Zeitschrift „Die Weltbühne“

Klabund – Anmerkungen

Zustand! entrüstete sich früher der Berliner, da hatte er noch nicht mit dem Kriegszustand gerechnet.

Das Ruhrgebiet hat sich von Westfalen nach und nach über ganz Europa ausgedehnt.

Die Bolschewiki beweisen, daß der Glaube Zwerge ver­setzen kann.

Tirpitz belegte neulich auf einer Reise ein ganzes Coupe erster Klasse für sich. Als der Andrang des Publikums zweiter Klasse sich der leeren Plätze bemächtigte, äußer­te er sich sehr indigniert über den Klassenkampf.

Maikäfer flieg, der Sozi ist im Krieg, der Vater ist in Pom­merland, Pommerland verzinst sich mit 700 Prozent.

Amerikanischer Pazifismus: eine sonderbare Art, den ewi­gen Frieden herbeizuführen, indem man den ewigen Krieg propagiert.

Ich bin ein Preuße, kennt Ihr meine Farben? Schwerlich. Früher waren es deren zwei: schwarz und weiß. Aber un­ter dem Druck des Krieges habe ich die Fähigkeit gelernt, in allen Regenbogenfarben zu schillern.

Wenn der bayrische Löwe brüllt, hört jeder sofort heraus, daß er ein harmloses Kinderspielzeug ist und nur so lange brüllt – wie er von den Preußen aufgezogen wird.

Expressionismus: die Kunst derer, die expreß Ionier sein wollen. Oder, wie ein alter Philosophieprofessor in Mar­burg immer sagte: Wir sind Griechen, meine Herren, nicht wahr? wir sind Griechen.

Als derselbe Professor einst in Dresden einen Gastvortrag hielt und wieder mit seiner klassischen Formel: Wir Grie­chen! begann – da schrien die Sachsen: Das ist uns nichts Neues, das tun wir von jeher! denn sie hatten in ihrem heimatlichen Idiom verstanden: Wir kriechen …*

Der Schlachtschrei der Imperialisten diesseits und jen­seits:

Prolet — arier aller Länder, vereinigt Euch!

(aus: Die Weltbühne 14/2, 1918)

Klabund – Die Weltgeschichte ist das Weltgericht

Sarah Bernhard war eine gebürtige Berlinerin. Ihr Vater hieß Eduard, doch wollen wir dem greisen, geschätzten Nationalökonomen gleichen Namens, dessen strenge Grundsätze uns bekannt sind, damit nicht zu nahe treten. Daß es gar nicht der Fall sein kann, selbst wenn es der Fall wäre, geht schon daraus hervor, daß Sarah Bernhard älter selbst als ihr Vater war. Sie hat gleichzeitig mit ihrem Urgroßvater das achtzigste Lebensjahr erreicht. Daß alles Große in der Welt ausschließlich aus Deutschland kommt, sehen wir wieder an ihrem Beispiel. Es wäre ein Irrtum, anzunehmen, Christus sei Jude gewesen. Diese unwahre Tendenzmeldung, die den Stempel der Lüge schon an der Stirn trägt, ist von interessierter jüdischer Seite geflissent¬lich verbreitet worden. Christus hieß Krischan und war seinerzeit .als Hilfs-Melker in einer ostpreußischen Mol¬kerei Stallupönens angestellt. Wir verdanken diese licht¬volle Entdeckung, die auf gewisse Zeiterscheinungen einen grellen Schlagschatten wirft, dem bekannten Rassen¬forscher und Antisemiten Lizentiat Kohn, dessen Name auf immerdar im Walhall deutscher Geister leuchten wird, wenn diese Erde längst ein Staub der Asche geworden. Der Sammelruf Kohns zur deutschen Einheitsfront darf nicht ungehört verhallen. Front gemacht heißt es wider welsche und mosaische Verdrehungskünste. Lizentiat Kohns gediegene Schrift betitelt sich: >Christus – Krisch-na — Krischan< und ist im Hakenkreuzverlag, Schlimm 1923, erschienen. Übrigens ist auch Madame Poincare eine Deutsche. Sie stammt aus dem in der bayrischen Ordnungszelle gelegenen Isardorf Wolfratshausen, das auch die Ehre aufweist, Geburtsstätte einer andern großen Frau zu sein: der Frau Kati Kobus, Begründerin der Münchner Künstlerkneipe >Simplizissimus<. Frau Poincare hieß ur¬sprünglich Moosbauer, sie wanderte nach Amerika aus, heiratete – das Volkslied singt von ihr:

Dort fand sie einen treuliebenden Gatten,
Bis sie genug von einander hatten.

Kein Glück währt immerdar hienieden.
Sie wurde in Paris geschieden.
Doch hat ihr Anwalt sie und Beirat
(Und das war Poincare) geheirat.

Es scheint, daß der Ruhreinfall der Franzosen, übrigens ein schlechter Einfall, eine Folge dieser unglückseligen Verbindung ist: denn Poincares Ehe ist eine unglückli­che. Poincare will sich diabolisch an dem Volk rächen, daß seine Gattin hervorgebracht. Millionen müssen lei­den, weil Poincare unglücklich verheiratet ist. Sollte man wohl am objektiven Sinn der Geschichte zweifeln? Man sollte. Der ganze Erdball wird bewegt. Und worum han­delt es sich? Um Mirzl Moosbauer aus Wolfratshausen.

(aus: Die Weltbühne 19/1, 1923)

Klabund – Als Deutscher in der Schweiz

Der Kohl von den „prassenden Deutschen“ in der Schweiz wird dadurch nicht genießbar, daß Herr Stresemann ihn von Lugano aufgewärmt mit nach Hause genommen und damit jene schon aus Kriegszeiten genügend bekannte „deutsche Propaganda“ getrieben hat: immer aufs falsche Pferd zu setzen. Ich las in einer französischen Zeitung, Herr Stresemann habe behauptet, 70 Prozent der Winter­kurgäste in der Schweiz seien Deutsche, die sich grade zu schamlos aufführten. (Man muß von ihnen abrücken, um das schweizerische Hilfswerk nicht zu sabotieren: so unge­fähr war wohl der Gedankengang des Herrn Stresemann.) Woher hat Herr Stresemann die Weisheit von 70 Prozent und den Prassern? Aus eigner Anschauung? Dann ist er zahlenblind. Ein einfacher Blick in die Kurlisten und die offizielle Fremdenstatistik hätte ihn belehrt, daß selbst in den von Deutschen bevorzugten Plätzen, wie Davos und Sankt Moritz, der Prozentsatz Deutscher kaum mehr als 20 Prozent beträgt. Ein ganz geringer Prozentsatz dieser Deutschen wiederum wohnt in den Luxushotels, die mei­sten frequentieren die einfachem Hotels und Pensionen, die – und das ist doch der Hauptgrund, weshalb viele Deut­sche ihre Erholung in der Schweiz suchen — erheblich billi­ger und in jeder Hinsicht besser geführt sind als die gleich­artigen Häuser in Garmisch oder Oberhof. Bin ich darum ein „Schlemmer“, weil ich lieber in Davos 10 Franken als in Partenkirchen 20 Goldmark zahle? Kann man es einem Deutschen übelnehmen, wenn er aufatmet, einmal aus der Kaserne Deutschland heraus und dem Befehlsbereich der Herren Seeckt, Hasse und Lossow für eine (ach, so kurze) Zeit entrückt zu sein? Auch um die Justizreformen des Herrn Emminger schlägt man gern einen Bogen. Ich möch­te weder als Schwer- noch als Leichtverbrecher in die Klau­en dieses bayrischen Löwen geraten. Der deutsche Mi­chel hat den Klotz am Bein (den Belagerungszustand). Herr Emminger hat ihm noch den Ring durch die Nase gezo­gen. Jetzt wird er sich trefflich leiten lassen.

Es mag einige deutsche Raffkes geben, die sich in der Schweiz übel aufführen: es gibt sie unter den andern Na­tionen auch. Im übrigen ist auch nicht jeder, der deutsch spricht, ein Reichsdeutscher. Und was Herr Schwabacher, wie er in Nummer 4 der „Weltbühne“ mitteilt, auf der Bahn­hofstraße von Zürich gesehen hat, das kann auch aus Wien, Riga oder Prag stammen. Was er da von den Saufgelagen „gehört“ hat, das rechnet in jene Kategorie Klatsch, der auch Herr Stresemann allzu leichtgläubig zum Opfer ge­fallen ist.

Als Deutscher in der Schweiz verwahre ich mich ganz en­ergisch gegen die generelle Verunglimpfung Deutscher im Ausland.

(aus: Die Weltbühne 20/1, 1924)

Klabund – Unsre Verleger

Zum Thema: Unsre Verleger ein paar Randbemerkungen. Eulenberg schoß in seiner Attacke wohl über das Ziel hin­aus. Es gibt sone und solche. Aber die gloriose Verteidi­gung des Verlegers überhaupt durch Herrn Fritz Th. Cohn (in Nummer 3 der „Weltbühne“) bedarf doch einer energi­schen Richtigstellung. Herr Cohn tut so, als könne man sich mit seinen Verlegern in diesen unsichern Zeiten weiß Gott wie leicht einigen. Diese Einigung ist meistens die Einigung des Wolfes mit dem Lamm. Der Kernpunkt der ganzen Frage ist die Frage der Abrechnung in Zeiten der Inflation. Das heißt: Ist die Gleichung Mark = Mark mora­lisch zu verteidigen? Nun: sie ist es nie und nimmer. Sie ist die frechste und verlogenste Lug- und Trugrechnung, die je da war. Und daß deutsche Gerichte sie bis heute verteidigen, wird ihre ewige Schande sein. Der Staat sel­ber ist es leider gewesen, der als Nutznießer der Inflation, als größter Gauner alle Gaunerstreiche der Kleinen ge­deckt hat. Und die »Einigung«, die manche unsrer Verle­ger mit uns gesucht haben, sieht so aus (ich rede aus mei­ner Erfahrung):

Ich bekomme, zum Beispiel, jetzt, vor einigen Wochen, schon zur Zeit des stabilisierten Dollarkurses, eine Abrech­nung über 2040 (zweitausendundvierzig) verkaufte Exem­plare. Es ist immer, seit Januar 1923, Mark = Mark ge­rechnet; es ergibt sich als Schlußsumme für mich das Honorar von 0,7 Goldpfennigen, das vom Verlag großmü­tig auf 70 Goldpfennige „aufgewertet“ wird! Der Verlag hat immer, zu allen Zeiten, eine der Geldentwertung einigermaßen angepaßte Summe eingenommen. Die einzig an­ständige Honorierung wäre also die Honorierung aller ver­kauften Exemplare nach dem am Tage der Zahlung gültigen Verkaufspreis. Es sei zur Ehre des Verlegerstandes gesagt, daß es solche Verleger gibt. Aber es gibt auch sone (ich rede wieder aus eigner Erfahrung), die einem eine Ab­rechnung schicken über einige tausend verkaufte Exem­plare – und es ergibt sich ein Honorar, niedriger als der Wert der Briefmarke, die benutzt wurde, einem dies mit­zuteilen.

Welcher Verleger zahlt seinen Drucker heute mit den Prei­sen von vor einem Jahr? Oder gibt seinen Angestellten heute das Monatsgehalt von Januar 1923 in Papiermark? Dem Schriftsteller aber bietet man seelenruhig solche Ent­lohnung an, denn er ist schlecht organisiert, kann sich nicht wehren, und die „Rechtsprechung“ ist, die Infla­tionsfrage betreffend, sehr ungewiß, sodaß Prozesse ris­kant zu führen sind. Daß der Dichter seit alten Zeiten kein Gold scheffelt, wissen wir, und wir beanspruchen es auch nicht. Aber unser Recht verlangen wir, unser Recht, mit dem gleichen Maß gemessen zu werden wie alle andern an der Herstellung des Buches beteiligten Berufskreise. Wir wollen nicht besser, aber auch nicht schlechter be­handelt werden als Setzer, Drucker, Binder.

(aus: Die Weltbühne 20/1, 1924)

Fechenbach

Der Schriftsteller Fechenbach ist von einem unzuständi­gen Gericht wegen eines nicht begangenen Verbrechens, das selbst im Falle der Begehung verjährt gewesen wäre, mit einer ungeheuerlichen Strafe belegt worden, ohne daß ihm das Rechtsmittel der Appellation oder der Revision zur Verfügung stünde.

Das Gebot der Gerechtigkeit, des absoluten Rechtes, der Menschlichkeit, der Selbstachtung des Volkes und eines jeden Volksgenossen verlangt gebieterisch, daß Fechen­bach sofort aus dem Zuchthaus entlassen wird. Das Ver­fahren muß eventuell durch Sondergesetz gesetzmäßig re­vidiert werden.

(aus: Die Weltbühne 20/2, 1924)

Der Autor Peter König schreibt zu Klabunds Reaktion in obigem Artikel: „Klabund reagiert mit dieser Stellungnahme aus Breslau auf die An­schuldigungen der Abgeordneten der „Nationalsozialistischen Freiheits­partei“, der Vorläuferpartei der NSDAP. Wegner kommentiert: Der Ar­tikel „belegt nicht nur Klabunds lautere Gesinnung, sondern auch seine Arglosigkeit im Umgang mit der Politik“ (…) Dies gilt besonders für Klabunds Reaktion auf die antisemitischen Angriffe gegen Klabund. Bereits 1922 hatte der Literarhistoriker Alfred Bartels in seiner Arbeit „Die deutsche Dichtung der Gegenwart“ (Leipzig) Klabund in diskreditierender Absicht eine „jüdische Großmutter“ unterschoben.

Klabund – Ein Film und – zwei Filme

Das Davoser Kino zeigte in dieser Woche einen amerika­nischen Kriegsfilm „Rivalen“, den ich schon in Deutsch­land gesehen und von dem ich einen sehr starken Eindruck empfangen hatte. Dieser starke Eindruck veranlaßte mich, hier in Davos ihn mir nochmals zu betrachten. Mein Erstau­nen war aber groß, als ich unter gleichem Titel nicht den gleichen Film zu sehen bekam! Der Text, in Deutschland auf die Formel „Nie wieder Krieg!“ gebracht, erschöpfte sich hier in Verherrlichungen  der „gloire“ und der Schön­heit des Kriegertums — dem die (mit Recht) abschrecken­den Kriegsaufnahmen einigermaßen widersprachen. Es wa­ren ganze, z. T. sehr geschmacklose Szenenreihen in der hiesigen Fassung zu sehen, die in Deutschland völlig fehl­ten. (Der Vorbeimarsch der deutschen Kriegsgefangenen nach der Schlacht vor dem fressenden und saufenden Hauptmann Flagg, die Sprengung einer deutschen Batte­rie durch die zwei Spaßmacher des Films, die gräßliche Kitschszene, wo Maria „auf dem Feld der Ehre“ dem to­ten Soldaten den Brief seiner Mutter ins Grab, man muß schon sagen: einbuddelt; und vieles andre.) Der Film hat in der hier gezeigten, offenbar für den Vertrieb in Frank­reich bestimmten Fassung längst nicht die künstlerische Geschlossenheit, die er in Deutschland zeigte. Es scheint, daß die äußerst smarte Foxproduktion zwei Fassungen dieses Filmes hergestellt hat: eine für Deutschland mit pazi­fistischem Grundton, eine für Frankreich mit der Verherr­lichung der gloire und des brave soldat. — Es wäre an der Zeit, den Amerikanern zu beweisen, daß man sich für ihre Filmpolitik des Hansdampf in allen Gassen bedankt. Ge­schäfte machen: gut. Mit guten Filmen: besser. Mit dop­pelter und dreifacher Moral, ganz nach Wunsch und Land und Klima: danke schön. Davon wollen wir nichts sehen -und nichts wissen.

(aus: Die Weltbühne 24/1, 1928)

Zeitschrift „Die Weltbühne“

Als „Schaubühne gegründet und umbenannt in „Weltbühne“ haben alle geschrieben, die im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und im so genannten „Tausendjährigen Reich“ verhasst waren und die man mit Verfolgung in allen Varianten überzog.