Das Erwachen

Figuren

Feldwebel – Leutnant – Adjutant – General – Leutnant d. R. – Fräulein aus Lille – Fremdenlegionär – Zwei Verwundete – Rosa + Erna + Paula, drei Mädchen – Junger Arbeiter – Bordellmutter – Taubstummer – Blinder – Lahmer – Madame de G. – Concierge – Junger Herr – Garcon – Alter Herr – Direktor – Agent – Primaner – Zwei Tote – Husar – Infanterist – Einige Arbeiter – Weiber – Kinder – Ein Pikett Soldaten – Unteroffizier

Schützengraben

FELDWEBEL: Ein Vogel singt …
LEUTNANT: Der Morgen …
FELDWEBEL: Du schliefst?
LEUTNANT: Schlecht …
FELDWEBEL: Warst du allein … im Traum?
LEUTNANT: Unendlich einsam und allein … kein Mensch mehr auf der Welt … nur ich … die Erde verwüstet: keine Städte, Dörfer, Wälder, Obstbäume, Kathedralen mehr … nur Granatlöcher und Schützengräben … Tausende von Schützengräben … einer hinter dem anderen angelegt … immer dichter, immer dichter … wie Ringe eines Mondkraters … und kein Soldat in ihnen: nur leere Uniformröcke mit Stöcken und Gewehren wie Vogelscheuchen aufgeputzt. Die Artillerie: wie zur Täuschung der feindlichen Flieger aufgestellt: nur alte Ofenröhren, auf Bauernkarren gelegt. Die Kanoniere: spaßige Gespenster. In der Etappe: Vogelscheuchen. Auf dem Divisionsstab: Vogelscheuchen. Im Stab der Armeegruppe die Generäle: Vogelscheuchen. Vogelscheuchen, vor denen kein Spatz sich mehr fürchtete. In ihren Helmen, die ja kopflos waren, nisteten die Meisen. Die Generalstabskarten waren von den jungen Vögeln beschmutzt und verunstaltet, aber dadurch nicht eigentlich unwahrscheinlicher oder anders geworden. Hier bedeuteten die Exkremente einer Schwalbe eine Festung mit ihren Forts, dort die eines Finken: ein Truppenlager. Ich schritt von der Front in die Etappe, von der Etappe dachte ich in die Heimat zu gelangen: ich kam an eine neue Front, dann in eine neue Etappe, in eine dritte Front, eine dritte Etappe. Überall diese Vogelscheuchen. Und ich, unendlich einsam und allein: der einzige Mensch … Kannst du mir diesen Traum deuten?
FELDWEBEL: Ich wage es: denn er erschüttert mich. Der Traum: ist unser Leben. Die Vogelscheuchen: sind wir. Aber der Mensch, der einzige lebende Mensch — er fehlt … (Schweigen. Nach einer Weile.)
LEUTNANT: Du glaubst, daß drüben dieselben Menschen leben wie wir?
FELDWEBEL: Ja.
LEUTNANT: Mit Knochen, Sehnsucht und Geschwüren, Nervositäten, Lächeln, Darmkatarrh — wie wir?
FELDWEBEL: Ja.
LEUTNANT: Sie stehen bis übers Knie im Dreck …
FELDWEBEL: Wie du …
LEUTNANT: Sie haben Läuse im Pelz …
FELDWEBEL: Wie du …
LEUTNANT: Sie haben Angst –
FELDWEBEL: Wovor?
LEUTNANT: Angst vor der Ewigkeit –
FELDWEBEL: Angst vor der Ewigkeit … wie wir …
LEUTNANT: Sie geben dem feindlichen Flieger, der die Li¬nien überfliegt, Grüße mit in die Heimat …
FELDWEBEL: Wie du …
LEUTNANT: Sie haben Weiber, Kinder – wie wir. Und drüben ist einer – o ich weiß, er heißt: Marcel Canquoi — ein komischer Name, nicht wahr? Der ist genau auf den Tag und die Stunde so alt wie ich … 29 Jahre … der verkauft Filz- und Haar- und Strohhüte: neueste Fasson, hohe Form, schmales schwarzes Band – verkauft Hüte: ganz wie du … der hat wie ich einen Hosenmatz, der grad die ersten Hosen kriegte … und sie stolz seinen Kameraden auf der Straße zeigt …
FELDWEBEL: Die erste Hose, mein Lieber, ist eine imitierte Soldatenhose …
LEUTNANT: 0 daß es einmal gelänge, den bunten Rock von unsern Kindern fern zu halten, den bunten, in Blut getauchten Rock — er ist nur deshalb so bunt… Kinder sollen mit Blumen und Salamandern, Fischen und Schmetterlingen spielen: nicht mehr mit falschen Fahnen, hölzernen Gewehren, unechtem Heldentum. Statt mit französischen Zinnsoldaten, sollen sie mit Franzosenkäfern spielen. Die haben auch rote Hosen … und leben … FELDWEBEL: Du hast recht: die Zinnsoldaten sind schuld am Kriege. Sie müssen ausgerottet werden. Wenn ich wie¬der nach Deutschland komme, werde ich sämtliche Zinn-und Bleisoldatenfabriken in Nürnberg anzünden. Hei, wird das flackern, wenn Millionen … Zinnsoldaten … schmelzen … schmelzen in der Flamme der neuen Zeit.
LEUTNANT: Die Kinder hegen in ihren kleinen Herzen den Mord. Sie sind vergiftet durch die Tradition des „Heldischen“. In der Schule lernen sie immer: erster punischer Krieg, zweiter punischer Krieg … erster Koalitionskrieg, zweiter Koalitionskrieg … Sie sollen nie und nimmer ler¬nen: erster Weltkrieg … zweiter Weltkrieg … dieser Krieg wäre der organisierte Wahnsinn, wenn man ihn nicht den letzten nennen würde.
FELDWEBEL: Mit den Menschen fielen in diesem Kriege auch die Begriffe. Mit den Begriffen fiel die Vernunft und wurde eine Dirne, die jeder … und noch dazu um ihr Schandgeld betrügt.
LEUTNANT: Schlagworte, die an Stelle der alten Schlagbäume, auf den Straßen des Landes tönend – schrill tönend -errichtet sind, machen’s … Deutschland in der Welt voran … Kampf gegen den Zarismus … England, der Krämer … Italien, der Verräter … Siegfried-Linie, U-Boot-frieden …
FELDWEBEL: Glaubst du an einen Durchbruch der Front?
LEUTNANT: Welcher Front? Ich kenne keine Front … Ich kenne nur einen 800 Meter langen verschlammten Graben. Drahthindernisse davor. Spanische Reiter. Horchlöcher. Drüben die sogenannte Front, denke ich mir, wird auch nicht länger sein als 800 Meter.
FELDWEBEL: Wer liegt uns gegenüber – weißt du das?
LEUTNANT: Gestern kam ein Überläufer. Es sind Territorial-Familienväter wie wir. Wir tun uns am liebsten gegenseitig nichts und sind froh, wenn die obern uns in Ruhe lassen.
FELDWEBEL: Ja, wenn „die oben“ nicht wären. Da kommt von der Armeeleitung auf einmal die Anfrage: warum passiert im Abschnitt seit Wochen nichts? Warum ist es im Abschnitt C. so still? Befehl: Gefechtsaufklärung … Na, wir schießen, die drüben schießen zurück. Man schießt sich gegenseitig ein paar gute Freunde tot. Man wird böse aufeinander. Die Franzosen heben nachts einen Posten aus. In der nächsten Nacht machen wir dasselbe. Wir kommen in den Tagesbericht. Der Hauptmann kriegt das Eiserne erster … Dann spielen wir wieder acht Tage Tarock oder Skat …
LEUTNANT: Aber nach acht Tagen kommt jemand auf den Gedanken, einer Katze eine leere Konservenbüchse an den Schwanz zu binden. Gesagt, getan … Gelächter … und Glanz in den Augen. Die Katze rast mit der Konservenbüchse scheppernd in den Drahthindernissen herum. Als ob plötzlich ein Kavallerieleutnant verrückt geworden wäre und mit seinem nachschleifenden Säbel da herumtanzte … die Franzosen denken weiß Gott was los ist… Sie schießen wie von Sinnen. Die Artillerie beginnt zu funken … Immer näher streut sie … verdammt, jetzt kommen Granaten: das ist schon das reinste Gardinenfeuer … Wo sollen wir heute Abend von hinten die Menage herkriegen: Hering und Brot …. Mir wird schlecht, wenn ich an diese kalten Bratheringe nur denke … Ein Hammelkotlett mit grünen Bohnen: das wäre noch was vorm Tode … Wir liegen, todmüde, in den Unterständen. Die in den Gräben zurückgebliebenen Posten passen auf, ob sie kommen … Im Morgengrauen knackt was in den Drahthindernissen … Das sind die feindlichen Pioniere, die wie Hirschkäfer mit ihren Scheren den Draht durchschneiden … Handgranaten fliegen ihnen wie Knallbonbons an die Schädel … Die Metallknöpfe der feindlichen Sturmtruppen hüpfen aus den jenseitigen Gräben … Maschinengewehrfeuer 200 Meter … taktaktak … Bis an unsere Gräben kommt keiner … Ein paar französische Pioniere hängen wie Fliegen im Spinngewebe der Drahthindernisse … Einer schreit: Soif … soif … Wir werfen ihm eine Bierflasche hinüber … Sie fällt, drei Meter von ihm entfernt, nieder … Seine Augen werden Hände, lange Polypenarme, die die Bierflasche zu sich heranziehen … Ich glaube es ist Marcel Canquoi… 29 Jahre alt… genau so alt wie ich … Chapellier aus Toulouse … (Schweigen.)
FELDWEBEL: Wo hast du dein Eisernes Kreuz?
LEUTNANT: Ich habe es lang genug getragen – wie Jesus das seine. Ich habe es einem toten Franzosen angehängt.
FELDWEBEL: Warum?
LEUTNANT: Ihm erweise ich damit noch eine Ehre … Mir war es keine mehr: damit zu prahlen oder zu protzen. Ich war hinten in Ruhestellung. Jeder Koch an der Gulaschkanone hatte es. Jede Ordonnanz, die im Offizierskasino bediente. Gestern kam ein Brief von meinem Vater. Der hat dem Faß den Boden ausgeschlagen. Der hat mir das Eiserne Kreuz direkt aus dem Knopfloch gerissen. Ich konnte, ich wollte es nicht mehr tragen.
FELDWEBEL: Was hat deines Vaters Brief mit deinem Eisernen Kreuz zu tun?
LEUTNANT: Mein Vater hat das Eiserne erster erhalten.
FELDWEBEL: Gratuliere. Hast du ihm deinen Glückwunsch telegraphieren lassen?
LEUTNANT: Glückwunsch? Wozu ihm Glück wünschen. Er hat das seine dahin. Ich belächle seine Eitelkeit … sein papageienhaftes Greisentum … seine Ohnmacht …
FELDWEBEL: Was ist dein Vater?
LEUTNANT: Oberst …
FELDWEBEL: Wo steht er … im Westen … im Osten … im Balkan?
LEUTNANT: Er steht nirgendwo … nicht einmal fest auf sei¬nen zwei Beinen. Es ist die alte Zeit, die in ihm wankt. FELDWEBEL: Aber das Eiserne erster?
LEUTNANT: Er ist Platzkommandant in W: … Kennst du den neuesten Ordenserlaß? Alle Offiziere vom Major aufwärts, die das Eiserne erster noch nicht besitzen, sind tun¬lichst bald zum Eisernen erster einzureichen. Das Eiserne Kreuz ist zur Schützenfest- oder Sängerbundsmedaille degradiert. Wir Frontkämpfer brauchen kein äußeres Zeichen: eine hohe Flamme brennt auf unserer Stirne. Das heilige Feuer der grenzen-losen Bruderliebe, die keine Grenzpfähle mehr kennt, senkte sich wie der heilige Geist auf uns nieder, uns feurig zu beflügeln.
FELDWEBEL: Ich bin längst geheilt von dem Wahne, als könne man mit dem Lande auch das Herz des Landes annektieren. Liebe … gewinnt man liebend. Man erpreßt sie nicht.
LEUTNANT: Wir alle an der Front, an allen Fronten, wollen das Hemd aufreißen, das dreckige, zerlauste, und einander die blutende, zernarbte Brust weisen. Wir werden weinend dann einander in die Arme sinken, zu spät erkennend, daß des andern Wunde auch die unsere …

Zimmer im Stabsquartier der xten Armee

ADJUTANT: Das Telephon, Exzellenz.
GENERAL: Was gibt’s?
ADJUTANT: Gefechtsstand der Division Z.
GENERAL: Nun?
ADJUTANT: Die Division hat, wie befohlen, angegriffen.
GENERAL: Wann?
ADJUTANT: Punkt 7 Uhr 15.
GENERAL: Jetzt ist es?
ADJUTANT: 9 Uhr 30.
GENERAL: Sie hat erreicht?
ADJUTANT: Den Wald von C. Einige Gebäude von N. sind in ihrer Hand.
GENERAL: Gebäude von N.? Wer hat sie geheißen, N. zu nehmen?
ADJUTANT: Niemand, Exzellenz. Ein ausdrücklicher Befehl stand dem sogar entgegen.
GENERAL: Die Division gerät in Flankenfeuer. Sie opfert unnötig mindestens ein Bataillon. Wer ist der renitente Divisionär?
ADJUTANT: General Z. Exzellenz … ich darf frei reden, Exzellenz.
GENERAL: Sie dürfen … Sprechen Sie …
ADJUTANT: General Z. ist ehrgeizig.
GENERAL: Gewiß … Gewiß …
ADJUTANT: Er weiß, daß Ungehorsam höherer Führer, wenn er Erfolge im Gefolge hat, ihnen auf der Plusseite gebucht wird.
GENERAL: General Z. kann in N. nichts erreichen. N. wird sofort flankiert.
ADJUTANT: General Z., Exzellenz, ist der einzige Divisionär der 10. Armee, dem man bisher den Pour le merite vorenthalten. Es käme ihm nicht darauf an, seine ganze Division … dem Pour le merite zu opfern … Ich durfte frei sprechen, Exzellenz …
GENERAL: Telephonieren Sie: die Division Z. biegt sofort den linken Flügel zurück. Das Regiment von F. der Brigade D. ist ihr behilflich. – Ich werde bei seiner Majestät den Pour le merite für General Z. beantragen. Der Herr reitet uns sonst noch mal in die Tinte … trotz all seiner Fähigkeiten. Den höheren Offizieren sollten bei Beginn eines Krieges alle höheren Orden, Eisernes erster, Pour le merite usw. sofort verliehen werden, damit ihr Ordensehrgeiz ihnen keine dummen und … unmoralischen Streiche spielt. Was meinen Sie, Adjutant?
ADJUTANT: Gehorsamst einverstanden, Exzellenz. Ich darf frei reden, Exzellenz?
GENERAL: Reden Sie!
ADJUTANT: Müßte man solche Offiziere nach dem Kriegsgesetz nicht aufhängen?
GENERAL: Man müßte … aber uns fehlt die nötige Anzahl Galgen … wir sind alle … Schurken. Man müßte uns alle aufhängen.
ADJUTANT: Gehorsamst einverstanden, Exzellenz … ich durfte – frei sprechen, Exzellenz …

Eine Straße in Lille

LEUTNANT D. R.: Guten Tag, Mademoiselle.
FRÄULEIN AUS LILLE: Guten Tag, mein Herr.
LEUTNANT: Wohin geht der Weg?
FRÄULEIN: In die Welt.
LEUTNANT: Das ist nicht weit – eine Meile nach allen Seiten, und sie hat ein Ende.
FRÄULEIN: Sie reden in Rätseln, mein Herr.
LEUTNANT: Sie schweigen in Arabesken, Mademoiselle. Nur Ihr Sonnenschirm schreibt sonderbare Zeichen in die Luft.
FRÄULEIN: Ich begreife Sie nicht.
LEUTNANT: Nun: Haben Sie einen besonderen Paß, daß Sie das Weichbild von Lille verlassen dürfen?
FRÄULEIN: Nein, mein Herr.
LEUTNANT: Sehen Sie: die Welt ist eine Scheibe für Sie – auf die man noch dazu schießt, eine Schießscheibe, die Engländer treffen nur Gott sei Dank nicht mit jedem Schuß.
FRÄULEIN: Lille ist mein Herz. Wäre es unfehlbar! Wie gern verblutete ich!
LEUTNANT: Der Marktplatz von Lille ist das Zentrum der Scheibe. Von dort: zehn Kilometer — und Sie stoßen an eine eiserne Wand.
FRÄULEIN: Ich bin nicht so unklug, mir meinen kleinen Kopf an einer eisernen Wand einzurennen.
LEUTNANT: Sie sind klug, Mademoiselle.
FRÄULEIN: Nicht so klug als ich scheine, nicht so klug als die Sonne scheint. Sie bescheint eine Unscheinbare.
LEUTNANT: Philosophin!
FRÄULEIN: Philosophin und Landsknecht … eine hübsche Idylle.
LEUTNANT: Sagen Sie, Mädchen und Mann — eine reinere!
FRÄULEIN: Ein grauer Rock – und schwärmt?
LEUTNANT: Ein grauer Rock – und schwebt!
FRÄULEIN: Ich schäme mich.
LEUTNANT: Warum?
FRÄULEIN: Bin gar so schwer …
LEUTNANT: So leicht! Sie hängen ja in der Luft wie eine Libelle!
FRÄULEIN: Ich bin feige …
LEUTNANT: Feige?
FRÄULEIN: Ja ich habe keinen Mut — und leider auch kein Talent zur Spionin. Es wäre wohl meine Pflicht, für mein Vaterland Spionage zu treiben …
LEUTNANT: Sie sind ehrlich, Mademoiselle … Woher wissen Sie, daß ich nicht denunziere?
FRÄULEIN: Sie sind ein Offizier. Ein Offizier ist ein Kavalier. Ein Kavalier denunziert nicht …
LEUTNANT: Mademoiselle wohnen in dieser Straße?
FRÄULEIN: Ja, das drittnächste Haus um die Ecke. Zwei Treppen hoch; wollen Sie mich auf mein Zimmer begleiten?
LEUTNANT: Gern, Mademoiselle.
FRÄULEIN: Es ist etwas dunkel im Hausflur. Sie müssen entschuldigen. Man muß mit dem Gas sparen, weil man mit den Kohlen haushalten muß.

Das Zimmer des Mädchens

FRÄULEIN: So: legen Sie ab, machen Sie sich’s bequem. Gefällt es Ihnen bei mir?
LEUTNANT: Ein nettes Zimmer haben Sie, ganz weiß in Gold, allerliebst.
FRÄULEIN: Eigentlich hätten Sie gar nicht mit heraufkommen dürfen … in Uniform … nicht wahr? … ist der Besuch … bei unsereinem … verboten?
LEUTNANT: So vieles ist verboten, was uns Gott gebot. Aber der Krieg ist leider noch nicht verboten.
FRÄULEIN: Er verbietet sich selbst …
LEUTNANT: Aber man will es nicht wahr haben.
FRÄULEIN: Oh lala: Sie, ein preußischer Offizier, entpuppen sich, indem Sie bei einer galanten Dame sich den Waffenrock ausziehen: als Antimilitarist. Sie tragen Ihr Herz unter der Uniform verborgen … wie ein Medaillon. LEUTNANT: Meinen Sie, wir hätten verlernt, Menschen zu sein?
FRÄULEIN: Manchmal möchte man’s glauben: man hat in Belgien in einer Stadt an einem Tage 123 Zivilisten er¬schossen … 123 Zivilisten. In einer Stadt. An einem Tage. Wissen Sie das?
LEUTNANT: Ich weiß es nicht. Das dünkt mich sensationell aufgebauscht.
FRÄULEIN: Aufgebauscht … ja … von den Winden der Verzweiflung …
LEUTNANT: Mademoiselle …
FRÄULEIN: Herr Leutnant?
LEUTNANT: Sie haben Tränen an den Wimpern … darf ich sie Ihnen wegküssen?
FRÄULEIN: Küssen Sie … küssen Sie … ich will die Augen schließen und meinen: die Reue küsse die Verzweiflung. Liebe nahe der Schwäche … Demut stark …
LEUTNANT: Mein … Mädchen … wie lange küßte ich kein Mädchen …
FRÄULEIN: Blauweißrot … schwarzweißrot … die Farben gehen ineinander über … Mensch, mein Mensch … ich liebe Sie … sehen Sie den Regenbogen über uns!

Schützengraben

Ein Fremdenlegionär Ist übergelaufen. Er schwenkt das französische Käppi, schreit: FREMDENLEGIONÄR: Deutschland! Deutschland!
FELDWEBEL: Schrei nicht, sonst schießen die drüben. Du kannst Deutschland auch leise lobpreisen. Wir haben so¬wieso immerzu laut: Deutschland! Deutschland! geschrien und uns die ganze Welt mit diesem unsinnigen Gebrüll auf den Hals gelockt.
LEGIONÄR: Mein Herz ist so voll … ich bin bei Euch, Kameraden … spreche deutsch, höre deutsch … Wie Nachtigallenschlagen klingt die deutsche Sprache.
SOLDAT: Du wirst Durst haben …
ANDERER: Da trink …
LEGIONÄR: Dank! Dank!
FELDWEBEL: Du bist ein Fremdenlegionär?
LEGIONÄR: Vom Regiment Siddi-bel-Abbes. Diene schon sieben Jahre. War kein Mensch mehr. Bin Korporal geworden. Einzige Sehnsucht: ein Viertel Roten nach dem Dienst
… Jetzt bricht der Felsen auf … die Quelle springt … Deutschland! Mein Herz strömt nieder … strömt … rauschend wie der Rhein … ich muß lachen … vor Jubel … lachen … lachen …
FELDWEBEL: Du lachst gut … wie eine Lachtaube … so schwärmend. Wir lachen nur noch wie Papageien: ein imitiertes Gelächter, das uns von früherer Zeit in den Ohren hängen blieb. Wir können nicht so lachen wie du … Wir können nicht überlaufen … wohin sollten wir laufen … höchstens rückwärts … denn rückwärts liegt Deutschland …
LEGIONÄR: Ich bin nach vorn gelaufen … vor mir glänzte der Stern von Bethlehem, Deutschland: die Kuppel des Kölner Domes.
FELDWEBEL: Deutschland: wir lieben es rasend, wir lägen nicht hier im Dreck. Aber, Kamerad, du bist hoffentlich nicht gekommen, um an unserer Seite gegen deine frühe¬ren Freunde zu kämpfen. Bleib ihnen verbunden. Wie mit einer Nabelschnur. Sieben Jahre sind eine lange Zeit. Ge¬denke der afrikanischen Genossenschaft ein wenig, auch in Dankbarkeit. Es wird nicht jeder Korporal in der Fremdenlegion. Wir werden dich in die Heimat, in irgendeine Schreibstube schicken. Da bist du in Deutschland. Hier vorn im vordersten Graben darfst du nicht bleiben. Fällst du in die Hände der offiziellen Franzosen: sie werden dich als Deserteur und Überläufer hängen. Sei kein wirklicher Verräter. Du stehst zwischen den Völkern: verrate die Seele der Menschheit nicht. Kämpfe gegen niemand mehr als gegen dich. Zieh dir den Frack aus … hier hast du eine feldgraue Jacke … Du wirst dich beim Bataillonsstab erst noch zu verantworten haben … grüße Deutschland … es liegt weit … weit hinter uns … weiter als du glaubst … Ich möchte wieder einmal den Regen im Thüringer Wald hören … oder die Autobusse in der Berliner Friedrichstraße … oder die Glocken der Frauenkirche in München … nicht immer diesen ewigen Fliegeralarm … leb wohl, Kamerad …

Lazarett

ERSTER VERWUNDETER: Wie heißt Du?
ZWEITER VERWUNDETER: Namenlos. – Du?
ERSTER: Irgendwer.
ZWEITER: Dein Vater?
ERSTER: Niemand.
ZWEITER: Deine Mutter?
ERSTER: Ein Weib.
ZWEITER: Was für ein Schuß?
ERSTER: Bauchschuß. – Du?
ZWEITER: Lunge.
ERSTER: Granate?
ZWEITER: Schrapnell Du?
ERSTER: Maschinengewehr.
ZWEITER: Du lebst?
ERSTER: Ein wenig …
ZWEITER: Fürchtest du den Tod?
ERSTER: Nur den Arzt.
ZWEITER: Den Arzt?
ERSTER: Ist böse. Hat Messer und Zangen. Grobe Hände, wie ein Metzger.
ZWEITER: Aber die Schwester?
ERSTER: Lächelt süß.
ZWEITER: Wie eine Statue.
ERSTER: Wie ein Fliederstrauch. Sie ist ein Reh. Schreitet so schlank durch den Wald unserer Betten.
ZWEITER: Wo fielst du?
ERSTER: Beim Sturme auf Bixschoote … Wir gingen ohne Artillerie vor. Der General wollte es … wir stürmten … stürmten … Meerwind überm Ozean … die Artillerie kam nicht nach … wollte und wollte nicht kommen … Ich sprang und sprang … hoppelte wie ein Hase übers Feld … Schließlich waren nur noch vier Mann neben mir … Drauf, schrie ich, Kameraden, drauf … auf die Ferme … wir müssen sie haben … Wir pirschen uns ran … da stehen die Unsern, stehen die Sachsen … sie hatten unser ganzes Regiment zusammengeschossen … lauter Freiwillige … blutjunge Studenten … wir vier waren die einzigen Überlebenden … Ich stürzte zwei Schritte vor den Sachsen in mich zusammen … mit einem Bauchschuß … meine Gedärme mußte ich halten … daß sie nicht heraus¬fielen … Mein leiblicher Bruder war bei dem Regiment der Sachsen. Er hat mich in den Bauch geschossen … ich bin’s gewiß.

Bordell in Leipzig

Drei Mädchen sitzen in dünnen Gazekleidchen im Emp­fangsraum.

ROSA: So ein Geschäft wie in den ersten Tagen des Krieges … wie in den Tagen der dutzend Kriegserklärungen … haben wir seitdem nicht mehr gemacht.
ERNA: Ja, damals ging’s hoch her … die jungen Leute brauchten ein Ventil für ihre Begeisterung … für ihre Draufgängerstimmung … An uns konnten sie sich relativ billig austoben.
ROSA: Bei uns war die Attaque auch nicht mit Lebensgefahr verbunden.
PAULA: Im Gegenteil, manchem haben wir mit einem Trip¬per das Leben gerettet. Er konnte monatelang nicht ins Feld rücken und wurde vielleicht gar untauglich geschrieben, wenn die Sache zu lange dauerte.
ROSA: Ach … die ersten Kriegstage … ich träumte manch¬mal davon, wenn ich gut gegessen habe, was selten genug passiert; man muß schon aufs Dorf hamstern gehen …
ERNA: Damals waren alle unsere Zimmer mit schwarz-wei߬roten Fahnen dekoriert … in den Betttüchern war das Eiserne Kreuz eingestickt… in jedem Zimmer hing in Gold¬rahmen ein Bild des Kaisers …
ROSA: Während wir mit unseren Freunden und Freiern, den jungen Soldaten und Kriegsfreiwilligen tanzten oder gegen das entsprechende Entgelt die Künste unseres Leibes trieben, spielten die Grammophone: Deutschland, Deutsch¬land über alles … und: Es braust ein Ruf wie Donner¬hall …
PAULA: Damals … als Osterreich an unsere Seite trat … bin ich mit in der Masse marschiert, es war schon ziemlich spät nachts – zum österreichischen Konsulat. Ein betrunkener Bäckergeselle marschierte an unserer Spitze, in der Hand eine schnell improvisierte österreichische Fahne schwenkend. Wir brüllten: Haltet aus in Sturmgebraus und gebärdeten uns wie verrückt. In dieser Nacht habe ich einen jungen Arbeiter umsonst geliebt, ohne daß er etwas zu zahlen brauchte. Ich ärgere mich heute noch dar¬über. Ich war von Sinnen …
ROSA: Einsam ist es bei uns geworden … die letzte Zeit… ich habe so lange keinen Mann mehr gehabt, daß ich mich beinah in den ersten besten verlieben könnte, der käme. Und mir ist doch, weiß Gott, die sogenannte Liebe egal …
ERNA: Die Männer bekommen zu wenig zu essen. Und müs¬sen zu viel arbeiten. Füttere einen Mann mit Beefsteak und Eiern und lasse ihn drei Tage nichts tun: ich garantiere, er findet schon am zweiten Tag den Weg zu uns.
PAULA: Beefsteaks und Eier: Du bist ja lächerlich: Beefsteak und Eier: jetzt im dritten Kriegsjahr! (Die Klingel tönt. Die Mädchen fahren nervös auf, zupfen an ihren Bändern und Röcken.)
ALLE DREI: Ein Mann!
(Der junge Arbeiter betritt, von der Bordellmutter geführt, ein wenig verstört, das Bordell.)
BORDELLMUTTER: Suchen Sie sich nur eine aus, suchen Sie sich nur ungeniert eine aus … (zieht sich wieder zurück).
JUNGER ARBEITER: Guten Abend, meine Damen … ist es gestattet, näher zu treten?
ROSA: Guten Abend, mein Herr.
PAULA: Nehmen Sie nur bitte Platz.
ERNA: Trinkt der Herr etwas?
JUNGER ARBEITER: Ja, bitte Wein.
ROSA: Vielleicht Sekt?
JUNGER ARBEITER: Ja, bitte Sekt.
PAULA: Dürfen wir uns je ein Glas …
JUNGER ARBEITER: Ja, bitte.
(Rosa ab, um den Sekt zu holen. Bald mit Sekt und vier Gläsern zurück.)
ERNA (hat sich dem jungen Arbeiter aufs Knie gesetzt): Sie sind ein hübscher Junge …
JUNGER ARBEITER: Finden Sie? Die Mädchen in der Fabrik haben es auch gesagt …
PAULA: Sie scheinen mir ja ein Schlimmer! Sie haben wohl schon mancherlei angestellt… mit den Fabrikmädels, wie?
JUNGER ARBEITER: 0 nein … nicht viel … ich habe eine Braut!
ROSA: Eine Braut? Und die betrügen Sie so einfach mir nichts dir nichts mit uns?
JUNGER ARBEITER: Ich betrüge sie ja gar nicht… ich konnte heute nur nicht mit ihr zusammen sein … sie … weint den ganzen Tag …
PAULA: Oh … das arme Ding … aber Sie trinken ja gar nicht …
JUNGER ARBEITER: Prost, zum Wohl, meine Damen …
PAULA: Weshalb weint sie denn … die arme Kleine … gewiß weil Sie böse zu ihr waren?
JUNGER ARBEITER: Ich bin immer gut zu ihr gewesen …
ROSA: Aber grundlos weint ein Mädchen doch nicht?
JUNGER ARBEITER (trinkt): Zum Wohl, meine Damen … o nein, grundlos weint sie nicht. Sie weint, weil Krieg ist …
PAULA: Weil … Krieg ist? Sieh mal an: da müßten wir ja alle weinen …
JUNGER ARBEITER (ernsthaft): Das müßten wir auch … wir müßten alle weinen, denn wir sind alle Schuld daran …
ROSA: Schuld – am Kriege?
JUNGER ARBEITER: Ja … Schuld am Krieg …
ERNA: Ich kann mich nicht besinnen, daß ich schuld am Kriege bin …
PAULA: Er hat recht … damals als ich mit der Menge vor das österreichische Konsulat marschierte und „hoch der Krieg“, „hoch der Krieg“ brüllte – da machte ich mich mitschuldig an allem Elend …
JUNGER ARBEITER (streichelt sie): Sie sind ein guter Mensch, Fräulein … ein besserer, als Sie vielleicht meinen …
PAULA: Schweigen Sie … ich bin ein Tier …
JUNGER ARBEITER: Tiere sind wir alle, Fräulein.
ROSA: Weshalb kommen Sie denn zu uns … Prost… trinken sie doch?
JUNGER ARBEITER: Ich bin heute ausgehoben worden … und für tauglich befunden … und deshalb weint meine Braut … und ich konnte es nicht mehr mit ansehen … aber alle Frauen auf der Straße trugen dasselbe Gesicht wie meine Braut… da ging ich hierher … weil ich dachte, hier kennt man den Krieg gewiß noch nicht … hier haben die Frauen keine Brüder, keine Seele, keine Männer … hier werden sie vielleicht noch lachen können … (zu Paula:) Aber ich sehe, ich habe mich getäuscht … Auch hier weiß man vom Krieg …
PAULA (breitet die Arme): Kommen Sie mit mir herauf … ich will Sie lieben … wahrhaft lieben … wie ich nie einen Mann geliebt habe … Ja … ich vermochte bis heute nicht zu lieben … Sie haben mich die Reue … und die Liebe gelehrt … Kommen Sie. Kommen Sie … ich will aus meinem Gelde bei Madame für Sie bezahlen … auch den Sekt … Sie dürfen mir kein Geld geben … (exaltiert) Kommen Sie … kommen Sie! (Beide umschlungen ab.)

Im Erholungsheim der Invaliden

 Garten. Bäume. Sonne. Viel Grün.Taubstummer spielt die Handharmonika. Ein Blinder und ein Lahmer mit einem Holzbein tanzen dazu.

LAHMER: Mehr Schwung … (brüllend) mehr Schwung …
TAUBSTUMMER (verständnislos lächelnd spielt weiter).
BLINDER: Hopsassa … Hopsassa … wozu ist denn das Leben da?
LAHMER (stampft mit dem Holzbein auf): Rhythmus, Rhythmus, ich war früher Holzhacker, da kriegt man Rhythmus in die Glieder … da ist Musik … Holzhacken … eine andere Musik als dieser Taubstumme aus seinem Marterkasten quetscht (brüllt) Schwung … mehr Schwung …
BLINDER: Ich habe es viel lieber, wenn man leiser tanzt, sieh einmal so … (tanzt allein) N…tata…n…ta…ta…n… ta.. .ta… (stößt an einen Baum) hoppla …
LAHMER (Gelächter): Du sollst dich einmal sehen, wie du so herumhopst … wie ein Kranich im Olsalat … (macht ihn nach) n…ta…ta n…ta. Nee, das Butterweiche ist nichts für mich. Mark muß der Mensch haben, sage ich dir, Mark und Pfennige …
BLINDER (hängt sich in den Lahmen ein): Sag einmal, was siehst du heute …
LAHMER: Was ich sehe … dich … den Taubstummen … die Bäume … das Haus … Was meinst du damit? BLINDER: Ich meine, ist heute nicht ein schöner Tag? Ich rieche die Sonne bis hier in den Schatten. Sie muß ganz Gold heute sein, wie die gute Fee in den Kindermärchenbüchern … Gib mir mal etwas Sonne in die Hand … So … nur, daß ich die Hand in der Sonne habe. Weißt du, weil ich blind bin, sehe ich mit den Händen … Liebe Sonne!

Hotelhalle in Genf

MADAME: Ein Telegramm für mich da?
CONCIERGE: Bitte, Madame.
MADAME: (erbricht das Telegramm, liest es flüchtig, geht nach vorn links an einen Tisch, läßt sich im Klubsessel nieder. Sie zieht ein Zigarettenetui. Ein Boy bietet ihr Feuer. Sie bläst den Rauch zur Decke. Sie bemerkt, ihr gegenüber am Tisch rechts einen eleganten jungen Herrin, beginnt mit ihm zu kokettieren … Am Tisch hinter dem jungen Herrn sitzt ein älterer weißhaariger Herr, der die „Frankfurter Zeitung“ liest.)
JUNGER HERR: Garcon!
GARCON: Mein Herr!
JUNGER HERR: Es ist sehr heiß heute. Ein Mineralwasser, bitte!
GARCON: Was belieben Monsieur: Fachinger, Harzer Sauerbrunnen, Gießhübler …
JUNCER HERR: Das ist alles boche … Ich trinke kein Bochesoda …
GARCON: Vielleicht Passuger? Schweizer Quelle. Schweizer Füllung.
DER ALTE HERR (ist aufgesprungen): Das ist ja unerhört! Bin ich hier in einem neutralen Lande oder nicht? Wollen Sie sofort die Beschimpfung Deutschlands zurücknehmen? Wollen Sie sofort Boche zurücknehmen?
JUNGER HERR: Ihnen gegenüber, mein Herr, sehr gerne. Ich höre an Ihrer Aussprache, Sie sind Deutscher. Ich nehme Ihnen gegenüber den Boche zurück, mit dem ich die Mineralwasser beschimpfte. Im allgemeinen aber bleibt der Boche als Gattung für mich bestehen.
ALTER HERR: Sie beleidigen Deutschland von neuem! Das ist ja unerhört! In einem neutralen Hotel muß man sieh das bieten lassen! Direktor!
DIREKTOR: Mein Herr, ich bitte Sie, das kleine Vorkommnis nicht tragisch zu nehmen.
ALTER HERR: Meine Rechnung! Sofort! Ich ziehe auf der Stelle aus. Wo ist mein Diener?
DIREKTOR: Er speist im Bedientenzimmer zu Nacht.
ALTER HERR: Sie werden ihn rufen lassen. Er soll sofort packen.
DIREKTOR: Mein Herr, ich bedaure vielmals. Ich bitte Sie um Verzeihung im Namen des Hotels. Darf ich Ihnen, viel¬leicht im Grand Hotel Beau sejour, telephonisch ein Appartement bestellen? Es ist schon spät am Abend.
ALTER HERR: Wann geht der Nachtzug nach Montreux?
DIREKTOR (zieht die Uhr): In einer Stunde mein Herr …
ALTER HERR: Ich fahre nach Montreux …
DIREKTOR (verbeugt sich, geht zu dem Jüngern Herrn rechts): Ich begreife nicht, mein Herr. Das Taktgefühl sollte Ihnen verbieten, derartige Äußerungen … so laut zu tun, daß man sie am Nebentisch hören kann. Wissen Sie, wer der alte Herr ist? Der alte Herr ist der Inhaber der renommiertesten deutschen Sektfirma Bratt & Co.
JUNGER HERR (verneigt sich): Ich danke Ihnen, das wollte ich nur wissen (geht lächelnd die Freitreppe empor).
DIREKTOR (sieht ihm verblüfft nach, entfernt sich).
MADAME (hat die ganze Szene aufmerksam beobachtet): Garcon …
GARCON: Madame?
MADAME: Ein Eiscremesoda …
GARCON: Sehr wohl, Madame …
(Ein sehr eleganter junger Herr betritt die Hotelhalle, eilt ein wenig exaltiert auf Madame zu; es ist ein deutscher Geheimagent.)
AGENT: Ich bin entzückt, meine Freundin, Sie so bald in Genf wieder zu treffen. (Gibt einem Boy Hut und Stock. Setzt sich.)
MADAME: Sie sind auffallend hübsch, mein Junge. Heute wie immer. Meine Lippen haben die Ihren nicht vergessen.
AGENT: (küßt ihr die Hand).
MADAME: Für Ihren … Beruf würde es allerdings genügen, wenn Sie hübsch wären. Das Auffallende … dürfte fehlen.
AGENT: Ich falle nur den Frauen auf … und das ist für meinen … Beruf unbedingt notwendig …
GARCON: Sie befehlen, mein Herr?
AGENT: Whisky.
GARCON: Mit Soda?
AGENT: Mit Eiswasser.
GARCON: Sehr Wohl.
AGENT: Madame …
MADAME: Mein Herr?
AGENT: Was bringen Sie uns Neues aus Paris?
MADAME: Neues … Neuestes … Gutes … Bestes …
AGENT: Lassen Sie hören …
MADAME: Seit dem 15ten, das ist seit vier Tagen … erscheint eine neue Zeitung in Paris … die endlich einmal … einen anständigen menschlichen Ton anschlägt …
AGENT: Wem gehört die Zeitung?
AGENT: Ich bitte Sie darum.
(Musik beginnt zu tönen – ein One-step.)
MADAME: Musik!
AGENT: Ein Inhalt unseres künftigen Lebens …
MADAME: Es findet eine kleine Abendunterhaltung mit Tanz statt. Tanzen Sie?
AGENT: Mit dem größten Vergnügen.
MADAME (erhebt sich, legt ihren Arm in den seinen): So kommen Sie!

Gymnasium (Prima)

PRIMANER: In der nächsten Woche ist Abiturium. So Gott und der Direx will, werden wir es alle bestehen. Hört, Jungs, es sind einige unter Euch, die wollen sich, jetzt im vierten Kriegsjahr, nachdem sich die Kriegsgöttin längst als alte Hure entschleiert hat, noch als Kriegsfreiwillige melden. Beschluß des Chargiertenrates der geheimen Schülerverbindung Markomannia, der Ihr alle angehört: wer sich im vierten Kriegsjahr als Kriegsfreiwilliger meldet, begeht Verrat am Vaterlande. Ihr alle werdet gebraucht als die Freiwilligen des Friedens. Wir haben in unserem literarischen Lesezirkel letzthin die politischen Bemerkungen von Lichtenberg, einem deutschen Schriftsteller des achtzehnten Jahrhunderts gelesen. Erinnert Euch, was er sagte: Ich möchte was drum geben, genau zu wissen, für wen eigentlich die Taten getan worden sind, von denen man öffentlich sagt, sie wären im das Vaterland getan worden … (Donnerndes Getrampel.)
Wir lieben unser Vaterland aus heißem Herzen. (Donnerndes Getrampel.) Aber wir sehen es in Ketten geschmiedet vor den Tribunen einer ehrsüchtigen Militärpartei und eines herrischen Fürstentums. Deutschland ist unter dem ungesetzlichen Gesetz über den Belagerungszustand mundtot gemacht. Uns allen sind Knebel ins Maul gestoßen. Wir dürfen nur lallen. Unsere Arme sind nicht frei: wir dürfen sie wie im Turnunterricht nur nach gewissen Regeln gebrauchen. Wir dürfen selbst nur sehen, was uns erlaubt ist: rosenrote Brillen zwingt uns die Tyrannei auf die Nasen, damit wir die Welt im rosenrotesten Lichte sehen. Aber das Rosenrot wird zum Blutrot werden. Wir werden die Welt blutrot sehen … wie sie ist. Freunde! Wir haben heute abend eine geheime Sitzung in der Kneipe Grüner Weg 1. Punkt neun Uhr. Daß niemand fehle! Von unseren Freundinnen werden Lilli, Margrit und Iris zugegen sein. (Es klingelt.)
Der Pedell läutet. Die Homerstunde beginnt sofort. Vergesst Euren Lichtenberg nicht! Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber soviel kann ich sagen, es muß anders werden, -wenn es gut werden soll … (Donnerndes Getrampel.)

Schlachtfeld

ERSTER TOTER: Es wird Frühling. Riechst du’s?
ZWEITER TOTER: Veilchen.
ERSTER TOTER: Und Blut. Die Frühlingsoffensiven beginnen.
ZWEITER TOTER: Eine Konservenbüchse … mit jungem Grün.
ERSTER TOTER: Junge Erbsen und Karotten wären mir lieber gewesen — wenn ich noch lebte …
ZWEITER TOTER: Ich bin froh, daß ich keinen Hunger mehr habe … es war immer ein fatales Gefühl zwischen den Rippen …
ERSTER TOTER: Ich bin froh, daß ich nicht mehr philosophisch denken muß. Mein Kopf ist leer wie eine Trommel. Wind und Mond diskutieren hinter meinen Augenhöhlen. Der Mond brennt wie eine Kerze in meinem Schädel. Der Wind will sie auspusten. Das nennt man eine angenehme Konversation.
ZWEITER TOTER: So ein leichter luftiger Schädel – eine Annehmlichkeit, die ich nicht mehr entbehren möchte. Er schwebt auf einem wie ein Kinderballon. Das Gehirn hat uns hernieder in den Dreck gezogen. Seit wir es verloren haben – und wir werden uns hüten, es wiederzusuchen -sind wir erst so recht glücklich … das heißt: tot …
ERSTER TOTER: Möchtest du noch einmal ins Leben zurück?
ZWEITER TOTER: Beileibe nicht… ich bin nicht neugierig …
ERSTER TOTER: Was war dein Beruf?
ZWEITER TOTER: Aviatiker … glaube mir, von oben machte sich die Erde nicht besser als von hier unten. Eine ausgekochte Lazarettpflaume … Dörrobst …
ERSTER TOTER: Du warst der Sonne näher!
ZWEITER TOTER: Und den Wolken …
ERSTER TOTER: Du umfaßtest Millionen mit einem Blick …
ZWEITER TOTER: Liebend … gramvoll gepeinigt … ich sah Millionen: ein zuckendes Herz … von einem Polypen um¬krallt … da wurde mir schwarz vor den Augen … da verlor ich die Steuerung … ich stürzte ab … und da bin ich …
ERSTER TOTER: Ich war Richtkanonier in einem Unterseeboot … Ich torpedierte einige Handelsschiffe, einige Weizenkähne … es machte mir Spaß … aber dann kam der verschärfte Unterseebootkrieg … ich richtete das Rohr auf einen Passagierdampfer … es war nachts … von drüben drang Gelächter, Tanz und Rausch … ich hörte ein kleines Kind im Schlaf weinen … ein größeres nach der Bonne rufen … zwei Liebende standen umschlungen am Reeling … in einer Feuergarbe fuhren sie in den Himmel ihrer Liebe … ich wurde ohnmächtig … ich beantragte Versetzung zur Matroseninfanterie. Da bin ich. Ein Indier hat mich erstochen. In demselben Augenblick, als ich ihn traf. Er hielt sich bis vor einiger Zeit noch hier in der Nähe auf: Ich glaube, die Engländer haben ihn begraben. Schade, es war ein gentiler Bursche. Ein witziger Kopf. Trotzdem ihm der Unterkiefer fehlte.
ZWEITER TOTER: Pst … Still …
ERSTER TOTER: Was gibt’s?
ZWEITER TOTER: Ein Sanitätshund bellte … gute Nacht … der Mond steht hoch … Wir wollen schlafen …

Gefangenenlager in Afrika

Ein schwarzer Wachtposten geht im Hintergrund auf und ab.

HUSAR: Anderthalb Jahre hocke ich jetzt schon auf dieser selben Stelle mit an der Erde angewachsenem Arsch wie ein Termitenweibchen.
INFANTERIST: Wieviele Male habe ich schon die Uniform¬knöpfe an meiner Jacke gezählt! Und die einzelnen Bretter des Zaunes! Und die Minuten einer Stunde – sie sind unzählbar …
HUSAR: Die Schwarze neulich war nicht übel … Augen wie Achat … Brüste wie Regenwürmer … Zähne wie die Zacken eines Sägefisches … Ich habe mit fünfundzwanzig Stockhieben den Genuß quittiert … Ich habe mich leidenschaftlich gerne prügeln lassen … Wenn der Kerl nur nicht aufhört, dachte ich, fünfundzwanzig ist eine kurze Zahl …
INFANTERIST: Ich wüßte nicht, was ich machen sollte, hätte ich mir nicht voriges Jahr bei solch einem Biest die Syphilis geholt. Ich bin dem kleinen Frettchen direkt dankbar für ihre freundliche Ansteckung. Ich würde sterben vor Langeweile, wenn ich nicht die Lues hätte. Sie schafft mir einige Unbequemlichkeiten, mit denen ich wenigstens etwas zu tun habe. So ein kleines Geschwür läßt sich hätscheln bis es groß wird wie eine Haselnuß. Dann platzt es … und die Langeweile kriecht wieder mit Spinnenfüßen ekelhaft zu spüren über die Brust.
HUSAR: Ich bin froh, daß wir ein schwarzes Wachkommando haben … nur ein paar weiße Unteroffiziere … die Weißen … sind Barbaren …
INFANTERIST: Die Schwarzen machen mit uns zusammen Obstruktion gegen die weißen Unteroffiziere. Sie helfen uns, wo sie können. Sie haben ein helles Herz in der schwarzen Brust. Man sollte vielleicht eine Negerin heiraten, um der weißen Rasse endgültig zu entgehen …
HUSAR: Erinnerst du dich an Lyon? Ein Truppentransport, der an die Front ging, stach mit Bajonetten zum Scherz in die Viehwagen hinein, in denen die Wehrlosen, Hilflosen wie Kaninchen kauerten.
INFANTERIST: Ich verachte dieses Volk!
HUSAR: Wie ich sie bemitleide, die Armen, die uns weh zu tun glaubten, und sich haßerfüllt selber marterten.
INFANTERIST: Weiber und Kinder haben mit Steinen nach uns geworfen und uns bespuckt.
HUSAR: Als ich im Lazarett lag, hat die Schwester mir mit Jod die Worte: Vive la France! auf die Brust gepinselt …
INFANTERIST: Ich hungerte, da warfen mir französische Offiziere Brot vom Pferde herab in den Dreck, auf den ich mich gierig stürzte …
HUSAR: Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun …
INFANTERIST: Zum Teufel mit der Vergebung! Ich wünsche ihnen allen die Pest oder die Cholera an den Hals. HUSAR: Kannst du noch lesen?
INFANTERIST: Keine Zeile. Kaum noch die Briefe von da¬heim. Das scheint dir merkwürdig, nicht wahr? Seit ich im Feld war weiß ich: es ist alles Schwindel: das Gedruck¬te und das Geschriebene, das Gedichtete, das Geträumte so gut wie das als wirklich Offenbarte. Es ekelt mich, denn es ist alles Schwindel. Das einzig Wirkliche ist: Fressen, saufen, huren und töten …
HUSAR: Ich gebe dir fünf Franken, wenn du mir einmal er¬laubst, in deinem Bett zu schlafen. Du kannst dafür in meinem schlafen.
INFANTERIST: Warum willst du in meinem Bett schlafen? Es hat abscheulich viel Ungeziefer.
HUSAR: Darüber bin ich froh: ich werde sie dir alle abfangen …
INFANTERIST: Was schwenkst du in der Luft wie eine Fahne?
HUSAR: Es ist ein Kinderhemd … Ich habe es in einem Schloß in Nordfrankreich gefunden und glücklich durch alle Fährnisse gerettet. Ich kann mich nicht mehr von ihm trennen. Sieh einmal, eine Grafenkrone ist darein gestickt, es muß einem vornehmen Kind gehört haben …
INFANTERIST: Komm … laß die Albernheiten … Du machst mit einem schmutzigen Kinderhemd dein totes Kind nicht mehr lebendig …
HUSAR: Ich will es auch nicht lebendig machen. Ich bin froh, daß es tot ist. So kann man es wenigstens nicht totschießen.
INFANTERIST: Oder lebendig zu Tode quälen …
HUSAR: Lustig, Bruder, lustig, hast du Würfel? (Tränen in den Augen.) Wir wollen lustige Sieben spielen … INFANTERIST: Traurige Sieben, mein Junge, traurige Sieben …

Vor dem Rathaus einer Großstadt 

Eine tumullierende Menge. Arbeiter, Weiber und Kinder.

WEIBER: Brot für unsere Kinder! Brot für unsere Kinder!
KINDER: Brot! Brot!
WEIBER: Ihr habt uns belogen.
ANDERE: Belogen und betrogen.
WEIBER: Ihr habt versprochen, die Brotration nicht mehr herabzusetzen. Ihr habt sie herabgesetzt. Ihr habt uns Kartoffeln versprochen. Wir haben keine bekommen. Ihr habt uns Kohlrüben aufgehängt. Aber sie waren ungenießbar. Wir würden unsere Kinder mit Muttermilch ernähren. Aber unsere schlaffen, ausgetrockneten Brüste geben keine Milch mehr.
ANDERE: Gebt uns Brot! Was nutzen uns die Brotkarten, gebt uns Brot!
ARBEITER: Ihr habt gesagt: Nur ein klein wenig Geduld noch.
Wir müssen durchhalten.
ANDERE: Wir halten schon drei Jahre durch …
ARBEITER: Ihr habt gesagt: Nur zwei Monate noch. In zwei Monaten ist England durch den U-Bootkrieg auf die Knie gezwungen. In zwei Monaten muß es um Frieden bitten …
ANDERE: Die zwei Monate sind um. England kann hungern wie wir. Wo ist der Friede?
WEIBER: Wo ist der Friede?
ALLE: Wo ist der Friede?
EIN WEIB: Ich habe sieben Kinder. Mein Mann ist tot.
EIN ANDERES: Mein Vater ist tot. Meine zwei Brüder sind tot. Ich hure mit den Offizieren. Es ist schon alles egal.
WEIBER: Unsere Männer sind tot! Unsere Brüder sind tot!
KINDER: Unsere Väter sind tot!
ANDERE WEIBER: Ihr habt sie gemordet … wofür?
ALLE: Wofür? Wofür?
ARBEITER: Wir dachten unsere Heimat zu verteidigen — und wir verteidigten Euch, ihr Herren da oben: ihr Herren Großgrundbesitzer, ihr Herren Munitionsfabrikanten, ihr Herren Fürsten …
Wir haben Euch verteidigt, dumm, stolz und elend. Wir sind zu Gerippen abgemagert. Jeder von uns ist ein leibhaftiger Tod. Aber ihr habt Euch an unserem rinnenden Blut gemästet. Ihr seid fetter und gewaltiger geworden denn zuvor. Die Gesetze sind Euch wie Warnungstafeln um den Bauch gehängt. „Nicht berühren“, „Unantastbar“, „Reichsunmittelbar“, „Selbstherrlich“, „Von Gottes Gnaden“. Alles ist uns verboten. Euch: alles erlaubt. Ihr seid … gesetzlich geschätzt. Aber wir werden Euch das Patent schon abnehmen. Ihr habt nur Rechte. Wir nur Pflichten. Gebt uns Gerechtigkeit!
ALLE: Gebt uns Gerechtigkeit! Gerechtigkeit!
ARBEITER: Wir wollen selber darüber zu entscheiden haben, ob wir leben oder sterben dürfen.
ALLE: Das Volk soll abstimmen, ob es Krieg oder Frieden will …
ARBEITER: Der Kaiser darf nicht mehr die Minister selbst¬herrlich ernennen. Der Volkswille muß Geltung gewinnen …
ALLE: Unser Wille soll herrschen …
ARBEITER: Des Volkes Wille gilt absolut … Vor dem Volke sind die Minister verantwortlich. Wir sind es satt, Lakaien zu Ministern zu haben. Es lebe das neue deutsche Volk!
ALLE: Es lebe das deutsche Volk!
ARBEITER: Nieder mit der Regierung!
ALLE: Nieder mit der Regierung!
(Exaltierte junge Arbeiter ziehen eine Strohpuppe mit • Helm, martialischem Schnurrbart, weißem Kürassierrock an einem Strick an eine Laterne empor.)
ALLE: Nieder mit dem Kaiser! Nieder mit dem Kaiser!
ANDERE (wiehernd): Hoch mit dem Kaiser! Hoch mit dem Kaiser! An die Laterne mit ihm.
RUFE: Die Polizei kommt! Soldaten kommen! Stehen geblieben! Die Weiber und Kinder in die Mitte! Daß keiner vom Fleck weicht!
ANDERE: Reißt das Straßenpflaster auf. Steine her! Wir lassen uns nicht zusammenknallen …
(Ein Pikett Soldaten, von einem Leutnant geführt, marschiert mit aufgepflanztem Bajonett auf.)
LEUTNANT D. R.: Abteilung – halt. Rührt Euch. (Tritt mit gezogenem Degen vor das Volk.) Leute! Ich habe die Aufgabe, die gestörte Ruhe wiederherzustellen. Ich bitte Euch, mich in meiner schweren Pflicht zu unterstützen. Geht auseinander und in Ruhe nach Hause. In fünf Minuten muß der Platz geräumt sein.
In fünf Minuten darf kein Zivilist auf dem Platze mehr angetroffen werden. Wer sich meinem Befehle widersetzt, macht sich des Aufruhrs schuldig. Aufruhr wird unter dem Kriegsgesetze mit dem Tode durch den Strang bestraft. Seid vernünftig, Leute. Ich sehe nach der Uhr (zieht die Uhr): ist in fünf Minuten der Platz nicht geräumt, lasse ich feuern.
(Drohendes Gemurmel. Niemand weicht von der Stelle. Der Leutnant steht mit der Uhr in der Hand. Er steckt die Uhr ein.)
Stillgestanden …
(Lastende Stille. Kein Laut.)
Ladet die Gewehre …
(Das Pikett ladet die Gewehre.)
Legt an …
(Das Pikett legt an. In derselben Sekunde tritt der älteste Unteroffizier vor das Pikett.)
UNTEROFFIZIER: Legt – ab. (Das Pikett legt ab.) Rührt Euch …
(Das Pikett rührt sich. Der Unteroffizier tritt vor den Leutnant.)
UNTEROFFIZIER: Herr Leutnant, wir schießen nicht auf unsere Brüder und Schwestern, auf unsere Weiber und Kinder …
LEUTNANT: Sie gehorchen nicht?
UNTEROFFIZIER: Zu Befehl, mein Herr Leutnant.
LEUTNANT: Soldaten, Ihr gehorcht mir nicht?
DAS PIKETT: Zu Befehl, mein Herr Leutnant.
LEUTNANT (zerbricht seinen Degen): Ich reiche meinen Abschied ein. Ich … danke Euch, daß Ihr mir nicht gehorchtet … Ihr habt mir den rechten Weg gezeigt …
(Jubel im Volke. Die Soldaten entladen die Gewehre. Die Patronen rollen aufs Pflaster. Die Bajonette werden in die Scheide gesteckt. Gewehre und Waffen auf einen Haufen zusammengeworfen. Das Volk trägt die Soldaten jauchzend auf seinen Schultern.)