Echo – kleine Lieder von Irene Heberle

 

Mein Leben

Ich kann der Welt nichts schenken,
denn nichts ist mein,
Dein Sinnen und mein Denken
Ist eins allein.

Ich kann der Welt nichts geben,
Denn ich bin Du,
Dein Herzschlag ist mein Leben
Immerzu.

Nachts

Ich fühle, wie du an mich denkst,
Dass du mir all dein Träumen schenkst,
Auch wenn es nicht in Worten klingt.

So wie des Nachts vom nahen Baum
Die Amsel ihren Liedertraum
Aus ihrem Schlaf in meinen singt.

Schöpfung

Ich war die in das Herz gesät,
Mein Garten dein Gemüt,
Du dachtest meiner früh und spät,
Da bin ich dir entblüht.

Es gruben Stolz und Demut tief,
Du warst mir warmer Tau,
Aus Samen, der in Sehnsucht schleif,
Erwachte eine Frau.

Ich diente dir wie eine Magd,
Als deine Königin,
Ich habe mich aus dir erfragt,
Und wurde, was ich bin.

Erwartung

Ein Lächeln ist die Welt umher,
Auf allen Sommerwegen,
Und doch mein Herz verzagt und schwer;
Ich schreite dir entgegen
Und frage in den Sonnentag
Verwundert, wie es kommen mag,
Ich frage Thymianduft und Heu:
Zu lange hab ich wohl geharrt,
Bis meine Seele müde ward,
Das nimmer ich mich auf dich freu!
Wie über Fremdes denk ich nach:
Wird diese Freude wieder wach,
Wenn meine Augen wirklich sehn,
Was einst in mir so heiß erbeten:
Sich aus dem Saum des Waldes treten
Und mir entgegengehn?

Echo

Echo ist alles in mir.
Sonne widerstrahlen Augen und Haare,
Meine sterneklare
Liebe zu dir
Ist nur dein Spiegel.
Alle Siegel
Meine Seele lösen
Sich an fremdem Leid.
Ich muß tragen
Im Guten und Bösen
Wie eigenes Kleid.
Was Menschen und Dinge sagen,
Ich stehle
Kreisenden Samen dem Winde,
Und meiner Seele
Entblüht er zum Kinde.

Zweifel

Und immer zweifle ich voll Angst
An meiner Güte, die du denkst,
Wenn als dein Glück du mich verlangst
Und mir dein reifes Wesen schenkst.

Du hast durch Not und Menschensold
Den Erdenwettern dich verdingt,
Ich scheine Regenbogengold
Das sich zum Himmel leuchtend schwingt.

Noch bin ich sonnennüberstrahlt,.
Mein Dasein bleib vom Sturm verschont,-
Weiß ich, wenn Wetter mich zermahlt,
Ob Sonne in mir selber wohnt?—

Auf dem Grabe meiner Ahnen

Auf dem Grabe meiner Ahnen
Leuchten Blumen mir entgegen,
Blühen in den Tag und mahnen
An den reichen Muttersegen,
Der im stillen Spiel der Säfte
Noch zum Lichte emporgeblutet,
Trotz der grabgebannten Kräfte
Dort die Erde überglutet.
Rosen grüßen, Veilchenaugen
Schauen auf zu mir. Sie saugen
Aus der gleichen Lebensquelle,
Der auch ich entblüht,
Wurzeln an der gleichen Stelle,
Und in meinen Adern glüht
Mit euch Blumen Schwesternblut
Aus der Toten, die mich bindet,
Aus der Mutter, die hier ruht
Und in sich widerfindet.

Adagio

Als du das Adagio spieltest
Zitterten im Glas die Rosen,
Welche auf dem Flügel stehn,
Und in Träumen hast du nicht gesehn,
Wie sich all die herzgeformten, losen
Blätter regten, bis du plötzlich innehieltest,
Denn die kühlen roten Herzen
Schwebten auf die Tasten nieder
Und begruben unsre Lieder. —
Laß sie ruhn und lösch die Kerzen! –

Empfindsamer Abend

Schere Stunde weint der Abend,
Sterne sind umflort und weit,
Mich in Einsamkeit begrabend,
Bin ich doch voll Zärtlichkeit,
Lilien welkten hin in Fäule,
Alle Beete trauern kahl,
Der Zypresse dunkle Säule
Ist allein mir Freundschaftsmal.
-Licht, bist Feuer du dem Herde
Oder Lampe, die dort scheint? –
Starr im Banne dieser Erde
Lebt auch dort ein Mensch, der weint …

Fremder Vogel

Vogel fremder Art und Weise,
Der im Strome fiebernd plätschert,
Ist es Licht von ewigem Eise,
Das auf deinen Flügeln gletschert,
Bist du kühn entirrt dem Meere
Oder heiligem Berg entflogen,
hast du, schwebende Chimäre,
Mich in deinen Kreis gezogen?
Wiegtest dich in Bambusröhrig
Und auf schlanker Schiffe Taue,
Meine Ströme sind dir hörig,
Meine grauen Heimatgaue.
Die korallenroten Füße
Brennen aus dem Weiß wie Wunden.
Suchend meiner Sehnsucht Süße,
hast die deine du gefunden.
Vogel, deine Reigen zeigen
Mir so leicht, was mich erschüttert,
Doch mit deiner Flügel Schweigen
Mir das Lied der Welt umzittert.

Abschied

Nachts weinte in den Bäumern
Der Winterwind so bang,
Daß durch das Frühlingsträumen
Sein Klagerauschen klang.

Nun ist er fort, und Schweigen
Liegt über Wald und Tal,
Noch hängen an den Zweigen
Die Tränen ohne Zahl.

Mai am Inn

Fliederbüsche schwellen, quellen
Zwischen blassen Häusermassen,
Und des Stromes helle Wellen
Spülen, spielen durch die Gassen.

Bogen träumen, wogen schäumen
Über Wiesen, wallen, hallen,
Wo von bleichen Kirschenbäumen
Tränengleich die Blüten fallen.

Bei der Brücke grollt es schaurig
Wie in göttlichen Gewittern.
Und die Menschen stehen traurig
Und die Brückenpfeiler zittern.

Auferstehung

Im Wald liegen die Blätter dicht.
Kein Frühling will sie wecken,
Ich streife langsam Schicht von Schicht
Der Moos- und Moderbecken.
Walderde ist ein ist ein weiches Grab,
Die Blätter sind graue Skelette,
Der Mutterschoß. Der Leben gab,
Ist nun ihr Totenbette.
Die zarten, die von Nacht berührt
Verwest, vergessen gelegen,
Hab ich zur Sonne hinausgeführt. –
Da fingen sie an, sich zu regen,
Dem Windeshauch am Waldesrand
Sich lieblich zu gesellen:
Er zaubert sie aus meiner Hand
In silberne Libellen.

Abend vor der Stadt

Du Rätsel mit den tausend Sterneaugen,
Die sich durch Nebel in mein Fernsein saugen,
Liegst lockend in das Flusstal eingebettet,
Durch Eisenschienen mit der Welt verkettet.

Verlöscht der Horizont, zerwühlt von Dämmerwogen,
Die um die Stadt den Zauberkreis gezogen.
Sie schließen Ihres Vorhangs feuchte Falten,
Um alles halberblindet zu gestalten.

Und immer enger bin ich schon mit die umfangen,
Du eingedrängte Stadt, und deine Brücken langen
Nach mir, mein Herzt zuckt schon im Einsamsein.
So nimm mich! Schlürfe mich ins Licht hinein!

Sonnentag

Viele weiße Schierlingsdolden
Liegen auf der grünen Wiese breit,
Tausend Butterblumen glänzen golden
Auf dem duftumwölkten Sommerkleid.
Leinwandstreifen bleichen auf der Weide,
Daß es schwer die hohen Halme drückt,
Blondes Mädchen ist in hellem Kleide,
Sorglich kniend drüberhin gebückt.
Sieh, da tanzen leicht im heitren Blauen
Farbenbunt zwei Falter her und hin,
Und zwei heiße Mädchenaugen schauen,
Wie sie liebesspielend weiterziehn. –
Möcht wohl auch die jungen Flügel spannen,
Auszufliegen in die weite Welt? –
Als das Wasser aus den vollen Kannen
Strahlend auf die straffe Leinwand fällt,
Lacht die Sonne froh im Silberregen,
denn das Leinen wird ein Brautgewand,
Und es ziehen bald mit Glück und Segen
Noch zwei Falter weit ins Sonnenland.

Erfüllung

An einem Sonnensonntag
Nach kurzer Schmerzensnacht
Ist meines Kindes Seele
Auf Erden aufgewacht.
Nun bin ich ganz dein eigen
Und du mein liebstes Gut,
Ein Gott und eine Mutter
Sind deines Lebens Hut.

Mütter

Mein Bild fällt in den blanken Spiegel,
Jäh löst es der Erkenntnis Siegel,
Verborgenes ist mir aufgetan:
Die eigne Mutter sieht mich an!
Ein Lächeln nur, das Spiel entschwindet,
Bis sich in meinen Liedern findet
Verwandter Ton, wie Mutter sang. –
Dann läutet die beschwingte Glocke
Mein Kind herein, und mit ihm sprang
Ein Sonnenstrahl in blonde Locke.
Erkennen leuchtet: Das bin ich!
Und tausend Mütter binden sich
Und reichen mir geweihte Hände:
Wo ist mein Anfangt, wo mein Ende?

Mein Kind, mein Frühling

Wir lauschen wieder dem Frohgesang
Des Frühlings im Heimatlande,
Du wandelst die grünen Wege entlang
Mit Blumen im Gürtelbande.

Ich sehe dich im Maienlicht
Vergangener Kindheit glänzen,
Hell strahlt aus deinem Angesicht
Das Glück von sechzehn Lenzen.

Doch langsam wird der Glanz mit dir
In Sommerhelle wandern,
Du trägst ihn leuchtend fort von mir
Und bringst ihn einem Andern.

Unter dem Akazienbaum

Entschweben dem Akazienbaum die Blüten,
Dann spielen sie im Licht mit Silbermücken,
Befreit von seinen schattenschweren Zweigen.
So ist dem Sommer schon der Herbst zu eigen,
Und frühe Wehmut dämmert im Entzücken.
Mein Kind, dein Blühen möchte ich behüten,
Doch due entgleitest langsam meinem Zügel,
Fühlst eigne Kraft und zählst mich zu den Alten.
Im Sommerwerden reift das Weiterstreben,
Du aber bist der Lenz, wagst neues Leben,
Die Mutterhände können dich nicht halten,
Denn deiner jungen Seele wachsen Flügel!

Das Wort

Als mein Arm dich tragend wiegte,
Wunder, meinem Schoß entsprossen,
Warst du Knospe kaum erschlossen,
Deren bloßes Dasein siegte.
Lächeln, lallen, Traumesseele,
Hold Geschenk der ersten Jahre.
Sehnen dann, das offenbare
Sich das Wort aus deiner Kehle,
Um mir ein bewußtes Denken
Reinen Geistes klar zu zeigen,
Helles Zueinanderneigen,
Eines sich dem Andern Schenken:
Mutterglück! – Nun mein Geschick:
Einsamkeit! – Durch stille Leere
Schwebt das Kinderwort als hehre,
Längst verklungene Musik.
Der geleibten Melodie
Lauscht mein Herz. Zerrißner Lieder
Klänge füg ich immer wieder
Zur verlornen Harmonie.

Weise Güte

Ich stehe plötzlich vor verhängtem Tor,
Aus deinem fremden Lächeln kann ich spüren:
Ins Schloss geschmettert sind die dunklen Türen,
Dahinter jeder Glanz sich mir verlor.

Da gibt es nur ein stummgegebnes Halt
Und kein Ekennenlassen dumpfer Kühle.
Sonst knickt ein Sturm die zartesten Gefühle,
Zerstört das Letzte mit Gewalt.

Verschließt du dich in goldvermeintes Land,
So will ich ahnend vor dem Tempel warten –
Zur Wiederkehr heg ich den alten Garten,
Wenn sich dein Gold entblaßt in Tand.

Hier sind die Wege deinem Fuß bereit,
Und kann dein Schmerz sich kühlen in den Lauben,
Zu denen wir in Liebe einst und Glauben
In Händen hielten die Gemeinsamkeit.

Locarno

Nun bist der Heimat du verwaist –
Doch wird sich auf den fremden Wellen
Ein zweites Boot dir zugesellen,
Die Hand führt golden, wenn es dunkelt,
Durch Sturm und Schatten hin der Kiel
Im Mondstrahl, der wie Heimat funkelt,
Zu einem neuen Sterneziel.

Passion

In Sternentraum und Palmen
Das Haus der Liebe steht,
Ein Dichter sang die Psalmen,
Der Herbst hat sie verweht.

Von kahler Steinterrasse
Führt mich die tiefste Qual
Hinab in enge Gasse. –
Dort liegt das Hospital.

Wie pocht mein Herz so bange,
So still liegt der Bau,
Man streichelt meine Wage
Und flüstert: „Arme Frau“ …

Und in der Leichenkammer
Die mir mein Liebstes barg,
Da schlägt ein harter Hammer
Die Nägel in den Sarg.

Klage

Bist einsam du, mein holdes Kind?
Irrst du nach uferlosen Zielen
Und findest nicht zu den Gespielen,
Die auf der Lotosinsel sind?

Soll aus des Käfigs goldner Ruh
Sich dein Kanarienvogel schwingen,
dir seine kleinen Lieder bringen?
Du hörtest ihm so gerne zu …

Ich streue Blumen in den Fluss,
die muss er sorgsam zu dir führen,
Wo Meer und Himmel sich berühren
Zu einem sanften Abendkuss.

Ihr Garten

Ihr Garten war der reichste am Gestade,
Am süßesten die Früchte seiner Reben,
Dort sang die Silberharfe der Zikade
Zu tanzberauschter Falter Schweben.

Und wenn vom Mond die Abendwinde wehten,
Entstiegen ihrer Hände Blumenbeeten
In Liebessehnsucht leuchtende Insekten.

Sie starb im Herbstwind – nur ein Blumenhügel,
Von Frost bereift, ist nun ihr kleiner Garten.
Und tausend Falter senkten ihre Flügel,
Als tausend Sterne ihrer Schwester harrten.

Weihnacht

Ich feiere mit die geweihte Nacht,
Du liebster Engel mit dem goldnen Haar,
So heilig, wie noch nie die Weihnacht war,
Seit einer Mutter Gott zur Welt gebracht.

Und was dein Kind zum allerärmsten macht,
Sei’s auch gehüllt in Seide ganz und gar,
Weit ärmer, als Marie es gebar;
Das ist, dass keine Mutter bei ihm wacht.

Ganz still ist unser Fest, – still wie dein Herz,
Dein Bild weint mit unsrer Weihnachtsfeier,
Statt Christbaumkerzen brennt der helle Schmerz.

Kein Lied erkling, nicht der Gebete Leier,
Die Gaben stehn erbaut aus Stein und Erz,
-Um Grab und Wiege wallen Tränenschleier.

Neujahr

Bedachtsam ziehe ich das Uhrwerk auf,
Die süßen Stunden wollten nicht verweilen,
Mein Leben und das Jahr ins Dunkle eilen,
Wo jeder Pendel endet seinen Lauf.

Um Mitternacht, wenn uns des Turmes Knauf
Der Glocke Schläge hell die Zeiten teilen,
Sinkt meine Hoffnung fern in Gräberzeilen
Auf eines lieben Hügels Erdenhauf.

Dein Glück war so dem meinigen verwandt,
Dass ich noch jung war, bis vor wenig Wochen,
Du warst mein Leben, das in Blüte stand.

Nun bin ich ganz entwurzelt und zerbrochen,
Und schreckhaft kommt in mein verdorrtes Land
Des neuen Jahres lange Qual gekrochen.

Zuversicht

Wenn dunkle Welten mich bestürmen,
Dein Segen macht sie wieder licht,
Wenn Wolken sich auf Wolken türmen;
Ich denke dein und zage nicht.
Du baust auf hohen Sternewegen
Den Friedenshort. – Mit leichtem Fuß
Schreit ich den hellen Ziel entgegen
Und harre auf den Engelsgruß.
Wenn ich des Lebens lange Schale
Bis auf den bittern Kern geleert,
Dann lade mich zu deinem Mahle,
Darnach mein ganzes Wesen zehrt,
Und sanft will ich hinüberfließen
In deine Seele, liebes Kind.
Wie einst in innigtsem Umschließen
Wir eins gewesen sind!