Zeitschrift „Der Bücherwurm“

Klabund – Das deutsche Soldatenlied

Es gibt Leute, die zwischen Zynismus und Sachlichkeit, zwischen Ironie und Humor nicht unterscheiden können. Die jüngste Dichtung hatte unter dieser Mißdeutung ihrer Motive schwer zu leiden. Zynismus und Ironie sind immer Gesten einer Überheblichkeit: eines herrischen Uber-den-Dingen-sein-wollens. Aber auch Diener haben zuweilen herrische Manieren (und sind doch keine Herren). Da man als Ding (an sich) gar nicht über den Dingen sein kann: bleiben solche Gefühle immer Ansätze, Stümpfe, Fragmen­te einer gewissen Verzweiflung. Humor hingegen und Sach­lichkeit … sind in den Dingen. Man will nicht mehr sein als man ist. Nicht aus Bescheidenheit, sondern aus Kon­zentration (auf den Punkt, auf den es ankommt, nämlich: als Ich zu leben und als Ich zu leben). Humor — von humeur, Feuchtigkeit – weint vor Freude. Es gibt eine Romantik der Dinge. Zum Beispiel: man photographiert, aber es heißt die Bilder entwickeln. Das Soldatenlied ist: sachlich, humoristisch (nicht: zynisch, ironisch), dinglich, romantisch bedingt. Melancholisch. Es kennt den Rausch – des To­des, der Liebe, des Weines.

Die Reise nach Jütland,
Die fällt uns so schwer —
0 du einzig schönes Mädchen,
Wir sehn uns nicht mehr.

Des Sonntags frühmorgens
Kam der Hauptmann zum Rapport:
Guten Morgen, Kameraden,
Heut müssen wir fort –

Ei warum denn nicht morgen?
Ei warum denn grad heut?
Denn es ist ja heute Sonntag
Für uns alle junge Leut.

Der Soldat stellt fest: es ist heute Sonntag und wir müssen fort … Das ist aber keine Impression, kein Eindruck von außen – sondern ein Ausdruck seines Herzens. Wer vermöchte den Zwiespalt des Abschiedes: letzte Lust der Gegenwart und das anbrausende Meer der Zukunft – er­greifender zu sagen als hier der Soldat mit einer ruhigen Bemerkung!

Doch der Hauptmann sprach leise:

Ich trage keine Schuld.
Der Herr Oberst, der uns führet,
Hats keine Geduld.

Der Hauptmann ist selber in das Schicksal verstrickt, er kann es nicht beschwören, er spricht leise, entschuldigt sich: revoltiert also. Vergebens. Den Soldaten ist der Haupt­mann, dem Hauptmann der Herr Oberst Schicksal. Aber auch der Herr Oberst ist nur Werkzeug. Das Schiff am Strande wartet. Es ist zur Überfahrt gerüstet.

Das Schifflein am Strande Schwankt hin und schwankt her. 0 du einzig schönes Mädchen, Wir sehn uns nicht mehr!

– Es geschieht etwas in dem Gedicht: von innen und nach außen. Das Gedicht ist Expression. Das Soldatenlied mit seinen (gefühlsmäßigen und gar nicht »verständlichen«) Assoziationen, Bildern und Klängen ist ausgesprochen ex­pressionistisch.

Gestern abend in der stillen Ruh
Hört ich einer schönen Amsel zu.
Eins, zwei! und sie sang so schön,
Daß mein Verstand blieb stehn:
Freiheit nur alleine, nur allein
Soll mein Vergnügen sein. Eins, zwei.

Oder:

Wenn wir unsre grauen Mäntel
Um ein deutsches Mädchen hängen,
So empfindets keinen Schmerz.
Redlich ist das deutsche, deutsche Herz.

Oder:

Es wollte sich einschleichen
in leises Lüftelein,
Dazu auch deinesgleichen
Mein eigen sollst du sein.

Diese Strophen sind (was ist es mit der Fabel von der leich­ten „Verständlichkeit“ des Volksliedes?) logisch unfaßlich: was hat der Gesang der Amsel mit der Freiheit zu tun? und der graue Mantel mit dem Schmerz des deutschen Mädchens oder der Redlichkeit des deutschen Herzens? -Vollends die letzt zitierte Strophe ist gänzlich „unsinnig“ und nicht einmal grammatikalisch richtig. – Wollen wir uns von den Philologen weismachen lassen: diese Verse seien aus Unbeholfenheit oder Ungeschicklichkeit so dun­kel — während sie es doch als Äquivalente der Seele in einer unbeschreiblichen Anmut (künstlerisch) bewußt sind?

Nichts schöneres kann mich erfreun,
Als wenn der Sommer angeht.
Da blühen die Rosen im Tale,
Soldaten marschieren ins Feld.

Wo ist eine gedankliche Beziehung zwischen den Rosen im Tale und den Soldaten, die ins Feld marschieren? In der Unendlichkeit der Kunst treffen sich die Paralle­len, Melancholie und Humor wurden eins:

Sie fochten bei Sankt Luzia
Und sind begraben ebenda.

Oder:

Den Leib begräbt man in der Gruft,
Der Ruhm bleibt auf der Welt.
Die Seele schwingt sich durch die Luft
Ins blaue Himmelszelt.

Oder im Matrosenlied:

Leise und in stillen Worten
Betet jetzt der Kapitän,
Und man sieht an allen Orten
Tränen in den Augen stehn.
Glori-glori-glori-gloria
Schön sind die Mädchen von Batavia.

Oder:

Und habe ich freudig geopfert mein Leben,
Dann wollte der Herr mir Gnade geben.
Dann möge der König sorgen zum Lohn
Für meine Witwe und meinen Sohn.

Die meisten Soldatenlieder rundet ein Refrain ab: sinn­los, aber klang- oder grauenvoll bedeutsam. Eine kleine Ballade. Gott lacht. Der Teufel brüllt. Das Gloria oder Gloria Viktoria tönt in vielen Abgesängen. Am bekanntesten in dem Abgesang zu „Ich hatt einen Ka­meraden“:

Gloria Viktoria!
Ja mit Herz und Hand
Fürs Vaterland.
Die Vöglein im Walde,
Die sangen so wunder-wunderschön.
In der Heimat, in der Heimat
da gibts ein Wiedersehn!

Diese Dichtung begegnet bei literarhistorischen Kritikern großer Mißachtung. Professor Roethe in Berlin hat in ei­nem Vortrag die »Wertlosigkeit« dieses »unglückseligen Mischmasches« betont, den er aber, weil ihn die Soldaten einmal so gern singen, ihnen immerhin gönnen will. Pro­fessor Roethe ist sehr liebenswürdig: aber ich finde, das Lied bedarf seiner Nachsicht nicht. Hand und Herz, das Vaterland, die Vögel, der Wald, die Heimat, das Wieder­sehn – alle diese Dinge sind so simpel und klar, und doch so gefühlt gesagt, daß der innere Rhythmus dieser Zeilen einen mit tödlicher Inbrunst niederreißt: Abschied … Ab­schied … Abschied …

Wer weiß, ob wir uns wiedersehn
Am grünen Strand der Spree

fügten die Berliner Soldaten beim Ausmarsch dem Gloria Viktoria noch hinzu. Zwei Zeilen, die, wahrscheinlich aus einer Posse entnommen, in diesem Zusammenhang wie der Inbegriff aller Dinge: Liebe und Tod klingen. Das Soldatenlied mit seinen (gar nicht leicht verständli­chen) Intuitionen und Assoziationen ist ausgesprochen ex­pressionistisch. Seele strömt. Falter fliegen. Hammer dröhnt.

Die neueste deutsche Lyrik und das Volkslied sind (und wissen voneinander nicht) Geschwister. Aus einer Zahl von achthundert Soldatenliedern, die mir zugänglich waren, habe ich folgende Auswahl von etwa dreihundert getroffen, die – im einzelnen gewiß nicht gleichwertig – im ganzen (und nie ohne Wert im Zusam­menhang) ein vollendetes und geschlossenes Bild des deut­schen Soldatenliedes geben, wie es im Volke heute leben­dig und wert ist, auch über die Kreise seines Entstehens hinaus wirkend gekannt und … geliebt zu werden. Ich habe viele der vorliegenden Gedichte aus Soldatenmund selbst aufgezeichnet. Sie sind entweder ganz oder in vor­liegender Fassung bisher unveröffentlicht. Wie das Volks­lied des „Knaben Wunderhorn“ beweist auch das Soldaten­lied, ohne die musikalische Begleitung der Noten, seine besondere Berechtigung als lyrisches oder balladisches Kunstwerk des Wortes. Lieder wie „Frisch auf Soldaten­blut“, „Die Reise nach Jütland“, „Auf auf zum Kampf“, „Holde Nacht dein dunkler Schleier“, „Heimat, o Hei­mat“, „Es war ein reicher Kaufmannssohn“, „Nichts Schö­neres kann mich erfreun“ gehören meines Erachtens zu dem Schönsten, was die deutsche Dichtung überhaupt her­vorgebracht hat. Oft schon in den Türkenkriegen entstan­den, sind sie über den Siebenjährigen Krieg, die Franzosen­kriege des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, über 1864, 1866, 1870 nach 1914 gewandert und haben zwar vom Panzer bis zum feldgrauen Tuch oft die Uniform, nie aber den inneren Geist des Deutschtums gewechselt. Möge das Soldatenlied an seinem Anteil auch des gegenwärti­gen großen Krieges recht begriffen werden: als ein Kämp­fer für deutsche Freiheit, Menschlichkeit, Innerlichkeit, für deutschen Humor und deutsche Melancholie. Für den Idealismus einer märchenhaften (romantischen) Weltan­schauung. Für Wikingertum. Für Karl den Großen, Tyll Eulenspiegel, Faust, Rotkäppchen, Martin Luther, Rübe­zahl, Michael Kohlhaas, Schellmuffski, Blücher, Goethe und Hindenburg. Für alles Deutsche.

(aus: Der Bücherwurm 4, 1913-15/1915)

Zeitschrift „Der Bücherwurm“ 

Erschien zuerst ab 1911 in München,  später in Markkleeberg und Dessau bis zum April 1943 und war eine Monatsschrift für Kultur, Literatur und Politik. Walter Weichardt war der erste Herausgeber des Blattes, das im Einhorn-Verlag in Dachau erschien bis 1921.

Sein Nachfolger wurde Karl Rauch – geboren am 17. April 1897 in Markkleeberg; gestorben am 13. September 1966 in Unterpfaffenhofen, ein Verleger, Schriftsteller und Übersetzer.

Über ihn schreibt Wikipedia:

Karl Rauch war der Sohn eines Gärtners in Markkleeberg, südlich von Leipzig. Nach dem Besuch einer Oberrealschule absolvierte er eine kaufmännische Lehre und arbeitete danach im Verlag der in Leipzig erscheinenden Zeitschrift „Vivos voco“, die von Hermann Hesse und Richard Woltereck herausgegeben wurde. Danach eignete er sich bei einem Verlag in Lauenburg praktische Kenntnisse der Verlagsarbeit an.

Im Jahr 1921 erwarb er mit einem kleinen Darlehen eines Onkels eine kleine Buchhandlung in Dessau, welche die „Kunst- und Bücherstube Karl Rauch“ wurde, unterstützt auch von dem in Dessau ansässigen Unternehmer Hugo Junkers. Zwei Jahre später schloss er der Buchhandlung einen kleinen Verlag mit seinem Namen an.

Die Buchhandlung überlebte die Weltwirtschaftskrise nicht. Sein Verlag existierte noch, als er zunächst als Lektor und Werbeleiter zum Wolkenwanderer-Verlag nach Leipzig ging, dann für zwei Jahre Redakteur einer Zeitschrift in der Lüneburger Heide war, bevor er 1928 nach Berlin ging, wo er die Herausgabe der Zeitschrift „Der Bücherwurm“ übernahm, die dann bis 1943 in seinem Verlag erschien.

In den 1930er Jahren erschienen mit dem Herausgabeort Leipzig in seinem Verlag die Schriften von Eugen Gottlob Winkler und Gustav René Hocke. Dabei nutzte er sein Elternhaus in Markkleeberg. Hier besuchte ihn im Frühjahr 1939 Antoine de Saint-Exupéry in Vorbereitung der Herausgabe der deutschen Übersetzung von „Wind, Sand und Sterne“, das noch im gleichen Jahr erschien und für den Verlag ein großer Erfolg wurde.

Nach 1945 versuchte er zunächst in Leipzig und später in Jena einen Neuanfang, wobei ihn hier Joseph Caspar Witsch unterstützte. Wegen Problemen mit den Behörden verließ er aber 1948 die Sowjetische Besatzungszone. Der Verlag wurde in eine GmbH gewandelt, in welcher der Graphische Großbetrieb A. Bagel Mitgesellschafter wurde. Sitz des Verlages wurde nun Düsseldorf.

Noch in der Sowjetischen Besatzungszone hatte Rauch die Übersetzungsrechte am Gesamtwerk von Saint-Exupéry erworben, aus dem 1950 „Der kleine Prinz“ erschien. Aber auch Werke von Julien Green und Albert Camus gehörten zum Verlagsprogramm. 1952 gab Rauch „Rauchs Weltraum-Bücher“ heraus, die aufgrund mangelnder Resonanz bereits nach vier Ausgaben eingestellt wurde.

1953 zog sich Karl Rauch aus dem Verlagsgeschäft zurück und widmete sich seiner Tätigkeit als Schriftsteller und Übersetzer, insbesondere aus dem Französischen. Durch seine Verleger- und Übersetzertätigkeit gilt er als „Wegbereiter des deutsch-französischen Gedankenaustausches“ Karl Rauch war Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse. Er war verheiratet mit Ursula, geborene Meier, und starb 1966 im Alter von 69 Jahren in Unterpfaffenhofen bei München.

Über die Einordnung der Zeitschrift las ich dieses Zitat:

„Der Bücherwurm“ dem Umfeld der sogenannten konservativen Revolutionäre zugerechnet werden. Die Einführung zum ersten Heft verzichtete erklärtermaßen auf „viele Versprechungen“: „Unser Wunsch ist, den Bücherfreunden ein Freund zu werden, der ihn kurz, sachlich anregend und anschaulich über alles unterrichtet, was das gesamte Buchwesen betrifft.“

Tatsächlich ging die Realität der Zeitschrift über diesen bescheidenen Anspruch hinaus. So war auch von Anfang an die künstlerische Gestaltung der Hefte ein zentraler Punkt: Oft wurde einem einzigen Künstler die Illustration eines kompletten Heftes übertragen, wodurch einzelne Hefte geradezu bibliophilen Charakter erlangten. Die Zeitschrift bestand – bis zuletzt inhaltlich geprägt durch eine Vielfalt von Weltanschauungen, was ihr ein so langes Überleben ermöglicht haben mag – bis im April 1943.