Von Klabund oder dem Individualitätsschwindel

Man wird in Zukunft den Dichter nach dem Grad seiner persönlichen Sauberkeit zu beurteilen haben, dann kommt die richtige Stellung­nahme zu seinem Werk von selbst (wir haben ja „Köpfe“ unter den Kritikern). Persönliche Sauberkeit schließt politische mit ein. Nur dem Individualitätstrottel wird die Notwendigkeit nicht aufstoßen können, zwischen zwei sich hart gegenüberstehenden Weltanschauungen wählen zu müssen. Man betrachtet Dichtung auch heute noch als den großen Bottich, in dem Jeder „auf öffentlichem Markt seine schmutzige Wäsche wascht. Gewiss sehr löblich, daß es überhaupt geschieht – immerhin ein Zeichen von verstecktem Verantwortungsgefühl gegen sich selbst. Dabei vergessen aber diese Herren ganz, daß ihre ihnen so wichtig scheinende Person heute für die Masse ohne Bedeutung ist. Die Masse braucht Bewegung, die sie treibt, Kraft aus ihr geschöpft über sie hinausgetragen, Energie in ihr gesammelt vorstoßend zur Macht Was will der Einzelne darin, der auf seinem Recht als „Individualität“ be­steht? Dieses genannte Verantwortungsgefühl ist immer nur für Backfische berechnet, die bekanntlich mit dem Mond korrespondieren und Interesse für erotische Unterwäsche haben. Die Weltgeschichte wird nicht auf dem Mond auch nicht von Backfischen gemacht Ergo . . . Aber das nur nebenbei.

Herr Klabund, der Wandelbare (alias Alfred Henschke), verteidigt sich in der „Literarischen Welt“ Nr. 6. 1. Jahrgang. Gegen bolschewistischen Verdacht, indem er beteuert, die Rede des Tschang-ling im „Kreidekreis sei wörtlich dem chinesischen Original entnommen. Das zeugt für den Bolschewismus und gegen Klabund. In der Nr. 14. 1. Jahrgang „Die Volksbühne“ schreibt er bezüglich seines letzten Dramas „Bren­nende Erde: „Ich muss auch gegen die Auffassung energisch protestieren, als ob es sich in meinem Drama um pseudopazifistische und antibolschewistische Ideen handle. Klabund heißt „Wandlung. Dieses nur als interessantes Beispiel für die Geschäftstüchtigkeit des schriftstellernden Burgers hinter der Maske eines bekenntniswütigen Individualismus, der – wie gesagt – seine Vorzuge für den Einzelnen haben mag, nicht aber für die Gesamtheit, der er dienen sollte. Die berühmte, scheinbar chronische deutsche Versreimerei hat zu einer erschreckenden Urteilslosigkeit der Kritik, des Publikums geführt. Der Berg wurde aus­einandergeweht – in individualistische Sandkörnchen. Man kann auch von einer babylonischen Gedankenverwirrung sprechen. Aber das führte zu weit.

Klabunds „Chinesische Nachdichtungen haben den Kritiker, wohl auch ihn selbst in dem Glauben bestärkt, seine Gedichte waren eben­falls gut. Die Wirkung durch Gedichte ist minimal: Gedichte sind nicht spannend, daher werden sie wenig gelesen. Auf diese Weise fällt wenigstens auch viel Minderwertiges unter den Tisch. Anders ist es mit erzählender Prosa, deren mehr oder weniger starke Plastik haften bleibt.    Hier  liegt  die  Gefahr  bei  Klabund,  vor  der  zu  warnen ist.

Sein ..Kreidekreis“ hat ihn berühmt gemacht (die Trommel macht das. Geschäft, das Geschäft die Mode. die Mode die Berühmtheit, Berühmt­heit . . . das Geschäft). Klabund hier. Klabund dort. Die Verwandlungen treten häufig auf, verwirren, wickeln ein: der Burger staunt, lächelt, glaubt, betet an . . . auch Herrn Klabund. Bitte sehr. Suum cuique. Es ist aber nicht so. Auch Homer schlaft zuweilen: Die „Gruppe 1925″ vermag Gold von Messing nicht zu unterscheiden. Unter die „Geistesrevolutionären“ (schöne Worte) mischt sich das Lumpen­proletariat, schnorrt, schmarotzt, streicht sich nach außen mit denselben Farben an (die sich natürlich wieder abwaschen lassen). Bewegungen werden bekanntlich nicht gestärkt. wenn Mitläufer die Überzahl be­kommen. Der Stoßkraft einer Idee wird die Spitze abgebrochen. Das bürgerliche Kuckucksei verdirbt das Nest. Man komme mir nicht mit Phrasen wie „Ethos der Kunst, Kosmopolitismus, Pantheismus usw. Ich meine Alles ganz konkret. Jawohl. Herr Klabund. Sie trifft der Vorwurf nicht allein. Sie sind in guter Gesellschaft, habe nur das Unglück, als Beispiel zu dienen.

Der Erzähler Klabund: Ich verneine Bucher, um ihrer selbst willen geschrieben. Ich verneine  die  Notwendigkeit  von Krankengeschichten und   Fiebertabellen,   ich   verneine   die   Ansicht,   daß schriftstellerische Selbstbeweihräucherung  mit   Kunst  identisch   ist.  Ergo . . .   Klabund läuft an der Welt vorbei. Davos wird nicht zum Sinnbild der Welt es bleibt ein Krankenhaus, mit dem wir nichts zu schaffen haben wollen. Wir  interessieren uns nicht,  wievielmal monatlich Blut gespuckt wird wieviel Mädchen „geliebt werden … alles aus unbestimmter „Sehnsucht. Wir interessieren uns nicht   für  schwärmerisches   Geschwätz,   in das kleine Erlebnisse  zu  großen Aufrichtigkeiten aufgebauscht werden. Wir lehnen  ab  den Zug  ins Spukhaft-Verzerrte,  der  nicht  wie bei Kubin oder  Kafka  aus  weltanschaulicher  Einstellung  und Verantwortlichkeit herkommt, sondern die Unfähigkeit, künstlerisch zu gestalten, zu gliedern ummanteln soll. Sie  rühmen sich einer außerordentlichen Sachlichkeit Herr Klabund – (Literarische Welt Nr. 26   2. Jahrg.) –  die Stelle die Sie anführen (Moreau) finde ich deplatziert. Sachlichkeit liegt nicht m  angeführten Buchtiteln  mit Verlagsangabe Sachlichkeit  geht Hand in Hand   mit   der  Notwendigkeit   der   Kunst  und   Persönlichkeit des Künstlers. Subjektivistische Wanzenschüttelei, seliges Wiegen in nebel­haftem Pantheismus (Franziskus) bringt uns nicht vorwärts. „Mohammed“ wird   uns  nicht helfen,   nicht der Ambraduft des ganzen Ostens, wen wir uns  nicht  selbst   zu   helfen   wissen.    Nicht die Lyrik des passiver östlichen Menschen,  der  übrigens   gar   nicht   mehr   so   passiv   ist. Uns hilft nicht „Moreau“, der „Gottessoldat“,  der  zum Totschlagen etwa reichlich  den lieben Gott   bemüht,  dem   scheinbar ein Madchenkuss die Kraft nahm, die Seuche des napoleonischen Größenwahns zu bekämpfen Und dann der  „Bracke“, diese  unselige Eulenspiegelfigur, der ästhetisierende Revolutionär,  der Graf und Kaiser   die Wahrheit sagt. dann sein Fell in Sicherheit bringt. Hier sind wenig positive Sätze, und doch verschleiert in historischen Spinngeweben, mit verbindlichem Lächeln ohne tiefergehende Wirkung. Dieser „Geistesrevolutionär“ Bracke kennzeichnet Grenzen und Möglichkeiten des heutigen Schriftstellertums. das innere Fäulnis mit Narrenschellen beseitigen will nach dem Rezept: wasch mir den Pelz, mach mich nicht naß. Die Ahnungslosigkeit des größten Teiles unserer „schreibenden Welt ist der Beweis für bürgerliche Vertrottelung, das intellektuelle Kreuzworträtselraten der Beweis für grenzenlose Hilflosigkeit. Der Hang zur Einfachheit (Doeblin) wird ein frommer Wunsch. wenn wir nicht aus den Pubertätsjahren zu einem aktiven politischen Stil vordringen. Pardon. Herr Klabund. Dies Alles nur nebenbei. Ihre Theater sind voll. Sie sind ein großer Dichter. Auch das nur nebenbei.

Von Hanns Georg Brenner – Berlin