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Heinrich Hannover – geboren am 31. Oktober 1925 in Anklam, Provinz Pommern) ist ein deutscher Jurist und bekannter Strafverteidiger. Hannover schrieb darüber hinaus sowohl Sachbücher als auch Kinderbücher.
Leben
Der in der norddeutschen Kleinstadt Anklam in Vorpommern aufgewachsene Sohn eines Arztes meldete sich 1942 als 17-Jähriger wie fast alle Mitschüler als Rekrut zur Wehrmacht; Hannover, der Förster werden wollte, meldete sich zur Elite-Division Hermann Göring. Es folgten Fronteinsätze 1944 in Italien (Nettunobrückenkopf) sowie 1945 in Schlesien und Sachsen. Bei einem dieser Einsätze überlebte Hannover eine Granatsplitterverletzung dicht neben seiner Wirbelsäule. Als er wenige Monate nach Kriegsende nach Anklam zurückkehrte, waren seine Eltern tot. Durch seine Kriegserlebnisse wurde Hannover zum Pazifisten und Antimilitaristen.
Aus kurzer amerikanischer Kriegsgefangenschaft nach Kassel entlassen, versuchte Heinrich Hannover zunächst, seinen ursprünglichen Berufswunsch, die höhere Forstlaufbahn, zu verwirklichen. Als ehemals in Pommern zugelassener Forstanwärter wurde er jedoch in Hessen nicht übernommen, obwohl er bereits als Waldarbeiter gearbeitet hatte.
In einem Kursus für Kriegsteilnehmer holte er das Abitur nach und studierte dann an der Universität Göttingen Rechtswissenschaften. Er finanzierte sein Studium als Werkstudent. Nach dem ersten Staatsexamen, das er 1950 beim Oberlandesgericht Celle ablegte, absolvierte er das Referendariat in Bremen. Nach dem zweiten Staatsexamen wurde er dort im Oktober 1954 als Rechtsanwalt zugelassen.
Vielen seiner Professoren und zahlreichen Richtern und Staatsanwälten, denen er im Studium und in der Justizpraxis begegnet war, wirft Hannover vor, ungebrochen im Nationalsozialismus begonnene Karrieren verfolgt zu haben und ihrer Gesinnung treu geblieben zu sein.
Hannover ist Verfasser zahlreicher Sach- und Kinderbücher, die zum Teil auch als Hörbücher eingespielt wurden, eingesprochen von Hannover selbst, sowie auch von Kindersprechern. Als Anwalt zog er sich 1995 in den Ruhestand zurück, um fortan hauptsächlich als Schriftsteller zu arbeiten. Dabei entstanden unter anderem seine Lebenserinnerungen „Die Republik vor Gericht 1954–1995“. Er war Mitherausgeber der Zeitschrift „Demokratie und Recht“ (DuR), welche bis 1989 im Kölner Pahl-Rugenstein Verlag erschien.
Hannover war mit Elisabeth Hannover-Drück (gestorben 2009) verheiratet und ist Vater von sechs Kindern. Das jüngste verstarb 1969 im Alter von sieben Jahren an Leukämie. Zu seinen Kindern gehören die Juristin, Fernsehmoderatorin und Autorin Irmela Hannover sowie die Psychologin und Professorin Bettina Hannover. Heinrich Hannover lebt heute in Worpswede bei Bremen. Nachfolgekanzleien von Hannover sind die Familienrechtskanzlei Töbelmann, Hannover & Partner und die Strafrechtskanzlei Hannover & Partner (beide in Bremen ansässig).
Strafprozesse
Politische Verfahren
Die ihm zu Beginn seiner Praxis zugewiesene Pflichtverteidigung eines Kommunisten im antikommunistischen Meinungsklima der frühen Bundesrepublik wurde insgesamt prägend für sein weiteres rechtsanwaltliches Wirken in Verfahren wegen politischer Straftaten. Hannover vertrat die Rechte von Minderheiten, welche sich auf die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit sowie andere Grundrechte beriefen. Als Gegner der westdeutschen Wiederbewaffnung war er Mitglied im Verband der Kriegsdienstverweigerer und gehörte zeitweilig auch dessen Vorstand an. Er war einer der bekanntesten Verteidiger von Kriegsdienstverweigerern, auch der Zeugen Jehovas, und war Anwalt in vielen politischen Strafprozessen im Zusammenhang mit der Notstandsgesetzgebung, der amerikanischen Kriegführung in Vietnam und der Kollaboration mit ausländischen Diktatoren (sogenannte Studentenbewegung oder Außerparlamentarische Opposition) in den 1960ern. Hannover verteidigte mehrere der der Beteiligung an terroristischen Gewalttaten Angeklagten in den 1970ern und setzte sich für eine Änderung der Haftbedingungen Ulrike Meinhofs ein. Hannover lehnte eine Vertretung von Meinhof in deren Stammheimer Verfahren wegen Differenzen in Fragen politischer Gewalt ab. Hannover und seine Familie wurde aufgrund seiner anwaltlichen Tätigkeit für Terroristen mit einer Pressekampagne konfrontiert und anonym mit Mord bedroht. In den 1990er Jahren verteidigte er Bundesvorstandsmitglieder der GRÜNEN, die zu Kriegsdienstverweigerung und Fahnenflucht im Golfkrieg aufgerufen hatten. Nach der deutschen Wiedervereinigung vertrat er auch Bürger der ehemaligen DDR, denen Landesverrat oder Mitwirkung an Wahlfälschung vorgeworfen wurde.
Hannover erreichte in den 1980er Jahren für die Tochter des ermordeten KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann als Nebenklägerin durch ein Klageerzwingungsverfahren vor dem Oberlandesgericht eine Anklage wegen Beihilfe zu der von Hitler befohlenen Ermordung Thälmanns gegen den ehemaligen SS-Funktionär Wolfgang Otto. Dieser wurde vom Landgericht Krefeld zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, das Urteil vom Bundesgerichtshof jedoch aufgehoben. Die erneute Verhandlung vor dem Landgericht Düsseldorf führte dann zum Freispruch.
Im Jahr 1987 verteidigte Hannover einen der Hamburger Richter, die gegen die Stationierung amerikanischer Atomraketen in Mutlangen durch Sitzblockaden vor dem Depot protestiert hatten, was damals noch als Nötigung amerikanischer Soldaten verfolgt wurde. Die Vertretung von Kriegsdienstverweigerern vor Prüfungskammern und Verwaltungsgerichten bildete ebenfalls einen Schwerpunkt seiner juristischen Praxis. Auch Zeugen Jehovas, welche aufgrund ihrer religiösen Überzeugung nicht nur den Kriegsdienst an der Waffe, sondern auch den Wehrersatzdienst verweigerten, wurden von ihm in Strafverfahren vertreten.
Zu Hannovers Mandanten gehörten auch Peter Brückner, Daniel Cohn-Bendit, Bolko Hoffmann, Lorenz Knorr, Helmut Kramer, Hans Modrow, Wolf Dieter Reinhard, Otto Schily, Günter Wallraff, Gert Postel, Isang Yun und Peter-Paul Zahl; vor allem aber eine große Anzahl weniger prominenter Beschuldigter. In seinen Memoiren (Die Republik vor Gericht 1954–1995) schreibt Hannover: „So bin ich der Anwalt der kleinen Leute, der politisch oder religiös verfemten Minderheiten, der gegen das kapitalistische System und neue Einmischung in Krieg und Völkermord aufbegehrenden Generation geworden.“
„Anwalt der kleinen Leute“
Hannover war auch in Strafverfahren ohne politischen Bezug als Verteidiger tätig. Bundesweites Aufsehen erregte in den 1970er Jahren der in Bremen verhandelte Fall des Bauarbeiters Otto Becker, der zu Unrecht wegen Mordes an der 17-jährigen Carmen Kampa angeklagt wurde (Stern vom 7. November 1974: „Der Zeuge fuhr im Zug vorbei“). Das Verfahren, in dem Becker zunächst verurteilt wurde, endete nach erfolgreicher Revision in der zweiten Hauptverhandlung mit Freispruch, nachdem es dem Verteidiger gelungen war, eine zuvor von der Kriminalpolizei zurückgehaltene Sonderakte aufzufinden und in das Verfahren einzuführen. Hannover lenkte dadurch die Aufmerksamkeit auf einen anderen Mann, der von nun an der Tat dringend verdächtigt wurde. Erst bei der Aufklärung des Falles im Jahre 2011 wurde bewiesen, dass auch dieser Verdächtige unschuldig war und die Tat durch einen dritten Mann begangen wurde.
Wiederaufnahmeverfahren
Im Auftrag von Rosalinda von Ossietzky, der Tochter des Herausgebers der „Weltbühne“ Carl von Ossietzky, führte Heinrich Hannover in den Jahren 1988 bis 1992 zusammen mit anderen Kollegen das Wiederaufnahmeverfahren gegen ein Landesverratsurteil des Reichsgerichts aus dem Jahre 1931 durch, das allerdings erfolglos blieb.
Ehrengerichtsverfahren
Hannover musste sich in den Jahren 1978 bis 1984 zwei Ehrengerichtsverfahren stellen, in denen ihm vorgeworfen wurde, vom Recht der anwaltlichen Redefreiheit in standeswidriger Weise Gebrauch gemacht zu haben. Gegen diese verschiedentlich gemachten Vorwürfe, welche dann in ein Verfahren zusammengezogen wurden, verteidigten ihn der Rechtsanwalt und spätere Bundesinnenminister Otto Schily sowie Ulrich K. Preuß.
Um gegen falsche und politisch motivierte Vorwürfe in Ehrengerichtsverfahren der Rechtsanwaltskammer gefeit zu sein, ließ Hannover zahlreiche eigene Plädoyers in politischen Verfahren vor Gericht auf Tonbänder aufzeichnen, welche heute beim Deutschen Rundfunkarchiv in Frankfurt am Main archiviert und zum Teil auf CD – als Anlage zu seinem Buch „Reden vor Gericht“ – erhältlich sind.
Ehrungen und Auszeichnungen
1986 wurden Hannover von der Humboldt-Universität Berlin und 1996 von der Universität Bremen Ehrendoktortitel verliehen.
Fritz-Bauer-Preis der Humanistischen Union (1973)
Kultur- und Friedenspreis der Villa Ichon, Bremen (1987)
Max-Alsberg-Preis des Deutschen Strafverteidiger e. V. (1997)
Preis der Stiftung Kreatives Alter, Zürich (2002)
Arnold-Freymuth-Preis der Arnold-Freymuth-Gesellschaft (2004)
Hans-Litten-Preis der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e. V. (2008)
Max Friedlaender-Preis des Bayerischen Anwaltverbands (2012)
Ehren-Tüddelband des Literaturfestivals Harbourfront Hamburg (2019)