Ein versifftes Blatt Linksradikaler, Pazifisten, und Heimat von Vaterlandsverrätern und natürlich darf auch der jüdische Einfluss nicht fehlen.
Diese Beschreibung würden auch heute noch die „Rechten“ in der BRD bedingungslos unterschreiben, egal wo sie Gedenkmärsche und Demonstrationen veranstalten, oder wo sie sitzen und rumlungern – in Parlamenten oder an „Gedenkorten“. Und sicher mit „klammheimlicher Freude“ fände diese Beschreibung auch in anderen Kreisen Zustimmung.
Meine Definition ist eine ganz andere. Die „Schaubühne“ war eine spannende Theaterzeitung und nach ihrer Umbenennung ist sie in den Top-Ten der Jahrhundertzeitungen des letzten Jahrhunderts ganz oben zu finden. Platz eins oder zwei oder drei – es sei anderen überlassen.
In der „Weltbühne“ haben alle geschrieben, die im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und im so genannten „Tausendjährigen Reich“ verhasst waren und die man mit Verfolgung in allen Varianten überzog.
1945 vorbei? Natürlich nicht, denn Artikel z.B. von Kurt Tucholsky spielten auch in der „jungen Demokratie“ eine wichtige Rolle und diese wurde oft genug vor Gerichten ausgetragen. Ein Titel? – „Soldaten sind Mörder“
Er wollte bereits mit 16 Jahren Theaterkritiker werden, schrieb Siegfried Jacobsohn einmal und sein Kürzel S.J. stand dann auch für die Kritiken, die S.J. so beschreibt:
„…In vollster Unabhängigkeit und Rücksichtslosigkeit konnte ich meine Meinung sagen. Es brauchte mich nicht zu berühren, daß dem Blatt („Welt am Montag“) von einem Theater nach dem anderen die Referentenkarten und die Inserate entzogen wurden; daß die Objekte der Kritik den Verleger geradezu anflehten, eine solche Freimütigkeit nicht zu dulden, daß Sudermann gegen diesen Grad der „Verrohung“ wetterte; daß die Gerichte aufgeboten wurden – mit einem Wort: daß ich in kürzester Zeit über die Maßen verhasst war. Sie tobten. Ich schritt weiter…“
Siegfried Jacobsohn – Geboren am 28. Januar 1881 in Berlin – einen Tag nach „Kaisers Geburtstag“ – ist der Sohn des Kaufmanns Bernhard Jacobsohn und seiner Ehefrau Selma Blumenthal. Seit den siebziger Jahren lebt die Familie – aus Sulingen bei Hannover. im heutigen Landkreis Diepholz – kommend, in Berlin.
Ab 1890 besucht Siegfried Jacobsohn das traditionsreiche Friedrichs-Werdersche Gymnasium in der Dorotheenstraße. Im Oktober 1897 verließ er ohne Abschluss die Schule und begann – was damals auch ohne Abitur möglich war – ein Studium für vier Semester in der Philosophischen Fakultät der „Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin.
Nach acht Semestern schreibt er seine ersten Artikel. Fritz Mauthner – Philosoph, Schriftsteller und Publizist – und Albert Bassermann ein deutscher Theater- und Filmschauspieler, machen ihm Mut, Hellmut von Gerlach, damals Chefredakteur der Berliner Wochenzeitung „Die Welt am Montag“ riskiert es, dem Zwanzigjährigen die Theaterkritik zu übertragen.
Als im November 1904 Siegfried Jacobsohns Buch „Das Theater der Reichshauptstadt“ erscheint, beginnt die Geschichte der Schaubühne/Weltbühne mit dem Fall Jacobsohn.
„Der Fall Jacobsohn“, schreibt S. J. „war ein Sensationsstück erstens Ranges, für das es sich lohnte, die Berliner Litfaßsäulen mit Riesenplakaten – Jacobsohns Entlarvung, Plagiator Jacobsohn, Siegfrieds Tod — wochenlang vollzukleben.“
Diesen Plagiatsvorwurf habe ich schon im Portrait über Siegfried Jacobsohn beschrieben.
Laut Maximilian Harden – Publizist, Kritiker, Schauspieler und Journalist – wurde Jacobsohn wochenlang durch die Gazetten gezogen: „Dieb, Strauchräuber, elender Wicht. Vier Wochen lang hört man es schon in allen Tonarten. Die Wut will sich gar nicht erschöpfen. Ein Gezeter, als gäbe es im Holzpapierreich kein erbärmlicheres Subjekt als diesen Jacobsohn. Hundertmal ward er tot gesagt, von Bekannten und Unbekannten, und doch wird immer wieder auf ihn losgedroschen.“
Jacobsohns Kritikerlaufbahn schien beendet. Mitte Dezember 1904 verlässt er Berlin. Am 22. Dezember 1904 heißt es in einem Brief an seine Eltern aus Wien: „Der Abschluss meiner Kindheit, wie ich den zwölften November (1904) von Anfang an bezeichnet habe, war ein bisschen unsanft, aber lehrreich und heilsam. Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag. Mein Hirn gährt von Zukunftsplänen, literarischen und persönlichen, allein, solange die Gährung noch so heftig ist wie jetzt, will ich lieber nichts verlauten lassen. Oscar Bie hat mir einmal erklärt, ich sei eine beängstigende Mischung von Kind und Greis. Ich erwiderte, daß ich dieser Mischung durch einen immer wachsenden Zusatz von Mann ihre Schrecken schon nehmen werde.“
Er schreibt später eine Broschüre zum „Fall Jacobsohn“, die 1913 im Verlag der „Schaubühne“ erscheint und von dem die Berliner Tagespresse keinerlei Notiz nahm.
Gründung der Schaubühne 1905
Anfang Juni 1905 kehrt Siegfried Jacobsohn nach Berlin zurück, entschlossen, noch einmal „des Hasses Kraft, die Macht der Liebe auf Gebilde schlechter, guter Kunst entsenden. Ganz von vorn beginnen! Mit einem eigenen Theaterblatt! Gedacht als eine Art Brahmbühne, aber als Brahmbühne ohne Sucht nach Profit und mit weiterem Horizont. Der Vergleichspunkt ist das Ensemble. Ich habe nicht genug Talent zum bengalisch beleuchteten Solospieler. Meine Absicht: einer Anzahl starker und feiner Geister, denen das Wohl und Wehe unseres Theaters am Herzen liegt, die Möglichkeit zu einer rückhaltlosen Aussprache ihrer Gedanken, ihrer Gefühle, ihrer Ideale zu geben. Diese Geister sollen nach Möglichkeit annähernd gleichwertig sein, aber gleichartig brauchen sie genauso wenig zu sein, wie es Bassermann, Rittner, Sauer und die Lehmann sind.“
Zitiert aus einem Brief an Gustav Landauer, Januar 1906
An einem seiner ersten Abende geht er ins Theater, im Foyer des Schauspielhauses trifft er Siegbert Cohn, später Inhaber des Oesterheld-Verlages und erzählt ihm von seinem geplanten Blatt. Es sei bis in alle Einzelheiten fertig, nur die Finanzierung habe man noch nicht begonnen. Cohn erinnert sich 1930: „Ich war neunzehn Jahre alt und hatte grade meine praktische buchhändlerische Tätigkeit in Berlin, Paris und London beendet, da trat S. J. an mich heran, setzte mir seine Pläne für die Gründung einer neuen lebendigen kritischen Theaterwochenschrift auseinander. Auf die Frage, ob ich mitmachen wolle, willigte ich hellbegeistert ein.“
Besiegelung des Planes In der Kanzlei von Justizrat Heinitz in der Mohrenstraße – jener Straße, die 2020 wegen ihres „anrüchigen“ Namens umbenannt werden soll – und als der Notar nach dem Namen des Blattes fragt, betretenes Schweigen. Einen Namen? „Nennen Sie es doch einfach „Schaubühne“» oder so ähnlich“, schlug Heinitz vor. Die Geschäftsführung des Verlages „Schaubühne GmbH“ übernahm Siegbert Cohn.
In Ihrem Buch „Die Weltbühne“ schreibt Ursula Madrasch-Groschopp über den Beginn des Verlages:
„… Die GmbH bestand aus Leuten, die S. J. mit großem Geschick gewonnen hatte. Über die ersten 25 000 Mark des Gründungskapitals schreibt er in einem Brief an Hugo von Hofmannsthal am 14. Juli 1905 aus Arhild in Schweden: …“Ich machte schon damals (in Paris) kein Hehl daraus, von wie großer Wichtigkeit mir ein Beitrag von Ihnen erscheint. Heute hat sich diese Wichtigkeit in meinen Augen noch vergrößert. Von den 25 000 Mark, die ich vorläufig habe – es ist mehr in Reserve – habe ich die ersten 5 000 Mark nur auf Ihre mündliche Zusage hin bekommen, die letzten auf eine schriftliche von Schnitzler (beides klingt Ihnen vielleicht unglaubhaft, ist aber erweislich wahr)…)“
Einer seiner Berater im Verlag war Julius Bab, allerdings nicht nur Berater, sondern auch ein enger Freund und die „Sammlung“ der Mitarbeiter läßt sich fortsetzten. In Paris sprach er mit Hugo Laurenz August Hofmann, Edler von Hofmannsthal (genannt Hugo von Hofmannsthal und der sagte eine Mitarbeit zu.
„In Wien gewann er Hermann Bahr und Arthur Schnitzler. Die drei musste er nicht „mit der Laterne suchen“, sie hatten schon einen Namen“, schreibt Ursula Madrasch-Groschopp.
Hermann Anastas Bahr, geboren am 19. Juli 1863 in Linz, gestorben am 15. Januar 1934 in München, war ein österreichischer Schriftsteller, Dramatiker sowie Theater- und Literaturkritiker. Er gilt als geistreicher Wortführer bürgerlich-literarischer Strömungen vom Naturalismus, über die Wiener Moderne bis hin zum Expressionismus.
In Wien sucht S.J. einen Korrespondenten, Zwei Namen fallen ihm auf: Willi Handl und Alfred Polgar. 1920 schreibt er:
„Das waren allerdings Meisterleistungen, die da von Willi Handl und Alfred Polgar gezeichnet waren. Nein, es gab keine Wahl zwischen allen anderen und diesen beiden. Handl war Epiker und hatte neun Spalten nötig gehabt; Polgar war Epigrammatiker und tat es mit vieren. Handl leitete sich auf einem besondern, durch Galiläa führenden Wege vom Schwaben Speidel, Polgar auf einem nicht minder besondern, durch Gallien führenden Wege vom Ungarn Hevesy her. Handl war gelinde und streichelnd; Polgar war spritzig. Handl erkannte freudig an, was vorhanden war; Polgar forderte nicht, was fehlte, aber vermißte es doch. Handl war Schloßabzug von Burgunder; Polgar brannte auf der Zunge wie Hennessy Dreistern. Nur nach dem subjektiven Bedürfnis konnte man sich entschließen, nicht nach der Qualität. Denn hier wie dort war ein Maß von Sachkenntnis, von Geschmackskultur, von Verantwortungsgefühl, von Noblesse der Menschenbehandlung und von bildhafter Sprache erreicht, daß mein Genießergaumen schwelgte, aber mein Redakteursgewissen in spe seine liebe Mühe hatte.“
Handl wird sein Wien-Korrespondent, aber zwei Jahre später wird Polgar ebenso für die „Weltbühne“ schreiben. S.J.: „Bei aller Grundverschiedenheit zwischen Polgar und mir war jedenfalls er mir durch Einzelzüge verwandter als Handl: also trug er einen wünschenswert anderen Ton in mein Blatt.“
Und Tucholsky erinnert sich: „Diesen Polgar hat S. J. wohl am meisten von uns allen geliebt, und das mit Recht.“
Ursula Madrasch-Groschopp:
„… Der neunzehnjährige Siegbert Cohn etabliert den Verlag in der Hollmannstraße 10. Und nun geht es los! Wie S. J. zumute ist, teilt er täglich seinem Freund und Berater Julius Bab mit.
Am 29. Juni 1905: „Lieber, Sie müssen schon entschuldigen, aber ich bin wirklich kein Mensch mehr. Tag und Nacht Konferenzen mit Geldleuten, Buchdruckern, Juristen, Schriftstellern und so weiter. Lieber Dramatorch bei Zickel.“
Am 24. Juli 1905 schickt S. J. in einem Brief aus Arhild in Schweden seinem Freund Julius Bab den ersten Entwurf für das Präludium seines Blattes: „Versuchen Sie doch bitte, aus der umstehenden Seite für die erste Seite meiner ersten Nummer eine Art Präludium zu machen – mit deutlicher Hervorhebung dessen, was wir alles fördern und was bekämpfen wollen.)“
Und so sieht Jacobsohns erster Programmentwurf, von Julius Bab bearbeitet für sein Blatt aus:
„… wer vermöchte die immer mehr um sich greifende Industrialisierung des Theaters hemmen? Da es heutzutage als Geschäft betrieben wird, ist für die Direktoren zunächst der geschäftliche Gesichtspunkt maßgebend. In diesem Betrieb pflegen die besten Geschäfte mit den geringsten geistigen und künstlerischen Anstrengungen verbunden zu sein. Aber das rächt sich grausam, wenn die Erwerbsquelle doch plötzlich wieder einmal ein Kunstinstitut werden soll. Und das wird sie immer von neuem werden, solange das Gefühl nicht ganz erstorben ist, daß der Geist eines Volkes und einer bestimmten Zeit weit deutlicher als in der übrigen Literatur im Drama, auf der Schaubühne zum Ausdruck kommt.
Ob es uns vergönnt sein wird, zu einer Schaubühne zu gelangen, die als kulturelle Anstalt betrachtet werden darf, als Fest und Gericht unseres Lebens, als reife Frucht einer hohen, Samenkorn einer höheren Bildung; ob wir ein solches Theater erhalten werden, das hängt noch von vielerlei ab. Zum großen Dramatiker müßte – die heute schon am ehesten erfüllbare Bedingung – der große Schauspieler treten, zu beiden vermitteln, verständigen, abtönen der große Regisseur und der große, in Kunst und Wirtschaft gleich starke Theaterleiter: alle aber müssten getragen sein von einem Publikum, dessen Instinkt fein genug wäre, um großer Kunst die ökonomische Basis seiner Teilnahme zu geben.
Daß all das wird, das hat zur Voraussetzung nichts weniger als das Werden einer künstlerischen Kultur, die Atmosphäre muss da sein, in der die fruchtverheißenden Keime, wie sie jederzeit durch Menschenseelen verstreut sind, aufgehen können. Es ist nicht das Werk einzelner Taten, auch nicht einzelner Menschen, solche von sämtlichen Kunstmöglichkeiten schwangere Atmosphäre zu bereiten. Aber daran zu arbeiten vermögen wir alle, indem wir, im Vergangenen wie im Gegenwärtigen, unermüdlich ausscheiden, die begehrte Marktware in ihrer Wertlosigkeit gegen lebengehämmertes Kunstgold zeigen und so ein wenig zur Ausbreitung des Gefühls beitragen, auf dem jegliches Kunstempfinden beruht: des Unterscheidungsgefühls“ (24. Juni 1905).
S.J. erinnert sich an die zweite Ausgabe: „Für das zweite Heft ließ das Interesse merklich nach. Nicht besser erging es der dritten Nummer. Schon im Dezember 1905 stellte sich heraus, daß eine nur auf das Theater gerichtete literarische Wochenschrift das Publikum nicht genug interessierte. Das Kapital der GmbH schrumpfte merklich zusammen.“
Die Theaterjahre ab 1905
Ursula Madrasch-Groschopp schreibt über diese Jahre:
„… Die „Schaubühne“ setzt gleich mit einem Paukenschlag ein. Während die älteren Theaterkritiker sich noch der Periode des Naturalismus verpflichtet fühlten, stellt Julius Bab im ersten Heft die These auf: „Der von Holz entdeckte und von Brahm gepflegte Naturalismus ist wohl die bislang absurdeste Verirrung in der großen Geschichte der Ästhetik, die ein Menschenalter nach Hebbels Tod ernsthaft geäußert werden konnte. (…)
Man habe sich wieder auf Lessing, Schiller, Kleist, Hebbel und Shakespeare zu besinnen. Auch Gegenstimmen zu dieser These werden veröffentlicht. So entstehen — oft über viele Hefte, ja über Jahre hinweg – Diskussionen. Unter der streitbaren Regie von S. J. geht das weder besonders höflich noch gar leise vor sich. Droht ein Thema zu versanden, weil die Disputanten ermüden, treibt der Herausgeber es wieder hoch. „Er hatte Lust zu kämpfen“, sagte Tucholsky.“
Der Theaterkritiker der (Vossischen Zeitung Arthur Eloesser beschreibt später die Situation von 1905: „Wir nannten ihn am Anfang gern den „kleinen Jacobsohn“. Wir haben ihm damals Unrecht getan; die Spannung rührte wohl besonders daher, daß er als ein jüngerer Sohn des vehement um sich schlagenden Weltstadtwesens ein schärferes Tempo anschlug, daß er schon mit einem Standpunkt einsetzte, den wir erst allmählich gefasst hatten. Wir, die wir aus der Historie, aus Vergleich und Betrachtung stammten, wurden nach und nach aus wissenschaftlichen zu Leuten des Theaters. Er war es von vornherein, ganz gegenwärtig, ganz fordernd…, Ja, fordernd. Besessen von seiner Idee, glaubte der junge Herausgeber, daß alle Kritiker des Theaters so unaufhörlich Forderungen stellen müssten wie er! Denn: „… es ist meine Überzeugung, daß es mit unserer Politik, dem öffentlichen Leben, dem Verkehr der Menschen und jedem Zweig der Kunst in dem Maße besser wird, wie das Theater, das ich meine, an Boden gewinnt.“
Und nochmal Ursula Madrasch-Groschopp:
„… Um die Mitstreiter für dieses Ziel geht es in einer Artikelserie über namhafte Berliner Theaterkritiker. In Nummer 1 beginnt Joseph Theodor aus Breslau mit einem Porträt Maximilian Hardens. (…) Es folgen Beiträge über Fritz Mauthner vom (Berliner Tageblatt), Arthur Eloesser von der (Vossischen Zeitung) und Julius Hart, dessen Hebbel-Kritiken aus den achtziger Jahren in der (Täglichen Rundschau) immer noch als bemerkenswert empfunden werden.
Dann (trat er zu August Scherls schnell und viel druckendes Reich über) und sei nun (1905) (in den Fluten des ethischen Pathos) versunken (Julius Bab). Für die Wirkung, die solche Beiträge auslösten, ein Beispiel:
Samuel Lublinski rezensiert innerhalb dieser Serie Alfred Kerrs Buch (Neues Drama), das 1905 bei S. Fischer erschienen war. Hier der Schlusssatz Lublinskis: „Ich halte Kerr nicht für einen Kritiker, am allerwenigsten für einen großen. Aber ich glaube, sein Bestes hat er uns noch zu geben. A. K. hat „sein Buch“ noch nicht geschrieben, und wenn es kommt, dann werden es keine gesammelten Theaterkritiken sein.“
Kerr antwortet in der „Täglichen Rundschau“: Lublinski sei ein „Stubenliterat“, ein „Nichtskönner“, kein „Spezialist“, der etwas vom „Wesen der Kritik“ verstehe.
Lublinski darauf in der „Schaubühne“: (Aber gewisse daseinsselige Literaten und schneidig funkelnde Stilisten, die sich aufblühender Lebenswiese tummeln, sehen merkwürdigerweise über die Wände des Seminars von Erich Schmidt nicht hinaus… Die Hamburgische Dramaturgie ist „nur“ Kritik gewesen, aber die Nachahmung eines larmoyanten Britenstücks, die war mehr, nämlich Produktion, nämlich ein „Beispiel“… Alfred Kerr als deutscher Professor.“
Der Krieg mit Kerr wird über Jahre hinweg geführt; jede Möglichkeit für ein Duell genutzt: Im Jahre 1911 ist es ein läppisches Briefchen des Berliner Polizeipräsidenten von Jagow an die Schauspielerin Tilla Durieux, das von Kerr zu einer bombastischen Affäre aufgeblasen wird.
Kerr als Moralprediger. Da ist natürlich auch S. J. zur Stelle: Er läßt dazu schreiben und stellt selbst unter der Überschrift „Pan-Talons“ Pressestimmen gegen Kerrs Kampagne im „Pan“ zusammen. Die Ausdauer auf beiden Seiten ist heute das einzig Bemerkenswerte daran.
Solche Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen, z.B. Jacobsohn’s „Krieg“ gegen Wagner, der ebenfalls 1905 beginnt. Er schreibt: „Zu diesem Zweck begann ich (…) gegen Wagner und für Mozart zu schreiben und schreiben zu lassen. Was schreiben! Zu eifern, zu propagieren, zu predigen. Hitzig, mit planvoller Übertreibung und unablässig… Nun zieren unsre Brauen Siegeskränze, aus furchtbaren Märschen wurden Festmusiken!… Das Repertoire sieht anno 1914 so aus, wie ich‘s mir geträumt habe, und wie sichs gehört.“
Vom ersten Heft an gibt es einen zweispaltigen Teil. Ursula Madrasch-Groschopp schreibt:
„… Geburtsname dieser Rubrik: „Rundschau“, ab 1923 wird sie dann „Bemerkungen“ heißen. In den ersten Jahren gibt es auch hier nur ein Thema: das Theater. Die Placierung der Autoren in der „Rundschau“ bedeutet aber keine mindere Bewertung. Später, Jahrzehnte später, hat es Autoren gegeben, die diesen Teil des Heftes als unter ihrer Würde empfanden. Sie wussten vielleicht nicht, dass hier einmal Polgar und Willi Handl aus Wien; Feuchtwanger und Mühsam aus München; Hermann Sinsheimer aus Frankfurt a. M., Balder Olden aus Hamburg und Herbert Ihering aus Berlin mit informativen Theaterrezensionen hervortraten. Ab 1913 erschien dann Peter Panters „Tagebuch“, Kurzkritiken über Theater, Kabarett, Kintopp und Bücher in der „Rundschau“.
Während des ersten Weltkrieges gibt es keine „Rundschau“ – im März 1919 wird sie wiedereröffnet. Tucholsky erinnert sich: „Es war eine freundliche Zeit… Diese kleine Rundschau erhielt so allerlei: kurze Besprechungen und Stimmungsbilder aus deutschen Städten und deren Theatern; Ernsthaftigkeiten und Scherze. Was hatten wir für Sorgen! Was hatten wir alles zu tun!… Was brachte ich Ihnen alles angeschleppt! Marionetten und kleine Bilder und kleine Bücher und kleine Bilderbücher und Sherlock Holmes und Prince und Linder aus dem Kintopp und die five sisters Brodersen aus dem Wintergarten und die Sunshine-Girls und manchmal auch gar nichts, aber das hundertfünfundzwanzigmal eingewickelt… Mit welcher Wichtigkeit wurde das alles abgehaspelt und dargetan! Welche Fluten von Ironie verschwendeten wir an Bagatellen und hatten unsre Freude daran!… Und wissen Sie noch: Gussy Holl? Der bezahlteste Reporter einer Berliner Modenzeitung kann sich nicht ausgiebiger ausgetobt haben als ich. Sie war aber auch zu entzückend… Und nun? Und heute? Ich glaube, wir dürfen den Zirkus noch einmal aufmachen… Ich würde mich schämen, anderswo so auf dem Kopf zu stehen und herumzuturnen wie bei Ihnen. Ich weiß: die richtigen Leute sehen zu… und verwechseln unser Lachen nicht mit dem eines Hanswursten…“
Ab 1. Januar 1923 heißen die „Rundschauten“ — so nennt S. J. sie in Briefen an Tucholsky — dann (Bemerkungen). Die Namensänderung missfällt Tucholsky, anderthalb Jahren korrespondieren Herausgeber und Autor noch darüber.
Ein alter Zeitungstrick, nämlich echte und erfundene Leserbriefe bieten die Möglichkeit, über alle möglichen Vorfälle zu schreiben. Warum soll man diese im „Blättchen“ auslassen? Bereits im elften Heft des ersten Jahres erscheinen sie als die „Antworten des Herausgebers“ und sind zuerst Bestandteil der „Rundschau“ und ab 1913 bilden sie dann eine eigene Rubrik. Antwort gib immer S.J.
Kaum ein Heft ohne Aphorismen? Wikipedia:
„… Ein Aphorismus ist ein selbstständiger einzelner Gedanke, ein Urteil oder eine Lebensweisheit, welcher aus nur einem Satz oder wenigen Sätzen bestehen kann. Oft formuliert er eine besondere Einsicht rhetorisch kunstreich als allgemeinen Sinnspruch (…)
Erst seit dem frühen 20. Jahrhundert wird der Aphorismus als eigenständige Prosagattung anerkannt und erforscht. Er gilt als widersprüchliche Textform mit folgenden Kerneigenschaften.“
Ein Verfasser von Aphorismen wird als Aphoristiker bezeichnet und Hofmannsthals war wohl einer, von ihm stammt die Idee, für die Dramaturgie des Heftes Aphorismen einzusetzen. „Sie bezogen sich zuerst ausschließlich auf das Theater. Hebbel hatte Vorrang. Bald werden sie thematisch weiter, amüsanter, witziger. Vier Namen zeigen vielleicht die Linie: von Hebbel über Shaw zu Christian Morgenstern und Peter Altenberg“, schreibt, Ursula Madrasch-Groschopp und weiter: „Und Altenbergs sanfte Feuilletons nennt S. J. „Gedichte in Prosa“. Kein Heft ohne Lyrik. Hauptthema: die Liebe. Die Dichter: Paul Zech, Else Lasker-Schüler, Roda Roda, Ferdinand Hardekopf, Rene Schickele, Rainer Maria Rilke — und die dichtenden Schauspieler Rudolf Rittner und Friedrich Kayßler. Und immer wieder Christian Morgenstern. Theobald Tiger und Ignaz Wrobel treten erst am Ende des Jahres 1913 auf – aber da war die „Schaubühne“ schon keine „Wochenschrift für die gesamten Interessen des Theaters“ mehr.“ „Von dem Zeitpunkt an kommandierte S. J. die Poesie“, sagte Tucholsky; vorher hat er sie nur gedruckt.
Und dann wäre da noch die Rubrik „Aus der Praxis“, „sie versorgt die Leser mit Theaternachrichten: Annahme von Stücken, Engagements, Uraufführungen, Jubiläen, Rechtsfragen für Vertragsabschlüsse, Regiepläne mit Szenenskizzen usw.; sogar Abbildungen neuer Bühnentechnik.
Und unter der Überschrift „Zensur“ wird mitgeteilt, welche Hofschranzen, welche Polizeipräsidenten welches Stück verboten haben oder welche Textstelle zu streichen sei. Die Herren im kaiserlichen Deutschland waren sehr empfindlich, so wenigstens Ursula Madrasch-Groschopp.
Die Autorin weiter:
„… S.J. bezeichnete sich selbst als einen „lästigen Störenfried derjenigen Presse, die Exponent und Dienerin eines denkträgen Kapitalismus ist“. Angefangen hat die Fehde mit der Sprache der Zeitungen, die ihn immer wieder reizte. Fatale Formulierungen, Widersprüche oder ganz einfach „Kohl“ sammelte der Herausgeber und servierte es kommentarlos, aus Menschenliebe. „Aus Menschenliebe“, so heißt übrigens eine weitere Rubrik.“
Über dem Impressum der „Schaubühne“ erscheint am 4. November 1908 eine Art „Hochzeitsanzeige“ mit folgendem Wortlaut:
„… Am ersten November hat sich „Der Spiegel“, Münchner Wochenschrift für Literatur, Musik und Bühne, mit der „Schaubühne“ vereinigt. Der Herausgeber des Spiegels, Herr Dr. Lion Feuchtwanger, wird Münchner Redakteur der Schaubühne, deren Namen allein beibehalten wird. Den Abonnenten des „Spiegel“ werden die seit dem ersten Oktober erschienenen Nummern der „Schaubühne“ nachgeliefert.“
„Mehr als einmal hat er das Gefängnis von meinem verbrecherischen Haupte abgewendet und hat für seine aufopfernden Bemühungen einen Sold verlangt, so klein, daß es sich mir bis heute nicht gelohnt hat, ihn zu zahlen. Trotz reichlichen Mahnungen. Ich hätte also, um meiner ökonomischen Gegenwart und meiner kriminellen Zukunft willen, wahrhaftig allen Grund, den Mann zu lieben und zu loben.“ Gemeint ist der Rechtsanwalt Otto Richard Frankfurter, der S.J. und dessen „robusten“ Umgang mit allen möglichen Zeitgenossen immer wieder Gerade biegen musste.
„Ich bin als Angestellter der „Weltbühne“ geboren worden“, behauptet Kurt Tucholsky als an seinem 23. Geburtstag – am 9. Januar 1913 – sein erster Artikel in der „Schaubühne“ erscheint.
Ursula Madrasch-Groschopp dazu:
„… Er hatte sich im Herrnfeld-Theater „krank und wieder gesund gelacht“ und das aufgeschrieben. „Ich platzte vor Stolz: S. J. ließ mich kommen. Und hat mich dann nie mehr losgelassen.“ Im gleichen Jahr begannen auch Ignaz Wrobel, Peter Panter und Theobald Tiger ihre Mitarbeit. (Der Kaspar Hauser wurde erst am 5. Dezember 1918 geboren. Theobald Tiger kündigt ihn an: „Ich muß mir einen neuen Namen geben./ Mein Gott, wer ändert nicht in großer Zeit!/ Man kann ja auch als Kaspar Hauser leben,/ wie er war ich von aller Welt so weit.“
„Eine kleine Wochenschrift mag nicht viermal denselben Mann in einer Nummer haben, und so entstanden zum Spaß diese Humunculi“, schreibt Tucholsky.
Diese Pseudonyme in dieser „Menge“ muss erklärt werden, Ursula Madrasch-Groschopp:
„… Zuerst hatte keiner ein eigenes, voneinander abgegrenztes Arbeitsfeld; sie wurden benutzt, wie man sie brauchte. So sang Ignaz zuerst „Kasperle“-Verse; der Zuname Wrobel wurde später vom Herausgeber eines Rechenbuches entliehen. Und so sollte man ihn sich nach dem Willen des Erfinders vorstellen: als „einen essigsauren, bebrillten, blaurasierten Kerl, in der Nähe eines Buckels und mit roten Haaren.“ Über die Namen der beiden anderen Herren gibt Tucholsky 1928 im Vorwort zum ersten Sammelband seiner journalistischen Arbeiten, „Mit 5 PS“, auch Auskunft: „Sie stammen beide – Theobald Tiger und Peter Panter – von einem juristischen Repetitor, der sie in seinen ausgezeichneten Vorträgen als Prozessgegner, Verbrecher, Zeugen und Erbschaftsgegner hin- und herschob … Und es war auch nützlich, fünfmal vorhanden zu sein, denn wer glaubt in Deutschland einem politischen Schriftsteller Humor? Dem Satiriker Ernst? Dem Verspielten Kenntnis des Strafgesetzbuches, dem Städteschilderer lustige Verse? Humor diskreditiert.“
So langsam und sicher durch Tucholsky angeregt nähert sich die „Schaubühne“ der Politik an, ein Anlass war die „Zabern-Affäre“ vom November 1913.
Ursula Madrasch-Groschopp:
„… In der kleinen elsässischen Stadt Zabern hatten deutsche Offiziere die Bewohner provoziert und waren dafür von ihren Vorgesetzten belobigt worden. Die Bewohner Zaberns protestierten; die preußischen Militärbehörden verhängten den „kleinen Belagerungszustand“. Aufstand der Zivilisten gegen die Privilegien der Militärkaste? Hier ergriff auch die „Schaubühne mutig Partei. Da ist das Thema, das später die „Weltbühne“ auszeichnet: gegen den Militarismus.“
„Kaiser und Kunst“ titelt Ursula Madrasch-Groschopp einen Artikel, der Jacobsohn’s politische Position vor Ausbruch des ersten Weltkrieges formuliert und der dreimal gedruckt wurde. 1913 – 1918 und 1931, Abschnitte daraus:
„… Man sehe im „Weltspiegel“ den Dom von 1888 neben dem Dom von 1913 — und man weiß, was die Kunst diesem Kaiser verdankt. Nichts. Heer und Marine haben sich durch ihn entwickelt; Sport und Verkehrswesen mit ihm, Handel, Technik und Wissenschaft ohne ihn; die Künste gegen ihn … Wer vor die Kunst tritt wie Wilhelm der Zweite, in voller Waffenzier, helmbuschumflattert, sporenklirrend, den Marschallstab in der Faust: der muss die Kunstwerke schätzen, die prunkhaft, schön leichtverständlich, repräsentativ und wundervoll unbekümmert darum sind, daß vaterlandslose Gesellen ihnen Ekelnamen wie Stuck, Gschnas und Kitsch nachrufen werden … Die wilhelminische Epoche hat sich in einer Kunst ausgeprägt, die gar keinen andern als einen durchaus dekorativen, ornamentalen, pathosfreudigen, attrappenhaften Charakter haben konnte. Es ist die Kunst eines Mannes, der seine Widersacher „zerschmettert“, wenn auch nur mit dem Munde; der eine Verfassung „in Scherben zu schlagen“ droht, aber das Recht dazu niemals erwerben wird; der sein Volk „herrlichen Zeiten“ entgegengeführt hat, ohne daß das Volk es je bemerkt hätte.
Denn was sind das für Zeiten! Man bemüht sich ernstlich, eine Persönlichkeit zu verstehen, die Kerkyra, Sardanapel, den Großen König zwanzigmal zu sehen begehrt und erträgt. Man versteht sie sogar. Wer Armeen aus der Erde stampft, Kanäle zieht, Flaggen auf ragenden Masten hisst: der bequemt sich schwer zu dem Zugeständnis, daß in seinem Reich Dinge geschehen dürfen, die nicht letzten Endes den Zwecken eben dieses Reichs und seiner Macht dienen. Der missbilligt und verwirft Geschöpfe, die außer Reih und Glied dahinleben, auf nichts bedacht als darauf, die Vision ihres Geistes in voller Freiheit zu gestalten. Dieser Geist pflegt so zügellos kritisch zu sein, daß ein Gesalbter des Herrn ihm freilich gefügige Geistlosigkeiten und ordnungsliebende Handlanger vorziehen muss, die kühl und ohne Liebe Alleen zu Ehren fast verwirkter Siege mit wesenlosen Puppen überfüllen. Staffage, wo ihr hinfasst. Den Schaden haben wir. Nicht, daß die Kunst, die wir meinen, heute mehr als irgendwann auf eines Medicäers Güte angewiesen ist. Liebermanns, Adolf Hildebrands, Dehmels, Hauptmanns, Sauers, Reinhardts und aller andern „Rinnsteinkünstler“ Blume hat sich auch ohne einen Strahl der Fürstengunst ganz hübsch entfaltet. Aber blickt um euch, wie verheerend die kaiserlich privilegierte Unkunst allenthalben gewirkt hat …
Betriebsamkeit ist die Losung … Die Sprache erneuert sich nicht, weil der Masse von der mächtigsten Autorität statt einer naturwahren Kunst ein Anstreichertum als Muster hingestellt wird… Ein Gaffertum wird für die illustrierten Blätter großgezogen und von ihnen immer mehr verdummt. Glanz geht über innern Gehalt; und selbst der Glanz ist nicht echt. Noch der unsägliche „Festschmuck“ dieser prahlerischen Jubiläumstage ist ein Symptom für den Verfall Berlinischen Schönheitssinns … Man lese, was in einer einzigen Woche selbst liberale Zeitungen an Byzantinismus geleistet haben, und man kennt die Mitschuldigen … die liberalen Zeitungen hätten ein Gegengewicht bilden sollen und sollten es noch. Das Gegengewicht einer klaren, aufrechten Deutschheit zu einer reizvollen trüben Mischung von Neudeutschland und Rom, von einem handfesten, lachenden Berliner und einem ganz unwahrscheinlichen Imperator mit Zepter, Krone, Schwert, Prophetentum und Gottähnlichkeit, der die Kunst eine seiner Waffen zum Schutz und zur Stärkung aller hohen Ideale nennt und sie in Wahrheit nur als Stütze seines Throns und seines Hauses gelten läßt“
Aus 1913, Seite 24/25
Der § 95 des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich lautet: „Wer den Kaiser, seinen Landesherrn oder während seines Aufenthalts in dem Bundesstaate dessen Landesherrn beleidigt, wird mit Gefängnis nicht unter zwei Monaten oder mit Festungshaft von zwei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bekleideten öffentlichen Ämter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden.“
Und süffisant fügt sie hinzu:
„… Ein Prozess wegen Majestätsbeleidigung fand nicht statt. Der „Hof“ las wohl die „Schaubühne“ nicht“ und ich füge hinzu, dort hätte man diesen Artikel auch nicht verstanden.
Der erste Weltkrieg 1914-1918
Den Sommer 1914 verbringt Siegfried Jacobsohn wie gewohnt in Kampen auf Sylt. Nach 44 Jahren Frieden herrscht Krieg in Europa. Er beginnt am 28. Juli 1914 mit der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien, der deutschen Kriegserklärung vom 1. August 1914 an Russland und am 3. August an Frankreich, gefolgt von der britischen Kriegserklärung vom 4. August 1914.
Jacobsohn versuche sich auf den Krieg einzustellen, dessen Ursachen er noch nicht erkennt. Am 31. Juli beginnt er ein Tagebuch zu führen, ein Zeitdokument, meint Ursula Madrasch-Groschopp. Es erscheint ab 27. August 1914 in sechs Fortsetzungen in der „Schaubühne“ und 1916 in der Reihe der „Zeitbücher“ in Konstanz.
Aus seinem Tagebuch:
„… Freitag, am einunddreißigsten Juli. Die Post ist ausgeblieben. Nach den bedrohlichen ersten Nachrichten der letzten Tage kein gutes Zeichen. Wir nahmen, um zehn, ein Segelboot. Im Nordhafen steht noch das Kriegsschiff, das all die Jahre ein Friedensschiff war. Vielleicht sieht und hört man dort allerlei… Weißes Leuchttürmchen mit roter Mütze – ich klettre hinauf… (Ulkiger Selbstbetrug:) Kein Feind in Sicht. Die Sonne hinter dünnen Wolken wärmt, aber blendet nicht. Schön ist der Frieden! …Krieg? Dummes Zeug.
Sonnabend, am ersten August
Oder doch nicht? Der Bäcker hat nicht mehr gebacken, weil er gestern Abend geheimnisvoll irgendwohin geholt worden ist. Freunde haben bei Nacht gepackt und wollen auf und davon. Ich bringe sie eine Stunde weit in die abscheuliche Badestadt (Westerland), wo die Schieber vormittags zu pokern beginnen. Heute nicht…
Da sind die Gazetten der letzten Tage. Entschieden ist also vorläufig nichts. Aber schon fühlt sich der faulste Kopp: Kaiser und Reich, Blut und Tod, Fels und Meer, Etsch und Belt, Gott und Vaterland, bum, bum! Darin ist uns kein Volk über… Wir mobilisieren, wenn es soweit ist, nicht nur die Männer, sondern auch die höhern Gefühle und schlagen jedem den Hut ein, der sie nicht in vorschriftsmäßiger Fülle aufweist…
Es dämmert. Mir fällt auf, daß an einer harmlosen Scheunenwand ein Zettel klebt: „Mobilmachung ist befohlen. Erster Mobilmachungstag: der zweite August. Der Gemeindevorsteher.“ Man kann nicht knapper, nicht eindeutiger, nicht preußischer sein…
Sonntag, am zweiten August
…Ob heute die abscheuliche Badestadt Haltung hat? Heut erst recht nicht. Man bebt um sein bisschen Gepäck… Da packt mich wer am Arm. Ein Bühnenleiter meiner Vaterstadt. Recht aufgeregt. Was aus ihm werden solle? Ich rate zur Geduld. Er hätte sowieso erst in vier Wochen angefangen. Bis dahin seien Siege zu erwarten, die das Berliner Publikum ermutigen würden, wieder ein paar Groschen auszugeben… „Und Ihr Theaterblatt?“ Mein Blatt war kaum noch ein „Theaterblatt“ … Die Zeitungsverkäufer schreien sich heiser. Ist’s wahr, ist’s keine Ohrentäuschung? Jaures ist ermordet… Ich will das Marschgedröhn der blitzblank eingekleideten Verteidiger ihres, meines Vaterlandes nicht mehr hören… und rette mich in unser schönes stilles Dorf…
Montag, am dritten August
Das Dorf ist fast leer. Ich werde schon jetzt schriftlich und mündlich getadelt, daß ich die Ruhe aufbringe, im friedlichen Abseits zu sitzen, während die Welt, in der wir bisher gelebt und gearbeitet haben, abbrennt. Das ist nicht mehr als eine Phrase. Ich bin (dauernd untauglich für alle Waffengattungen); aber ich bin nicht untauglich, vom ersten Augenblick an die Fluten dämmen zu helfen, die unsere künstlerischen Bestrebungen wegschwemmen wollen. Das kann ich vorläufig hier so gut wie in Charlottenburg; ja besser… Der Tag fordert, daß ich die neuen Themen telegraphisch an meine Mitarbeiter verteile, ihnen brieflich erläutere, was meines Erachtens der weltgeschichtliche Tag fordert…
Dienstag, am vierten August
Man schreibt mir (aus Berlin), daß dort eine Begeisterung herrsche, die nicht erlebt und nicht geteilt zu haben ein Verlust für meine Seele bleiben werde. Nun, meine Seele ist im Zweifel, ob sie grade jetzt einen Aufschwung nehmen würde… Sie neigt dazu, eine Veredelung der Menschen erstrebenswerter zu finden als ihre schreckensvolle Verminderung… Aber sind denn die in der Hauptstadt wirklich begeistert? Ich denke an Fontane… „Jubel aus Angst.“ Sollte das nicht auch die Formel für den Rausch der Berliner sein… Ich habe in einem Brief geschwärmt, daß ich noch nie so dankbar empfunden hätte, ein eigenes Blatt zu haben wie gerade jetzt, wo dies und das nicht länger verschwiegen werden dürfe. Und erhalte zur Antwort die Frage, ob ich endlich verrückt geworden sei. Nichts davon kann heute gedruckt werden… Man wünscht eine feldgraue Uniform auch der öffentlichen Meinungsmacher. Deutsche Tageszeitung und Berliner Tageblatt sind tatsächlich nicht mehr auseinanderzuhalten. Aber müssen selbst die Wochenschriften? Es wäre hart. Holde, freundliche Gewohnheit, das Dasein von mehreren Seiten zu betrachten, eine zerlegende Hirnkraft zu betätigen, für die Nuance das rechte Wort an die rechte Stelle zu setzen — von dir soll ich lassen? Freiwillig gern; wenn‘s mir aus politischen oder kunstpolitischen Gründen nützlich erscheint. Gezwungen: in tormentis. Weswegen solch Zwang? Es ist ja nicht zu erwarten, daß ich die kindische Absicht haben werde, zum Widerstand gegen die Staatsgewalt aufzureizen oder durch Spott einer überlebensgroßen Sache Abbruch zu tun — denn wem tat‘ ich mehr Abbruch als mir! Ein Staat jedenfalls, der diese Mobilmachung leistet, der sich furchtlos nach zwei Fronten wehrt, der es mit der Hölle selbst aufnähme: der hat wahrhaftig nicht nötig, die unschuldige Preßfreiheit eines kleinen Literaten einzuschränken. Ich werde mir in den nächsten Tagen vom Herzen herunterreden, was es bedrückt, und ich bin überzeugt, daß nichts gestrichen wird…“
Es wird, bereits im ersten Teil seines Kriegstagebuchs vom 27. August 1914 schlägt die Zensur zu, er muss 23 Zeilen streichen, im gesamten Heft sind es 84. In den folgenden Heften werden nicht nur Zeilen beschlagnahmt, auch ganze Hefte fallen der Zensur zum Opfer, z.B. noch 1914 die Nummer 50. Im folgenden Heft teilt S.J. seinen Lesern mit: „Käufer. Warum Sie die vorige Nummer nirgends bekommen haben? Weil sie beschlagnahmt worden ist.“
Der Grund? Angeblich die Arnold Zweig Novelle „Die Bestie“, die 1933, wen wundert‘s, von den Nazis verboten wurde und „auf dem Scheiterhaufen des Verbrechens“ landete. Übrigens, meine Mutter half beim „abfackeln“ von Weltliteratur im Kreis Birkenfeld im Hunsrück tatkräftig mit.
Krieg und Spionage! Schon 1914 gerät S.J. in den Verdacht, russischer Spion zu sein. Auf der Rückfahrt von Sylt nach Berlin wird er in Husum verhaftet und die Szene ist auch ein Thema seines Kriegstagebuches, sie liest sich so:
„… Rechts ein Bajonett, links ein Bajonett. „Halt! Wer sind Sie? Was sind Sie? Woher kommen Sie? Wohin wollen Sie? Haben Sie einen Ausweis?“ „Ja, eine Visitenkarte!“ „Das ist kein Ausweis.“ „Sonst habe ich nichts.“ „Dann müssen wir Sie verhaften.“ „Weshalb?“ „Uns ist befohlen… russische Spione…“ „Halten Sie jeden Deutschen, der an der See ein bißchen verbrannt ist, für einen russischen Spion?“ „Man weiß ja nicht… in den Zeiten…“ „Aber glauben Sie, daß russische Spione so berlinisch reden wie ick, Ihr Jefangna?“ „Gott, Schufte gibt es überall, und schließlich kann sich Russland auch Berliner kaufen.“
In einem Gasthof in Husum wird der Herausgeber der „Schaubühne“ verhört und wieder freigelassen. „Krieg: das hat man im Frieden so hingesagt. Wahrscheinlich hat Keiner eine deutliche Vorstellung damit verbunden. Die ist erst allmählich zu gewinnen. Wie man mich jetzt für einen lästigen Ausländer nimmt und herumstößt, das ist gewiss ein Kinderspiel gegen die Leiden Unzähliger und auch an sich ein Nichts; aber es trägt durchaus nicht dazu bei, meine Kriegsbegeisterung zu erhöhen.“
Der Krieg bringt Veränderungen und als ihm ein Leser vorschlägt, nun auch den Namen zu ändern, lehnt S.J. zunächst ab. Aber man soll niemals nie sagen, am 4. April 1918 wird die Schaubühne, die sich seit 1913 für wirtschaftliche und politische Themen geöffnet hatte, in „Die Weltbühne“ umbenannt.
Zur Namensänderung ein Gedicht von Theobald Tiger:
Auf die Weltbühne
Mein gutes Blatt! Wie hast du dich verändert! Den Musentempel schließt du beinah zu; Mit Politik, Kunst, Wirtschaft dich bebändert, So geht dein Vorhang auf: auch du, mein Kind, auch du? Du willst dich gleichfalls in den Strudel stürzen? Randstaaten, Westfront? die Veränderungswahl? Nur eines kann mir meinen Kummer würzen: Es war einmal…
Es war einmal … da glaubten wir noch beide an Kunst und an Kultur, an Menschentum – an deine ziegelrote Wand schrieb ich mit Kreide die Namen meiner Lieben an zum Ruhm. Wir dachten: essen und organisieren sind Selbstverständlichkeiten, tief im Tal -und auf den Bergen gehen wir spazieren… Es war einmal…
Du lieber Gott, wie hat sich das gewandelt! Wir schuften, bis dem Land die Schwarte knackt. Und kein Professor, der nicht gerne handelt mit weichem Klitschebrot, das er sich backt. Es war einmal … Glück auf zur neuen Reise! Eng wars einmal … heut bist du bunt und weit. Doch kehr noch manchmal dich zurück im Kreise zur alten Zeit.
Neu ist nicht nur der Titel, sondern auch die Aufmachung. Am Anfang jedes Heftes steht ein politischer Leitartikel und bemerkenswert ist an diesem die Anonymität und Farblosigkeit. Ändern wird sich das erst, als Carl von Ossietzky diesen Part übernimmt.
Im Herbst 1915 aber übernimmt diesen „politischen Kommentar der Woche“ zunächst ein neuer „Mitarbeiter“: Cunctaton. Neu ist nur das Pseudonym, denn Robert Breuer gehörte schon zu „Theaterzeiten“ zu den Mitarbeitern der „Schaubühne“.
Ursula Madrasch-Groschopp schreibt über diesen und das vorläufige Verbot des „Blättchens“:
„Cunctator klagt die kapitalistische Wirtschaftsordnung als die (Urheberin, Nutznießerin, Verlängerin des Krieges an. Formulierungen wie (patriotisch geschminkter Optimismus) und „es war eine nationale Tat, daß in den Landtagen von Sachsen und Bayern auf die Zensur mit Keulen geschlagen wurde“, werden als „geschriebenes Dynamit“ bezeichnet. Der Zensor muss gerade auf Urlaub sein; denn sonst… Der Anarchist Gustav Landauer, dem das Gefängnis vertraut ist, fragt J. S., wann er erwarte, „in Schutzhaft genommen zu werden“. Der letzte Satz des siebenten Artikels von Cunctator: „Nur die Internationale des Proletariats kann die Krise des national verbrämten Kapitalismus überwinden“ (1915/51). Das reichte der Zensurstelle beim Oberkommando in den Marken: Als Weihnachtsgeschenk für S. J. lag das Verbot des Blattes unter seinem Baum. Ohne Vorwarnung, ohne Vernehmung wie in den vorangegangenen Monaten. Bedingung für die Aufhebung des Verbots: Einwilligung in die Vorzensur. S. J. hat nicht einen Moment gezögert, „denn in diesem Hexenkessel von Irrsinn, Hinterhältigkeit, Lüge und Infamie ist die winzigste Wirkung besser als gar keine“. Aber Vorzensur bedeutete eine erhebliche Verschärfung der Zensur: „Der allzu liberale Vorzensor wird an die Front versetzt und streicht deshalb lieber zehn Sätze zu viel als eine Silbe zu wenig.“ Nach der Weihnachtsüberraschung taktiert S. J. Er sieht eine Möglichkeit darin, mit einem teutonisch klingenden Namen den Vorzensor zu täuschen: aus „Cunctator“ wird „Germanicus“.
Wie viele Beiträge während des Krieges der Zensur zum Opfer fielen, ist nirgends fest gehalten, aber mehr als ein Drittel waren es sicher und alle Autoren der „Weltbühne“ waren mehr oder weniger dabei, ob sie nun Tucholsky oder Polgar hießen.
Von letzterem erscheint 1919 der Sammelband „Die kleine Zeit“, den er während des Krieges auch für die „Schaubühne“ geschrieben hat. Peter Panter alias Kurt Tucholsky dazu:
„… Erwägt man, daß Polgars Kritik nicht am bedeutendsten, aber am amüsantesten funktioniert, wenn sie so einen rechten halbechten Schmalzfetzen österreichischer Prägung vor sich hat, ein Stück, aus allen Küchen der Literatur zusammengekocht, mit tausend Rezepten, abgeguckt und nachgemacht… und dabei doch mit der Prätention ganz großer Kunst: dann wird man verstehen, wie ihm diese schlechte Rühroperette gelegen kommen musste: Die große Zeit, Spektakeldrama in fünf Jahren… Alfred Polgar hat‘s ihr ordentlich gegeben. Wie er im Vorwort sagt: nur maskiert, nur mit der Sordine auf der Geige, nur gehemmt. Aber das macht wohl den Hauptreiz des Büchleins aus: daß Dinge gesagt sind, ohne gesagt zu sein… Und in den Scherzen ist so eine Art fatalistische Müdigkeit; es ist kein starker Grimm, kein Berserker fegt die Stuben rein – es hält sich nur jemand die Nase zu, in tiefer – und leider nicht falscher Erkenntnis, daß es ja alles doch keinen Sinn habe… dieser eine hat das schier Unmögliche fertigbekommen: er hat sich die große Zeit vertrieben.“
Ursula Madrasch-Groschopp:
„… Ein Kuriosum ist im Jahre 1916 am Schluss jedes Heftes eine neue Rubrik: „Sport“. Hier gibt ein Kenner der Materie Informationen über Pferderennen in Hoppegarten und Grunewald: Voranzeigen — ähnlich wie sie in Buchmacherläden aushängen. Das liest sich so: „Die Ausschreibungen für Hoppegarten werden jetzt vom Unionklub bekanntgegeben. Für die noch ausstehenden neun Tage sind 475 160 Mark ausgeworfen worden, es ist also gegenüber den 345 660 Mark für die ersten acht Hoppegartener Tage eine wesentliche Preisaufbesserung zu verzeichnen… usw.“ Ob S. J. hier wegen der großen Inserate der Rennvereine eine kleine Konzession gemacht hat? Oder hat er gewettet, um die nach wie vor miserable finanzielle Lage des Blattes aufzubessern, obwohl er doch im Februar 1915 einen Teilhaber gefunden hatte? Wer weiß! Die Inserate der Rennvereine waren zahlreich und schön.“
jetzt muss man wirklich Politik machen! – Nachkriegsjahre 1919-1926
„… Meine Lieben: jetzt muss man wirklich Politik machen! Jetzt hat der Geist zu verhüten, daß seine Todfeinde wieder ans Ruder kommen. Schon rühren sie sich ringsum und verkünden, es sei früher schließlich gar nicht so schlimm gewesen, und man solle natürlich revoltieren, aber nicht gerade bei ihnen. Was an meinem Teil liegt, so will ich, bei der grauenhaften Vergesslichkeit des Genus homo, unablässig auf die Verbrecher weisen, die uns in diesen Jammer gebracht haben, seien sie Offiziere oder Großfabrikanten, Diplomaten oder Beamte, Zeitungsschreiber oder Agrarier, Lakaien oder Blaublütler. Mit ihnen ist der laublütige Bourgeois schuldig, der sich wedelnd alles gefallen ließ. Wie ihm heut davor bangt, daß sich etwas ändert!… Wie er feige und hinterhältig ist! Wie er gehauen zu werden verdient, daß die Wolle aus seiner Schlafmütze fliegt“, schreibt S.J. und ist das der Abschied vom Theater?
Die Frage stellt er sich selber im Januar 1919:
„…Vielleicht frisst, wie einstmal in Reinhardt der Regisseur den Darsteller, so in mir der besessene Redakteur den leidenschaftlichen Schriftsteller auf. Vielleicht soll man nicht länger als zwanzig Jahre Kritiker sein…“,
Dazu Ursula Madrasch-Groschopp:
„… und vertagt die Entscheidung bis zum Herbst… Als die Theatersaison beginnt, ist er wieder zur Stelle und gibt bis 1921 seine gesammelten Kritiken als „Jahr der Bühne“ heraus. Es war der zehnte Band. Wer räumt schon leichten Herzens das Gebiet, auf dem er die Meisterschaft besitzt!
- J. hatte immer ein Gespür für die Forderung des Tages. Nicht in den Leitartikeln findet man das Prägende zu dieser Zeit: das steht weiter hinten, bei Tucholsky, Alfons Goldschmidt, Arnold Zweig, Rudolf Leonhard, bei den neuen Autoren: Hellmut von Gerlach, Rudolf Olden, Lothar Persius, Adolf Behne, Joachim Ringelnatz, Erich Weinert, Ernst Toller und bei den „jungen Leuten“.
In der Rubrik „ Antworten“ vom 3. April 1919 schreibt S.J. – „Ludendorff sitzt im Adlon und liest Korrekturen – Rosa Luxemburg liegt auf dem Grunde des Landwehrkanals. In keinem andern Land der bewohnten Erde ist diese Rollenverteilung möglich. Jetzt muss man wirklich Politik machen.“
Heißt dieser Satz, die „Weltbühne“ wird zum Blatt der „Neinsager“? Oder wie Tucholsky im Artikel „Wir Negativen“ im März 1919 schreibt: „Es wird uns Mitarbeitern der Weltbühne der Vorwurf gemacht, wir sagten zu allem „Nein“ und seien nicht positiv genug.“ Also negativ und zu was sagt z.B. er nein? „Zu einem Deutschland voll unerhörter Korruption, voll Schiebern, voll dreimalhunderttausend Teufeln, von denen jeder das Recht in Anspruch nimmt, für seine schwarze Person von der Revolution unangetastet zu bleiben. Wir meinen aber ihn, grade ihn und nur ihn.“
Und positiv: „Wir wollen kämpfen mit Haß aus Liebe. Mit Haß gegen jeden Burschen, der sich erkühnt hat, das Blut seiner Landsleute zu trinken, wie man Wein trinkt… Mit Haß gegen einen Klüngel, dem übermäßig erraffter Besitz und das Elend der Heimarbeiter gottgewollt erscheint, der von erkauften Professoren beweisen läßt, daß dem so sein muß, und der auf gebeugten Rücken vegetierender Menschen freundliche Idylle feiert. Wir kämpfen allerdings mit Haß. Aber wir kämpfen aus Liebe für die Unterdrückten, die nicht notwendigerweise Proletarier sein müssen, und wir lieben in den Menschen den Gedanken an die Menschheit.“
Ursula Madrasch-Groschopp:
„… Dieser Artikel Tucholskys, der den Vorwurf des Negativen zurückweist, nennt zugleich Grundthemen des Blattes in jenen Jahren. Sie werden von vielen Autoren auf ihre Weise aufgegriffen. Arnold Zweig zum Beispiel untersucht die neue antisemitische Welle, die vom Mittelstand getragen werde. Hans Natonek nennt in seinem Nachruf auf Kurt Eisner als eine der Triebkräfte für dessen Ermordung: den Antisemitismus; „indem man ihn Kosmanowski hieß. Die Legende von Salomon K. gehört in den Bereich jenes elenden Antisemitismus, der auf dem Seuchenherd einer gewissen Presse herrlich gedeiht… Einem ihrer Gesinnungsgenossen, dem zweifellos rassereinen Grafen Arco-Valley ist Kurt Eisner zum Opfer gefallen.“
S.J. war kein „Neinsager“ Arnold Zweig beschreibt ihn 1927 so: …“ Seine Lust am Ja-Sagen war gestützt und bedient durch instinkthaftes Wissen um das Notwendige, das Wertvolle, das Rechte… Seine Pflicht war die Forderung des Tages, seine Gabe das Wort, sie auszusprechen, die unablässige Verfolgung des Gewoilten, die grenzenlose Hingabe an diese Aufgabe: zu reinigen, zu sichten, das Wertvolle zu beschützen, das Niederträchtig-Mächtige zu bekriegen.“
Ursula Madrasch-Groschopp meint: „Das Niederträchtig-Mächtige bekriegen: Auf diesen Nenner kann man die politischen Themen der Nachkriegsjahre bringen.
Wo liegt die Ursache für diese „kaiserliche“ Republik? Woher kommt der Untertanengeist? Warum wurde 1918/19 die Chance verpasst? In der „Weltbühne“ wurden viele Antworten gefunden.“
Und weiter:
„… Das „alte Heer“ wird von „einem Stabsoffizier“ als eine der Ursachen genannt. Seine Kritik ist maßvoll. Der Mann war dreißig Jahre Offizier, im Kriege Regimentskommandeur. Das Pseudonym ist noch nicht gelüftet worden. Er war einer von den Offizieren, die bislang keine Zeile veröffentlicht hatten und die sich jetzt vertrauensvoll an S. J. wandten. Dieser „Stabsoffizier“ war ein Offizier alten Stils, aber „einer, der die neue Zeit versteht“, heißt es in einer Rezension der „Welt am Montag“, als seine Artikel, zusammengefasst, in der kleinen Weltbühnen-Buch-Reihe erschienen. „Kein verbitterter Pamphletist, sondern ein Kenner, der mit ganzer Seele nach Objektivität strebt… Er ist alles eher als ein Revolutionär. Umso schwerer wiegt seine Kritik an dem Militarismus, der uns ins Verderben gestoßen hat.“
Ein anderes „Kaliber“ ist der Autor der Artikelreihe „Der Seekrieg“, Kapitän zur See a.D. Lothar Persius, ein kritischer Publizist, der ab Sommer 1919 in der „Weltbühne“ schreibt.
Als junger Offizier beginnt er um die Jahrhundertwende zu schreiben, Belletristik über Segelsport und kritisches über die Kolonisationsmethode in Kiautschou, ein 1898 vom Kaiserreich China an das Deutsche Kaiserreich verpachtetes Gebiet im Süden der Shandong-Halbinsel an der chinesischen Ostküste. Die Konsequenz – Versetzung von Ostasien in eine Landstellung nach Kiel. Er schreibt weiter, das Ende seiner Marinelaufbahn ist besiegelt. Ab 1908 lebt er in Berlin.
Ein Satz aus dem Schluss seiner „Seekriegs-Artikel“ lautet: „Daß der Anstoß zur Revolution von der Marine ausging, hatte neben anderen Ursachen seinen Grund in dem Verhalten der See-Offiziere, einem Verhalten, dessen Vorbedingungen im preußisch-militaristischen System lag.“
Wie er beschreibt auch Tucholsky seine militärischen Erfahrungen In sechs Beiträgen: „Weil wir aus der Lüge herauswollen, daß man auf „unser Militär“ stolz sein kann. „Er belegt mit Beispielen die allgemeine Verrottung: Das geht von kleinen Lebensmittelschiebungen bis zu großen Requisitionen, bedenkenlos wird zum eigenen Vorteil gestohlen. Er enthüllt die Lügen des Kriegspresseamtes, des „Ladens in der Luisenstraße“ schreibt Ursula Madrasch-Groschopp. Es ist zu erahnen, Widerspruch kommt aus der Reichswehr und von ehemaligen Offizieren, die „Weitbühne“ druckt sie alle ab.
Am ersten August ab dem Jahre 1920 bis 1924 rief ein kleines Komitee zu Kundgebungen auf – das Motto: „Nie wieder Krieg“. Zu den Initiatoren gehörte Kurt Tucholsky, Siegfried Jacobsohn aber nicht. Doch er mobilisierte seine Leserschaft für diese „Aktionen“. Unabhängigkeit des „Blättchens“ war alles.
Für die Kundgebung 1922 hat Tucholsky den Prolog geschrieben:
„… Drei Minuten Gehör!“ „Außerdem ließ er den Text durch die „Republikanische Presse“, einen Artikeldienst für republikanische Tageszeitungen Berlins, verbreiten und nahm ihn 1928 in sein Buch „Mit 5 PS“ auf. Das Gedicht wird oft zitiert und rezitiert und fehlt in keiner Tucholsky-Ausgabe“, schreibt Ursula Madrasch-Groschopp.
Schüttelt es ab, das Knechtschaftsband!
Wenn ihr nur wollt, seid ihr alle frei!
Euer Wille geschehe! Seid nicht mehr dabei!
Wenn ihr nur wollt: bei euch steht der Sieg!
Nie wieder Krieg!
Ab 1919 bemühte sich S.J. um die Mitarbeit von Friedrich W. Foerster, einem deutschen Philosophen, Pädagogen und Pazifisten. „Foerster ist außerordentlich. Von dem müsste man was kriegen. Was soll man schreiben? Und wie ist seine Adresse?“ fragt er Tucholsky. Und so erscheint 1920 in der „Weltbühne“ ein erster Artikel von Foerster. Zwei weitere 1926 erregen Aufsehen, ihre Titel: „Antwort an Quidde“ und „Deutschlands Entwaffnung?“, in denen der Autor die illegale Wiederaufrüstung nachwies – mal wieder erfolgte gegen den Verfasser und den Herausgeber Strafantrag wegen Landesverrat.
Der Historiker und Pazifist Ludwig Quidde (1858—1941) ist durchaus eines Blickes wert. Träger des Friedensnobelpreises von 1927 für sein Streben nach Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland – 1894 Eintritt in die von Bertha von Suttner mitbegründete „Deutsche Friedensgesellschaft“ – 1901 deutscher Vertreter im „internationalen Friedensbureau“ in Bern – 1907 der erste von ihm organisierte Weltfriedenskongress – 1914 Wahl zum Präsidenten der Deutschen Friedensgesellschaft.
Bei solchen Mitarbeitern kein Wunder, für den General von Seeckt, den damaligen Chef der Reichswehr, war die „Weltbühne“ ein wahres „Pazifistennest“, das verdiente, ausgehoben zu werden.
Walter Mehring, Mitbegründer der Berliner Dada-Sektion, schrieb 1920 in Berlin seinen ersten Gedichtband – „Das politische Cabaret“. Er gehörte neben Kurt Tucholsky zu den Gründern des politisch-literarischen Kabaretts in Berlin und arbeitete für Max Reinhardts „Schall und Rauch“, für Rosa Valettis „Café Größenwahn“ und für Trude Hesterbergs „Wilde Bühne“. Also wollte Tucholsky ihn für die „Weltbühne“ gewinnen. Und S. J. reagierte sofort: Mehring ist nicht übel. Seine Adresse?“
Am 22. Juli erscheint dann der erste „Mehring“ in der „Weltbühne“: „Berlin simultan“, weitere folgen: Gedichte, Songs, Couplets.
Walther Victor, zuvor Redakteur beim „Hamburger Echo“ beginnt 1921 mit seiner Glosse: „Halbstarke“ seine „Karriere“ in der „Weltbühne“. „Halbstarke sind bei uns in Hamburg mehr oder weniger verdächtige Gesellen, die laut spreizend vor den Köhmbuden (Getränkebuden) stehen und den dicken Wilhelm markieren – von Alkohol aufgetriebene Schwächlinge, die die Straßen unsicher machen.“
Ursula Madrasch-Groschopp:
„… Und nun beschreibt Victor einen Vorfall in und vor der Universität. Während der Rektoratsübergabe in der Universität Hamburg stehen die „Buntmützen“, die Chargierten, Spalier; der Festakt dauert, einer nach dem andern knickt zusammen. Kaum sind sie draußen, kappen die nun Wiedererstarkten die schwarzrotgoldene Fahne, beschimpfen das Symbol der Republik als Judenfahne. Zehn Minuten später vor dem Kadi der Universität leisten sie jämmerlich Abbitte. „Ist es nun ein Heldengeschlecht? Oder ist es nur die akademische Abart der Halbstarken?“ fragt Walther Victor.“
Ab 1924 kommt Alfons Steiniger zum „Blättchen“. Er erinnert sich: „Als ich vor rund fünfzig Jahren, hoch in den Neunzehn, der „Weltbühne“ Siegfried Jacobsohns das Manuskript eines politischen Artikels einsandte, hielt ich dessen Erscheinen für durchaus möglich.“
Es wird möglich, die Antwort von S.J., „die „leider nur stilkritische und keine politischen Einwände einschloss“, sorgte für das Erscheinen des Artikels „Parteien-Abbau!“
Bruno Frei, Pseudonym für Benedikt Freistadt, geboren am 11. Juni 1897 in Preßburg (Bratislava, Slowakei); gestorben am 21. Mai 1988 in Klosterneuburg – jüdischer Journalist, Schriftsteller und Mitglied der kommunistische Partei Österreichs – studierte 1916-1920 Philosophie an der Universität Wien (Dr. phil. 1920), schrieb ab 1917 für den „Abend“ und näherte sich der sozialdemokratischen Linken an.
War 1925-1929 Redakteur des Wiener „Abend“, ab 1929 Mitarbeiter der „Weltbühne“ und 1929-1933 Chefredakteur der Tageszeitung „Berlin am Morgen“. 1933 emigrierte er nach Prag, 1936 nach Paris. 1933-1935 war er Redakteur, 1935/1936 Chefredakteur der antifaschistischen Wochenschrift „Der Gegen-Angriff“, ab 1934 Mitglied der KPD und auch er gerät in die „Fänge“ von S.J.!
Frei erinnert sich: „An einem von Bücherhügeln und Papierstößen erdrückten Schreibtisch saß in einer gelblich-braunen Lederjacke ein untersetzter Mann, zu dem ein unverhältnismäßig großer Kopf gehörte. Mir machte der Mann in der Bücherhöhle einen gnomhaften Eindruck. Höflich, wie mir schien sogar leicht belustigt, hörte der Gnom meine stotternde Selbsteinführung an. „Lassen Sie das Manuskript da“, sagte der Herausgeber der „Weltbühne“, Siegfried Jacobsohn, „die Sache erscheint mir interessant; denen ist alles zuzutrauen.“ Mein erster Beitrag in der „Weltbühne“ – 1924 -war die Enthüllung eines „Geheimdokuments“; etwas anderes konnte man von einem Korrespondenten, der zudem einen Pressedienst verantwortete, nicht erwarten.
Die „Deutsche Judenordnung“ war in der Tat ein aufsehenerregendes Schriftstück; heute weiß ich nicht mehr, wer es mir in die Hände gespielt hatte. Das achtseitige Heft enthielt in Form eines Gesetzentwurfs Ausnahmebestimmungen über Juden, wie sie die Deutschvölkische Freiheitspartei dem neuen Reichstag angeblich vorzulegen beabsichtigte. Mit dem Artikel über die völkische Judenordnung begann meine Mitarbeit an der Weltbühne.“
Frei irrt, Ursula Madrasch-Groschopp schreibt über die Zusammenarbeit mit der „Weltbühne“:
„… Sie begann aber schon ein Jahr zuvor: 1923 erschienen zwei Glossen und ein polemischer Artikel; politisch fundiert, präzise formuliert. Der sechsundzwanzigjährige Bruno Frei hatte damals, im Jahre 1923 bereits seinen eigenen, unverwechselbaren Stil: Sätze ohne buntschillerndes Wasser.“
Eine ganze Reihe von Autoren „schleppte“ Tucholsky zur „Weltbühne“, einer davon
Axel Eggebrecht. S.J. nach einem Gespräch mit ihm: „ Tucholsky findet, daß Sie schreiben können. Das genügt mir. Schildern Sie Moskau so, wie Sie es erlebt haben. Nicht zu lang, vier, fünf Seiten Manuskript, möglichst Schreibmaschine. Ich denke, wir werden das bringen.“
Dazu muss gesagt werden, Eggebrecht hielt sich 1923/1924 zweimal in Moskau auf, kehrte aber, vom Bolschewismus enttäuscht, nach Berlin zurück und veröffentlichte seinen ersten Artikel in der „Weltbühne“: „Die russische Wirklichkeit“.
An der Universität Leipzig studiert Erich Kästner ab 1919 Geschichte, Philosophie, Germanistik und Theaterwissenschaft. 1925 zum Dr. phil. promoviert, arbeitet er als Journalist und Theaterkritiker für das Feuilleton der Neuen Leipziger Zeitung und geht 1926 zur “Weltbühne“. „Er war einfach da: zuerst mit kleinen Prosatexten, dann erst kamen seine Gedichte, die zur „Weltbühne“ gehören wie die von Walter Mehring und Joachim Ringelnatz, schreibt Ursula Madrasch-Groschopp.
Wer hat ihn nicht gelesen? Also braucht es keines Portraits, vielleicht aber den Hinweis, dass er während der Weltbühnenzeit gesellschaftskritische und antimilitaristische Gedichte, Glossen und Essays schrieb.
Noch ein berühmter Name: Klaus Mann. Sein Onkel Klaus Pringsheim – langjähriger Mitarbeiter der „Weltbühne – hatte ein paar Manuskripte von ihm eingereicht, jedoch ohne den Namen des Autors zu nennen. S. J. sollte unbeeinflusst entscheiden, der hatte entschieden und Klaus Mann gehörte zu den Weltbühne-Autoren.
Den „Wirtschaftsteil“ bestritten Kritiker, „deren Beiträge zumeist unter Pseudonym erschienen, nicht aus Feigheit: Hauptberuflich waren sie Leiter der Wirtschafts- und Handelsteile großer Berliner Tageszeitungen“, schreibt Ursula Madrasch-Groschopp. Namen: Goldschmidt, Morus, das war Dr. med. und Dr. phil. Richard Lewinsohn, Faßland, das war Dr. jur. Felix Pinner und später Bernhard Citron.
Alle paar Seiten in der Chronik der „Weltbühne“ könnte ich die finanzielle Situation einfügen. S.J. begegnet dem Problem mit steigender oder sinkender Seitenzahl. Der Höhepunkt wurde im November 1923 erreicht, das Heft kostete vier Milliarden Mark. Ein Ausrutscher, bereits ein Jahr später fällt der Preis auf 50 Pfennig und die Auflage steigt von viertausend auf zehntausend, Ein witziger Sonderdruck lädt zur Feier der „Zehntausend“ ins Central-Hotel ein. Aus den Schulden kommt die „Weltbühne“ aber nicht heraus.
„Reichtümer waren mit und in der „Weltbühne“ nicht zu erwerben; da gab es wohl doch noch etwas anderes, was so viele bewog, dem Blatt über Jahrzehnte die Treue zu halten“, titulierte Hellmut von Gerlach.
Im Januar 1925 beginnt die „Ära Hünicke“ un dauerte bis 1933. Tucholsky sagte, „sie war die „Korsettstange des Unternehmens“ Er habe den Hut gezogen vor so viel Tatkraft, Umsicht, Treue und Fürsorge für das Blatt und alle Mitarbeiter.
Das Fräulein Hünicke krempelt alles um, die Zeit der „genialen“ Zettelwirtschaft war vorbei. S.J. schreibt an Tucholsky“ „(Mensch — Hünicke! Ich bin ganz benommen, weil ichs ja doch nie für möglich gehalten hätte, daß ich das noch einmal erleben würde. Sie nimmt das ganze übrige Personal auf den kleinen Finger und wirkt heute, am vierten Tage so, als sei sie seit zehn Jahren im Betrieb. Hätt‘ ich sie vom 1. Oktober 1912 an gehabt, wo ich das Blättchen übernehmen musste, so hätte ich heute außer in Kampen eine Villa am Wannsee, eine in den Bergen, ein Stadt-Auto und ein Land-Auto. So wird es leider ein Dutzend Jahre dauern, bis ich das alles habe. Aber inzwischen habe ich das ästhetische Vergnügen, die artistische Bewunderung.“
Wolf Zucker erinnert sich: „In Anbetracht der permanenten Krise, in der sich die Finanzen der Weltbühne befanden, wurde Emmy Sachs (S.J. Sekretärin bis dahin) entthront, als die Hünicke einzog. Sie war aus viel härterem Holz geschnitzt… Mehr als einmal sahen wir sie mit ihrer Handtasche aus dem Büro stürmen, um in Potsdam die Verlängerung eines wieder einmal überfälligen Druckerei-Wechsels durchzusetzen. Nach ein paar Stunden kam sie dann mit dem Gesicht einer Siegerin zurück, verschwand für eine Weile im Zimmer von S. J., dem sie die Leviten las und zu Änderungen in seinem privaten und geschäftlichen Finanzgebaren aufforderte. S. J., wieder einmal gerettet, versprach alles; wahrscheinlich fest entschlossen, so wenig wie möglich zu ändern. Nach ein oder zwei Monaten wiederholten sich die dramatischen Szenen, von denen die Hünicke, physisch und psychisch erschöpft, mit sich auflösendem Haarknoten, an ihren Schreibtisch zurückkehrte und die Zügel wieder in die Hand nahm. Sie war von unerschütterlicher Loyalität, von unbrechbarem Mut. Ihre harte Sprödigkeit machte es anderen Menschen schwer, sie wirklich zu lieben; sie wusste das und ersetzte, was ihr die Menschen vorenthielten, durch eine völlig unsentimentale eigne Liebe.“
Ursula Madrasch-Groschopp schreibt über diese „Liebe“:
„.. Die sie von S. J. auf Ossietzky übertrug. Für ihn hat die Hünicke dann später, unter den Augen der Gestapo, sehr viel riskiert: Sie war die Mittelsperson zwischen der Emigrantengruppe in Paris, die Geld für Ossietzky sammelte, und dem Schutzhäftling im Konzentrationslager Esterwegen.“
Und nochmal Ursula Madrasch-Groschopp:
„… Kampen, Sommer 1925: Ein Bündel engbeschriebener Blätter eines anonymen Autors war aus Berlin eingetroffen. Der Absender Carlo Mierendorff – der Mittelsmann – der Titel des Manuskripts: „Hinter den Kulissen der Vaterländischen Verbände“. Zuerst las die Journalistin Martha Maria Gehrke, die u.a. als Autorin für die „Weltbühne“ sowie als Verfasserin von Ratgeberbüchern tätig war und die in diesem Sommer S. J. bei der Redaktionsarbeit half, das Manuskript.
Noch sieben Jahre später ist ihr der erste Eindruck gegenwärtig: „Eine andere Welt stand auf, eine Welt des Grauens, der Skrupellosigkeit, der viehischen Roheit. Das also lebte neben uns, zwischen uns, mitten in einem Rechtsstaat: solche Abgründe, soviel ungesühntes Blut, soviel missbrauchte Jugendkraft…“ Und der anonyme Autor war einer von diesen Missbrauchten, ein ehemaliger Freikorpsmann.
S. J. veröffentlichte dieses Material, obwohl er wusste, daß nun auch er die Feme zu fürchten hatte, genau wie der hinter drei Sternen sich verbergende ehemalige Freikorpsmann. Der Herausgeber lernte den anonymen Autor erst später kennen; denn der 23jährige war ständig auf der Flucht, wechselte Namen und Adressen.
Am 8. August 1925 erschien der erste Artikel: „Die Vaterländischen Verbände“. Der anonyme Autor beschreibt aus eigener Erfahrung und auf Grund von Kenntnissen, die er als Adjutant von Oberleutnant Schulz beim Wehrkreiskommando III erwarb, Organisation und Hintermänner der Vaterländischen Verbände. Er enthüllt deren Verbindungen zur Reichswehr, die in diesen Verbänden geheime Reservetruppen sieht. Eine Vielzahl von Gruppen, von arbeitslos gewordenen kaisertreuen Offizieren kommandiert, wird vorgestellt: zum Beispiel Oberland, Roßbach, Organisation Consul, Brigade Ehrhardt, Grenzschutz Ost, denen ausreichend Waffen zur Verfügung standen. Auch Mahrauns Jungdeutschen Orden und Hitlers erste Mannschaft zählt der Autor dazu. Daß ihre Putschversuche 1923 – Buchrucker in Küstrin und Hitler in München -missglückten, habe nur daran gelegen: Jeder wollte der erste sein und schlug vorzeitig los. Aber ihre Maulwurfstätigkeit sei damit nicht beendet gewesen. Allein schon durch ihre Existenz lösen sie immer neue innen- und außenpolitische Krisen aus, gefährden die Jugend und zerstören die Moral.
Der anonyme Autor beziffert die Fememorde und nennt die Namen der Mörder. Wenn den Schuldigen schon der Prozess gemacht wurde, dann in abgelegenen Städten; in Schwerin oder Cottbus zum Beispiel: Die Vorgänge sollten nicht allzuviel internationale Publizität erlangen. Mächtige Hintermänner jedoch blieben in Amt und Würden: Reichswehrminister Geßler und der Chef der Reichswehr, General von Seeckt.“
Ein Weltbühne-Leser fragt nach der Reaktion der „Vaterländischen Verbände“, Jacobsohn antwortet:
„… Was zu erwarten war: nicht einmal der Versuch einer Widerlegung oder Entkräftung, sondern nur Wutgeschrei und eine Denunziation. Sie stammt von den Vaterländischen Verbänden selber, sie lautet: „In Nummer 33 der Weltbühne schreibt ein Anonymer über seine Erlebnisse und Erfahrungen bei den Vaterländischen Verbänden. Die Auslassungen bewegen sich in der Art der bekannten Schrift des Herrn Dr. Gumbel, das heißt, sie liefern unsern Feinden Stoff zu neuen verschärften Kontrollen. Dadurch kritisiert sich der Inhalt von selbst. Wenn auch die V. V. V. D. (Vereinigung Vaterländischer Verbände Deutschlands) durch derartige Sensationsnachrichten keineswegs berührt werden, so fühlen sie sich doch verpflichtet, die V. V. allgemein gegen die aus der Schrift deutlich ersichtliche Tendenz der Verächtlichmachung zu verwahren. Die V. V. V. D. erwarten außerdem das Einschreiten des Staatsanwalts wegen Landesverrats.“
Im Jahr 1926 wird S. J. wegen Landesverrats angeklagt, nicht wegen der Fememord-Artikel, sondern weil das Polizeipräsidium Stuttgart Strafantrag beim Oberreichsanwalt in Leipzig wegen des Beitrags „Die neue Rangliste“ stellt. In diesem Starfantrag hebt man hervor, „daß auch in den vorhergehenden Nummern der Zeitschrift schon Artikel veröffentlicht wurden, bei denen der Verdacht eines Verbrechens des Landesverrats sich aufdrängt. Es kommen hier insbesondere folgende Artikel in Frage: Nr. 23 „Reichswehr und Stahlhelm“ von Carl Mertens; Nr. 26 „Kleinkaliberschießen“ von Carl Mertens und in Nr. 27 „Deutschlands Entwaffnung“ von Friedrich W. Foerster.“
Ein weiteres Verfahren kommt hinzu: Die Artikel von Carl Mertens „Demokrat Geßler“ und „Reichswehrpolitik in Dokumenten“, die im März und April erschienen, waren und alle Verfahren gehen aus, wie das Hornberger Schießen“.
Siegfried Jacobsohn war am 3. Dezember verstorben. Und Carl Mertens saß in Veyrier, Kanton Genf. Erst 1928 wurden die „Weltbühne-Verfahren“ eingestellt und der Haftbefehl gegen Mertens aufgehoben.
Übrigens der „Demokrat Geßler war Otto Karl Geßler, geboren an 6. Februar 1875 in Ludwigsburg, gestorben am 24. März 1955 in Lindenberg im Allgäu, Politiker der „Deutschen Demokratischen Partei“ (DDP) und vom 27. März 1920 bis zum 19. Januar 1928 Reichswehrminister. Sein Nachfolger wird Generalleutnant Karl Eduard Wilhelm Groener bis 1932.
Der Marquis von O. tritt auf, lautet der Titel von Ursula Madrasch-Groschopp und der erfolgt am 20. April 1926.
Bereits seit dem Sommer 1924 preist S.J. den damaligen Leitartikler der „ Berliner Volks-Zeitung“ an, dieser sei ein Mann fürs Blatt. Einem Angebot von Tucholsky war O. nicht abgeneigt und natürlich war S.J. mit dem Vorschlag sehr einverstanden: „Er gefällt auch mir immer besser. Ich bin überzeugt, daß ich ihn ideell und materiell befriedigen würde.“
Am 1. April 1926 unterschreibt Ossietzky und am 20. April 1926 erscheint „Der plombierte Wagen“: ein Kommentar zur außenpolitischen Situation nach Locarno und Genf und damit steht er im Rampenlicht der „Weltbühne“, getragen vom erstaunlichen Vertrauen des Herausgebers.
Am 3. Dezember 1926 traf in Fontainebleau, 11 rue Beranger, ein Telegramm an Tucholsky ein: „Jacobsohn Gehirnschlag. Sofort kommen. Hünicke.“
Tucholsky und seine Frau fahren nach Berlin und stehen dort mit eilig benachrichtigte Freunden im Arbeitszimmer von S.J. „Wir waren äußerlich ruhig und nüchtern, aber es war eine Stimmung unterdrückter Tränen, und wir vermieden, nach der kleinen, so bekannten Samtjacke zu blicken, die am Kleiderhaken hing. Es war so unwahrscheinlich, was geschehen war. Unwahrscheinlich war diese Gruppe von Menschen, die hier im Zwielicht um den Schreibtisch stand, über die nächste Fortführung der Weltbühne beratend, scheu betastend, was S. J. gehörte, was sein Erarbeitetes, sein Geschaffenes war“, schreibt Ossietzky später.
Wer sollte am Schreibtisch von S.J. Platz nehmen, wer seine Jacke an den Haken hängen? In Frage kam nur einer, Kurt Tucholsky, der Vertrauteste, keiner kannte die Absichten und Pläne so genau, wie er.
Ursula Madrasch-Groschopp schreibt:
„… Selten ist eine Sache so sehr auf das Wirken eines Menschen begründet gewesen wie diese „Weltbühne“. Und doch entstand nach Jacobsohns Tod kein Bruch, nicht mal ein Schrittwechsel ist spürbar. Das Fundament war stabil, alles war wohldurchdacht und gegliedert. S. J. hat immer planvoll gearbeitet, nichts dem Zufall überlassen. So konnte sein Nachfolger zuerst einmal aus dem Fundus schöpfen.“
Tucholsky brauchte eine Redaktionshilfe und bot dem Autor Wolf Zucker diesen Posten an, Zucker nimmt an und erinnert sich 1978:
„… Es war genug Material, teils schon gesetzt, teils noch in Manuskriptform vorhanden, so daß die Kontinuität der Weltbühne nicht einen Moment gefährdet war“
Bei der Gedenkfeier am 19. Dezember im Deutschen Theater reichten die Plätze nicht aus, über tausend Menschen waren gekommen und die Rede hielt sein Kollege Arthur Eloesser, der die Theaterkritik in der „Weltbühne“ übernahm.
Andere Dankesworte sind verschollen, auch die von Tucholsky und von Fritz Kortner. Die Journalistin Pauline Nard erinnert sich: „Da trat ein Geschlagener stolpernd über die Stufen zum Rednerpult, hilflos, verlegen lächelnd über sein Missgeschick, der endgültig allein gebliebene, einsame Kaspar Hauser.“
Von Ernst Tollers Rede ist ein Fragment erhalten geblieben: „Es ist mir ein Bedürfnis, dem Menschen zu danken, der, wo Unrecht geschah, wo Wehrlose preisgegeben waren dem zügellosen Taumel der Macht, seine Stimme erhob zur Aufrüttlung und tätiger Kameradschaft. Alle, die gesargt waren und sind in den Kerkern dieser Republik, fanden in Siegfried Jacobsohn den Freund, der ihnen beisprang. Nicht schwächliche Sympathie war seine Hilfe, die aufrauscht und im Geraschel bedruckten Papiers verebbt. Kampf war Siegfried Jacobsohns Hilfe, Kampf gegen Willkür und dieser Zeiten Ungeist … Als einer der erstem warb er für die in Bayerns Zuchthäusern Gekerkerten; als einer der ersten für die von republikanischen Gerichten verfolgten Sozialisten, radikalen Pazifisten und Kommunisten, noch in der letzten von ihm redigierten Weltbühne beschwor er das deutsche Volk, es möge endlich dem zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilten Max Hoelz Gerechtigkeit werden … Er hämmerte den Schrei der Wehrlosen in die Köpfe und Herzen der Tauben und Trägen … Wenn einst den Tausenden, die heute noch wandern von Zellenwand zu Zellenwand, die Tore sich öffnen und sie empfangen Geschenk und Bürde der Freiheit, dankbar werden sie das Grab grüßen, das Siegfried Jacobsohns lebendigen Staub birgt.“
„Die Angehörigen und engsten Freunde, die bei der Beisetzung anwesend waren, sind verstorben oder verschollen… Die Spuren waren verwischt. Und das Grab geriet in Vergessenheit – bis ich es im Frühjahr 1980 wiederfand: auf dem Südwestkirchhof in Stahnsdorf bei Berlin“, schreibt Ursula Madrasch-Groschopp.
Weltbühnen-Jahre 1927-1933
„Da steh‘ ich nun, ich armer Tor, / Und bin so klug als wie zuvor! / Heiße Magister, heiße Doktor gar! Auf dem Platz von S.J., todunglücklich. Pauline Nardi erinnert sich an ihren Besuch am Königsweg im Januar 1927: „Er schien völlig verwandelt, sehr traurig, schüchtern, müde und ohne Impuls… Er hatte einen Bleistift in der Hand, die Augen waren auf einen Schreibblock gesenkt, den er unentwegt mit Männerchen bemalte… Als ich ging, holte er aus dem Schreibtisch ein Foto von S. J. mit dessen Unterschrift und fragte mich, ob er mir damit eine Freude machen könne. Und die ganze tiefe Trauer schwang in dieser Frage mit.“
Der „Oberschriftleitungsherausgeber“, ein Titel, den er sich selbst verlieh, weiß nicht, ob er die Nachfolge übernehmen soll. Freunde raten zu, seine Frau Mary fragt er in Briefen, die Antwort gibt er sich selbst: „Was geht mich das Ganze an? Gar nichts. Selbst wenn die Frau (Jacobsohn) jetzt für ein paar Tage den Ossietzky engagiert, das wird natürlich besser, das ist wahr – aber ob ich hier auf richtige Ideen komme, das ist mir doch sehr zweifelhaft. Ich werde da in alte Sachen gedrängt, die ich längst überwunden habe – ich mag nicht mehr.“
Tage später: „Angeblich soll Ossietzky die nächste Woche helfen kommen – aber er scheint keine rechte Lust zu haben, und was dann werden soll? Ich weiß es alles gar nicht“ Und drei Wochen später: “Hier ists unverändert. Ossietzky entlastet mich jetzt ein bisschen… Sage mir doch um Gottes willen, wie es weitergehen soll – ich höre ja drauf und meckern meckre ich auf alle Fälle. Du siehst da sicherlich klarer. Es gibt eins, das für Berlin spricht: was riskieren wir eigentlich? Wenn es nicht geht, den Rückzug ins Ausland, das ist wahr.“
Tucholsky zieht nicht von Fontainebleau nach Berlin, das Berlin von 1927 ist ihm zuwider. Im Impressum der „Weltbühne“ steht seit Januar als verantwortlicher Redakteur Carl v. Ossietzky, denn im Frühsommer des Jahres 1927 hat Tucholsky sich entschlossen, die Arbeit in der Redaktion nicht weiterzumachen.
Tucholsky zieht es nach Dänemark, in den kleinen Ort Mo-genstrup-Kro per Lou – Erholung von Berlin. Er wird nicht zurückkommen und auch das Haus in Fontainebleau wird aufgegeben.
Am 12. Juni 1927 schreibt er an Maximilian Harden „Inzwischen bin ich nach Dänemark gemacht – zur Erholung, und ich werde wohl kaum zurückkommen… Es hat das sachliche und persönliche Gründe… Die sachlichen sind so, daß Deutschland – wie ich grade Ihnen nicht auseinanderzusetzen brauche – kein sehr freundlicher Boden ist. Ich werde da meines Lebens nicht froh, und ich fürchte, daß man das meinen Leistungen angemerkt hat. (…) Ich habe mit Frau Jacobsohn nun einen Mitarbeitervertrag abgeschlossen, der mir dieselben Pflichten auferlegt, wie ich sie unter S. J. gehabt habe – aber ich fühle deutlich, daß mir der Mann nicht ersetzlich ist… ich merke mit jedem Tag, was allein seine Existenz für mich bedeutet hat.“
Am 11. Oktober 1927 wird dann die Öffentlichkeit informiert, auf dem Titelblatt steht: „Begründet von Siegfried Jacobsohn / Unter Mitarbeit von Kurt Tucholsky geleitet von Carl v. Ossietzky“. Zu dem Wechsel schreibt Tucholsky: „Die Weltbühne ist eine Tribüne, in der die gesamte deutsche Linke in des Wortes weitester Bedeutung zu Wort kommt; wir verlangen von unseren Mitarbeitern Klarheit, persönliche Sauberkeit und guten Stil. Ob dieser Grundsatz richtig ist oder nicht, ist eine andre Frage; so habe ich das Blatt von meinem verstorbenen Lehrmeister Siegfried Jacobsohn übernommen und so habe ich es an Carl v. Ossietzky weitergegeben, der keinen Finger breit von dieser Richtung abgewichen ist. Die Weltbühne verzichtet bewusst auf ein starres Dogma; bei uns wird diskutiert.“
Mit dem Tod von Siegfried Jacobsohn sind die Auseinandersetzungen zwischen „Weltbühne“ und den „Herrschaften“ der Reichswehr keinesfalls beendet, man sinnt auf Rache und beobachtet die Nachfolger mit Argusaugen. Ossietzky tut ihnen den Gefallen und greift weiter an. Beispiel:
Am 22. Februar 1927 glossiert er das Auftreten des neuen Chefs der Heeresleitung im Reichstags: „Wo eben der starre, schwer ergründbare Seeckt mit Donner und Blitz versunken ist, steigt der fröhliche Bonvivantkopf des Generals Heye auf, von einem Regenbogen mit ganz kleiner Weimarer Gösch umstrahlt. Das Zeichen des neuen Bundes.“
Kurz danach der „nächste Schlag“:
Ursula Madrasch-Groschopp schreibt:
„… Wieder versuchte es der Oberreichsanwalt: Der Artikel von Berthold Jacob „Frontwechsel des Jungdo“ schien ihm geeignet, ein Verfahren wegen Landesverrates zu eröffnen. Der „Jungdeutsche Orden“ war eine reaktionäre Organisation, aus der die Schwarze Reichswehr ihre Rekruten bezog; die Ordensführer besetzten nahezu alle Stellen der Ziviloffiziere in den illegalen Wehrverbänden, die vom Reichswehrministerium ausgehalten wurden. Berthold Jacob erinnert an die Jungdo-Verbrechen während des Kapp-Putsches: an die fünfzehn ermordeten Arbeiter aus Bad Thal in Thüringen, die beim Dorf Mechterstädt so „glorreich von hinten abgeschossen wurden“. Die Täter wurden freigesprochen. Diese Morde dürfe man nie vergessen, ganz gleich zu welcher Front die Ordensbrüder schwenken.“
Abgeschmettert – Straffreiheit.
Über einen weiteren Prozess berichtet Ossietzky im letzten Heft des Jahres 1927:
„… Wir sind nicht pathetisch genug veranlagt, das zum Anlaß zu nehmen, die Hände zum Himmel zu recken, wo unveräußerlich die ewigen Rechte wohnen; wir haben Freunde und Sekundanten, wir sind nicht wehrlos, und, vor allem, wir sind illusionslos. Dennoch mussten wir einen kleinen Ärger überwinden, als wir das Urteil vernahmen, das uns für ein paar Wochen aus dem geselligen Treiben der Reichshauptstadt verbannt, wenn die Berufungsinstanz es bestätigen sollte. In der Urteilsbegründung wird nämlich als straferschwerend betrachtet, daß wir beide erst in diesem Jahre wegen Beleidigung durch die Presse zu Geldstrafen verdonnert worden wären.“
Wieder nichts – Ossietzky und der Autor wurden letztinstanzlich frei gesprochen.
Der Jurist Tucholsky widmet sich den tragenden Säulen der Republik, ein weiteres Grundthema dieser Jahre, er untersucht den Mechanismus, mit dem diese Kaste ihre Sonderstellung behaupten und halten kann. Er schreibt:
„… (Er) glaubt „nicht an eine Evolution im Strafrecht. Administrative Evolution ist ein Schlagwort für Ängstliche. Seine Erfolglosigkeit ist durch die Zahl eines Jahres bewiesen, in dem man nicht gewagt hat, diese Beamten, diese Richter auf die Straße zu setzen, „weil sie doch die Bestimmungen so schön kannten“ (…) Die Folgen werden noch „unsere Kinder“ zu spüren bekommen. (…) Denn der heutige Typus ist noch Gold gegen jenen, der im Jahre 1940 Richter sein wird. Dieses verhetzte Kleinbürgertum, das heute auf den Universitäten randaliert, ist gefühlskälter und erbarmungsloser als selbst die vertrockneten alten Herren, die wir zu bekämpfen haben … – Wenn diese Jungen einmal die Talare anziehen … Ihr Mangel an Rechtsgefühl ist vollkommen.“
Knapper Kommentar von Ursula Madrasch-Groschopp: „Der Typus von 1940, den Tucholsky 1927 heranwachsen sah, läßt sich heute mit zwei Namen kennzeichnen: Roland Freisler und Hans Filbinger.“
Diese Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen, daher hat das Buch von Ursula Madrasch-Groschopp auch über 400 Seiten, nur mich überfordern sie. Aber einige Kommentare von Autoren der „Weltbühne“ will ich wiedergeben – sie sind einfach lesenswert.
„… Die schwere Artillerie der Paragraphen hat ihr Werk getan. Die roten Feinde des Ordnungsstaates liegen niedergetrommelt am Boden, und in den Quartieren des Elends wimmern verlassene Weiber und Kinder…“
„… Aber die über tausend politischen Gefangenen in Deutschland gehören ausschließlich der revolutionären Arbeiterschaft an. Während die Rechtsradikalen frei herumlaufen, büßen sozialistische Proletarier den Impuls eines rebellischen Moments mit sieben, zehn, fünfzehn Jahren Zuchthaus.“
„… Hitler hatte versprochen, die Macht der Gewerkschaften zu brechen. Das zahlte sich aus. Zum Dank durfte Hitler jetzt neben Hugenberg und Thyssen in der Herrenhausversammlung zu den versammelten Volksbegehrern sprechen.“
Carl von Ossietzky: „Man darf die Hitlerbewegung nicht allein nach den Zivilmäulern der Feder und Strasser beurteilen, man muss vor allem auf ihre militärischen Fäuste schauen. Die Organisationen sind gespickt mit Offizieren aus der Freicorpsepoche… Es geht eine Blutlinie durch die zwölf Jahre Republik. Die Gerichte haben sie niemals ernsthaft bloßgelegt. Ein einziger konsequent zu Ende geführter Ehrhardt- oder Roßbach-Prozeß hätte uns den ärgsten Zauber der neuen Hitler-Macht erspart.“
Habe ich sie richtig verstanden, so meint Ursula Madrasch-Groschopp, Brecht und die „Weltbühne“ haben sich nicht so richtig gemocht. Wirklich nicht? Peter Panter über Brechts „Hauspostille“ 1928 im März:
„… Dieser Mann ist auf dem Theater ein sehr beachtliches Talent, und in der Lyrik mehr als das… Brecht ist ein Gehauter -und ich habe fast Furcht, mich an ihn zu verlieren. Er zwinkert – hat er uns hereingelegt? Ich glaube, er hat es ein paarmal versucht, er ist wohl böse von Natur und ein bisschen tückisch und kann es nicht lassen. Aber mag er böse sein. Er kann nicht nur viel, er ist nicht nur ein Sprachmeister; er hat, um einen Berliner Ausdruck zu gebrauchen, «er hat was drin.“
Korrektur – Ursula Madrasch-Groschopp schreibt:
„… Am 4. September 1928, erscheint Lion Feuchtwangers Artikel: „Bertolt Brecht, dargestellt für Engländer“ – ein liebevoll gezeichnetes Porträt des jungen Dichters. Zwei Besonderheiten gilt es festzuhalten: 1922 wird von Brecht die „ Ballade vom ertrunkenen Mädchen“ als Erstdruck in der „Weltbühne“ veröffentlicht; im Januar 1933 – auch als Erstdruck – die umfangreichere Dialogfassung von „Oh, Falladah, die Du hangest.“ Einige mögen Brecht wohl doch gemocht haben…“
Aber ich auch nicht so richtig.
Und nochmal Ursula Madrasch-Groschopp:
„… Viele Schriftsteller, die nicht zu den ständigen Mitarbeitern gehörten, sind mit Literaturthemen vertreten. Max Brod zum Beispiel (…) Agnes Smedley, Hans Fallada, Günther Weisenborn und Carl Zuckmayer, Friedrich Wolf, Ludwig Renn und Wieland Herzfelde werden gedruckt. So entstand eine Vielfalt von Meinungen. Es gab auch Diskussionen. Bela Balázs – Filmkritiker, Ästhetiker, Schriftsteller, Drehbuchautor, Librettist, Regisseur und Dichter – war einer von denen, die zur Gegenrede herausforderten. Die Aufführung von Arnold Zweigs „Sergeant Grischa“ in der Inszenierung von Alexander Granowski 1930 war so ein Anlaß. Die kunsttheoretischen Auffassungen von Autor und Kritiker prallten nicht wie Blitz und Donner aufeinander. Man formulierte nicht mehr mit jenem atemlosen Zorn wie zu S. J.s Zeiten.“
Der Krug geht solange, bis … am 5. Mai 1931 die Leserschaft der „Weltbühne“ von der Vorbereitung eines Landesverratsprozess gegen Carl v. Ossietzky, und den Schriftsteller Walter Kreiser erfährt.
Der Prozess wird immer wieder mit allen möglichen Tricks beider Seiten vertagt, aber Ossietzky weiß, er bekommt die Quittung, Am 23. November 1931 ist es soweit, er wird verurteilt. Sein Kommentar zum Urteil: „Ich weiß, daß jeder Journalist, der sich kritisch mit der Reichswehr beschäftigt, ein Landesverratsverfahren zu gewärtigen hat; das ist sein natürliches Berufsrisiko. Dennoch war diesmal für eine reizvolle Abwechslung gesorgt: wir verließen den Saal nicht als Landesverräter, sondern als Spione.“ Und dafür sind ihm 18 Monate sicher.
Ein weiteres Verfahren – Groener gibt nicht auf – diesmal gegen den in Schweden lebenden Tucholsky. Der Grund? Ein Artikel in der ersten August- Nummer 1931 mit dem Titel „Der bewachte Kriegsschauplatz“ und dieser Artikel, nicht das Verfahren wird berühmt werden.
Noch mal „saubere Luft“ atmen nennt Ossietzky seine Landpartie, bevor er die Haftstrafe antritt. Aber er schreibt wie gewohnt Artikel, vier davon werden häufig nachgedruckt oder zitiert: „Der Fall Remarque“, „Das Verbot der SA“, Dank vom Hause Hindenburg“, „in runder Tisch wartet“.
„Aus dem Zustand des Aktiven in den des Reservisten hinüberwechseln“ nennt Ossietzky seinen Haftantritt am 10. Mai 1932 im Gefängnis Berlin-Tegel um die 18 monatige Haftstrafe „abzusitzen“.
Über den Haftantritt schreibt Ursula Madrasch-Groschopp:
„… Begleitet von seinen Rechtsanwälten Rudolf Olden und Dr. Kurt Rosenfeld, betrat Ossietzky das Gefängnis. Auf Anregung Tucholskys waren vorher schon die Haftbedingungen für ihn ausgehandelt worden: Ossietzky durfte eigene Sachen tragen und sich selber beschäftigen; Zeitungen und Bücher waren erlaubt, auch schreiben durfte er, nur nicht publizieren. Unter „Antworten“ wird einem „Wißbegierigen“ im Juli mitgeteilt, man habe noch einige Artikel in Ossietzkys Schreibtisch gefunden, die man bald bringen werde: Man verkaufte seine in der Zelle geschriebenen Beiträge listig als „Ladenhüter.“
Seinen Sessel wird Hellmut von Gerlach übernehmen. Ossietzky: „Ich glaube, daß Gerlach die Sache nicht schlecht machen wird. Wenn ich um eines bitten darf: unterstützen Sie die schwierige Übergangszeit durch eine möglichst produktive Kritik. Sagen Sie, was Sie für nötig halten, aber zunächst vielleicht mit einer gewissen Nachsicht, damit niemand kopfscheu wird. Die Zeit hier ist nicht grade heiter; Sorgen vor der Zensur, vor der politischen Zukunft überhaupt. Sie können sich nicht denken, wie hier alles herumläuft.“
„Zwei Tage, nachdem sich die Gefängnistüren hinter Ossietzky geschlossen hatten, wurde der Urheber dieser Situation, General Groener, von ehrgeizigen Generalen seines Büros gestürzt“, so Ursula Madrasch-Groschopp.
Als „Platzhalter“ bezeichnet Hellmut v. Gerlach sich und seine neue Funktion. Und in diese Zeit fällt die „Regierung Papen“, Ursula Madrasch-Groschopp nennt sie die „halbfaschistischen Papen-Diktatur“, die „Weltbühne“ wird moderater, man fürchtet ein Verbot des „Blättchens“ und natürlich fehlen auch Stimmen, Ossietzky und Tucholsky, die unersetzbar sind.
Ursula Madrasch-Groschopp:
„… Am 6. Dezember 1932 druckt Gerlach einen Artikel mit dem Titel „Professoren in der Politik“. Der Name des Autors ist neu im Blatt: Hermann Budzislawski. Ein junger Wirtschaftskritiker, von dem noch zwei weitere Beiträge erscheinen. Der linke Sozialdemokrat wird später, in den Emigrationsjahren, für die Geschichte des Blattes Bedeutung erlangen.“
Am 22. Dezember 1932 beendet Hellmut v. Gerlach seine Redaktionstätigkeit. Ossietzky wird vorzeitig aus der Haft entlassen.
Vorausgegangen ist noch ein wichtiges Ereignis, im September 1932 beauftragt Edith Jacobsohn Gerlach mit der Gründung der „Wiener Weltbühne“. Die Gründe dafür sind die zunehmende Faschisierung Deutschlands und die ständige Bedrohung der „Weltbühne“, verboten zu werden.
Am 8. November 1932 wird der letzte Beitrag Tucholskys in der „Weltbühne“ – Titel: „Worauf man in Europa stolz ist“ von Kaspar Hauser. Der kranke Tucholsky hat aufgegeben.
Am 30. Januar 1933 hat Hitler die Regierung übernommen. „Die Gegenrevolution hat kampflos die Höhen besetzt.“
Ossietzkys Kommentar dazu beginnt mit Zitaten aus Leitartikeln bürgerlicher Zeitungen, die seit Jahren die Übertragung der Macht an die geeinte Rechte gefordert haben. Die Herren reagierten sehr bedrückt auf die Zusammensetzung des neuen Kabinetts.
Pressenotverordnungen der neuen Hitler-Regierung zwingen Ossietzky, den Ton im Blatt noch stärker zu moderieren. „Über vieles läßt sich nur noch in Andeutungen oder Umschreibungen sprechen“, so Ursula Madrasch-Groschopp und weiter; „Walter Mehring glossiert den „ewig getreuen Wagner, den „Diktator im Dritten Reich der Töne“. Mehring zitiert aus Wagners Schriften und Briefen; mit Texten aus dem vorigen Jahrhundert kämpft er gegen den Antisemitismus der neuen Machthaber von 1933. (…)
Rund 25 Zeitungen und Zeitschriften – sie werden namentlich aufgeführt – sind für fünf bis 14 Tage verboten. Im darauffolgenden Heft hat sich die Liste der verbotenen Presseorgane verdoppelt, der Verbotszeitraum vergrößert; bei den kommunistischen Blättern ist er auf Wochen und Monate heraufgesetzt. – Das Karl-Liebknecht-Haus wurde geschlossen.“
So reiht sich Nachricht an Nachricht — ohne Kommentar. In der „Weltbühne“) vom 28. Februar ist die Verlustliste anderthalb Seiten lang. Am Abend zuvor, am 27. Februar 1933 brennt das Reichstagsgebäude, Ossietzky wird verhaftet, dem man unterstellt, er habe seine Finger dabei im Spiele gehabt.
Die „Weltbühne“ wird verboten, das Datum, an dem das Verbot ausgesprochen wurde, ist nirgends notiert, auch Polizeiakten darüber sind nicht gefunden worden. Aber nach der Notverordnung vom 28. Februar sind „Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit… Anordnung von Haussuchungen und von Beschlagnahmen, sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig“, schreibt . Ursula Madrasch-Groschopp.
Sicher scheint nur zu sein, Die Nummer 10 vom 7. März 1933 war die letzte Ausgabe, die noch in den Handel gelangte, die darauffolgende Nummer durfte nicht mehr ausgeliefert werden.
Emigration – die Jahre 1933-1939
Die Gründung der Wiener „Weltbühne“ erweist sich als ungeeignet, am 15. März 1933, löste Österreichs Bundeskanzler das Parlament auf und installierte die nach ihm benannte „ Dollfuß-Diktatur“ „Das Blättchen“ siedelt nach Prag um und erscheint dort ab 6. April unter dem Namen „Die neue Weltbühne“ und Edith Jacobsohn geht von Wien nach Zürich.
Ursula Madrasch-Groschopp:
„… Nach der Verhaftung Ossietzkys war das Blatt ohne politischen Kopf. (…) Besorgt um das Erbe von S. J suchte Edith Jacobsohn nach einem neuen Mann; ihre Wahl fiel auf Hermann Budzislawski. (…) Die Geschichte der „Neuen Weltbühne“ beginnt am 15. März 1934: Der gerade 33 Jahre alt gewordene Journalist Hermann Budzislawski übernimmt die Leitung. Er steuert das Blatt durch fünf Jahre: von 1934 bis 1939.“
Unter dem neuen Chefredakteur werden Wege gesucht, die „Neue Weltbühne“ auch nach Deutschland zu schaffen. Tschechische Genossen helfen, aber wie hoch die Zahl der eingeschleusten Hefte war, ist nicht mehr festzustellen. „Helfen“ der Genossen hieß sich großer Gefahr auszusetzen. Verfolgung und Ermordung in Konzentrationslagern waren die Folgen.
Wie viele andere auch bürgerten die Nazis 1935 Budzislawski aus, dem Antrag auf die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft 1937 wurde nicht stattgegeben. Als er Anfang Mai 1938 Prag verlassen musste, war er staatenlos, erst 1940 in den USA erhielt er tschechoslowakische Staatsbürgerschaft.
Am 31. Januar 1935 heißt der Leitartikel der „Neuen Weltbühne“ „Fememord“ denn auch mit einer neuen Staatsbürgerschaft oder neuem Namen war man vor Verfolgung nicht sicher. Auch Budzislawski bekam dies zu spüren, mit Umzügen und Namensänderungen entgeht er den Häschern.
Einer der Verdienste der „Neuen Weltbühne“ war der Versuch, eine Diskussion von Vertretern der beiden deutschen Arbeiterparteien zustande zu bringen. Am 2. Januar 1936 zitiert die Redaktion aus einem gemeinsam von Kommunisten und Sozialdemokraten verfassten Protest, nachdem der Kommunist Rudolf Claus ermordet wurde:
„… Wir deutschen Sozialdemokraten und Kommunisten stellen angesichts dieses eklatanten neuen Mordes unsre prinzipiellen Gegensätze und taktischen Meinungsverschiedenheiten zurück, um uns zum ersten Mal in einer gemeinsamen öffentlichen Anklage gegen das schuldige Regime zusammenzufinden“
Am 16. Januar 1936 erscheint der letzte Diskussionsbeitrag, darin schreibt Budzislawski:
„… Die Diskussion, die vorwiegend in der „Neuen Weltbühne“ geführt worden ist, war nicht ergebnislos. Es ist eine weitgehende Annäherung der beiderseitigen Standpunkte erzielt worden, und immer größere Teile der Sozialdemokratie erklären sich für eine Einheitsfront. Die erste offizielle Verhandlung der beiden Parteileitungen hatte allerdings keinen Erfolg. Inzwischen sind aber neue Umstände eingetreten und wurden in Deutschland neue Erfahrungen gesammelt… Das rechtfertigt es, dem kommunistischen Führer Franz diese Tribüne erneut zur Verfügung zu stellen“.
Um es kurz zu machen, alle Versuche sind mehr oder weniger gescheitert, obwohl Mitglieder aller ehemaligen linken und demokratischen Parteien unterdessen in den Konzentrationslagern gefoltert und ermordet wurden.
Der Nobel-Preis
Von wem der Vorschlag stammte, Ossietzky für den Nobelpreis vorzuschlagen, ist nie geklärt worden. Der erste Versuch wurde wohl am 26. Mai 1934 von der Straßburger Sektion der Liga für Menschenrechte unternommen und dieser Versuch scheiterte, weil die Bewerbungsfrist überschritten war. Aufgeben? Nein, Freunde aus allen Richtungen machten weiter, nur einer trat dagegen auf: Knut Hamsun, der wohl bedeutendste norwegischen Schriftsteller des frühen 20. Jahrhunderts, selbst Preisträger 1920 des Literaturnobelpreises. Sein Motiv? Hamsuns trat aktiv für den Nationalsozialismus ein.
Am 23. November 1936 wurde Carl von Ossietzky rückwirkend der Friedensnobelpreis des Jahres 1935 zugesprochen. „Endlich eine gute Nachricht“, freute sich Thomas Mann.
Als eine Art Schutzschild wurden auch in der „Neuen Weltbühne“ Pseudonyme „erfunden“. Alle Artikel, die aus Deutschland kamen oder „Lieferanten“ gefährdeten, waren so gezeichnet, Beispiele: „Ein Illegaler“, oder von einem „Berliner“, aber auch Berufsbezeichnungen spielten eine Rolle: Jurist, Chemiker, Bakteriologe, „von einem deutschen Juden“, usw. „Alle diese unbekannten Mitarbeiter lieferten informative Augenzeugenberichte über Vorgänge im faschistischen Deutschland“ schreibt Ursula Madrasch-Groschopp.
Und sie schreibt weiter:
„. Am laufenden Band so heißt eine Rubrik, die von August 1935 bis Januar 1939 erschien. Den Titel lieferten die Nazibehörden mit ihrer amtlichen Begründung für die Ausbürgerung des Herausgebers: „Jetzt ist er Hauptschriftleiter der in Prag und Zürich erscheinenden berüchtigten Wochenschrift „Die neue Weltbühne“, in der von ihm am laufenden Band Hetzaufsätze erscheinen“.
„Am laufenden Band“ ist auch der Leitartikel vom 20. Juni 1935 überschrieben, dem dieser Satz vorangestellt ist. Budzislawski beginnt ihn so: „Allwöchentlich wird hier montiert, was uns am laufenden Band aus Deutschland rapportiert wird: Verhaftungen, Hinrichtungen, Börsenhausse, Lohnkürzungen, Judenverfolgungen, Kriegsvorbereitungen, Korruptionsskandale, internationale Vertragsverletzungen, Berichte aus Konzentrationslagern, Kirchenkämpfe, amtliche Wechselreiterei. Kunterbunt kommen die Meldungen an, widerspruchsvoll und oft entstellt.
Das erste Opfer der Faschisten aus dem Kreis der Weltbühnen-Mitarbeiter war im Sommer 1934 Erich Mühsam. Seit 1908 gehörte er dazu. Mühsam ist – wie Ossietzky – in der Nacht des Reichtagsbrandes verhaftet worden. Im ausgedienten Zuchthaus Sonnenburg, das wegen seines baulichen Zustandes seit Jahren keinem Kriminellen mehr zugemutet wurde, werden beide gefoltert. Tagebuchnotiz von Erich Mühsam: Erdarbeit mit Ossietzky. Beide mussten ein Grab ausschaufeln. Sie glaubten, es sei das Ende. Es war aber erst der Anfang. Sie haben Erich Mühsam täglich gequält, anderthalb Jahre.“
Hellmut v. Gerlach starb am 1. August 1935 in Paris. Am 21. Dezember 1935 beendet Kurt Tucholsky sein Leben in Hindas, Schweden. Am 4. Mai 1938 stirbt Carl v. Ossietzky im Sanatorium Nordend in Berlin-Niederschönhausen, bis zu seinem Ende ein Gefangener. Am 25. Mai 1939 setzt Ernst Toller 939 in einer New-Yorker Wohnung seinem Leben ein Ende. Was für Verluste für das Blatt.
Ein Leuchtturm in der Berichterstattung der „Neuen Weltbühne“ ist der spanische Bürgerkrieg, beginnend mit dem Luftangriff auf Guernica am 26. April 1937 durch deutsche Kampfflugzeuge der Legion Condor, geleitet von Wolfram von Richthofen.
Bereits 1936 untersuchen Alexander Schifrin, deutsch-russischer Journalist, Publizist und politischer Theoretiker und Milly Zirker, eine politisch engagierte deutsche Journalistin jüdischer Abstammung, die Hintergründe dieses Kriegsverbrechens. Kurz nach der Zerstörung Guernicas werden Augenzeugenberichte veröffentlicht. Von den Mitarbeitern der „Neuen Weltbühne“ waren Erich Weinert und Egon Erwin Kisch beteiligt.
Am 11. März 1938 marschieren Truppen der Wehrmacht in Österreich ein. Die „Neue Weltbühne“ titelt am mit der Schlagzeile: „Österreichs Untergang. Zwei Wochen nach der Annexion steht auf dem Titelblatt: „Nach der Konfiskation zweite Ausgabe“.
Am 15./16. März 1939 erfolgte die Zerschlagung der Tschechoslowakei, nachdem bereits zuvor durch die Eingliederung des Sudetenlandes in das Deutsche Reich am 2. Oktober 1938 erfolgt war und darüber berichtete Budzislawski am 30. März 1939, den Anfang vom Ende der CSR hat der Herausgeber in Prag selbst erlebt.
Die „Neue Weltbühne“ zieht um, von Prag nach Paris, genauer nach Sevres bei Paris. „Was so eine Transaktion für ausgebürgerte, paßlose, über keine Geldquellen verfügende Emigranten bedeutet, sei hier nicht ausgemalt“, schreibt Budzislawski später.
Über den Umzug schreibt Ursula Madrasch-Groschopp:
„… Budzislawski fuhr Anfang Mai nach Paris. Einen Monat später verließ Hanna Budzislawski mit der Redaktion Prag, obwohl noch keine Erlaubnis für die Herausgabe der „Neuen Weltbühne“ vorlag. Aber der Ausweg war gefunden worden: die Redaktion in Paris und das Blatt in Brüssel drucken.
Erstaunliches sagen die Angaben im Impressum aus: Das Heft vom 2. Juni 1938, die Nummer 22, erschien noch in Prag; die Nummer 23 vom 9. Juni wurde schon in Belgien gedruckt: Herausgeber Dr. Hermann Budzislawski — Le Gerant Victor Callebaut, Bruxelles. Keine Angaben über den Sitz der Redaktion. Unter dem ständigen Inserat für den Bezugspreis in allen Währungen auf der Umschlagseite steht noch die Prager Postfachadresse und die Telefonnummer. Im nächsten Heft ebenfalls. In der folgenden Nummer 25 (vom 23. Juni) ist die Prager Anschrift ersetzt: „Dr. Hermann Budzislawski, Boite postale N° 9 -Sevres (Seine-et-Oise), France“. Keine Nummer ist ausgefallen. Hut ab vor den beiden Budzislawskis! Besonders aber vor Hanna B.; sie hat in Prag die Redaktion weitergeführt, das Büro eingepackt und in Sevres wieder installiert.“
Der zweite Weltkrieg hat noch nicht begonnen, da wird am 31. August 1939 neben anderen Blättern die „Neue Weltbühne“ verboten und in der Pariser Presse verkündet. Das war an dem Tag, an dem die Nummer 35 erschien.
Über die folgenden Wochen schreibt Ursula Madrasch-Groschopp:
„… Drei Monate nach dem Verbot der „Neuen Weltbühne“ erhielt Hanna Budzislawski in Sevres Post aus London.
Nicht freundschaftliche Hilfe wird ihr angeboten, sondern ein schäbiger Plan unterbreitet: Man wolle „Die neue Weltbühne“ kaufen. Absender dieses Angebots: Kurt Hiller. Immer versuchte er, die Situation für sich auszunutzen.“
Kurt Hiller tauchte in der Vergangenheit immer dann auf, wenn die „Weltbühne“ in Schwierigkeiten war und er eine Übernahme versuchen konnte. .
Ursula Madrasch-Groschopp beschreibt diese Versuche, die allerdings allesamt gescheitert sind:
„… 1927, nach Jacobsohns Tod und nach dem Rücktritt Tucholskys, hoffte Hiller, Herausgeber zu werden; 1933, nach der Verhaftung Ossietzkys und der Flucht Edith Jacobsohns aus Berlin, wollte er das Blatt an sich bringen; und nun 1939, nach der Internierung Budzislawskis und aller Mitarbeiter in Frankreich, war Hiller sofort wieder zur Stelle. Aber Hanna Budzislawski ließ sich nicht überrumpeln. Sie bewahrte das Blatt davor, Organ einer exaltierten Splittergruppe zu werden. (…)
Der Herausgeber war zu dieser Zeit im Lager Damigny in der Normandie. Dort traf er Albert Norden und Alexander Abusch. Zwei gelegentliche Mitarbeiter der „Neuen Weltbühne“. Sie nannten sich zu der Zeit Hans Behrend und Ernst Bayer. Der Solidarität dieser beiden Kommunisten verdankte es Budzislawski, daß man ihn im darauffolgenden Jahr, am 21. Juni 1940, aus dem Lager Bassens bei Bordeaux „aus Versehen“ entließ. Sie hatten dafür gesorgt, daß auch sein Name „vertauscht“ wurde; denn auf Budzislawskis Akte – wie auf der von Norden und Abusch – stand der Vermerk: „Nie zu entlassen“. Das hätte die Auslieferung an Nazideutschland bewirken können. Budzislawski erfuhr erst 1972, welcher Gefahr er damals entgangen war.“
Im Sommer 1940 gelingt Budzislawski mit seiner Familie die Flucht zu Fuß über die Pyrenäen, sie erreichten Lissabon und verließen die Stadt Ende September auf dem griechischen Dampfer „Nea Hellas“ in Richtung New York.
Noch 1939 schreibt er zur Geschichte der „Weltbühne“: „ Als sie gegründet wurde, regierte Wilhelm II. Sie hat das Kaiserreich überlebt und den Krieg, die Revolution und die Inflation, die schöneren Tage der Weimarer Republik und den Niedergang unter Brüning und Papen. Seit sechs Jahren erscheint sie nun im Exil. Sie wird auch Hitler überleben, und eines Tages wird sie wieder in Berlin gedruckt“.
Die „Weltbühne“ erscheint 1946 wieder in Berlin, herausgegeben von Maud v. Ossietzky und Hans Leonard. Aus alten Wurzeln ist sie neu erstanden. Mit alten und neuen Mitarbeitern wird die Arbeit fortgesetzt“, so Ursula Madrasch-Groschopp.
Nach Kriegsende 1946 – Die Wiedergeburt der „ Weltbühne“
Maud v. Ossietzky, die Witwe Carl v. Ossietzkys, eine gebürtige Engländerin, hatte bei der britischen Besatzungsbehörde eine Lizenz beantragt zur Herausgabe einer Zeitschrift und diese am 21. November 1945 erhalten. Der Titel des neuen „Blättchens“ „Carl von Ossietzky’s Weltbühne“ mit Sitz am Lützow-Ufer 10.
Nach einem „fürchterlichen Gerangel“ zwischen britischer und sowjetischer Besatzungsmacht und mit Hilfe des Verlagskaufmannes Hans Leonard suchte man nach einer Lösung, wie man den Verlag und die „Weltbühne“ wieder auf die Beine stellen konnte. Als Berater kam Erich Bernhard Gustav Weinert hinzu, Schriftsteller und ab 1943 Präsident des Nationalkomitees Freies Deutschland. Die „Weltbühne“ lebte wieder: In 82 000 Exemplaren hat sie ihre Wiedergeburt am 4. Juni 1946 bekanntgegeben.
Ursula Madrasch-Groschopp:
„… Diese Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft wird jetzt herausgegeben von Maud v. Ossietzky, der Witwe Carl v. Ossietzkys, der 1927 nach dem Tode Siegfried Jacobsohns ihre Leitung übernahm. Die erste Ausgabe enthält Erinnerungen an seinen Kampf gegen den Nationalsozialismus, der ihn zuerst in die Gefängnisse der Weimarer Republik, später in die Konzentrationslager des Dritten Reiches brachte. Zugleich veröffentlicht Erich Kästner Erinnerungen an Carl v. Ossietzky und Kurt Tucholsky, deren Arbeiten den Charakter der „Weltbühne“ bestimmten. Soweit die Nachricht aus Berlin. Mit ihr ist Tatsache geworden, was als Gerücht schon oft rumlief und diskutiert wurde.“
Auch Günther Cwojdrak, Rundfunkkommentator beim NDR (Norddeutsche Rundfunk), macht auf die Neuerscheinung aufmerksam: „Unser heutiger Gruß an die „Weltbühne“ soll umso herzlicher sein, da es heute möglich sein wird, Schwächen, die sich bei rückschauender Betrachtung ergeben, zu vermeiden … Nur die Einsicht auch in die eigenen Fehler birgt die Möglichkeit in sich, den Kampf, den auch die „Weltbühne“ einmal verlor, in Zukunft auch zu gewinnen.“ Ein Jahr später verlässt er das Haus an der Rothenbaumchaussee in Hamburg und wird Mitarbeiter der „Weltbühne“.
Am späten Abend des 3. Juni beginnt man mit dem Umzug, die erstaunten Mitarbeiter erfahren, dass sich ihre Arbeitsstätte nunmehr in der Mohrenstraße befand.
Ursula Madrasch-Groschopp erzählt über ihren Neuanfang:
„… Als ich am 1. August 1946 als Redaktionsassistentin anfing, wurde gerade die Nummer 4 hergestellt, mit dem ersten Leitartikel von Alexander Abusch. Die „Weltbühne“ erschien zuerst halbmonatlich, aber nicht unbedingt an dem Tage, der auf den Titelblättern steht. Es war alles noch im Zustand des Werdens… und doch war die Auflage des dritten Heftes um 24 500 auf 106 500 Exemplare gestiegen und kletterte weiter; ein Jahr später waren schon 170 000 erreicht. Gute Zeiten für Zeitschriften!“
Einen Anteil an der steigenden Auflage hatte auch die Ausbreitung der „Weltbühne“ in die westlichen Besatzungszonen.
Wikipedia schreibt:
„… In den 1950er und 1960er wurde die Weltbühne daher als Brücke zu den intellektuellen Kreisen im Westen gesehen sowie als Möglichkeit betrachtet, diese Kreise zu beeinflussen. In einem Antrag auf die Neuausstellung einer Lizenzurkunde im Jahre 1962 hieß es daher:
„Besonders hervorzuheben ist, daß unter diesen Gründen die Beeinflussung der Intelligenzkreise im In- und Ausland, und speziell in Westdeutschland, als eine unserer Aufgaben angesehen und akzeptiert wurde. Der Unterzeichner dieses Antrags erhielt vom Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands bald nach der Währungsunion eine entsprechende Direktive.“
Im Zweifel entschied sich die Redaktion dabei für die aktuellen politischen Erfordernisse und gegen die Tradition der Zeitschrift, wie aus einer internen Charakteristik von Mitte der 1950er-Jahre hervorgeht:
„In der Vergangenheit – vor 1933 – hatte die Weltbühne, besonders unter der Leitung Carl v. Ossietzkys und Kurt Tucholskys, leider vorbehaltlos pazifistischen Tendenzen gehuldigt. Da unsere Wochenschrift den Namen „Weltbühne“ trägt und zusätzlich auch den Namen Carl v. Ossietzkys führt, gilt es, den Nimbus dieser Namen und die Tradition der Weltbühne den eingangs skizzierten fortschrittlichen Bestrebungen von heute weitestgehend nutzbar zu machen ohne in den vorbehaltlosen Pazifismus abzugleiten: Die Weltbühne von 1954 unterstützt die Politik der Deutschen Demokratischen Republik, das heißt, daß sie selbstverständlich und konsequent die Bestrebungen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vertritt, ohne etwa nach außen hin als Parteiorgan erkennbar zu werden.“
„Kam die Weltbühne immer etwas intellektueller daher als andere DDR-Zeitschriften, so war sie doch im Grunde linientreu“, lautet das Resümee von Petra Kabus, einer Germanistin, Autorin und Verlagslektorin. Allerdings erreichte die Auflage mit 170.000 Exemplaren eine Größenordnung, die diejenige der Original-Weltbühne um mehr als das Zehnfache überstieg.
Von 1967 bis 1971 fungierte Budzislawski wieder als Herausgeber und Chefredakteur der Weltbühne. Von Dezember 1989 bis zur Einstellung des Blattes im Juli 1993 übernahm Helmut Reinhardt diese beiden Aufgaben.“
Bernd Fritz Lunkewitz, Immobilieninvestor und ehemaliger Verleger, kaufte im Frühjahr 1992 den Verlag der Weltbühne GmbH, der die ehemals in der Weimarer Republik von Siegfried Jacobsohn und Carl von Ossietzky herausgegebene kritische Wochenschrift „Die Weltbühne“ in der DDR weitergeführt hatte.
Wikipedia:
„… Nachdem zunächst für die Zeitschrift große Pläne bestanden, stellte Lunkewitz sie ein, nachdem er überraschend mit der von den Nationalsozialisten aus Deutschland vertriebenen Familie des Zeitschriftengründers Jacobsohn über die Titelrechte in einen Rechtsstreit vor dem OLG Frankfurt geriet. Lunkewitz erklärte dies damit, dass eine solche Zeitschrift unabhängig von der Rechtslage nicht ohne Zustimmung oder gar gegen den Widerstand der ursprünglichen Eigentümer und deren aus dem Land vertriebenen Erben gemacht werden könne.
Von Oktober 2003 bis 2009 war der mit Lunkewitz seit langen Jahren befreundete Michel Friedman, Jurist, Politiker (CDU), Publizist und Fernsehmoderator, Herausgeber für den Bereich „Politisches Buch“ beim Aufbau-Verlag.
Im Frühjahr 2008 zog sich Lunkewitz aus dem Aufbau Verlag zurück. (…) Am 30. Mai 2008 beantragte die Geschäftsführung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, nachdem Lunkewitz überraschend die finanzielle Unterstützung beendet hatte. Bereits am 2. Juni 2008 erhielt der Verlag die Kündigung des Mietvertrages für das Verlagsgebäude. (…)
Im Oktober 2008 verkaufte Lunkewitz in Zusammenarbeit mit dem Insolvenzverwalter der insolventen GmbH den ihm privat gehörenden Geschäftsbetrieb des Aufbau-Verlages mit dem gesamten Vermögen und allen Rechten (bis auf die Weltrechte an Fallada), unter Beibehaltung aller Arbeitsplätze, an den Berliner Investor Matthias Koch, der seitdem den Aufbau-Verlag gemeinsam mit den anderen Verlagen erfolgreich weiter betreibt. Auf Bitten des Verlages trat Lunkewitz 2010 auch noch die von ihm 1994 separat erworbenen weltweiten Urheberrechte am Werk Falladas an die Aufbau-Verlag GmbH & Co KG ab.
Zwei Wiederbelebungsversuche 1997 – Aus Wikipedia:
„… 1997 wurden sowohl in Berlin als auch in Hannover Wiederbelebungsversuche unternommen. Beide Autorengruppen scheuten eine juristische Auseinandersetzung um das Recht an dem Namen Weltbühne. Nicht nur Peter Jacobsohn, sondern auch die neuen Besitzer des früheren Weltbühne-Verlages wollten die Verwendung des Namens unterbinden. Das Projekt aus Hannover wurde daher Ossietzky genannt und erscheint im gleichnamigen Verlag. Die Redaktion zog aber im Jahre 2000 von Hannover nach Berlin um. Herausgeber ist Eckart Spoo, früher Korrespondent bei der Frankfurter Rundschau.
Das Ost-Berliner Zwillingsblatt legte sich den redaktionsinternen Spitznamen der Original-Weltbühne „Das Blättchen“ zu und wurde bis September 2009 als gedruckte Ausgabe von einem Zirkel um Jörn Schütrumpf herausgegeben. Seit 2010 erscheint „Das Blättchen“ als reine Online-Zeitschrift.“
Gedenktafel für „Die Weltbühne“
In einer Pressemitteilung vom 06.07.2010 heißt es:
„… Berlins Staatssekretär für Kultur André Schmitz und der Verleger Wolfgang Stapp enthüllen am Mittwoch den 7. Juli 2010 um 15 Uhr in der Wundtstraße 65 (14057 Berlin) die Berliner Gedenktafel in Erinnerung an die politische Zeitschrift „Die Weltbühne“. In diesem Haus am früheren Königsweg hatte die Redaktion ihren Sitz von 1921 bis 1926.“
Die Einstellung der „Weltbühne“ war in all den Jahren ihres Bestehens in einem Gedicht von Kurt Tucholsky aus dem Jahre 1919 so zu erkennen:
„Nun steh ich auf. Ich weiß Bescheid:
Nach jener winzigen, großen Zeit
sei dies der Wahrspruch des Geschlechts:
Der Feind steht rechts! Der Feind steht rechts!“
Quelle:
„Die Weltbühne“ – Portrait einer Zeitschrift- Autorin Ursula Madrasch-Groschopp.
Erschienen im Bechtermünz Verlag ISBN 3-8289-0337-1
Und wer noch tiefer in die Geschichte der „Weltbühne“ einsteigen will – „Aus Teutschland Deutschland machen“ – ein politisches Lesebuch zur „Weltbühne“.
Herausgegeben von Friedhelm Greis und Stefanie Oswalt- erschienen im Lukas Verlag – ISBN 978-86732-026-9