Zeitschrift „Die literarische Welt“

Klabund gegen die Berliner Kritik seines „Kreidekreises“

Der Kreidekreis ist bereits an etwa 100 Bühnen gespielt worden. Ich habe etwa 1000 (uff) Kritiken gelesen. Viel­leicht darf ich mir einmal gestatten, meine Herren Kritiker, zur Kritik zu blasen und Sie, die Kritiker, zu kritisieren – selbstverständlich mit der mir gebührenden Zurückhaltung und der mir als Chinesen innewohnenden Höflichkeit des Herzens. Sie reden so viel davon, daß wir kein Drama ha­ben — haben wir eine Kritik?

Der Herr des südlichen und des nördlichen Polarsternes, sowie die Herren Ullstein, Mosse, Scherl usw. mögen mir verzeihen, wenn ich diese Frage mit einem schlichten teils teils beantworte. Vor allem: der Grundeindruck: die rezensierenden Zeitgenossen verstehen vom Theater soviel wie die zeitgenössischen Rezensenten. In mindestens 50 von 100 Fällen können sie die Aufführung nicht vom Stück, die Regieleistung nicht von der Dichtung, die schauspielerische Leistung nicht von der Regie unterscheiden. Ich habe dafür schlagende Beweise. Abgesehen von der Berliner Aufführung sah ich auch viele Aufführungen in der Provinz. Fließt eine Aufführung im schleichenden, trägen Tempo dahin, dann ist die Dichtung schwerflüssig, zähe, langweilig. Wird die Aufführung auf einen lebendigen Ton gestimmt, bunt, spielerisch – dann liest man dieselben Epitheta von der Dichtung in den Kritiken. Erfährt die Aufführung durch einen das Ensemble überragenden Schauspieler in irgendeiner Figur eine Überbetonung: so wird das sofort der Dichtung zugeschoben. (Typischer Fall: Der Tschangling ist besser als die anderen Schauspieler – das Drama wird sofort zu einer „bolschewistischen“ Angelegenheit – wobei ich in Parenthese bemerken möchte, daß die mir so oft als „moderne Zutat“, „als antichinesischer Fremdkörper“  angekreidete Rede des Tschangling im 2. Akt den einzigen von mir wörtlich aus dem Chinesischen übernommenen Passus darstellt!!! (fast 30 Zeilen).

Ist eine Aufführung grundsätzlich falsch eingestellt, macht sie etwa aus dem Märchenspiel eine Tairoffsche Burleske, so stellt sich die ganze Kritik sofort einhellig –  gegen die Dichtung. Wird eine Aufführung – wie es leider bei einer maßgebenden geschah – durch sinnlose Striche in der Haitangrolle entstellt – so haben wir plötzlich (laut Kritik) eine leere Dichtung vor uns. Wolkig, luftig, leicht, graziös dargestellt, reißt das Drama die Kritik zu Hymnen hin. Vergreift der Regisseur sich im Ton, so ist der erste, der etwas auf den Hut bekommt, der Dichter. Die Haitang ist eine rührende Figur. Auch die schlechtesten Haitangs rühren den Kritiker noch zu Tränen. Während auch der beste Tschao (ich nenne ausdrücklich Paul Bildt) keine Gnade vor seinen Augen findet, denn er ist als Figur zu unsympathisch. Er wird einfach übersehen. Dichtung, Regie, Darstellung, Bühnenbild, Kostüme, Mu­sik – wie sonderbar gelangt Lob und Tadel immer wieder an die falsche Adresse.

Ich wunderte mich, in Berlin folgende Kritik nicht zu le­sen:

„Reinhardt als Haitang gewann im Sturm die Herzen des Publikums, das sich von der Dichtung C. F. Nehers weni­ger befriedigt zeigte.

Die Kostüme Klabunds konnten manchen Ansprüchen ge­nügen.

Die Regie Klopfers hatte herrliche Momente. Die Verse der Lotte Pritzel gingen einem wie Honig ein.“ Wie hoffentlich diese bescheidenen Äußerungen eines kleinen Schreibbeamten einer hohen fünfklauigen Kritik.

(aus: Die literarische Welt, 13. November 1925)

Darf der Dichter in seinem Werk Privatpersonen porträtieren? 

Eine Rundfrage über die Diskretion und Freiheit des Schriftstellers

Von Zeit zu Zeit wird immer irgendwo das Problem der Freiheit und das Problem der „Diskretion“ des Schriftstellers in irgendeiner Form wieder aktuell und lebendig. Meistens bewirkt dies ein sogenannter literarischer Skandal, – der manchmal zwar, wie z. B. im Falle des „Zauberbergs“, im Rahmen einer Polemik verbleibt, sich aber in den eisten Fallen zu einem „gesellschaftlichen Skandal“ auswächst, der letzten Zeit haben sich solche „Skandale“ vielfach ereignet, auf deutschem Kulturgebiet ebenso wie auch in andern Ländern Europas, die „Zauberberg-Polemik“, die sich ja lediglich um die Frage der Freiheit und der „Diskretion“ des Schriftstellers drehte, ist gewiß noch in Erinnerung. Der große Roman Thomas Manns kam freilich durch diese Polemik in keiner Hinsicht zu Schaden, in Österreich hat jüngst ein sogenannter Schlüsselroman, der sich mit den intimsten Familienangelegenheiten einer bekannten Wiener Per­sönlichkeit befaßte, viel von sich reden gemacht. Der Betroffene kündigte auch einen Prozeß gegen den Autor an.

Über den Skandal, den in Ungarn das Werk eines Journalisten entfes­selte, der in einem Memoirenbuch die Memoiren einer jetzt in Buda­pest lebenden türkischen Prinzessin und angeblichen Sultanstochter veröffentlichte, berichtete jüngst die ganze Weltpresse. In Südslawien hat bereits vor einigen Dezennien ein namhafter serbi­scher Schriftsteller in einem Roman das Porträt eines Zigeunermädchens verewigt, das durch diesen Roman in ganz Serbien eine ziem­lich große Popularität errang. Nun kündigte jüngst diese Zigeunerin an, sie werde den Schriftsteller jetzt verklagen, und zwar auf Bezah­lung eines gewissen Prozentsatzes aus den Einkünften der Honorare dieses Romans.

Das Problem ist also immer aktuell. Ich habe über den ganzen Kom­plex des Problems eine groß angelegte Enquete mit den namhaftesten Schriftstellern der gegenwärtigen deutschen Literatur veranstaltet, in­dem ich ihnen die folgenden zwei Fragen vorlegte:

  1. Ich bitte um Ihre grundsätzliche Meinung über die Frage, ob der Roman- oder Theaterdichter überhaupt, und, wenn ja, in welchem Maße, bzw. bis zu welcher Grenze er zur Diskretion lebenden Personen ge­genüber verpflichtet ist?
  2. Glauben Sie, daß solchen Personen, die sich in einem Roman wie­dererkennen, oder die Grund haben, anzunehmen, daß man sie erkennt, ein Recht auf moralische Genugtuung oder ein Recht auf Schadener­satz zusteht?

Ich veröffentliche die Ergebnisse dieser Enquete, bzw. die Antworten der Schriftsteller nachstehend:

Klabund:

Zu Frage 1: Es kommt für den Dichter nicht darauf an, diskret oder indiskret zu sein, sondern wahr und echt. Indiskret und wahr ist mir lieber als diskret und unecht. Zu Frage 2: Den in einer Dichtung als „Modell“ verwandten Personen steht eine Appellation – an welchem Ge­richtshof immer- betreffs Schadenersatz nicht zu. Der ein­zige „ideell“ kompetente Gerichtshof der Kunst ist inappellabel und „real“ nicht existent.

(aus: Die literarische Welt 3, 1927)

Reportage und Dichtung/ Eine Rundfrage Veranstaltet von Hans Tasiemka

Unsere Fragen lauteten: 1. Wird die Dichtung, insbesondere die epi­sche Kunstform, von der neuen Sachlichkeit der Reportage entschei­dend beeinflusst werden? Inwiefern? 2. Halten Sie zur Durchführung Ihrer Ideen das Buch oder die Zeitung für wesentlicher?

Klabund:

Die epische Kunstform ist immer von der Sachlichkeit der Reportage beeinflusst worden. Man denke an den Schiffs­katalog in der Ilias. Oft wird diese „Sachlichkeit“ nur zur Erhöhung der unsachlichen, also romantischen Wirkung benutzt. Um ein Beispiel aus einem Buch von mir zu ge­ben: Moreau, Seite 66, das Zitat der Schrift Erzherzog Karls über den Feldzug von 1796. Es ist nichts als die genaue Zitierung des Titels, in dem zwei Daten vorkommen. Zwischen diesen beiden Daten zwischen den Zeilen spielt sich das Schicksal Moreaus ab. Reportage, Sachlichkeit ist immer eine Kunst, es zwischen den Zeilen zu sagen. Denn dieses „Es“: darauf kommt es ja an! Man kann „es“ durch die Blume, durch die Zeitung oder durch das Buch sagen! Für die „neue“ Sachlichkeit hat unsereiner schon 1913 gekämpft, man lese einmal wieder Klabunds Karussell (Erich Reiß Verlag) und z.B. die letzte Geschichte von Josua Kraschunke, dem Dichter der „neuen“ Sachlich­keit, die alte Herren wie Homer, Shakespeare, die italienischen Novellisten schon einige Jahrhunderte vor uns entdeckt haben. (aus: Die literarische Welt 2, 1926)

Zeitschrift Die literarische Welt

Die literarische Welt. Unabhängiges Organ für das deutsche Schrifttum war ein Periodikum in der Weimarer Republik, das als Wochenschrift von Ernst Rowohlt und Willy Haas 1925 in Berlin gegründet wurde. Die Zeitschrift erschien von 1925 bis 1933 unter der Herausgeberschaft von Willy Haas. 1934, im Verlauf der von den NS-Machthabern sogenannten „Gleichschaltung“ wurde sie in „Das deutsche Wort“ umbenannt. Seit 1998 erscheint die „Literarische Welt“ als Beilage der Tageszeitung „Die Welt“.

Geschichte

Zunächst erschien die Zeitschrift in der Literarische Welt Verlagsgesellschaft, Berlin-Lichterfelde. Die Redaktion saß in der Passauer Straße. Nach Haas‘ Emigration wurde sie kurzzeitig als „Neue Folge“ gleichen Titels (1933–1934) fortgesetzt, herausgegeben von Karl Rauch. Nachdem die Zeitschrift im Sinn der nationalsozialistischen „Gleichschaltung“ seit 1934 „Das deutsche Wort“ genannt wurde, erschien sie im Berliner Verlag Bott. Sie wurde 1941 eingestellt.

Wiederaufnahme des Titels für eine Zeitungsbeilage

Ab 1998 gab die Tageszeitung „Die Welt“ als Samstagsbeilage Ein Journal für das literarische Geschehen unter dem Titel „Die literarische Welt“ heraus, mit dem Hinweis: „Gegründet von Willy Haas, 1925“. Von 2001 bis 2013 gab Rachel Salamander die Literaturbeilage heraus. Von 2013 bis 2017 wurde die „Die literarische Welt“ von Richard Kämmerlings geleitet. Im März 2017 übernahm Mara Delius die Leitung. Sie war seit 2011 Feuilletonredakteurin und eine weitere Autorin der „Welt“ gewesen. „Die Literarische Welt“ ist seitdem noch ein regelmäßiger, fast täglicher Twitter-Auftritt der Redaktion. Die gedruckten Inhalte firmieren, wie bei allen anderen Zeitungen auch, jetzt unter Feuilleton – Kultur – Literatur.

Autoren

Zu den historischen Autoren gehören u. a.:

Walter Benjamin – Willi Fehse –    – Erich Franzen – Dora Sophie Kellner – Hannes Küpper – Eleonore Lorenz . Thomas Mann – Heinz Pol – Ernst Polak – Alice Rühle-Gerstel – Gottfried Sello – Mela Hartwig – Frank Thiess – Essad Bey