Davoser Elegie

Wieder bricht ein Tag mit himbeerrotem Glanz über die ver¬schneiten Berge. Ich wache auf und erschrecke sanft. Da bin ich wieder: zurückgekehrt aus dem warmen Sarge des Schlafs und muss schwer atmen, leicht lächeln, seufzen, erkennen, sein.

Die Kuckucksuhr schlägt neun. Der Teller mit Früchten auf dem Nachttisch hat eine Musikmechanik in sich; hebt man ihn auf, spielt er Morgenrot, Morgenrot – es wird also Zeit, das Frühstück herbeizuklingeln. Das rothaarige, morgenrothaarige, haarige Dienstmädchen erscheint, anzusehn wie Sankta Bar¬bara, die Schutzheilige der Kanoniere. Weil sie der erste frühe Bote der Menschheit, ist sie mir höchlich verhasst.

Es ist eine schöne Frau auf der Welt, die mich (vielleicht) liebt. Weil ich nicht sprechen kann, verschweige ich mein Herz. Man soll nicht zu große Worte und zu große Tiraden machen. Sie werden leicht überheblich. Kennen den Vater nicht mehr, nicht die Mutter. Zum Beispiel Alexander der Große. Lassen wir das humanistische Gymnasium.

Ein Vogel zwitschert. Es wird ein Spatz sein, der auf dem Balkon in den steinharten, gefrorenen Kuchen pickt, den ich gestern stehen ließ. Oder sollte es ein Geier sein, der seinen Prometheus sucht? Wenn ich nach Zürich fahre, werden sich alle Leute in der Pension aufregen: Kaum von den Toten auferstanden und schon wieder hehe.

Man modelliert mich, man zeichnet mich, man schneidet mich in Holz: Engel mit der Lyra. Ich werde zurzeit von zwei Ärzten und drei Künstlern behandelt. Der Bildhauer M. seziert mich ausgezeichnet. Der Doktor R. hat mich (mit seinem glühen¬den Stahl) fabelhaft getroffen.

Sind Sie schwach auf der Lunge: kommen Sie, besuchen Sie mich hier oben im Tal des Friedens (den Prospekt sendet Ihnen der Kurverein auf Wunsch.)! Sie werden zwar auch hier keine Ruhe finden, – aber Sie werden Liegekur machen, sich vollfressen, den Kehlkopf ausgebrannt bekommen, liebeln und pokern. Sie wer¬den einige Jahre länger leben. Und wir hängen doch alle am Leben wie die Schacher am Kreuz.