Das heiße Herz – Balladen, Mythen, Gedichte

Erstdruck im Erich Reiß Verlag Berlin 1922

 

 

 

 

Veröffentlicht von Contumax GmbH & Co. KG Berlin 2010 –

www.contumax.de/Buch  

 ISBN 978-3-8430-5695-3

 

 

 

 

 

Balladen

Der arme Kaspar

Ich geh – wohin?
Ich kam – woher?
Bin aussen und inn,
Bin voll und leer.
Geboren – wo?
Erkoren – wann?
Ich schlief im Stroh
Bei Weib und Mann.
Ich liebe dich,
Und liebst du mich?
Ich trübe dich,
Betrübst du mich?
Ich steh und fall,
Ich werde sein.
Ich bin ein All
Und bin allein.
Ich war. Ich bin.
Viel leicht. Viel schwer.
Ich geh – wohin?
Ich kam – woher?

Laotse

Er ward von einer armen Magd empfangen
Auf hartem Ackerland.
Der grosse Wandrer kam gegangen
Und nahm sie bei der Hand.

Vor ihren Augen ward es finster,
In ihrem Herzen ward es licht.
Versinkend spielte sie noch mit dem Ginster,
Ein Junikäfer schlug ihr ins Gesicht.

Und als sie um sich sah, war sie erwacht.
Der Mond berührte blinkend ihren Jammer.
Und weinend ging sie durch die goldne Nacht
In ihre schwarze Mädchenkammer.

Neun Jahre trug durch Fron und Schweiss
Sie an dem Kind, das ihr erkoren.
Die Stunde kam. Sie hatte einen Greis
In silberweissem Haar geboren.

Sein Haupt war spitz und seine Haut war welk,
Dass sie erschrak, sooft sie ihn umherzte.
Vor seiner Stirne lag es wie Gewölk.
Er sprach, als wenn ein Vater mit ihr scherzte.

Sie sass bei ihm, nicht er bei ihr, und lauschte
Und trug ihr gross und kleines Weh
Ihm an sein Ohr, das muschelähnlich rauschte.
Und lächelnd streichelte sie Laotse.

Hiob

Und war kein Elend, das ihn nicht befiel,
Und keine Seuchen, die ihn nicht bestürzten.
Es faulte sein Getreide schon am Stiel,
Ein Riff zerspellte seines Schiffes Kiel,
Und Tränen einzig seinen Abend würzten.

Sein Haus verbrannte. Seine Mutter ward
Von den Nomaden vor der Stadt geschändet.
Ein Sohn erhängte sich am ersten Bart.
Sein einziger Bruder hatte sich geschart
Der Räuberbande, die sein Vieh entwendet.

Und die die Bitternis versüsste: sie,
Die Frau aus Ebenholz und aus Granaten:
Ihr zweiter Sohn in Brünsten spiesste sie.
Mit ihren letzten Blicken grüsste sie
Den Gatten – welche wild um Rache baten.

Er aber kannte Rache nicht noch Hass,
So sehr der Schmerz sein Ackerland verwildert,
So unerschöpflich tief sein Tränenfass.
Er sang mit seinem frommen Pilgerbass
Dem Leben zu, dass sich um ihn bebildert.

Und hast du, Herr, wie Marmor mich zerschlagen,
Und gönntest du mir nicht die kleinste Tat:
Wie darf ich gegen deine Einsicht wagen
Auch nur die jämmerlichste meiner Klagen?
Du bist der Mäher und ich bin die Mahd.

Und sendest du auch Blitze, mich zu blenden,
Und machst du lahm den Leib, die Seele taub,
Und reisst du mir die Finger von den Händen:
Ich preise dennoch meiner Mutter Lenden
Und werde nimmer eines Unmuts Raub.

Dass einen Frühling ich im Licht erlebte,
Dass mir die Mutter süsse Kuchen buk,
Dass ich als Jüngling schön in Tänzen schwebte,
Dass ich am Teppich der Gedanken webte,
War dies nicht Glück und goldnes Glück genug?

Dass ich nur einmal durft mein Weib umarmen,
Dass ich nur einmal in die Sonne sah:
Dies ist soviel schon meines Gotts Erbarmen,
Dass ich der Reichste unter allen Armen –
Lob sei und Preis dem Herrn. Hallelujah!

Mohammed

Ihn warf die Mutter winselnd in die Wüste,
Umschritten vom Gefolg gestreifter Panther.
Sie fühlte frei der Löwin sich verwandter,
Die ihres Sohnes Sein mit Blut versüsste.

Er wuchs verwunschen. Wild. Und bunter büsste
Er das Gelüst, zu leben. Schön entschwand er
In das Gebirge. Als des Gotts Gesandter
Stand steinern er im Steine, den er grüsste.

Es durfte mancher höher sich erheben,
Und mancher stürzte tiefer in den Schacht,
Wo schwarz von Russ die dunklen Engel schweben.

Doch keiner hat so licht wie du gelacht,
Und keiner konnte himmlischer verweben
Geist, Güte, Liebe, Macht, ja: Tag und Nacht.

Montezuma

Er schritt, die Krone mit den Hahnenfedern
Aufs Haupt gesetzt, durch Fliederbuschspalier.
Er trug ein Wams aus vielen Menschenledern,

Und auf der ganzen Erde war kein Tier,
Das nicht zu seiner Kleidung beigetragen.
Es gab für ihn kein da und dort: nur hier.

Er durfte, was er wollte, wägend wagen,
Denn Stern und Mond war goldenes Gespiel.
Am Abend liess sich viel zu ihnen sagen,

Am Morgen bot die Sonne sich zum Ziel.
Man schoss nach ihr mit kleinen Bambusrohren,
Und wenn der Pfeile einer niederfiel,

In eines Dieners Scheitel sich zu bohren,
Hob er für einen Augenblick die Stirn.
Man sah die Stirne sich im Strahl umfloren,

Man hörte ihn die Lieblingsdogge kirrn.
Er warf zum Frasse ihr den Leichnam vor
Und sprach: Er fand den Pfad, dieweil wir irrn.

Der, der hier liegt, ging ein durchs letzte Tor.
Er starb den schönsten Tod: von Sonnenhand,
Die unsern Pfeil auf ihn zurückgesandt.

Er aber wusste nichts von Gut und Böse,
Denn die Erscheinung war ihm lieb und wert.
Er schluchzte tief in eines Hunds Gekröse,

Er weinte tagelang mit einem Pferd,
Dass ihn sein Wiehern von dem Wort erlöse:
Zu wissen nichts, dass eines Wissens wert.

Er hätte täglich lächelnd sterben können,
Denn Tod war ihm ein Wort wie andre auch.
Ob bei den Kinderopfern Tränen rönnen:

Das war nur Zeremonie und ein Brauch.
Wenn sie zu lachen über sich gewönnen
Im Tode und im Todeskrampf der Bauch

Sich im Gelächter der Vernichtung wände:
Wärs nicht ein Gott gefälligeres Ende?

Und als man ihm das weisse Mädchen brachte,
War er erstaunt wie ein Geburtstagskind.
Er lobte ihre Weisse, und er lachte

Und rief zur Schau das schämige Gesind.
Und runzelte die schöne Stirn und dachte
An einen Goldfasan, den als Gebind

Er gern dem wunderlichen Wahn vermachte,
Und wie die Weissen in der Liebe sind,
Dies wars, was ihn zu sachter Glut entfachte.

Er führte sie in ein Gemach, und lind
Erlöst er ihre Haut von hänfner Kette,
Indes ihr Blut vor Angst und Qual gerinnt.

Denn an den Wänden stehen viel Skelette,
Gepflastert ist der Boden mit Gebein.
Die Sockel auch am bunten Liebesbette:

Es müssen toter Menschen Knochen sein.
Sie will mit einem Fall ins Knie sich retten,
Er aber lächelt unerbittlich nein.

Er hebt mit einem Pfiffe wie von Ratten
Sie auf das Bett, sie tödlich zu begatten.

Und als den letzten Kuss von ihrem Munde,
Dem schon erkalteten, er gierig nahm,
Da fühlte er an seinem Leib die Wunde

Die ewig blutende. Und schritt und kam
Zu seines Adels innerlichstem Grunde,
Und fühlte seines Lebens Schuld und Scham.

Darf hoffen, wer so krank, dass er gesunde?
Er hinkte durch die Kammer, lendenlahm,
Und zählte zitternd jede neue Stunde.

Warum bin ich verdammt, ach ohn Erröten
Die Wesen, die ich lieben muss, zu töten?

Indem er sich aus seinen Kissen hob,
Verfiel sein Blick auf einen goldnen Affen,
Um den die Morgensonne Strahlen stob.

Und als er näher trat, ihn zu begaffen
Noch zweifelnd, ob mit Tadel oder Lob
Er ihn bedenke: sah er ihn entraffen

Im Teppich sich, den seine Amme wob.
Er stand im Morgenlicht vor dem Gewebe:
Der Affe glänzt. Ich spüre, dass ich lebe.

Der fremde Ritter in der schwarzen Rüstung
Begegnete dem Gruss des Kaisers streng.
Der lehnte schwach und schwächlich an der Brüstung,

Als risse seiner Adern blau Gesträng,
Als wär er nur ein Schachtelhalm im Winde
Vor jenem, dem er seine Demut säng.

Als trüg er vor den Augen eine Binde
Und sähe nun nach innen. Und darin
War nichts als Eitelkeit und eitle Sünde,

Und war nur Sinnlichkeit und war kein Sinn
Und war kein edles Ziel, kein zarter Zweck.
Und ginge er an diesem Tag dahin,

Es bliebe nichts als eine Handvoll Dreck. –
Der Ritter sprach: Ich bin der Abgesandte
Des grossen weissen Herrschers überm Meer.

Ich kam, weil deine Dunkelheit ich kannte,
Mit hunderttausend hellen Helden her.
So unterwirf dich, eh er dich berannte

Mit seinem unbesiegten Engelheer.
Du bist vor seinen Augen ganz geringe,
So neig dich, eh ich dich zur Neigung zwinge.

Du hast die reinste Schwester uns geschändet,
Weil du nur Wunschgewalt, nicht Liebe kennst.
Wie bald hast du dein Pfauensein geendet,

Wenn du dir selbst als Totenfackel brennst.
Das Schicksal hat zur Schickung sich gewendet.
Und ob du in Gebeten flammst und flennst:

Es darf von dir auf Erden nicht ein Hauch sein.
Du wirst verbrannt. Dein Letztes wird dein Rauch sein.

Und jener zitterte und brach ins Knie
Und wusste nichts, als dass er seines Hortes
Hüter nun nicht mehr sei, und wie ein Vieh

Ein ganz vom Hunger und vom Durst verdorrtes
Er bis zur Kuppel des Palastes schrie.
Er sträubte seine Haare wie ein Puma.

Der andre sprach: So huldige, Montezuma,
Des weissen Kaisers Abgesandtem: Cortez!

Franziskus

Er war von Liebe wie ein Stern entbrannt.
Er gab sein Erbe an den Kirchenfiskus.
Tat ab des Kaufherrn prunkendes Gewand
Und nannte sich als armer Mönch: Franziskus.

Die Tiere alle waren ihm vertraut
Und kamen treu auf seinen Ruf gesprungen.
Die Eselin war schön wie eine Braut,
Der Rabe hat ihm seinen Schmerz gesungen.

Und früh im Morgenrot die Nachtigall
Flog an die Gitterstäbe seiner Zelle.
Die Spinne warf auf ihn sich wie ein Ball,
Vor seinen Wimpern tanzte die Libelle.

Und wenn er flüsternd seine Sprüche sprach,
Und seine Hände Weihrauchfässer schwangen:
Voll Vögeln schwirrte jubelnd das Gemach,
Und aus den Wänden selbst die Lerchen sangen.

Und ging er auf die Gasse, sprach das Pferd,
Der Hund liess wedelnd seinen Knochen liegen.
Die Katze hielt ihn ihrer Freundschaft wert,
An seinen Schenkeln rieben sich die Ziegen.

Er sprach mit jedem Tier auf ird’scher Flur,
Und jedes Kindlein lallte: Lieber Vater!
Geliebter war er der geringsten Hur,
Der junge, blasse Kapuzinerpater.

Hieronymus

Unter grün gewölbter Eiche
Sinnt Einsiedel in der Bibel.
Öffnen sich die stillen Reiche,
Fliegt der Blick zum Himmelsgiebel.
Vom Baume rollt des Efeus Ranke
Herab auf ihn im ungestümen Fluss.
Und jede Blüte – ein Gedanke
Des heiligen Hieronymus.

Robert der Teufel

Es lebte in der Normandie
Ein Herzog edel, reich und milde.
Er führte einen Leu im Schilde,
Doch sah man solche Sanftmut nie.
Kam einem Tier er ins Gehege,
So trug er mit der Panzerhand
Den Salamander aus dem Wege
Und hob den Schmetterling ans Land,
Der taumelnd noch vom Hochzeitsflug
In eines Teiches Wellen schlug.

Einst traf er eine Häsin an.
Die braune Häsin lag im Kreissen.
Da dachte seines Weibs der Mann,
Nahm sich der Mutterklage an
Und ward von diesem Tage an
Der Herzog Hasenherz geheissen.
Denn ohne Kinder war sein Heim,
Drob ging schon Rede rauh und spöttisch.
Er liebte seine Gattin göttisch.

Von seinen Lippen floss ein Seim
Der Liebesworte Süsse täglich.
Die Küsse brannten loh und licht
Auf ihren schönen Mund unsäglich.
Gott segnete die Ehe nicht.

Sie spielte mit den Kindern andrer.
Sie hielt den Ärmsten offenes Haus,
Sie gab dem Gumpelmann und Wandrer
Das schönste Zimmer ihres Baus.
Sie zeigte allen sich als Mutter,
Da sie doch keines Mutter war.
Ein Vogelweibchen, das mit Futter
Noch jedem Kuckuck Mutter war.

Oft lehnte sie versteint im Erker.
Der sanfte Herzog aber schlich
Durch Wald und Feld wie ein Berserker
Und fluchte Gott und ihr und sich.

Und einmal sprach er laut und leise
(Warf Brösel nach der zahmen Meise):
Wie bald naht nun das Alter uns,
Wo wir vereinsamt hinter Gittern
Der Burg dem Tod entgegenzittern,
Was soll dann jener Falter uns?
Und jenes Glück der Weltbetrachtung,
Die man dem Erben übermacht?
Uns bleibt die eigene Verachtung,
Die sich verweint und sich verlacht.

Da schlug in seiner Gattin Wangen
Jäh eine rote Flamme auf:
Ich sah zum Kreuzesstamme auf
Und Christus tot herniederhangen …
Wie oft erflehte Gott ich schon,
So will ich heute dieses schwören:
Schenkt mir der Teufel einen Sohn,
So soll dem Teufel er gehören!
Sie schliesst die Augen und verstummt,
Da Tränen ihre Wimpern nässen.
Der Herzog hat das Haupt vermummt,
Und eine schwarze Fliege brummt
Am Fensterplatz, wo er gesessen.

Es war ihr nachts, als wenn was singe.
Doch war das Singen sondrer Art,
Als ob mit einer Degenklinge
Sich kämpfend eine Lilie paart.
Als sie erwachte, sah sie plötzlich,
Wie eiligen Fusses ein Skorpion
Die Wand entlang lief, und entsetzlich
Scholl ihr vom Turm des Hornes Ton.
Auf ihre Stirn fiel eine Zecke.
Zwei Blumen lagen auf der Decke,
Voll weissen und voll roten Mohns.
Sie nimmt die weisse und zerpflückt sie,
Und unterm Herzen spürt beglückt sie
Die erste Regung ihres Sohns.

Sie ging umher als wie im Tanz
Und flocht aus gelben Butterblumen
Dem Ungebornen einen Kranz.
Und warf sich nieder auf die Krumen
Und legte ihre Lenden bloss
Und füllte Erde in den Schoss.
Wie einen Korb voll reifer Birnen,
So trug sie schwankend ihren Leib
Und fühlte zwischen Fraun und Dirnen
Sich selig als erkornes Weib.

Als Gott der Herr auf Erden ging

Als Gott der Herr auf Erden ging,
Da freute sich ein jedes Ding;
Ein jedes Ding, ob gross, ob klein,
Es wollte doch gesegnet sein.

Die Kreatur in ihrer Not,
Der Mensch in Kümmernis und Tod,
Der breite Strom, das weite Land,
Sie fühlten Gottes Gnadenhand.

Es hört der Frosch zu quaken auf,
Der Hund hält inn in seinem Lauf,
Der Regen hätt geregnet nicht,
Bevor ihn Gott gesegnet nicht.

Der hohe Turm verneigte sich,
Die Antilope zeigte sich.
Und Efeulaub und Wiesengrün
Erkannten und lobpriesen ihn.

Von aller Art der Mensch allein
Geriet in Schand und Sündenpein.
Hätt er nicht Gott so oft verkannt,
Er ging noch heute durch das Land.

Hätt er nicht Gott so oft gesteint,
Wir wären noch mit ihm vereint.
Die Erde wär das Himmelreich
Und jeder Mensch ein Engel gleich.

Die Königin von Samarkand

Mein Herz ist rot, mein Blick ist blau.
Ich bin die schönste von allen Fraun.

Mein Haar ist schwarz wie Pantherfell.
Ein Riese ist mein liebster Gesell.

Schneeweiss ist meine Kinderhand.
Ich bin die Fürstin von Samarkand.

Viel Neger sind die Sklaven mir,
Auch Elefant und Gürteltier.

Willst du mir dienen stark und treu,
So sollst du mir willkommen sein.

Zehn Jahre Fron – als Lohn dir winkt
Ein Lächeln von einer Königin.

Anna Molnar

Es stieg aufs Ross Martin Aigó.
Die Steppe ruft. Die Ferne lockt.
Er traf am Weg Anna Molnár.
»Komm mit mir, schöne Anna Molnár.
Die Steppe ruft. Die Ferne lockt.«
»Sie lockt mich nicht, Martin Aigó.
Zu Haus erwartet mich mein Mann,
Im stillen Haus ein frommer Mann.
Mein Kindlein hat er auf dem Knie.«
Er fleht. Sie geht. Er raubte sie.

Sie nahmen ihren Weg zu zwein.
Die Steppe ruft. Die Ferne lockt.
Sie ruhten unter einem Baum,
Und Schatten fiel in ihren Traum.
»Sieh mir ins Aug, Anna Molnár!«
Sie hebt den Blick. Ihr Aug ist nass.
»Was weinst du, schöne Anna Molnár?«
»Ich weine nicht, Martin Aigó.
Mein Auge ist von Tau so nass,
Der vom Gezweig des Baumes tropft!«
»Es tropft kein Tau. Die Sonn steht hoch.«

Martin Aigó stieg auf den Baum.
Es bog den Ast die starke Last.
Da fiel sein Pallasch ihm herab.
»Gib mir den Pallasch, Anna Molnár.«
Sie warf den Pallasch ihm empor,
Dass er ihm in die Seite drang
Und Blut aus allen Zweigen sprang.
Sie zog sich seine Rüstung an,
Bestieg das Ross und ritt nach Haus
Und zügelte das Ross am Haus.

»Du frommer Mann, so hör mich an,
Hast du Quartier für eine Nacht?«
»Hab kein Quartier für Euch, mein Herr.
Mein kleiner Knabe weint so sehr.«
Sie fleht. Er steht. Er willigt ein.

»Du frommer Mann, so hör mich an,
Gibt es im Dorfe guten Wein,
So bring mir einen Humpen voll!«

Er geht geschwind. Sie nimmt das Kind.
Reisst auf das Wams, reicht ihm die Brust,
Das Kind weint leis. Sie lacht vor Lust.

Marianka

(Für Olga Wojan)

Wollt ihr wissen meinen Namen?
Marianka, Marianka!
Ju und Janos zu mir kamen,
Marianka, Marianka!
Hej! ich tanzte! Hoj! ich liebte!
Marianka, Marianka!
Bis mein Herz in Strahlen stiebte,
Marianka, Marianka!

Ein Zigeunermädchen bin ich,
Marianka, Marianka!
Wie ein Fluss im Sand verrinn ich,
Marianka, Marianka!
Als zuerst ich hob den Nacken,
Marianka, Marianka!
Sah ich bräunliche Slowaken,
Marianka, Marianka!

Feine Herren sind gekommen,
Marianka, Marianka!
Mancher hat mich mitgenommen,
Marianka, Marianka!
Doch bei keinem konnt ich bleiben,
Marianka, Marianka!
Muss wie Spreu im Winde treiben,
Marianka, Marianka!

Hej, ich liebe alles Wilde,
Marianka, Marianka!
Führe Böses gern im Schilde,
Marianka, Marianka!
Wer mich liebt, muss alles wagen,
Marianka, Marianka!
Janos hat den Ju erschlagen.
Marianka, Marianka!

Wenn ich einst ein Kind werd haben,
Marianka, Marianka,
Sollt ihr lebend mich begraben,
Marianka, Marianka.
Denn mein Blut wird Früchte tragen,
Marianka, Marianka!
Und mein Herz wird ewig schlagen,
Marianka, Marianka!

Der Mandarin

Das starre Licht des sonnenhaften Thrones
Fällt auf der Majestät gefurchte Mienen.
Um die Gestalt des hohen Himmelssohnes
Stehn in Ergebenheit die Mandarinen.

Er blickt, dieweil er leitet Licht und Land,
Durchs offne Fenster in den Blütenreigen.
Ein Blumenantlitz ist ihm zugewandt.
Ein Fächer winkt. Der Kaiser hebt die Hand
Und schreitet zwischen Köpfen, die sich neigen.

Am Neujahrstag erbat ich Audienz.
Der Kaiser war wie immer mir gewogen.
Er gab mir Urlaub. Urlaub bis zum Lenz.
Zu Weib und Kindern bin ich heimgezogen.

Im Westen geht die rote Sonne unter.
Die Spatzen lärmen irgendwo am Tor.
Ich bin am Ziel. Aus Sträuchern lächelt bunter
Bewimpelt wie ein Schiff mein Haus hervor.

Mein Weib! Mein Kind! Da bin ich endlich wieder!
Ihr findet Worte nicht und Tränen nur.
Der Bürgerkrieg zerreisst des Landes Glieder,
Und Galgen stehn statt Bäume auf der Flur.

Wir wrackes Boot, am Ufer angekettet,
Die Heimat liegt weit draussen auf dem Meer.
Wie schmerzlich klingen, weibisch und verfettet,
Der Wäscherinnen Rufe zu uns her …

Wo ist der Wein? Er hat genug gegoren.
Ein Duft weht durch die dürren Baumalleen.

Die Räuber haben mir den Zopf geschoren.
Ihr Kindelein, ich hab den Weg verloren,
Es ist zu spät, im Dunkeln heimzugehn …

Ich musste blutend tausend Meilen rennen,
An tausend Galgen sah ich mich verwehn.
Es wird schon Nacht. Komm, lass die Lampe brennen
Und lass uns schweigend in die Augen sehn …

Du bist der tiefste Brunnen, draus zu schöpfen
Jahrtausende nicht müde werden können.
Und wenn sie jeden Morgen neu begönnen,
Nur immer reicher strömt es ihren Töpfen.

Um deinetwillen lassen sie sich köpfen,
O Sohn des Himmels, dass ihr Herzblut rönne
Und eine Träne deines Augs gewönne.
Wer stürb nicht selig unter deinen Zöpfen

Am höchsten Turm von Peking aufgehängt?
Er legt die Haarschnur um den Hals sich stumm,
In der er zart nun wie ein Tänzer schwenkt.

Er greift, als spiele er Harmonium.
Kaum hat der Tod den kahlen Kopf gesenkt,
Legt schon ein andrer sich die Haarschnur um.

Kaspar Hauser

Nach  Verlaine

Ich kam, ein armes Waisenkind,
Zu den Menschen der grossen Städte.
Sie sagten, dass ich tiefe Augen hätte,
Doch war ich den Menschen zu blöde gesinnt.

Mit zwanzig Jahren ohne Lug und Trug
Hiess es mich gehen zu schönen Frauen.
Sie nennen es Liebesgrauen.
Doch war ich den Frauen nicht schön genug.

Kein Vaterland, in keines Sold,
Liess ich mich vom Hauptmann werben.
Ich wollte im Kriege sterben.
Der Tod hat mich nicht gewollt.

Ward ich zu früh geboren, zu spät?
Was tu ich auf der Welt noch hier?
Mein Leid ist ja so brunnentief. O Ihr,
Sprecht für den armen Kaspar ein Gebet!

Die Carmagnole

(1792) Nach dem Französischen

Was will das Proletariat?
Dass keiner zu herrschen hat!
Kein Herr soll befehlen,
Kein Knecht sei zu quälen,
Freiheit! Gleichheit! allen Seelen!

Vorwärts, Brüder, zur Revolution!
Kaltes Blut, heisser Mut!
Vorwärts, es wird gehn,
Wenn wir getreu zusammenstehn.

Was will das Proletariat?
Sich endlich fressen satt.
Nicht mit knurrendem Magen
Für feiste Wänste sich schlagen,
Für sich selbst was wagen.

Was will das Proletariat?
Dass keiner mehr dien als Soldat.
Ewigen Frieden wollen wir
Und die Kugel dem Offizier.
Will leben. Bin Mensch. Kein Hundetier.

Was will das Proletariat?
Für den Bauern Acker und Saat.
Nicht Gutsherr noch Gendarm,
Die machen ihn ärmer als arm.
Land für alle! Alarm! Alarm!

Was will das Proletariat?
Weder Eigentum noch Staat!
Die Tyrannei zu Falle!
Die Erde für alle!
Den Himmel für alle!

Vorwärts, Brüder, zur Revolution!
Kaltes Blut, heisser Mut!
Vorwärts, es wird gehn,
Wenn wir getreu zusammenstehn.

Zarenlied

Wenn ich nach Sibirien trotte,
Muss ich schwer in Ketten karren,
Doch mit der versoffnen Rotte
Will ich schuften … für den Zaren.

In den Minen will ich denken:
Dieses Erz, das wir hier fahren,
Dieses Eisen, das wir schwenken,
Wird zum Beil einst … für den Zaren.

Wähl ein Weib ich zur Genossin,
Wähl ich sie aus den Tataren,
Dass aus meinem Stamm entsprosse
Einst ein Henker … für den Zaren.

Bin ich dann ein freier Siedler,
Säe ich mit grauen Haaren
(Geigt schon nah der graue Fiedler …)
Grauen Hanf … nur für den Zaren.

Silbergraue Fäden rinnen
Fest durch meine Hand … in Jahren
Wird mein Sohn zum Strick sie spinnen …
Für den Zaren … für den Zaren.

Die schwarzen Husaren

Ich bin übers Wasser gefahren,
Die Ruder plätscherten sacht.
Da ritten drei schwarze Husaren
Durch die silberne Sommernacht.

Ich sah sie lange reiten
Im silbernen Mondenschein.
Sie mussten am Morgen beizeiten
Bei der Parole sein.

Sie schwenkten die schwarzen Kappen,
Sie hatten nicht Wort noch Ruf.
Unhörbar schnaubten die Rappen,
Und lautlos ging der Huf.

Mir sank das Haupt so grabwärts;
Die Wellen glitten gemach.
Mein Kahn trieb leise abwärts
Den schwarzen Husaren nach.

Ballade vom deutschen Landsknecht

Wir taten unsere Pflichten stumm mit grauen Mienen
Und pflügten schweigend unser Feld.
Nun schweifen wir wie Beduinen
Ach durch die Wüste dieser Welt.

Uns dörrte die verdorrte Sonne Flandern,
Der Polensumpf war uns nicht fremd.
Man hiess uns nach dem Goldnen Horne wandern,
Wir wuschen in der Drina unser Hemd.

Doch wenn des Frühlings heilige Mythe
Den Schnee um unsere Herzen schmilzt,
Steht eine Kiefer aus der Mark in Blüte
Zu unsern Häupten, dunkel und verfilzt.

O Deutschland unser, das du bist im Himmel!
Wir fühlen tausendfach dein Weh.
Und deiner Söhne grauestes Gewimmel
Ist Stein zu deiner ewigen Statue.

Auf einen gefallenen Freund

An Hans Leibold

Arm in Arm sind wir gegangen
Durch das Himmelreich der Welt.
Mit dem Lasso haben wir gefangen
Schöne Frauen, die wie Rehe sprangen
Und wir wehten segelnd auf dem Belt.

Und in Stunden, die wie Schleier glitten,
Sind wir durch den hellen Park geritten,
Sonne regnete auf Rain und Ruf.
Deine Lippen sprachen leichte, schwere
Verse, und die goldne Ähre
Rauschte an der Rappen Huf.

Grosse Stadt war unsre Mutter,
Nahm uns gern im dunklen Abend auf.
O nach Wolkenfahrten banden wir den Kutter
Schwingend an des Kirchturms Knauf.
Grosse Stadt ist unsre Mutter,
In den niedern Strassen funkelt unser Lauf.

Stehn noch immer jener Kirche Türme?
Sind noch immer Frauen einem lieb,
Seit es dich in namenlose Stürme
In entbrannte Ozeane trieb?
Deine Lippen schweigen leicht und schwer,
Deine Stirn steht abendrotumwettert.
Ein entseelter Franktireur
Hat dein Herz, mein Herz zerschmettert.

Jochen Himmelreich

Mein Name ist Jochen Himmelreich,
Ich hörte den Zapfenstreich
In Tsingtau und Windhuk, in Warschau und Lille.
Kaum sah ich die Sonne über Flandern,

Musst ich nach Mazedonien wandern,
Tausend Meilen Marsch sind ein Kinderspiel.
Wir sahen die deutsche Fahne strahlen
In tausend Himmel und Höllenqualen,
War immer ein Heiligenschein um sie.
Und blieb uns die Zunge am Gaumen kleben,
Und hiess es des Kaisers Kleider weben,
Und schimpfte der Offizier uns: Vieh –
Deutschland, Du bist unser Tod und Leben!
Ich bin dein Knecht,
Des Landes Knecht,
Und stehe auf der Wacht.
Schwarz ist die Nacht,
Weiss ist der Schnee,
Weh,
Es droht
Der Tod
Dem morschen Weltgefüge.
Rot fliesst das Blut aus unsrer Brust,
O Lebensleid, o Lebenslust!
Fliege, schwarzweissrote Fahne, fliege …

Mein Name ist Jochen Himmelreich,
Anfang und Ende ist alles gleich,
In den Unterständen brennt kein Sonnenlicht.
Drei Jahre schlief ich nicht im Bette,
Ich schnitt das Brot mit dem Bajonette,
Oh: die Blutflecken weichen aus meinen Kleidern nicht.
Bruder, wir wären Kameraden geworden,

Aber wir müssen uns stechen und morden!
Deinen Blick, sterbender Neger, vergess ich nie.
Längst ist mir die eigene Sprache fremd.
Ich trage eine Französinnenbluse als Soldatenhemd
Und bin räudiger als das räudigste Vieh.
Deutschland, die Schande wuchert und schlemmt!
Ich bin dein Knecht,
Des Landes Knecht,
Und stehe auf der Wacht:
Schwarz ist die Nacht,
Weiss ist der Schnee,
Weh,
Es droht
Die Not
Dem Kindlein in der Wiege!
Rot
Fliesst das Blut aus unsrer Brust,
O Lebensleid, o Lebenslust!
Fliege, schwarzweissrote Fahne, fliege …

Mein Name ist Jochen Himmelreich,
Mein Weib ersoff sich im Teich,
Meine Kinder hungern und schreien durch die
Nacht nach mir.
Dieses Sommers Regenströme sind aus Kindertränen,
Meine Arme muss ich in die Nächte dehnen
Sterne, o ihr Sterne strauchelt nicht wie wir!
Die Lumpen werden den Krieg und den Frieden für
sich gewinnen,
Während aus unsren Wunden unsere Seelen rinnen.
Sie verkaufen unser Fleisch – Lebendgewicht – für Gold.
Aber einmal werden wir erstehen,
Tot und lebend euch ins Auge sehen,
Wenn des Schicksals Feuerwagen rollt.
Deutschland, wir werden die Ernte mähen!
Ich bin dein Knecht,
Des Landes Knecht,
Und stehe auf der Wacht:
Schwarz ist die Nacht,
Weiss ist der Schnee,
Weh,
Droht
Auch der Tod –
Es breche oder biege!
Rot
Sucht das Blut sich seinen Pfad
Und düngt der Freiheit junge Saat.
Fliege, rote Fahne, fliege …

Die Kriegsbraut

Ich sage immer allen Leuten,
Ich wäre hundert Jahr …
Die Hochzeitsglocken läuten …
Es – ist – alles – gar – nicht – wahr.

Ich liebte einst einen jungen Mann,
Wie man nur lieben kann.
Ich habe ihm alles geschenkt,
Tirili, tirila –
Er hat sich aufgehängt
An seinem langen blonden Spagathaar …

Auf den Strassen wimmeln Geschöpfe:
Ohne Arme, ohne Beine, ohne Herzen, ohne Köpfe.
An der Weidendammer Brücke dreht einer den Leierkasten.
Nicht rosten
Nicht rasten –
Was kann das Leben kosten?
Er hat eine hölzerne Hand,
Aus seiner offnen Brust fliesst Sand.
Neben ihm die Schickse
Glotzt starr und stier.
Er hat statt des Kopfes eine Konservenbüchse,
Und sie ist ganz aus Papier.

Eia wieg das Kindelein,
Kindelein
Soll selig sein.

Mein Bräutigam hiess Robert.
Er hat ganz Frankreich allein erobert.
Dazu noch Russland und den Mond,
Wo der liebe Gott in einer goldnen Tonne wohnt.

Als er auf Urlaub kam,
Eia eia,

Er mich in seine Arme nahm,
Eia, eia.
Die Arme waren aus Holz,
Das Herz war aus Stein,
Die Stirn war aus Eisen,
– Gott wollt’s –
Wie sollt es anders sein?

Er liegt in einem feinen Bett … trinkt immer Sekt …
Eia popeia –
Er hat sich mit Erde zugedeckt,
Eia popeia.
Nachts steigt er zu mir empor.
Er schwankt wie im Winde ein Rohr.
Seine Augen sind hohl. Transparent
In der offenen Brust sein Herz rot brennt.
Seine Knochen klingeln wie Schlittengeläut:
Ich bin der Sohn des grossen Teut!

Flieg Vogel, flieg!
Mein Bräutigam ist im Krieg!
Mein Bräutigam ist im ewigen Krieg!
Flieg zum Himmel, flieg!
Fliege bis an Gottes Thron
Und erzähle Gottes Sohn:
– Vielleicht ihn freuts, vielleicht ihn reuts –
Millionen starben, Gott, wie du
Den Heldentod am Kreuz!
Noch ist die Menschheit nicht erlöst,

Weil Gott im Himmel schläft und döst.
Wach auf, wach auf, und zittre nicht,
Wenn der Mensch über dich das Urteil spricht!
Gross, Herr im Himmel, ist deine Schuld,
Doch grösser war des Menschen Geduld.
Tritt ab vom Thron,
Du Gottessohn,
Denn du bist nur des Gottes Hohn:
Es flammt die himmlische Revolution.
Du sollst verrecken wie wir!
Tritt ab
Ins Grab,
Mach Platz
Der Ratz,
Dem Lamm oder sonst einem Tier!

Berliner Weihnacht 1918

Am Kurfürstendamm da hocken zusamm
Die Leute von heute mit grossem Tamtam.
Brillanten mit Tanten, ein Frack mit was drin,
Ein Nerzpelz, ein Steinherz, ein Doppelkinn.
Perlen perlen, es perlt der Champagner.
Kokotten spotten: Wer will, der kann ja
Fünf Braune für mich auf das Tischtuch zählen …
Na, Schieber, mein Lieber? – Nee, uns kanns nich fehlen,
Und wenn Millionen vor Hunger krepieren:
Wir wolln uns mal wieder amüsieren.

Am Wedding ists totenstill und dunkel.
Keines Baumes Gefunkel, keines Traumes Gefunkel.
Keine Kohle, kein Licht … im Zimmereck
Liegt der Mann besoffen im Dreck.
Kein Geld – keine Welt, kein Held zum lieben …
Von sieben Kindern sind zwei geblieben,
Ohne Hemd auf der Streu, rachitisch und böse.
Sie hungern – und frässen ihr eignes Gekröse.
Zwei magre Nutten im Haustor frieren:
Wir wolln uns mal wieder amüsieren.

Es schneit, es stürmt. Eine Stimme schreit: Halt …
Über die Dächer türmt eine dunkle Gestalt …
Die Blicke brennen, mit letzter Kraft
Umspannt die Hand einen Fahnenschaft.
Die Fahne vom neunten November, bedreckt,
Er ist der letzte, der sie noch reckt …
Zivilisten … Soldaten … tach tach tach …
Salvenfeuer … ein Fall vom Dach …
Die deutsche Revolution ist tot …
Der weisse Schnee färbt sich blutrot …
Die Gaslaternen flackern und stieren …
Wir wolln uns mal wieder amüsieren …

Ballade vom Bolschewik

Wir kamen in die Städte aus der Steppe
Gleich Wölfen mager, hungrig und verlaust.
Wie seidig rauscht der schönen Damen Schleppe,
Um die der Südwind unsrer Sehnsucht braust.

Wir hatten harte Erde zu beackern,
Der arme Vater und der ärmre Sohn.
Wir hörten früh um fünf die Hühner gackern,
Und bis um zehn Uhr abends nichts als Fron.

Des Mittags gab es eine dünne Suppe,
Am Sonntag schwamm ein Klumpen Fleisch darin.
Auf der Waldai süss bestrahlter Kuppe
Sass thronend unsrer Herzen Herzogin.

Wir dachten ohne Kopf: nur kahle Stümpfe,
Und wenn wir tanzten, tanzte nur das Bein.
Die braune Tiefe der Rokitnosümpfe
Gebar der Kröte leise Litanein.

Zuweilen, von der Sonne überspiegelt,
Sank eine träge Frau mit uns in Gott.
Dann flogen wir für einen Tag beflügelt
Zum Frühlingsfest nach Nischni-Nowgorod.

Wir töteten, doch sanft und nicht gehässig.
Wir soffen literweise Schnaps und Bier.
Man schlug uns lachend. Und wir lasen lässig
Des Popen zart zerlesenes Brevier.

Wir aus den Tiefen sind nun hochgekommen,
Wir armen Armen wurden endlich reich.
In unsrer Dämmrung ist ein Licht erglommen,
Ein Heiligenschein beglänzt die Stirnen bleich.

Wie auf.der Kirmes in die Luft geschaukelt
Ist unser Schicksal jetzt. Nun prügeln wir,
Von Schmetterling und Nachtigall umgaukelt,
Und Kaiserpferd und -hure zügeln wir.

Nun darf er fressen, brüllen, saufen, huren,
Wie Zar und König einst: der Bolschewik.
Die blutend in das Fegefeuer fuhren:
Sie liessen ihm ihr diamantnes Glück.

Es jagt mit seinem Weib in der Karosse
Der Kommissär, um den der Weihrauch dampft.
Entrechtet wälzt sich in der grauen Gosse
Der Bourgeois, geknechtet und zerstampft.

Die Prinzen winselten im Kirchenchore,
Des Hofes Damen schleifte man am Haar.
Der Thron zerborst. Auf der Palastempore
Steht mager, bleich und klein der rote Zar!

Ihr alle Brüder einer dumpfen Rasse,
Ihr Untersten aus Nacht empor zur Macht!
Noch nicht genug vom wilden Klassenhasse
Ist in den dunklen Seelen euch entfacht!

Eh nicht die letzten an den Galgen hängen,
Die euer Blut in Münze umgeprägt,
Eh nicht der Freiheit Adler in den Fängen
Der alten Knechtschaft Pestkadaver trägt,

Eh wird nicht Friede werden hier auf Erden.
Ein Stern erglänzt. Es spricht der neue Christ! –
Ein Echo wie von Polizistenpferden,
Und jauchzend bricht ins Knie der Rotgardist.

Der Barbar

1 Ich komme aus der Wüste

Ich komme aus der Wüste,
Wo ich bei der Löwin lag.
Ich habe den Schakalen die Knochen aus dem blutigen Gefräss gerissen,
Ich bin mit dem Strauss um die Wette gelaufen
Und habe dem Fuchs das Junge aus der Höhle gestohlen.
Hei! Hei!
Mein Blut saust hinter der Betonstirn
Wie der Orinoko.
Auf meinen ausgebreiteten Händen
Trag ich zwei Sterne.
Ich stemme Sterne,
Denn ich bin Mitglied des Athletenklubs Südost.
Ich saufe die Milch vom Euter der Kuh
Und von den Zitzen einer Frau,
Die Zwillinge warf.
Lasst mich taufreden
Mit euren Faseleien
Von der Weisheit der Tapergreise.

Friede sei mit dir, wenn ich dir den Schädel eingeschlagen habe,
Mein Feind.
Auf deinem Grabe will ich deine Witwe umarmen.
Die von den Verwandten gestifteten Nelkentöpfe
Sollen zerscherben.
Und das Holzkreuz,
Auf dem dein verächtlicher Name steht,
Sei zerbrochen
Wie die Bundeslade
Und die Tontafelbibliothek des Assurbanipal.

2  Tötet diesen gottverdammten Schwafler Kant

Tötet diesen gottverdammten Schwafler Kant
Und Nietzschke und Trietschke,
Die Weissgardisten,
Die Sch …. gardisten,
Die Drückeberger
Vom Traum der Tat.
Wir rücken an
Wir ewiger Wanderer durch die Länder der tausend Seen.
Unsre Augen sind feucht noch vom Tau des Himalaja,
Unter unsern Fingernägeln
Brennt noch die schmutzige Erde Afrikas.
Unser Herz trommelt an die Rippen
Die Melodie der Negertrommeln.
Wir wissen aus und ein
In den Schoss der Frauen
Und ins Dickicht des Urwalds.

3  Jetzt will ich dir sagen, wer ich bin

Jetzt will ich dir sagen, wer ich bin,
Jetzt will ich dir klagen, wer ich bin.
Auch ich war ein Jüngling im lockigen Haar,
Aber mich schor ein Büttel.
Ich bin stark geworden,
Nicht schwach wie Simson,
Dess bin ich froh.
Ich habe einen Sträflingskopf,
Dess bin ich stolz.
In den Zuchthäusern sass ich
Und flocht Bastkörbchen,
In denen kalifornische Äpfel und Orangen aus Messina den Reichen zu Tisch getragen wurden.
Ich aber frass Kartoffelschalen
Wie ein Kaninchen.
Wir wollen uns Zuchthäusler nennen,
Wie einst die Geusen sich Geusen,
Die Christen sich Christen nannten.
Das sei unser Ehrenname und Ehrenwort.
Bruder Zuchthäusler! Bruder Vagabund!
Weisst du noch von den Frühlingsnächten an der Amper
Und den Feuern der Johannisnacht
Auf den bayrischen Bergen
In unsren Herzen?

4 Es wird die Zeit kommen

Es wird die Zeit kommen,
Da jeder jungfräuliche Schoss sich dir bietet,
Und alle Jungfrauen,
Schwarze, weisse, rote,
Gefleckte,
Schwanger sein werden von dir,
Bunter Bruder!
Da wird von der Kuppel des Kreml in Moskau
Der Engel Gabriel die Tuba erheben,
Die Posaune Jerichos wird noch einmal ertönen,
Und ihre Paläste werden fallen
Wie Kartenhäuser,
Und ihre Seelen
Vom Baum des Seins
Wie faule Pflaumen.
Kahl wird der Baum erst stehen
Ohne Frucht
Einen Winter lang.
Aber im Frühling wird er sprossen,
Und im Sommer wird er blühen,
Und im Herbste wird er Früchte tragen
Einfältig
Tausendfältig.

Der Totengräber

Ich rede frisch von der Leber
Weg, zum Parlieren
Und Zieren
Ist keine Zeit.
Ein armer, wandernder, stellenloser Totengräber
Bittet um Arbeit.
Habt ihr keinen Toten zu begraben?
Keine Leiche im Haus?
Ei der Daus!
Keine Mutter? Keine Tochter? Keinen Mann?
Ich begrabe sie, so gut ichs kann.
Bei mir ist jeder gut aufgehoben,
Das Werk wird seinen Schöpfer loben.
Ich trage die Schaufel stets bei mir
Und begrabe Sie auf Wunsch im Garten hier.
Die Erde leicht und lau fällt
Auf Ihre Rippen
Wie Schnee.
Ein Grab ist schnell geschaufelt.
Die Lippen
Lächeln: Ade!

Ich wandre immer hin und her,
Ob ich nicht Arbeit fände.
Mein Herz ist leer, mein Beutel ist leer,
Und leer sind meine Hände.

Denn wer mich sieht, der schlägt von fern
Um mich den Hasenhaken.
Die Mädchen schlafen und die Herrn
Nicht gern im Leichenlaken.

Ich bin ein verlorner Sohn. Ich frass die Treber
Der Fremde allzu lange Zeit.
Ein armer, wandernder, stellenloser Totengräber
Bittet um Arbeit.

Nachtgesicht

An Johann Christian Günther

Ich bin mit dir gegangen
Durch Nebel, Nacht und Wind.
Die Tannenwälder sangen,
Die Wolken krochen wie Schlangen
Über den Himmel hin.

Plötzlich aus goldenem Rohre –
Eine Wolke wurde leck –
In mondgewebtem Flore
Entschwebte Leonore
Zu uns hernieder auf den Weg.

Wir gaben uns die Hände
Und tanzten und tanzten zu drein.
In unsrer Seelen Brände,
Dass er die Lust uns schände,
Zischte der Tod hinein.

Wir schwankten zu viert in die Schänke
Und soffen uns voll, dass es kracht.
Wir lagen über die Bänke,
Der Tod erzählte Schwänke,
Wir haben uns krumm gelacht.

Er klapperte frech mit den Knochen,
Wir schmissen den Saufsack hinaus.
Er hat sich die Rippen zerbrochen …
Leonore kam in die Wochen,
Wir beide ins Irrenhaus.

Da sitzen wir nun und staunen
Durch die Stäbe uns blind.
Wir haben Herrscherlaunen.
Wir fressen unsre Kaldaunen,
Weil wir hungrig sind.

Die Ballade vom Schlaf der Kindheit

Scheuche nicht den Schlaf des Kindes
In der schwarzen Bucht.
In den Zweigen des erwachten Windes
Hängt er hell wie eine runde Frucht.

Sonne wärmt sich an des Nackens Spiegel,
Echo strahlt in der erfüllten Flut,
Venus wünscht sich leichte Flügel,
Wo er in des Spieles Barke ruht.

Jage nicht den Knaben in die Schule
Früh um sieben, wenn der Ofen kalt.
Hässlich hockt er an der Arbeit Spule
Und zerschmettert von des Lehrers Gramgewalt.

Sieh: an seinen langen schwarzen Wimpern
Hängt ein schmaler Schatten noch das Bild.
Und in seine wachen Qualen klimpern
Mondgesang und Schwert und Harfenschild.

Ballade vom alten Mann

Armer alter Mann,
Siehst mich immer an,
Liebe trieft aus Lippe auf den schäbigen Rock.
Blumig blüht dein Kropf.
Einen Eberkopf
Hängte Gott an deine Kette als Berlock.

In der Nacht so oft
Schreckst du unverhofft
Aus dem Traum und siehst ein Angesicht.
Süsser Augenwind!
Lächelnd nickt ein Kind,
Aber ach, es ist das deine nicht.

Armer alter Mann,
Kann
Dich der Hund nicht trösten, dem du Semmel in die Suppe stiepst?
Horch an seinem Fell,
Wie sein Herz so hell
Alle Stunden schlägt, die du es liebst.

Ballade vom toten Kind

Wie ward mein Überfluss so karg!
Ich muss mich mein erbarmen.
Ich halte auf den Armen
Einen kleinen Sarg.

Es reichen sich die Hände
Geschlechter ohne Ende –
Wer endet? wer begann?
Ich bin nun Sinn und Sitte,
Und meine Hand ist Mittelshand,
Ich bin der Erde Mitte
Und bin der Mittelsmann.

Ich stehe an der Leiter,
Die in die Grube führt.
Und reich der Erde weiter
Das Herz, das ihr gebührt.

Schon stürmt es in den Lüften,
Der Frühling stürzt herein.
Es knien alle Berge,
Es brechen alle Särge,
Und aus den Veilchengrüften

Wie Jesus Christus weiland
Steigt schon der neue Heiland
Und will dein Kindlein sein.

Auf ein Kaninchen

Für Marthe

Weisse Felle, die ich streicheln durfte:
Vorhang vor dem Heiligtum.
Im Getön der spitzen Ohren schlurfte
Eine Reisigsammlerin: der Ruhm.

Sonne sass im Dschungel deiner Lende,
Wiegte sich als goldne Möwe weit
Auf den Meeren der gekalkten Wände,
Wenn der Hund im Hellen schreit.

Stäbe stürzten: aus den Katakomben
Deiner Höhlung, die das Grüne barg.
Deine Augen, rote Rhomben,
Schliefen in der Müdigkeiten Sarg.

Dich zertrat der grosse Bernhardiner,
Aus dem Maule schwebte Kohl und Strunk.
Als des Todes allezeit getreuer Diener
Sprangst du pfeifend in die Dämmerung.

Der neue Mensch

Mensch, es strömen die Jahrtausende
In dein offnes Herz. Der sausende
Flügelschlag der Zeit bestürme dich!
Halte fest der Promethiden Feuer,
Und in ihrem heiligen Glanz erneuer
Zart zu Faltern das Gewürme sich.

Gingest du nicht deinen Gott verkaufen
Unter Lächeln, Liebeln, Huren, Saufen?
War mit Gold gefüllt nicht Raum und Zeit?
Lern an reiner Quelle wieder trinken,
Lerne wieder liebend niedersinken
In die Kniee vor der Ewigkeit.

Aus den Kratern schweben die Dämonen,
Welche bei den schwarzen Engeln wohnen,
Und es steigt die süd- und nordsche Flut,
Schwing die Fackel deiner reinen Seele.
Horch: schon zwitschert wieder Philomele,
Und es schwirrt der Zukunft Adlerbrut.

Sollen Irre durch die Gassen taumeln?
Sollen Schwangere am Galgen baumeln?
Freiheit, welche mordet, ist nur Wahn.
Stosst hinab in tiefste Höllentiefen,
Wo noch immer nicht sie endlich schliefen,
Nero, Robespierre und Dschingiskhan.

Die ihr lebend starbet in den Grüften
Unsrer Städte: schwingt euch mit den Lüften
Eines neuen Frühlings in die Welt.
Liebe will sich liebend euch ergeben,
Lachend werdet ihr das Leben leben,
Wenn der morsche Tempel fällt!

Ballade vom Wort

Was wollen die grossen Worte?
Sie rollen wie ein Kiesel klein
Am Weg, an der Strassenborte
In den Morgen ein.

Sie hängen an manchem Baume
Wie Früchte halbgereift.
Sie haben von manchem Traume
Den zarten Puder gestreift.

Sie schmecken wie Galle so bitter.
So spei sie aus dem Spiel!
Sie sitzen im Fleisch wie Splitter.
Ein Wort ist schon zuviel.

Ein Wort schon ist Mord schon am Himmel.
So schweige und neig dich zum Herd.
Stumm lenkt durch das Sternengewimmel
Der Herr sein ewiges Gefährt.

Mythen

Ibykos

Ich hasse das Weib.
Sie hat die Erdkugel auseinandergerissen in zwei Brüste,
Zwei Hälften, die kein Töpfer mehr zusammenkittet.
Ihre Haare sind schlammiges Moos
Aus dem Teiche der Trübsal.
Ihr Ruf ist der Ruf der brünstigen Unke.
Ihre Beine stahl sie der Gazelle,
Ihren Schoss einer fleischfressenden Pflanze,
Ihre Ohren der Spitzmaus.
Ihre Augen dem Maulwurf, als er schlief. –
Ibykos bin ich aus Rhegium,
Wohl erfahren in sanftem und wildem Melos.
Polykrates dem Tyrannen
Sang ich die Liebe der delphischen Knaben,
Und Samos lächelte meinem Gesang.
Der Helden gedacht ich
In chorischen Liedern,
Enkomien sann ich
Und Hyporchemen dem Apoll
Und zur Kythara und Flöte
Die heiligen Nomen.
Eros
Der Kypria hitziger Sohn
Hat mein Herz verwundet.
Es rinnt das Blut
Und tränkt die Frühlingserde
Und düngt die Sommererde,
Dass reicher reife
Der kydonische Apfelbaum,
Um den die feldblumenduftenden Dryaden spielen
Und die bocksgerüchigen Satyrn.
O komm,
Knabe,
Dem der Flaum die Oberlippe noch nicht verunziert,
Springe,
Du thrakisches Füllen!
Auf deiner nackten braunen Haut
Spiegelt sich lüstern die Sonne.
Der Wind wühlt in deinem Gelock.
Dem matt ins Gras Sinkenden
Öffnet die Erde den jungfräulichen Schoss.
Du liebst sie.
Dein Same befruchtet sie,
Und eure Kinder werden die Welt beherrschen.

Antinoos

Du Memnonsäule,
Singend im Licht!
Wenn du die Arme hebst,
An den Himmel gekreuzigt,
Sehnt sich der Blitz, in dich zu fahren,
Und der Donner grollt zärtlich um deine Locken.
Wie bin ich voll deiner summenden Gedanken:
Ein Bienenkorb,
Und deine Süsse ist meine tägliche Speise.
Als ich mich über dich bog in der Nacht,
Sass ein Sperber auf deiner Brust,
Den hatte Gott gesandt,
Deinen Traum zu bewachen.
Er sperrte den Schnabel gegen mich.
Du Weide am Strom,
In dem ich verfliesse!
Halte mit deinen Zweigen,
Mit deinen Armen den Freund,
Der zu dir emporwallt
Wie die Woge des Meeres
Im heiligen Sturm.

Kyros

Man sagt, dass Kyros, der Perser, die Griechen bekriege,
Weil er die Griechenknaben liebe.
In silberne Fesseln schlägt er die Gefangenen.
Ihrer hundert ziehen seinen Sichelwagen
Nackt und nur geflügelte Sandalen an den Füssen
Wie Hermes.
Ihrer fünfzig bedienen den Herrn bei der Tafel,
Ihrer dreissig spielen mit ihm Diskos.
Vor ihrer zehn deklamiert er persische Oden.
Die also beginnen:
Griechenknaben, Göttersöhne …
Aber zur Nacht
Lässt er die weissen Knaben mit jungen schwarzen Sklavinnen spielen.
Sie spielen Hund und Hündin.
Der König seufzt aus seinen Kissen
Und zieht den schönsten der Knaben,
Die schönste Sklavin
An seine Seite,
Entschläft in ihren Armen
Liebend, geliebt.

Knabe und Satyr

Komm, Knabe,
Wir wollen Brombeeren pflücken.
Warum fürchtest du
Meine Hörner – sie stossen dich nicht –
Dich stösst ein anderes.
Halte dich an meinem zottigen Bart.
Mit meinen Bocksfüssen ich springe tanzend
Dem Priapos zu Ehren.
Auf der Syrinx
Blase ich dir ein listiges Lied,
Dass du den Heimweg vergissest
Zu den erntenden Bauern.
Sieh: die Sonne brennt heiss!
Verweile, bis der Abendschatten naht.
Wir kriechen hier unter das Gebüsch –
Der stechenden Brennessel hab acht –
Und spielen ein wenig
Wie Pan mit den Nymphen spielt.
Dann schläfst du
Auf meiner zottigen Brust.
Aber wenn du erwachst,
Wollen wir eine Ziege jagen.
Wir packen sie am gestrafften Euter
Und trinken uns randvoll an süsser Milch.
Wenn ich aber geil geworden an ihr,
Bespringe ich sie gern
Und du nach mir.

Narkissos

Als Narkissos sich
Im Teiche spiegelte,
Erschrak er:
Denn also schön schien ihm das Spiegelbild,
Dass er in Liebe zu sich selbst
Entzündet wurde.
Er beugte sich hernieder
Ins Ufergras
Und küsste im Wasser
Seine Lippen
Und griff nach sich mit seinen Händen
Und seufzte.
Die Schönheit,
Sann Narkissos,
Wohnt auf dem Grund der Seen.
Versunkene Städte müssen sein,
In denen die Schönen wohnen
Und mittags nur
Im Sonnenlicht
Werden sie sichtbar,
Wird Schönheit Bild,
Gesang und Lächeln
Glanz und Kuss.
Noch niemals sah ich nachts im Teich
Den schönen Jüngling.
Er schläft zur Dämmerung wohl
Wie wir.
Und ist ein Mensch
Wie wir
Nur Mensch der unteren Welt.
Du Tiefer steig hinauf!
Und werde Du!
Wenn das Gymnasion du betrittst,
Schweigt rings die Runde.
Der Fechter lässt den Degen sinken,
Der Ringer Blick und Arm,
Und selbst die Greise und die Kinder
Erschrecken süss vor deinem Angesicht.

Ganymed

Zeus sandte seinen Adler,
Dass er den schönen Knaben Ganymed
In seinen Fängen fange
Und zu ihm trage.
Der schoss aus dem Zenith
Des Mittags
Herab auf die Narzissenwiese,
Wo Ganymed schlief,
Der Gelockte,
Und von dem Adler träumte,
Der nach ihm stiess.
Er schrie im Traum.

Der Adler mit dem gebogenen Horn des Schnabels
Den Knaben am Gürtel griff,
Am schön von der Mutter gestickten.
Über Wolken und Winde und wehende Sterne
Er flog mit ihm
Und legte ihn
Dem Gott zu Füssen.

Aber der Gott,
Entzündet von der Anmut,
Die er geschaffen,
Er neigte sich und nahm den Knaben in seine Arme
Und küsste seine Wangen
Und küsste seine Wimpern
Und küsste seine Brust
Und küsste seine Kniee
Und küsste seine Lippen
Und küsste seinen Schoss.

Orest und Pylades

Strophis, König von Phokis,
Erzog Orest und Pylades.
Hand in Hand gingen die Knaben,
Brust an Brust schliefen die Knaben,
Mund an Mund sangen die Knaben.
Sie warfen ihre Sehnsucht und den Diskos
Gleich weit. Und stoben
Im Viergespann als Sieger durch das Ziel.

Da wollte es Ananke, dass die Eumeniden
Orest befielen und sein Hirn
Wie Hunde fleischten.

Im Heiligtum zu Delphi
Orestes lag ermattet.
Um seine Stirne stürmten
Die Göttinnen der Nacht.
Die Fledermäuse kreischten
Und die Erinnyen sangen:
Die Mutter ist erschlagen,
Die Mörderin des Vaters;
Der Mord hat Mord geboren:
Der Mörder sei gefällt!

Die Menschen flohn entsetzt. Nur Pylades
Blieb bei dem Freund und liebte
Den Mörder wie den Schöpfer er geliebt.

Und liebte seinen Wahnsinn,
Die irre Tat, den staubbedeckten Leib,
Wie er den Jüngling nicht geliebt,
Den klug gestaltenden,
Den schön gestalteten.
Er schlief mit ihm wie je. Orest, der Irre,
Erfüllte Bett und Raum
Und Traum
Mit Stank und Kot.

Patroklos

Antilochos flog in das Zelt,
Wo der Pelide sass und mit den Schädeln
Der toten Feinde Bocca spielte.
Er warf die Schädel in die Ecke
Und warf sich auf sein Lager
Von Wirbelknochen Rippen
Wie Heu und Streu vor ihn geschüttet.
Antilochos erhob die Stimme
Zu einem Schrei.
Der brach in Scherben,
Und die klirrten:
Unseliger!
Patroklos ist nicht mehr!

Und der Pelide stiess den Kopf
Dem Geier gleich ins Licht,
Und alles Blut und Fleisch

Schien draus gewichen.
So sass er,
Selber ein Skelett,
Bis dass die schwesterliche Dämmerung kam
Und auch der milde Bruder Mond.
Da fiel er in den Staub
Und schlug den Kiefer in die Erde wie der Eber,
Der Trüffeln sucht.
Dann stand er auf
Und waffenlos
Schritt er im Mond durch die trojansche Ebne.

Es wichen
Entsetzt die Wächter, die die Bahre bargen.
Er trat hinzu
Und nahm den Leichnam
Und trug ihn wie der Jäger
Ein Kitz trägt,
Warf ihn aufs Lager
Schlief die Nacht mit ihm,
Sein Haupt
Von toter Locken schwarzer Flut getrieben.

Sarpedon

Zeus liebte seinen Sohn
Den Sohn der Laodamia: Sarpedon:
Wie ein Geliebter den Geliebten.

Heimlich zuweilen
In der Gestalt einer Schlange
Lag er bei ihm.

Eines Tags begegneten einander
Sarpedon und Hyakinthos,
Schöne Hirten.
Zwischen sie trat Aphrodite
Lüstern beider.
In den Händen ihre Brüste tragend wie zwei Teller
Voll von Früchten.

Da stiessen die Jünglinge gegeneinander
Wie Geier
Mit ihren Lanzen und strohenen Schilden.

Auf seinem gläsernen Stuhl
Schloss Zeus die Augen,
Und eine Träne tropfte aus den Wimpern.
Denn keine Macht er hatte über Ananke,
Das Schicksal
Und den Tod.

Die Träne tropfte Sarpedon ins Auge
Und machte ihn blind,
Dass er der Deckung vergass.
Da traf ihn der wütige Feind
Ins Zwerchfell,

Dass er stürzte
Wie eine Fichte am Bergbach.
Rot floss der Bach.

Tief auf seufzte Zeus,
Dass die Erde bebte
Und die Sonnenscheibe wie ein Zinnteller
Klirrte.

Hyakinthos aber umarmte über der Leiche
Die girrende Göttin.

Am Abend flog Apollon hernieder
Und schlug den Leichnam in seinen flatternden Mantel.
Er trug ihn an die Gestade des Meeres
Und wusch ihn rein von Blut und Staub
Und salbte ihn mit Ambrosia.

Da nahten flügelrauschend zwei Tauben
Schwarz und weiss.
Die schwarze Taube setzte sich auf die Schulter de Toten,
Die weisse auf den Helm des schimmernden Gottes,
Der auf Wolken zum Olympos stieg.

Adonis

Als Phöbos Apollon dich sah,
Adonis,
Ergriff seine Seele ein seliger Schmerz.
Nicht freute ihn der Gesang der Mysten
Und nicht das Opfer im ragenden Heiligtum.

Er trat als Bettler staubig vor die Sibylle,
Die weissagende,
Und sprach:
Sage mir das Geschick des Knaben Adonis!

Die heiligen Nebel wallten,
Die süssen Düfte strömten,
Die Pythia sprach:
Der Knabe Adonis wird sterben
An Liebe, die zu heftig liebt.

Da ging der Gott und ging durch die seufzenden Fluren
Und schritt in seinen Tempel
Unerkannt
Und setzte sich auf die steinernen Stufen
Und weinte
Das bärtige Gesicht wie ein Igel
Im Strauchwerk der Hände versteckt.
Als er das Antlitz hob,
Waren seine Hände
Voller Perlen.

Hephästos reihte sie
Zu einer Kette.
Die brachte Hermes dem Knaben,
Als er die Ziegen weidete am Taygetos,
Und hing sie ihm um den Hals,
Die Tränen des Gottes.

Der Tod des Adonis

Sieben Wochen schon schreit Kypris,
Denn Adonis starb,
Der schönste der Menschen.
Die Sterne weinen nachts Sternschnuppen,
Und salzig von Tränen ist
Das Gewässer der Flüsse.
An den Quellen sitzen die Nymphen
Und schluchzen,
Und jammernd durch Feld und Hain
Streifen Eroten.
Ihr Klagegeschrei
Ai ai ai
Durchhallt die Schluchten und schreckt
Den einsamen Wanderer.

Unseligen Tod
Starb der Geliebte.
Denn als er wandelt
Durch den Wald,
Begegnet ihm ein wilder Eber,

Der alsogleich entbrennt wider den Schönen
In Liebe.
Liebkosend er gegen ihn sprang.
Aber so rauh war seine Zärtlichkeit,
Dass mit den Hauern er
Dem schönen Knaben
Die Brust zerriss.

Unbeerdigt lag er im Moose
Unverwest.
Kein Wurm ihn benagte
Und keine Krähe ihn hackte.
Der Mond hielt mit bleicher Fackel
Die Totenwacht.
Die Geister der untern Welt,
Sie kamen
Schleichend und schillernd
Herauf
Und sassen am weissen Strom seines Leibes
Wie an den Ufern des heiligen Flusses.

Und Charon nahm
Am siebenten Tage
Den leuchtenden Leichnam
Auf seine Schulter wie ein totes Reh,
Das der Jäger nach Hause trägt
Zu den Seinen.

Der Leichnam blinkte
In den Grotten der Unterwelt

Wie eine weisse Ampel.
Von allen Seiten
Die toten Seelen
Wie nächtliche Falter zum Lichte flogen,
Bis sie ihn deckten
Bedeckten
Und er
Unter den schwarzen Flügelschlägen
Erlosch.

Elpenor

An den Okeanos kam Odysseus,
Der viel wandernde,
Viel bewanderte.
Ewige Nacht herrschte
Über dem Volk der trotzigen Kimmerier.

Er opferte ein schwarzes Schaf,
Das dunkle Blut floss in die Opfergrube.

Da nun der Duft des Blutes zu Lüften stieg,
Wehte aus dem Felsentor,
Dem Eingang zur Unterwelt
Der Schatten Elpenors,
Des liebsten und lieblichsten Freundes.

Odysseus hob die Arme wie blühende Pfirsichzweige:
Mein Freund, dass ich dich sehe
Einmal noch,
Danach mich so verlangte
Wie einen Widder in der Wüste nach Regen oder Quell.
Gib mir deine Hände, dass ich sie halte und nimmer lasse,
Gib mir dein Herz,
Nimm meines dafür!

Der Schatten wehte
Und seufzte:
Lass mich das dunkle Blut trinken,
Odysseus,
Lass mich ins Leben wieder gehn!
Ach, dass einmal noch ich schritte
Unter den tönenden Gestirnen,
Dem Oleander
Zauberisch duftend,
Dass einmal noch ein Mädchen ich hielte bei den zierlichen Brüsten,
Und ihre Armreife klirrten,
Wenn ich sie liebte,
Die an der Mauer leicht gelehnte,
Und meine Küsse bald ihre Lippen bald den Efeu träfen.
Dass ein Freund mich noch einmal schlösse
In die gewaltigen Arme:
Odysseus!
Besser eine Ratte im stinkenden Loch
Oder ein Schakal

Sich nährend von Aas,
Als selber Aas sein
Stinkend
Tot
Den Würmern Speise und dem lieben Licht ein Greuel.

Der Schatten neigte sich und trank das schwarze Blut,
Das schon gerann
Und wehte auf
Ein schwarzer Schmetterling
Mit blutbetupften Schwingen
Und schwirrte um die Stirne des Odysseus
Und schwebte, windgetrieben, über den Okeanos
Dahin, dahin …

Herbst

Schon hebt die tanzende Charite
Die selige Syrinx,
Und dem gelösten Haar entfällt
Ein Büschel Mohn.

Im Wasser spiegelt sich erstaunt
Der heilige Frosch.
Die letzte Schwalbe
Verweht nach Süden.

Ins brechende Blumenauge
Blickt der verwunderte Jüngling,

Unwissend, dass er die Blume brach am Taumorgen,
Da er die Freundin streichelte.

Er schreitet,
Der marmorne Henker,
Nackt
In die stygische Nacht.

Phaethon

Phaëthon,
Der Mundschenk der Götter,
Mischte den Göttern
Schlaf in den Wein.
Sie tranken,
Sie sanken
In Traum und in Schlaf.

An seinen Sonnenwagen gelehnt
Schlief Helios.
Die Zügel schleiften
Auf Wolken.

Da trat der Knabe Phaëthon herzu,
Sprang auf das Brett,
Ergriff die Geissel
Und liess sie über die Rosse sausen,
Die goldenen.

Sie wieherten jauchzend
Unter der jungen Hand
Und jagten durch den Äther,
Verliessen die alteingefahrne Bahn.
Die goldenen Locken des Knaben,
Die goldenen Mähnen der Rosse
Stoben im Sternensturm.

Als er am Abend lenkte
Das goldne Gefährt
In den himmlischen Stall,
Da waren die Götter erwacht.

Helios jammerte,
Zeus grollte.

Schneeweiss war des Göttervaters Haar geworden,
Schnee lag auf dem Götterberg.
Denn allzuweit hatte der Knabe sich von ihm entfernt
Mit dem Sonnenwagen.

Zu nah war er der Erde gekommen,
Denn tausend Steppen standen in Flammen
Und Wälder bluteten rot.

Das grosse Feuer kam
Wie einst das grosse Wasser war gekommen.
Die Lava rollte schwarz.
Die heilige Zeder
Brannte.

Aus den verkohlten Wurzeln stiegen
Gewürm und Engerling ans Licht.

Und Kypris, die die Nacht wie stets
Auf Erden zugebracht,
Riss ihren Knaben
Eros
Hinter sich auf das geflügelte Pferd.
Das galoppierte über den wandernden Insekten
Auf den Leibern der Dämonen
Und hob sich wie ein Adler dann
Und galoppierte auf den Wolken –
Und kam zum Götterberg.

Eiszapfen hingen von dem Ritt durch die Äonen
Dem Pferde in den Mähnen.
Kypris mondblondes Haar war weiss beschneit,
Und Eros
Schlug die erstarrten Finger aneinander
Wie Glockenklöppel.

Ich friere, sagte Helios.
Was tatest du,
Vorwitziger Knabe,
Phaëthon?
Die Götter frieren,
Und der Menschen viele sind verbrannt
Wie Kälber am Spiess.

Zeus weint zum erstenmal seit Ewigkeiten,
Und Kypris floh die Erde.

Der Knabe aber
Schnalzte mit der Zunge
Und zog die Stirne kraus –
Und lächelte
Und schwieg.

Gedichte

Die Plejaden 1917

Der Totenkopf

1

Es wird nie wieder Friede sein. Der Kopf
Des Todes grinst auf allen Vertikos.
In Bronze. Gips. Als Bierkrug. Suppentopf.
Er birgt sich liebend in des Mädchens Schoss.

Er schwankt auf einem dürren Trunkenbold.
Man nimmt ihn untern Arm. Als Springbrunn speit
Er Blut in eine Blütenwelt. Er rollt
Als Kegelkugel durch die grosse Zeit.

2

Gott der Kindheit, darf man dir noch glauben?
Ach ich kenne dich nicht mehr.
Wo sind deiner Herrschaft milde Tauben
Und des Weines goldgegorne Trauben
Und des Frühlings frohe Wiederkehr?

Falten trage ich und rauhe Runzeln,
Und mein Schädel ist mit Moos gestopft.
Bei der Kerze abendrotem Funzeln
Denk ich lächelnd an mein Beet Rapunzeln,
Über dem der Juniregen tropft.

3

Ich ging übers Feld und suchte einen Menschen.
Ich traf sieben tote Engländer.
Ich begab mich in das Dorf.
Wollte ein Weib. Liebte eine Ziege.

Erhob den Blick und suchte die Sonne.
Sie war von Granatennebel umdunkelt.
Ich fiel zur Erde. Meine Knie
Stiessen auf Eisen und Beton.

Gänse schnattern. Zum Teufel: dreht ihnen die Hälse ab!
Laternen leuchten. Auslöschen!
Mädchen lächeln von unten herauf. Begattet sie
Mit Messern oder sonst einem Tod.

Den Fliegen reisse man einzeln die Flügel aus.
Blende den Hasen und jage ihn ins Feld.
Menschen ohne Beine mögen laufen,
Wohin immer es ihnen gefällt.

Leben wird unerträglich dem Sterbenden.
Sonne: ich spei dir in dein goldnes Gesicht
Die Eiterfetzen meiner Lunge. Mutter –
Warum immer gebärst du Tod!

4

Kleine Französin, weine nicht,
Starb Mann den Kindes-,
Kind den Mannestod.
Die Schnörkel der Kathedrale
Umschlingen uns Irrende.

Suche den Weg nicht
Aus dem Steingestrüpp.
Bleibe
Pilaster …

5

Ich stopfe dir mein Taschentuch in die Wunde
Oder was einmal Taschentuch gewesen.
Gott schlägt die elfte Stunde.
Soll ich dir aus der Bergpredigt vorlesen?

Liebet euch untereinander. Ich hab nie gewagt
Jemand zu lieben: wie ich liebe jetzt dich, halbtoter Freund.
Und du bist doch nur ein Hund, der auf fremden Feldern streunt
Und (wie nach Kaninchen) nach letzter Liebe jagt.

Räudiger Hund. Wir sind alle von Ungeziefer zerzaust.
Ehe wir uns in den Himmel bequemen,
Müssen wir ein (russisches) Dampfbad nehmen,
Und Gottvater selber ists, der uns laust.

6

Es halten deine blumenhaften Hände
Der Erde Achse, die sich leise dreht.
Und selbst des Krieges blutendes Gerät
Wird Erntesichel überm Herbstgelände.

Es rauschen hinter deinem Felsenhaupt
Die violetten Ströme in den Adern.
Und deine blauen Blicke blondbelaubt
Entketten sich zu seligen Fluggeschwadern.

Ich sehe wohl die leuchtenden Maschinen,
Allein ich bin im Fernen irgendwo,
In Grönland und als Eskimo,
Um dort dem Walfisch und dem Tran zu dienen.

7

Schlimm ist es, in der Heimat Frauen haben
Und Kinder, deren Zukunft man bedenkt.
Man möchte sie vergessen und begraben,
Wenn man sich selber in den Himmel hängt.

Man greiftzum Strick. Man schlingt ihn um den Mond
Man schlenkert klirrend in der leeren Luft.
Man gräbt sich in den Wolken seine Gruft,
Ein toter Stern, der Erde ungewohnt.

8

Im Schützengraben

Bruder: vielleicht
Bist du es, Bruder, dem ich den Kolben gab?
Jetzt schläft du todmüde in einem Massengrab
Und ich liege im Schützengraben: aufgeweicht.

Wir tanzen in französischen Blusen.
Paul spielt Harmonika. Applaus.
Der dicke Unteroffizier hat beinah einen Busen.
Der gefangene Hochländer sieht wie eine junge Dame aus.

Seufzer einem wie Küsse vom Munde stieben.
Man sehnt sich nach einer Ziege oder einem Pferd.
Wo sind die Mädchen geblieben?
Die Ehe mit einer betagten Witwe ohne Vermögen erscheint plötzlich erstrebenswert.

9

Im Lazarett

Ein Bauchschuss befindet sich auf dem Wege der Besserung.
Ein (alkoholischer) Magenkatarrh beschwert sich über Verwässerung
Des Magensaftes durch dünne Medizinen.
Zwei Schwestern sind beflissen, einem Ohnebein zu dienen.

Ein Herzschuss möchte zum Schluss noch etwas Sekt.
Eine Ruhr hat schon wieder das Bett verdreckt.
Eine Schenkeleiterung muss Liebesbriefe schmieren.
Ein Streifschuss geht (draussen) in der Sonne spazieren.

10

Es schwillt die Flut. Es stürzt der Damm.
Wer ist noch gut? Wer stemmt sich: Stamm?
Wo schmerzt dein Herz? Es weht im Wind.
Dein Hirn? Aus Erz. Dein Blut? Es rinnt.

Und wer da hebt die stille Hand,
Dem schlägt ein Schwert sie in den Sand.
Und wer da lächelt irr im Blick,
Spürt schon um seinen Hals den Strick.

Es geht zu End, Gebete send,
Die Herde flennt, die Erde brennt.
Wohl dem, der starr und unbewegt
Die Steinstirn durch die Flammen trägt.

11

Es fällt ein Blatt. Es stürzt ein Baum.
Es steht der Mond. Es weht die Nacht.
Und über allem Traum und Raum
Ist eine Hoffnung sacht erwacht.

Sie sucht nach Rast. Ein Falter fast.
Sie stäubt dahin, sie glänzt dahin.
Und wer die Erde noch gehasst,
Betäubt geht und bekränzt er hin.

Du, dem das Blut zum Halse stieg,
Und der die goldne Sense schwang:
Die Stirne neig! Die Kniee bieg!
Der Gott geht seinen Donnergang!

12

Der Dichter im Winter

Die Stadt in Schnee und kühlem Mondlicht liegt.
Die Schlitten schweben und der Nordwind schweift.
Soldaten gehen glitzernd und bereift,
Und Frauen sind in Pelze eingeschmiegt.

Wo winkt ein Fasching, dass du dich entlarvst?
Bewahr dein heisses Herz zu eigener Tat
Und hoffe, dass ein holder Frühling naht,
Wo du es wieder allen zeigen darfst …

13

Der Friede

Der Friede stürzt ins Land
Gleich einem Schaf, von Wölfen angerissen.
Er trägt ein grau Gewand,
Zerflattert und zersplissen.

Sein Antlitz ist zerfressen.
Sein Auge ohne Glanz.
Er hat vergessen
Den eignen Namen ganz.

Gleich einem alten Kind
(Gealtert früh in Harmen)
Steht er im Abendwind
Und bettelt um Erbarmen

Es glänzt sein blondes Haar,
Der Sonne doch ein Teilchen.
Er bietet lächelnd dar
Ein welkes Herz und welke Veilchen.

Verse aus dem Gefängnis

Militärgefängnis Nürnberg, April 1919

1

Zuerst rannte ich mit dem Kopf gegen die Wand
Und rüttelte an den Stäben.
Ich verfluchte Tod und Leben
Und steckte mit meinem feurigen Blick das ganze Gefängnis in Brand.
Das vergitterte Fenster oben war blind und klein.
Ich wusste nie, ob die Sonne schien oder Regen.
Ich hungerte und hatte tausend Mägen,
Und ich wollte so gerne mein eigener Enkel sein.
Dann warf ich mich auf die Pritsche hin.
Eine Schale Suppe ist durch die Tür geschwebt.
Ich habe wie ein hungriger Menagerielöwe gebebt.
Einmal ging ein Frauenschritt auf dem Gang vorüber. Der Schritt einer Königin.
Schliesslich bin ich davon überzeugt, dass ich ein Verbrecher sei,
Und dass ich mit vollem Recht unschädlich gemacht bin.
Ich dulde es, dass ich vom Wärter verlacht bin,
Und ich fühle, dass er so etwas wie ein Cherubim mit Flammenschwert und meiner Taten Rächer sei.
Einmal wird die Tür sich öffnen und wie eine Gnade
Wird mir die edle Freiheit wieder von Gott gewährt.
Ich stürze sofort in ein erstklassiges Hotel und bade
Und gehe in die Reitschule und besteige mein Lieblingspferd.
Ich glaube, es hiess Mimi, wie das zarte Mädchen in dem bekannten Bohème-Romane,
Und ich jage durch den englischen Garten und reite durch Felder von Korn und Mohn,
Und ich rase und schwinge der Sonne rote Fahne
Und ich reite voran der himmlischen Revolution.

2

Kann ich denn noch Verse singen,
Wo ich hinter Stäben sitze?
Donner donnre, Blitze blitze,
Und die Wand will nicht zerspringen.
Ginge doch die Tür und käme
Eine frauliche Gestalt,
Die mich bei den Händen nähme,
Sie sei Mädchen oder alt.
Wenn der Tisch sich doch belebte,
Wenn mein Mantel mich umfinge!
Dieses Kissen an mir hinge,
Dieses Bildnis – wenn es lebte!

3

Draussen singt ein Vogel in der Welt.
Draussen blüht ein blaues Frühlingsfeld,
Draussen geht ein Mädchen Arm in Arm
Österlich geputzt mit dem Gendarm.
Draussen sitzen satt im Restaurant
Bürger bei Musik und Gabelklang.
Auf der Burg von Nürnberg spielt ein Kind
Mit den Wolken und dem Himmelswind.
Und der Untersuchungsrichter streicht
Seiner Frau das blonde Haar vielleicht.
Draussen lächeln sie einander an:
Greis und Säugling, Mädchen oder Mann.
Draussen lieben sie einander sehr:
Reh und Wiese, Sonnenschein und Meer.

4

Nun wird es wieder dunkel.
Kein Stern tritt mit Gefunkel
In meine Zelle ein.
Die Wände schier erblassen,
Und grüne Hände fassen
Nach mir wie zum Gespensterreihn.

Wie wird es morgen werden?
Kein Himmel hier auf Erden.
Die Nacht so sanfte Wellen schlägt.
Ich sinke wie verloren,
Umhüllt von schwarzen Floren,
In einen Fluss, der mich von dannen trägt.

5

Und heut in der Nacht / da bin ich erwacht,
Es schrieb eine Hand an der Wand.
Und die Schrift war rot / wie Blut so rot,
Und wie Wachs so weiss war die Hand.

Und ich sahs und vergass / meine Ängste und las,
Was die Hand, die silberne, schrieb.
Bedarfst du mein? / Du bist nicht allein
Und ich hab dich ewig lieb.

Vergiss nicht die Fei / und die heilige Drei
Und den Schrei und den endlosen Kuss.
Der Kerker zerbricht / es naht das Gericht,
Und zur Quelle empor fliesst der Fluss.

Die Nacht und der Tag / der Mond und der Hag,
Wir lieben uns immer neu.
Du küsst meine Stirn / wie Sonne den Firn
Und als Bettler hüllt uns die Streu.

Bleibe du, bleibe ich / so singe, so sprich,
Sprach ich recht, sprach ich dich, sprach ich du?
Ich ergriff an der Wand / die silberne Hand,
Und sie zog mich den Sternen zu.

6

Wie der Schneefuchs der Polarnacht
Streif ich einsam durch das Leben,
Keinem künftig hingegeben,
Weil die Einsamkeit nur wahr macht.
Fälschte nicht des Bruders Tritt ich?
Wünscht zum Ziel er meinen Rat sich?
Jeder suche seinen Pfad sich,
Und schon schwirrt des Geiers Fittich.

Ja: verzeiht dem armen Toren,
Dass er focht für seine Brüder.
Hier, die Waffen legt er nieder,
Denn ihr habt ihn nicht erkoren.
Blasser starrt der Mond und gelber,
Felsen folgen seinem Scheine.
Und vergebt mir, dass ich weine,
Denn nichts wollt ich für mich selber.

7

Sonett auf Nürnberg

Du deutsche Stadt, du deutscheste der Städte,
Mich Wankenden beschützen deine Mauern.
Zart bist du zu dem Zarten, rauh zum Rauhern.
Ich bete deine steinernen Gebete.

O Zeit, da gut und fromm selbst das Geräte!
Ich fühle mich bewegt von edlen Schauern.
Gott, welcher Bild und Giebel ward, wird dauern,
Wenn wir längst Dünger nur für Friedhofbeete.

Sind diese Gräben für den Krieg geschaffen?
Um Scharten blüht der Ginster und der Flieder.
Der Goldschmied, nahm er Gold, um zu erraffen?

Die Zeit war ewig. Lerchen ihre Lieder.
Lass unsere Seelen sich zur Einfalt straffen
Und gib uns Dürer, gib Hans Sachs uns wieder!

Nacht und Morgen und wieder Tag

Als die Sterne sanken,
Als wir Nebel tranken,
Morgen wölbte seine Hand –
Unter seinem Segen
Haben wir gelegen
Wie ein aufgeblühtes Land.

Unsre Felder reiften.
Unsre Jäger streiften
Durch die taubeglänzte Pracht.
Reh durchschritt die Ferne.
Aber wie die Sterne
Sanken wir in unsre eigne Nacht.

Blick ins Tal

Lass, o lass mich niedersinken
Wie ein Tropfen Tau im Hain.
Berge blühen, Wipfel winken,
Und ich bin nicht mehr allein.

Spukt im Mond, ihr halben Helden!
Wind und Wolke lügen nicht.
Keine Glockenstrophen melden,
Wenn ein Enzianauge bricht.

Menschen hatten zarte Seelen,
Schon ein Nadelstich traf Blut …
Am Gestein sollst du dich stählen,
Und im Felsen werde gut!

Steinschlag soll das Tal entmannen,
Und die Lau es überwehn –
In Narzissen und in Tannen
Wird es himmlisch auferstehn.

Die Graubündnerin

Die Wolke hängt sich müde in die Miene
Des herbstlich schon ergrauten Tannenwalds.
Der Wasserfall gleicht einer Mandoline.
Ein roter Vogel zwitschert auf der Balz.

Vom Steinbruch tönt ein nagendes Gehämmer.
Die Lore fährt mit Felsenfracht zu Tal.
Durch dieses Nachmittages Waldesdämmer
Gleitet ein papageienhafter Schal.

Es zucken matt im Anhauch rauher Winde
Die schmalen Schultern der Graubündnerin.
Um Hals und Nacken schlingt sich eine Binde
Und stützt das fast entfallene Totenkinn.

Der Zephir

Er gehet beflügelt
Und läutet am Hügel.
Es streifen die Sohlen
Die frauliche Au.
Nun dürfen wir schlürfen
Im Auge den Abend
Und Erde und Herde
Ertrinken im Tau.
Ich wende die Hände
Die feuchten ins Leuchten,
Aufs Herz mir gezückt schon
Des Mondes Stilett.
Die zärtlichen Winde
Umfangen den Enkel.
Er gleitet beglückt schon.
Sie führen ihn linde
Ins ewige Bett.

Lied im Herbst

Wie Krieger in Zinnober
Stehn Bäume auf der Wacht.
Ich taumle durch Oktober
Und Nacht.

Blut klebt an meinem Rocke.
Mein Weg ist weit und lang.
Des Tales dunkle Glocke
Verklang.

Auf einem schwarzen Pferde
Reit ich von Stern zu Stern.
Die Sonne und die Erde
Sind fern.

Ich bin von vielen Winden
Zu Gott emporgereicht.
Werd ich den Frühling finden?
Vielleicht …

Winteranfang

Alle Welt ist, voll Wind.
Der Herbst fallt von den Bäumen.
Wir sind
In Träumen.

Der erste weisse Schnee …
Wer auf ihn tritt, tritt ihn zu Dreck.
Ich sehe weg,
Weil ich mein Herz seh.

Der erste Schnee

Der weisse Schnee beflügelt mein Gehirn.
Die Tannen auch erscheinen schön besternt.
So seien nun die Sonnen und die dürrn
Oktoberzweige aus dem Blick entfernt.

Wenn dieses Glück uns auch nicht wärmer macht,
Und wenn vielleicht der Nebel trunken trieft,
Wir haben – selig! – eine weisse Nacht.
O denkt, wie lang ihr nicht im Hellen schlieft …

Schneeflocken

Wende ich den Kopf nach oben:
Wie die weissen Flocken fliegen,
Fühle ich mich selbst gehoben
Und im Wirbeltanze wiegen.

Dicht und dichter das Gewimmel;
Eine Flocke bin auch ich. –
Wieviel Flocken braucht der Himmel,
Eh die Erde langsam sich
Weiss umhüllt.

Prometheus auf Skiern

Ists Schnee, der rosa unter meinen Skiern blüht?
Ists Winterluft, die heiss um meine Schläfen zieht?
Der Watzmann, der sich frierend früh in Schleiern barg,
Liegt nackt und glänzend da, noch unverratzt vom Telemark …
Ich reisse Hemd und Sweater von der feuchten
Haut und lass sie bronzen in der Sonne leuchten …
Nun über diesen Hang hinab … das Tal
Brandet noch grau in dumpfer Nebelqual …
Ich sause … trage die Sonne auf meinem Rücken … flammenbeschwingt …
Prometheus bin ich, der das Licht in Eure Tiefen bringt …

Davoser Bar

In den lederbraunen Baren
Sitzen sie bei Drink und Vermouth.
Die da werden, die da waren,
Und der Smoking deutet Schwermut.

Manche mit entfleischten Rippen
Speien Eiter in die Gläser,
Während ihre Finger tippen
Takt dem goldnen Tangobläser.

Was sie denken, schallt entfernter
Als die müde Kirchturmschelle.
Seht: der Himmel scheint besternter
Und die Erde dreht sich schnelle.

Im entlaubten Fruktidore
Wölbt sich Brust zur Frucht gewaltsam.
Unsre atmenden Motore
Sausen nachtwärts unaufhaltsam.

Fünfuhrtee in der Halle

Der Kellner stellt die goldne Heizung an.
Ich friere sehr und wärme mich bemüht
An einem Zeitungsblatt, das geistig glüht.
Der Kellner stellt die goldne Heizung an.

Von Stock zu Stock jagt Jüngling der Chasseur.
Bald fängt er einen Brief. Bald einen Blick.
Bald trägt er ein Paket. Bald ein Geschick.
Auf Treppen hüpft ein Eichhorn: der Chasseur.

Ein Frauenfuss tanzt unter einem Tisch.
Die Robe bauscht sich über seinem Samt.
Ich sinne, wem der schöne Fuss entstammt.
Madame erhebt sich, schön verschwenderisch.

Sie wirft das Antlitz aus dem Schleier und
Entbietet lächelnd Gruss und Aug und Mund.
Madame entbietet Gruss und Aug und Mund.

Der Gentleman

Nun ist Ihr Schritt aus diesem Haus entschwunden,
Die Ledersessel stehen leer und stumm.
Ich rufe nach den gelben Rosenstunden
Und nach des Ragtimes zartem Unikum.

Mir ist, als ob ich immer jenen Lord seh,
Der einst vor meiner Eifersucht sich barg.
Sie schweben schon im Dampfer auf der Nordsee,
Und aus den Masten steigt der Hydepark.

Ein Pastor predigt Sonntags früh den Frommen
Und warnt sie vor des Whiskytrinkers Los.
Whitechapel lächelt heiter und verkommen.
Der Mond beträufelt Neger und Matros.

Und während unsere Brüder sich zerfleischen:
Das U-Boot zischt, auf London sinkt der Zepp –
Zerfliessen wir in geigenden Geräuschen
Und wippen leicht im Brasilianerstep.

Mich warf die Leidenschaft an Ihre Küste.
Wär ich Barbar! so wagte ich mich ganz!
O neigen Sie die Aprikosenbrüste
Im Angesicht des doch geliebten Manns.

Ich blute vor den Fliegerpfeilen Ihrer
Entbrannten Augen, braune Marjorie.
Einst siege ich – vielleicht … im Rennbootvierer
Im Glanz der ewigen Kameraderie …

Einsamkeit im nächtlichen Hotel

Auf dem Korridor
Hüpft der rote Mohr,
Welcher einer Dame Schokolade bringt.
Meine Einsamkeit
Ist Zerrissenheit
Bergs, aus dem ein Giessbach springt.

Ach, es lockt mich fast,
Mensch zu sein: ich tast
Ueberm Bette nach dem Lichtsignal.
Ruf die Kleine ich –
Weine ich
Und verfliesse in des Bettes Tal.

Im Hotelgemach,
Als ich stöhnend lag,
Hat ein Löwe meine Brust beschwert –
Niemand war mir gut.
Nur mein weicher Hut
Hat sich brüderlich mir zugekehrt.

Ohne Körper er
Schwebte leicht daher
Neigte sich und sass mir auf dem Haupt.
Er behütete,
Als man wütete,
Meinen Schlaf, den er dem Tod geraubt.

Abend in Locarno

Auf schwarzem Hut die rötliche Kokarde
Mein wildes Mädchen flattert zu Revolten.
Um ihre Lippen stürmt der Duft der Narde.
Die Füsse stampften und die Brüste rollten.

Wirf deiner Arme mondenen Sichellasso
Um meinen Nacken, dass ich stiergleich falle,
Morddurstige Madonna du del Sasso,
Und löse deines Gürtels Felsenschnalle.

Die Wolken steigen, tulpenrote Putten,
Auf grünen Leitern in die blauen Schwaden,
Indess die Menschen: Mönche braun in Kutten:
Sich in die Särge deiner Seufzer laden.

Der südliche Herbst

Für Anny

1

Es ist so sanft, durch diesen Herbst zu eilen
Und dieses Blau des Himmels zu betrachten,
Bei spielerischen Kindern zu verweilen
Und auf den guten Gang des Greises achten.

Ein Adler glitzert auf der Zitadelle.
Ein Leoparde raschelt Bellinzona.
Auf seinem gelben und gefleckten Felle
Reitet die schönste Frau der Welt: Ilona.

Sie lächelt. Und ich hebe meine Hände.
Sie winkt. Ich sinke seufzend vor ihr nieder.
Es scheint das ausgebreitete Gelände
Um ihre Brust gespannt als goldnes Mieder.

O lass die Landschaft von der Hüfte fallen!
Entferne doch den Himmel aus den Blicken!
Und sei ein Mensch! Die Abendglocken schallen.
Du darfst beglückt sein, Mensch, und darfst beglücken.

2

Noch sind voll grünem Laube die Platanen.
Die Reben hängen an den Stöcken schwer.
Die Menschen frieren in den Eisenbahnen
Voll Ahnung frühen Winters allzusehr.

Ja: morgen ist die letzte Traubenlesung;
Dann gibt der Winter uns den milden Wein
Und schenkt uns Wehmut und Verzweiflung ein.
Ich rieche dich im Laube der Verwesung …

3

Und so will ich, was ich werde;
Immer grösser grüsst der Mond.
Palmenbaum und dunkle Erde
Werden zarter sich gewohnt.

Silbersee zieht ohne Barke
Stromgleich durch verlassnes Laub.
Und des Winzers goldne Harke
Sank beseligt in den Staub.

Dass sich Brust an Brüsten dehne!
Gib den Winden ihren Lauf!
Einer Flöte Kantilene
Spielt zum Tanz der Motten auf.

Rote Rose, Winter witternd,
Kranke Frau im weissen Thron –
Heute starb, ich ahn es zitternd,
Meiner Küsse schönster Sohn.

4

Der Mondschein glänzt wie deine Haut,
Dein schwarzes Haar ist weinbetaut.

Wer will den Wein? wer schuf die Hand?
Land wurde Leib, Leib wurde Land.

In braunen Augen wächst der Wald
Mit Reh und Baum zur Herbstgestalt.

Die Fliegen auch auf deiner Stirn
Im Flug der Liebe sich verirrn.

Ein jedes Gute findet leicht
In deinem Lächeln sich erreicht.

Ein jedes Elend fliesst als Blut
Aus deinem Schoss. Wird Kind. Wird gut.

Venedig

Im Norden
Frieren die Götter.
Hier
Strahlt jeder Gauner: ein heisser Gott.

Seines Tempels Stufen
Steigen aus dem Canale grande.
Er opfert
Sein südliches Herz sich selbst.

Die Sbirren schleichen
Zur Dämmerung.
Am Himmel segelt
Eine Gondel.

Die Adria
Brandet an meine Brust.
Der Markusplatz
Tönt wie eine Harfe.

An vergitterten Fenstern,
An freigelassenen Menschen vorbei:
Auf einer weissen Piazza
Entfaltet sich wie eine rote Mantille dein Lächeln.

Ists Tag? So ist die Sonne,
Ists Nacht? So ist der Mond
Am Herzen
Aufgegangen.

An der Ponte Viganello

An der Ponte Viganello
Sind Magnolien schon entzündet.
An der Ponte Viganello
Stimmt der März die Mandoline.

An der Ponte Viganello
Seufzt der Veilchenstrom des Flusses.
An der Ponte Viganello
Hab ich oft auf dich gewartet.

An der Ponte Viganello
Fliegen Möven, brennen Sonnen.
An der Ponte Viganello
Hingen Arm in Arm wir liebend.

An der Ponte Viganello
Steht ein Mädchen, äugt ins Wasser.
An der Ponte Viganello
Weiss das Wasser keine Antwort.

An der Ponte Viganello
Liegt der Friedhof Sankt Antonio.
An der Ponte Viganello
Hängt ein Gott, ans Kreuz geschlagen.

Passauer Distichen

Als ins fallende Laub vor zwanzig säuselnden Jahren
Herbst dich bettete bunt, rief er die Göttinnen all:
Seht von der letzten Libelle umschwärmt das schmächtige Menschlein!
Eine Göttin wie ihr – nur noch schleierverhüllt.

Und sie traten herzu und sahn die blonde Beseelung
Unter den Schleiern, die herbstlich die Spinne gewebt.
Eine nur senkte den Blick und hob die Hand und zerriss das
Leichte Gewebe: es war Venus. Sie segnete dich.

Dass wir einander in seliger Ruhe geniessen durften,
Dankten wir himmlisch erfreut nur dem christlichen Gott.
Fromm und feierlich wir schritten von Kirche zu Kirche,
Und im dämmrigen Gang fand sich Lippe zu Mund.
Und im Beichtstuhle fand sich Brust zu bebenden Brüsten,
Und im Herzschlag schlug dröhnend die Glocke vom Turm.

Unter blühenden Kirschen im mächtig sprossenden Grase
Liegen die Liebste und ich. Schatten breitet der Baum
Über das grüne Bett mit weissen Blüten durchmustert.
Blüten mit leichter Hand schüttelt der Frühling herab.
Doch von des Mädchens Lippe pflück ich die süssesten Früchte,
Fällt ihr ein Blatt auf den Mund, küss ich es zärtlich hinweg.
Also ein gütig Geschick uns Herbst und Frühling vereinte:
Schwebt die Blüte vom Baum, reift auf dem Mund sie zur Frucht.

Wo der Flüsse drei sich ineinander ergiessen,
Standen wir liebend gelehnt, sahn in die jagende Flut.
Drei ward eins. Ich fasste fester die Hand dir und dachte:
Du und ich – und das Kind. Also dreieinig auch wir.

Fiete

1

Scheint das Licht noch
In dem Schlachtgrau?
Bleibe Pflicht doch
Meine Nachtfrau!

Wenn der Wind weht
Und der Baum rauscht,
Unser Kind geht
Und dem Traum lauscht.

2.

Alle sind besser
Als ich.
Lilie gegen Messer,
Kuss gegen Stich.

Lächeln gegen Zähne,
Herz gegen Stein.
Ach ich sehne
Mich all-ein.

3 Begegnung in Hamburg

Dunkel ging ich durch die dunkle Twiete,
Sann, wo man mir meine Mahlzeit briete.

Draussen … war vielleicht der Himmel blau?
Innen roch es sehr nach Kabeljau.

Um die Ecke schielt ein rotes Licht,
Welches einen guten Grog verspricht.

Dunkel kam ich aus der dunklen Twiete –

Da – ein heller Glanz – ich stoppte stumm:
War es Sonne? Wars Petroleum?

Nein, dein braunes Auge war es, Fiete …

Weib

Wie du Wind vergebens
Alle Lüfte regst,
Hab ich Sinn des Lebens,
Weib, wenn du mich trägst.

Bin ich dir im Tiefen
Immer Tier und Sohn:
Die dich Göttin riefen,
Riefen Hündin schon.

Lieg ich dir im Schosse
Gramzerkrampft:
Fühl ich, wie die grosse
Welt sich selbst zerstampft.

Winkelried

Wie es dich zum Kampfe zieht!
Und du stürmst in goldner Wehre –
Wenn sie lächelnd dir ins Auge sieht:
Wo ist Trotz und Dolch und Ehre? –
Drückst du dir wie Winkelried
Tief ins eigne Blut der Feindin Speere …

Musik! Musik!

Musik! Musik! Zusammensein
Mit tausend Tönen, das mich nicht verlässt.
Ich schwinge mich im angesagten Fest
Und bin zu vielen und nicht mehr zu zwein.

Ich bin erlöst von meinem Blondverlangen.
Und Sybil ist mir wie ein ferner Wald,
Aus dem, bevölkert mit den schönen Schlangen,
Der herbstlich rote Schrei des Hirsches schallt.

Nicht mehr im Ruch der faulen Gossen sein.
Ein Eherner zur Sternparade schreiten.
Unter dem blauen Brückenbogen gleiten.
O ganz im süssen See verflossen sein!

Thea

Seh ich jene petrefakte
Hügelkuppe blondgeschmückt:
Scheint sie eine schöne nackte
Frau, die sich nach vorne bückt.

Wie ihr Rücken rund sich ründet.
Und es regt sich plötzlich zwischen
Meinen Schenkeln und ich stoss,
Erde, mich mit dir zu mischen,
Meinen Thyrsusstab entzündet
Tief in deinen waldigen Schoss.

Musette

Wenn dein Mund liegt
An meiner Scham,
Und meine Sehnsucht wund wiegt,
Als ob ein grosser Vogel mich auf seine Flügel nahm:

Dann meine Lippen rasen
In der entflammten Nacht.
Aufsteigt ein Wasen,
Der mich von Sinn und Seelen macht.

Mir wird in seinem Ruch
So süsser Träume schwer.
Genug
Weiss ich dann von der Welt und will nichts wissen mehr. –

Mimi

1

Als ich bei dir lag
Auf dem Wiesenhag,
Und der Neckar flutete so mild:
Fähre führte Vieh,
Hügel bog sich wie
Eine Mutter, die ihr Kindlein stillt.

Berg und Brust ist eins,
Schoss und Erd ist eins,
Augen, Augen blinken wie von Tau.
Welche Kühle ach
Wind, ich fühle ach
Plötzlich eine andre Frau.

O begegne doch
Frau und segne doch
Deine Schwester, die sich vor dir neigt.
Die auf Leiter von
Zartem Stricke schon
Aufwärts zu den Wolken steigt.

2

Was ich dir hier singe,
Ist nur für dich gemacht.
Die violette Syringe,
Der Mond und das Ding der Dinge
Ist nur für dich gemacht.

Die heimliche Lust der Lüste
Ist nur für dich gemacht,
O gib mir deine Brüste.
Ebbe und Flut unsrer Küste
Sind nur für dich gemacht.

Das breite Bett, ich dächte
Es ist für dich gemacht.
Komm, löse deine Flechte,
Denn diese Nacht der Nächte,
Sie ist für uns gemacht.

3 Trinklied

Wirt, schlag aus dem Fass den Banzen,
Wir wollen saufen und tanzen:
Mimi und ich.
Lahmer, du spielst Harmonika,
Und die zahme Elster schreit krakra.
Die Amseln flöten.

War das ein Tag! Wird das eine Nacht!
Auf den Neckarhügeln sind Sonnwendfeuer entfacht:
Unsre Herzen.
Mädchen, du lachst verschwenderisch!
Du bist atemlos! Komm ins Gebüsch!
Ich will dich umarmen!

Der feiste Wirt zapft an seinem Fass.
Der Lahme singt mit rostigem Bass.
Die Elster schreit.
Mädchen, ich spüre deinen Schoss
Als läge die Sonne vor mir bloss,
Die Nacht leuchtet.

Ich streiche dir das Haar zurecht.
Der Wirt offeriert gebratenen Hecht
Und goldenen Mosel.
Öffne das Auge! Jetzt bist du sanft
Wie der Mond überm Wiesenranft,
Holde Dryade!

Fannerl

Hab dich doch lieb,
Fannerl, Wenn die Sterne fallen,
Wenn die Sonne steigt.

Du duftest wie das Ried.
Du bist frisch wie ein Taumorgen.
Deine Hände betten mich an deine Brust,
Als wäre ich dein Enkelkind.

Unten im Gries
Fliesst die Isar.
Wollen wir Floss fahren
Bis ins Meer?

Tags ist es kühl bei dir
Wie im Schatten der Leutaschklamm.
Aber nachts
Brennst du wie der Mittag auf den Karwendelsteinen.

Wenn der Herbst kommt,
Wenn ich weiter muss –
Weine nicht,
Fannerl.

Grete G.

So lauf ich mit dem Winde um die Wette
Und borge von den Sternen meinen Schein.
Die Erde ist mein Bette
Und soll mein Himmel sein.

Komm: Mädchen, Jüngling – beides mir.
Noch fühl ich unter deiner Brüste Früchten
Das Herz sich wie ein scheues Tier
Ins Dickicht deines Leibes flüchten.

Ach wenn ich wie der Pelikan
Die Brüste beide dir zerreissen dürfte
Das Blut aus deinem Herzen schlürfte!
Wie wär ich selig dran!

Julie

Ich war so hungrig nach deinem Leibe,
Süsse Seele.
Ich brannte. Nun, da ich sanft verschwele:
Du hast mich satt gemacht.
Nun will ich gehn. Ich treibe
Wie eine Barke durch die Nacht.
Es lächelt mein Blut.
Alles ist gut.
Alles ist schön.
Ich fühle,
Wie aus dem Sterngewühle
Zwei ewige Augen auf mich niedersehn.

Die Seiltänzerin

Alles weinet, wenn du es besiehst,
Denn es scheint zu schön in deinem Blicke.
Weile, Flutende! O du entfliehst
Und entbindest dich der zarten Stricke.

So wie wenn auf hohem Seil der Tanz
Eines Kindes uns erschreckt bezaubert:
Bist du Spiel: ein dunkler Mann ersanns –
Und zur Erde stürzt entflammt der Tauber.

Weile, Glutende, o du entfliehst!
Schon erheben dich die Felsenfirne
Und gleich einem hohen Sternbild ziehst
Du im ewigen Kreis auf meiner Stirne.

Im Auto

Ich bin gut und fahr im Glück.
Von den nassen Scheiben
Klatschen Blicke dumpf zurück,
Die wie Vögel treiben.

Alles rollt an mir vorbei.
Über die Kanäle
Irr ich wie ein böser Schrei,
Den ich mir verhehle.

Plötzlich bin ich nicht mehr da.
Motor platzt im Dunkeln.
Und ich sehe sausend nah,
Tod, dein Auge funkeln.

Die Pfeife zwischen den Zähnen

Liegst du auf der Ottomane,
Und die Pfeife in den Zähnen:
Darfst du schaukelnd dich im Kahne
Auf dem Meer des Nicht-mehr wähnen.

Silbern steigt der Rauch nach oben.
Mit den leisen weisen Kreisen
Fühlst du selber dich gehoben
Und im Wolkenreigen reisen.

Erde, Mond und Sonne sangen.
Alles geht in Rauch und Luft auf.
Alles geht in Hauch und Duft auf.
Du vergehst. Und bist vergangen.

Der Letzte Trunk

Nach Baudelaire

Tod, alter Fährmann! Es ist Zeit! Anker gelichtet!
Weisse Winde flattern wie Möwen. Segel gehisst!
Ob Meer und Himmel sich wie schwarze Tinte dichtet,
Du weisst es, dass mein Herz voll goldner Strahlen ist.

Giess ein den letzten Trunk des roten Blutes!
Wie Feuer brennts im Schlund. Mich trägt die Welle
Bis auf des Unbekannten tiefsten Grund. Was tut es,
Ob Himmel mich das Neue lehrt, ob Hölle?

Das Notabene

Nach Bellmann

Holt mir Wein in vollen Krügen!
(Notabene: Wein vom Sundgau)
Und ein Weib soll bei mir liegen!
(Notabene: eine Jungfrau)
Ewig hängt sie mir am Munde.
(Notabene: eine Stunde …)

Ach, das Leben lebt sich lyrisch
(Notabene: wenn man jung ist),
Und es duftet so verführisch
(Notabene: wenns kein Dung ist),
Ach, wie leicht wird hier erreicht doch
(Notabene: ein Vielleicht noch …).

Lass die Erde heiss sich drehen!
(Notabene: bis sie kalt ist)
Deine Liebste sollst du sehen
(Notabene: wenn sie alt ist …)
Lache, saufe, hure, trabe –
(Notabene: bis zum Grabe).

Der Selbstmörder

Niemand weiss, dass ich gestorben bin.
Alle sehen freundlich zu mir hin.
Manche meinen mit verglastem Lächeln
Trost und Heiterkeit mir zuzufächeln.

Manche fragen, wie es mir erginge?
Ob wie sonst ich singe oder springe?
Oder ob mein Flötenmund verstummt sei?
Und warum so dunkel ich vermummt sei?

Ärzte diagnostizieren edel.
Jemand klopft erstaunt an meinen Schädel.
Und das klingt, als ob an einer Türe
Einlass heischend wer die Finger rühre.

Lassen Sie mich, bitte, meine Damen,
Die zuweilen zart zur Liebe kamen.
Keine Freundin schläft mir künftig bei
Als die Wasser- oder Wiesenfei.

Ihre Haare sind aus Tang und Moose,
Und ihr Schoss ist eine Wasserrose.
Ihre Hände sind so feucht wie Frösche,
Und mich deucht, dass ich schon sanft verlösche.

Der Torso

Es beugt sich eine Statue, behängt
Mit einem Schleier schamentblösster Blicke.
Ein Knabenantlitz, das sich Sonnen fängt.
Ein Mädchenlächeln, zahm wie eine Ricke.

Hier eine Unvollendete: sie hofft
Noch feucht im Ton Lebendiges zu wagen.
An diesen schönen Brüsten ruhet oft
Der Meister, wenn der Marmor ihn erschlagen.

Der Mandrill

Ich spielte auf der Lotoswiese
Und wusste nichts von Licht und Leid,
Da wehte eine stete Bise
Mich an das Eiland dieser Zeit.

Ich war ein Staub der Algenblüte,
Der aufwärts in die Erde will.
Und bald in meinen Adern glühte
Die Urwaldsehnsucht des Mandrill.

Als schnaubend einst ich die Genossen
Sah durch die Schachtelhalme fliehn:
Lag plötzlich vor mir ausgegossen
Ein Wesen, das mir lieblich schien.

Um ihre Glieder sich zu ranken:
Welch Übermass an Seligkeit!
Und herrisch griffen meine Pranken
Nach ihr, zu jeder Lust bereit.

Sie schlug die Augen auf. Der Himmel
War ganz in den Opal gebrannt.
Es hat sein Bann mich dem Gewimmel
Der Brüder wieder zugewandt.

Nun such ich stets das zarte Wesen
Als Mensch, als Blüte oder Tier.
Denn mir nur ist sie auserlesen,
Ihr Nichtsein selbst gehört noch mir.

Der Schnapphans

1

Ich bin ein armer Kauz
Und hab nicht Haus noch Stall.
Der Wald, der ist mein Haus,
Die Luft ist mein Gemahl.

Ein altes Hemd mein Fell,
Der Wind pfeift mir durchs Bein.
Hilf, dass ich in der Höll
Nicht auch muss Schnapphans sein …

2

Woher?
Vom Meer.
Wohin?
Zum Sinn.
Wozu?
Zur Ruh.
Warum?
Bin stumm.

3  Tag und Nacht

Die Nacht ist wie ein Mönch,
Sie trägt ein braun Gewand.
Der Tag ist wie ein Mensch,
Hat Lilien in der Hand.

Die Nacht ist dunkel ganz
Und stummer als ein Grab.
Der Tag: Gefunkel ganz,
Gelächter, Klang und Tanz.

Prolog zu einem Schauspiel

Ich neige mich vor aller Bühnen Auditorien:
Es ist so schwer, ein Mensch zu sein.
Selbst in der Heiligkeit ersehnter Glorien
Fühlt schmerzlich sich der Einzelne allein.

Die Einsamkeit beschattet seine Seele;
Sie lässt erzittern seines Herzens Schlag.
Und selbst der Sang der süssen Philomele
Verdunkelt nur den überwölkten Tag.

Da hebt am Abend leicht vor einem jeden
Der Vorhang sich zu einer innern Welt.
Es gleitet puppenspielerisch an Fäden
Der Hass, der Hohn, die Liebe und das Geld.

Gestaltung wird die lächelnde Gebärde,
Zur Totenbahre neigt sich die Monstranz.
Und die gelobte, die geliebte Erde
Bevölkert sich mit Rausch und Traum und Tanz.

Wie dunkler Wein ist Wahrheit zu geniessen;
Die Wirklichkeit ist leerer Winde Schall.
Die Tränen, die aus unsern Augen fliessen,
Empfangt sie in des Herzens Blutkristall!

Das Lachen, das in eure Ohren töne,
Es fiel vom Himmel; ein metallner Stern.
Und es verkläre klingend, es verschöne
Die edlen Damen und die stolzen Herrn.

So klug ist keiner, dass ihn Liebe schände.
So schön ist niemand, dass ihn Schmerz entehrt.
Es zeigt der Bühne buntestes Gelände
Den Götterjüngling mit dem Rosenschwert.

Es hebe seinen Stab nun der Ephebe
Und rühre euer Herz zum frommen Schaun.
Ein jeder ahne freundlich, dass er lebe,
Und ihn beglücke Nymphe, Gott und Faun.

Es sinken eines trüben Tages Dünste,
Wie eine Blume blüht Gemeinsamkeit,
Umarmt euch angesichts der goldnen Künste
Und fühlt beseligt, dass ihr Brüder seid.

Coelius

1

Wer wird einst deinen süssen Namen wissen,
Wenn nicht mein Wille ihn in Wort geprägt?
Wenn ich ihn nicht in Elfenbein gelegt
Und mit dem Schattenspiel des Ruhms umrissen?

Einst wird man Wimpel auf dem »Coelius« hissen!
Und Coelius heissen Kinder, die erregt
Ein Muttertraum zu Heldentaten wägt.
Und Coelius seufzt es zwischen tausend Küssen.

Dann wirst du längst im feuchten Grabe liegen,
Wo Mohn allein die trübe Tafel weist.
Ein Vogel wird sich auf der Weide wiegen,

Von fernen Tropen zwitschernd zugereist –
Um ihn von Spatz und Nachtigall ein Reigen –
Er geistert schillernd – Geist von deinem Geist.

2

Ich spielte kindlich in den dumpfen Mauern,
Der gaukelnde Genoss von Kröt und Wurm.
An meinen Händen tanzten Stab und Turm
Wie unsrer Dörfer trunkne Sonntagsbauern.

An allen Ecken sah ich Drachen lauern,
Bekämpfenswert wie ein Oktobersturm.
Die Kröte glotzte königlich. Der Wurm
Vermochte nur als Königssohn zu dauern.

Der Drache hob im Herbst sich in die Winde,
Der Turm ward Unterkunft der Metzgerei,
Und ein Gespenst entfuhr dem goldnen Kinde

Wie in der Mitternacht ein Katzenschrei.
Um meinen Scheitel schlang sich Rosenbinde –
Der Königsknabe freite um die Fei.

3

Du hieltest mir als holde Amorette
Die Himmelsleiter, die ich aufwärts stieg.
Du wusstest meine Worte, als ich schwieg,
Und schmiedetest mich an die Veilchenkette.

Wie oft ging ich mit einer Frau zu Bette,
Und es erscholl Schalmei und Mondmusik.
Wie jauchzte die Geliebte: Liebster, flieg,
Flieg, in den Krallen mich, zur Sonnenstätte,

Du Adler! – Aber eine kleine Hand
Hielt mich zurück, und ich vernahm ein Flüstern:
Bleib bei den Weibern fest – auf festem Land!

Sie haben Brüste! Atmen durch die Nüstern!
Und sind dem Blute blutend zugewandt …
Dir aber brennt ein Licht aus Himmelslüstern.

4

Dich hat kein steifer Trunkenbold gezeugt,
Und keine Rabenmutter dich geworfen.
Du schliefst wie Kohle gluhend unter Torfen.
Dich hat ein Erdenseufzer erdgebeugt.

Du warst der Rehbock, der am Teich geäugt,
Als ich dahinsank, übersät mit Schorfen,
Ein wunder Wunderlicher – mit amorphen
Gebärden meiner Kinderqual gesäugt.

Ich bin dein Vater, deine müde Mutter.
Ich trug dich siebenundzwanzig Jahr im Schoss –
So wie wohl auf der Werft ein edler Kutter

Oft Monde liegt, eh man ihn löst und gross
Entwallt er auf dem Meere wie Perlmutter –
Du Grenzenloser – lieb mich grenzenlos.

5

Wer bist du, schöner Knabe, den beim Heuen
Die Mutter wohl von ihrer Brust verlor?
Du schreitest durch der Mittagssonne Tor,
Mit Lächeln das Lebendge zu erneuen.

Lass Mann und Jüngling sich am Bilde freuen,
Das seine starke Hand zum Heil erkor.
Schwinge im Kinderschwarm das Flötenrohr,
Mit Klängen die Genossen zu betreuen.

Ich bin dein Pferd. Du darfst auf meinem Rücken
Zu der erträumten Nacht der Nächte reiten,
In Flammenglut das schmale Holzschwert zücken!

Die ewigen Engel werden dich begleiten,
Den kleinen Kämpfer flügelnd zu beglücken,
Und ihn zum Siegesfest der Mannheit leiten.

6

Zum letzten Male senke ich die Blicke
Zum Gruss vor einer schleierlosen Frau.
Zum letzten Male blinkt der Himmel blau;
Und um Verlornes schlingt sich Wind und Wicke.

Ich spür zwei sanfte Lippen im Genicke –
Sie schneiden heute wie mit Messern rauh.
Die Stadt im Tal erscheint im Abendtau,
Und leis am Abhang läuten Geis und Zicke.

Nun wallt die rote Dämmerung hernieder.
Die Stadt verliert die Türme in der Nacht.
In Blatt und Wolke lösen sich die Glieder.

Ich schliess die Augen, die so lang gewacht.
Ein Hund bellt an Staketen, weiss von Flieder.
Ein Stern ist über meiner Stirn entfacht.

Oden

1

Da nun der Regen rinnt
Und die Wolken wandern,
Bin ich bei niemandem
Denn bei mir.

Kein Baum, den ich nicht bog im Frühling,
Die zarten Blüten zu betrachten.
Ach im Gehäuse des Kelches
Sass der schwarze Wurm.

Früchte sind süss dem, der sie müh-selig zog;
Am herbstlichen Spalier die goldnen Birnen!
Den Greisen wärmt ein winterlicher Herd,
Den Jüngling die heisse Brust seines Mädchens.

Geh über die Brücke, wo der Fluss rauscht.
Blicke stromauf, stromab.
Was weisst du von dir?
Algen und Wasserspinnen treiben auf den Wogen.

2

Ich sah
Den goldnen Sperber
Aus der Sonne geschleudert
Wie Honig aus Waben.
Kleine Sonne,

Kreiste er über den Iristeichen.
Die Wellen
Tropften von seinem Glanze.
Er hielt im Schnabel
Die tönende Triangel des Frühlings.

3

Wie lang ists her, dass ich mit dir im Grase lag.
Das geflügelte Ur-insekt schwirrte über uns.
Ich fing mit der Hand schlanke Ringelnattern
Und hing dir ein Dutzend um den nackten Leib.

In den Felsen spielte der Wind auf dem belaubten Cello.
Vom Monte Ceneri schossen die Soldaten
In die leere Luft.
Schuss auf Schuss klang zwischen unsren Küssen.

Warum nicht traf uns eine verirrte Kugel,
Ehe sich Lippe von Lippe löste?
Unser seliges Aas hätten dankbar gesegnet
Aaskäfer, Ameise, Geier und wilder Fuchs.

4

Die Hände vor dem Antlitz
Träumt
Der Gott.
Seine Wälder sind tot,
Seine Berge in die Ebene gestürzt,

Und ohne Lieder
Fliegen die Vögel.
Seine Priester schänden
Des Sterbenden Sanftmut.
Mit eisernen Sohlen geht der Mensch
Durch die Saaten.

ER beugt seine einsame Stirn
Zum Waldteich hinab.
Die Wellen rauschen über die Runzeln
Und füllen sein leeres Aug
Mit Tränen.

5

Ich habe das heiligste Herz verloren.
Ich habe allen Schmerz der Welt getragen.
Sechs Monate lag ich über einem Grabe
Und jaulte wie ein Hund.
Ich habe in die Sonne gebellt,
Ich habe in den Mond gebellt,
Einsamer war ich wie der Dipplodocus.
Aber nun reisst es mich empor,
Jemand biegt meinen Kopf zurück, dass meine Nackenmuskeln knacken,
Und ein bärtiger Mann, mit einem Ziegenfell bekleidet,
Lächelt wie der Himmel über mir,
Donnert wie der Himmel über mir:
Lebe!

6

Es frommt
Dem Frommen,
Zu tanzen über die Erde.
Wem ein Glück glückt,
Der halt es fest.
Wie leicht verdüftet
Der firne Wein.
Ein zweites Mal
Durchs offene Abendfenster
Schwebt nicht der heilige Vogel der Nacht.
Deck zu den Wein,
Schliess zu das Fenster.
Der Wein bleibt süss,
Der Vogel bleibt dir treu.

7

Grete G.

Nicht werde ich vergessen deine Brust,
Die tönende Ampel,
Darin dein Herz leuchtet,
Du Samtene!
Oft
Wenn ich erwache des Nachts,
Sehe ich dich wie einen silbernen Delphin
Durch die Gewässer des Dunkels schwimmen.
Oder am Tage:
Aus dem Asphalt
Blüht ein Gesträuch,
Und dein Duft
Wirft mich besinnungslos auf den Stein.

8

Frühlingsgewölk. Die Stare
Singen schön.
Die ersten Regentropfen trillern
Am Dach.

Die Wetterfahne weht
Nach Süden.
Die kleine Wiese
Weiss viel.

Träum ich die Tanne?
Träumt die Tanne mich?
Es lebt und stirbt
Sich leicht.

9

Und vergib mir:
Ich tat,
Was Gott allein zu tun geziemt:
Nahm deine Hand für meine,
Dein Herz für meines.
Mich verwirrte
Die schöne Nacht,
Der goldne Stern im Strauch
Und dann der namenlose Duft der Linde.
Verzeih.

10

Wohl ziehen wilde Gänse
Über den Horizont.
Aber der Mensch bleibt
Klein im sumpfigen Kolk.
Denn seine Wimpern sind verklebt
Mit Argwohn,
Und Ikarus träumt.

Der Jäger hebt
Das tönende Rohr
Im Röhricht.
Die Triangel der wilden Gänse
Zerreisst.
Der Spitzenvogel
Klatscht
In den Sumpf,
Wo der Mensch mit der fahlen Fratze steht
Und verlegen
Vor dem brechenden Auge des Vogels
Den grünen Hut in den Fingern dreht.

11

Eiche,
Du fassest Wurzeln
Und stehst.

Uns aber treibt
Ein Unruh
Und Verlangen
Von hier nach dort.

Mir ruft die Höhe,
Mir ruft die Tiefe,
Der Engel der Mitte
Begnadet mich nicht.

Zerrissen, zerrissen,
Ich fasse am Ende
Die knochigen Hände
Des fraulichen Tods.

Aus meinem Grabe
Die Säfte sie steigen
In deine Wurzeln,
Beständige Eiche.
So finde ich Ruhe
Und Stärke
In dir.

Die schwarze Fahne

Gruss an Gottfried Benn

1

Bruder Mensch
Luder Mensch
Wohin
Hebst du deine Hände?
Zum Ende?
Zum Beginn?

Du weisst
Den Geist
Der ewig kreist.

Er bellt
In Welt
Und Wiese wie
Ein wunder Hund, ein wilder Wolf.
Er hängt als Segel überm Golf.

Er macht
Ohn Macht
Die ewige Nacht.
Er pflag
Ohn Plag
Der Ruh im Tag.
Er war
All Jahr.
Er wird
Dein Hirt.

Er ist
Ohn Frist
Ohn Lust und List.
Er ist die Flamme des Gerichts

Im donnernden Gesang des Lichts
Im dunklen Spiegel des Gesichts:
Das Nichts
das Nichts
das Nichts
das Nichts.

2

Die Menschheit ist ein leeres Wort.
Mein Mensch ist viele Meilen fort.
Er liebet mich. Ich liebe ihn.
Die Wolken ziehn. Die Falter fliehn.
Ein Mond steigt unter Rosen auf.
Nie hört sein Mund zu kosen auf.

3

Der Glaube an die Utopie
Ist eine
reine
Mimikry.
Und Mimi schrie
Des Nachts
Im Traum.
Nun lachts
Am Wiesenwickensaum,
Dort, wo du, Venus, ehern brennst:
das silberfarbene Gespenst.

4

Heut
In der Frühe
Heulte der grosse Hund
Und
Der Himmel dampfte wie Brühe.
Geläut
Ging durch die Ähren
Ein Magd
Erbrach ein Kind.
Das klagt:
Wir wissen nicht, was wir wären
Nur:
Ruhr
Schwären
Geburt Geboren Gebären –
Was wir sind.

5

Das Elend hat mich ganz zerfranst.
Die Irre tanzt, die Girre tanzt.
Ein kleiner Mann mit blauem Hut
Ist meiner armen Armut gut.
Er geht heraus, er geht herein.
Wind weht aus dem Zypressenhain,
Und aus der Höhe fällt der Tag.
Begreif es, wers begreifen mag.
Das Treibeis trieb. Im Blut der Trieb.
Sag:
Hast du mich noch immer lieb?
Schaumschimmerlieb –
Noch immer lieb?

6

Zuweilen
Geht der Tod durch dich
Heimlich hindurch.
Zum Beispiel: wenn du bei einer Frau liegst.
Du ahnst es nicht
Aber sie
Verschwärmte Schwester des Schwarzen
Wird unruhig
Reisst dich rauh
An ihre zarte Brust.
Du fühlst
Vielleicht beglückt
Ein zweites Herz in der Polarnacht schlagen.

7

Soll ich unter gehn
Will ich munter gehn,
Niemand soll mein Bruder sein.
Türe fliegt im Wind
Und ein kleines Kind
Wird bei seiner grossen Mutter sein.

Alles Leid: geschah.
Zeit: war einmal da.
Raum: zerbrach,
Und Wasser frass die Furt.
Ich bin nichts und hold
In mich eingerollt
Wart ich auf die Stunde der Geburt.

8

Die Anarchie ist unser Glück.
Ich reiss vom Leib mir Stück für Stück.

Zuerst den Rock, danach das Hemd –
Wie war ich vor mir selber fremd.

Ich reiss die Augen aus der Stirn,
Sie sollen nicht das Licht verwirrn.

Ich zerr an Darm und Samenstrang:
Kein neuer Mensch mein Untergang.

Ich reisse mir die Haut herab,
Es fällt der Plunder von mir ab.

Ich stehe nackt vor Tod und Grab.

9

Ich hörte wie ein Silberbart schrie:
Es lebe die heilige Demokratie.

Da trieb ein Wrack im fahlen Fluss:
Hie Spartakus.

Und eine Wolke ist verweht:
Es lebe des Kaisers Majestäs.

Da sprang mit Panthersprung zur Tribüne
Ein dürrer, ein magrer, ein hagrer Hüne.

Auf seiner Stirne lag ein Schein
Ein Veilchenschein ein Heiligenschein.

Es gibt nur
Eine wahre klare Diktatur.

Ein jeder lebt nach dem Diktat
Das der da oben
der da unten
Er legt die Lunten
Ihn lasst uns loben
gegeben hat.

Es gibt nur eine Partei:
der Sterbenden
Es gibt nur eine Partei:
der Verderbenden

Der Arges Erbenden
Weh-mut Werbenden.

Ein Schleier vor aller Blicke hing.
Sternenstille. Kein Atemzug ging.

Er hob die Hand. Die war verdorrt.
Es meldete sich niemand zum Wort.

10

Nummer 1 trägt eine Radfahrermütze.
Nummer 2 hat die Krätze.
Nummer 3 erinnert sich an seine dritte Braut.
Nummer 4 weint.

Der Wärter rasselt mit den Schlüsseln.
Öffnet keine Pforte.
Oben im ovalen Fenster
Hängt der Himmel wie eine Scheibe Brot.

Hunger Hunger nach dem Himmel
Hunger Hunger nach der Scheibe
Brot und nach der Sonnenscheibe.

Nach dem Schreiten
weiten Schreiten
in die Weiten.
Hunger Hunger nach dem kleinsten Lächeln
Einer verfallenen Frau.

Hier ist kein Ausgang
und kein Ende.
Paragraphen
Trafen
Tödlich.
Vor den Augen saust es rötlich.
An den Mauern trommeln Stümpfe ohne Hände.

11

In manchen Nächten tanzen die Skelette
Am Friedhof. Auf den Kreuzen sitzen Frauen
Und lassen sich von fleischlosen Kavalieren
Um die Wette
Auf Herz und Nieren
Prüfen und bis ins Innerste ihres Herzens schauen.
Da aber ist nichts als leerer Raum:
Bloss
Der Himmel hängt darin wie ein dunkelblauer Traum,
Und die Sterne wandeln zwischen den Rippen gelb und gross,
Und der Mond liegt wie ein goldener Embryo in ihrem hohlen Schoss.

12

Wir wollen aus allen Fenstern schwarze Fahnen hissen.
Wer darf noch von einer Hoffnung wissen?
Uns will keine Sonne, kein Mond mehr bescheinen.
An den Strassenecken stehen Hunde, die p …..,
Und Menschen, die weinen.

Und ein Hund springt auf einen andern Hund
Und Mann auf Mann: wie gleichgültig ist das alles:
Gut und böse, Nord und Süd.
Nur dass uns Erlösung für eine Sekunde blüht
Aus dem ewigen Dalles,
Dem ewigen Nichts,

Dem ewigen Ohne-Grund,
Dem Dunkel des Lichts.

Wen erpichts,
Hinter den Vorhang zu schauen,
Wo die fahrigen Mimen sich abschminken,
Alte Mädchen mit verrosteten Haarnadeln ihre Kahlköpfe krauen,
Der Bariton und die Souffleuse sich in die Arme sinken?
Wo es die Naive dem Helden zärtlich mit dem Munde macht?
Gute Nacht!

13

Nächtliches Fieber

Ich huste durch die Nächte hohl und heiss.
Die Stunde klingt. Es glänzt der Schweiss.

Ich bin durch seltne Hässlichkeit verschönt.
Ein Kabarett entfaltet sich und tönt.

Im Kahne schaukelt sich mein Kahlkopf kess.
Wenn mich ein Mädchen sähe, weinte es.

Mein Auge brennt. Die Arme flügeln leis.
In meinem Schnabel hängt ein Ölbaumreis.

14

Ironische Landschaften

Die schwarzen Augen dieser Frühlingsnacht –
Mir ist, als ob ich dort ein blondes Reh seh.
Der Mond hängt eine Mandel gelb und kracht.
Es riecht die Luft wie scharfer Chesterkäse.

Ich türme wie ein Kirchturm übers Feld.
Mir wird vor meinen eignen Füssen graulich.
Nun stehe ich, vom hohen Licht erhellt.
Und eine Hand erhebt sich weiss und fraulich.

15

Ach Gott, wir sind ja ganz und gar, vertattert,
Der eine Abend ist dem andern gleich.
Und jedes Auto rattert
Uns in dasselbe Himmelreich.

Da gehen Mädchen auf rasiertem Rasen,
Da steht wohl eine Bank, man setzt sich hin.
Die Militärmusiker blasen
Mir jene Stelle, wo ich sterblich bin.

Was weiss ich denn, als dass ich Kinder kriege,
Bald hier, bald da, wie es der Zufall will?
Es knarrt noch jede Stiege
Das nämlich dämliche Idyll.

Bei manchen Eltern setzt es fröhlich Hiebe,
Geht ihre kleine Dirne auf den Kies.
Was nützt es, wenn ich tausend Frauen liebe,
Und meiner Mutter Schoss mich von sich stiess …?

16

Früh um vier auf dem Nachhauseweg

Ich springe aus einem fremden Bett
Der Schweinebraten heute war ziemlich fett
Es rumort im Darm
Ich muss gehn
Ich glaube ich hielt den Mond im Arm
Er zelebrierte eine Hyazinthe im Maul
Bleib doch noch, Paul –
Auf Wiedersehn.

Was soll werden?
Weisst du das?
Friede auf Erden
Glück und Glas
Die letzte Untergrundbahn hab ich versäumt
Eine Autohaltestelle ist auch nicht in der Nähe
Auf der Nürnbergerstrasse wandeln zwei Rehe
Eine Droschke träumt
Von sich
Sie fuhr übern Strich
Dann untern Strich
Kobolz
Ins Feuilleton
Bon
Das Pferd ist aus Holz
Der Mann aus Stein
Bald wird es morgen sein.

Olga
Und Wolga
Reimt sich
Erster Kuss
Letzter Kuss
Ebenfalls.
Man brach in der Loge zu den drei Weltkugeln einigen Flaschen den Hals
Und einer Dame im Nerz
Das Gipsherz
(Gegen Blut empfand sie ein gewisses Odium)
Ich rezitierte auf einem Podium
Auf dem eine Guillotine stand:
Was ist des Deutschen Vaterland?
Aus einer benachbarten Kaschemme
Holte der Meister vom Stuhl mir persönlich eine Bemme.
Da sage einer noch, dass der Bürger seine Dichter hungern lässt
Es war ein phänomenales Fest.

Man hat mir am Wittenbergplatz
Meinen Wintermantel gestohlen (Applaus)
Dazu einen Kinderlatz

Und meine Brille.
Was immer geschieht: es geschieht Gottes Wille.
Durch meine Brille sieht die Welt wie ein frisch gebornes Ferkel so rosig aus.

Der ersten Strassenbahn Gebimmel.
Der Himmel
Glänzt wie ein Rasierspiegel
Herrgott hab ich Stoppeln am Kinn
Und wie widerlich ich im grossen ganzen bin
Selbsterkenntnis ist der erste Schritt –
Na Kleener, kommste mit?
Die Sterne fallen wie Schnee
Der Stern dort mein Herz zuckt rötlich
Und jener: mein Nabel?
Fabel-
haft – oder ists die grosse Zeh?
Ich langweile mich tödlich
Getreu bis zum Grab
Schieb ab, kleine Dirne,
Es leuchten die Firne
Schieb ab, schieb ab –
Die Kinder wie Ratten in den feuchten Kellern krepieren
Die Mütter in ihren dünnen Hemden frieren
Keine Kohle
Kein Brot
Keine Sohle
Kein Tod

Ein halbes Leben
Ein halbes Sterben
Gott im Himmel ich kann nicht vergeben –
Rachitische Braut
Aus deiner ledernen Haut
Wollen wir dir deine Hochzeitsschuhe gerben
Denn deine letzten Pantinen
Hat dir mit heitersten Mienen
Dein zweiter Kerl geklaut.

Es ist scheusslich kalt
In der Passage ist eine alte Frau erfroren
Sie hat auf die Steinfliesen ein blindes Kind geboren
Die Sitte nahm es mit: Kleines Biest
Sei froh dass du die Friedrichstrasse nicht siehst
Wie ein Vogel hat sich das Kind an den Schutzmann gekrallt
Aber der liebe Gott geht in einem angewärmten Schafpelz durch den Wald.
Er ist der liebe gute alte Mann
Dem man nicht böse werden kann
Er kommt wie der lahme
Revierförster angesackt
Achtung: Grossaufnahme
Letzter Akt
Monumentalfilm: Die Schöpfung (Die Schröpfung)
Titel: Gelobt sei dein Namen
In Ewigkeit Amen.

Epilog

An Irene

Ich habe Blatt um Blatt gewendet.
Das Buch ist leer. Und leer mein Blick.
Ist jener Vogel mir gesendet?
Und jene Knospe mein Geschick?

Hier bist du durch den Kies gegangen
Hier hing dein Lächeln im Gewölk.
Hier spieltest du mit Kindern Fangen.
Die Kühe kamen mit Gebölk

Und sahen dich mit den Pupillen
Verehrend an wie Gott und Tier.
Und auf dem Flusse dort die Zillen
Empfingen ihren Kurs von dir.

Der Mond strahlt hell, als strahle Hass er,
Und alles fliesst durch mich hindurch,
Als sei ein Glas ich oder Wasser,
Durchzuckt von Schleie, Frosch und Lurch.

Sie sind einander wohl wie Schwestern.
Wie Brüder sind sich Hund und Hain.
Ich aber geh als ewiges Gestern
Ins Übermorgen dunkel ein.