Adolf Stoecker

Geboren am 11. Dezember 1835 in Halberstadt, Provinz Sachsen, gestorben am 2. Februar 1909 in Gries bei Bozen, Grafschaft Tirol, Österreich, war evangelischer Theologe und Politiker.

Aus Wikipedia:

… Stoecker begründete mit den Christlich-Sozialen die sogenannte Berliner Bewegung, eine antisemitische Sammlungsbewegung, die rückwärtsgewandte mit modernen Elementen vereinte. Programmatisch trat sie auf einer protestantischen Grundlage antikapitalistisch, antiliberal und antisozialistisch auf, verknüpft durch einen scharfen Antisemitismus, der sich gegen den „verjudeten“ Großkapitalismus wie gegen die „verjudete“ Linke richtete. Das politische Fernziel Stoeckers war ein christlich-deutscher Gottesstaat als Ständestaat. Stoecker repräsentierte eine politische Splittergruppe.“

Über „Gottesstaat“ und „Ständestaat“ schreibt Wikipedia:

„… Ein auf der Theokratie basierender Staat wird auch als Gottesstaat bezeichnet, da die sozialen Normen göttlichen und nicht menschlichen Ursprungs sein sollen. Es gibt dort weder eine Trennung von Staat und Religion noch von weltlichem Recht und religiösen Vorschriften. Damit widerspricht die Konzeption einer Theokratie dem Ideal eines liberal-demokratischen Rechtsstaats. Führt die religiöse Legitimierung von Macht zu einer klerikalen Herrschaft, spricht man in der Politikwissenschaft von Priesteraristokratie.“

Der Ständestaat (auch Korporationenstaat) ist ein politisches Konzept des 20. Jahrhunderts, als im ideologischen Rückgriff auf die vormoderne Ständeordnung diverse antiliberale Theoretiker und Regimes, vorwiegend vor einem katholischen Hintergrund, die „ständische“, d. h. auf Gruppenzugehörigkeit basierende korporatistische Neuordnung der zeitgenössischen Staaten und Gesellschaften und die Abschaffung des Parteienpluralismus anstrebten.

Die Christlich-soziale Partei (CSP) war eine christlich-konservative und antisemitische Partei im deutschen Kaiserreich und wurde am 5. Januar 1878, zwei Tage nach den Vorgängen in der Eiskeller-Versammlung (einem am 3. Januar 1878 missglückten ersten Versuch des Hofpredigers Adolf Stoecker, eine Christlich-Soziale Arbeiterpartei als Alternative zur Sozialdemokratie zu gründen) von Adolf Stoecker in Berlin als Christlichsoziale Arbeiterpartei (CSAP) in einem kleinen Kreis von Anhängern unter Ausschluss der Öffentlichkeit gegründet.

Aus Wikipedia:

„…Sie „sollte nach Stoeckers Gründungszielen die große politische und sozialpolitische Alternative zur Sozialdemokratie werden“ (Brakelmann). Nach der Wahlschlappe am 30. Juli 1878 (insgesamt 2310 Stimmen, davon 1422 aus Berlin) zog die Partei die Konsequenz und wendete sich seit 1881 dem konservativen Kleinbürgertum zu und benannte sich fortan als „christlichsoziale Partei“.

Stoecker gelang es zu Anfang 1878, die öffentliche Aufmerksamkeit dadurch zu erregen, dass er den sozialdemokratischen Agitatoren in ihren Versammlungen kräftig entgegentrat. Ermutigt durch vielseitigen Beifall entschloss er sich, eine „christlich-sociale“ Arbeiterpartei zu gründen. Sie vertrat vor allem christlich-nationale und sowohl antisozialistische als auch antikapitalistische Thesen. Die Partei hatte als Programm:

Gründung obligatorischer Fachgenossenschaften
Regelung des Lehrlingswesens
Gewerbliche Schiedsgerichte
Obligatorische Witwen- und Waisen-, Invaliditäts- und Alterversorgungskassen
Normalarbeitstag
Fabrikgesetze
Wiederherstellung der Wuchergesetze
Progressive Einkommen- und Erbschaftssteuern

Dieses Programm erregte Widerstand bei konservativen Sozialpolitikern und der unmittelbare Erfolg auf die Sozialdemokratie blieb sehr gering.

Die Partei richtete sich neu aus auf die unteren Mittelschichten und schloss sich der antisemitischen Bewegung an. Das verbindende Element der widersprüchlichen Programmmischung war nun ihr Antisemitismus: Linksliberale und Sozialisten bezeichnete sie als „verjudet“, so wie ihr Antipode, die Eigentümer der großen Kapitalien, „verjudet“ seien. Ein weltverschwörerisch agierendes „internationales Judentum“ plane die Vernichtung u. a. des „deutschen Volkes“ (zu dem die Christlich-Sozialen die jüdischen Deutschen nicht rechneten). Die CSP schloss sich zunächst der Deutsch-Konservativen Partei (DKP) an. Auf deren „Tivoli-Parteitag“ 1892 gelang es den Antisemiten in der DKP unter christlich-sozialer Führung, den Antisemitismus im Parteiprogramm zu verankern. An den antisemitischen Kampagnen der 1880er und 1890er Jahre beteiligten sich die Christlich-Sozialen mit hohem Einsatz. Zu den bevorzugten Themen gehörten Ritualmordanklagen gegen die jüdische Minderheit, die sie in ihren Parteizeitungen und in anderen Schriften umfangreich verbreiteten.

Nach der durch Skandale ihres Führers Adolf Stoecker bewirkten erzwungenen Trennung von der DKP 1896 gingen die Christlich-Sozialen – nun wieder als CSP – Bündnisse mit anderen antisemitischen Zusammenschlüssen wie dem Bund der Landwirte und der Deutschsozialen Partei ein.

Der Gegensatz, der sich innerhalb der inzwischen auf ganz Deutschland ausgedehnten Partei selbst zwischen der stoeckerschen Richtung und einer jüngeren, den Sozialismus schärfer betonenden der Pfarrer Friedrich Naumann und Paul Göhre gebildet hatte, führte auf dem Parteitag in Eisenach (1895) zu einer Trennung in zwei Gruppen, aber zu keiner grundsätzlichen Scheidung. Dagegen stieß die konservative Parteileitung Ende 1895 die Naumannsche, um das Blatt „Die Hilfe“ gruppierte Richtung entschieden von sich ab, worauf diese den Nationalsozialen Verein (NSV) gründete, eine Partei im Deutschen Kaiserreich. Er wurde 1896 von Friedrich Naumann gegründet und verband nationalistische, sozialreformerische und liberale Ziele. Nach der Reichstagswahl von 1903 löste er sich auf.

Die meisten Mitglieder der CSP, so auch der Reichstagsabgeordnete Reinhard Mumm, der nach Stoeckers Tod dessen Wahlkreis übernommen hatte, schlossen sich 1918 der neu gegründeten Deutschnationalen Volkspartei an, verließen sie aber um 1929 wegen der antisozialen Politik Alfred Hugenbergs wieder und schlossen sich dem Christlich-Sozialen Volksdienst an, einer protestantisch-konservativen Partei in der Weimarer Republik.

Über das Leben von Adolf Stoecker schreibt Wikipedia:

„…Adolf Stoecker wurde als zweites von vier Kindern des Wachtmeisters und vormaligen Schmieds Johann Christian Stoecker in kleinbürgerlichen Verhältnissen in Halberstadt geboren. Nach dem Abitur am Halberstädter Domgymnasium studierte er in Halle und Berlin Theologie. (…)1859 schloss er sein Studium mit dem theologischen und dem Oberlehrerexamen ab. Anschließend war er bis 1862 als Hauslehrer bei zwei adligen Familien in Zernickow in der Neumark und im kurländischen Rindseln tätig. 1862 reiste er über Deutschland und die Schweiz nach Italien, interessierte sich dabei für protestantische Bewegungen wie die Waldenser und besuchte den Vatikan.

Im Jahr 1863 wurde Stoecker Pfarrer in Seggerde (Altmark). 1867 wurde er vom Konsistorium in den Industrieort Hamersleben bei Magdeburg versetzt. Im selben Jahr heiratete er Anna Krüger, Tochter eines Brandenburger Kommerzienrats. In seiner Pfarrertätigkeit vertrat er eine schlichte Theologie, die er mit der angenommenen Simplizität seiner Adressaten begründete. „Nicht um neue, originelle Gedanken“ gehe es ihm, die würden seine Zuhörer nicht begreifen, sondern um „die alten einfachen Wahrheiten“. „Ein fröhliches Christentum“ sei sein „Ideal“, nämlich im Sinne von „freut euch, der Herr ist nahe“.

1871 musste Stoecker seine Pfarrstelle in Hamersleben verlassen. Die Gemeinde hatte sich einem von ihm aus sittlich-moralischen Gründen verhängten Verbot einer Tanzveranstaltung widersetzt. Unhaltbar geworden bat er um seine Versetzung. Noch im selben Jahr konnte er als Divisionspfarrer nach Metz in Elsaß-Lothringen gehen, das dem kurz zuvor begründeten Deutschen Reich einverleibt worden war. Sein Wirkungsfeld waren die preußischen Soldaten der Festung Metz, von den eingesessenen Metzern sah er sich als von „Deutschfeinden“ umgeben.

Am 17. Oktober 1874 trat Stoecker eine Stelle als vierter Hof- und Domprediger in Berlin an. Bei Hofe war man aufgrund seiner kaisertreuen und nationalistischen Artikel in der „Neuen Evangelischen Kirchenzeitung“ auf ihn aufmerksam geworden, die religiöse Mary von Waldersee hatte zusätzlich für ihn geworben. Im selben Jahr wurde er Mitglied des Generalsynodalvorstands der altpreußischen Landeskirche.

Im Jahr 1877 übernahm Stoecker die Leitung der Berliner Stadtmission. Aus der Stadtmission entwickelte sich eine Diakonie, die sich der Kranken, Behinderten und sozial benachteiligten Gruppen annahm. Von ihm verfasste und vervielfältigte „Pfennigpredigten“ erreichten zeitweise eine hohe Auflage. 1883 wurde er zum zweiten Hof- und Domprediger ernannt und 1887 Herausgeber der „Deutschen evangelischen Kirchenzeitung“.

1890 wurde er aufgrund seiner parallelen und umstrittenen politischen Aktivitäten als Hofprediger abberufen. Im selben Jahr gründete er den Evangelisch-sozialen Kongress. Auch liberale Intellektuelle wie zum Beispiel Friedrich Naumann und Adolf von Harnack oder Otto Baumgarten gehörten ihm an.

Nachdem liberale Theologen den Evangelisch-sozialen Kongress dominierten, trat Stoecker, der den Liberalismus bekämpfte, 1896 wieder aus und gründete mit einigen Gleichgesinnten die Freie kirchlich-soziale Konferenz. Die Mitglieder dieser Vereinigung „gehörten ausschließlich der kirchlichen Rechten an“.

Im Jahr 1878 gründete sich wesentlich auf Stoeckers Initiative die „Christlich-Soziale Arbeiterpartei“. 1881 wurde sie in „Christlich-Soziale Partei“ umbenannt. Im Gründungsjahr verabschiedete der Reichstag die sogenannten Sozialistengesetze (1878–1890). Sie verschärften die Repression gegen die zur Massenpartei aufsteigende Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) und gegen andere sozialistische Zusammenschlüsse.

Ziel der CSAP war es, auf die Arbeiterschaft, soziale Basis der sozialistischen Bewegung („Sozialdemokratie“), einzuwirken, um sie ihren originären, nun von Illegalisierung bedrohten politischen Repräsentanten zu entfremden.

Nach dem Scheitern ihrer Strategie bei der Reichstagswahl 1878 wandten die Christlich-Sozialen sich als nur mehr Christlich-Soziale Partei von der Arbeiterschaft ab und orientierten sich mit antisemitischer Propaganda auf die Mittelschichten. Sie gaben ihre parteipolitische Selbstständigkeit auf und gliederten sich in die Deutschkonservative Partei (DKP) ein. Wahlpolitisch blieben sie eine Splittergröße. Stoecker blieb bis nach der Jahrhundertwende ihr einziger Reichstagsabgeordneter. Von 1879 bis 1898 war er Abgeordneter für Minden-Ravensberg im Preußischen Abgeordnetenhaus. Von 1881 bis 1893 und von 1898 bis 1908 repräsentierte er den Wahlkreis Siegen-Wittgenstein-Biedenkopf im Reichstag, bis 1896 als Vertreter der Deutschkonservativen Partei. Hier wurde er entgegen den wahlpolitischen Misserfolgen seiner Bewegung wie seiner Person im übrigen Reich regelmäßig mit ungewöhnlich großen Mehrheiten gewählt (1887 in den Hauptwahlen, also vor der Stichwahl: 77,9 %).

Im politischen Spektrum der Kaiserzeit bildeten die Christlich-Sozialen während ihrer Zugehörigkeit zur Deutschkonservativen Partei den „äußersten rechten Flügel“. Stoecker verfasste zu dieser Zeit auch Artikel in der „Kreuzzeitung“ und war eng mit dem konservativen Politiker und Chefredakteur dieser Zeitung, Wilhelm Joachim von Hammerstein, in persönlicher Freundschaft verbunden. Zwischen 1887 und 1888 geriet Stoecker immer stärker in Widerspruch zur Politik von Reichskanzler Otto von Bismarck. Er hatte jedoch starken Einfluss auf Prinz Wilhelm, den späteren Kaiser Wilhelm II., den er gegen Bismarck einzunehmen versuchte. Der „Vorwärts“, das Zentralorgan der SAP, wies mit der Veröffentlichung eines als „Scheiterhaufenbrief“ bezeichneten Dokuments nach, dass Stoecker gegen Bismarck intrigierte.

Nach Bismarcks Entlassung durch Wilhelm II. gewann Stoecker bei den Deutschkonservativen wieder an Einfluss. Auf deren „Tivoli-Parteitag“ 1892 gelang es den Antisemiten in der DKP unter seiner Führung, den Antisemitismus im Parteiprogramm zu verankern. Als nach den Reichstagswahlen von 1893, die der sozialistischen Linken trotz deren Verbot einen großen Erfolg gebracht hatte, die Deutschkonservativen die Beseitigung des allgemeinen Wahlrechts diskutierten, unterstützte Stoecker – nicht in den Reichstag gewählt – diese Position. Er habe das demokratische Wahlrecht immer schon abschaffen wollen.

1896 musste Stoecker die DKP verlassen. Anlass dafür waren skandalöse Vorgänge, in die er sich verstrickt hatte. Seinem Freund von Hammerstein wurden schwere Unterschlagungen, Scheckfälschungen und sittlich-moralische Verfehlungen nachgewiesen, die zur nach außen gezeigten tiefen Christlichkeit seines Lebenswandels in scharfem Widerspruch standen. Stoecker hatte den Angegriffenen gedeckt. Auch seine Intrigen gegen Bismarck wurden ihm vorgehalten. Nach dem Hinauswurf Stoeckers aus der DKP trat seine Bewegung erneut als Christlich-Soziale Partei an. Sie ging nun enge Allianzen mit anderen ebenfalls dezidiert antisemitischen Parteien und Vereinigungen ein.

Adolf Stoecker starb am 2. Februar 1909 im Alter von 73 Jahren in Gries bei Bozen im heutigen Südtirol. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof II der Dreifaltigkeitsgemeinde an der Bergmannstraße in Berlin-Kreuzberg (Feld J).

Das stoeckersche Programm und der Antisemitismus

Die Christlich-Sozialen, die Stoecker anführte, verbanden programmatisch Altes mit Neuem.

Sie bekämpften die als „französisch“ diffamierten Ideen der Aufklärung und verbreiteten eine nationalistische christlich-deutsche Heilslehre. Die Demokratisierung und Säkularisierung der politischen Strukturen lehnten sie ab. Das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht war in ihren Augen eine schädliche Gleichmacherei, die Trennung von Staat und Kirche hielten sie für verderblich.

Sie forderten den autoritären Ständestaat als christlichen Gottesstaat.

Sie befürworteten eine paternalistische Unternehmensverfassung und „Sozialreformen“ aus der Hand der Unternehmer und der kaiserlichen Regierung.

Sie waren chauvinistisch, verherrlichten das Militär und unterstützten eine imperialistische Kolonialpolitik.

Zugleich brachten sie drei neue Momente in das rechte politische Lager ein.

Zum einen als neue Politikform die populistische „Bewegung“, mit der sie auf das allgemeine Verlangen nach demokratischer Teilhabe reagierten und ihre parlamentarischen Aktivitäten außerparlamentarisch unterstützten.

Zum zweiten eine antikapitalistische Phraseologie.

Das verbindende Element war der Antisemitismus: Ob „Großkapital“ oder sozialistische Linke, die Gegner waren „verjudet“. Im christlich-sozialen Weltbild standen Juden und „Judenfreunde“ für alle Spielarten des Sozialismus, für den Linksliberalismus, den Kapitalismus, den Materialismus, den Atheismus. Sie alle seien Ausdrucksformen und Hervorbringungen des „internationalen Judentums“, das verschwörerisch die Unterwanderung und Vernichtung des „deutschen Volks“ – zu dem sie deutsche Juden nicht rechneten – plane.

In diesem Sinn betrachtete Stoecker sich als „Begründer“ und „Vater der antisemitischen Bewegung“. Er erhob „als erster den Antisemitismus zum zentralen Credo einer modernen politischen Partei“. Der Antisemitismus war und blieb sein „fundamental-zentrales“ Leitthema. Er war „ein integraler Bestandteil seines gesamten Denkens und seines öffentlichen Redens … Der Antisemitismus strukturierte und vitalisierte alles, was er sagte, schrieb und tat.“

Stoecker war einer der Erstunterzeichner der „Antisemitenpetition“ prominenter Judengegner. Sie denunzierte die Angehörigen der Minderheit als kollektive „Gefahr für unser Volksthum“. Sie verlangte unter anderem die Erfassung des jüdischen Bevölkerungsteils, den Ausschluss der jüdischen Deutschen aus allen obrigkeitlichen Funktionen und dem Lehramt der Volksschulen, ihre nur eingeschränkte Verwendung in den weiterführenden Schulen und der Justiz sowie ein Verbot der jüdischen Zuwanderung. In diesem Sinne vertrat Stoecker die Christlich-Sozialen 1882 auf dem Internationalen Antisemitenkongreß in Dresden.

Da Stoecker der Ruf anhing, ein Tumulte auslösender Hetzer zu sein, bemühte er sich in öffentlichen Auftritten vor einem gediegenen Publikum um den Anschein der Seriosität, Konzilianz und Besonnenheit. Daraus ergaben sich immer wieder Lügen. Seine Unterschrift unter die Antisemitenpetition bietet ein anschauliches Beispiel. 1881 antwortete er im Preußischen Landtag auf die Frage „Haben Sie unterschrieben?“ mit „Nein“, woraufhin ihm seine Unterschrift vorgehalten wurde.

Gelegentlich distanzierte Stoecker sich vom Rassenantisemitismus. Andererseits zeigten er und seine Christlich-Sozialen sich solidarisch selbst mit Hermann Ahlwardt, dem wüstesten und zwielichtigsten Vertreter des „Radauantisemitismus“. Stoecker unterstützte Ahlwardt, der in ständiger Geldnot war und wegen Unterschlagung einer Schülerkasse aus dem Schuldienst entlassen worden war, auch finanziell. Der in der wilhelminischen Gesellschaft allgemein verbreitete Antisemitismus ging Stoecker nicht weit genug. Er versuchte, ihn zu radikalisieren. So betrachteten er und seine Christlich-Sozialen den deutschkonservativen „Tivoli-Parteitag“ zwar als einen antisemitischen Erfolg, zumal es ihnen gelungen war, eine Verurteilung der „Ausschreitungen des Antisemitismus“ zu verhindern, kritisierten aber doch zugleich die „großen Unklarheiten in bezug auf die Judenfrage“ vieler Deutschkonservativer.

Stoeckers antisemitische Aussagen schillerten zwischen einem traditionellen christlichen Antijudaismus und modernen ökonomisch, völkisch und rassisch begründeten Varianten, was ihre Anschlussfähigkeit erhöhte. Er trug maßgeblich zur Verbreitung des Antisemitismus in Politik, Kirche und Gesellschaft, vornehmlich aber im Protestantismus und in den konservativen Parteien bei. Er brüstete sich damit, „die Judenfrage aus dem literarischen Gebiet in die Volksversammlungen und damit in die politische Praxis eingeführt“ zu haben.

Rezeption, Erinnerungskultur

Die völkische Rechte und mit ihr die Nationalsozialisten rezipierten Adolf Stoecker als ihren Vorläufer und Wegbereiter. Durchweg positiv aufgenommen wurde er auch innerhalb des Weimarer Protestantismus. 1928 erschien eine erste umfassende, sich als einflussreich erweisende Biographie durch den Historiker Walter Frank (Hofprediger Adolf Stoecker und die christlichsoziale Bewegung). Sie war, so Frank, „aus dem Erlebnis der nationalsozialistischen Bewegung“ und der „Persönlichkeit“ Adolf Hitlers hervorgegangen, dem er „in herzlicher Verehrung“ seine Arbeit überbrachte. Frank sah in Stoecker wie in Hitler in gleicher Weise „Retter des Vaterlandes“. 1935 erschien eine zweite inhaltlich unveränderte Auflage des inzwischen zum Referenten der NSDAP für Fragen des historischen Schrifttums im Stab von Rudolf Heß aufgestiegenen Verfassers. 1933 erschien eine Schrift des universitären Theologen Paul Le Seur über Stoecker als den „Propheten des Dritten Reiches“. „In das große Neuwerden, das unter Gottes Führung durch Adolf Hitler … ward“, sei doch „etliches aus Stoeckers Wort“ mit eingebracht. Ebenfalls 1935 erschien in einem protestantischen Verlag eine positive Würdigung Stoeckers durch den christlich-sozialen Theologen Friedrich Brunstäd.

Auch nach dem Ende des Nationalsozialismus verließ die bundesdeutsche Rezeption diese grundsätzlich affirmative Linie nicht. Die Autoren lobten nun nicht weiter den stoeckerschen Antisemitismus, sie unterschlugen, relativierten und reduzierten ihn. Er sei nur „opportunistisch“ und von „sozial- und kirchenpolitischen Erwägungen“ motiviert gewesen. Durchgängig positive Zuwendung erfuhr Stoecker von Autoren aus dem Siegerland. Es gehe nicht an, Stoecker als einen Wegbereiter des Nationalsozialismus hinzustellen. Ein „extremer“ Antisemit sei er so wenig gewesen wie ein Nationalist. Ihm sei es um „deutsches Volkstum und deutsche Sitte“ und um Christlichkeit zu tun gewesen. Eine Aufzählung von Verdiensten und Würdigungen stellt der Artikel im populären „Siegerländer Persönlichkeiten- und Geschlechter-Lexikon“ dar, dessen Verfasser Lothar Irle bekennender Antisemit, aktiver Nationalsozialist und führender Heimatchronist war. Bis heute gibt es im Hauptort seines Wahlkreises Siegen-Wittgenstein-Biedenkopf eine nach ihm benannte Straße. Bereits 1947 gab es einen Vorschlag der britischen Militärregierung, die nach einem „berüchtigten Judenhetzer“ benannte Straße umzubenennen. CDU und FDP lehnten gegen die Minderheit aus SPD und KPD ab. Ernst Bach als Sprecher der CDU erklärte Stoecker posthum zu einem potentiellen Retter vor dem Nationalsozialismus. Alle Bemühungen einer Entfernung des Straßennamens blieben bis in die jüngste Zeit erfolglos. Sein 1969 mit Einführung des Evangelischen Namenkalenders eingerichteter Gedenktag am 7. Februar wurde erst mit Wirkung ab dem Kirchenjahr 2013/2014 abgeschafft. Der Kalender wurde bewusst als revidierbar konzipiert. In diesem allerdings vergleichsweise wenig bekannten Verzeichnis stand Stoecker einige Zeit neben zahlreichen kirchlichen Gegnern und Opfern des Nationalsozialismus. Der Vorstand der Liturgischen Konferenz hat auf Antrag der Synode der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland schließlich entschieden, Adolf Stoecker nicht mehr im Namenkalender zu führen. Die Großstädte Bielefeld, Bochum und Mülheim an der Ruhr haben ihre Stoecker-Straßen 1987, 2007 bzw. 2012 umbenannt. Die evangelische Kirche betreibt in Duisburg eine Pflegeeinrichtung mit seinem Namen. In Brieselang (Landkreis Havelland in Brandenburg) ist bis zum heutigen Tage eine Straße nach Adolf Stoecker benannt, zuletzt berichtete der Brieselanger Kurier darüber kritisch im November 2003. In Hille-Eickhorst (Nordrhein-Westfalen) führte eine fünfeinhalbjährige, öffentliche Diskussion zwischen dem „Arbeitskreis Antisemitismus“ und Vertretern der evangelischen Kirche zur Umbenennung des Eickhorster Gemeindehauses. Dieses wurde 2007 von „Adolf-Stoecker-Haus“ in „Ev. Gemeindehaus Eickhorst“ umbenannt. Im Zusammenhang mit der Berliner Stadtmission, an deren Gründung Adolf Stoecker beteiligt war, berichtet auch diese Einrichtung selbst unkritisch über Adolf Stoecker und es findet sich keine historisch-kritische Aufarbeitung. Stoecker wird auf der Homepage als Gründungsvater erwähnt, ohne dass zu seiner Person weitere Hinweise oder Anmerkungen gegeben werden.

Entgegengesetzt die Schlussfolgerungen nichtdeutscher oder aus Deutschland geflüchteter Sozialwissenschaftler: Hier finden wir bereits in den 1950er Jahren eine historisch-kritische Sichtweise, wie sie seit den ausgehenden 1980er Jahren auch deutsche Kirchen- und Zeithistoriker einzunehmen begannen. Inzwischen hat sie sich durchgesetzt.

Der Historiker Hans-Ulrich Wehler kommt zu dem Schluss, Stoecker sei „Sprachrohr des Radauantisemitismus“ gewesen. Er „griff bedenkenlos jene bösartigen Klischees auf“, die dazu beitrugen, „die verhängnisvolle Entwicklung voranzutreiben, durch die der moderne Antisemitismus gesellschaftsfähig gemacht wurde“. „Wie skrupellos er das tat, enthüllen seine giftigen Tiraden gegen namentlich genannte Männer jüdischer Herkunft (…) und seine perfiden Sympathien für ein energisches Vorgehen gegen jüdische Deutsche“. Stoecker repräsentiere eine „Politik der Gosse“.

Damit verständlich wird, auf welchem Niveau der Hofprediger stand, hier eine seiner Reden.