Wochenschrift „Der Revolutionär“

Klabund – Hör‘ es, Deutscher!

Wenn Du ein Deutscher bist, so sei Dir folgendes bewußt. Hämmere es in Dein Herz und grabe es in Dein Gewissen. Laß es Dir von einem Auslanddeutschen sagen, dem sein Deutschtum nicht immer leicht gemacht wurde: von den Ausländern nicht und nicht von den Deutschen. Laß es Dir von einem sagen, der an den »Sinn« der menschli­chen Seele immer glaubte und trotz des bitteren Geschmackes im Munde und eines wie von Essig zusammengezoge­nen Herzens noch immer glaubt:

Deutscher, Du wirst durch die Welt schreiten, bespieen und mit Steinen beworfen und Dein Haus wird der Ablageplatz sein für jeglichen Unrat und Müll. Es wird keine Lüge über Dich erlogen sein, die sie nicht glauben werden.

Es wird keine Wahrheit sein, die Du sagst, die sie nicht verlachen und verhöhnen werden.

Klage Dich an, beschuldige Dich sämtlicher Todsünden (die Du in der Tat ja begingest), verfluche Deine ruchlose Machtidee, geißle Dich blutig: aber wisse, daß Du keinen Lohn finden wirst als in Dir: im Bewußtsein, daß klare Erkenntnis und offenes Bekenntnis Dich läutern, reinigen und erlösen werde.

Sieh nur nach innen! Schiele nicht nach außen! (Dies wür­de auch dem heiligen Geist des Tao widersprechen, nach dem Du künftig leben und sinnen sollst; denn Du wirst der Chinese Europas werden.)

Du wirst Simson sein, der ihnen in der Steinmühle der Welt das Korn mahlen muß. Du wirst kurz und karg gehal­ten werden. Aber eines sei gewiß: werden sie Dich blenden, so werden Dir Riesenkräfte wachsen, Du wirst die Säulen des Sklavenhauses stürzen und sie begraben unter den Ruinen ihres Hochmuts und ihrer Schande. Das zarte Herz wird die härteste Herrschaft überwinden. Deutschland hat keine andere Hoffnung als die: da.}, ethisch gesprochen, die Entente an einem bresthaften Frie­den genauso zu Grunde gehen wird wie Deutschland am Frieden von Brest. Denn der überhohe Turm stürzt in sich zusammen. Der überspannte Bogen reißt. Deutschland ist vollkommen fertig, erledigt, aus – wenn man die materielle Seite betrachtet. Ideell vermag es sich nur zu halten, wenn sein Gewissen es zu dem tiefsten Wis­sen zurückführt: die äußere Wirklichkeit ist nicht die wah­re Wirklichkeit. Der Tod ist nur eine andere Art, zu leben. Innen: Deutschland ist tot. Jenseits der alten zerbroche­nen Welt heißt’s neue Häuser bauen. Noch eines, Deutscher: mögen Deine Feinde Dich hassen (und sie hassen Dich wie die Hölle) — laß Dich nicht zum Haß verleiten gegen sie. Liebe sie: weil sie Dich zur Ein­sicht, zur Umkehr zwangen. Denn sei ehrlich: ohne Deine Niederlage wärst Du nicht so bald zur Besinnung gekom­men. Der heilige Geist des Tao fordert, daß Du ihn denkst und nach ihm handelst: ohne jeden Nebengedanken. Du darfst keinen Lohn für Deine Tugend beanspruchen. Denn diese Tugend (lies darüber bei Spinoza, der Dir besser tun wird als Dein ostpreußischer iinperativischer Kant) ist schon Seligkeit.

Wichtiger als alle politischen und sozialen Revolutionen ist die Revolution des Herzens. Erstere weisen auf Wege. Diese zum Ziel.

Vielleicht, daß Du, Deutscher, dennoch als endgültiger Sie­ger hervorgehst: wenn Du zur letzten Einsicht kommst. Der Herzhaftere wird der endliche Sieger sein. Das zarte Herz überwindet die härteste Herrschaft.

(aus: Der Revolutionär 1, 1919)

Klabund – Der Wiedertäufer

(Brief an einen deutschen Politiker)

Sie richten einen offenen Brief an den Kongreß der Alli­ierten in Paris. Ein Herz spricht. Ein Mensch ruft.

Widerhall? Das Herz, das dort schlägt, ist Wilsons Herz. Er wird Ihren Brief lesen und ihn lächelnd zu Lansing hinüberreichen. Er weiß und begreift das alles, was Ihnen die Seele zerreißt: er weiß es sogar besser als Sie: denn er hat auch die andere Seite der Medaille sorgfältig studiert, die Sie — verdecken.

Wollen Sie an die Völker der Alliierten appellieren? Aber diese Völker denken (im Grunde) genauso wie Sie, wis­sen und begreifen das alles, durchschauen das Ränke­spiel der Pariser Konferenz durchaus: das ersehen Sie aus den Verhandlungen der Berner Sozialistenkonferenz. An wen appellieren Sie also? An den Wind. An die Wol­ken. An die Sterne.

Der Wind hört Ihre Worte — und verweht sie.

Die Sterne beglänzen Ihr Wort — aber die Wolke wird es verdunkeln.

Die Zukunft baut sich auf der Gegenwart auf, die Gegen­wart auf der Vergangenheit.

Die Schuldfrage, erkenntnis- und bekenntnistheoretisch gesprochen, ist die Kardinalfrage.

Nicht im akademischen Sinne derer, die in der Frankfur­ter Zeitung oder sonstwo darüber schreiben unter der Mar­ke: wer hat angefangen? — sondern im ethischen, im reli­giösen Sinne. Bis oben hin starrt die Welt voll Dreck: und auf diesem Dreck wollen Sie eine Zukunft errichten, beschwichtigend: was vergangen war, das ist vergangen! und: es wird schon werden. … Nein: es wird nicht werden, ehe nicht der Dreck aus den Seelen geräumt ist. Dazu aber ist vor allem die Erkenntnis nötig: daß dieser Dreck überhaupt (in jedem und um jeden) da ist. Die Hetze der Presse gegen Eisner, diesen wahrhaft reinen Politiker, hat aufs neue bewiesen, daß der alte Adam in Deutschland noch lebt. Was nützen die schönsten Träume, in die Wolken gedichtet, die prächtigen Formeln wie Republik, Völker­bund, Sozialismus — wenn sie angewandt werden müssen auf Menschen verlogenster Denkart? Menschen, die sich in ihrem seelischen Mist wohl fühlen und nichts von Läu­terung und Erlösung wissen wollen? Menschen, die sich noch immer selbstgerecht in die Brust werfen? Noch ist eine Eitelkeit im Deutschen, die muß mit Feuer ausgebrannt werden. Wir sind, so sprechen sie, eine fa­belhafte Rasse. Unglaublich, wie wir diese Revolution ge­macht haben, diese „größte Umwälzung aller Völker und Zeiten“. Machen Sie dem deutschen Volke klar, daß ein Matrosen- und Soldatenaufstand, der in eine Lohn- und Streikbewegung übergeht und nebenbei politische und bureaukratische Reformen betreibt, noch nicht die „größte Umwälzung aller Zeiten“ ist, und daß an einem Tage der bolschewistischen Revolution mehr Ideen zutage getreten sind, als in den vier Monaten deutscher Revolution. Ma­chen Sie ihm klar, daß eine Vermischung ökonomischer und moralischer Forderungen noch keine geistige Revolu­tion ist und daß, soll diese Umwälzung wirklich die größte aller Zeiten werden, eine Revolution des Herzens nötig ist: eine religiöse Erneuerung, aufbauend auf den urchristliehen, buddhistischen und taoistischen Elementen, die an die höchsten Forderungen des Christentums anknüp­fen muß: an die Solidarität alles Menschlichen, an die Bru­derschaft der geknechteten und unterdrückten, der ärm­sten und elendesten Menschenbrüder. Was Bolschewik! was Spartakus! Schlechte Namen für eine bessere (nicht gute) Sache. Erinnern wir Deutsche uns der deutschen Vergangenheit.

Ihr von der Lüge, der Bosheit, der Selbstüberschätzung Unabhängigen, Ihr Brüder vom roten Herzen, Ihr Armen und Elenden, denen Armut und Elend kein Aushänge­schild für verkappte Reichtumsbegier ist, Ihr Geistigen, denen Geist und Machtdünkel keine Symptome sind, Ihr Alle, denen die Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit und Rein­heit im Busen brennt, Ihr, die Ihr Gott verloren habt und die Ihr Gott wieder suchen wollt, Ihr, die Ihr Eure ganze Niedrigkeit kennt, die ihr wißt, daß Sünde Buße heischt und Buße: ein Leben in Gott: in Geist und Glauben, in Hoffnung und Handlung, Ihr, die Ihr mit nacktem Herzen und bloßen Füßen durchs spitze Steinigt der Welt lauft: tut Euch zusammen zum Bund der Barfüßer, zum Bund der Wiederläufer! Es tut der Menschheit eine neue Taufe not!

Christus! Buddha! Lao Tse! Im Namen, im Sinne, im Geist dieser drei geheiligten Menschengötter und Gottesmen­schen, der heiligen Trinilät des Weltgeistes, soll sich die Erneuerung vollziehen, die nur eine Erneuerung des Urältesten sein kann: das platonische Sichbesinnen auf das Menschenantlitz, das Menschenherz, die Menschen­würde.

Brennt die Flamme der deutschen Revolution nicht weiter und zündet sie nicht die Menschenherzen, die deutschen Seelen wie Weihnachtskerzen an: so ist nichts getan. Und ob Ebert oder Wilhelm II. an der Spitze des deutschen Reiches steht: das gilt gleichviel.

Im Anfang jeden neuen Weges muß die Wahrheit stehn, der Mut, sich selber offen in die Augen zu sehn. Helfen Sie als Deutscher, daß vor allem das deutsche Volk zur Einsicht kommt, daß es seine persönliche und metaphysi­sche Schuld an der Entzündung des Weltbrandes erkenne und bekenne. Jahrelang hat es im Machtrausch jede Toll­heit und Lüge mitgemacht. Schmeicheln Sie ihm nicht. Beteiligen Sie sich nicht an der Demagogie, die das „Volk“ von der Schuld freisprechen möchte. Spätestens am Brester Frieden hätte es zur Einsicht kommen müssen. Es hat sich weiter gern belügen lassen; denn es glaubte auf dem Gip­fel der Macht zu stehen, und jeder deutsche Proletarier hielt sich für eine Mischung aus Marx und Bismarck; für ­einen Bismarx. Der deutsche Bürger vollends war ganz umnebelt vom alldeutschen Rausch.

Republik, Sozialismus, Völkerbund können nur gehalten und gefestigt werden auf dem Fundament einer inneren Erneuerung der Menschheit. Bleiben die Menschen, wie sie sind, so werden die Errungenschaften der Revolution bei der ersten besten, bei der ersten schlechtesten Gele­genheit zusammenfallen wie Kartenhäuser. Kein noch so durchdachter Völkerbund, keine noch so tief geträumte sozialistische Weltordnung werden Bestand haben, wenn Haß und Heuchelei, Lüge und Lüsternheit weiterhin den einzelnen und die Menschheit regieren.

(aus: Der Revolutionär 1,1919)

Klabund -Noske

Bravo, Kamerad Noske. Treuer Diener seines Herrn. Stramm gestanden, Unteroffizier Noske, Hände an die Hosennaht. Majestät, von Ihnen gerufen, kehrt zurück. Eichenlaub und Paukenschall. Siegestor. Majestät huldvollst: Mein lieber Noske. Noske (ersterbend): Man tut, was man kann, Majestät … Majestät lächelt: Die kommunen Kommunisten, Spartakisten, die lütten Literaten, alle revolutionären Revolutionäre: an die Wand gestellt! Vaterlandslose Gesellen: Niedergeknallt! Hier haben sie meinen Revolver, lieber Noske: Knallen Sie! Noske, ersterbend, knallt über den Haufen die, welche nicht ersterben, die, welche leben und Leben schaffen wollen. Noske wird zum Sergeanten befördert. Frau Noske: Nein aber — die Auszeichnung — Noske wird pensioniert. Noske geht, im gebürsteten Gehrock, im Tiergarten spazieren, begegnet seinem Kaiser. Majestät: Ist das nicht der … der … wie hieß er doch gleich? Händedruck huldvollst. Allerhöchste Anerkennung. Hohenzollernsche Verdienstmedaille …

(aus: Der Revolutionär ], 1919)

Klabund -Ebert

Fritze, wie oft ich Dir nu schon jesagt habe, Du sollst Dir nich mit den schmutzigen Paletot auf die Samtmöbel set­zen. Hier is nich wie bei Muttern. Hier im Schloß is alles jute Stube. Vastehste. Auf die goldene Kommode, wo die nackichten Mächens aus Porzellan stehn, haste auch wie­der die Pflaumenmußstulle mit die Fettseite nach unten liegen lassen. Wie kann ’n Mensch von Deine Allüren bloß so zerstreut sin. Immer das Rejieren den janzen Tag, von früh bis spät. Ich kann Dir man sagen: dat wächst mir schon zum Halse raus. Laß Baaken rejieren. Der kann det ebenso oder besser wie Du. Nachtigal, ick hör dir laufen.  Fritze, jetzt wird et Friehling. Mir wird janz schwummrig. Einmal wieder in ’n Jrunewald jehn, Sonntagsnachmittags, Arm in Arm mit Dir, wo die vielen Schultheißpullen aus’n Moos wachsen, und Familien Kaffee kochen können. Ach Frizte, det höchste is doch das menschliche Jlück. Wat haste davon, daß de Ersatzkaiser ist? Steig runter von ’n Thron, zieh die jroßen Stiebein aus und die Filzlatschen an. Stopp Dir ’ne Knasterpfeife und lies mir aus’n »Vorwärts« vor, lokalen Teil, von dem Raubmord, der in de Königstraße passiert is vergangene Nacht. Fritze, hast Du mir denn noch lieb?

(aus: Der Revolutionär 1, 1919)

Moritz Lederer: Pfemfert contra Klabund

Die Aktion“ Nr. 5/6:

„Daß Moritz Lederer Literaten wie den Klabund und den Leonhard an seiner Zeitschrift mitarbeiten läßt, ist gewiß traurig, beeinträchtigt si­cher die Stoßkraft der Zeitschrift. Doch Moritz Lederer wird sich das wohl bald selbst sagen müssen. Es gibt einen bösen Mißton: Moritz Lederer peitscht die Journaille, und hinter ihm steht feixend Schmock Klabund, der Klabund dieser Schmutzereien:

Lied der Kriegsfreiwilligen
Brüder laßt uns Arm in Arm
In den Kampf marschieren!
Schlägt der Trommler schon Alarm
Fremdesten Quartieren … Hebt die Hand empor:
Kriegsfreiwillige vor!
Mädchen, eure Ehre
Schützen die Gewehre
Hoch in unsrer Hand!
Hebt das Herz empor:
Kriegsfreiwillige vor!
Hebt das Schwert empor:
Kriegsfreiwillige vor!

Das Lied der Kriegsfreiwilligen ist auch einzeln auf einer Postkarte erschienen. … Preis 10 Pfennigen

Wir Pioniere

Wir Pioniere bauen schon die Brücken,
Damit Soldaten und Kanonen drüberrücken.
Wir schleppten Balken viel und haben großen Schweiß.
Des Kaisers Dank ist unser Preis.
Vallerie.

Das Mädchen steht nachts am Zaun,
Damit wir ihr ne Brücke baun.
Vallerie.

Doch wenn der Feind uns überfällt, …
Eh er der Flinte losgemacht,
Hat es bei uns schon längst gekracht. –
Vallerie

Ulanen
Fest die Lanze eingelegt!
Die Kanone blitzt.
Mancher rutscht vom Sattelsitz
Wie ein Baum, der abgesägt.

Aber wenn die Schlacht geschlagen,
Die Kanon in unsrer Hand,
Wird sie nach Berlin gesandt
Auf bekränztem Wagen …

Eines Tages in der Früh
Wird der Kaiser kommen:
Habt ihr die Kanon genommen?
Hoch die Kavallerie!

Dragoner und Husaren

Dragoner und Husaren,
Ist jeder seines Lohnes wert,
Reit jeder stolz auf stolzem Pferd,
Dragoner und Husaren.

Dragoner und Husaren,
Sankt Petrus steht am Himmelstor
Laßt mir die Reiter ein zuvor,
Dragoner und Husaren.

Dragoner und Husaren!
Läßt sich der Teufel mit uns ein,
Sollt Ihr des Herrgotts Leibwach sein,
Dragoner und Husaren!

Sicher hat Moritz Lederer diese Dinge bisher nicht gelesen. Er weiß also nicht, daß Menschen wie Walter Heinrich sich degradiert fühlen müssen, wenn ein Organ, dem sie ihre Kampfkraft zur Verfügung stel­len, übelste Kriegskupletisten zuläßt. Wenn den Klabund – ja weshalb denn nicht auch die übrigen Sänger der großen Zeit? Rudolf Presber, Ludwig Fulda, den Gerhart Hauptmann, den Ken; den Dehmel – heute werden diese Bedienter bunter Hetzbilderbogen in „Pazifismus“ ma­chen. Wenn ein typischer Unter-den-Strich-Junge der „großen“ Presse Gnade findet vor den Augen Moritz Lederers, weshalb dann nicht die übrigen Vertreter? Die Leonhard und Klabund sind nicht vier Jahre lang „Irregeführte“ gewesen und dann „erwacht“. Der Henschke hat schon vor 1914 mal so und mal so gekonnt! In der Dreckschrift „Jugend“ mimte er 1913 den Teutschen und verfertigte Lobgesänge auf „tote Helden von Marineluftschiff L 11“, und im „Pan“ spielte er zur gleichen Zeit (unter Pseudonym!) den Antibourgeois. Das alles wäre unwichtig – diese lyrisch-feigen Wanzen wären längst der verdienten Vergessenheit anheimgefallen, wenn sie nicht immer wieder an saube­re Orte kriechen könnten.“

Klabund:

„Daß ich 1914, und übrigens auch sonst zuweilen, mise­rable Gedichte geschrieben habe, weiß ich wohl. Ich bin nicht dumm genug, dies nicht einzusehen, und ehrlich ge­nug, es offen zu bekennen. Ich glaube aber, daß der Dich­ter das Recht hat, nach seinen besten Sachen beurteilt zu werden: und „Moreau“ und „Mohammed“ und „Bracke“ und „Irene“ und „Dreiklang“ und einige Nachdichtungen: soll­ten sie nicht für mich sprechen? Was nun den Angriff auf meine Gesinnung anbetrifft, so habe ich mich öfter ge­wandelt, ohne mich dessen zu schämen: denn ich halte es für ehrenvoller, einen für falsch erkannten Standpunkt auf­zugeben, als konsequent im Irrtum zu beharren. Den Rauschzustand von 1914 habe ich längst abgeschworen — so gut wie Ball oder Becher oder Wolfenstein oder Matthi­as oder Leonhard, die alle stramme Kriegsfreiwillige und Anbeter der großen Sensation waren und das eine vor mir voraus haben mögen, daß sie keine schlechten Gedichte damals schrieben; aber ihre Gedanken waren nicht bes­ser als die meinen. Daß diese Gedanken schlecht waren, will ich nicht behaupten. Oberstes Gesetz jeder ethischen Betrachtung bleibt, den Menschen nach den Motiven sei­ner Handlungsweise zu beurteilen. Glaubten wir nicht damals an ein überfallenes Deutschland? Waren die Motive unseres Eintretens für Deutschland schlecht? Nein. Schon im Frühling 1915 hat sich der Umschwung in mir vorbereitet, als ich die chinesische Kriegslyrik schrieb. 1916 schrieb ich die Irene, in der sich ein offenes Bekenntnis meiner persönlichen physischen und metaphysischen Schuld findet, das ich 1917 in einem „Bußpredigt“ beti­telten Artikel der weißen Blätter noch unterstrichen habe. Im Frühling 1917 schrieb ich die Szenenreihe „Das Erwa­chen“ die der „Revolutionär“ abdruckte. Im Mai 1917 schrieb ich jenen offenen Brief an Wilhelm II., der mil­den Haß aller alldeutschen Kreise eintrug. Bedenken Sie die Zeit: Mai 1917: es war die Zeit der größten deutschen Erfolge. Denkt oder handelt so ein Konjunkturschreiber, als den mich Pfemfert immer hinstellen will? 1919, im Frühling, nahm ich die Konjunktur dann in der Weise wahr, daß man mich in Zuchthaus und Gefängnis sperrte. Ich möchte dies nur sachlich feststellen. Es liegt mir fern, mich dem Proletariat in einer gloriosen Apotheose als Märtyrer des proletarischen Gedankens vorzuführen: das war ich nicht. Wenn ich gelitten habe, so habe ich für mich per­sönlich gelitten. Ich bin, wie sie wissen, Taoist, und mich trennt eine Welt vom Gedanken des Klassenkampfes, des Terrors und der Diktatur. Ich glaube auch nicht an eine sozialistische Welt-, sondern nur an eine sozialistische Wirtschaftsanschauung. Wenn auch meine ganze Sympa­thie den revolutionären Arbeitern gehört, so bin ich doch Revolutionär der Seele oder glaube es wenigstens zu sein. Sie selbst stehen Pfemfert in taktischen und ideellen Fra­gen, wenn ich Sie recht begreife, sehr nahe. Ich will und mag dieser Kampfgenossenschaft absolut nicht im Wege stehen, wenn ich, wie Pfemfert meint, die Stoßkraft des „Revolutionär“ beeinträchtige. Sie werden Pfemfert nie­mals davon überzeugen, daß ich ein anständiger Kerl bin. Sie werden ihm auch die Wahrheit der Bibelworte: Rich­tet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet … und: Im Himmelreich ist mehr Freude über einen bekehrten Sün­der als über tausend gerechte … nicht beibringen.“

Alle, die im August 1914 – brüllend oder singend oder schweigend den Abmarsch europäischer Menschheit in das gräßlichste Elend aller Geschichte beflügelten, sind schuldig. Zweifellos. Und nur der Grad ihrer Schuld ist diskutabel. Die Millionen, die von Verbrechern in Kriegspsychose geschoben wurden, hatten von selbstverständlicher Ver­antwortung für Menschheit und Menschlichkeit sich losgesagt; und sind doch weniger schuldig als Deutschlands streitbare „Denker und Dich­ter“, in deren Hände der Menschheit Würde gegeben ward: zu einem Dreckklumpen mißformt haben wir sie ihren gepanzerten Pfoten entris­sen, um sie durch nie gewesenes Chaos – auf langem steinigen Weg -in neue Helle zu retten. Und doch stehen auf der Schuldskala auch die Kriegssänger nicht obenan; die Kapitalverbrecher sind die schwatzenden und schmockenden „Realpolitiker“, die wußten, wissen mußten, wis­sen konnten, was im Anfang dieses Unterganges war, daß und wie der Millionenmord zu meiden gewesen. Unter diesen ist die abscheulichste Gruppe jenes Gesindel, das sich anti-imperialistisch: „demokratisch“, »sozialistisch« heißen ließ und – anders wie aufrechte, wahrhaftige Militaristen, Imperialisten – das Wesen seiner und seines Anhangs Welt­anschauung einer Pose, eines Krippenfraßes wegen verriet; dieses Gelichter, für dessen nichtswürdige Betulichkeit Gott und Menschheit niemals Verzeihung üben dürfen, muß, und wenn noch Generationen die Revolutionstribunale erkämpfen müßten, ausgerottet werden. Von den wenigen im Dunstkreis deutscher Sprache sichtbar geworde­nen Menschen, die nicht nur nicht den Amoklauf Alldeutschlands mit Kriegskonzert begleiteten, die nicht nur nicht schwiegen, als Deutsch­lands Heldengeschlecht von 1914 zum lang vorher geübten Indianer­tanz antrat, die aber von der ersten bis zur letzten Stunde dieses Massen­mordens – in oft genialischer Manier – klagend und furchtbar anklagend die Front verbrecherischer Borniertheit zu durchstoßen strebten und durch ungezählte Breschen in Hirn und Herz hoffnungslos Benebelter die Wahrheit sagten, nenne ich: Rosa Luxemburg, Karl Kraus, Franz Pfemfert und den tapferen Ziegelbrenner, der sich öffentlich Ret Marut nennt. Die wundervolle Tat dieser – und, sicher, noch einiger anderen mir unbekannten – Menschen wird, ewig, die Apokalypse unseres Jahr­tausends, wie die Sonne unseren dunkeln Planeten, überstrahlen. Sie, die alle Schrecken dieser Zeit: den Mord an Millionen, die Verkrüppelung eines ganzen Geschlechts, die Verwüstung des halben Erdteils, den Jammer der Überlebenden (deren Hälfte in der Schwindsucht siecht) schon am ersten Kriegstag erlebt haben und während dieser Jahre ungehemmt und ungemindert zur Sabotierung dieser nie gekann­ten Barbarei aufriefen, sie allein haben das Recht: gegen Alle, die Schweiger wie die Sänger, Brüller und Verräter ungeschminkte Ankla­ge zu schleudern. Dieses Recht steht unabstreitbar fest.

Und dennoch hat Menschlichkeit anderes, schönere Recht ihnen ge­schenkt: der Vergebung. Selbst der gewaltige Gott der Juden, ein fürch­terlicher Gott der Rache, wollte heimsuchen nur das dritte und vierte Geschlecht und wollte verzeihen bis ins tausendste Geschlecht Denen, die, sich wandelnd, ihn erkannten. Dürfen, sollen, können Men­schen – und wären sie die wenigen Einzigen, deren Arche stolz auf den Wassern unserer Sintflut schwimmt — schrecklicher sein, unbarm­herziger als der schrecklichste Gott? Pfemfert weil.!, und Klabund sagt es: zwischen den Hoffnungen dieses Dichters – des brünstig heißen „Moreau“, des prachtvoll farbigen „Bracke“ – und meinem Wollen liegt die Erkenntnis: daß wahre Demokratie, wahrhaftiger Pazifismus nicht auf verfaulten Fundamenten und dann erst wirklich werden kön­nen, wenn tragfähige Grundsteine unter den Hieben unserer schärf­sten Waffen gehauen, von der Gewalt unserer Sehnsucht gesetzt sind. Die Schlucht, in der solche Erkenntnis gebettet liegt, ist unüberspringbar. Trotzdem: Ich sehe Klabund als einen Menschen, der unverjährbaren Frevels an der Menschheit schuldig wurde, der aber – dies glau­be ich – bereute und – dies weiß ich – büßte. Im April 1919 wurde er als Kämpfer für die Münchener Kommune verhaftet und ins Zuchthaus geschleppt. Ich erkannte in ihm einen ehrlichen Kameraden, der be­reit ist, die wankenden Mauern der Gestrigkeit in freudiger Kampfbe­reitschaft mit uns zu zerschlagen. Kurt Eisner sagte mir drei Wochen vor seinem Märtyrertod: nur in den Augen eines Menschen sehen wir seine Wahrheit. Ich weiß, daß auch dieser gütige Kämpfer und scharfe Geist sich irren konnte. Aber noch getäuschtes Vertrauen ist die Auswirkung menschlichster Menschlichkeit. Im dreiundzwanzigsten Ka­pitel des Tao, dieser weisesten, hellsten Weisheit, steht – in der Nach­dichtung Alexander Ulars – dieses: „Gedanken, die sich ändern, sind wahr. Die Windsbraut wütet nicht den ganzen Tag: Das Wetter tobt nicht den ganzen Tag. Wer zeugt sie? Das Wellenall. Das Weltenall selbst ist in Umbildung: Um wie viel mehr der Mensch!“ — Ich fühle nicht das Recht: dem zur Wahrheit sich ehrlich wandelnden reuigen Büßer die Wohltat elementarsten Naturgesetzes zu weigern.

Moritz Lederer (aus: Der Revolutionär 1920)

Klabund – Noske/Eberl (1919)

Das brutale militärische Vorgehen lies Sozialdemokraten Gustav Noske gegen die Revolutionäre im deutschen Bürgerkrieg der ersten Jahres­hälfte 1919 gehört zu den blutigen Gründungskapiteln in der Geschichte der Weimarer Republik. So wie Klabund, der hier die Nachkriegsso­zialdemokraten mit dem Militarismus des Wilhelminismus verbindet, befürchtete mancher Zeitgenosse ein Fortbestehen der Vorkriegsgesellschaft unter veränderten Vorzeichen. – In der Invektive gegen die bür­gerliche Gemütlichkeit Friedrich Eberls wird besonders dessen Frau getroffen.

Textvorlagen: Noske. In: Der Revolutionär 1 (1919), Nr. 19 vom De­zember 1919, S. 24. – Ebert. In: Der Revolutionär 1 (1919), Nr. 19 vom Dezember 1919, S. 24 f.

Das satirische Gedicht „Hört! Hört!“ war nach Angaben des Autors im März 1919 (Erstausgabe, letzte Seite) unter dem Eindruck der aktuel­len politischen Ereignisse entstanden und wurde kurz darauf in der Flugschriftenreihe „Pamphlete“, einer Serie von Beiheften zu der links­radikalen Mannheimer Wochenschrift „Der Revolutionär“, gedruckt. Im Zentrum des Textes steht die Nationalversammlung zu Weimar im Februar 1919.

Wochenschrift „Der Revolutionär“

Herausgeber der linksgerichteten Wochenzeitung war Moritz Lederer. Erstmalig erschien „Der Revolutionär“ am 19. Februar 1919, die letzte Nummer im Mai 1923 erschien in Berlin. Gedruckt wurde die Zeitschrift zuerst in München, die weiteren Ausgaben wurden in Frankfurt, später in Mannheim hergestellt. Die insgesamt 31 erschienenen Hefte enthielten neben eigenen Artikeln weitere von Heinrich Mann, Leonhard Frank, Armin T. Wegner, Klabund, Walter Heinrich, Ernst Toller, Kurt Eisner, Erich Mühsam und anderen.

Moritz Lederer wurde am 17. November 1888 in Mannheim als einziges Kind des österreichischen Staatsbürgers Salomon Lederer und seiner Frau Johanna, geborene Wohlgemuth geboren. Die Familie war jüdischen Glaubens.

Vater Salomon Lederer war von Beruf Kalligraph und verließ nach wenigen Jahren die Familie. Moritz Lederer wuchs bei seinen Großeltern Wohlgemuth auf und wurde stark von der großbürgerlichen, jüdischen Umwelt geprägt. „In der Säckefabrik seines Onkels Lion Wohlgemuth legte er den Grundstein für erste berufliche Erfolge und den Aufbau einer eigenen Firma (Goldbach & Lederer), die Säcke fabrizierte und vertrieb“, heißt es in einer Biographie.

Eine grundlegende geistige und berufliche Umorientierung brachte der Erste Weltkrieg. Lederer – inzwischen überzeugten Pazifist – trat im Sommer 1916 aus der Mannheimer jüdischen Gemeinde aus, der er vorwarf, die Kriegshetze im Reich mit nationalistischen Durchhalteparolen zu fördern.

Am 19. August 1916 heiratete Moritz Lederer die aus Mannheim stammende Lore (Leonore Katharina Stefanie) Hafner, am 20. Februar 1918 wurde die Tochter Ruth Eva Maria und am 7. Juni 1919 die Tochter Ursula Esther Johanna geboren.

Moritz Lederer verlor seine Österreichische Staatsbürgerschaft und musste als badischer Bürger Kriegsdienst leisten. Die Kriegserlebnisse in den Jahren 1917/18 veranlassten ihn zur Gründung der in Mannheim erscheinenden Zeitschrift „Der Revolutionär“. „Zwar spielte Moritz Lederer im Mannheimer Arbeiter- und Soldatenrat keine bedeutende Rolle, wirkte aber in persönlichem Engagement an der Umgestaltung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse mit und setzte dazu das nicht unbeträchtliche Vermögen ein, das er sich bis dahin erworben hatte“, ist zu lesen.

Ab Herbst 1918 wurde er einer „der eifrigsten Fürsprecher einer revolutionären Erneuerung Deutschlands“ und fasste sein „Programm“  in Flugschriften zusammen, deren Vertrieb er von seiner Wohnung in der Mannheimer Augustaanlage Nr. 9 aus organisierte: „Sintflut“, „Der Sintflut Ende“. „Meine erste Revolutionsrede“ und „Der Schrei nach Wahrheit“, sowie „Meine zweite Revolutionsrede“. In seiner Mannheimer Wohnung entstanden auch die ersten Nummern „Der Revolutionär“

In den Unterlagen des Mannheimer Archivs ist zu lesen: „Am 22. Februar 1919 soll Moritz Lederer im Gefolge der Ermordung Kurt Eisners in München in den Mannheimer Planken die Räterepublik Kurpfalz ausgerufen haben und wurde als Urheber der in einer gewalttätigen Demonstration endenden Ereignisse angesehen. Über die in der Presse gegen ihn verbreiteten Verleumdungen hinaus wurde Lederer in Prozesse verwickelt, die mit Geldbußen und zumindest einer Haftstrafe endeten.“

In den Wirren des Jahres 1919 bangte er mehrfach um sein Leben, si wurde er z.B. während eines Berlin-Aufenthaltes von Freikorpssoldaten drei Wochen lang gefangen gehalten.

Nichtsdestotrotz organisierte mit einem aus Arbeitern und kommunistischen Schauspielern bestehenden Ensemble im Frühjahr 1920 die Uraufführung von Erich Mühsams Revolutionsdrama „Judas“ vor 5000 Zuschauer. Das unter der Bezeichnung „Mannheimer Volkstheater“ durchgeführte Experiment war ihn der Einstieg in die Theaterarbeit,

In den Jahren 1924/25 folgte eine dramaturgische Tätigkeit am Mannheimer Nationaltheater und die Aufführung eines eigenen Stückes, nämlich die Bearbeitung einer Vorlage von Albert Emil Brachvogel mit dem Titel „Narziß und die Pompadour“, uraufgeführt  im Februar 1926 am Mannheimer Nationaltheater, das anschließend auch auf anderen deutschen Bühnen gespielt wurde. Lederer schrieb auch eine ganze Reihe eigener Gedichte und kleiner literarischer Texte.

Ab dem 1. Juni 1926 setzte er seine „Karriere“ in Berlin fort. Er wurde Mitarbeiter des Theaterregisseurs Max Reinhardt, dessen Bühnenbetriebe er verwaltete. Abrupt beendet wurde diese Tätigkeit durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten. Nach 17tägiger Inhaftierung im Berliner KZ-Columbiahaus flieht Lederer nach Paris, kehrt aber schon Ende 1934 wieder nach Deutschland zurück.

Ab Januar 1935 arbeitet er erneut in Berlin und lebt dort von journalistischen Arbeiten. Außerdem ist er an den Aktivitäten des Jüdischen Kulturbunds beteiligt.

Ende August 1937 folgt Moritz Lederer Max Reinhardt*s Ruf ans Wiener „Theater in der Josefstadt“, muss aber durch den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich erneut nach Paris fliehen. „Dort überlebte er in einem deutschen Militärlazarett unter falschem Namen den Krieg und die Vernichtung fast seiner gesamten jüdischen Verwandtschaft“, schreibt Manfred Bosch. Und weiter: „Am Wiederaufbau des kulturellen Lebens in Deutschland beteiligte sich Moritz Lederer von seiner Wahlheimat in Südbaden aus, wo er zeitweise bei der französischen Besatzungsbehörde beschäftigt war. In Meersburg lebte er bis zum 12. Dezember 1971 hauptsächlich von journalistischer Tätigkeit.