Zeitschrift für Literatur „Kaktus Heidelbergensis“

Klabund – Damenkupee

Todmüde von einer langen Segelpartie, die bei ausgespro­chener Flaute (es gibt nicht nur an der Börse Flauten) sanft und feierlich wie das Begräbnis weiland König Ha­ralds auf hoher See vonstatten ging, nach einer anschlie­ßenden Diskussion über die grandes cosas, die großen Din­ge, die wesentlich stürmischer verlief: zum Umfallen müde taumelte ich in Starnberg in den letzten Zug nach Mün­chen.

Ich stolperte über ein paar gewaltige Wasserstiefel — und fand mich zu meinem Erstaunen in einem Damenkupee wieder. Ein älterer Bubikopf, der in einer Windjacke steck­te, fuhr mich zischend wie eine Viper an: „Das ist ein Damenkupee!“ Ich riß die Augen auf. Am Fenster hing in der Tat ein Schild „Frauen“, das ich beim Einsteigen über­sehen hatte.

Als ich den Blick jetzt wieder zu der Dame in Windjacke und Wasserstiefeln wandte, bemerkte ich einen Hund, der neben ihr fein säuberlich auf einer Zeitung saß und die Inserate, Saisonverkäufe betreffend, zu lesen schien. Trau­rig las er, daß dort auch herzlose Herrchen und Frauchen ihre Hündchen mit 50% Ermäßigung zum Kauf anboten. Ach, nicht nur Bankbeamte, auch Terriers, Rehpinscher und Windhunde wurden abgebaut.

Der Hund sah plötzlich mit einem schiefen Blick zu mir empor.

„Verlassen Sie sofort das Kupee oder ich rufe den Schaff­ner“, ließ sich der Bubikopf vernehmen. Ich sah den Hund und der Hund sah mich an. „Geh doch, sei gescheit!“ sagte der Hundeblick, „was hast du hier verloren? Ich bin ja leider an dieses unfreundliche Geschöpf im wahrsten Sinne des Wortes gebunden: sieh hier die Leine! Wie gerne diente ich einer anmutigeren Herrin! Glaube mir, was wir zwei an Seele haben, das besitze ich. sie ist blöde, geld- und herrschsüchtig. Sie will nur ihre Macht an Dir versuchen. Sei der Klügere, gib nach!“ Recht hast du, weiser Hund! dachte ich, grüßte ihn höflich zum Abschied und kletterte das Trittbrett hinunter, als der Schaffner erschien.

Die Dame schrie noch einmal: „Hier ist Damenkupee!“ wohl ich schon halb draußen war. „Hier ist Damenkupee!“ bestätigte der Schaffner. Da sah er den gar nicht sehr kleinen Hund auf der Zeitung. „Aber kein Hundekupee!“ fügte er hinzu. „Sie müssen in das Kupee für Reisende mit Hunden“ … Die Dame war sprachlos. Jetzt schritten Gesetz und Macht auch über sie hinweg.

„Hören Sie, Schaffner“, mischte ich mich höflich in die Unterhaltung, „die Dame scheint mir im Recht zu sein. Sehen Sie, auch der Hund ist eine Dame. Er ist eine Hün­din. Die Dame ist zu zweit.“

Der Schaffner lächelte zustimmend und schloß die Kupeetür. Der Zug fuhr an, und ich sprang auf einen Wagen, der mit Wandervögeln besetzt war. Sie sangen das schöne Lied von Maruschka, dem Polenkind:

„Nimm hin, du schmucker Kavalier,
Den ersten Kuß von mir.
Vergiß Maruschka nicht,
Das Polenkind …“

Ich schlief ein, übermüdet wie ich war. Im Traum erschien mir der Hund aus dem Damenkupee. Er saß, groß wie ein Mensch, in Windjacke und Wasserstiefeln da, während sei­ne Herrin ganz klein und häßlich neben ihm auf einem Zeitungsblatt hockte. Sie las den Inseratenteil und bemerk­te zu ihrem Entsetzen, daß sie dort mit 50 Prozent Preis­nachlaß zum Kauf angeboten war.

(aus: Kaktus Heidelbergensis 1, 1925)

Zeitschrift „Kaktus Heidelbergensis“

… war eine unpolitische Monatsschrift für literarische, kulturelle und wirtschaftliche Angelegenheiten, für Theater-, Konzert-, Film- und Sport­fragen, für Humor, Witz und Satire. Im Untertitel heißt es: „Der Bürgerschaft, der Universität und allen Freunden Heidelbergs“

Die Zeitschrift erschien monatlich in Heidelberg. Beiträge schrieben neben Klabund auch Klaus Mann, Lina Staab und Siegfried von Vegesack