Ein Mann am Wege: Herr Wendriner

Herr Wendriner kauft ein

„… ’n Abend … ’ne schöne Fülle hier … Na, wollen mal sehen … Drängeln Se doch nich so … Nein, ich drängle gar nicht! … Ochse! … Unglaublich. Wir kommen ja gleich ran, wir waren zuerst hier. Warten Sie auch noch ’n bißchen? ’ne Goldgrube, diß Geschäft, was meinen Sie! Die verdienen hier, was se wolln. Ja – nun habe ich den Leuten geschrieben, wenn sie die Hypothek per 15. übernehmen, dann werde ich die Sache machen. Die Leute sind gut – aber bei der jetzigen Stagnation, kein Mensch hat Geld … Wem sagen Sie das! Ich hab den Leuten erklärt: Entweder ihr entschließt euch gleich, oder ich gehe raus – Frollein! Frollein, ja wir waren zuerst da. Padong! … Also zuerst mal von den Sardellen hier – sind se auch frisch? Na gut, ein halbes. Entweder ihr entschließt euch gleich, oder die Provision geht zu euern Lasten – nicht so kleine, Frollein, ja, mehr von unten! Und dann ein halbes Pfund Gemüsesalat … Wissen Se, in der Woche eß ich immer mit meiner Frau zu Hause, es ist billiger, und man weiß doch, was man hat. Ich hab heut abend noch ’ne Konferenz, und vorher will ich noch essen. Gefüllte Tomaten – nee. Aber ’n bißchen Aufschnitt können Sie mir geben. Haben Sie die gesehn? Erinnert ein bißchen an die Klara von Fritz. Die Frau ist schon fabelhaft. Wissen Se, wenn ich noch so wär wie früher – aber man hat ja so viel zu tun … Nu sehen Sie sich das Stück da hinten an! Eine dolle Angelegenheit! Schweinebraten, Frollein, aber nicht so fett. Ja, Schüh auch. Nein, die Sache ist noch nicht abgeschlossen – wissen Sie, steuertechnisch ist das nicht ganz einfach – aber wir haben da einen sehr tüchtigen Syndikus … Jäck macht noch Schwierigkeiten – immer gibt er Konterorders. Ein Fläschchen englische Sauce, Frollein, aber recht scharf! Gott, ich hab ihn genommen, weil ich mir gesagt habe: Er hält mir wenigstens die Angestellten zusammen. Sie, Sie kennen doch auch den Lachmann? Kommt doch der Junge heute morgen zu Jäck und will Gehaltszulage haben! Wie finden Sie das? Von den Kallwill-Äpfeln, Frollein! Ich hab mir aber den Jungen vorgenommen! Jetzt, in dieser Zeit – was denkt sich so ein Bengel eigentlich …? Waren Sie schon in den neuen Revuen? Da soll sich ja was tun! Wir gehn Sonnabend. Ich will mal sehen, ob ich nicht durch Lachmann ermäßigte Billetts kriegen kann. Haben Se gelesen, heute im Achtuhrabendblatt, mit den Gespenstern? Okkultismus – ich weeß nich … Sie? Wer singt da auf der Straße? Kommunisten? Ich denke, das ist vorbei? Ach so, bloß Wandervögel! Sie – heute hab ich die Reichswehr vorbeiziehn sehn, die sind da an unserm Geschäft langgekommen – ich sage Ihnen: fabelhaft! Wie früher! Sehr gut. Na, der Hindenburg macht seine Sache schon ausgezeichnet, das muß man ihm lassen. Prozeß in Leipzig? … Ich weiß nicht – nu geben Sie schon den Zettel her! … Ich lese keine Politik. Nee, wissen Se, grundsätzlich nicht. Man hat ja nichts wie Ärger davon. Vierundzwanzig achtzig, wieso? Ach so – ja. Kommen Se, da kommt die Neun! Ich weiß nicht, ich hab wieder meine Leberbeschwerden beim Gehen – ich muß doch mal zum Spezialisten. Nein, wir haben einen sehr guten, einen Vetter von meiner Frau. Eine erste Kapazität. Er nimmt fünfzig Mark für eine Konsultation. Na – mir macht ers natürlich billiger. Wissen Sie, hier oben fangen die Schmerzen an, und da unten hören sie auf. Nachts gar nicht – bloß am Tage. Dabei leb ich schon Diät. Was haben Sie? Neuralgie? Sollten Se mal ein heißes Bad nehm. Grüßen Sie Ihre Frau! Atchö.

Auch ’n Mensch. Wissen möcht ich: wovon lebt der eigentlich –?“

Herr Wendriner erzieht seine Kinder

„… Nehm’ Sie auch noch ’n Pilsner? Ja? Ober! Ober, Himmelherrgottdonnerwetter, ich rufe hier nu schon ’ne halbe Stunde – nu kommen Se doch ma endlich her! Also zwei Pilsner! Was willst du? Kuchen? Du hast genug Kuchen. Also zwei Pilsner. Oder lieber vielleicht – na, is schon gut. Junge, sei doch mal endlich still, man versteht ja sein eignes Wort nicht. Du hast doch schon Kuchen gegessen! Nein! Nein. Also, Ober: noch ’n Apfelkuchen mit Sahne. Wissen Se, was einem der Junge zusetzt! Na, Max, nu geh spielen! Hör nicht immer zu, wenn Erwachsene reden. Zehn wird er jetzt. Ja, also ich komme nach Hause, da zeigt mir meine Frau den Brief. Wissen Sie, ich war ganz konsterniert. Ich habe meiner Frau erklärt: So geht das auf keinen Fall weiter! Raus aus der Schule – rein ins Geschäft! Max, laß das sein! Du machst dich schmutzig! Der Junge soll den Ernst des Lebens kennenlernen! Wenn sein Vater so viel arbeitet, dann kann er auch arbeiten. Wissen Se, es is mitunter nicht leicht. Dabei sieht der Junge nichts andres um sich herum als Arbeit: morgens um neun gehe ich weg, um halb neun, um acht – manchmal noch früher – abends komme ich todmüde nach Hause … Max, nimm die Finger da raus, du hast den neuen Anzug an! Sie wissen ja, die große Konjunktur in der Zeit, das war im Januar, dann die Liquidation – übrigens: glauben Sie, Fehrwaldt hat bezahlt? ’n Deubel hat er! Ich habe die Sache meinem Rechtsanwalt übergeben. Der Mann ist nicht gut, glauben Sie mir! Ja, also mein Ältester ist jetzt nicht mehr da. Max, laß das! Angefangen hat er bei … Also hören Sie zu: ich hab ihn nach Frankfurt gegeben, zu S. & S. – kennen Sie die Leute auch? – und da hat er als Volongtär angefangen. Ich hab mir gedacht: So, mein Junge, nu stell dich mal auf eigne Füße und laß dir mal den Wind ein bißchen um die Nase wehn – Max, tu das nicht! – jetzt werden wir mal sehn. Meine Frau wollte erst nicht – ich bin der Auffassung, so was ist materiell und ideell sehr gut für den Jungen. Er liest immer. Max, laß das! Ich habe gesagt: Junge, treib doch Sport! Alle deine Kameraden treiben Sport – warum treibst du keinen Sport? Ich komme ja nicht dazu, mit ihm hinzugehn, mir täts ja auch mal sehr gut, hat mir der Arzt gesagt, aber er hat in Berlin doch so viel Möglichkeiten! Max, laß das! Was meinen Sie, was der Junge macht? Er fängt sich was mit einer Schickse an aus einem Lokal; ’nem Büfettfräulein, was weiß ich! Max, was willste nu schon wieder? Nein, bleib hier! Du sollst hierbleiben! Max! Max! Komm mal her! Du sollst mal herkommen! Max, hörst du nicht? Kannst du nicht hören? Du sollst mal herkommen! Hierher sollst du kommen! Komm mal her! Hierher. Was hast du denn? Sieh dich vor! Jetzt reißt der Junge die Decke … ei weh, der ganze Kaffee auf Ihre Hose! Kaffee macht keine Flecke. Du dummer Junge, warum kommst du nicht gleich, wenn man dich ruft! Jetzt haste den ganzen Kaffee umgeworfen! Setz dich hin! Jetzt gehste überhaupt nicht mehr weg! Setz dich hin! Hier setzte dich hin! Nicht gemuckst! Gießt den ganzen Kaffee um! Hier – haste ’n Bonbon! Nu sei still. Ja – er war schon immer so komisch! Bei seiner Geburt habe ich ihm ein Sparkassenkonto angelegt – meinen Se, er hats einem gedankt? Schule – das wollt er nicht! Aber Theater! Keine Premiere hat er versäumt, jede Besetzung bei Reinhardt wußte er, und dann Film … Nee, wissen Se, das war schon nicht mehr schön! Ja, nu hat er mit der … em … Max, sieh mal nach, ob da vorn die Lampen schon angezündet sind! Aber komm gleich wieder! Mit dieser Schickse geht er los! Natürlich kostet das ’n Heidengeld, können Se sich denken! Nu, es sind da Unregelmäßigkeiten vorgekommen – ich hab ihn wegnehmen müssen, und jetzt ist er in Hamburg. Ach, wissen Se, ich hab schon zu meiner Frau gesagt: Was hat einem der liebe Gott nicht zwei Mädchen gegeben! Die zieht man auf, zieht sie an, legt sie abends zu Bett, und zum Schluß werden sie verheiratet. Da hat man keine Mühe. Und hier! Nichts wie Ärger! Max! Max! Wo bloß der Junge bleibt! Max! Wo warst du denn so lange? Setz dich hierhin! Der Junge ist noch mein Grab – das sage ich Ihnen. Kommen Se, es ist kalt, wir wollen gehn.

Ich frage mich bloß eins: diese Unbeständigkeit, diese Fahrigkeit, diese schlechten Manieren – von wem hat der Junge das –?“

Herr Wendriner telephoniert

Der gesamte Postbetrieb des Reiches ruhte am Tage der Beerdigung Walter Rathenaus von zwei Uhr bis zwei Uhr zehn Minuten.

„Wenn er die Faktura nicht anerkennt, dann werde ich ihn eben einfach mal anrufen. Legen Sie die Kuverts inzwischen auf ’n Stuhl. Welches Amt hat Skalitzer? Amt Königstadt? Na, warte … Nu? Na? Na, was ist –? Fräulein! Warum melden Sie sich denn nicht? Haste gesehen: sie sagt nicht, warum sie sich nicht meldet! Fräulein! Na, ist denn der Apparat nicht in Ordnung …? Fräulein Tinschmann, was ist mit dem Apparat? Ist er nicht in Ordnung? Wie oft hab ich Ihnen schon gesagt … Was? Was ist? Der Betrieb ruht? Was heißt das? Warum …? Ach so – wegen Rathenau. Danke, Sie können wieder gehn … Wegen Rathenau. Sehr gut. Sehr richtig ist das. Der Mann ist ein königlicher Kaufmann gewesen und unser größter Staatsmann. Das ist unbestritten. Schkandal, daß sie ihn erschossen haben! So ein effektiv anständiger Mensch! Ich hab noch den alten Rathenau gut gekannt – das waren Kaufleute waren das! Na, er hat eine hervorragende Trauerfeier im Reichstag gehabt! Sehr eindrucksvoll. Glänzend war der Leitartikel heute morgen – ausgezeichnet. Ja, die Regierung wird ja kräftig durchgreifen – eine Verordnung haben sie ja schon erlassen. Ausm Auto raus zu erschießen – unerhört! Die Polizei sollte da … Fräulein! Die zehn Minuten sind noch nicht um. Glänzende Schützen müssen das gewesen sein, die Jungens. Vielleicht Offiziere … Aber das kann ich mir eigentlich gar nicht denken: die Regimentskameraden von Walter waren doch damals alle zu Tisch bei uns – alles so nette und feine Leute! Famose Erscheinungen darunter! Ich hab mich ja damals doch gefreut, wie der Junge Reserveoffizier geworden ist! Fräulein! Fräulein! Ein bißchen länglich die zehn Minuten! Fräulein! Aber wenn sie eine Minute länger streiken als zehn Minuten – ich bin imstande und beschwer mich! Fräulein! Ich muß doch den alten Skalitzer haben! Kateridee, deshalb das Telephon abzusperren! Davon wird er auch nicht lebendig. Solln se lieber die Steuern gerecht verteilen, das wär mehr im Sinne des Verstorbenen gewesen! Fräulein! Wer sperrt das Telephon ab, wenn ich mal nicht mehr bin? Kein Mensch! Meschugge, das Telephon abzusperren! Wie soll ich jetzt an Skalitzers ran? Nachher ist der Alte sicherlich zu Tisch gegangen. Schkandal! Mehr Lohn wollen die Leute – das ist alles. Was sind das für Sachen, einem am hellerlichten Tage das Telephon vor der Nase abzusperren! Unterm Kaiser sind doch gewiß manche Sachen vorgekommen – aber so was hab ich noch nicht erlebt! Unerhört! Das ist eine Belästigung der Öffentlichkeit! Solln se sich totschießen oder nicht – aber bis ins Geschäft darf das doch nicht gehn! Überhaupt: ein Jude soll nicht solches Aufsehen von sich machen! Das reizt nur den Antisemitismus. Seit dem neunten November ist hier keine Ordnung mehr im Lande. Ist das nötig, einem das Telephon abzusperren? Wer ersetzt mir meinen Schaden, wenn ich Skalitzer nicht erreiche? Fräulein! Nu hör an – da draußen gehn se demonstrieren! Sieh doch – mit rote Fahnen – das hab ich gar gern! Was singen sie da? Fräulein! Se wern noch so lange machen, bis es wieder Revolution gibt! Fräulein! Mich kann die ganze Republik … Fräulein! Fräulein! Mein politischer Grundsatz ist … Fräulein! Endlich! Fräulein! Königstadt –!“

Herr Wendriner hat Gesellschaft

„Auf Wiedersehn, Frau Doktor! Auf Wiedersehn, Herr Welsch! Kommen Sie gut nach Hause, guten Abend! Gunahmt …! Uff.

Wieviel Uhr ist es? Herrgott, viertel zwei! Mannheimers wollten um halb eins gehen, was hast du sie genötigt, noch zu bleiben …? Der Rotwein muß zugekorkt werden, der ist noch sehr gut. Hua – bin ich müde! Hast du die Korridortür zugeschlossen? Wer kommt da? Ach so, Marie. Na, Marie? Sind Se zufrieden, ja? Mach mal die Tür zu. Ich bin überzeugt, daß Gerolds nicht zwei Mark gegeben haben, die Frau ist derartig knickrig … Vera sah heute abend sehr gut aus, fandst du nich? Bis auf die Pickel – daß das Mädchen gar nichts dafür tut! Den Schlüsselring? Hab ich nich gesehn. Immer verlegste den Schlüsselring! Sieh doch mal im Nachttisch nach oder im Herrenzimmer! Nein, ich hab ihn nicht! Wie oft soll ich noch … Halt deine Sachen zusammen! Übrigens: Tante Jenny lad ich zu so ’nem Abend nicht mehr ein. Was frißt diese Person! Das ist ja fürchterlich! Bitte, das ist deine Verwandtschaft. Meine Verwandtschaft frißt nicht, die macht bloß Pleite. Haste die Schlüssel? Na, Gott sei Dank. Paß doch bloß auf deine Sachen auf! Der Hasenbraten war ganz gut, findste nich? Das Eis war ein bißchen zerlaufen, das Mädchen muß besser aufpassen. Mit dem Likör hat mich der Marschall schön angeschmiert! Hat mir da erzählt, das wär eine Ausnahme und nur für mich – nicht zu trinken das Zeug. Nu ja – es muß ihnen doch geschmeckt haben, es ist fast gar nichts mehr drin in der Flasche. Schade. Wo ist denn mein Zigarrenetui? Hanne! Hanne! Haste mein Zigarrenetui nicht gesehn? Wo ist denn mein Zigarrenetui? Wahrscheinlich gestohlen. Natürlich, wo solls denn sonst sein – ich habs doch noch eben … mach mich nicht nervös! Such lieber. So ein gutes Etui! Vielleicht hats einer aus Versehen mitgenommen … ach, da ist es. Was packste denn noch so spät in der Nacht? Laß das das Mädchen morgen machen, nu komm zu Bett. Regierers scheinen übrigens die Geschichte mit Oskar doch zu wissen, ich hab gehört, wie sie über den Tisch zu Lotte gesagt hat: „Alte Möbel sind noch keine Mitgift!“ Frechheit. Hast du übrigens den Doktor Landmann gefragt, was du für die Bronchien tun sollst? Hätt ich ruhig getan – lächerlich. Für was ist der Mann Arzt? Jack lad ich nicht mehr ein – das sag ich dir – allen Leuten will er seine Versicherungspolicen andrehn. Bei mir macht man keine Geschäfte, im Salon macht man keine Geschäfte. Ich hab übrigens vorhin mit Bräunling gesprochen: er sagt, Meyerhold will das Aktienpaket nicht nehmen, das, von dem ich dir erzählt habe. Nu hör doch schon mit dem Packen auf, es ist halb zwei. Haste das Tageblatt? Fritz sagt, der Artikel von T. W. wär heute so gut – ich wern mal lesen. Was sollen denn die ganzen Flaschen hier aufm Klosett? Laß doch mal die Flaschen rausnehmen … Nu is das Mädchen schon zu Bett! Die Flaschen hättste aber wirklich vorher rausnehmen lassen können – wo soll ich denn jetzt hier sitzen? Hanne! Wo ist der Kurszettel? Der Kurszettel liegt nicht dabei! Wie konntste übrigens zu Paul sagen, daß Meinicke uns Extrapreise macht! Du weißt doch, daß er morgen hinläuft, und mir macht Meinicke dann Vorwürfe! Nein, dir nicht! Mir. So –! Da stell die Flaschen nicht hierher! Nu heb schon mit auf – die ganze Badewanne ist grün, das geht nie wieder raus! Diese Gesellschaften! Es wird schon wieder rausgehn – stell dich nicht so an! Das hat alles in allem mindestens zweihundert Mark gekostet! Ich will gar nicht eingeladen werden – krieg ich dadurch mein teures Geld wieder? Außerdem revanchieren sich zum Beispiel Siegels nie – mal is ein Kind krank, mal haben sie kein Mädchen, so viel Ausreden möcht ich auch mal haben! Aber für die nächsten acht Wochen is nu Schluß mit Gesellschaft, das kann ich dir sagen! Nu mach, ich muß morgen früh aufstehen – komm schon, geh schon zu Bett. Ich komm gleich nach. Ich will bloß noch den Artikel lesen. Tritt da nicht rein. Ich bin froh, daß die Ferien kommen – ich kann sie schon alle gar nicht mehr sehn. Na – in Garmisch werden wir ja unsre Ruhe haben. Meyerholds kommen übrigens auch hin. Welschs auch, und der alte Regierer. Vielleicht bringt Lotte Greten mit. So ist man wenigstens nicht verraten und verkauft, da unten. Hanne! Hanne! Es ist wieder kein Papier da …! Jetzt hat die Gesellschaft sogar das ganze Papier aufgebraucht! Na laß man – ich nehm die Zeitung …!“

Herr Wendriner nimmt ein Bad

„Bademeister! Bademeister! Unerhört! Ist die Ostsee für die Kundschaft da, oder sind Sie für die Ostsee da? Was sich diese Leute erlauben! Nu geben Sie schon her den Bademantel! Hier! Nein, da! Herrgott … Nächstes Jahr gehn wir ins Gebirge – ich wer Ihnen das schon zeigen. Nein, die Zelle da will ich nicht – die andre. Morgen, Gumpel! Na, Sie auch hier? Ja? Nehm Se doch die Zelle nebenan, können wir uns ’n bißchen unterhalten. Meine Tür schließt nich. Habn Se sowas schon gesehn? Vafluchcht – so – jetzt is se zu. Eine Hitze is das heute … Is das Wasser warm? Sechzehn Grad? Das Thermometer geht sicher nach. Wo wohnen Sie? Wir wohnen im Pallaß. Mit Bad – natürlich. Gott, man brauchts hier eigentlich gahnich, aber meine Frau … Gumpel, is bei Ihnen auch so ein Sand in der Zelle? Ekelhaft – überall is Sand. Wie? Wie? Wer ist hier? Gutenberg? Hab ich nicht gesehn. Nein. Wie? Nein, ich kenne ihn bloß oberflächlich: er war bei mir zur Geschäftsaufsicht. Gumpel – haben Sie die Abendzeitung? Wie stehn Ufa? Wie? Und Höchster? Und Oberbedarf? Nischt los jetzt – ich mach auch fast gar nichts mehr. Was tut sich noch? Entwaffnungsnote? Meine Badehose is mir zu klein. Sehn Se mal unter Familienanzeigen nach, ob Georg Wertheimer drin steht. Steht nich drin? Komisch. Sind Sie fertig? Ich bin auch fertig.

Menge Leute hier. Das muß ’ne Goldgrube sein, son Bad. Na – wie wärs: wir pachten den Strand da unten an der Insel, bauen einen kleinen Badeort auf, machen ’ne A.-G. – wenn man da die Börsenzulassung kriegt, stehn die Aktien sofort mindestens … Nehm Sie doch Ihre Beine weg! Frechheit! Komm Se, ich leg mich erst noch ’n bißchen in den Sand. Volle Pension haben Sie? Ich weiß nicht: ich bin nich für volle Pension. Man hat lange nicht so viel fürs Geld. Sehn schlecht aus, Gumpel – fehlt Ihn was? Heute abend ist Nelson-Gastspiel – Gott, siß mal ’ne Abwechslung … Was halten Sie von der Aufwertung? Meschugge – sag ich Ihnen. Manche warten schon drauf. Bloch wär ’n gemachter Mann. Was meinen Sie – ich habe gestern schon zu meim Schwager gesagt: man sollte bei den Auslandsverkäufen wieder das Skonto erhöhen. Wegen der Konkurrenzfähigkeit. Hab ich Ihnen eigentlich schon erzählt, wie die letzte Generalversammlung verlaufen ist? Ja, Dienstag war se – die hab ich noch mitgenommen. Der Löwenstein war da, ein ganz frecher Patron! Steht da auf und hält da eine Rede – „im Namen der Opposition“ –, und er ist gegen die Ausgabe von Vorzugsaktien an die Aufsichtsratsmitglieder! Wir ham ihn ruhig reden lassen, und dann ist der Justizrat Goldscheider aufgestanden, der junge, nicht der alte — nein, der Bruder, der, der immer Sodbrennen hat, und hat ihn sehr ernst zurückgewiesen. Außerdem hatten wir die Majorität. Sehn Se mal, das Schiff da hinten. Ein Kriegsschiff? Glaub ich nicht! Na, wenn schon. Was meinen Sie, wie nötig braucht Deutschland eine Kriegsflotte. Der Wilhelm war gar nicht so schlecht, wie se ihn jetzt immer machen. Na ja – ein Goi … aber doch ganz gut. Rasieren müßt ich mich heute lassen. Sie wern auch schon ganz hübsch dick, Gumpel. Sie sollten mal was für Ihre Gesundheit tun. Man kriegt leicht ’n Schlag, wenn man so dick ist wie Sie. Sahrnsema: was ham Sie eigentlich mit dem Grundstück in der Königstraße gemacht? Verkauft? Hätt ich nicht getan. Heutzutage … ’ne alte Baracke? Na, wenn auch. Ich geh ’n bißchen ins Wasser. Gehn Sie auch ins Wasser? Ich geh ’n bißchen ins Wasser. Erst die Brust kalt machen – hat mir der Arzt geraten. Gumpel – nehm Se sich in acht! da kommt ’ne Welle! Sehn Se! Sehn Se! Da hinten steht mein Schwager mit Ihrer Frau und meinem Ältesten! Huhu! Huhuhuhu! Jaa! Nachher! Ins Strandrestaurant! Bringt die Stullen mit! Gumpel – Sie sind ein kühner Schwimmer. Wo haben Sie das gelernt? Äh – mir die Welle übern ganzen Kopp. Ich geh raus. Gumpel – hatten Sie nich noch ’n Grundstück neben dem andern? Das wollen Sie behalten? Ich würde heute keine Grundstücke behalten. Für 365 Mille … nu, ich meine, man kann doch mal drüber reden. Der Sand zwischen den Zehen geht so schwer raus – bei Ihnen auch? Jedenfalls sag ich Ihnen: wenn die die Grundsteuerumlage wieder so erhöhen, wern Se schön dasitzen mit Ihren Grundstück. Nu – Se wern ja sehn. Wieviel Quadratmeter sind das? Vierunddreißig mal zehn – plus hundertachtzig … Hören Sie auf mich. Ich wer auf die Sache zurückkommen. Wie? Uralt der Witz, ich weiß schon: „Und da nimmt die Krankenschwester das Bettdeck hoch und sagt: Sie vielleicht?“ Ich bin fertig. Sind Sie auch fertig? Bademeister!

Wissen Se, Gumpel – son Bad – das ist direkt was Erfrischendes. Das bringt einen doch wieder mal auf andre Gedanken –!“

Herr Wendriner erzählt eine Geschichte

„Mahlzeit! Guten Appetit! Na, dann wolln wir anfangen! Na, was ist –? Du hast uns zum Essen reingerufen, und das Essen steht nicht auf dem Tisch! Hundertmal hab ich schon gesagt, wenn ich reinkomm, will ich, daß das Essen aufm Tisch steht. Das Mädchen …! Das Mädchen …! Entschuldigen Sie, Welsch, aber wir haben ’n neues Mädchen … Na, ich will mich am Sonntag nicht ärgern. Ja, also was ich sagen wollte: ich wollt Ihnen doch erzählen, was mir da neulich passiert ist. Ich komm also – ah, endlich, die Suppe! Guten Appetit! tu auf – ich komm also nachm Theater, ich glaube, es war im Schauspielhaus, nein, doch nicht … im Deutschen Theater, richtig, komm ich raus und geh so auf die Straße – mir nicht so viel Klößchen – Welsch, nehm Sie von den Klößchen, die sind excillent, ich soll sie bloß nicht essen, ich wer so dick, sagt der Arzt – komm ich raus, spricht mich ein wildfremder Mensch an. Ganz jung, ein ganz junger Mensch … Soo! Walter, kannste dich denn nicht vorsehn! Jetzt haste wieder alles danebengespritzt! Nächstens wern wir dir ’n Pichel umbinden! So ein großer Junge! Weiß oder rot, Welsch? Ich nehm auch lieber roten … ’n ganz junger Mensch, ich kenn ihn nicht – gib mir mal ’n bißchen Salz – und spricht mich an. Er hätt nichts zu essen. Ich sage, lieber Freund, sag ich, ich hab auch manchmal nichts zu essen, aber deshalb spricht man doch nicht gleich jeden Menschen auf der Straße an! Ausgerechnet mich! Als ob nicht reichere Leute aus dem Theater … Lächerlich, Welsch, was Ihnen meine Frau auftut, könn Sie essen! Genieren gibts hier nicht, nu nehm Sie schon … Also ich sag zu dem jungen Mann, hörn Sie mal, sag ich, Sie sehn doch ganz anständig aus, wie kommt das, daß Sie nichts zu essen haben … Also, Welsch, jetzt tun Sie mir den einzigen Gefallen und zieren Sie sich hier nicht! Nehm Se doch! Nu nehm Sie noch ’n bißchen Zander! Nu nehm Sie doch! Bedienen Sie sich! Genötigt wird hier nicht. Ja, sagt der junge Mann, er wär aus Breslau, ich horch natürlich auf – Walter, du sollst nicht so viel Buttersauce essen! Iß nicht so viel! Das bekommt dir nicht! Neulich hat er sich erst übergeben! Iß nicht so viel Buttersauce! Kannst du nicht hören? Nimm ihm mal die Buttersauce weg! Nehm Sie noch ’n bißchen, Welsch! Vorjen Sonntag war Regierer hier, der hat sich für drei Wochen voll gegessen! Ein gesunder Appetit! Nehm Sie noch ’n bißchen, Welsch! Jetzt hast du wieder das gehackte Ei vergessen! Paß doch ’n bißchen besser auf! Nie paßte auf. Was sagen Sie, Welsch? Volksentscheid? Ich weiß nicht, ich bin nicht dafür. Ich hab son unbehagliches Gefühl! Damit fangen sie an, und mitm Auto hörn sie nachher auf. Und ich will Ihnen mal sagen – unterbrich mich doch nicht immer! – ich will Ihnen mal sagen … grade die Juden sollten … La domestigue … Jaa, ja, das Fleisch ist sehr schön durch! Ich erzähl Ihnen nachher weiter. Jetzt nicht. Sagt der junge Mensch also zu mir, er wär aus Breslau. Ich hab mich unterbrochen, ßis nicht nötig, daß das Mädchen alles hört. Sie gehn bloß nachher rum und erzählen wer weiß was. Nehm Sie doch ’n bißchen Kompott! Kompott ist sehr gesund. Essen Sie auch Fruuhtsoohlt – ich meine, son Salz – es ist kein richtjes Abführmittel … Hilde, siehst du eigentlich von deinen Eltern, daß sie sich bei Tisch in der Nase bohren? Bei Tisch bohrt man nicht in der Nase. Tut man überhaupt nicht, hat Welsch ganz recht. Ja, um auf den jungen Mann zurückzukommen, er erzählt also von Breslau, kommt raus, er hat als kleiner Junge meinen verstorbenen Vater gekannt – er hat manchmal Bobongs von ihm bekomm. Ich hab mich natürlich nich zu erkennen gegeben, überhaupt war es schon spät, und es war auch ’n bißchen dunkel auf der Straße – ich konnt ja nicht wissen, wer der junge Mensch war … Ist kein Brot da? Siehste, wieder haste kein Brot reingestellt – du weißt doch, daß ich Brot beim Essen aufm Tisch haben will! Zieh dich eben vorher an! Das Bild hängt schief – Kinder, was macht Ihr bloß den ganzen Tag! Keiner paßt auf – wenn ichs nicht sehe …! Ja, ’n ganz hübsches Bild – ich sammel son bißchen. Impressionisten natürlich. Von der modernen Kunst halt ich nichts. Ja, also richtig: er sagt, er wär stellungslos, er hätt keine Wohnung – und – Mahlzeit! Mahlzeit! Mahlzeit, Hilde! Mahlzeit, Walter! Mahlzeit, Welsch! Komm Se, ’n Likör … Kaffee trinken wir drin. Komm Se, wir rauchen ’ne Zigarre. Hier, die is leicht. Nein, nehm Sie die – die is besser. Hier ham Se Feuer. Ja, um auf die Geschichte zurückzukommen – Sie, meine Frau ist grad mal rausgegangen, kennen Sie schon den Witz von dem alten Grafen, der heiratet und im Hotel vor der Hochzeitsnacht noch schnell in die Bar geht? Ja. Er verlangt Pilsner; sagt der Barkiehper, Herr Baron, nehm Sie kein Pilsner, das schlägt nieder. Nehm Sie lieber ’n Glas Scherri. Tut er. Wie er am nächsten Morgen runterkommt, sagt er zu dem Kellner: Wissen Se was, geben Sie mir zwei Glas Scherri und meiner Frau schicken Sie ’ne Kanne Pil– Ach, da bist du ja – ich sage grade zu Welsch, mit der Mietsregelung müßte man das anders regeln. Ist der Kaffee fertig? Ja? Komm Se, Welsch, wir wolln Kaffee trinken. Ein oder zwei Stück Zucker? Milch? Ich nehm nie Milch. Hat mir der Arzt verboten. Kaffee hat er mir auch verboten. Man kann bloß nicht alles tun, was einem die Ärzte sagen. Ja, nu passen Sie auf, wie das mit dem jungen Mann war. Er hat mich um meine Adresse gebeten … na, das hab ich nu nicht getan – ich wer doch einem fremden Menschen nicht meine Adresse geben … wo soviel Schwindler in Berlin rumlaufen. Dabei fällt mir ein: haben Sie eigentlich Oberbedarf verkauft? Ich weiß nicht … ich hab kein rechtes Zutrauen … Was! Was denn! Sie gehn doch noch nicht! Ach, Welsch, machen Sie doch keine Geschichten! Wird Ihre Schwägerin eben ’n bißchen warten! Komm Se immer noch früh genug hin! Lächerlich! Bleiben Sie doch noch ’n bißchen! Ih – bleiben Sie doch noch! Na, wenn Sie durchaus wollen. Warten Sie, ich bring Sie raus. Hier – das ist Ihr Überzieher. Das ist meiner. Ja, ich laß bei Kropat arbeiten – ich bin ganz zufrieden … er macht mir Extrapreise. Der Meister bedient mich immer selbst. Welsch, ham Sie das Papier hier hingeschmissen? Ach, das is von Ihren Blumen. Walter! Nimm mal das Papier hier weg! Hilde soll hinten nicht sonen Krach machen; sag ihr mal, Papa will das nicht. Und schick mir mal das Mädchen vor. Na, denn auf Wiedersehn, Welsch! Auf Wiedersehn! Komm Se gut nach Hause!

Wo bist du denn? Ich weiß nicht: der Welsch gefällt mir nicht. Nerwöhs is der Mann! Ich hab ihm ’ne Geschichte erzählen wollen – weißt du, das von dem jungen Mann, was ich dir schon erzählt habe, neulich vom Theater … die Sache is ja auch sehr interessant … Welsch kannste nichts erzählen. Weißte, was er tut? Er hört nicht zu.“

Herr Wendriner kann nicht einschlafen

„Herrgott, daß die Frau nicht still liegen kann! Manche Frauen schlafen, wie man sie hinlegt, und da schlafen sie dann! Nu lieg doch schon still! Wenn ichs Licht ausmache, liegste auch nicht still. Gut – ich wer ausmachen.

… Nicht möglich, zu schlafen. Ich weiß nicht, was das ist. Das Glas Bier abends kanns nicht sein, geraucht hab ich heute auch nicht – ich muß mal mit Friedmann drüber sprechen. Sport! sagt er immer – treiben Sie Sport! Wir können ja Fußball auf dem Kurfürstendamm zusammen spielen … lächerlich! Seine letzte Liquidation ist auch noch nicht bezahlt – na, soll er warten. Andre warten auch. Was hat er mir da neulich für’n Witz erzählt …? Ach so – „Sagen Sie mal: Aaa!“ Blendender Witz, den werd ich mal morgen Welsch erzählen, der kugelt sich über gute Witze … Was ist das für ein Schein … Die Feuerwehr? Nein, ein Auto … Gute Autos hat jetzt Berlin, ich sag immer, Ihr sollt euch noch mal solche Autos in Paris suchen; die Londoner taugen auch nicht viel. Was juckt mich denn da immer? Herrgott, jetzt wollt ich heute abend baden und habs vergessen … Na, morgen. Nein – morgen hab ich wieder keine Zeit – na, also morgen abend. Wir gehn ja nicht auf Brautschau. 45 000 in zwei Jahren zu 18% macht … 18% – die Leute sind ja wahnsinnig … Jetzt weiß ich das Wort. „amorph“ – den ganzen Tag ist mirs nicht eingefallen. „amorph“ – Lucie wollts für ihr Kreuzworträtsel wissen, im Geschäft ists mir den ganzen Morgen durch den Kopf gegangen – komisch, was einem so manchmal durch den Kopf geht … Freutel sollte mir doch die Bilanz von Esmarch & Ehrmann vorlegen – wieder hat ers vergessen – man müßt ’n Notizblock am Bett haben – morgen leg ich mit einen hin … Das Bein juckt wie verrückt. Ist das noch mein Bauch –? Ich wer dick. Wie ich noch die Sache mit Greten gehabt habe, da hat sie mich immer im Bett gekitzelt und hat gesagt: „Na, Dickchen …?“ Ja. – Schläfst du schon …? Immer schläft sie. Nu, man is ja kein Kind mehr. Wo ist denn Wasser – ich wer ’n bißchen Wasser trinken. Beinah ist die Uhr runtergefallen. Was is morgen abend –? Morgen abend muß ich im Büro bleiben und aufarbeiten, Dienstag, Mittwoch … übermorgen gehn wir zu Regierers, Trude kommt mit, die wollt Bescheid haben wegen der Perserbrücke – kriegt sie sehr billig … Der Joe ist ein ganz ungezogener Bengel, wer ich dem Vater mal bei Gelegenheit sagen, seh ich gar nicht ein – Freitag ham wir Billetts für die Oper, nachher sind wir im Bristol – Sonnabend ist die Modevorführung, hat sie mich richtig breitgeschlagen, daß ich hingehe … Ich hab da nur Interesse an Mokka … Ausspannen sollt man. Aber da ist jetzt garnich dran zu denken – vor Juli wirds nichts … vielleicht Bozen, Bozen ist mir sehr empfohlen worden … Vater wollt immer so gern nach Bozen … er is nie hingekommen … Wonach riecht denn das hier …? Ich hab doch Hanni gesagt, ich will das Parfüm hier nicht mehr haben … Schreckliches Parfüm! Wenn ich nicht Mitleid mit Oskarn gehabt hätte, hätt ichs ihm gar nicht abgekauft. Der hats auch zu nichts gebracht im Leben. Man muß es zu was bringen. Ich hab … ich wer mal rechnen: hundertdreißigtausend sind im Geschäft, viertausend sind da, dann die zwanzigtausend von Benno, das ist ja wie bar Geld … Fritz sagt, den Zauberberg sollt ich mal lesen. Der hats gut. Ich komm kaum noch zum Lesen. Nich mal die Memoiren von Wagner, die ich zu Weihnachten bekommen habe, hab ich gelesen. Man kommt zu gar nichts mehr. Ich denk jetzt so oft an den Tod. Quatsch. Doch, ich denk oft an Tod. Das kommt von der Verdauung. Nein, das kommt nicht von der Verdauung. Man wird älter. Wie lange sind wir jetzt verheiratet …? Nu, für sie ist ja ausgesorgt, so weit bin ich schon, Gott sei Dank. Wenn ich tot bin, wern sie erst wissen, was sie an mir gehabt haben. Man wird viel zu wenig anerkannt, im Leben. Hinterher ist zu spät. Hinterher wern sie weinen. Damals, bei dem alten Leppschitzer warn ja enorm viel Leute. So viel kommen bei mir mindestens auch … Jetzt kommt das Dienstmädchen erst nach Hause –! Die Tür könnt sie auch leiser zumachen … Was macht nu son Mädchen abends? Geht zu Freundinnen … Na, Emma hat ja ’n Bräutjam. Eigentlich ’n ganz hübsches Mädchen! Vorn noch alles da – Lieg doch still! Was denken nu sone Leute über unsereinen? Schimpfen sicher mächtig auf die Herrschaft, wenn sie abends zusammensitzen. Wie ich Lehrling war, gabs sone Bolschewistensachen nicht. Wir mußten schuften … hähä – wenn ich noch dran denke, wie wir dem alten Buchowetzki die Papierschere auf den Tisch geklebt haben … Und er zog und zog und kriegte sie nicht hoch – hähä! Aber wenn ich tot bin, wern sie weinen. Stresemann hat ’ne glänzende Rede gehalten, neulich auf der Wirtschaftstagung – kann man sagen, was man will. Das Brom hilft auch nicht mehr – vielleicht hab ichs zu früh genommen. Was –? Nichts. Das war nichts. Das war bloß eine Sprungfeder, unten an der Matratze …

Schrecklich, wenn man nicht einschlafen kann. Wenn man nicht einschlafen kann, ist man ganz allein. Ich bin nicht gern allein. Ich muß Leute um mich haben, Bewegung, Familie, Arbeit … Wenn ich mit mir allein bin: wenn ich mit mir allein bin, dann ist da gar keiner. Und dann bin ich ganz allein. Hinten juckts mich. Ich kenn das. Jetzt wer ich gleich einschlafen … Na, denn gut’n –“

Herr Wendriner betrügt seine Frau

„Nein, Sie stören gar nicht. Kommen Se rein – das ganze Personal ist schon weggegangen. Ja, ich hab noch ze tun. Setzen Se sich solange dahin, nein, nicht auf die Couverts! Dahin. Ja. Na, was tut sich? Gott, sosolala. Ja, meine Frau ist immer noch in Heringsdorf. Ich hab mich heute mittag verspätet, Welsch war da, wir haben zusammen gegessen, nu muß ich nachholen. Sie sehn nicht gut aus, Regierer – was haben Sie? Ich unterschreibe inzwischen die Post, Sie erlauben doch …? Danke. Nein. Vorigen Sonnabend? Ich? Mich haben Sie in der Scala gesehn? Da müssen Sie sich getäuscht haben. Das muß ein Doppelgänger gewesen sein! Ausgeschlossen. Nu, ich sag Ihnen doch … Nein! Wann soll das gewesen sein, um zehn in der Pause? Mit ’ner großen Blondine? Lächerlich. Gott weiß, wen Sie da erkannt haben. Sie haben meine Stimme im Gedränge gehört …? Was hab ich gesagt? „Ich würde gern mal die Probe machen, liebes Kind?“ Das soll ich gewesen sein –? Regierer, ich wer Ihn mal was sagen. Nehm Sie ’ne Zigarre?

Also hören Se zu, und machen Sie mir da keine Unannehmlichkeiten. Ich hab Ihnen doch gesagt, daß meine Frau erst in acht Tagen wiederkommt. Hier haben Sie Feuer. Da ist der Aschbecher. Also neulich hatt ich bei Kraft zu tun, er zeigt mir da ein paar neue Muster, ich will meiner Frau was anschaffen, wenn se zurückkommt, fürn Winter … der Mann schwimmt im Geld, das sag ich Ihnen … da geht eine fabelhafte Blondine durch. ’n Mannekäng. Ich sage zu Kraft, wer ist das, sage ich. Also er erzählt, das ist ein Frollein … Name tut ja nichts zur Sache, eine sehr anständige Person, hat einen Freund, natürlich … aber sonst: nich rühr an. Na, dacht ich … Wissen Sie, ich bin sonst gar nicht so – aber in der letzten Zeit, ich weiß nicht, ich fühl mich noch verflucht jung. Jetzt kann ich doch den Brief von Schleusner nicht finden! Also wir reden noch so, Kraft gibt mir sonst immer fünfzehn Prozent, an dem Tag wollt er bloß zehn geben, weiß ich, warum – da wird er ans Telephon gerufen. Er geht raus, und wie ich noch so in den Sachen rumwühl, kommt die Person rein. „Ist Herr Kraft da?“ sagt sie. Ich sage: Nein, aber wenn Sie mit mir vorlieb nehmen wollen? Na, ich streichel ihr ’s Händchen, sie sagt: Mit so alten Seegn will ich überhaupt nichts zu tun haben, so gibt ein Wort das andre – und schließlich hat sie mir dann versprochen, daß sie mit mir zusammen sein will. Na, haben Sie sowas gesehn, der Brief ist weg! Wo ist denn der …? Ich hab sie also für Sonnabend bestellt, ausgehen. Sie wollt durchaus in die Scala – ich hab ihr gesagt, das ist doch Wahnsinn, wo mich alle Leute kennen – sie hat gesagt, ach Unsinn, jetzt sind alle Leute weg, ich weiß doch aus dem Geschäft. Da sind wir also zusammen ausgegangen. Ja, also sie ist achtundzwanzig Jahr alt, hat ’ne Wohnung in der Bayreuther Straße, die bezahlt ihr Freund, der ist Prokurist bei Erdölundfette – übrigens eine sehr gute Sache … nicht Reißner, der ist doch nicht szerjeehs …! sie verdient sehr schön, vierhundert bei Kraft und manchmal Provision, der Freund gibt ihr auch noch tausend, also sie kommt aus. Die tausend versteuert sie natürlich nicht. Ihre alte Mutter wohnt in Landsberg. Der Brief ist weg – autsch! jetzt hab ich mir die Finger geklemmt … Gegessen haben wir in der Rüdesheimer Klause, kennen Se das? Ich kenn das noch von früher, ’n sehr nettes Lokal und gar nicht teuer. Sie wollt erst zu Heßler, ich hab gesagt, mein liebes Kind, das geht nicht, auch deinetwegen nicht. Das hat sie dann eingesehen. Na, und dann hat sie mir ihre Wohnung gezeigt. Reizend, sag ich Ihnen! Ein kleines Eßzimmer, sehr gemütlich, ein Gelegenheitskauf, noch aus der Inflation, dann ein Rauchzimmerchen, entzückende Kissen, behsch, hauptsächlich – und ein Parfum! Sie hat mir auch gleich ’ne Quelle für Parfums gesagt, ich wer hingehn und meiner Frau ein Fläschchen besorgen … Na und wie’s dann so weit war, wah se sehr vernünftig, hat sich gar nicht gesträubt, ach, wissen Se, das kann ich nicht leiden, diese Geschichten, man ist doch schließlich kein grüner Junge mehr, aber sie war wirklich Klasse …! Sie ging raus, und dann kam sie zurück im Pyjama, violett mit unten rosa abgesetzt – famos, eine famose Person! Wissen Sie, mir ist ganz anders geworden, ich hab sie so genommen und hab gesagt: … Sitzen Sie vielleicht auf dem Brief? Nein? Na, und dann hat sie mir ihr Schlafzimmer gezeigt. Ein riesiges Bett, von hier bis da, eine englische Kommode, ’n sehr schöner Teppich und Fenstervorhänge, Filet, Handarbeit, ich hab sie mir genau angesehn, nachher. Nebenan war gleich das Badezimmer. Na, die Frau – Ihnen gesagt! Grinsen Se nich so, Sie oller Heuchler! Sie hätten auch nicht Nein gesagt, wenn sie Ja gesagt hätte. Und, wissen Sie, Regierer, ganz unter uns: ich bin noch gar nicht so alt, wie ich immer gedacht habe … Ich habe nachher mit meinem Hausarzt gesprochen, der war sehr vernünftig, er hat mich bei der Gelegenheit untersucht, nein, das nicht, ausgeschlossen, sie ist doch ihrem Freund treu – er hat einen sehr guten Befund festgestellt. Nein, öfter. Das glauben Sie nicht? Lieber Freund, ich habs auch nicht geglaubt. Aber es war so. Morgens hat sie mir Kaffee gemacht, haben wir Kaffee zusammen getrunken, nein, unser Mädchen ist nicht da, sonst hätt ichs ja gar nicht machen können … Wollt sie nicht nehmen. Nichts zu machen. Ich hab ihr angeboten, zweimal, dreimal – nichts zu machen. Ich wollt ihr erst was schicken, dann dacht ich: Ach … Wirklich: ’ne famose Frau. Der Brief ist weg. Ja, ich komm gleich mit. Und wissen Se, was Kraft gemacht hat? Er hats natürlich gleich gewußt, weiß Gott, woher – sie hat ihm nichts gesagt, ausgeschlossen –! So, hat er gesagt, aber fünfzehn Prozent kriegen Sie diesmal nicht, Wendriner. Eigentlich müßt ich Ihnen noch was abziehen, für Platzmiete. Ein Hund. Aber deuten Sie nichts zu Hause an, ich will mein Haus rein halten. Ich hab meiner Frau das Kostüm gekauft und eine Flasche Parfum, sie kriegt auch ’ne Bonbonnière … Was heißt das? Sie hat sich am Strand erholt. Ich hab mich hier erholt. Am meisten hab ich mich über mich selbst gefreut. Da ist der Brief. Nein! Ich will mich doch da nicht attaschieren. Vielleicht später mal. ’n Augenblick! Nur noch die Post! So.

Lieber Freund! Wenn Sie jeden Abend Fußbäder nehm müssen, wollen Sie auch mal brausen –!“

Herr Wendriner steht unter der Diktatur

“Stieke –!

Ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht so laut reden. Vorm Kino stehn SA-Leute … siehste doch. Steig aus. Wieviel macht das? Es wird schon nicht regnen … das hält sich. Komm rein. Und halt jetzt den Mund. Verzeihen Sie, bitte … Sei jetzt still. Welche haben wir denn … ? Erste Reihe – is ja famos. So – den Mantel dahin, deinen … gib mal her.

Reklamefilms. Das ist ein Reklamefilm. Ach, den haben wir schon gesehn – das … Regierer –! Na, das ist aber komisch! Wie kommen Sie denn hierher? Was, in die Loge? Na ja, feine Leute … hähähä … So, das sind Steuerkarten. Ach? Du, Regierer hat noch zwei Karten frei, die hat er nicht verwenden können. Welsch kommt auch noch. Gehn wir doch in die Loge. Warten Sie, wir kommen zu Ihnen rüber … hier … nimm mal den Mantel … So. Hier kann man wenigstens reden.

Wochenschau war eben. Parade in Mecklenburg. Gut besetzt, was? … Eine Menge Miliz ist da – wissen Sie, daß einem direkt was fehlt, wenn die nicht im Saal sind? Ja. Man ist so daran gewöhnt … Man sieht übrigens sehr gute Erscheinungen darunter. Gott, ich finds einkich ganz nett. Nich wah, Hanne? Direkt feierlich. Ja. Na, Regierer, was sagen Sie denn nu so -? Was? Man wird doch da sehn? Das sag ich auch immer. Wissen Sie: ich finde das alles nicht so schlimm. Wann haben wir uns zum letztenmal gesprochen? Vor zwei Monaten … im September … Na, sehn Sie mal an … erinnern Sie sich noch, was das für eine Panik damals war? Man ist ja direkt erleichtert, seitdem … man weiß doch wenigstens, wo und wie. Na, das war eine Stimmung, damals … meine Frau hat mich vier Tage ins Bett gesteckt, so runter war ich. Wer hat denn das auch erwarten können! Man hat doch hier am Kurfürstendamm vorher gar nichts gesehn! Nein. Sehn Se – das ist Gebühr, Otto Gebühr. Dem solln neulich die Franzosen einen Antrag gemacht haben, er soll den Napoleon spielen. Hat er nicht angenommen. Er spielt bloß den Doktor Goebbels, hat er gesagt, und allenfalls noch den Fridericus. Guter Schauspieler. Hat jetzt seine große Zeit. Doch – das hab ich auch! Ich habe … ich habe damals Staatspachtei gewählt, weil eben damals einer die Verantwortung tragen mußte … und die Einstellung der Partei hat eben die Perspektiven richtig gesehn. Ja. Hat Welsch wirklich Zentrum gewählt? Meschugge. Ich wem nachher fragen. Jedenfalls: so schlimm ist es gar nicht. Ich habe einen Geschäftsfreund aus Rom gesprochen, der hat gesagt: Dagegen wäre es hier direkt frei. Sie haben doch auch den gelben Schein? Wir haben den gelben Schein, natürlich. Zehn Jahre? Ich wohn schon über zwanzig Jahr in Berlin; da habe ich ihn sofort gekriegt. Pause! Stieke –! Nu sehn Sie sich mal diesen schwarzen Kerl da unten an! Wahrscheinlich ein Ostjude … wissen Sie, denen gegenüber ist der Antisemitismus wirklich berechtigt. Wenn man das so sieht! Ekelhafter Kerl. Wundert mich, daß er noch hier ist und daß sien noch nicht abgeschoben haben! … Na, ich kann nicht klagen. In unsrer Straße herrscht peinliche Ordnung … wir haben da an der Ecke einen sehr netten SA-Mann, ein sehr netter Kerl. Morgens, wenn ich ins Geschäft gehe, geb ich ihm immer ne Zigarette – er grüßt schon immer, wenn er mich kommen sieht; meine Frau grüßt er auch. Was hat man Ihnen? Was sagt Regierer? Sie haben ihm den Hut runtergeschlagen? Wobei? Ja, lieber Freund, da heben Sie doch den Arm hoch! Ich finde, wenn die Fahne nu mal unser Hoheitszeichen ist, muß man sie auch grüßen. Stieke –! Pulverfaß … ! Pulverfaß … ! Meinen Sie, ich fühl mich ganz sicher? Jeden Vormittag klingelt mich meine Frau im Geschäft an, ob was is. Bis jetzt war nichts. Sehr gut war das ehm, haben Sie das gesehn? Wie der sich blind gestellt hat, dabei ist er taub? Na, ich will Ihnen was sagen … Du sollst doch den Namen nicht so laut nennen! – ich will Ihnen mal was sagen: Der H. – wenn er auch aus der Tschechoslowakei ist – der Mann hat sich doch hier glänzend in die deutsche Psyche eingelebt. Na, jedenfalls herrscht Ordnung. Also, Ordnung herrscht mal. Sowie Sie Staatsbürger sind und den gelben Schein haben, also Schutzbürger, passiert Ihnen nichts … darin sind sie konsequent. Das muß man ja sagen: aufgezogen ist das ja glänzend. Phantastisch! Was? Neulich auf dem Wittenbergplatz? Wie sie da mit ihren Fahnen und mit der ganzen Musik angekommen sind. Unterm Kaiser war das auch nicht bess … Welsch – Na, ‘n bißchen spät! Der halbe Film ist schon vorüber. Setzen Se sich mal dahin … nicht auf meinen Hut! Setzen Se sich auf Regierers Hut … der is nich mehr so neu!

Na, Welsch – was tut sich? Zeigen Sie mal … jetzt bei Licht kann ich Sie besser sehn! Sehn gut aus! Sie, is das wahr, daß Sie Zentrum … da kommen zwei Leute vom Dienst. Stieke! … Is das wahr, daß Sie Zentrum gewählt haben? Meschugge. Na ja – das Zentrum hat seinerzeit den Karewski auf die Liste gesetzt; das sind doch jüdische Sachen. Wir … Nich so laut! Vor allem leise! Machen Sie mir keine Unannehmlichkeiten – dazu sind die Zeiten zu ernst. Schließlich haben die Leute ganz recht, wenn sie in der Öffentlichkeit von uns Haltung verlangen. Da haben sie ganz recht. Jetzt fängts wieder an. Das ist Kortner … sehn Se, den lassen sie auch auftreten … Ich sage nehmich grade: so schlimm is es gar nicht. Nicha? Find ich auch. Hübsche Person – gucken Se mah. Wir haben grade von H. gesprochen. Bei dem weiß man wenigstens: er geht eim nich ann Safe. Bei den Kommunisten weiß ich das nicht. Oder vielmehr … ich weiß genau, was da rauskommt. Na, vorläufig können sie sich ja nich rührn; die sind ja plattgehauen. Ist ihnen ganz recht. Lieber Welsch, der Politiker hat da zu stehn, wo grade der Erfolg ist. Sonst ist er überhaupt kein Politiker. Und der Geschäftsmann auch. Das ist Realpolitik. Der eine macht die Politik, und der andre macht die Realien. Sehr richtig.

Nochmal Wochenschau? Na gut. Stieke –! Du sollst doch bei diesen Bildern nichts sagen! Laß doch den Leuten ihr Vergnügen – so schlimm ist das alles nicht. Sogar ein sehr gutes Bild … wir haben ihn neulich ganz aus der Nähe gesehn; er stand da mit seinen Unterführern … Nein! Goebbels ist doch raus … wissen Sie das nicht? Riesig populär sogar. Vielleicht grade deswegen. Der H. paßt ja sehr auf. Der Goebbels hat im Wintergarten auftreten wollen … aber sie ham ihm die Konzession nicht gegeben.

Heute wars ‘n bißchen schwächer. Bißchen schwächer. Warum -? So könn Se bei der Börse doch nicht fragen! Die Börse hat eine Nase … da frägt man nicht warum. Die Leute haben eine sehr feine Witterung –: wenns gut geht, sind sie stille und verdienen alleine, und wenns schief geht, machen sie die andern meschugge. Die haben hinterher noch immer genau gewußt, was passiert ist! Reizendes Bild, sehn Se mah an! Nu sehn Se mal, haben Sie das gesehn -? Wie die französischen Soldaten da alle durcheinander laufen … ? Na, das könnte bei uns ja nicht passieren! Ja, also … wenn auch manche noch so mäkeln –: ich finde, die Sache hat doch auch ihre guten Seiten. Wieso? Wieso denn? Was hat das mit dem Krieg zu tun? Was hat der Youngplan mit dem Krieg zu tun? Laß mich! Haben wir den Krieg gemacht? Wir haben bloß Hurra geschrien. Und nachher haben wir keine Butter mehr gehabt. Ach, erzähln Sie mir doch nichts! Seit wann muß denn ein Volk für einen verlorenen Krieg auch noch bezahlen! Schlimm genug, daß wirn verloren haben; die andern haben ihn gewonnen, solln dien doch bezahlen! Lieber Welsch … ich habe … ich bin … Stieke –!

Ich habe … Lieber Welsch … ich habe gewisse Sachen genau so erwartet wie Sie. Na ja, und seit ich sehe, daß das eben nicht ist, sehe ich, daß dieses System doch auch seine guten Seiten hat. Ich meine, es hat seine geschichtliche Berechtigung – laß mich! Das kann man nicht leugnen. Es hat seine … also ich meine, die Stadt hat doch auch ein andres Gesicht. Und die Fremden kommen auch schon wieder, weil sie ehm neugierig sind. Ich muß sagen: die Leute haben was. Ich weiß nicht, was … aber sie haben was.

Aus. Na, gehn wir. Ach so … noch das Wessel-Lied. Steh auf. Was soll man tun: man muß das mitmachen. Die Engländer singen auch immer nach dem Theater ihre Nationalhymne, na, und wir Deutschen singen eben ein andres Lied … Marschieren im Geist in unsern Reihen mit … Na, schön.

Verzeihn Sie bitte … Tz … tz … tz … es regnet. Nu regnets doch. Warte mal – vielleicht kommt ‘n Wagen. Stell dich da mal inzwischen unter; ich wer schon aufpassen. Das ist kein Sturmtruppführer, das ist ein Gauführer … ich kenn doch die Abzeichen. Stell dich doch unter! Wenn es regnet, soll man sich unterstellen. Haben wir nötig, naß zu werden? Laß die andern naß werden. Da kommt der Wagen.

Stieke –! Steig ein.”

Autorenangabe Kaspar Hauser

Herr Wendriner geht ins Theater

Für Paul Graetz

„Sehn Se, es hat schon angefangen!“

„»Verräterei wird nicht vererbt, mein Fürst,
Und überkämen wir sie von Verwandten,
Was gehts mich an? Mein Vater übte keine.“

„Wo ist denn – wo sind wir denn? Wo ist denn unsere Reihe? Hier? Nein, da! Entschuldigen Sie. Padong! Bitte sehr. Danke sehr. Nanu? Ach, da ist unser Platz. Uff – Ich hab Ihn gleich gesagt, wir hätten ‘n Auto nehmen solln!“

„Du Törin, du! Sie stiehlt dir einen Namen –„

„Haben Sie ‘n Zettel? Zeigen Sie mal – man kann jetzt nichts sehn. Wer ist das? Ausgeschlossen ist das die Bergner. Ich kenn sie doch: wir waren neulich zusammen mit ihr eingeladen bei – Pst! Psst! Ekelhaft, dass die Leute nicht pünktlich kommen können! Ein Miesnick, der da reinkommt! Nu sehn Sie sich die Beine an! So was muß Schauspielerin werden! Psst! Man versteht kein Wort, so leise sprechen die. Sehr schöne Ausstattung. Ja, Reinhardt.“

„O arme Rosalinde, wohin willst du?
Willst du die Väter tauschen? So nimm meinen!“

„Schönes Kleid, was die da anhat. Sehr schön … Ich kann nicht genau erkennen, aber ich glaube, da oben sitzen Korders. Doch, das sind sie, ich kenn doch den Kopp. Von wem ist die Musik? Na, ich wer nachher sehn. Die Bergner war noch nicht, was? Nein, sie war noch nicht. Nanu –? Schon Pause –? Ach so, Zwischenakt.

Nu sehn Sie sich mal an, da kommen immer noch Leute! Gut besucht. Die Kritiken waren ja auch sehr gut. Ich habe nur durch meinen Schwager die Billetts bekommen, sonst hätt ich sie gar nicht bekommen. Nein, meine Frau ist heute bei Welschs, die spielen Britsch. Spielen Sie gern Britsch? Ich mach mir nichts aus Britsch. Donnerwetter, ich glaube, ich hab vergessen, zu Hause das Gas am Badeofen auszumachen! Sehn Sie mal, die da! Die Nase find ich nicht hübsch; ja, die Augen gehn. Ah – da fängts wieder an. Erinnern Sie mich, dass ich Ihnen nachher den Witz mit dem Durchbruch erzähle!
Sehn Sie – das ist die Bergner! Ich kenn sie gleich, das ist sie. Schrecklich, wenn die Leute vor einem immer mit dem Kopf wackeln. Als ob das so schwer ist, den Kopf stille zu halten! Rücksichtslosigkeit. Reizend, nicht wahr? Ja, neulich bei Tisch, wo wir mit ihr eingeladen waren, war sie auch reizend. Eine reizende Person. Sagen Sie mal, haben Sie gesehen, dass ich den Brief eingeworfen habe, den ich vorhin in der Hand hatte? Ich glaube ja, was? Ja, ich glaube, ich hab ihn eingeworfen.“

„Könnt ich vom Glück nur diesen Lohn erwerben,
Nicht Schuldner meines Herrn und sanft zu sterben!“

„Pause. Sehr schön. Die Bergner ist fabelhaft. Die andern find ich nicht so gut. Nu hören Sie bloß, wie die da oben klatschen. Na, na –! Gehn wir bißchen raus? Ich geh ‘n bißchen raus, kommen Sie mit? Entschuldigen Sie nur, dass ich hier durchgehe! – ssississ! Natürlich waren das Korders, was hab ich Ihnen gesagt – den Kopp kenn ich. Kommen Sie, wir gehn ‘n Glas Bier trinken! ‘n Abend! Keine Ahnung, wer das war – man hat soviel Bekannte … Wer war das? Das war der? Den hab ich mir ganz anders vorgestellt – hat der nicht neulich die Geschichte gehabt mit dem Verhältnis von Kestenberg? Ich weiß nicht, sie hat abgetrieben, aber er wollt nicht, und dann hat er doch gewollt … Eine Fülle! Wir haben ganz gute Plätze, was? Ich sitz nicht gern Loge, ist doch nicht nötig! Sehn Sie mal vor uns: reizende Person! Famos angezogen, famose Figur! Kommen Sie, wir gehn mal vorbei – Donnerwetter! Fabelhaft! Haben Sie den Blick gesehn, den sie mir zugeworfen hat? Lieber Freund, die war gar nicht so ohne. ‘n Augenblick mal, meine Krawatte sitzt nicht, da is’n Spiegel – so. Sehn Se, da kuckt sie wieder. Na, die Frau ist schon Klasse! Überhaupt sehr gutes Publikum hier. Ich freu mich, dass wir so gute Plätze haben – ohne meinen Schwager hätt ich sie gar nicht gekriegt. Sehn Sie mal den – sicher ‘n Attaché, was? Skandal, so kleine Kinder mit ins Theater zu nehmen! Kleine Kinder gehören ins Bett. Na ja, ‘n klassisches Stück … Ich geh sonst nie in klassische Stücke – aber das hier ist ja was anders. Nu sehn Sie sich mal die an, den Schmuck! ‘n Ahmt! Regierer! – na, Sie auch hier? Ja, wir sind auch hier. Was machen Sie denn in soner guten Vorstellung? Ich meine … Sie interessieren sich nicht für Theater, denk ich? Na ja, die Kritiken waren ja sehr gut. Die Bergner ist fabelhaft. Ich sahre eben zu Epstein: ich mach sonst keine klassischen Vorstellungen, aber das hier ist ja was anders. Ja, natürlich. Selbstverständlich. Nein, wir waren gestern im Kino, zu Schepplien: ganz nett. Morgen gehn wir ins Philharmonische. Ich glaube links, hinten im Gang. Viel Vergnügen! ‘n Ahmt! Wissen Sie, der Regierer gefällt mir nicht. Seit er die Sache mit seinem Sozius gehabt hat … Was? das wissen Sie gah nicht? Der Sozius hat heimlich spekuliert, er ist erst dahintergekommen, wie der jeden Tag mit nem neuen Pelz ins Geschäft gekommen ist, und dann hat er doch die Aufregung mit dem Sohn, ja, der nach Italien gegangen ist mit der Person, wie heißt sie – Pst! da ist er. Na, haben Sie gefunden? ‘n Ahmt, Regierer! ‘n Ahmt! Viel Spaß! Alt geworden, der Regierer. Na ja, die Sorgen … Es grassieren jetzt überhaupt wieder viel Krankheiten, die Grippe, die Cousine meiner Frau hat auch Milzschwellung, der Arzt weiß noch nich … Kommen Sie, wir trinken ‘n Glas Bier! Nicht doch so drängeln! Wissen Sie, wenn man hier nicht drängelt, kommt man überhaupt nicht ran. Wieviel? Unverschämtheit! achtzig Pfennig für ein kleines Glas Bier! Son Geschäft möcht ich auch mal haben! Ach so, richtig, ich wollt Ihnen ja den Witz mit dem Durchbruch erzählen. Also … und da rufen die: Verrat! Verrat! wir sind im – – ahhahhaha! Gut, was? Hab ich heut im Geschäft gehört. Nein, das Stück hab ich nicht gesehn. Ach wissen Se, Tendenzstücke, wenn ich das will, les ich meine Zeitung. Kunst ist keine Politik, verstehn Sie mich?

Kommen Se, wir lassen uns die Garderobe rauslegen. Ach, Frollein, legen Sie mir doch nachher die Garderobe raus, ja? Hier – haben Sie dreißig Pfennig – ssiss gut so. Sie, ob das Gas zu Hause brennt? Das war mir sehr unangenehm – meine Frau kommt nehmich eher nach Hause als ich. Sie haben da ‘n Fussel auf Ihrem Anzug. Es klingelt. Gehn wir wieder rein. Fixen Sie eigentlich Franken? Ich weiß nicht … Übrigens haben Divan & Wronker ihr Geschäftsjubiläum gehabt – ich war da zum Essen. Haben Sie gratuliert? Müssen Sie tun – man kann nie wissen. Ja, es war ‘n großes Dineh, ‘s Essen war ganz gut, der Dings hat gesprochen, der von der Handelskammer; neben mir saß Kirsch, das möcht ich auf der Bank haben, was der schon in seinem Leben verloren hat – kommen Sie, wir müssen uns beeilen.

So, da sitzen wir. Ich geh ab und zu ganz gern ins Theater. Wissen Se: es lenkt ab –!“

Unter dem Pseudonym Kaspar Hauser im Jahr 1916

Herr Wendriner in Paris

Mohjn, Welsch! Na, wie gehts? Ja, wir sind wieder zurück. Seit vorgestern. Komm Se rein. Na, erst an der Riwjera und denn noch ‘n kleinen Abstecher nach Paris. Wies war –? Gott … wissen Se … wissen Se: Paris is nischt … manches ist ja schon faabelhaft. Nehm Se ne Zigarre –?

Also wie wir ankomm, regnets in Strömen. Ich denke: schon faul. Richtig: erst mußten wir zehn Minuten aufs Auto warten, der Kerl verstand erst nicht, na, dann gings. Ich hatte mir’n Zimmer reservieren lassen – Grang Hotel, ganz ordentlich. Na, und am nächsten Morgen sind wir dann los. Da hab ich meiner Frau mal Paris gezeigt. Nee, ich war vorher noch nicht da. Na, also die Buhlewars – ein faabelhafter Autoverkehr, na, unerhört. Da stehn die Autos man immer so in sechs, acht Reihen. Das ist schon imponierend. Und fahren tun die Kerls –! Man denkt immer, sie wem einen überfahn, oder man wird umkippen. Kippt aber keiner. Regierer war übrigens auch in Paris – wir trafen ihn auf der Plahhß an der Oper; mir war das sehr angenehm, er hatte die letzten Kurse aus Berlin telegrafisch bekommen, man hört doch immer gern von zu Haus. Sie, hörn Se, schmeißen Sie mir die Asche nich aufn Teppich, meine Frau kann das nicht leiden, hier ham Sie ‘n Aschbecher! Na, meine Frau hat eingekauft, nicht zu halten war sie. Wissen Se, soo billig ist Paris nu auch nich. Ich hab ihr unter anderm ‘n Jackenkleid gekauft und zwei Kleider, ein großes Abendkleid, dann was fürn Strand, wenn Gott will, wird sie das in Heringsdorf tragen – dafür hab ich bezahlt, zusammen, im ganzen also 3550 Francs, das macht, warten Se mal, das wahn damals … circa 510 Mark. Dafür hat sies in Berlin auch. Aber sehr schick ‘ne sehr schicke Verkäuferin hat uns bedient … Gegessen ham wir natürlich bei Prünjeeh. Haben Sie mal bei Prünjeeh gegessen? Nein? Na, faabelhaft. Sehr elegantes Publikum – Engländer, große Amerikaner, offenbar auch viel Diplomatie. Bei Ssiroh? Nein da war ich nicht, das soll ja nicht so gut sein. Im allgemeinen find ich die Portionen ‘n bißchen klein, die Orrdöwas sind ja phantastisch, aber die Portionen sind doch ‘n bißchen klein. Ein Freund von dem Bruder meiner Frau, der hat einen Vetter, der lebt in Paris, der hat uns in ein Lokal mitgenommen, da komm sonst Fremde nie hin, das war echt pariserisch. Na, und dann wahn wir im Louwer, sehr interessant, wahn Sie auch im Louwer?, ja, das muß man ja. Na, und denn sind wir noch so rumgebummelt, abends warn wir in der Revue, bei der Mistuingett. Ham Sie die Mistuingett mal gesehn? Ach, Sie ham sie gesehn … Na ja, die ist ja nicht so doll. Die Revue war ja faabelhaft. Aber dann haben wir in einem kleinen Theater da eine Person gesehn, ich weiß nicht mehr, wie sie heißt … ich komm nicht auf den Namen … die wem Sie nicht kennen – na, die war faabelhaft. Das hab ich noch nicht gesehn. Die Lichtreklame fand ich ja nicht so aufregend. Ich meine, das haben wir in Berlin auch. Dann wahn wir abends auf Mongmachta – kennen Sie das? Ach, Sie kennen das … Ja, ich war auch nicht so begeistert. Apachen sieht man gar nicht. Aber dann wahn wir im Perrokeeh – kennen Sie das? Das kennen Sie nicht? Was, Sie kennen Perrokeeh nicht? Na, das ist faabelhaft. Wir ham bezahlt, warten Sie mal, Sekt natürlich, alles in allem 320 Francs. Das sind … das waren damals 45 Mark. Im Café de Paris? So, wahn Sie da? Ich war da nicht, das soll ja nichts sein. Dann haben wir Freunds getroffen, wir hatten grade Strümpfe für meine Frau gekauft, und wie wir noch so vorm Laden stehn und umrechnen, wer steht da? Freund. Mit Frau. Ich mag ihn ja nicht. Hat er übrigens den Kredit aus Stuttgart bekommen? Sie, ich wer Ihnen was sagen: das ist ein ganz unverschämter Gauner ist das! Er hat gewußt, ich will den Kredit haben, schließlich haben wir zuerst mit den Leuten unterhandelt … Er sieht übrigens nicht gut aus. Regierer hat im Klärritsch gewohnt – ich möcht wissen, wie der Mann das macht. Was wir noch gesehn haben? Prünjeeh, die Revuen, die große Opa, Mongmachta, Notta Damm, den Louwer – na, das Wichtigste ham wir gesehn. Weiter ist ja dann auch nichts.

Ja, und einen Abend bin ich allein ausgegangen. Wissen Se … also ich hatt doch erst den Doktor Hauser aufgesucht, ja, der immer in der „Weltbühne“ diese Berliner Sachen schreibt. Jedesmal, wenn ich das lese, sag ich zu meiner Frau: ›Regierer – wie er leibt und lebt!‹ Na, er war kolossal erfreut, er freut sich wohl immer, wenn er Landsleute sieht. Ja. Na, und den hab ich nach Adressen gefragt. Seh ich gar nicht ein – wozu bin ich auf die ›Weltbühne‹ abonniert? Er hat gesagt, er wüßt keine … na, Regierer wußte aber welche, und an der Börse hab ich mir auch welche sagen lassen – und eines Abends hab ich zu meiner Frau gesagt, mein liebes Kind, du wirst müde sein, ruh dich aus, ich wer mir ‘n bißchen die Schaufenster ansehn gehn. Da haben wir uns dann ‘n Auto genommen, Regierer und ich, allein war mir die Sache zu riskant. Na, wissen Se … Vorm Haus standen schon andre Herrschaften, ich dräng mich so vorbei, auf einmal hör ich, wie einer sagt ›Boches!‹ – na, ich muß ja nicht von allem haben und wollt schon vorbei, aber auf einmal hör ich, die Leute sprechen deutsch! Da bin ich ran und hab dem Kerl aber ordentlich meine Meinung gesagt! Wissen Sie die Deutschen auf der Reise … Na! Ich habn aber ordentlich Bescheid gestoßen. Es war so ein ganz Kleiner, dem hab ichs aber gesagt! Na, und drin war denn alles voller Spiegel, und ein ganzer Saal mit nackten Weibern. Ein ganzer Saal voll. Na, nich rühr an, natürlich. Ich hab die obligate Flasche Sekt bezahlt, die Mädchen haben auch ein bißchen getanzt, eine hat was vorgemacht, eine sehr nette Person, sie sprach auch ‘n bißchen deutsch. Ich war eigentlich etwas enttäuscht. Ich hatt mir die Pariserin eleganter gedacht. Überhaupt, nu frag ich Sie: wo ist in Paris die Eleganz? Auf den Buhlewars sind ja manchmal ganz schicke Personen – aber ich meine, sowas sieht man bei uns in der Premiere auch. Ich wer Ihnen mal was sagen: es is sehr viel Blöff dabei. Verstehn Sie? Sehr viel Blöff. Das sag ich Ihn. Na, und am Dienstag sind wir dann weg. Meine Frau wollte noch bleiben. Aber ich hab gesagt, mein liebes Kind – nu is genug Paris. Mein Bedarf ist gedeckt.
Und ich wer Ihn mal was sagen, Welsch – Herrgott, schmeißen Sie doch die Asche nicht immer aufn Teppich! Tun Sie das bei sich zu Hause auch? ‘n Gemüt. Ich wer Ihnen mal was sagen: ich reise gewiß gern. Aber wissen Sie, wenn man so lange weg war, zur Erholung, immer in den Halls und in den eleganten Kasinos da unten, an der Riwjera, jeden Abend im Smoking – wenn dann der Zug so nach der Paßkontrolle über die Grenze fährt, und ich seh wieder den ersten Stationsbeamten in Preußisch-Blau – und man hat wieder seine Ruhe und seine Ordnung nach all dem Trubel – Paris hin, Paris her – könn Se sagen, was Sie wollen –: am schönsten is doch ze Hause –!“

Unter dem Pseudonym Kaspar Hauser im Jahr 1926

Herr Wendriner läßt sich die Haare schneiden

Für Morus

„Entschuldigen Sie mal – ich war zuerst dran! Allerdings warte ich länger wie Sie, Herr! Allerdings T –! Haare schneiden, hinten recht kurz wie gewöhnlich, was? Und nicht soviel Pomade wie voriges Mal, Sie haben mir das ganze Hutleder verdorben! Warten Sie mal – ich will mir erst’n Krahrn abbinden … So. Ja. Na, was Sie haben – Illustrierte oder irgend ne Zeitung – is egal. Ja – ›Lokalanzeiger‹. Gehm Se her. Nee – hab ich nicht gelesen. Ach, das? Olle Kamellen, stand ja heute schon in der „B.Z.“. Nö – find ich gar nicht – mir können die Franzosen nicht imponieren. Falsche Bande. Paris ist nicht zu trauen. Ihre Maschine ziept. Meines Erachtens nach ist der Handelsvertrag gar nicht nötig mit den Leuten – immer rankommen lassen! Die Leute wem schon kommen, wenn sie uns brauchen. Autsch! Schlechtes Bild von Eckener. So sieht er gahnich aus. Nee – ich habn nich gesehn. Kolossale Leistung von dem Mann – darauf können wir direkt stolz sein. Hier vorn auch noch ‘n bißchen, was? Der Mann hat was geleistet für das ganze deutsche Volk. Sehn Se sich vor da hinten, da hab ich immer meine Furunkeln. Nee, den Eckener macht uns kein Mensch nach. Passen Sie auf, der wird noch mal nach dem Nordpol fliegen. Kolossaler Rekord. Gestatten Sie die ›Lustigen‹, Herr? Danke sehr. Bitte sehr. Danke sehr. Ach – die Nummer kenn ich. Na, dann wer ich man ‘n ›Lokalanzeiger‹ weiterlesen. Die ›Lustigen‹ sind frei – ja. Das neue Rußland. Denkmalsenthüllung des Arbeiterdenkmals … Faule Bande. Die Leute sind heute an der Macht – jetzt genießen die eben. Natürlich sollte man ein Bündnis mit Rußland schließen – sehn Se mal: wenn England gegen Rußland wegen Indien geht, dann muß Deutschland Rußland helfen. Dann kriegt Frankreich die Platze. Das ist mal klar. Na und hinterher – da wem wir die Brüder schon einseifen. ‘n Abend, Herr Welsch! Na, Sie auch hier? Ja, Sie müssen noch warten – hier ist Hochbetrieb. Wozu zwei Handtücher? Ihr habts ja! Ach so, fürn Hals! Na, Herr Welsch, wie gehts denn? Danke, es geht. Was macht Ihre Frau Mutter? Noch immer krank? Gott, ne alte Frau … Wir hatten mal ne Großtante bei uns, die lebte bei uns, bis sie starb, die sagte immer, wenn mal Krach war: ›Wer weiß, wie lange ihr mich noch habt –!‹ Na, wir hatten sie ziemlich lange … Ich sage eben zu Lauch: Wir müßten ‘n Bündnis mit Rußland schließen. Meinen Sie nicht auch? Nicht wahr? Selbstverständlich. Ausgeschlossen. Na, ohne alle Frahre. Wieder Lohnerhöhung? Die Leute sind ja verrückt. Ham Sie ganz recht: man hat leider viel zu wenig an die Wand gestellt. Ich bin gewiß für sozial, ich meine, die Leute müssen ihren Lohn haben, aber sie können uns doch nicht erwürgen. Die Leute richten ja den gesamten Mittelstand zugrunde. Natürlich, die Industrie doch auch! Woher soll denn das alles kommen? Sie, dass mir das nicht auf die Stiebel trippt, Ihre Teerseife! Und nach dem Schampuhn mit was Scharfem. Buff … Aaah – das tut wohl. Sehn Se mal, hübsches Mädchen, was? Schade, dass das Bild da schon aufhört. Hähähä … Sie! aber ordentlich nachtrocknen, man holt sich ja den Tod mit dem nassen Kopf. Was? Wie? Direkt vor Ihrem Haus? Ein ganzer Trupp Reichsbanner? Nee – ich habe meinem nicht erlaubt, dass er dabei ist! Hat er nötig, sich auf der Straße rumzuschlagen! Bloß keine Extreme! Überhaupt: Politik gehört nicht auf die Straße. Sehr richtig – und die Jugend nicht in die Politik. Haben wir in unserer Jugend Politik getriebene Und wir sind auch was Anständiges geworden. Sehr richtig. Was meinen Sie, was die Reklame hier kostet – eine ganze Seite! Mindestens achthundert Mark! Na, natürlich. Die Leute müssen verdienen … So – jetzt ham Sie mir glücklich die Kappe verrutscht … nein! noch nicht die Kappe! – ich hab Ihnen doch gesagt, mit was Scharfem! Nicht Ihr Zeug, das stinkt so. Nehm Sie doch von meinem Haarwasser … schon wieder alle? Herrschaften, ich glaube, ihr trinkt das aus! Kucken Sie mal, Welsch, die Negri ist wieder nach Amerika gefahren. Sehr pikante Person. Nee, leider nicht, kleiner Schäker. Ja, hab ich auch gesehn. Bei Reinhardt. Wunderbare Aufführung, Wissen Sie, die Aufführungen bei Reinhardt sind immer wunderbar. Erstklassige Besetzung hat der Mann. Sicher ‘n Geschäft. Haben Sie das auch gelesen? Ich bin dagegen. Wieso? Würden Sie sich mit der Politik das Geschäft verderben lassen? Na also. Politik gehört nicht ins Geschäft. Nein, auf ‘n Rennplatz auch nicht. Ich wer Ihnen sagen, wo sie hingehört: Da wo sie hingehört, gehört sie hin! Früher hat sich kein Mensch um den ganzen Klimbim gekümmert, und es ist auch gegangen. Ich geh heut abend noch aus … Wo ist denn mein Schlips? Wo ist denn mein Schlips? Sie – wenn Sie mir den in Ihre Seifensuppe … nein, ach, da ist er ja. Na, dann lassen Sie sich man schön machen. Hier, das ist für Sie. Nichts zu danken.

Erhöhung der Eisenpreise? Nee, hab ich noch nicht gehört. Sie, lesen Sie mal da hinten, hier, nein, da, Herrgott, sind Sie ungeschickt! Hier! Lesen Sie mal da den Artikel mit der Amerikanerin, die drei Männer auf einmal gehabt hat … Sehr interessant. Vorhin habe ich eine junge Person gesehen, die hatte den Rock bis dahin hochgeschlagen gehabt; beim Sitzen, wenn ein Windstoß kam, sah man die ganze … Herrgott! Dreiviertelsieben! Ich erzähl Ihnen ein andermal weiter! Ich hab heute abend noch was vor. Auf Wiedersehn, Herr Welsch! ‘n Abend! ‘n Abend! Das ist ne Tür, Herr! Die ist zum Rausgehn! ‘n Abend! ‘n Abend!“

Unter dem Pseudonym Kaspar Hauser im Jahr 1925

Herr Wendriner läßt sich massieren

Für Emil Ludwig

– „Na, wie is denn heute mit dem Gewicht –? Hundertfümmwunneunzich, sehn Se mal an – das kommt davon! Wir warn gestern ahmt unten in Dresden, ich hab mich verleiten lassen, ne Flasche Sekt ze trinken … soll man nicht, was? Na, einmal ist keinmal. Ich wers hier im Sanatorium aufholen. Warten Se mal, das Badetuch … so. Öwwf.
Wissen Sie, man sollte hier vorn sonen kleinen Hahn haben, wo man sich das Fett abzapfen kann, meinen Sie nicht auch? Sonen kleinen silbernen Hahn, und da brauchen Sie gar nicht erst massieren – jeden Morgen kommt einer und dreht einfach den Hahn auf, und das Fett läuft ab. Die Technik ist noch nicht fortgeschritten, verstehn Sie mich? Aua, nich so doll! Das ist doch die Stelle … Haben die andern Herren schon geturnt? Ich habe heute nich geturnt, mir is ze kalt. Ich war auch zu müde. Generaldirektor Bronzheimer ist noch nich unten, wie? Der ist noch dicker wie ich, was? Komisch, der Mann mit seiner Arbeit – ein sehr beschäftigter Mann, kommt ausm Schlafwagen gar nich raus, da oben am Hals könn Sie ruhig ‘n bißchen stärker, das macht nichts. Aehhh – Was Neues in der Zeitung? Ich hab sie noch nich gelesen, ich les sie immer nachher, beim Frühstück. Die in Paris sind noch nich fertig, was? Das ist auch eine Sache … na, ich sage immer: laßt mich mit der Politik zefrieden – wenn nur die Geschäfte gut gehen; ich meine, es sollen alle verdienen, jeder, was ihm zukommt … nicha? Puuuuh – Sie sind natürlich organisiert, was? Sozialdemokratisch, wie? Nein? So, ich dachte; Gott, wissen Sie, die Sozialdemokraten sind gar nicht so schlecht, haben auch schon Wasser in ihren Wein gegossen, die Leute sehen ehm, dass man mit dem Kopf ehm nicht durch die Wand … autsch! Da müssen Sie nich so drücken … Mal gleich nachher die Zeitung holen … wissen Sie, ohne Zeitung bin ich ein halber Mensch. Auch in Berlin, gleich morgens das erste ist die Zeitung. Ahms? Abends auch. Ich lese ‘n ›Börsenkurier‹, und dann kauf ichs ›Achtuhrahmblatt‹, Gott, ‘s steht immer was drin. Das geb ich dann meiner Frau, und dann hab ich meine Ruhe. Mohjn Herr Pniower! Na, ma los, los! Ma ran an Speck! Sie solln auch was Gutes ham! Gut geschlafen? Ich habe ganz gut geschlafen, nur um sechs bin ich aufgewacht, da schläft neben mir ‘n Ehepaar, aber es war nichts – ich bin dann auch nochmal eingeschlafen … Jaa, lieber Freund! Massieren is keine Kleinichkeit! Für nichts is nichts! Kneten Sie man ornntlich, Herräm … der Mann kann das gebrauchen, mit seinem dicken Bauch! Aua! hier bei mir nicht so doll! Pwwww – Ham Sie gelesen, von der Fusionierung? Mit K? Na, ich wer Ihn mah was sagen: Sie wissen doch, wer das Aktienpaket hat, von dem da die Rede ist? Ach, keine Spur. Hagen hat es, was sagen Sie nu? Louis Hagen. Ich hab mich gestern informiert. Hat man mir gestern aus Köln telefoniert. Ich hab da meine Verbindungen – Pniower, Ihr Bauch und dann Rothschilds Geld … mein Bauch? Na, wenn ich meinen Bauch neben Ihren Bauch halte, den Unterschied möcht ich … Rumdrehen? gleich – hopps! so. Sagen Sie mal, wer is eigentlich die große Dame mit dem roten Haar? Eine Frau Markgraf, Marbach, Marhahn, so was … kenn Sie auch nich, was? Hm … Man soll ja hier strenge Diät leben … Ja, ich bin beim Chefarzt in Behandlung, natürlich. Ich geh jedes Jahr her. Mir bekommt es großartig – man kann nachher dreimal so viel essen. Und auch so – ich sage immer: Freie Bahn dem Seitensprung! Was sagen Sie? Ach, gar keine Rede. Ja, ich bekomm leichte Diät, strenge Diät hab ich schon gehabt. Ich bekomm jetzt leichte Diät. Haben Sie diesen Gemüseauflauf gestern mittag gegessen? Ich hab das nicht gegessen – Sie, das schmeckt so … äh. Dabei kochen die Leute sonst gut. Schrecklich, heute is Rohkost – Sie, Rohkost mag ich nicht, Sie auch nicht, was? Donnerwetter, hat das jeklatscht, das schallt ja ornntlich … ! Ja, Massieren ist ne Kunst, wissen Sie, ich hatte mal als junger Mensch ne Freundin, die massierte son bißchen, nebenbei … die hat mich immer massiert. Wah ganz nett. Na, reden wir von was anderm. Sahn Se mah – ham Sie gehört, der Direktor Bratsch ist gestorben? Ja, der war doch immer hier, son kleiner Dicker … war immer mächtich hinter den Weibern her, der ging glaub ich jeden Ahmt nach Dresden runter … nu is er tot. Soll schrecklich ausgehalten haben, der Mann, Leber oder so – nee, wissen Se, ich sage immer: Son Tod – denn lieber gar keiner! Was? Hier noch ‘n bißchen. Ja, da. Wieviel Herren massieren Sie nu so am Tag? Sechzehn? Donnerwetter. Strengt sehr an, was? Na ja, is Gewohnheit, alles ist Gewohnheit. Nachmittag auch? Sehn Se mal an. Und die Damen oben, haben die auch Masseure – nein, die haben natürlich Masseusen, seffaständlich, ja. Ach Gott, man gewöhnt sich an alles, wissen Sie, ich meine, es is wie in der Ehe, nachher guckt man gar nich mehr hin, was? Sie! kitzeln Se nich! Da bin ich kitzlich! Ffff – gestern abend wurde drüben erzählt, da is doch die Frau Doktor Sinsheimer, die hat ne – aua! – die hat ne Freundin, und die war sehr krank. Wie der Arzt kommt und sie untersucht, sacht er: Ja, also diese Nacht, da is die Krisis. Geht raus, aufn Korridor, der Arzt, und kaum is er raus, kommt das Dienstmädchen ins Zimmer, die muß wohl was gehört ham und sacht: ›Also, das wollt ich nur sagen – bei ner Leiche bleib ich nich im Haus!‹ Finden Sie das? Doll, was? Wissen Se, es gibt Leute … ich meine, es gibt so Leute, die denken nur an sich. Natürlich muß man auch an sich denken, aber nachher muß man doch auch an andre denken, nicha? Aber es gibt Leute, die denken nur an sich. Ham Sie das gelesen, von den Festspielen in Berlin? Fabelhaft. Berlin wird Weltstadt, da gibts ja nichts. Solln ja mächtig viele Amerikaner da gewesen sein; meine Frau hat einen auf dem Kurfürstendamm getroffen, schreibt sie mir, den Vetter von ihrem jüngsten Neffen, einen Mister Fischel aus Chicago. ‘ne Weltstadt. Ich fahr diesen Herbst nach Paris. Wissen Sie, die Welt ist überhaupt mächtig international in der letzten Zeit. Schsch, das is ne empfindliche Stelle … Hoppla. Sind Sie schon fertig? Sie hams gut, ich wer noch massiert. Ach so, Sie bekommen nur Halbmassage – ich bekomm Ganzmassage! Hat der Chefarzt persönlich angeordnet. Pniower! Wenn Sie nachher die Frau Ruschinsky sehen – sagen Sie ihr doch, ich bring ihr das Buch nachher runter, sie hat mir ein Buch geliehen – ja, ganz nett – mit der Kameradschaftsehe … na, wissen Sie, ich geh von dem Standpunkt aus, Kameradschaft ist eine Sache, und Ehe is eine an … Pniower! Sie verlieren Ihren Pantoffel! – Dauert die Verbindung nach Berlin eigentlich lange? Nö, dauert nich lange, was? Neulich hats nur zehn Minuten gedauert, war sie schon da. Man muß doch ab und zu mal sehen, was los ist, ich hab ja im Geschäft meinen Sozius, aber besser is besser. Sie – heute meinen Sies aber zu gut mit mir! Uwwwf – – Wissen Se, ich begreif nich, wie einer immerzu nichts tun kann. Ich muß was ze tun haben. Was is man denn ohne Geschäft, nicha? Ich wer nochmal in den Sielen sterben. Ich brauch Betrieb. Fertig –? Pffff.
Naa? is doch aber schon besser. Gehn Se mah weg, ich will mich mal in Spiegel sehn. Sie! ich wer dünn. Ich seh mir gar nich mehr ähnlich. Wenn ich mir – is da einer? nein – wenn ich mir hier das Badetuch hinhalte, könnte man mich glatt fürn junges Mädchen halten … hähähä! Na ja – außer das. Na, werch mah brausen gehn. Mohjn –!!
Bademeister! Brause! Brause! Pschschschsch – aaaaah –! Gehm Se ma das Badetuch her! Fffffuuuuhhh – So. – Aah, der Herr Generaldirektor Bronzheimer! Mojn, Herr Generaldirektor, Mojn! Na, gut geschlafen? Sehn ja ausgezeichnet aus! Geturnt? Auch? Sehn Se mal an … (Ach – ich hab gar nicht gewußt, dass der Mann ‘n Jude is … ach so – –!) Mohjn, Herr Bronzheimer. Auch e Mensch. Und nu gehn wir schlafn –!“

Unter dem Pseudonym Kaspar Hauser im Jahr 1926

Herrn Wendriners Jahr fängt gut an

„’n Morgen, Herr Freutel, warum sind Sie noch nicht da –? Ach so, hier is keiner … ! Skandal, halbzehne – immer ist man der erste im Büro! Ach, da sind Sie ja! Wo wahn Sie denn so lange? Draußen? Ich bezahl Sie nich für draußen – ich bezahl Sie für drin! Danke. Prost Neujahr, ich Ihn auch. Was is mit John und Eliasberg? Sie, das muß mir heute noch raus – wir schreiben 1926– das wird mir jetzt anders! Herein. Was wolln Sie? Prost Neujahr. Ja, ich weiß, danke, nein, weiter nichts. Den Mann wem wir bei nächster Gelegenheit rausschmeißen, Freutel – ich kann das Gesicht schon nicht mehr sehn. Werfen Sie die Tinte nich um! Herein. Prost Neujahr. Sie mir auch … ich Ihn auch. Ja. Danke. Freutel, riegeln Sie die Tür ab! – die Leute machen mich rein verrückt mit ihrem Prost Neujahr! Alle komm se am selben Tag damit! Der Kalender hängt schief, Freutel – ham Sie noch ‘n Jammer von gestern? Da klinkt jemand an der Tür … Nein, lassen Se! Ach, Sie sinds, Kipper! Padong! Ich hab abgeriegelt, um ungestört ze arbeiten … Prost Neujahr. Danke. Gut amüsiert? Ihre Familie wohlauf? Ja? Na, das freut mich. Nehm Sie Platz! Danke, wir auch. Nehm Sie ne Zigarre? Ja, lieber Freund … ! Ich hab Ihnen gesagt, sprechen Sie im nächsten Jahr vor, ich wer mein Möglichstes tun – gewiß. Was? Was? Bis übermorgen abend? Kipper, machen Sie Witze? Wo soll ich bis übermorgen abend fünfzehntausend hernehmen? In bar? Lieber Freund, bin ich Schacht –? Gehn Sie zu dem – der gibt Ihnen auch nichts, aber er ist wenigstens prima. Ende der Woche? Ausgeschlossen. Lieber Kipper, gedulden Sie sich – nu hörn Se, nehm Sie Vernunft an! Ich bitte Sie – was ist das für ne Einstellung! Hier, ham Sie heute den Artikel im ›Börsen-Courier‹ gelesen? Sehr vernünftig; als ob er uns beide hier sitzen sieht – der Mann sagt: ›Die wirtschaftspolitische Krise ist ein Problem … ‹ Sie wollen keine Artikel, Sie wollen Geld? Was meinen Sie, wie gern möcht ichs Ihnen geben! Aber, lieber Kipper, wer zahlt mir –? Wir haben jetzt die Weihnachtsgratifikationen ausgeschüttet – auch schon was? Das sagen Sie nicht! Es multipliziert sich. Aber ich kann aus meiner Haut keine Riemen schneiden – ich kann nicht, nu machen Sie was! Kein Mensch zahlt Ihnen heute. Nu – prolongieren Sie schon – wir sind ein Haus von Renommee, das wissen Sie ganz genau, wir lassen keine Wechsel zu Protest gehn – wir prolongieren bloß … Fünfzehntausend … ! Na, also gut: zweihundertfünfzig bar. Ende der nächsten – warten Sie mal – übernächste Woche … und den Rest am 30. Juni – nun, ich hab doch gewußt, mit Ihnen kann man reden. Mein erstes Geschäft in diesem Jahr. Noch ne Zigarre? Nu – ich will Sie nicht aufhalten – vielleicht haben Sie noch Gänge … Jeder hat ja heute Gänge. Prost Neujahr! Auf Wiedersehn, Kipper. Freutel! Ist das die ganze Post? Kinder, ihr feiert zu viel. Weihnachten und Neujahr und dann noch der Sonnabend – das ganze Jahr nichts wie Feiertage! Lassen Sies klingeln – na, gehn Se schon ran! Wer is da? Mein Schwager? Gehm Se her. Morgen, Max. Ja, danke. Prost Neujahr! Schon zurück aus Glogau? Was machen die Schwiegereltern? Na, das ‘s ja fein. Gut bekomm? Danke, wir auch. Ja. Nein. Weihnachten wars sehr gemütlich – wir wahn natürlich bei uns, ang Famiich. Hanni hat sich sehr gefreut. Mir? ‘ne sehr aparte Flügeldecke. Ich hab se mir selbst gekauft – aber Hanni hat se mir geschenkt, als Überraschung. Fritz hat sich natürlich ‘n Magen verdorben – wir sitzen bei Tisch, auf einmal kommt ihm der ganze Karpfen wieder raus. So ‘n teurer Fisch. Ein Jammer. Es geht ihm schon wieder besser. Silvester –? Ich wollt ja zu Hause bleihm, aber Hanni und Lotte wollten ausgehn – sind wir ausgegangen. Erst warn wir im Schauspielhaus, zur Premiere – ‘n sehr schöne Aufführung – Fuchsens warn auch da – sag mal, hast du mir nicht neulich erzählt, der Mann is in Schwierigkeiten? Sie saßen jedenfalls Parkettloge. Vorderplätze. Ja. Hinterher warn wir im Esplanaht. Erich hat ‘n Tisch reservieren lassen. Sehr elegant. Ja, unverschämte Preise. Die Leute nehm für eine Flasche französischen Sekt fünfundsiebzig Mark. Wir ham nur eine Flasche genommen – den andern deutschen. Gehn Sie aus der Leitung! Sie Ochse, legen Sie doch den Hörer hin! Ungebildeter Lümmel! Ich führe meine geschäftlichen Gespräche, wanns mir paßt! Max! Max! Bist du noch da? Na ja, weiter wär wohl nichts. Ja, grüß schön. Danke. Hach … Was is nu schon wieder? Mojn, Blumann! Bitte, nehm Se Platz. Prost Neujahr. Danke. Was? Was –? Was wolln Se –? Reden Sie – ohne Umschweife. Was? Ich soll stunden? Ja, sagen Sie mal – das ist mir denn doch noch nicht vorgekommen – in diesem Jahr noch nicht! Sie versprechen mir – Sie versprechen mir, im Jahr 1926 wem Sie zahln, ich hab schlaflose Nächte Ihretwegen, die ganze Silvesterfeier is mir verdorben – gestern hab ich noch zu meiner Frau gesagt, du wirst sehen, Blumann zahlt – das ist ein anständiger Mensch – und jetzt sitzen Sie ganz kalt da und sagen: nicht vor Mai? Ja, lieber Freund, was glauben Sie denn? Meinen Sie, mir gibt einer Aufschub? Eben war einer da, bar auf n Tisch hat er bekomm, so schwers mir auch gefallen ist! Wechsel! Ich will Ihre Wechsel gar nicht sehn! Ich kenn Ihre Wechsel! Da wem Sie nächstens anbauen müssen, für die Prolongationen! Nein, keinen Tag. Was heißt das: Sie ham Frau und Kinder? Ich hab auch Frau und Kinder. Hätten Sie nicht heiraten solln. Nich eine Minute. Zahln Se. Ham Sie heute den Artikel im ›Börsen-Courier‹ gelesen? Hier, lesen Sie, was der Mann schreibt: ›Die wirtschaftspolitische Krise ist ein Problem … ‹ Nicht eine Sekunde Aufschub! Sie richten mich zugrunde, mich und mein Geschäft mit! Ist das ein Anfang vom Jahr! Wenn ich das gewußt hätte, wär ich überhaupt nicht ins Büro gekommen! Wenn man ne Verpflichtung eingeht, soll man sie halten – sind Sie ‘n anständiger Kaufmann oder sind Sie ein Wechselschieber? Also? Hab ich mir gleich gedacht. Wenn ich bis nächsten Freitag mein Geld nicht hab – lassen Sie mich auch mal zu Worte komm – da solln Se sehn! Gut, liegen Sie auf der Straße! Sie wem schon nicht auf der Straße liegen! Mit mir nich, ich sag Ihnen … Nein, ich bin für Sie nicht eher zu sprechen, bis Sie nicht … Atchö. Hast du das gesehn! Was wolln Sie, Freutel? Natürlich hab ihn rausgeschmissen –! Wie ich so zu mein Geld kommen werde –? Lieber Freund, ich wer Ihn mal was sagen: Wenn ich nicht prolongier, zahlt er ein bißchen was. So viel hat er. Prolongier ich aber – da zahlt er gar nicht. Ich kenn doch das von mir. Ich bin jetzt nicht zu sprechen! Prost Neujahr. Prosit Neujahr, Frollein Richter, Prost Neujahr! Freutel, machen Sie die Tür zu, zum Himmeldonnerwetter! Ach so, die ›B. Z.‹. Prost Neujahr, Schulz. Prost Neujahr!!! Freutel, ich geh mal raus – man ist doch auch nur ‘n Mensch …
Das ist ein neues Jahr … Hier könnt mal gestrichen werden, wie oft hab ich das schon gesagt … So! Jetzt ist mir der Hosenknopp abgesprungen … ! Besetzt! Besetzt! Gehn Sie von der Tür weg. Sie könn doch hören, dass besetzt ist! Hach – Locarno-Geist in allen Parlamenten. Paris, den 2. Januar. Wie Havas meldet … Man ist ein geplagter Mensch. Die einzige ruhige Stunde, die man am Tage hat, is hier draußen –!“

Unter dem Pseudonam Kaspar Hauser im Jahr 1926