Zeitschrift „Die neue Bücherschau“

Klabund – Aus neuer Lyrik

Ein Schatten steigt auf, der sie beschattet: Whitman. Ein Licht erglänzt, das sie beglänzt: Werfel. Eine Statue haben sie verhängt: George. Der Gesinnung des Ernst Blaß alle Ehre und Ehrung. Aber das Blut seiner ersten Gedichte ist geronnen. Aus dem jungen Heine ist ein alter Goethe geworden. Seine „Ge­dichte von Sommer und Tod“ (Kurt Wolff, Verlag) liest man besser im westöstlichen Diwan nach.

Ivan GollsDithyramben“ (Kurt Wolff, Verlag) haben hym­nischen Schwung und Rhythmus und rufen mir und Dir. Lyrischer und verlockender gibt sich sein Talent in den kleinen Gedichten des „Torso“ (Rolandverlag, München), die er fälschlich als Stanzen bezeichnet:

Zur Hügelhochzeit
Stürzten Fliederfontänen zu Tal …

Mit Gottfried Kölwels Gedichten „Erhebung“ (Rolandverlag, München) weiß ich wenig anzufangen. Ein an- und bodenständiger Mensch. Werfel in Kniehosen. Moosbauer mit Zylinder (Erhebung) auf dem Kopf. Kurt Heynicke spielt auf „Gottes Geigen“ (Rolandverlag, München): aber seine Musik erreicht nur mein Ohr und nicht mein Herz Sein Gott ist nicht mein Gott. Konrad Bänningers „Stille Sol­daten“ (Max Rascher Verlag, Zürich) lassen aufhorchen. Ein Ton verweht, der vielleicht einmal gefaßt und geformt werden kann. Eugen Roth „Die Dinge, die unendlich uns umkreisen“, (Kurt Wolff, Verlag) hat die Musik im Leibe, vor der Alfred Wolfenstein in seinen schön gedachten Ge­dichten „Die Freundschaft“ (S. Fischer Verlag, Berlin) in­stinktiv davonläuft, nur um nicht gefällig zu erscheinen. Ihm dünkt der schöne Klang schon Verführung zum Un­geist, Kompromiß mit dem „Außen“. Ergo: eine lyrische Schrift- und Gedankenhetze. Ein Antilyriker. Bei Roth klingt der Einfluß Werfeis in ganzen Zeilen auf: Wir sind, wir sind! Und auch ein anderer hat sichtbar (bei den Stan­zen) Pate gestanden: ein von den Jüngsten kaum Gekannter oder „Erkannter: Bruno Frank. Dennoch: viel eigene Tö­ne. Und Hoffnung auf ein erblinkendes Gestirn. Welt- und Werfelseligkeit beschwingt auch Heinar Schillings Gedich­te „Mensch, Mond, Sterne“ (Dresdner Verlag von 1917), die von Konstatierung zur These übergeht: 0 Menschen, seid! – ein Anruf, den Heinrich Ströbel, sozialdemokra­tischer Zeitdichter, umwandelt in „Seid Menschen!“ Waller Rheiners Gedichte „Das schmerzliche Meer“ (Dresdner Ver­lag von 1917) erweisen sich stark von Becher beeinflußt. („Es grüßet dich der Monde blauer Schwann“ oder – bis in die Interpunktion gebechert: „Ja! Friede du!: – Donner­ton der weinenden Menschheit“ usw.) Aber kleine Süßig­keiten darin, eigenen tropischen Gewächses, bezaubern. Gerhard Auslegers Erstlingsgedichte „Ewig Tempel Mensch“ (Dresdner Verlag von 1917) sind „schwarze Köst­lichkeit und Glanz“. Else Lasker-Schüler und der blaue Reiter Franz Man: haben Paten gestanden: sie haben das Kind gesegnet. Es wird wachsen, es wird groß werden: wie sie. Schon hat es einen goldnen Ton in der Kehle, und wenn es ruft, zwitschert die Nachtigall. Henriette Hardenbergs zarte „Neigungen“ (Rolandverlag München) bereichern die deutsche Frauenlyrik, die heute in Else Lasker-Schülers „Gesammelten Gedichten“ (Verlag Cassirer Berlin) gipfelt. Wer fühlte sich nicht als ewi­ger Jude und sänke vor Jehova ins Knie, wenn sie ihre hebräischen Lieder singt. Albert Ehrenstein schleudert fei­ne Flüche gegen „die rote Zeit“ (S. Fischer Verlag, Ber­lin). Europa wird zum Barbaropa. Ein griechisch gerich­teter Geist zersprengt in Haßgesängen sich selbst und seine Form. Aber die Wogen des roten Meeres zerteilen sich nicht vor ihm wie vor Mose: sie überfluten ihn. Er versinkt. Alfred Kerr, Dichter und Kritiker, gibt als kritischer Dichter mit 24 Gedichten („Die Harfe“, S. Fischer Verlag) die ly­rische Quintessenz vieler Jahre. (Ich erinnere mich noch manches guten, noch manches besten Gedichtes, das in diesem Buch nicht enthalten ist: die gesammelten Gedichte dessen, der als Kritiker (als Dichter) einer ganzen lyri­schen Generation das Gehen, die ersten Schritte, beige­bracht hat, — wäre mir lieber gewesen.) Aber ich liebe auch von diesen 24 Gedichten zum mindesten die Hälfte. Die schönsten Strophen darin sind an Frauen: an Elisa­beth, an Naemi. Und unvergeßlich, wie Rauschen der Nordsee in einer Muschel, klingen diese einer Friesin ge­widmeten Verse in meinem Ohr:

Gipfelglück, das ich erfahre
Eh der Fährmann nachtwärts lenkt.
Sterben darf ich, deine neunzehn Jahre
hast du mir geschenkt.

In Gottfried Benns Gedichten „Fleisch“ (Verlag der Akti­on, Berlin) ist das Ereignis geworden, was Wolfenstein will und was ihm nicht gelingt: Hirn wurde Herz. Geist wurde Fleisch. Benn steht ganz für sich selbst und auf sich selbst: kein Werfel-, kein Whitmanjünger. Ein Benn. Vor ihm sei besonders salutiert. Vor ihm und Hermann Kasack, der sich als edler Enkel Hölderlins, als guter Bruder Trakls einführt. Ein Bannerträger der reinen und reinsten Lyrik. („Der Mensch“ Rolandverlag, München). Als Letzter sei der markige Karl Stamm, die lyrische Hoffnung der jun­gen Schweiz (schon halb und halb Erfüllung) genannt und gerufen, begrüßt und gespornt. Er stemmt sich in seinen klaren und einfachen Versen („Aufbruch des Herzens“, Max Rascher, Verlag, Zürich) mit beiden Füßen auf die Erde, aber seine Hände halten den Himmel.

(aus: Die neue Bücherschau l, 1919)

Klabund – Die Pleite

Deutschland ist pleite. Europa wird es bald sein. Der Pleitegeier ist der heraldische Vogel dieser Epoche. Er schwebt, wie einst Noahs Taube, über der Sintflut der Krie­ge und Revolutionen, ein Bündel preußische Konsols im Schnabel. Der Malikverlag in Berlin-Halensee hat ihn sich zum Wappentier erkoren für eine satirische Zeit- und Streit­schrift: „Die Pleite“ benannt. Seitdem die „Jugend“ (Zeitschrift) vorzei­tig gealtert und vergreist ist, die Bulldogge des „Simplicissimus“ sich in ein zahmes Wachtelhündchen verwandelt hat, das nur den Mond noch, nicht mehr diese Erde anzu­bellen wagt, ist diese in den Preußenfarben schwarz und weiß gedruckte kleine Zeitschrift die einzige, welche mit rabiatem Witz und aggressivem Geist die innerpolitische Satire vertritt. Walter Mehring attackiert „immer stieke mit Musike die deutsche Republike“. Er ist ein berlini­scher Beranger en miniature. Georg Groß wirft mit ein paar bösen kinderhaften Strichen die Marloh, Reinhardt, Noske aufs Papier. Sie müssen ihm Modell liegen. Er kniet auf ihnen. Er ist der Daumier von Plötzensee. Wieland Herz­felde gibt die „Pleite“ heraus. Er edierte nebenbei eine Broschüre über seine Schutzhafterlebnisse, die alle ehe­maligen Schutzhäftlinge wie ein Stück ihrer eigenen Biographie lesen werden.

(aus: Die neue Bücherschau 1, 1919)

Klabund – Robert Neumann – Ein deutscher Kritiker

Ich bin sehr überrascht, wie kinderleicht Robert Neumann es sich macht, meine Nachdichtungen (nicht Übersetzun­gen!) chinesischer Lyrik abzulehnen – indem er sie mit den Übersetzungen von Otto Hauser konfrontiert, von dem er annimmt (!!), daß er »gewissenhaft und amusisch« sei. Also müssen seine Übersetzungen die „richtigen“ sein, und meine Nachdichtungen sind schnoddrig und ver­fälscht.

Lyrik kann man nicht übersetzen. Sie kann nur auf einer anderen Sprachebene neu gestaltet werden. Das versuchen meine chinesischen Nachdichtungen (die zum Teil mit gründlichen Kennern des Chinesischen wie H. Rudelsberger durchgesehen wurden). Und die von Kennern der chinesischen Sprache und Dichtung — die beide Robert Neumann nicht kennt — (z. B. in einer Kritik der „Litera­tur“) das Prädikat empfingen, daß sie so „chinesisch“ seien wie man mit der deutschen Sprache es nur sein könne. (Alle meine Nachdichtungen kommen z. B. mit der gleichen Zeilenzahl aus wie das chinesische Original. Bethge u. a. benötigen dafür meist das Doppelte bis Vierfache.) Ich nehme Neumann die Leichtfertigkeit seiner Polemik sehr übel. Man muß sich, wenn man gegen jemanden po­lemisiert, mindestens ebenso viel Mühe geben, die Mate­rie kennen zu lernen, um die es sich in der Polemik han­delt, wie es der Angegriffene tat.

Hauser als einzigen Kronzeugen chinesischer Dichtung anzuführen, geht nicht gut an.

Hauser ist gewiß ein polyglotter Gelehrter ersten Ranges. Aber in seinen Übersetzungen hält er sich für einen „Dich­ter“, und Chinesisch, Persisch, Japanisch: das klingt bei ihm Alles wie Eins: nämlich hauserisch. Neumann hätte im Nachwort meines Litaipe Hinweise genug gefunden, wo er sich authentisch über chinesische Lyrik hätte unter­richten können. Vor allem hätte er meine Nachdichtungen mit dem Standardwerk über chinesische Lyrik, dem des Marquis D’Hervey St. Denis, vergleichen müssen. Das Gedicht „Improvisation“ ist in meiner Form eine Transposition — aber es gibt die absolute Idee des chinesi­schen Gedichtes und auch seine absolute Form so gut wie­der als man es mit dem deutschen Sprach- und Gedanken­schatz vermag.

Wenn Neumann die hausersche Fassung, die „amusische“, besser gefällt, so beweist er nur, daß er von Lyrik keinen blassen Schimmer hat, denn in der musischen Kunst, der Lyrik, das Amusische dem Musischen vorzuziehen – da fehlt doch schon das Grundelement der lyrischen Erkennt­nis — im kritischen Betrachter.

Neumann hat auch keine Ahnung von dem Assoziations­reichtum der chinesischen Sprache und Schrift.

Litaipes berühmtestes Gedicht, das Neumann anführt, hat unzählige chinesische Kommentare gefunden, gerade we­gen seines Assoziationsreichtums. Und wenn ich statt „Hei­mat“ „Wanderziel“ setzte, so geht das auf einen chinesi­schen Kommentar zurück: denn es ist ein Wanderer, der in der Herberge erwacht, der den Reif am Boden sieht und dabei auch des Reifes auf seinem Haupt gedenkt. Er hebt das Haupt – da sieht er den greisen, ewig alten Mond – senkt das Haupt – und gedenkt der Heimat – die zugleich sein Wanderziel ist – Anfang und Ende seiner Wanderung -Geburt und Tod.

Das und noch manches andere ist in dem kleinen Vierzei­ler Litaipes enthalten. „Wörtliche“ Übersetzung kann es bei der chinesischen Bilderschrift und einer der deutschen diametral entgegengesetzten chinesischen Grammatik überhaupt nicht geben. –

Neumann wirft mir „Verfälschung des Typischen“ vor. Mit Verlaub, Neumann: die Banalität der hauserschen Über­setzungen ist „Verfälschung des Typischen“. Es ist gerade mein Bestreben gewesen, das typisch Chinesische zu erhal­ten. Die hauserschen Litaipegedichte könnten auch Schul­ze und Meier – und Hauser und Neumann geschrieben haben.

(aus: Die neue Bücherschau 6, 1928)

Zeitschrift „Die neue Bücherschau“

Eine buchkritische Zeitschrift für Literatur, Kunst, Kulturpolitik erschienen im Aufbau-Verlag Albert Karl Lang im München-Pasing – Erster Herausgeber ist Hans Theodor Joel. „Die neue Bücherschau erscheint von 1918 bis 1929 und ist eine der wichtigsten Zeitschriften der Zwanziger Jahre, in der das Neue eingeführt, gewürdigt und diskutiert wurde“ (Raabe).

Ab dem 2. bis zum 7. Jahrgang fungiert Gerhart Pohl als Herausgeber, der auch die Redaktion von München nach Berlin verlegt.

Zu den Autoren zählen Egon Erwin Kisch (Interview über Upton Sinclair und Charlie Chaplin), Theodore Dreiser („Der Neger Jeff“, Erzählung), Jaroslav Hašek, Erwin Piscator („Das proletarische Theater“), Leo Trotzki (über Demokratie), Walter Benjamin („Eine kommunistische Pädagogik“) und , Arthur Hollitscher. Außerdem Béla Balazs, Gottfried Benn, Hermann Kasack, Ernst Toller u.v.a.

Die reichlichen Bildbeigaben bestehen aus s/w Reproduktionen von Fotografien, Gemälden, Holzschnitten, Skulpturen, Zeichnungen (oft Karikaturen) u.a. von Rudolf Belling, Otto Dix, George Grosz, Frans Masereel, Conrad Felixmüller, Rudolf Schlichter, Georg Scholz, Adja M. Yunkers (Lettland/D/USA) und Vladimir Zedrinski (Russland/Serbien).

1929 kam es wegen eines Aufsatzes von Max Herrmann-Neiße (1886–1941) über Gottfried Benn im Redaktionsbeirat zu einem Dissens über die Linie der Zeitschrift, worauf Johannes R. Becher (1891–1958) und Egon Erwin Kisch (1885–1948) ihre Mitarbeit aufkündigten und die Zeitschrift ihr Erscheinen einstellte.