Gedanken zur Liebe

Gedanken zur Liebe 

Nach François VI. de La Rochefoucauld  

François VI. de La Rochefoucauld Quelle: Wikipedia

Ein Vorwort.

Er wurde am 15. September 1613 in Paris geboren. Politisch aktiver Adeliger und Militär ging er aber vor allem als Literat in die Geschichte ein. Mit seinen aphoristischen Texten gilt er als Vertreter der französischen Moralisten.

Ein Aphorismus- schreibt Wikipedia – „ist ein selbstständiger einzelner Gedanke, ein Urteil oder eine Lebensweisheit, welcher aus nur einem Satz oder wenigen Sätzen bestehen kann. Oft formuliert er eine besondere Einsicht rhetorisch kunstreich als allgemeinen Sinnspruch (Sentenz, Maxime, Aperçu, Bonmot). Dagegen gelten Auszüge aus anderen Texten, wie ein geflügelte Worte und oder pointierte Zitate literaturwissenschaftlich nicht als Aphorismen.“

Und die „französischen Moralisten“ erklärt Wikipedia so:

„… Unter die französischen Moralisten rechnet man in französischer Sprache publizierende philosophische Schriftsteller des späten 16., 17. und 18. Jahrhunderts, deren Texte der europäischen Moralistik zuzurechnen sind. Formal und inhaltlich ist diese Strömung bzw. Textgattung u. a. durch essayistischen Stil und die Tendenz charakterisierbar, das menschliche Verhalten analysieren zu wollen. Der Wortbestandteil „Moral“ bezieht sich entsprechend nicht auf Gesichtspunkte normativer Ethik.“

Einen Lebenslauf von Wikipedia:

„… La Rochefoucauld stammte aus einer altadligen Familie, die 1622 vom Grafen- in den Herzogsstand erhoben worden war. Ehe er nach dem Tod seines Vaters 1650 den Herzogstitel erbte, trug er den eines „prince [=Fürst] de Marcillac“. Mit knapp 15 Jahren wurde er mit Andrée de Vivonne standesgemäß verheiratet. Aus der Ehe gingen acht Kinder hervor.

1629 nahm er als Offizier an einem Feldzug unter Ludwig XIII. nach Italien teil. Nach der Teilnahme an einer Kampagne gegen die Spanier in den Niederlanden wurde er auf seine Güter verbannt, weil er sich den Unwillen Richelieus zugezogen hatte. Ebenfalls in den 1630 er Jahren beteiligte er sich unter dem Einfluss der Duchesse de Chevreuse an den erfolglosen Intrigen der Königin Anne d’Autriche und des Hochadels gegen Kardinal Richelieu, was ihm 1637 eine Woche Haft in der Bastille und die Verbannung aus Paris eintrug. Nach dem Tod Richelieus (1642) und Ludwigs XIII. (1643) erhoffte er sich einen einflussreichen Posten bei der zur Regentin ernannten Anne d’Autriche, ging aber leer aus und musste erleben, wie sie Kardinal Mazarin begünstigte, der bald die absolutistische Politik Richelieus fortsetzte.

1648 nahm La Rochefoucauld unter dem Einfluss der Duchesse de Longueville, mit der er 1649 einen außerehelichen Sohn bekam, an der Fronde teil, einem bewaffneten Aufstand der Hohen Richter des Parlaments, des Volkes von Paris und des Hochadels gegen Mazarin. Hier spielte er mehrfach eine Rolle bei Verhandlungen der Parteien, erlitt in den Kriegswirren aber auch große Vermögensverluste. 1652 wurde er, auf der Seite des Prince de Condé gegen Mazarin und die Krone kämpfend, im Gesicht verwundet und auf einem Auge blind und zog sich auf eines seiner Landgüter zurück. Da er zu stolz war, nach dem Sieg Mazarins um seine Begnadigung zu bitten, wurde er für rechtlos erklärt und floh ins österreichische Luxemburg.

1653 machte er doch seinen Frieden mit Mazarin und dem jungen Ludwig XIV., dem er aber immer suspekt blieb. Er kam zurück nach Paris und versuchte, seine prekären Vermögensverhältnisse zu verbessern. Um seine Enttäuschung nach dem Sieg Mazarins zu verarbeiten, verfasste er in diesen Jahren die von 1624 bis 1652 reichenden „Mémoires“, die 1662 gegen seinen Willen als Raubdruck anonym in Amsterdam erschienen und eine wichtige Quelle für die Geschichte der Fronde sind.

In Paris verkehrte er am Hof und in adligen Kreisen, mehr aber in Salons, z. B. dem der Marquise de Sablé sowie in jansenistisch inspirierten Zirkeln, wo man angesichts der Frage, warum der eine Mensch offenbar von Gott erwählt ist und der andere nicht, ein neues Interesse für das Individuum, seine Psychologie und sein Verhalten entwickelte. 1658 begann La Rochefoucauld mit der Abfassung kürzerer aphoristischer Betrachtungen über die Natur des Menschen allgemein und die Verhaltensweisen der Angehörigen der adligen Gesellschaft im Besonderen. 1664 gab er unter dem Titel „Réflexions ou sentences et maximes morales“ eine Sammlung dieser pointierten, meist pessimistischen, oft sarkastischen Texte heraus.

Da sich das Buch gut verkaufte, ließ er 1666, 1671, 1675 und 1678 Neuauflagen folgen, in denen die Zahl der „Sentenzen und Maximen“ von zunächst rd. 300 auf rd. 500 anwuchs. Die in der Literaturgeschichte meist unter dem schlichten Titel „Maximes“ laufende Sammlung wurde so zu seinem Hauptwerk. Ein Sammelband mit verschiedenen weiteren Texten kam unter dem Titel „Réflexions diverses“ postum heraus.

1671 übertrug La Rochefoucauld seinen Herzogstitel auf seinen ältesten Sohn, der als Kammerherr des Königs fungierte. Seine späten Jahre wurden von einem starken Gichtleiden sowie dem Verlust zweier Söhne im Krieg (1672) überschattet. Einen gewissen Trost verschaffte ihm in dieser Zeit eine enge Freundschaft mit der Romanautorin Madame de La Fayette.

La Rochefoucauld ist einer der bedeutendsten jener über den Menschen und die Gesellschaft reflektierenden Autoren des späten 16. bis 18. Jahrhunderts, die in der französischen Literaturgeschichtsschreibung unter dem Namen Moralisten zusammengefasst werden, und für die es in der deutschen Literaturgeschichte kein Pendant gibt.

Er starb am 17. März 1680 in Paris.

François VI. de La Rochefoucauld 

Gedanken zur Liebe 

Nach der Ausgabe von 1678

Ausgewählt und verdeutscht

Von Klabund

Erschienen im Verlag „Die Schmiede“ 1923 in Bedrlin

Einbandentwurf von Georg Salter

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Die Philosophie triumphiert leicht über vergangenen und zukünftigen Schmerz, aber das gegenwärtige Leid triumphiert über sie.

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Der Sonne und dem Tod kann man nicht ins Auge sehen.

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Man ist niemals so glücklich und niemals so unglücklich wie man sichs einbildet.

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Wenn es eine reine und von allen andern Leidenschaften geläuterte Liebe gibt, so ist es die, welche tief im Herzensgrund verborgen ruht und die wir selbst nicht kennen.

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 Eigenliebe heißt der gewandteste Hofmann und Hofmacher.

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Wir sind immer stark genug, fremdes Leid zu ertragen.

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Man prahlt oft mit seinen Leidenschaften, selbst mit den grauenvollsten. Nur der Neid verkriecht sich: ängstlich und feige. Nie wagt man, ihn einzugestehn.

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Mißtrauen rechtfertigt Betrug.

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Heißblütig wechselt die Jugend die Neigungen. Das Alter behält sie aus Gewohnheit bei.

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Die Gemeinschaft der Menschen würde nicht lange be­stehen, wenn sich nicht einer vom andern hintergehen ließe.

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Die Eifersucht nährt sich von Zweifeln. Sie wird zur Raserei oder erlischt, sobald der Zweifel zur Gewißheit wird.

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Nur der Verächtliche fürchtet, verachtet zu werden.

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Der Schwächling kann nicht aufrichtig sein.

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Sittenstrenge ist bei den Frauen meist nur Putz und Schminke, womit sie ihre Schönheit noch erhöhen.

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Die Heuchelei ist die Huldigung, die das Laster der Tugend darbringt.

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Man soll von seiner Frau nicht sprechen. Noch weniger von sich.

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Das Alter ist ein Tyrann, das uns bei Todesstrafe die Freuden der Jugend verbietet.

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Der Liebende merkt fast nie, wenn man aufhört, ihn zu lieben.

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Das Böse, das wir tun, zieht uns weniger Verfolgung und Haß zu als das Gute, das wir tun.

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Oft tut man Gutes nur, um ungestraft Böses tun zu können.

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Man sagt sich selber eher Schlechtes — als gar nichts nach.

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Wo kämen die geistvollen Leute hin — wenn es keine Dummköpfe gab?

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Wenn wir unsren Leidenschaften widerstehen, so ge­schieht das nur, weil sie schwach, nicht weil wir stark sind.

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Wenn die Laster uns verlassen, schmeicheln wir uns in dem Glauben, daß wir sie verließen.

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Um ein großer Mann zu sein, muß man sein Glück voll auszunützen wissen.

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Glück und Laune regieren die Welt.

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Wenn man die Liebe nach der Mehrzahl ihrer Wirkungen beurteilt, ähnelt sie mehr dem Haß als der Freundschaft.

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Man kann Frauen finden, die niemals Liebschaften gehabt haben, aber es ist schwer welche zu finden, die nur eine gehabt haben.

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Es gibt nur eine Liebe, aber es gibt tausend verschiedene Kopieen.

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Die Liebe kann wie das Feuer nur in einer fortwährenden Bewegung bestehen. Und sie hört auf zu leben, wenn sie aufhört, zu hoffen oder zu fürchten.

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 Es ist mit der wahren Liebe wie mit den Geistererscheinungen: jedermann spricht davon — aber wenige haben sie gesehen.

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Die Liebe leiht ihren Namen einer Unzahl von Geschäften, die man ihr aufbürdet und an denen sie so wenig Anteil hat wie der Doge an dem, was sich in Venedig begibt.

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Es gibt kaum Leute, die nicht peinlich berührt sind, wenn sie geliebt werden, trotzdem sie nicht mehr lieben.

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Die Greise lieben es, gute Ratschläge zu erteilen, um sich darüber zu trösten, daß sie nicht mehr in der Lage sind, schlechte Beispiele zu geben.

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 Die Höflichkeit der Vernunft besteht darin, Edles und Zartes zu denken.

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Mit nichts ist man so freigebig — als mit guten Ratschlägen.

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Die Vernunft ist immer der Narr des Herzens.

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Es gibt gute Ehen — aber graziöse Ehen gibt es nicht.

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Man wird ganz sicher betrogen, wenn man schlauer zu sein glaubt als die andern.

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Es gibt Leute, die niemals sich verliebt hätten, wenn sie nicht immer von der Liebe hätten reden hören.

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Wer ohne Tollheiten lebt, ist nicht so weise als er glaubt.

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Es ist unmöglich da ein zweites Mal zu lieben, wo man wahrhaft aufgehört hat, zu lieben.

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Die Eifersucht hat ihren Grund mehr in Eigenliebe als in eigentlicher Liebe.

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Wir lieben immer die, die uns bewundern, und wir lieben nicht immer die, die wir bewundern.

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Es gibt gewisse Fehler, die, schön in Szene gesetzt, heller leuchten als selbst die Tugend.

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Wir verzeihen oft denen, die uns langweilen. Aber wir können nidit verzeihen denen, die wir langweilen.

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Wir lieben eher die, die uns hassen als die, welche uns mehr lieben, als wir wollen.

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Die Dauer unsrer Leidenschaften hängt nicht mehr von uns ab als die Dauer unsres Lebens.

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Die Leidenschaften sind die einzigen Redner, welche immer zu überzeugen verstehen. Sie sind irgendwie natürlich und also irgendwie unfehlbar. Der einfachste Mensch, von einer Leidenschaft besessen, überzeugt uns eher und besser als der beredtste, der ihrer ermangelt.

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Welche Entdeckungen man immer im Lande der Eigen» liebe gemacht haben mag: es bleiben immer noch weite unbekannte Strecken.

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Die Leidenschaft macht aus dem fähigsten Menschen einen Irrsinnigen, und aus dem größten Trottel ein Talent.

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Die Coquetten machen sich eine Ehre daraus, eifersüchtig auf ihre Liebhaber zu sein, um zu verbergen, daß sie eifersüchtig auf alle übrigen Frauen sind.

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Das Alter, das einmal liebenswürdig war, wirkt lächerlich, wenn es vergißt, daß es das nicht mehr ist.

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Wir würden uns unsrer schönsten Handlungen schämen, wenn die Welt die Motive sähe, die sie verursacht haben.

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Der größte Beweis von Freundschaft ist nicht, dem Freunde unsere Fehler aufzuweisen, sondern ihn die seinigen sehen zu lassen.

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In der Liebe ist der am ersten Geheilte immer der am besten Geheilte.

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Wenn man glaubt, seine Geliebte zu lieben aus Liebe zu ihr, so dürfte man sich schwer täuschen.

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Sobald man sich heftig bemühen muß, um treu zu bleiben, so gilt das nicht weniger als eine offene Untreue.

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Das Glück läßt unsere Tugenden und Laster erscheinen, wie das Licht die Dinge erscheinen läßt.

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Man ist zuweilen weniger unglücklich, wenn man von dem geliebten Wesen getäuscht — als wenn man von ihm ent­täuscht wird.

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Man wird ewig an seine erste Geliebte denken — wenn man keine zweite nimmt.

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Das, was sich am wenigsten in einer Liebschaft findet — ist die Liebe.

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Ein ehrenwerter Mann kann verliebt sein wie ein Tollkopf — aber nicht wie ein Dummkopf.

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Die Eifersucht wird immer mit der Liebe geboren aber sie stirbt nicht immer mit ihr.

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Die anständigen Frauen nehmen ihren Beruf nicht allzu — tragisch . . .

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Oft weinen wir Tränen, die, nachdem sie die andern betrogen haben, uns selbst noch betrügen.

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Die Mehrzahl der anständigen Frauen sind wie verborgene Schätze. Sie sind nur darum in Sicherheit, weil man nicht nach ihnen sucht.

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Es ist viel leichter, einen Menschen im allgemeinen zu kennen als im besonderen.

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Wir versuchen, den Fehlern Ehre zu machen, die wir nicht ::u korrigieren wünschen.

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Die heftigsten Leidenschaften lassen uns manchmal in Ruhe, nur die Eitelkeit erregt uns immer.

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In der Freundschaft wie in der Liebe ist man im allge­meinen glücklicher durch das, was man nicht weiß, als durch das, was man weiß.

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Die alten Tollköpfe sind toller als die jungen Tollköpfe.

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Die meisten Frauen werden darum von dem Gefühl der Freundsdiaft wenig berührt, weil sie fade schmeckt nach einem Trunke der Liebe.

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Das menschliche Herz beherbergt gleichsam eine ganze Generation von Leidenschaften: stirbt die eine dahin, blüht die andre empor.

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Die Leidenschaften erzeugen oft in und aus sich ihr Gegen­teil: Geiz zeugt Verschwendung, Verschwendung Geiz. Oft ist man stark aus Schwäche und kühn aus Furcht.

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Wenige Menschen verstehen es, alt zu werden.

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Alle Leidenschaften lassen uns Torheiten begehen, aber die Liebe die lächerlichsten.

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Die jungen Frauen, die nicht coquett erscheinen wollen, und die Männer eines vorgerückten Alters, die sich nicht lächerlich machen wollen, dürfen niemals von der Liebe sprechen als von einer Angelegenheit, an der sie teilhaben könnten.

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Wir verzeihen unsern Freunden leicht die Fehler, die sie an uns nicht bemerken.

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Nichts hindert uns so sehr, natürlich zu sein, als die Lust, es zu scheinen.

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Liebende Frauen verzeihen leichter die größte Indiskre» tion als die kleinste Untreue.

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Es gibt wenig Frauen, deren Verdienst länger dauert, als ihre Schönheit.

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Man ist gewöhnlich weit eher boshaft aus Eitelkeit, denn aus Bosheit.

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Wenn das Herz noch von den letzten Wogen einer Leiden* Schaft bewegt wird, ist man weit eher geneigt, sich in einen neuen Sturm zu wagen als an Land zu gehen.

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Es gibt von sich eingenommene Menschen, die, wenn sie verliebt sind, Mittel finden, derart von ihrer Leidenschaft erfüllt zu sein, daß die Person, die sie lieben, keinen Platz mehr in ihnen findet.

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Es verschlägt weniger, wenn man jung ist ohne Schönheit, als wenn man schön ist ohne Jugend.

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Es gibt wenig Dummköpfe, die so unbequem sind wie die, welche Geist haben.

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Es ist wohl verständlich, daß die Unschuld ebensoviel Verteidiger findet — wie das Verbrechen.

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Von allen heftigen Leidenschaften ist es die Liebe, die den Frauen am besten steht.

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Es gibt mehrere Heilmittel gegen die Liebe, aber keines ist unfehlbar.

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Zuerst lieben die Frauen den Liebhaber. Später: die Liebe.

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So angenehm die Liebe an sich sein mag: sie gefällt mehr durch die Art, wie sie sich zeigt, als durch sich selbst.

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Die Eifersucht ist das größte aller Übel. Sie pflegt den, auf den man eifersüchtig ist, völlig kalt und mitleidslos zu lassen.

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Warum verlangen wir, daß ein Andrer unser Geheimnis bewahre, wenn wir es selbst nicht bewahren können?

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Man liebt es, andre zu durchschauen. Aber man liebt es nicht, selbst durchschaut zu werden.

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Die Menschen würden nicht lange in Gemeinschaft zu leben vermögen, wenn nicht einer der Narr des andern wäre.

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Man muß sich mit seinen Fehlern trösten, wenn man die Kraft hat, sie einzugestehen: sich und den andern.

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Es ist schwer, zu brechen — wenn man zerbrochen ist.

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Wenn man liebt, zweifelt man oft an dem, was man am tiefsten glaubt.

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Das größte Wunder der Liebe ist, — daß sie von der Coquetterie heilt.

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Die Gelegenheiten lassen uns die Menschen erkennen. Noch mehr: uns selbst.

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Es ist leichter, klug für andere als klug für sich zu sein.

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Wir sind so daran gewöhnt, uns vor den andern zu ver» stellen, daß wir uns schließlich vor uns selbst verheimlichen.

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Je mehr man die Geliebte liebt, um so näher ist man daran, sie zu hassen.

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Es ist schimpflicher, seinen Freunden zu mißtrauen, als von ihnen getäuscht zu werden.

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Wenn wir keine Fehler hätten, würden wir kein solches Vergnügen daran haben, sie bei den andern zu bemerken.

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Es gibt zwei Arten von Beständigkeit in der Liebe. Die eine währt daher, daß man in dem geliebten Wesen unaufhörlich neue Ursachen zur Liebe findet. Die andere: daß man sich eine Ehre daraus macht, beständig zu sein.

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Die Tugend würde nicht so weit gehen, — wenn ihr die Eitelkeit nicht Gesellschaft leistete.

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Die Hoffnung, so trügerisch sie sein mag, ist doch wenigstens dazu gut, um uns auf einen angenehmen Weg ans Ende des Lebens zu führen.

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Die Tugenden verlieren sich im Eigennutz, wie die Flüsse im Meer.

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 Die Schmeichelei ist ein falsches Geldstück, das nur durch unsere Eitelkeiten Kurs besitzt.

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Man ist oft so verschieden von sich —wie von den andern.

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Die Frauen werden durch ihren Geist mehr in ihrem (holden) Wahnsinn, als in ihrer Vernunft bestärkt.

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Man verzeiht, so lange man liebt.

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Es ist schwieriger, seiner Geliebten treu zu bleiben, wenn man glücklich — als wenn man schlecht behandelt wird und unglücklich ist.

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Die Frauen vermögen leichter ihre Leidenschaft — als ihre Coquetterie zu überwinden.

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Man meint oft, die Schmeichelei zu hassen — und man haßt nur die Art, wie einem geschmeichelt wird.

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Daß die Liebenden sich nicht langweilen, macht, weil sie immer von einander sprechen.

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Das Vergnügen der Liebe ist: zu lieben. Man ist glücklicher durch die Leidenschaft, die man selber hegt, als durch die, die man andern einflößt.

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Es gibt Frauen, die den Operetten „Vaudevilles“ gleichen. Man spielt sie nur eine Zeitlang und behält höchstens einen Refrain im Gedächtnis.

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Die Frauen sind oft nur aus Bequemlichkeit ehrbar.

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Das, was uns die neuen Bekanntschaften lieben läßt, ist nicht so sehr der Überdruß, den wir an den alten haben oder das Vergnügen, sie zu wechseln, als vielmehr das unbehagliche Gefühl, nicht genug von denen bewundert zu werden, die uns nur allzu gut kennen, und die Hoffnung, mehr Anbetung zu finden bei denen, die uns noch nicht so gut kennen.

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Es gibt eine Schönheit, die so schön ist, daß alle Welt fähig ist, sie zu sehen und zu fühlen.

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Nachwort. 

Francois, Herzog von La Rochefoucauld (1612—1680) schrieb seine „Maximes et reflexions morales“ in den Armen schöner Frauen am Hofe von Paris. Die Herzogin von Longueville, Frau von Sable, Frau von Sevigne und Frau von Lafayette, um nur die schönsten und geistvollsten zu nennen, waren seine Freundinnen. Skeptiker und Ekstatiker in eins: war seine Liebe immer von Zweifeln — sein Zweifel immer von Liebe erfüllt. Klar gedacht und blendend geformt, gehören seine graziösen Maximen stilistisch zu den Meisterwerken der französischen Literatur. — Ich habe meiner Auswahl und Übertragung die vollständige Ausgabe der Maximes <1678> zu Grunde gelegt.

Monti della Trinitä, März 1919.

Klabund