelm II, Deutschland für vorübergehende Zeit verschlossen war.
Immerfort hart ringend um sein bisschen Leben und doch immerfort ein Schaffender. In den Schweizer Bergen war es auch, dass dem Siebenundzwanzigjährigen ein kurzes, helles Liebesglück erblühte. Brunhilde Heberle war ihr Name, Tochter eines .Justizrates in Passau. Obwohl ein schönes, zartes Geschöpf, geplagt von der gleichen unheilbaren Krankheit, die auch Klabund quälte. Nur ein halbes Jahr dauerte der Ehebund. Im Oktober 1911 stand der Dichter am Sarge seiner jungen Gattin und Geliebten.
Ein Bekannter schon, wenn auch noch ein Umkämpfter, kehrte Klabund nach Deutschland, ins Tiefland zurück. Ruhelos durchwanderte er die deutschen Städte, und immer wieder dazwischen etliche Wochen Davos, Locarno. Aber überall floss ihm Dichtung aus der Feder.
Noch einmal tönten Klabund die Glocken des Lebens in vollen, brausenden Akkorden. Das war, als er – wieder in Davos – sein erstes Drama, den „Kreidekreis“ vollendet hatte. Dies Spiel aus dem Chinesischen wurde kraft der Imponderabilien, die solche Erfolge meist machen, das Theaterereignis des Jahres 1925. Was alle Werke nicht vermochten, die Klabund vorher mit seinem Herzblut geschrieben, das gelang diesem Schauspiel mit seinen Anklingen an spielerische Improvisation, Mit einem Schlage ward Klabund eine Berühmtheit.
Der .Kreidekreis“ ging über alle Bühnen deutscher Zunge. Er ward sogar Anlass, dass die Vaterstadt Klabund einmal wiedersah. .Wo der Bober in die Oder, wo die Zeit mündet in die Ewigkeit . . .* hatte er sich seit Jahren rar gemacht, war nur dann und wann für wenige Stunden ins Elternhaus eingekehrt. Zur Aufführung des Januar 1926 – eilte er herzu, um zu bezeugen, dass ihm die Anerkennung seines Schaffens in der Heimat seiner Jugend doch ein wenig Freude bereite. Und es steht unauslöschlich in meiner Erinnerung, da ich ihn damals zum letzten Male sah: Die Hornbrille beschattete ein blasses, aber immer jugendlich, fast primanerhaft wirkendes Antlitz.
Und als die Crossener jubelnd nach „ihrem“ Dichter riefen, da dankte er schüchtern, fast ein wenig hilflos, drückte den Rosenstrauß, den man ihm als Huldigung dargebracht, der schönen Haitang seines Stückes in die Hände.
Die Schauspielerin Carola Neher wurde der leuchtende Stern seiner letzten Jahre. Er folgte der Künstlerin nach Breslau und vermählte sich dort mit ihr. Noch einmal blühten alle schöpferischen Kräfte in ihm auf. Die Liebe begeisterte ihn, neue Komödien zu schreiben – Stücke mit nur einer Frauenrolle. .XYZ“ brachte ihm noch einmal größeren Erfolg.
Von tausend neuen Plänen sich losreißend, musste er im Sommer 1928 plötzlich wieder nach Davos. Legte sich wie so oft zuvor todesmatt und bleich im Stolzenfels“ nieder. In der Frühe des 14. August ging der „himmlische Vagant“ ins Schattenreich ein. Die Vaterstadt, die den Mut hatte, Klabund ein schlichtes Monument zu weihen, als sein Werk noch umstritten war, holte seine Asche heim und bettete sie in ein Ehrengrab.
Dass der Tote nach 1933 noch einmal in Acht und Bann getan wurde, dass seine Büste in einem dunklen Winkel verstauben musste, dass sein Name nicht mehr genannt werden durfte, ist ein düsteres und beschämendes Kapitel Man schweigt am besten davon. Jetzt, da er 60 Jahre alt geworden wäre, dürfen wir ja seiner wieder gedenken.
Für sich selbst verfasste Klabund einst eine Grabschritt: „Er war ein Mensch, nicht weniger, nicht mehr. Er starb, bevor er starb. Möge er leben, nachdem er lebte. Bleibt nur ein Wort von ihm für die Ewigkeit, so lebt er unsterblich im Lied des menschlichen Leides.“ So wird es sein. Die Zeit wird aussondern aus seinen tausend Zungen, was Bestand hat im Vorrat deutscher Dichtung. Klabund wird leben, nachdem er lebte.
Karl Wein