Zum Tode von Klabund

Zum Geleit

Alles, was geschieht,
ist nur Leid und Lieb.
Gott spielt auf der Harfe Trost sich zu
Welle fällt uns steigt.
Ach, wie bald schon neigt
Sich dein Haupt im Tod. Dann lächle Du

Im Frühjahr 1912 kam ein junger Student, der unter meinem Schutze bei einer norddeutschen Zeitung volontierte (er hieß K. F. Städter und ist heute als Schriftleiter bei der „Magdeburger Zeitung“ tätig), legte mir ein paar Gedichte auf den Tisch und wollte wissen, ob etwas daran sei; wenn ja, möchte ich sie doch aufnehmen; sie stammten von seinem Freunde Alfred Henschke, der in Leipzig mit ihm studiert habe und mit dem elterlichen Zuschuss nicht auskommen könne. Ich konnte meinem lieben Mitarbeiter sagen, dass an den Gedichten wirklich „etwas sei“ und am anderen Morgen standen an der Spitze  meines Feuilletons drei kurze, aber ernste Strophen: „Die Uhr“. Es war das erste Gedicht von Alfred Henschke, das gedruckt wurde. Ein halbes Jahr später erschienen in der Berliner Zeitschrift „Pan“, die Alfred kerr redigierte, zwei Seiten Verse von einem gewissen Klabund und eine Anmerkung besagte, dass es sich um die ersten Talentproben eines gewissen Alfred Henschke handle. Damit war der Dichter für die größere Öffentlichkeit „entdeckt“, die allerdings kräftig den Kopf schüttelte; denn diese Gedichte dokumentierten ihren Verfasser  als einen Bohemien, der allem Anschein nach durch die frivole Frechheit seiner sprachlichen Register auffallen wollte. Man hätte auch an einen Studentenulk glauben können. … Immerhin,: Der Name Klabund war plötzlich in die Literatur eingezogen; es kam darauf an, die gewonnene Position zu halten – zu verbessern …

Heute dürfen wir wohl ein abschließendes Urteil über Klabund wagen, obgleich Alfred Henschke nur 38 Jahre alt geworden ist. (er war am 4. November 1890 in Crossen a. d. Oder geboren) Der schwarze Vogel, der Kranken in der Todesstunde zu erscheinen pflegt, hat sich dem Dichter früher als andern gezeigt und es gibt kaum einen anderen Lyriker, unserer Zeit, der soviel über den Tod philosophiert hat, wie Klabund. Der Wedekindsche Spott, der dem jungen Studenten imponiert hatte, verlor sich in den letzten Jahren mehr und mehr und ließ wieder die zarten, melodischen Töne durch, die das Buch „Irene“ adeln, mit dem er  seiner ersten Frau ein ergreifendes Grabmal setzte. Seit jenem schweren Abschied kam immer wieder jene Allerseelenstimmung über ihn, von der nur die Eingeweihten etwa wußten oder ahnten. Da war er wie sinkendes Laub und wie klagender Wind, da hörte er nur Regen ohne Ende und saß auf Gräbern zwischen alten Urnen und stöhnte auf:  „Wer du auch seist; der du hier unter dem Moose liegst; du bist mein Freund! … Der ich armselig durch die Oktobernacht des Daseins taumle, dunkel und frierend und der Ungewissheit des Lebens und der Gewissheit des Sterbens; ich bin weniger als du, mein toter Kamerad und nur wie eine blaue Blume auf deinem Grabe. Meine Hoffnung ist nur eine Hoffnung des Schmerzes und mein Glaube nur ein Glaube aller Seelen.“ Dann wieder erschien ihm das Dasein ein schwankendes Boot:

„Ein leeres Boot treibt über den Teich.
Wasserrosen suche umsonst es zu halten.
Geschwellt von ozeanischem Gefühl –
Stößt es am andern Ufer auf Sand“

Nicht jedes Werk, dass Klabund mir schickte, hatte so reinen Klang und selbst der Vorwurf des groben Plagiats konnte von Klabund nicht entkräftet werden. Das klingt wohl hart, in einem Nekrolog, aber auch Abschiedsworte verlieren ihren Sinn, wenn sie auf das Niveau schöner Redensarten herabsinken oder Werte fälschen. Er war ein späterer kleinerer Bruder Wedekinds und seine Blicke folgten gern den grau zerlumpten Strolchen und Dirnen auf der Landstraße des Lebens, um dann wieder den glühenden Wolken zuzuschnellen, die über Dann zuckte seinen weißen Bergen lagen. Seine Nächte waren fieberschwer, wenn er aus rauchigen Cafes mit schwankendem Schritt nach Hause gefunden hatte. Denn seine Brust verbrannte bei jedem Licht und wenn er, bleicher und bleicher werdend, schlaflos auf seinem Lager saß und seinen Herzschlag dröhnen hörte, erschienen die Geister bei ihm zu Gast die seine Romane „Mohammed“, „Moreau“, „Pjotr“ und Bracke durchrasen. Dann zuckte sein Herz in den Nachdichtungen aus China, das narkotische Träume ihm zur zweiten Heimat machten; Er selber war wie ein berauschter Gong. Immer saß das Leid oder die Liebe um ihn; nur die Menschen waren weit und das Grab so nah!

Mit dem Kreidekreis gewann er hundert Bühnen in einem Jahr; aber es war trotz der vortrefflichen Elisabeth Bergner und Carola Neher (seiner zweiten Frau) ein kurzer Ruhn, der ihm überdies nur halb gehörte; und die anderen Dramen „XYZ“, „Brennende Erde“ und „Die Nachtwandler“, die (neben dem Kreidekreis) auch im  Mannheimer Nationaltheater zur Aufführung gelangten, konnten keinen rechten Platz auf den Brettern gewinnen. So kehrte er in den letzten Monden, die es sah, zu seiner Lyrik und sich selbst zurück. 1928 gab er bei Fritz Heyder in Berlin sein Klabund-Lesebuch heraus, dass nahezu alles Gute enthält, dass seine schnelle Feder schrieb. Die besten Stücke aus der „Himmelsleiter“, „Harfenjule“ und dem „Dreiklang“ dem „Feueranbeter“ und „Li-Tai-Pe“ sind darin enthalten. Seinen Gedichten (im Spaeth-Verlag) hatte er das  Motto vorausgeschickt:

Woher?
Vom Meer.
Wohin?
Zum Sinn.
Wozu?
Zur Ruh.
Warum?
Bin stumm.

Fritz Droop