Der Totengräber

Das Drama „Der Totengräber“ erschien in einmaliger nummerierter Auflage von 500 Exemplaren April 1919 im Verlag der schönen Rarität Kiel. Die ersten fünfzig Exemplare auf bestem Papier wurden vom Dichter signiert. Dieses Exemplar trägt die Nummer 372

Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung der Aufführungen vergibt der Dichter. Copyright 1919 by Die schöne Rarität (Adolf Harms) Kiel – Druck von Willibald Nitsche Weißenfels a. S.

Max und Irene Heberle zu eigen – Geschrieben im Dezember 1918

Figuren:

Der alte Totengräber
Der junge Totengräber
Der junge Herr
Träger mit Sarg

Dem Andenken meines Engels

Junger und alter Totengräber schaufeln an einem Grab.

Junger Totengräber:
Der Sommer hob sich lächelnd auf das Haupt
Den blauen Kranz der leuchtenden Cyanen.
Versonnen wehn des Herbstwinds erste Fahnen,
Die weißen Fäden, sonnenglückbestaubt.
Begnadet schwanken in den schweren Gluten
Die blonden Ähren holder Frucht beschwerten.
Die selig einst sich nach den Strahlen kehrten,
Beugen das Knie, wo sie als Kinder ruhten.

Alter Totengräber:
Die Sonne ist erfüllt von Mövenschreien,
Die braunen Blätter taumeln trüb zur Erde.
Die Menschen gehen gern gedrängt zu zweien
Mit des Septembers grämlicher Gebärde.
Ein Hund bellt hündisch aus dem kahlen Kolken,
Von schauerlicher Einsamkeit umgeben.
Über den Menschen wandeln weiß die Wolken
Und wissen nichts von Herbst und Tod und Leben.

Junger Totengräber:
Der Herbst ist süß. Ich trinke ihn wie Wein,
Ach einmal wird ich dunkel und besessen
Von Würmern und vom Engerling zerfressen
Der arme Bruder dieser Schwester sein.

Alter Totengräber:
Die Blätter rascheln schon das zehnte Jahr,
Dass ich an Gräbern wie ein Bergmann grabe.
Und ich benehme lächelnd und gehabe
Mich in den Schänken wie ein Bürger gar.
Kein Schatten fällt von diesen schwarzen Kreuzen
In meines Zimmers Wohlgeborgenheit.
Wenn es von Rabe, Eulen oder Käuzen
Die ganze Nacht vor meinem Fenster schreit,
Erwach ich nur, um höchstens mich zu schneuzen,
Denn gegen Eulenruf bin ich gfeit.
Ihn überschreit mein jüngstes Kind im Traum.
Der Totenwurm tickt nicht in meinem Raum,
Und Furcht verebbt vor mir wie Wellenschaum.

Junger Totengräber:
Mich aber schauderts, wenn die Rabenkrächzen,
Und wenn des Nachts im Mond ein Schatten steht.
Ich atme schwer. Und meine Seufzer ächzen,
Bis sie ein Lächeln von der Wand verweht.
Dort hängt im fahlen Licht, im goldnen Rahmen
Mein Sinn- und Sternbild, dem mein Aufblick gilt.
Ich will im Guten nimmermehr erlahmen,
Ich bin zum Guten immer mehr gewillt.
Glänzt ihre Stirn mir nur, die ewige Ampel,
Und sonn ich mich in Sonnen ihres Blicks –
Entrudert Charon und verdunstet Styr,
erhorch ich ihren Schritt nur auf dem Kies,
Spitz ich die Ohren wie der Hase Lampel;
Ein kleines Tuch, das sie einst fallen ließ,
Stahl ich – damit als Hostie ichs verehre.
In jeder Kirche wirft es mich aufs Fließ,
In allen Erkern bau ich ihr Altäre.
Ja überall blüht Erd- und Himmelswonne,
Denn überall anbet ich die Madonne!
Muss ich in Psalmen nicht das Leben preisen,
Da sie doch lebt im Lichte, das mir glänzt?
Sie ist es, die mit falterhaften leisen
Gebärden meine schwere Schwermut kränzt.
Lass meinen Arm, der schwer die Schaufel schwang,
Sich vogelleicht in goldne Herbstluft heben.
Sing liebe Seele, deinen Grabgesang:
Sie lebt schon tausend Ewigkeiten lang,
Und tausend Ewigkeiten wird ich leben!

Alter Totengräber:
Hast Du gemessen in die Läng und Breite
Das Grab, ob es den Vorschriften auch entspricht?
Im Magistrat sind wunderliche Leute.
Wenn einen bösen Greis der Haber sticht,
er misst das Grab dir nach! Drum miss und schreite
Du springst mir viel zu weit – und fühlst es nicht.
Das Grabwerk will bedächtiges Gesinde,
Dass jeder seine rechte Ruhestatt finde.
Wie würde wohl der brave Bürger geistern,
Wenn er in einem Grab, das viel zu groß
Mit wehendem Gewand und ruhelos
Gezwungen wär, ein Riesiges zu meistern?
Sein ist die hölzerne, die starre Pflicht,
die sich prismatisch an den Wänden bricht.
Fünf Schritte lang, zwei schmale Schritte breit,
Will es des Bürgers Wohlerzogenheit.

Junger Totengräber:
Ich aber, stürb ich, wirbelte und wollte
Die ganze Erde mir zur Grabesstatt!
Dass ich als Geist in tiefste Tiefe tollte,
Und dass mein runder Totenschädel rollte
Vom tiefsten Meer zum höchsten Ararat.
Heut schwämmen Fische zwischen meinen Rippen,
Und morgen hing der Mond mir im Gebein,
Heut regten Falter sich auf meinen Lippen
Und morgen würd ich Weg für Würmer sein.
Es wär im Tode auch mein heilig streben:
Die Lebenden lebendig zu beleben!

Alter Totengräber:
So spricht der Jüngling, den noch Seufzer rühren!
Dem selbst der graue Nebel zaubrich naht.
Ihm scheint der Finsternisse düstrer Pfad
In hellste Helligkeit noch zu führen.
Das alter weiß, wenn es hier Erde wirft,
Dass es vergeblich nach dem Grunde schürft.
Wir werfen erde, mit der Erde: Kerfen,
Wie viele Haufen Erde warf ich schon!
Ich weiß gewiss, es wird mein Enkelsohn
Noch immer Erde in die Lüfte werfen.
Wozu? Verlebte Leiber zu bedecken!
Wir leben, ach! Um zu verrecken.

Junger Totengräber:
Du lügst! Der Tod ist eine schwarze Pforte,
Die uns verhüllt in neue Räume weist.
Wie jemand, der durch eine Höhle reist,
Und dem der Glaube an das Licht schon dorrte,
Auf einmal jubelnd die Erlösung preist;
Kaum traut er seinen bunt beblinkten Blicken:
Ein reinerer Himmel will ihn hoch beglücken!
So ist der Tod gewiss ein andres leben.
Wir wurden Wolke. Stern. Vielleicht auch Tier.
Doch wisse, Alter, wir sind immer wir,
Und was sich immer mag mit uns begeben,
Ob wir verstauben oder mit den Reben
Im neuen Frühling blühend uns erheben:
Der Geist, der der dieses Herz hier pochen lässt,
Ruft immer neu zum Auferstehungsfest.

Alter Totengräber:
Vergesst das Schaufeln nicht! In einer Stunde
Wird hier ein schwarzer Sarg hinabgekettet.
Schon macht der junge Herr dort seine Runde
Und forscht, ob sein Geliebtes sanft gebettet.

Junger Totengräber:
Ich höre Unken rufen, Eulen schrein.
Es ist doch blauer Tag? Und was verdunkelt
Die Sonne sich mit blassem Nebeltuch?
Hat ihre Fackel nicht noch hoch gefunkelt?
Wer mag, der sie im Sande löschte, sein?
In meinem Munde gefriert ein harter Fluch –
Doch ist’s an uns, den jungen Herrn zu trösten.

Alter Totengräber:
Er sei getröstet. Denn sein Weib erlösten
Die leisen Genien vom ewigen Leid.
Ein heißer Sommer war dem Glück geweiht;
Der Herbst hat dieses Ährenglück zerhaun.
Wie lange wird es dauern, Bester, glaubt,
Da ruht in ihrem Bett ein andres Haupt,
Und war das erste blond, so ist es braun.
Wer mag sein halbes Leben unbeweibt sein
Und halb beseelt und gleichsam halb beleibt sein?
Die Prönitenz verhindert das Verdaun,
Ein warmes Weibchen nachts im Arm zu halten
Ist besser, als im kalten Grab erkalten.

Junger Totengräber:

(zu dem wandelnden Herrn)

Verzeihen Sie, dass mir mein Amt gebietet,
Ihr liebstes Licht mit Erde zu bestreun!
Wär ich ein Nagel, jenem Sargvernietet,
Ich würde nicht vor dem Begräbnis scheun!
Ich wär bis am dem jüngsten Tag gemietet
Den Gliedern Wächter, bis sie sich erneun.-
Ich kann nur arme Worte ärmlich stammeln
Und Tränen zu des Grabes Begießung sammeln.
Ich bin ein scheuer Mensch wie Sie, geboren
Von einer Mutter, die in Wehen schrie.
Und bin zum Gräber ihres Glücks erkoren
Und bin an  diesem wilden Schmerz verloren
Besinnungslos und sinnlich wie ein Vieh.
Verzeihen Sie, mein Herr, und glauben sie,
Dass wie ein Zwilling ihre Qual ich teile,
Doch herzlich ich in Ihrem Herzen weile.
Und dass in aller Ewigkeit ich nie
Das Elend dieses Tages vergessen werde.
Auf meiner Brust ja lastet diese Erde.
Die ich verdammt bin, auf ihr Glück zu häufen-
Ich Ketzer! Will kein Gott mich wiedertäufen?

Der junge Herr:
Ich höre die Musik, nach der wir tanzten,
Ich höre Dein blaues Seidenkleid.
Auf welche himmelhohen Kuppeln pflanzten
Wir nicht das Banner der Glückseligkeit.
Ich kann nicht fassen diese leere Schale,
Die ich einst voll durch die Paläste trug.
Sie sind so viele Seufzer hier im Saale,
Seitdem ich dich um deine Lippen frug.

Alter Totengräber:
Erwachen Sie! Sie schweben in Regionen,
Aus denen oft es kein Zurück mehr gibt.
Bedenken Sie, dass sie auf Erden wohnen,
Und dass so manche Seele Sie noch liebt,
Sie haben in den auferlegten Pflichten,
Ihr Tag- und Nachtwerk redlich zu verrichten.

Der junge Herr:
Es nannten viele Verse Deinen Namen
Und manche Maler haben dich gemalt.
Die schmerzlich bleich zu deinem Lächeln kamen,
Sie gingen singend und von dir bestrahlt
Es schlossen leicht sich selbst die schwersten Wunden,
Der arme Sünder ward nicht mehr verdammt,
Und in den besten ihrer dunklen Stunden
Bist du in ihren Blicken aufgeflammt.

Junger Totengräber:
O wie ich Sie begreife, dass Sie taumeln!
Dass Ihre trockne Lippe kindlich lallt!
Von Kreuzen steht ein fürchterlicher Wald
Hier auf dem Friedhof. Kahle Kränze baumeln,
Und mancher Kranz wie eine Peitsche knallt.
Auf manchen Gräbern wächst der wilde Roggen.
Aus manchen Gräbern klingen grelle Glocken.
Und mancher Grabstein wie ein Büßer wallt.
Der Karneval des Todes ist so schaurig,
Und mehr als Sie den Henker, Herr, bedaur ich,
Der arme Mensch wandeln muss zu Engeln,
Indem er sie wie Blumen köpft mit Dengeln.

Alter Totengräber:
Betrachten Sie nicht als Vermessenheit
Die Bitte, sich des Herzschlags zu erinnern.
Steigen nach innen Sie! In Ihrem Innern
Sprießt schon die Wurzel der Vergessenheit,
Schon will die Lunge wieder tiefer atmen,
In ihrem Hauch verwehn die schönsten Fatmen.
Sie gehen vom Grabe durch die lauten Gassen,
So manche Hand wird zart nach Ihnen fassen.
Vielleicht Sie haben einen kleinen Pudel,
Der kleine Pudel will gewartet sein.
Vielleicht auch dringt ein heitres Kinderrudel
Mit Reifenspiel in Ihre Trauer ein.
Der Milchmann  schreit. Es rauchen grau die Essen.
Ich weiß: Sie werden ihren Schmerz vergessen,
Denn gäb es das Vergessen nicht auf Erden:
Es würde nicht ein Mensch geboren werden!

Der junge Herr:
Es ist kein Trost dem Manne, dem der Bote
Die dunkle Nachricht übern Estrich rief.
Wie ist auf einmal Herbst? Woher der rote
Und wilde Weinbusch, der noch sommers schlief?
Sie tragen durch die Räume eine Tote,
Wo gestern sie noch leicht und lächelnd lief.
Ach, wenn der Menschheit einziger Mensch geraubt ist –
Wie der mit Erdenasche ganz bestaubt ist.
Mir bleibt nichts anderes als dich zu suchen
In Welt und Wiese, Mitternacht und Wald.
Halt deinen Schatten ich hier bei den Buchen?
Ach ich umarme eine Fehlgestalt.
Ich atme dich in Düften und in Ruchen,
Ich hör ein Lachen, das aus dir erschallt.
Wo bist du, Engel? Gib ein goldnes Zeichen,
Dass meine Worte deinen Thron erreichen.
Ich weiß gewiss: es wird an einem Tage
Nach die die Sehnsucht mich zerreißen ganz,
Ich bin ja nur noch Tränenkrug und Klage.
Von deinem Glanz  ein schwacher Widerglanz,
Ich wünschte, dass ich in die Wolken rage,
Die nah zu sein beim edlen Engeltanz.
Erflehe doch von deinem Liebesgotte,
Dass er zu dir mich hebe aus der Rotte.
Wohin ich sehe, seh ich deine Linien:
Den Vogel dort bewegen sich im Flug,
Sie schmiegen sich an jene schwarzen Pinien
Und bilden jenen Rauch am Gotthardzug.
Dich träumte Deutschland. Doch in Argentinien
Ist eine Kirche, die dein Bildnis trug.
In den Madonnen italienischer Meister
Regiert dein und das deiner Geister.
Der Gott, dem wir die Seligkeit verdanken,
Das höchste Glück versagte er uns doch:
In eins verschlungen wie die Rebenranken
Zu wandeln durch das Regenbogenjoch.
Warum nicht sanken unsre jungen schlanken
Leiber gemeinsam in das dunkle Loch?
An deinem Grabe ich das Unkraut rode.
Der Überlebende stirbt viele Tode.
Lass mich an meinen Schmerzen blasser siechen,
So sterb ich selig. Blondeste, an dir.
Wie schneckenhaft die trüben Tage kriechen!
Wie langsam blättert es sich im Brevier!
Werd ich im Busch den neuen Frühling riechen?
Der Winter winkt mit weißen Laken mir.
Die letzten Töne meiner Harfe stimme ich:
O stille meinen Durst nach Tod und nimm mich!

Junger Totengräber:
Erzählen Sie von Ihrer jungen Frau,
Dass ich mit Tränen mich wie eine Wabe
Erfülle und dass ich sie tief begrabe
In meinem Herzen.
Dass die Welt ich schau
Nur noch mit Ihren Augen, den verweinten.
Mit Ihrer Faust sie packe, der versteinerten.
Wenn wir uns brüderlich an Händen halten,
Sind wir befähigter den hohen Sinn,
Die hohe Stirn der holden Königin
Zu bilden, zu erkennen, zu gestalten.

Der junge Herr:
Man brachte sie, die Blondeste von allen,
Vor einer Woche in das Hospital.
Noch einmal hört ich ihr Gelächter schallen,
Dann riss es wie Strang mit einem Mal.
Ich musste schluchzend in die Knie fallen
Und blickte in ein unergründlich Tal.
Und meine losgerissenen Augen schweifen
In einer Tiefe, die sie nicht begreifen.

Alter Totengräber:
Mir ist die Symbolik dieser Art geläufig.
Sie scheint beim Scheiden von Verwandten häufig.

Junger Totengräber:
So sprechen sie doch, Herr, Sie sagen: Blond?
Nicht wahr: Von einer ewigen Sonne besonnt?
Und ihre Augen wie der Frühling blau?
Ach, Herr, auch ich liebe eine blonde Frau!
Auch ich bin von den blonden Mond bestrahlt,
Auch meine Fenster sind mit blau bemalt.
Auch meine Hände irren oft in Strähnen,
Die sie so leicht wie Spinnenweben wähnen.
Auch meine Ohren horchen auf den Gang
Der Engelhaften, der wie Cymbelklang.
Zwar bin ich in der ersten Liebe Bangen
Der Wirklichkeit nur zaghaft nachgegangen.
Doch meine Sehnsucht hat mich ganz beglückt,
Ich suchte, kaum zu sehn, ich war entzückt
Und meinem dunklen Handwerk ganz entrückt.
Ach das Bewusstsein, dass die ewig Blonde,
Die Blondeste in meinen Sinnen lebt,
Belebt mich, wenn der Tod aus seiner Ronde
An Gräbern steht, die die Verzweiflung gräbt.

Der junge Herr:
Bewahrt Zu-friedenheit in Eurem Sinn!
Mein Friede ist, seit sie entschwebt, dahin.

Junger Totengräber:
Wie hieß die Blonde, Herr, die Euer Weib war?
Die Euer Echo, Euer zweiter Leib war?
Lasst mich den schwärmerischen Namen kennen:
Ich will ihn neben meiner Freundin nennen!

Der junge Herr:
Ihr Name wart, wie wenn von Bogens Sehne
Statt eines Pfeiles eine Lerche tönt.
Er wie Posaune. Und wie Herbstwind stöhnt
In Dämmerung er. Er grüßt wie junge Hähne
Das Morgenrot, das seinen Ruf verschönt.

Junger Totengräber:
Der Name Herr?

Der junge Herr:
Mein Mädchen hieß Irene.

Junger Totengräber:

(jubelnd)

Irene! Herr! So heißt mein Mädchen auch!
(abbrechend)

Vergebt, dass Euren Jammer ich missachte.
Da der Geleibten glücklich ich gedachte.
Da ich vor Seligkeit den Namen lachte
Recht wie ein Knabe frech und wie ein Gauch.
Wenn eine Frau, die sich Irene nennt,
Nicht mehr als Fackel dieses Lebens brennt,
Wie darf denn ich dem Leben mich verbünden?
Des Todes Diener sollt ich Tod nur künden.

Alter Totengräber:
(halb aus dem Hintergrund zum jungen Totengräber)

O dass ein guter Engel Euch bewahre.
Der Zeuge Eures Untergangs  zu sein.
Kommt Euer schönes Mädchen in die Jahre,
Wird sie ein sonderbarer Spiegel sein.
Die Jungen sind wie Heilige bleich und wächsen.
Aus Runzeln deutet ehstens man auf Hexen.

Junger Totengräber:
Wo stand der Tempel, den Sie ihr errichtet?

Der junge Herr:
Hier dicht am Totengräberbau. Geerbt
Hatt jenes Haus ich, das der Schatten färbt
Von jener dunklen Ulme.

Junger Totengräber:
Schleppt und schichtet
Ihr Steine plötzlich, die mich fast zermalmen,
Bin ich verwirrt? Verirrt? Vielleicht der Wahn
Kräht im Gehirn wie ein verlaufner Hahn?
Es rauscht die Flut, und ihr entsteigen Schwäne,
Mir wird so schwach wie einem kleinen Kind.
In jenem Haus wohnt auch die Irene,
Nach der mein Sinnen unaufhörlich sinnt.
Gewiss, Ihr werdet die Bewohner kennen,
(Ich frug den ganzen Namen nie der Frau,
Ihr Bild genügte meinem Tempelbau:)
Zwei Frauen wohnten dort, die sich Irene nennen.

Der junge Herr:
In jenem Hause war nur eine Frau,
Sie stand des Nachts wohl oft auf sternenschau
Im Fenster, das dem Friedhof zugewandt war.
Sie sah zum Stern, von dem sie einst gesandt war.
(Zieht ein Bild)
Sie dieses Bild!

Junger Totengräber:

(schreiend)
Sie ist’s, es ist Irene …

(Pause)

Reicht Euren Arm, dass ich auf Euch mich lehne.
Ihr seid mein nächster Bruder nun. Ich muss
Euch lieben und umfahn für jeden Kuss.
Mit dem das holde Wesen Ihr beseligt.
Euch lieben muss ich, dass mit Euch verehelicht
Sie die Erfüllung ihrer Schale fand.
Es läuft von Euch zu mir ein rotes Band
Mit Blut gefärbt: Mit ihrem Blut Gefärbt.
Als ihren Namen fiebernd ich gekerbt
In jener Ulme, ward ich Euch verwandt.
Nun da im Grab hier Blut von meinem Blut
Und leib von meinem Leibe künftig ruht.
Nun erst wird dieser Hof mein Heimatland.
Gab Ihre Seligkeit ein Kind Euch?

Der junge Herr:
Einen Sohn!

Junger Totengräber:
So ist’s mein Sohn auch, und für ihn im Frohn
Will ich die Leiche meines Lebens schleppen
Wohl über tausende von Marmortreppen,
Bis einst an ihrem engelhaften Thron
Wir Arm in Arm vor der Madonna Knien:
Wir lebten nur für dich,
Wir starben nur für dich
So nimm uns hin!

(Träger mit Sarg nahen sich von fern. Leichte Dämmerung. Abendrot.)

Ihr halft zum Leben ihr. Und ich zum Tod.
Es naht ihr Sarg. Es flammt das Abendrot.
Der Alte ging. Nehmt die gestürzte Schippe
Und tretet in der Totengräber Sippe.
Die wir am liebsten von den Menschen haben:
Die Schwester lasst uns brüderlich begraben!
Was blieben von der Kelter uns? Die Treber.
Dies ist des Menschen allerletzte Not:
Er ist des eignen Lebens Totengräber.

(Die Träger lassen den Sarg hinab. Die zwei beginnen zu schaufeln)

Der junge Herr:

(hält im Graben inne)

Ihr, die ihr stets mit Tod umgeben seid,
Ihr wisst das Leben wie ein Herr zu nehmen.
Ich aber bin so schwach und muss mich schämen.
Dass meine Lippe wie ein Springbrunn speit
So leere Worte, mögen sie auch glänzen
Und klingen in den zierlichsten Kadenzen.
Ich kenne meines Nichtseins Nichtigkeit.
Wie eine Wünschelrute fühl ich beben.
(zeigt ins Grab)

Mein Herz nach diesem Tod – nach diesem leben.
Wie bald der ´Winter seine Flocken schneit
Auf ihr und mein bescheidenes Gedächtnis!
Auf Eure Arme leg ich ihr Vermächtnis:
Das Kind: Der Zukunft zauberische Zeit!

(Ins Grab)

Du wurdest zur zerfressendsten Chimäre,
Ich winsle wie ein angeschossner Hund.
Ich gab die meinen Gott und meine Ehre,
So gib, Entsetzliche mir meinen Mund!
Mit meinen schon dem Tod verkauften Gliedern
Betret ich schwankend deines Leibes Steg.
O wollte im Geringen nur erwidern
Die Liebe, die ich dir zu Füßen leg!

(Kleine Pause)

(Nach oben)

Noch einmal gib dem Auge seine Pfade!
Noch einmal lass der Faust die Steuerung!
In Demut zeigt sich des Erlösers Gnade,
Und unsrem Atem blüht Erneuerung.
So mancher dreht bestürzt am falschen Rade.
Ihm fehlt des Blutes Blitz: Befeuerung.
Nur aus dem Herzen, dass sich eisern schweißt.
Entfährt der heilige, der harte Geist.
Ich will mich nur noch aus mir selbst begreifen.
Die Uhr steht still . Die sandige Stunde rinnt.
Gebirge mag sich weißer seitwärts schweifen,
In Höhlen haust der Eukalyptuswind,
Die Bücher werden wie die Äpfle reifen,
Wenn Süden nur den Sonnenstrahl beginnt.
O Tal der Trübsal! Scheue Örtlichkeit!
Die Nebel steigen. Abschied steht bereit.
Versuche niemand, mich zurückzuhalten.
Die Wolke winkt. Ich habe frei gewählt.
Schon fühl ich marmorn meine Stirn erkalten,
Und meine Hände fühl ich fast gestählt.
Ich bitt mein kleines Erbe zu verwalten.
Den Bruder, dem es nicht an Würde fehlt.
Und meines Herzens letzte Kantilene,
Mein letzter Seufzer jubilier: Irene!

Junger Totengräber:
Der Friedhof zeigt mir hundert Sarkophage,
In jedem Sarkophag ruhst Du.
O schließe meiner Lippen karge Klage
Mit deinen reinen Engelküssen zu.
Erscheine einmal noch im der Sekunde.
Die mich von hinnen ruft, im heiligen Schein.
Und lass mich sterben sanft an deinem Munde.
So will ich gerne ganz vernichtet sein.

Der junge Herr:
Wer wird es glauben, dass an meinen Schmerzen
Um dich verdürstet ich dahingesiecht?
Die Menschen haben heut metallne Herzen;
Ihr Gott, ist ihre Schlange, welche kriecht.
Sie lesen ketzerisch von großen Mythen,
Von Hero, der Leander sich verdang.
Sie wundern sich, dass einmal Menschen blühten,
Dass eine Menschenlippe einmal sang.
Ungläubig lesen sie, dass der Geliebte
Den Abschied der geliebten nicht ertrug.
Dass er ein Staub in alle Winde siebte,
Dass ihn ihr Sterben mit dem Blitz erschlug.
Es geht mit mir wie einem Traum zu Ende.
Irene ruft zur heiligen Heiterkeit,
Und unsre Liebe leuchtet als Legende
In eine bessere und goldne Zeit.

(Der junge Herr fällt am Grabe zusammen)

Junger Totengräber:

(Auf die Schippe gelehnt)

Der Mond reckt seine bleiche Totenhand
In den ergrauten Tag. In hellem Ocker
Glänzt westlich noch ein kleiner Himmel. Locker
Ein Haufen Frauenbrüste liegt das Land.

(Schweigt einen Augenblick)

Nun bist du tot wie sie: Und aus der Flanke
sickert das rote Blut in schwarzen Sand.
Auch über Götter waltet die Ananke
Mit umerbitterlicher gestrenger Hand.
Es wird an dieses Lebens Kreuz geschlagen
So Gott wie Mensch, und beider Traum: Der Heros.
Es spannt auch dich an seinen Sichelwagen
Der heilige geist des Höllentodes Eros.

(Er beginnt neben dem ersten Grab ein zweites Grab zu schaufeln.)

Jeder ehrt den Gott, der ihm gemäß ist.
Jeder findet geist, wo ein Gesäß ist.
Und er schlürfte, ein geliebter Zecher,
Tieflebendiges aus lebendigem Becher.
Dieses ist das Wahre; sonst ist keines:
Zwei war eins und werde wieder eines.

(Er schaufelt, der Vorhang fällt.)