Völkermord an den Armeniern

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Der Völkermord an den Armeniern war einer der ersten systematischen Genozide des 20. Jahrhunderts. Er geschah während des Ersten Weltkrieges unter Verantwortung der jungtürkischen, vom Komitee für Einheit und Fortschritt gebildeten Regierung des Osmanischen Reichs. Bei Massakern und Todesmärschen, die im Wesentlichen in den Jahren 1915 und 1916 stattfanden, kamen je nach Schätzung zwischen 300.000 und mehr als 1,5 Millionen Menschen zu Tode. Die Schätzungen zur Zahl der Armenier, die während der Verfolgungen in den beiden vorangegangenen Jahrzehnten getötet wurden, variieren zwischen 80.000 und 300.000.

Die Ereignisse, die von den Armeniern selbst mit dem Begriff Aghet („Katastrophe“) bezeichnet werden, sind durch umfangreiches dokumentarisches Material aus unterschiedlichen Quellen belegt. Weltweit erkennen die weitaus meisten Historiker diesen Völkermord daher als Tatsache an. Die Armenier sehen in ihm ein ungesühntes Unrecht und fordern seit Jahrzehnten ein angemessenes Gedenken auch in der Türkei. Dagegen bestreiten die offizielle türkische Geschichtsschreibung und die Regierung der aus dem Osmanischen Reich hervorgegangenen Republik Türkei, dass es sich um einen Völkermord gehandelt habe. Sie bezeichnen die Deportationen als „kriegsbedingte Sicherheitsmaßnahmen“, die notwendig geworden seien, da die Armenier das Osmanische Reich verraten, seine damaligen Kriegsgegner unterstützt und ihrerseits Massaker an Muslimen begangen hätten. Die Todesfälle führen sie auf ungünstige Umstände und lediglich vereinzelte Übergriffe zurück. Der Streit um die Anerkennung des Genozids als historische Tatsache belastet bis heute die Beziehungen zwischen der Türkei einerseits und Armenien sowie zahlreichen westlichen Staaten andererseits.

Vorgeschichte

Gesellschaftsstruktur und Demographie

Die Armenier bildeten nach den Griechen die zweitgrößte christliche Minderheit im Osmanischen Reich. Dessen nicht-muslimische Bevölkerungsgruppen waren nach ihrer Religionszugehörigkeit in Millets – d. h. in anerkannten, rechtlich geschützten „Glaubensnationen“ – organisiert. Die Armenier galten aus osmanischer Sicht traditionell als „loyale Nation“ (osmanisch: millet-i sadika), konnten ihren Glauben ohne wesentliche Einschränkungen ausüben und hatten innerhalb des osmanischen Staates durchaus Möglichkeiten, Ehre, Wohlstand und Status zu erwerben. Gleichwohl waren sie – wie orthodoxe Griechen, Juden und andere religiöse Minderheiten – nicht den Muslimen gleichgestellt. Sie mussten eine zusätzliche, nach dem Vermögen abgestufte „cizye“ genannte Kopfsteuer zahlen, die 1856 durch eine Militärbefreiungssteuer (bedel-i-askerî) ersetzt wurde. Sie waren rechtlich unterprivilegiert und mitunter diskriminierender Behandlung ausgesetzt.

Um 1800 lebten die Armenier mehrheitlich unter osmanischer Herrschaft. Ihre Hauptsiedlungsgebiete im Osmanischen Reich lagenim heutigen Ostanatolien – im Gebiet von Erzurum, Kars, Van und Diyarbakır,
in Kilikien bei Adana und Maraş,

in den osmanischen Metropolen Alexandrien, Smyrna (İzmir) und vor allem in Konstantinopel.

Vor dem Ersten Weltkrieg stellten die Armenier mit 1,7 Millionen Menschen ungefähr zehn Prozent der Bevölkerung Anatoliens. Ihre Zahl übertraf in keinem Vilâyet (Großprovinz) die der Muslime. Dies war 1896 nur in wenigen Kazas (Gerichtsbezirken) der Sandschaks Van und Siirt (Saird oder Sairt) der Fall. Als Minderheit waren sie jedoch unübersehbar. Die türkische Regierung gab ihre Zahl später mit 1,3 Millionen an. Das armenisch-apostolische Patriarchat von Konstantinopel ging dagegen nach einer Volkszählung, die es 1913/14 in seinen Gemeinden abhalten ließ, von knapp 2 Millionen Kirchenmitgliedern im Osmanischen Reich aus.

Osmanen und Armenier in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Reformversuche, Nationalismus und Zuspitzung der innenpolitischen Lage

Im 19. Jahrhundert befand sich das multiethnische Osmanische Reich im Niedergang. Der sogenannte „Kranke Mann am Bosporus“ fiel wirtschaftlich und militärisch immer weiter hinter seine europäischen Rivalen zurück. Im Inneren störte das erwachende Nationalbewusstsein seiner Völker und Ethnien zunehmend das „empfindliche Gleichgewicht zwischen offizieller Ungleichheit und relativer Toleranz“.

In der Tanzimat-Periode (1839–1876) versuchte das Reich, sich durch Übernahme westlicher Konzepte zu reformieren. Europäische Mächte mahnten solche Reformen häufig an; damit verfolgten sie auch eigene Interessen. Das Russische Kaiserreich etwa, das sich als Schutzmacht der  orthodoxen und altorientalischen Kirchen im Osmanischen Reich betrachtete, versuchte im Rahmen seiner Expansionspolitik, die anatolischen Armenier für dessen Destabilisierung zu instrumentalisieren. Unter dem Druck äußerer Ereignisse wie der Balkankrise von 1876 führte Sultan Abdülhamid II. die Reformen seiner Vorgänger zunächst weiter und verpflichtete sich in Artikel 61 des Berliner Vertrages von 1878, die Armenier vor Übergriffen durch die Kurden zu schützen und ihnen im Zuge einer Verwaltungsreform gewisse Autonomierechte zu gewähren. Diese Verpflichtungen wurden jedoch nie umgesetzt, denn Abdülhamid II., der ihnen ohnehin nur halbherzig zugestimmt hatte, löste noch während des Russisch-Türkischen Krieges im Februar 1878 das Parlament für unbestimmte Zeit auf.

Zu den Konflikten, die die Beziehungen zwischen den ethnisch-religiösen Gruppen im 19. Jahrhundert zunehmend prägten, zählten ein permanenter Landkonflikt, verstärkt durch die Ansiedlung muslimischer Flüchtlinge aus dem Kaukasus und Europa in Ostanatolien (besonders nach 1878), und das häufig als unterdrückerisch wahrgenommene Verhältnis zwischen armenischer Landbevölkerung und kurdischen Lokalfürsten und deren Familienclans. Die europäisch sozialisierten Armenier in der Westtürkei hingegen zeichneten sich teilweise durch einen hohen Lebensstandard und soziale Aufwärtsmobilität aus und erregten so Neid und Missgunst unter den sich benachteiligt fühlenden Muslimen. Der Sultan sowie konservative und liberale Eliten des Reiches sahen mit wachsendem Argwohn, dass ein kleiner Teil der armenischen Führungsschicht Reformen anstrebte und Schutz durch europäische Mächte suchte. Abdülhamid II. war entschlossen, dieser vermeintlichen Bedrohung energisch zu begegnen. Bei den Armeniern in den osmanischen Ostprovinzen wiederum erzeugte die Verschleppung der 1878 zugesagten Reformen eine permanente Unzufriedenheit. Ihre Unabhängigkeitsbestrebungen verstärkten sich, unterstützt auch von den politischen Parteien, die in den 1880er Jahren neu entstanden. Als erste wurde 1885 in Van die gemäßigte Partei Armenakan Kasmakerputjun (Armenische Organisation) gegründet. Radikale Forderungen nach Unabhängigkeit erhoben dagegen die 1887 gegründete Sozialdemokratische Huntschak-Partei und die Glocken-Partei, die selbst den Einsatz terroristischer Mittel für gerechtfertigt hielten. 1890 formierte sich die Daschnak-Partei, die einen Volkskrieg gegen die osmanische Regierung propagierte. 1890 begannen armenische Terroristen auch mit der gezielten Ermordung osmanischer Beamter.

Das Ziel der Daschnak-Partei war es, alle bis dahin existierenden revolutionären Kräfte zu vereinen, doch schon bald trennte sich die Huntschak-Partei von ihr. Letztere verlor an Effektivität, als sie sich 1896 in zwei verfeindete Lager spaltete. In der Folgezeit war die Daschnak der Hauptakteur der revolutionären Bewegung der Armenier. Neben den politischen Parteien entstanden ab 1885 durch Eid verschworene Kampfgruppen der armenischen Landbevölkerung, die sich als „Selbstschutzverbände“ verstanden und sich Hajdukner oder Fedajiner nannten. Im Gegenzug schuf der Sultan ab 1891 irreguläre Kavallerieeinheiten nach dem Vorbild der Kosaken und in der Tradition der Akıncı und Deli, die ihm zu Ehren Hamidiye genannt wurden. Sie rekrutierten sich vorwiegend aus regierungsloyalen kurdischen Stämmen und wurden mit Steuerfreiheit sowie dem Recht auf Plünderung belohnt. Offiziell sollten sie die Grenzen zu Russland schützen, tatsächlich aber als innenpolitische Kampftruppe gegen die Armenier dienen. Bis heute (Stand 2006) ist unklar, ob Abdülhamid II. die folgenden Massaker der ihm unterstehenden Hamidiyean an armenischen Aufständischen befürwortet oder befohlen hat.

Massaker der Jahre 1894 bis 1896

Der wachsende Nationalismus verstärkte die ohnehin schon lange bestehenden Spannungen zwischen Armeniern und Kurden. Diese hatten eine Ursache im Streit um die so genannten kischlak (Winterweiden) der kurdischen Hirtennomaden in armenischen Dörfern. Zudem trieben die Kurden – auch mit Gewalt – irreguläre Abgaben in Form von Geld, Naturalien oder Frondiensten von den Armeniern ein, die wie alle osmanischen Staatsangehörigen unter einem enormen Steuerdruck standen. Die osmanischen Behörden konnten oder wollten die Armenier vor solchen Willkürakten oft nicht schützen. Die Spannungen entluden sich in den Jahren 1894–1896 schließlich in zahlreichen Pogromen an den Armeniern.

Deren Auslöser war die erfolgreiche Abwehr kurdischer Eindringlinge aus der Region um Diyarbakır durch die als wehrhaft geltenden Armenier von Sason im Jahr 1893. Diese schlugen auch einen erneuten Angriff zurück, zu dem die osmanischen Behörden die Kurden ermuntert hatten. Im Sommer 1894 weigerten sich die Sasun-Armenier, die von der Regierung und den örtlichen kurdischen Stammesführern eingeforderte doppelte Steuerlast zu bezahlen. Aktivisten der Huntschak-Partei versuchten, diese Steuerrevolte, die schließlich 25 Dörfer erfasste, zu nutzen und einen landesweiten Aufstand auszulösen. Beim Widerstand von Sason 1894 kam es zwar zu bewaffneten Auseinandersetzungen, ein allgemeiner armenischer Aufstand blieb jedoch aus. Dennoch schlug die osmanische Staatsmacht mit aller Härte zurück. Türkisches Militär und irreguläre Hamidiye-Einheiten in einer Stärke von etwa 3000 Mann stürmten im August nach mehr als zweiwöchigen blutigen Kämpfen die aufsässigen Dörfer. Sie töteten zwischen 900 und 4000 Armenier und zerstörten 32 der 40 armenischen Dörfer der Region. Aufgeschreckt durch die Vorfälle in Sasun verlangten die übrigen europäischen Staaten verstärkt nach Reformen und nach Autonomie für die sechs östlichen Vilayets, in denen die meisten Armenier lebten. Da diese Reformen erneut ausblieben, unterbreiteten Großbritannien, Frankreich und Russland dem Osmanischen Reich im April 1895 einen eigenen Vorschlag.

Als der Sultan darauf nicht reagierte, organisierte die Huntschak-Partei am 30. September 1895 eine Protestdemonstration in Konstantinopel, die von der Polizei zusammengeschossen wurde. Rund 20 Demonstranten wurden dabei getötet. Aufgehetzte türkische Gegendemonstranten verfolgten die flüchtenden Armenier und erschlugen viele von ihnen. Etwa 3000 Armenier, die sich in ihre Kirchen geflüchtet hatten, wurden dort tagelang belagert, ohne dass die türkische Polizei dagegen einschritt. Erst auf Vermittlung der russischen Botschaft fanden die Übergriffe in der Hauptstadt ein Ende.

In Trabzon am Schwarzen Meer kam es zu weiteren Massakern an den Armeniern mit mehreren hundert Toten, und die Pogrome griffen auch rasch auf das Hochland über. Im Februar 1896 wurde die Niederschlagung eines angeblichen Armenieraufstands in Zeytun/Ulnia, dem heutigen Süleymanlı bei Maraş, nach monatelangen Kämpfen erst durch Vermittlung der Großmächte beendet.

Am 26. August 1896 besetzten 25 Daschnaken die Ottomanische Bank in Konstantinopel und nahmen deren 160 Angestellte als Geiseln. Sie forderten Autonomie für die armenischen Provinzen unter Aufsicht europäischer Mächte, die Freilassung armenischer Gefangener und die Rückgabe beschlagnahmten Eigentums. Zwar wurden diese Forderungen nicht erfüllt, den Geiselnehmern aber freier Abzug nach Frankreich gewährt. Als Reaktion darauf kam es in Konstantinopel zu überaus blutigen Übergriffen auf Armenier von Seiten der Türken, die 6.000 bis 14.000 Tote forderten. Alle Berichte ausländischer Diplomaten stimmten darin überein, dass die Mörder organisiert und in Absprache mit den Behörden handelten. Nachdem es schon im Juni 1896 zu Massakern an Armeniern in Van und Umgebung gekommen war, folgten im September weitere in Egin und Niksar.

In den Pogromen der Jahre 1894–1896 wurden schätzungsweise 80.000 bis 300.000 Menschen getötet. Darüber hinaus starben Zehntausende obdachlose Armenier in den Folgejahren durch Hunger und harte Winter. 1897 zählte das armenische Patriarchat 50.000 Waisenkinder. Die osmanische Regierung schränkte die Bewegungsfreiheit der Armenier zwischen den Bezirken bis 1908 ein, wodurch der Handel drastisch zurückging. Dennoch fallen die Massaker dieser Jahre „nicht in die Kategorie des Völkermords (…) Das Ziel war eine harte Bestrafung, keine Ausrottung.“ Es handelte sich auch nicht um sogenannte ethnische Säuberungen, da die Armenier nicht generell aus ihren Heimatgebieten vertrieben, sondern vielmehr „auf ihren Platz zurückgedrängt werden“ sollten.

Weitere Entwicklung bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs

Nach dem Ende der großen Pogrome von 1894 bis 1896 blieb die Lage zwischen den Volksgruppen angespannt, obgleich es auch Beispiele gemeinsamer Proteste von Armeniern und Türken gegen die Steuerpolitik der Hohen Pforte gab. Bereits 1904 kam es abermals zu schweren Kämpfen in der Region Sasun, und am 21. Juli 1905 verübten die Daschnaken einen Anschlag auf Abdülhamid II. Der Sultan blieb unverletzt, doch kamen dabei 28 Menschen zu Tode. Terrorakte wie dieser bestärkten viele Türken in ihrer Sichtweise, dass von den Armeniern eine permanente Bedrohung ausgehe. Sie weckten oder verstärkten antiarmenische Ressentiments.

Eine Verbesserung ihrer Lage versprachen sich die Armenier zunächst vom Machtantritt der Jungtürken. Diese Oppositionsgruppe, die sich gegen die despotische Amtsführung Abdülhamids II. formiert hatte, kam im Zuge der konstitutionellen Revolution von 1908 an die Macht und zwang den Sultan im selben Jahr, die Verfassung wieder in Kraft zu setzen. Die Bewegung, die aus verschiedenen, zum Teil widerstreitenden Fraktionen bestand, versuchte zu Beginn, ein parlamentarisch-konstitutionelles Regierungssystem im Osmanischen Reich zu etablieren, das auch christlichen und nichttürkischen muslimischen Minderheiten des Vielvölkerstaats Mitbestimmungs- oder Autonomierechte gewährte. Doch relativ rasch gewannen bei den Jungtürken autoritaristische, nationalistische und panturkistische Vorstellungen die Oberhand, vor allem innerhalb des Komitees für Einheit und Fortschritt (türkisch İttihad ve Terakki Cemiyeti). Das 1889 als Geheimorganisation gegründete Komitee übte schon bald die eigentliche Macht aus. Insbesondere Enver Bey, der spätere Kriegsminister Enver Pascha, strebte nach der Errichtung eines „Großtürkischen Turanischen Reiches“ unter Einbeziehung Aserbaidschans, Turkestans und sogar von Teilen Chinas. Nach der englischen oder französischen Bezeichnung für die Organisation (Committee of Union and Progress oder Comité Union et Progrès; abgekürzt: CUP) wurden ihre Mitglieder auch Unionisten genannt.

Im März 1909 scheiterte der Versuch Sultan Abdülhamids II., den infolge der Bosnischen Annexionskrise innenpolitisch geschwächten Jungtürken die Macht wieder zu entreißen. Dies führte nicht nur zu seiner Absetzung, sondern auch zu schweren Übergriffen auf Armenier im kilikischen Adana und in den umliegenden Gebieten. Zwischen 15.000 und 20.000 Armenier fanden innerhalb weniger Wochen den Tod. Vor der kilikischen Küste kreuzten zwar Kriegsschiffe Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Italiens, Österreichs, Russlands und der USA, deren Besatzungen schritten jedoch nicht ein, obwohl sie die Massaker möglicherweise hätten beenden können. Die von der Regierung in Konstantinopel verfügte Hinrichtung von 134 „Schuldigen“ – 127 Muslime und 7 Armenier – konnte angesichts des Ausmaßes dieser Ereignisse kaum zur Beruhigung der Lage beitragen.

Aufgrund der Niederlagen des Osmanischen Reiches im Tripoliskrieg und im Ersten Balkankrieg verschärfte sich die Lage für die Minderheiten in den Jahren 1912 und 1913 abermals. Infolge der gewaltigen türkischen Gebietsverluste, für die das Komitee für Einheit und Fortschritt „illoyale Bevölkerungsgruppen“ mitverantwortlich machte, radikalisierte es sich stark. 1913 unternahm das „jungtürkische Triumvirat“ Enver Bey, Talât Bey (der spätere Großwesir Talât Pascha) und Cemal Bey (der spätere Marineminister Cemal Pascha) einen Staatsstreich und etablierte ein diktatorisches System, das gewillt war, künftig gegen die „inneren Feinde“ vorzugehen. Die bedrängten Armenier wandten sich ans Ausland um Hilfe. Insbesondere Russland, das sich davon die Loyalität seiner eigenen armenischen Minderheit sowie eine weitere Destabilisierung des Osmanischen Reiches versprach, rang daraufhin der jungtürkischen Regierung am 8. Februar 1914 die Unterzeichnung des armenischen Reformpakets ab: Die Hamidiye sollten entwaffnet, internationale Beobachter nach Ostanatolien entsandt, Regionalwahlen abgehalten und die Regionalsprachen offiziell zugelassen werden.

Bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs hatten die wiederholten Übergriffe und damit verbundenen Auswanderungswellen – vor allem in die russischen Kaukasusgebiete – den armenischen Bevölkerungsanteil bereits erheblich zurückgehen lassen. Zwischen 1882 und 1912 war die Zahl der Armenier im Osmanischen Reich bereits um ein Drittel gesunken. Als 1914 der Krieg ausbrach, gab es in keinem der ostanatolischen Vilayets – mit Ausnahme Vans – noch eine armenische Bevölkerungsmehrheit.

Der Völkermord

Ausgangslage

Am 14. November 1914 trat das Osmanische Reich an der Seite der Mittelmächte in den Ersten Weltkrieg gegen die Entente ein, zu der auch Russland gehörte. Die jungtürkische Regierung nutzte die Gelegenheit, die verhassten Verträge mit dem Ausland zu kündigen, die die Souveränität des Osmanischen Reiches beschränkten: Die Kapitulationen des Osmanischen Reiches, die Administration de la Dette Publique Ottomane und das armenische Reformpaket. Kurz darauf begannen auch wieder die Überfälle auf armenische Dörfer, sowohl im Osten Anatoliens als auch jenseits der Grenzen zu Russland und Persien, die häufig von der jungtürkischen „Spezialorganisation“ Teşkilât-ı Mahsusa organisiert wurden.

Getrieben vor allem von pantürkischen Vorstellungen, aber auch von dem Wunsch, die Gebiete zurückzuerobern, die das Osmanische Reich in früheren Kriegen an Russland verloren hatte, befahl die osmanische Regierung Ende 1914 eine groß angelegte Offensive im Kaukasus. Diese endete jedoch bereits um die Jahreswende 1914/15 mit einer verheerenden Niederlage in der Schlacht von Sarıkamış. Im Zuge der russischen Gegenoffensive gingen dem Reich weitere Gebiete verloren.

Einige Armenier unterstützten die russische Armee in der Hoffnung auf Unabhängigkeit, und armenische Freiwilligenbataillone kämpften auf russischer Seite. Beides verstärkte bei der jungtürkischen Führung „das Zerrbild eines angeblichen armenischen Sabotageplans“. Obwohl die Mehrheit der armenischen Zivilisten und Soldaten gegenüber dem Osmanischen Reich loyal geblieben war, machte die Staatsführung die Armenier nun kollektiv für die militärischen Probleme in Ostanatolien verantwortlich. Sie nahm den russischen Einmarsch als Vorwand, das Gros der armenischen Bevölkerung zu deportieren, was unter den gegebenen Umständen einem „Massenmord gleichkam“.

Vorbereitung und auslösende Faktoren

Wann genau das jungtürkische „Komitee für Einheit und Fortschritt“ den Beschluss fasste, die Armenier als Ganzes zu vernichten, lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen, da entsprechende Dokumente entweder fehlen, nicht zugänglich sind oder nie existierten. Letzteres könnte auf den konspirativen Charakter des „Komitees für Einheit und Fortschritt“ zurückzuführen sein, das wichtige Befehle üblicherweise mündlich erteilte. Die zunächst bedrohliche Kriegssituation aufgrund der verlorenen Schlacht von Sarıkamış und die Frustration der jungtürkischen Führung werden als ebenso wichtige Elemente der Vorgeschichte der Vernichtung angesehen wie die ersten osmanischen Erfolge in der Schlacht bei Gallipoli im März 1915. Im Zeitraum von Mitte März bis Anfang April 1915 dürften jedenfalls die entscheidenden Voraussetzungen für die kommenden Ereignisse geschaffen worden sein.

Als erster Schritt wurden im Februar 1915 die armenischen Soldaten der osmanischen Armeen entwaffnet und anschließend entweder getötet oder in Arbeitsbataillonen zusammengefasst. Wenig später folgte die Hinrichtung der Angehörigen mehrerer dieser Bataillone. An diesen und den folgenden Aktionen war hauptsächlich die von Bahattin Şakir geleitete Spezialeinheit Teşkilât-ı Mahsusa beteiligt, der vermutlich noch weitere Freiwilligenformationen (türkisch Çete) aller Art zugerechnet werden müssen. Diese Spezialeinheit bestand aus Kurden, freigelassenen Strafgefangenen und Flüchtlingen aus dem Balkan- und Kaukasusgebiet.

Vor dem eigentlichen Deportationsgesetz vom 27. Mai 1915 fanden bereits im Februar und April die ersten Deportationen in Anatolien statt, die jedoch noch nicht die planmäßige Vernichtung zum Ziel hatten und sich deshalb auf die Überführung von Bevölkerungsteilen aus Adana, Zeytun und Dörtyol ins Landesinnere beschränkten. Auch in diesem Zusammenhang ist nicht völlig geklärt, wann der Entschluss gefasst wurde, die Deportationen so ablaufen zu lassen, dass sie zum Tod möglichst vieler Armenier führen mussten.

Im April 1915 erhoben sich Armenier in Van, in der Folge kam es zu Gräueltaten gegen die muslimische Bevölkerung.[39] Ob dieser Aufstand und die revolutionäre Gewalt der Huntschak-Aktivisten eine Reaktion auf die zunehmenden Repressionen darstellte oder im Gegenteil der Zentralregierung als Rechtfertigung dafür diente, mit den Deportationen der Armenier zu beginnen, ist in der Forschung umstritten.[47] Ferner gab es die sogenannten armenischen Fedajin, die von Persien oder Russland aus „in ganz Armenien Schrecken bei Türken und Kurden“ verbreiteten.

Ablauf

Verhaftung der armenischen Elite

Der Völkermord begann am 24. April 1915 mit Razzien gegen armenische Intellektuelle in Konstantinopel, die in Lager bei Ankara deportiert wurden. Die Initiative ging von Innenminister Talât Bey aus, der sich gegen den Widerstand von Kollegen, die internationale Verwicklungen befürchteten, mit seinem Vorhaben durchsetzen konnte, die Armenier aus der Hauptstadt zu entfernen. Am 24. und 25. April 1915 wurden zunächst 235 Personen verhaftet. Laut offizieller Darstellung vom 24. Mai 1915 betrug die Zahl der Verhafteten 2.345. In den Akten des Auswärtigen Amtes des Deutschen Reiches werden weitere Verhaftungen und Deportationen von Armeniern Konstantinopels erwähnt und teilweise in Einzelheiten beschrieben. Sie geschahen im Laufe des Jahres 1915 trotz der Versicherung der osmanischen Regierung, die Armenier Konstantinopels zu schonen. Letztlich konnten die meisten Armenier in Konstantinopel verbleiben, wohl weil die Jungtürken die Aufmerksamkeit der in Konstantinopel zahlreich vertretenen westlichen Ausländer scheuten. Der 24. April gilt als der offizielle Gedenktag für den Völkermord an den Armeniern.

Deportationen

Nun begannen die Massendeportationen der Armenier aus ihren angestammten Wohnsitzen in die syrische Wüste und die mesopotamische Wüste. Die Entente-Mächte reagierten rasch und verabschiedeten am 24. Mai 1915 eine gemeinsame Erklärung, in der der „Ausrottungsfeldzug gegen die Armenier“ als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verurteilt und den daran beteiligten Angehörigen der osmanischen Regierung gedroht wurde, man werde sie zur Verantwortung ziehen. Als Reaktion darauf erließ die türkische Regierung am 27. Mai 1915 ein Deportationsgesetz, das die Sicherheitskräfte anwies, die Armenier einzeln oder insgesamt zu deportieren. Die Armee wurde beauftragt, Opposition oder bewaffneten Widerstand gegen Befehle der Regierung, gegen die Landesverteidigung oder gegen die öffentliche Ordnung unverzüglich mit äußerster militärischer Gewalt zu unterdrücken. Es liegen Berichte darüber vor, dass Grundstücke von Deportierten per Gesetz zwangsübertragen, Barmittel und zurückgelassene bewegliche Habe „vereinnahmt“ wurden.[59] Es sind keine Fälle bekannt, in denen Deportierte für die Enteignung entschädigt wurden. In Häusern verbliebene Möbel und Gegenstände wurden geplündert. Vielfach wurden Gold und Schmuck unterwegs geraubt. Ein weiteres Gesetz verbot es, den Armeniern irgendwelche Nahrungsmittel abzugeben

In Erzurum kabelte Hilmi Bey, der Inspektor des „Komitees für Einheit und Fortschritt“ an Bahaettin Şakır:

„Es gibt Individuen innerhalb des Landes, die beseitigt werden müssen. Wir verfolgen diese Perspektive.“

Im Juni 1915 schrieb der deutsche Botschafter Hans von Wangenheim aus Konstantinopel an den deutschen Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg:

„Daß die Verbannung der Armenier nicht allein durch militärische Rücksichten motiviert ist, liegt zutage. Der Minister des Innern Talaat Bey hat sich hierüber kürzlich gegenüber dem zur Zeit bei der Kaiserlichen Botschaft beschäftigten Dr. Mordtmann ohne Rückhalt dahin ausgesprochen, daß die Pforte den Weltkrieg dazu benutzen wollte, um mit ihren inneren Feinden – den einheimischen Christen – gründlich aufzuräumen, ohne dabei durch die diplomatische Intervention des Auslandes gestört zu werden; das sei auch im Interesse der mit der Türkei verbündeten Deutschen, da die Türkei auf diese Weise gestärkt würde.“

Ebenfalls im Juni berichtete der Generalkonsul in Konstantinopel Johann Heinrich Mordtmann:

„Das läßt sich nicht mehr durch militärische Rücksichten rechtfertigen; es handelt sich vielmehr, wie mir Talaat Bej vor einigen Wochen sagte, darum die Armenier zu vernichten.“

Bis in den Juli des Jahres 1915 hinein wurden die meisten Armenier zunächst in ihren Hauptsiedlungsgebieten an einigen Orten konzentriert, überwiegend in den Hauptstädten der betroffenen Vilayets. Sie wurden entweder gleich dort von türkischen Polizisten und Soldaten oder kurdischen Hilfstruppen ermordet oder auf Befehl Talâts ab dem 27. Mai 1915 auf Todesmärsche über unwegsames Gebirge Richtung Aleppo geschickt. Dabei ging es nicht um eine „Umsiedlung“, wie die offizielle türkische Diktion lautet. Max Erwin von Scheubner-Richter, der damalige deutsche Vizekonsul in Erzurum, berichtete dazu Ende Juli 1915 in einem Schreiben an den Botschafter Wangenheim:

„Von den Anhaengern letzterer [i. e. der ‚schrofferen Richtung‘] wird uebrigens unumwunden zugegeben, dass das Endziel ihres Vorgehens gegen die Armenier die gaenzliche Ausrottung derselben in der Tuerkei ist. Nach dem Kriege werden wir ‚keine Armenier mehr in der Türkei haben‘ ist der wörtliche Ausspruch einer maßgebenden Persoenlichkeit. Soweit sich dieses Ziel nicht durch die verschiedenen Massakers erreichen lässt, hofft man, dass Entbehrungen der langen Wanderung bis Mesopotamien und das ungewohnte Klima dort ein Uebriges tun werden. Diese Loesung der Armenierfrage scheint den Anhaengern der schroffen Richtung, zu der fast alle Militär- und Regierungsbeamte gehoeren, eine ideale zu sein. Das tuerkische Volk selbst ist mit dieser Loesung der Armenierfrage keineswegs einverstanden und empfindet schon jetzt schwer die infolge der Vertreibung der Armenier ueber das Land hier hereinbrechenden wirtschaftlichen Not.“

In einem Telegramm an Mehmed Reşid, den Gouverneur Diyarbakırs, räumte Talât Pascha am 12. Juli 1915 ein, dass es in letzter Zeit „Massaker“ an den aus Diyarbakır deportierten Armeniern und anderen Christen gegeben habe. In Mardin seien 700 Armenier und andere Christen nachts aus der Stadt gebracht und „wie Schafe geschlachtet“ worden. Insgesamt schätze man die Zahl der bei den „Massakern ermordeten“ auf circa 2.000 Personen. Es sei strikt verboten, andere Christen in die „disziplinarischen und politischen Maßnahmen“ gegen Armenier „einzubeziehen“. Derartige Vorfälle machten einen schlechten öffentlichen Eindruck, gefährdeten das Leben der Christen und seien sofort zu beenden.

Am 29. August 1915 schrieb Talât Pascha in einem chiffrierten Telegramm:

„Die Armenierfrage wurde gelöst. Es gibt keine Veranlassung, Volk oder Regierung wegen der überflüssigen Grausamkeiten zu beschmutzen.“

Zwei Tage später erklärte er in der Deutschen Botschaft Konstantinopel, die Maßnahmen gegen die Armenier seien überhaupt eingestellt:

„ La question arménienne n’existe plus ».

„Die armenische Frage existiert nicht mehr.“

Ernst Jäckh, den Türken wohlgesinnter Leiter der „Zentralstelle für Auslandsdienste“ im Auswärtigen Amt des Deutschen Reiches, erklärte im Oktober 1915 zur Rolle Talâts:

„Talaat freilich machte keinen Hehl daraus, dass er die Vernichtung des armenischen Volkes als eine politische Erleichterung begrüße.“

Talât stand damit laut Jäckh im Widerspruch zum Finanzminister Mehmet Cavit Bey und zum Herausgeber der regierungstreuen Zeitung „Tanin“, Hüseyin Cahit Yalçın: „Dschawid und Hussein Dschahid opponierten immer energisch gegen diese armenische Politik, ersterer besonders aus wirtschaftlichen Erwägungen.“ Hüseyin Cahit Yalçın war allerdings später der Meinung, dass diejenigen, die die Deportationen befohlen und ausgeführt hatten, damit die Türkei gerettet hätten.

Interventionen und Vorhaltungen des deutschen Botschafters in außerordentlicher Mission in Konstantinopel, Paul Graf Wolff Metternich, im Dezember 1915 bei Enver Pascha, Halil Bey und Cemal Pascha sowie Wolff Metternichs Vorschlag, die Deportationen und Ausschreitungen öffentlich zu machen, wurden von Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg nicht gebilligt:

„Die vorgeschlagene öffentliche Koramierung eines Bundesgenossen während laufenden Krieges wäre eine Maßregel, wie sie in der Geschichte noch nicht dagewesen ist. Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht. Bei länger andauerndem Kriege werden wir die Türken noch sehr brauchen.“

Auch andere ausländische Gesandte erfassten die Vorgänge in ihrer ganzen Tragweite, so zum Beispiel der US-Botschafter Henry Morgenthau, der aufgrund von Gesprächen mit den jungtürkischen Führern in seinen 1918 veröffentlichten Memoiren resümierte:

“When the Turkish authorities gave the orders for these deportations, they were merely giving the death warrant to a whole race; they understood this well, and, in their conversations with me, they made no particular attempt to conceal the fact. (…) I am confident that the whole history of the human race contains no such horrible episode as this. The great massacres and persecutions of the past seem almost insignificant when compared to the sufferings of the Armenian race in 1915.”

„Als die türkischen Machthaber die Anweisungen für diese Deportationen gaben, fällten sie ein Todesurteil für eine ganze Rasse; dies war ihnen sehr wohl bewusst, und in den Gesprächen mit mir unternahmen sie keinen Versuch, diese Tatsache zu verbergen. (…) Ich bin sicher, dass die gesamte Geschichte der Menschheit noch nicht einen solch grausamen Vorfall erlebt hat. Die großen Massaker und Verfolgungen der Vergangenheit wirken geradezu unbedeutend, verglichen mit den Leiden des armenischen Volkes 1915.“

Abdulahad Nuri, ein hoher Deportationsoffizier, bekräftigte später laut Gerichtsakten, Talât habe ihm erklärt, die Deportationen verfolgten den Zweck der Vernichtung. Beim Yozgat-Verfahren wurden am 22. Februar 1919 zwölf Telegramme verlesen. In diesen Telegrammen wurde die Aussage Nuris, dass die Vernichtung das Ziel der Deportation sei, mehrfach bestätigt. Der später im Bayburt-Verfahren wegen seiner Beteiligung am Völkermord hingerichtete Landrat Nuri sagte später vor Gericht aus, er habe den geheimen Befehl erhalten, keinen Armenier am Leben zu lassen, General Vehib Pascha, Oberkommandierender der 3. Armee, erklärte nach dem Krieg vor der sogenannten Mazhar-Kommission:

„Die Deportationen der Armenier wurden im völligen Widerspruch zur Menschlichkeit, Zivilisation und behördlichen Ehre durchgeführt. Die Massaker und die Ausrottung der Armenier, der Raub und die Plünderung ihres Eigentums waren das Resultat von Entscheidungen, die vom Zentralkomitee des Komitees für Einheit und Fortschritt ausgingen.“

Die Deportationen wiesen überall dasselbe Grundmuster auf: Entwaffnung, Ausschaltung der wehrfähigen Männer, Liquidierung der lokalen Führung, Enteignung, Todesmärsche und Massaker. Maßnahmen zur Wiederansiedlung wurden nicht getroffen. So lehnte das Innenministerium ein Gesuch des Gouverneurs von Aleppo ab, provisorische Behausungen für die Deportierten zur Verfügung zu stellen. Alle Angebote anderer Staaten, den Deportierten während der Märsche oder am Zielort humanitäre Hilfe zu leisten, lehnte Konstantinopel strikt ab. Es existiert kein Beweis, dass den Deportierten am Zielort Land zugewiesen wurde oder ihnen andere Güter zur Verfügung gestellt wurden. Çerkez Hasan (Hasan, der Tscherkesse), ein osmanischer Offizier, der für die Wiederansiedlung der Armenier in der syrischen und mesopotamischen Wüste verantwortlich war, trat im Jahre 1915 zurück, als ihm klar wurde, dass das Ziel nicht die Wiederansiedlung, sondern die Vernichtung war. Die Zentralregierung ergriff harte Maßnahmen gegen Gouverneure und Landräte, die sich den Deportationsbefehlen widersetzten. Die Gouverneure von Ankara, Kastamonu und Yozgat wurden abgesetzt. Der Gouverneur Ankaras, Mazhar Bey, berichtete später, der Grund seiner Absetzung sei seine Weigerung gewesen, den mündlich übergebenen Befehl des Innenministers auszuführen, die Armenier während der Deportation zu töten. Die Landräte von Lice, Midyat, Diyarbakır und Beşiri sowie die Gouverneure von Basra und Müntefak wurden aus diesem Grunde ermordet oder hingerichtet. Unter Moses Der Kalousdian kam es auf dem Mosesberg zum einzigen erfolgreichen armenischen Widerstand, gegen den wie schon vorher in Zeitun und kurz darauf in Urfa der deutsche Verbindungsoffizier Eberhard Graf Wolffskeel von Reichenberg die Artillerie-Angriffe befehligte.

Militärische Erfordernisse für die Deportationen scheiden aus, da der Verdacht auf Zusammenarbeit mit dem Feind sich nicht auf Frauen und Kinder und frontferne Armenier erstrecken konnte, die zudem direkt in die Kriegszone deportiert wurden. Die Deportationen betrafen ferner nahezu die gesamte armenische Zivilbevölkerung Anatoliens, die sich im Allgemeinen ruhig verhielt. Sie waren auch nicht die Folge eines Bürgerkrieges, da es keine zentral gesteuerte landesweite Rebellion der Armenier gab.

Allen Beteiligten und Verantwortlichen muss klar gewesen sein, dass die „Delokalisierung“ unter den Bedingungen von 1915/16 einem Todesurteil sehr nahekommen musste. In den schließlich erreichten Lagern im heutigen Syrien, namentlich im Konzentrationslager Deir ez-Zor, starben die Armenier mangels Versorgung durch Auszehrung und Seuchen.[39] An der Logistik der Deportationen war auch das deutsche Militär beteiligt, wie es ein von Oberstleutnant Böttrich, dem Chef des Verkehrswesens (Eisenbahn-Abteilung) im türkischen Großen Hauptquartier, im Oktober 1915 unterzeichneter Deportationsbefehl zeigt, von dem armenische Arbeiter der Bagdadbahn betroffen waren. 1918 bestand die deutsche Militärmission im Osmanischen Reich aus 800 Offizieren und 18.000 bis 20.000 Soldaten Die Bagdadbahn selbst und die Anatolische Eisenbahn dienten auch schon vorher dem Transport gefangener Armenier. Franz Günther, der Vizepräsident der Anatolischen Eisenbahn-Gesellschaft, schrieb am 17. August 1915 an Arthur von Gwinner, den Sprecher des Vorstandes der Deutschen Bank:

„Man muss in der Geschichte der Menschheit weit zurückgehen, um etwas Ähnliches an bestialischer Grausamkeit zu finden wie die Ausrottung der Armenier in der heutigen Türkei.“

Einem weiteren Bericht an Gwinner legte Günther eine Fotografie bei, die eine große Zahl Armenier zeigt, die in einen Zug hineingepfercht waren. Dazu erläuterte er:

„Einliegend sende ich Ihnen ein Bildchen, die Anatolische Bahn als Kulturträgerin in der Türkei darstellend. Es sind die Hammelwagen, in denen beispielsweise 880 Menschen in 10 Wagen befördert werden.“

In den folgenden zwei Jahren wurden nach und nach auch die in den westanatolischen Provinzen lebenden Armenier – mit Ausnahme von Smyrna, wo sich der deutsche General Liman von Sanders unter Androhung von militärischen Gegenmaßnahmen gegen die laut Graf Spee „mit unabsehbaren Folgen fuer die Opfer“ verbundenen Massenverhaftungen und -deportationen stellte, und Konstantinopel, wo die meisten armenischen Bewohner nach der Verhaftung und Deportation der armenischen Elite weitgehend verschont wurden – deportiert oder ermordet.

Das Ausmaß der Deportationen und die dahinterstehende Absicht waren Beobachtern schon im Jahre 1915 klar: Clara Sigrist-Hilty, eine Schweizer Krankenschwester, die ein Lager in Aleppo gesehen hatte, hielt zu den Märschen fest, die Armenier würden im Kreis herumgeführt. Zudem schrieb sie in ihrem Tagebuch, junge armenische Frauen würden während der Märsche geraubt.

Massaker

Die Deportationen wurden begleitet von Massakern an der armenischen Zivilbevölkerung. Immer wieder wurden die Züge von kurdischen oder tscherkessischen Stammesangehörigen überfallen. Nach Darstellung von Rafael de Nogales, einem Offizier im Dienste der osmanischen Armee und Augenzeugen der Ereignisse, wurden die Armenier in den Todeszügen mancherorts von Zivilisten beschützt und versteckt. An anderen Orten musste die Gendarmerie die Kolonne vor Angriffen der Bevölkerung schützen. Auch beteiligten sich „türkische Polizisten, Gendarmen und Soldaten (…), teils auf Befehl ihrer Vorgesetzten, teils eigenmächtig, an der Tötung der Ausgesiedelten.

In Trabzon etwa wurden armenische Frauen und Kinder auf Anweisung des Gouverneurs Cemal Azmi in Booten auf das offene Meer gefahren und ertränkt. Der amerikanische Konsul der Stadt berichtete, dass vollbesetzte Boote hinausfuhren und wenige Stunden später leer zurückkehrten. Die Armenier von Erzincan wurden im Juni 1915 von den Teşkilât-ı Mahsusa paarweise aneinandergebunden und bei der Kemah-Schlucht in den Fluss Karasu geworfen, wobei über 20.000 Menschen zu Tode kamen – der deutsche Konsul in Aleppo, Walter Rößler, berichtete, dass wochenlang Leichen den Euphrat hinuntergeschwemmt kamen.

Folgen

Todesopfer

Die Zahl der Menschen, die den Massakern und Deportationen zum Opfer fielen, variieren je nach Schätzung zwischen 300.000 und mehr als 1,5 Millionen. Die exakte Summe lässt sich nur schwer beziffern. Das Hauptproblem dabei ist, dass die Bevölkerungsstatistik des Osmanischen Reichs in dessen letzten Jahrzehnten gravierende Mängel aufweist. So gibt es keine verlässlichen Angaben dazu, wie viele Armenier vor dem Krieg im Reich lebten. Das armenische Patriarchat bezifferte die Anzahl der armenischen Untertanen des Sultans mit rund 2,1 Millionen, die letzte osmanische Volkszählung hingegen mit 1,29 Millionen. Je nachdem, von welcher Vorkriegsanzahl man ausgeht und ob man ausschließlich die Hauptphase des Genozids 1915–1917 oder den gesamten Zeitraum bis 1923 berücksichtigt, bewegen sich die Schätzungen zwischen etwa 300.000 und 1,5 Millionen toten Armeniern.

Gustav Stresemann vermerkte 1916 nach einem Gespräch mit Enver Pascha in seinem Balkan-Tagebuch: „Armenier-Verminderung 1–1½ Millionen“.

Eine Kommission des osmanischen Innenministers bezifferte 1919 die Zahl der armenischen Opfer auf 800.000. Laut einem Bericht des US-Generals James Harbord habe auch Mustafa Kemal, der spätere Atatürk, diese Zahl anlässlich eines von den beiden im Oktober 1919 geführten Gespräches genannt. Großwesir Damad Ferid Pascha, Mustafa Kemal und der türkische Generalstab bezifferten in einem 1928 veröffentlichten Buch die Zahl der armenischen Opfer ebenfalls auf 800.000. Der türkische Historiker und Politiker Yusuf Hikmet Bayur (1891–1980) schrieb, diese Zahl sei zutreffend.

Raymond Kévorkian schätzte in einem 2006 erschienenen Buch, gestützt auf die Zahlen des Patriarchats, die Zahl der bereits in Kleinasien Ermordeten auf rund 880.000. Die Anzahl derer, die im Sommer oder Herbst 1915 lebend in Nordsyrien ankamen, gibt er mit 800.000 an. Etwa 300.000 weiteren in Kleinasien lebenden Armeniern dürfte es gelungen sein, zu flüchten, sich zu verbergen oder auf andere Art den Deportationen und Massakern zu entgehen. Tausende weitere, vor allem Frauen und Kinder, so Kévorkian, dürften schließlich in muslimische Familien gebracht worden sein, wo sie zur Konversion gezwungen oder zu Muslimen erzogen wurden.

Bernard Lewis sieht zwar keinen Beweis dafür, dass die Massaker Ergebnis einer Regierungsentscheidung waren, setzte 2006 die Opferzahlen gleichwohl sehr hoch an: “Yes there were tremendous massacres, the numbers are very uncertain but a million may well be likely.” – „Ja, es gab ungeheure Massaker; die Zahlen sind sehr unsicher, aber eine Million dürfte wahrscheinlich sein.“

Der Historiker Viktor Krieger nimmt an, dass vor dem Ersten Weltkrieg knapp zwei Millionen Armenier im Osmanischen Reich lebten. Der Bevölkerungsverlust infolge des Völkermords betrage eine bis anderthalb Millionen. Allerdings seien in diese Zahl auch die Frauen und Kinder eingerechnet worden, die nicht ermordet wurden, sondern in der Türkei islamisiert und türkisiert bzw. kurdisiert wurden.

Flucht und Diaspora

Während des Genozids und in den Jahren danach wuchs die armenische Diaspora beträchtlich an. Obwohl die Jungtürken möglichst alle Armenier vernichten wollten, hatten schätzungsweise bis zu 600.000 von ihnen die Ereignisse von 1915 bis 1917 überlebt. Rund 150.000 waren den Deportationen in ihren ursprünglichen Siedlungsgebieten entgangen, und etwa 250.000 Menschen hatten die Todesmärsche und -lager überstanden. Zusammen mit Angehörigen anderer christlicher Minderheiten gelangten viele dieser Überlebenden zunächst in die südlich gelegenen, arabischen Reichsteile und an die Mittelmeerküste. Von dort emigrierten sie später in großer Zahl in die USA, nach Russland, Lateinamerika und Australien oder sie ließen sich in den bald darauf entstehenden Staaten des Nahen Ostens nieder. In den zu Russland gehörenden Teil Armeniens dürften etwa ebenso viele Armenier und andere orientalische Christen geflohen sein wie in den Süden des Osmanischen Reichs. Auch in Abchasien ließen sich viele Armenier nieder, wo sie bis heute die drittgrößte Bevölkerungsgruppe darstellen.

Eine große Zahl Armenier hatte zunächst auch in den westlichen Provinzen des Osmanischen Reiches überlebt, vor allem in den großen Städten. Dort hatten es die Jungtürken – wahrscheinlich wegen der Präsenz ausländischer Beobachter und Diplomaten – nicht gewagt, so offen unbarmherzig vorzugehen wie im Osten. Allerdings wurden auch viele Armenier in den chaotischen Jahren des Türkischen Befreiungskrieges, unter anderem beim Brand von Smyrna, vertrieben oder umgebracht. 1922 lebten in der Türkei schätzungsweise nur noch etwa 100.000 Armenier.

In den 1980er Jahren wurde die Zahl der in der Türkei lebenden Armenier mit rund 25.000 angegeben. Hinzu kamen bis zu 40.000 sogenannte Kryptoarmenier, also Personen, die ihre armenische Abstammung verleugneten. Rund die Hälfte beider Gruppen zählte zu den sogenannten Hemşinli, deren Hauptwohngebiete zwischen Trabzon und Erzurum liegen.

Materielle Verluste

Die Ereignisse von 1915 bis 1917 forderten nicht nur zahllose Menschenleben, sondern brachten für die Armenier auch ungeheure materielle Verluste mit sich. Armenisches Eigentum – Grund und Boden, Häuser und Wohnungen sowie persönliche Habe aller Art – wurde fast immer gewaltsam und entschädigungslos enteignet. Für die Täter stellte die Aneignung armenischen Besitzes zweifelsohne einen wichtigen Anreiz dar. Es gibt keine völlig verlässlichen Quellen, auf deren Basis sich das armenische Vorkriegsvermögen exakt schätzen ließe. Ein Bericht der Pariser Friedenskonferenz von 1919/20 bezifferte die Verluste aber auf 7,84 Milliarden französische Francs nach damaligem Wert. Diese Summe entsprach rund 1,8 Mrd. Francs von 1914 oder 80 Millionen Türkischen Lira und damit zweieinhalb Jahreshaushalten der osmanischen Zentralregierung in Friedenszeiten.

Das armenische Eigentum sollte prinzipiell an den Staat fallen, der es zur „Nationalisierung“ der Wirtschaft, zur Neuansiedlung von Muslimen in den entvölkerten Gebieten und zur Finanzierung der Kriegskosten nutzte. Jungtürkische Funktionäre, örtliche Beamte und Lokalpotentaten bereicherten sich jedoch ebenso daran wie viele einfache Dorfbewohner.

Kulturelle Verluste

Nicht einmal ansatzweise kann der kulturelle Verlust quantifiziert werden, der mit der Vertreibung und Ermordung der Armenier einherging. Hunderte armenische Schulen, Kirchen und Klöster wurden in den Jahren 1915–1917 und auch danach geplündert und zerstört oder in Moscheen umgewandelt; viele weitere historische Monumente, Kunstwerke und Kulturgüter wurden vernichtet oder gingen für immer verloren. Die westarmenische, kulturelle Renaissance, die in Smyrna begonnen und sich in Konstantinopel erst vollständig entfaltet hatte, erfuhr ein abruptes Ende. Charakteristisch für diese Periode war ein pulsierendes literarisches Leben. Konstantinopel war in dieser Zeit Herausgabeort zahlreicher armenischer Zeitungen und Zeitschriften, Wohn- und Aufenthaltsort vieler armenischer Intellektueller, Dichter und Schriftsteller wie Daniel Varuschan oder Siamanto. Beide fanden im Zuge der Massenverhaftung armenischer Intellektueller am 24. April 1915 den Tod.

Situation der Überlebenden

Im Vergleich zu Überlebenden anderer Völkermorde ist der psychische Zustand der Überlebenden der Ereignisse von 1915 bis 1917 weit schlechter dokumentiert. Oral-History-Projekte und entsprechende systematische Auswertungen derselben konnten aufgrund der zeitlichen Distanz zu den Ereignissen weit seltener vorgenommen werden. Hinzu kam, dass die Überlebenden in der Diaspora vor vielfältigen neuen Problemen standen. Als sozial und kulturell entwurzelte, überwiegend bäuerliche Landbewohner fanden sie sich nun als meist völlig mittellose Flüchtlinge in fremden Städten mit einer für sie völlig fremden Kultur und Mentalität wieder. Im Gegensatz zu jenen ihrer Volkszugehörigen, die in den zu Russland gehörenden Teil Armeniens geflüchtet waren, befanden sie sich aber in Sicherheit. Für jene Armenier jedoch, die nach Russisch-Armenien geflüchtet waren, gingen die Schrecken noch weiter. Viele von ihnen waren schon während der Flucht durch die dabei erlittenen Entbehrungen, an Hunger und Krankheiten gestorben. Zehntausende weitere wurden während der Angriffe osmanischer Streitkräfte auf die Demokratische Republik Armenien in den Jahren 1918 und 1920 getötet. Schlussendlich hatten noch beide Gruppen die schmerzliche Erfahrung machen müssen, dass die Regierungen der einstigen „Schutzmächte“ in Westeuropa und in den USA ihrem Schicksal auch nach dem Ersten Weltkrieg letztlich gleichgültig gegenübergestanden waren und keine konkreten Schritte unternommen hatten, um ihnen zu helfen.

Aufarbeitung nach dem Ersten Weltkrieg

Juristische Maßnahmen

„Unionistenprozesse“ und politische Entwicklung bis 1920

Ihrer Ankündigung vom 24. Mai 1915 entsprechend, man werde die Verantwortlichen zur Verantwortung ziehen, setzten Frankreich und vor allem Großbritannien nach der Besetzung von Istanbul die osmanische Regierung unter Druck, die Armeniermorde zu ahnden. Daraufhin ordnete Sultan Mehmed VI. am 14. Dezember 1918 die strafrechtliche Verfolgung der für den Genozid verantwortlichen jungtürkischen Funktionäre an, die von einem Militärgericht als Sondertribunal abgeurteilt werden sollten. Die Einsetzung eines von Großbritannien favorisierten internationalen Gerichtshofes war bereits im Vorfeld an den Interessengegensätzen der Ententemächte, vor allem denen Frankreichs und Großbritanniens, gescheitert.

Am 23. Januar 1919 wurden auf einer Konferenz in London die Verfahrensgrundsätze festgelegt, und am 5. Februar begannen die Prozesse. Darin ging es um folgende Straftatbestände: Verletzung der Abkommen über Kriegsführung, Übergriffe gegen Armenier und Angehörige anderer Volksgruppen sowie Raub, Plünderung und Zerstörung von Eigentum. Diese sogenannten „Unionistenprozesse“ stellten erstmals in der Rechtsgeschichte den Versuch dar, Staats- und Kriegsverbrechen auf Regierungsebene zu ahnden. Angeklagt waren zahlreiche regionale und lokale Beamte, Offiziere und Funktionäre sowie 31 Minister der Kriegskabinette, die dem „Komitee für Einheit und Fortschritt“ angehört hatten. Die Verfahren gegen letztere dauerten vom 28. April bis zum 25. Juni 1919. Angeklagt waren auch der ehemalige Innenminister und Großwesir Talât Pascha, der ehemalige Kriegsminister Enver Pascha und der einstige Marineminister Cemal Pascha. Sie hatten sich dem Prozess jedoch durch Flucht nach Deutschland entzogen und wurden in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Insgesamt sprach das Militärgericht 17 Todesurteile aus, von denen drei vollstreckt wurden. Bei der türkischen Bevölkerung sorgten die Prozesse für große Entrüstung, in Regierungskreisen wiederum wurden sie als notwendige Zugeständnisse betrachtet, weil man so hoffte, mit den Ententemächten günstigere Friedensbedingungen aushandeln und ihnen die Anerkennung der staatlichen Souveränität abringen zu können.

Als aber griechische Streitkräfte im Mai 1919 Smyrna (Izmir) besetzten (sie blieben dort bis zum 9. September 1922), schwand die Bereitschaft der türkischen Regierung zur weiteren Strafverfolgung rasch. Nachdem sogar 41 Verdächtige freigelassen worden waren, überstellten die Briten Ende Mai zwölf Häftlinge nach Moudros und 55 weitere nach Malta. Sie wurden später allerdings von der türkischen Nationalbewegung unter Mustafa Kemal freigepresst, indem britischen Geiseln mit der Hinrichtung gedroht wurde. Mustafa Kemal, der spätere Atatürk, hatte zwar ein gespanntes Verhältnis zu den drei jungtürkischen Führern, die er als Hauptverantwortliche für die Armenierdeportationen nicht in den Reihen der türkischen Nationalbewegung sehen wollte, und zunächst hatte er auch eine harte Bestrafung befürwortet. Da die Lage im beginnenden Türkischen Befreiungskrieg aber zunehmend chaotisch wurde und Kemal erkannte, dass die Ententemächte die türkischen Wünsche nach staatlicher Souveränität nicht berücksichtigen würden, verlor auch er das Interesse an der Strafverfolgung der Verantwortlichen für den Genozid. Dies zeigte sich, als es nach der Ausrufung der Demokratischen Republik Armenien zu armenisch-türkischen Kampfhandlungen und zu erneuten Massakern an Armeniern kam. Zur Forderung der Briten, diese zu unterbinden, nahm Mustafa Kemal am 24. April 1920, einen Tag nach der Eröffnung der Großen Türkischen Nationalversammlung in Ankara, in einer Rede wie folgt Stellung:

„Der (…) Vorschlag sieht vor, im Innern des Landes keine Massaker an Armeniern zu verüben. Dass solche an Armeniern vorkamen, ist ausgeschlossen. Wir alle kennen unser Land. Auf welchem seiner Kontinente wurden oder werden Massaker an Armeniern verübt? Ich möchte nicht über die Phasen am Anfang des [Ersten] Weltkrieges sprechen, und ohnehin ist auch das, worüber die Entente-Staaten sprechen, selbstverständlich keine der Vergangenheit angehörende Schandtat. Mit ihrer Behauptung, dass derartige Katastrophen heute in unserem Land verübt würden, forderten sie von uns, davon Abstand zu nehmen.“

Weitere politische Entwicklung und Ende der Prozesse 1923

Im Vertrag von Sèvres, dem am 10. August 1920 unterzeichneten fünften und letzten der Pariser Vorortverträge, wurde den Türken nicht mehr als ein „Rumpfstaat ohne eigentliche Souveränität“ belassen.  Der Vertrag sah nicht nur die Gründung eines armenischen Staates vor (de facto bestand dieser ja bereits und hatte auch die osmanischen Provinzen Ostanatoliens annektiert), dessen Grenzen der US-amerikanische Präsident Woodrow Wilson im Auftrag der Signatarmächte des Vertrages festlegte, sondern auch die internationale Kontrolle Konstantinopels und der Meerengen (Bosporus und Dardanellen) sowie die Aufteilung des Restes des Osmanischen Reiches unter den Ententemächten und ihren Verbündeten. Diesen Vertrag erkannte insbesondere die türkische Nationalversammlung in Ankara nicht an und setzte nun ihren Befreiungskampf mit allen Mitteln fort. Zunächst wandten sich deren Streitkräfte der Demokratischen Republik Armenien zu und zwangen deren Repräsentanten nach schweren Kämpfen am 3. Dezember 1920 zur Unterzeichnung des Vertrages von  Alexandropol (türkisch Gümrü; armenisch Gjumri), in dem der heutige Grenzverlauf festgelegt wurde. Damit waren die Bedingungen des Vertrages von Sèvres hinsichtlich Armeniens de facto aufgehoben. Das Ergebnis dieses Vertrages wurde auch in einem Freundschaftsvertrag mit der Sowjetunion im März 1921 bestätigt.

Inzwischen hatten die griechischen Truppen im Westen die armenisch-türkischen Kampfhandlungen im Osten genützt und mit ihrem von Massakern an der Zivilbevölkerung begleiteten Vormarsch ins türkische Landesinnere begonnen. Den Truppen der türkischen Nationalversammlung gelang es jedoch, im nun folgenden Griechisch-Türkischen Krieg die Invasionsarmee in mehreren Schlachten zu schlagen und zur Ägäisküste zurückzutreiben. Innen- und außenpolitisch gestärkt konnte die türkische Nationalversammlung unter Mustafa Kemal nun offen auf eine Revision des Vertrags von Sèvres drängen, der die Ententemächte und ihre Verbündeten, die mittlerweile große Teile der besetzten türkischen Gebiete geräumt hatten, schließlich am 24. Juli 1923 im Vertrag von Lausanne zustimmten. Die gerichtliche Verfolgung der für den Genozid Verantwortlichen war bereits lange zuvor nahezu völlig zum Stillstand gekommen. Die auf Malta internierten Straftäter waren bereits im Oktober 1921 von den Briten freigelassen worden, und am 31. März 1923 erließ die türkische Regierung unter Mustafa Kemal eine allgemeine Amnestie für alle im Zusammenhang mit dem Völkermord Angeklagten. Wesentlich mitbedingt war dieser Schritt durch die Tatsache, dass nicht wenige der für den Genozid Mitverantwortlichen aus den Reihen des „Komitees für Einheit und Fortschritt“ der türkischen Nationalbewegung unter Mustafa Kemal angehörten. Die Armenier hatten nach der Inkorporation ihres Staates in die Sowjetunion und seiner Umwandlung zur Armenischen Sozialistischen Sowjetrepublik diplomatisch keinerlei Möglichkeiten mehr, auf eine Fortführung der Prozesse zu drängen. Und die Ententemächte wiederum hatten daran kein Interesse mehr, weil sie in diesem Fall ein Zusammengehen der neu gegründeten Republik Türkei mit der von ihnen nicht anerkannten Sowjetunion fürchteten.

Operation Nemesis

Außer den Armeniern selbst war nach 1921 niemand mehr ernsthaft daran interessiert, die in den Unionistenprozessen verkündeten Todesurteile zu vollstrecken und weitere Täter gerichtlich zu verfolgen. Die Partei der Daschnaken rief daher ein geheimes Sonderkommando ins Leben, das unter dem Codenamen Operation Nemesis die Verantwortlichen für den Völkermord töten sollte. So erschoss der armenische Student Soghomon Tehlirian am 15. März 1921 den im Berliner Exil lebenden ehemaligen Innenminister Talât Pascha. Im anschließenden Prozess sprach das Berliner Landgericht Tehlirian frei, vor allem aufgrund der Darlegung der Geschehnisse in Armenien durch überlebende Augenzeugen wie den Bischof Krikor Balakian. Erst später stellte sich heraus, dass Tehlirian Mitglied des Daschnaken-Sonderkommandos war. Er hatte bereits zuvor in Konstantinopel den armenischen Kollaborateur Harutiun Mugerditchian (auch: Mkrttschjan) erschossen, der die Liste der am 24. April 1915 verhafteten Notabeln erstellt hatte.

Der Mord an Talât war der Auftakt zu einer Serie von Attentaten, denen weitere am Genozid Beteiligte zum Opfer fielen. Am 6. Dezember 1921 wurde der ehemalige Großwesir Said Halim Pascha in Rom erschossen; am 17. April 1922 liquidierten zwei Attentäter in Berlin Bahaettin Şakir, den Chef der Teşkilât-ı Mahsusa, und Cemal Azmi, einen weiteren jungtürkischen Führer. Am 21. Juli 1922 wurden Cemal Pascha und sein Sekretär Nusrat Bey von drei Attentätern während eines Spaziergangs in Tiflis erschossen. Enver Pascha, der sich panislamischen Aufständischen in Zentralasien angeschlossen hatte, entging den Rächern, fiel aber am 4. August 1922 in einem Gefecht mit Truppen der Roten Armee im Pamir in Tadschikistan. Weitere Opfer der Anschlagserie waren zwei aserbaidschanische Politiker: Premierminister Fətəli Xan Xoyski wurde am 19. Juni 1920 in Tiflis und Innenminister Behbud Khan Javanshir am 18. Juli 1921 im besetzten Konstantinopel getötet.

Neuere Bewertungen der Ereignisse

Bedeutung für die Armenier

Die Erinnerung an den Völkermord stellt – neben Religion und Sprache – die stärkste gefühlsmäßige Klammer dar, die das über rund 120 Staaten der Welt verstreute armenische Volk eint. Der 24. April, der Jahrestag der ersten Verhaftungen armenischer Intellektueller in Konstantinopel, wird regelmäßig als „Genozid-Gedenktag“ begangen und ist einer der wichtigsten nationalen Feiertage der Republik Armenien und des armenischen Volkes. An ihm pilgern alljährlich Hunderttausende zum Völkermordmahnmal Jerern auf dem Jerewaner Hügel Zizernakaberd („Schwalbenfestung“). Weltweit begehen weitere Millionen den Trauertag. Die tiefe emotionale Bedeutung des Völkermords für die Armenier erklärt auch, warum armenische Politiker, Organisationen und Lobbys in aller Welt seit Jahrzehnten so hartnäckig gegen seine Bagatellisierung und Leugnung kämpfen und danach streben, dass er auch offiziell als Genozid anerkannt wird, d. h. auf Basis der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (offiziell: englisch Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, CPPCG) von 1948.

Der Kampf des armenischen Volkes um diese Anerkennung wurde besonders dadurch erschwert, dass es lange Zeit nicht über einen eigenen Staat verfügte, der als Plattform dafür hätte dienen können. In der Sowjetunion, deren Teilrepublik Armenien bis zu ihrer Auflösung 1991 gewesen ist, war das Thema tabuisiert. Erst in der sogenannten „Tauwetter-Periode“ nach dem Tod Josef Stalins konnte es erstmals öffentlich behandelt werden. Im Jahr 1965 kam es sogar zu öffentlichen Protesten in Jerewan, deren Teilnehmer die Anerkennung des Genozids forderten. Die Regierung der Armenischen SSR kam dieser Forderung zwar nicht nach, veranlasste aber, dass 1967 das Mahnmal von Zizernakaberd errichtet wurde. Diese und weitere, in den 1960er und 1970er Jahren errichtete Gedenkstätten sind sichtbare Zeugnisse einer von der sowjetischen Führung nunmehr tolerierten Memorialarchitektur.

Während des Kalten Krieges gab es für die Armenier jedoch keine politische Möglichkeit, ihrem Anliegen bei der internationalen Staatengemeinschaft Gehör zu verschaffen. Den Staaten des Westens und insbesondere den NATO-Staaten erschien es nicht opportun, die Türkei – aus geostrategischer Sicht ein wichtiger NATO-Partner – wegen dieser Frage zu vergrämen. Daher kam es in der armenischen Diaspora zur Bildung mehrerer Terrorgruppen, deren aktivste die Asala (Armenian Secret Army for the Liberation of Armenia) war. Sie kämpften mit terroristischen Mitteln nicht nur gegen das „Verbrechen des Schweigens“, wie sie es nannten, sondern auch für die „Befreiung“ der einst von Armeniern bewohnten Gebiete in der Türkei. Ihre Anschläge forderten zwischen 1975 und 1984 insgesamt 79 Menschenleben: 40 Türken, 30 Armenier und neun Angehörige anderer Nationalitäten. Die Anschläge brachten aber auch Bewegung in der Anerkennungsfrage: Zunehmend befasste sich die Öffentlichkeit damit, ebenso wie kirchliche und politische Gremien. Aber erst mit der Entstehung eines unabhängigen armenischen Staates und dessen Aufnahme in internationale Gremien bot sich den Armeniern die Möglichkeit, ihrem Wunsch nach Anerkennung der Ereignisse von 1915 bis 1917 als Völkermord auch mit politisch-diplomatischen Mitteln Nachdruck zu verleihen. Dieses Bestreben ist seither wesentlicher Bestandteil der Außenpolitik aller armenischen Regierungen.

Bewertung in der Türkei

Damat Ferid Pascha, der Großwesir des Osmanischen Reiches in der Zeit der Besetzung von Istanbul durch Truppen der Siegermächte, gestand die Verbrechen am 11. Juni 1919 öffentlich ein. Dennoch ist die Leugnung des Völkermords an den Armeniern bis heute offizielle Politik aller türkischen Regierungen.Sie bezeichnen die Deportationen als „kriegsbedingte Sicherheitsmaßnahmen“ die notwendig geworden seien, da die Armenier das Osmanische Reich verraten, seine damaligen Kriegsgegner unterstützt und ihrerseits Massaker an Muslimen begangen hätten. Die Todesfälle führen sie auf ungünstige Umstände und lediglich vereinzelte Übergriffe zurück. Sie versuchen mit wechselndem Erfolg, durch politischen Druck und Ausschlüsse bei internationalen Auftragsvergaben anderslautende Entschließungen und Veröffentlichungen zu verhindern. In der Türkei wird der Genozid offiziell mit Begriffen wie türkisch Ermeni soykırımı iddiaları („Behaupteter Völkermord an den Armeniern“), türkisch Sözde ermeni soykırımı („Angeblicher Völkermord an den Armeniern“) und türkisch Ermeni Kırımı („Armenisches Massaker“) bezeichnet. Diese Haltung belastet immer wieder die Beziehungen der Türkei zu Armenien und anderen Staaten, die den Völkermord offiziell anerkennen.

Die offizielle Türkei bestreitet nicht, dass es hunderttausende Tote gegeben hat. Sie geht von circa 300.000 armenischen Opfern aus, betrachtet die Deportationen aber als Notmaßnahme eines Staates, der während des Ersten Weltkrieges um seine Existenz habe bangen müssen und sich der Loyalität seiner armenischen Untertanen nicht habe sicher sein können. Manche türkische Wissenschaftler verneinen eine vorsätzliche und geplante Vernichtung und äußern, diese sei historisch nicht belegt.

Die offizielle türkische Historiographie schreibt die vielen Toten Überfällen, Hunger und Seuchen zu und verweist auf die bürgerkriegsähnlichen Zustände, bei denen auch 570.000 Türken umgekommen seien. Einige türkische Wissenschaftler sowie Historiker anderer Nationalität wie Erik-Jan Zürcher oder Klaus Kreiser betrachten die Andonian-Dokumente, die mehrere Wissenschaftler als Beleg für die genozidalen Absichten der Jungtürken anführen, als Fälschung. Sie bezeichnen Arnold J. Toynbees Blue book und die Memoiren des amerikanischen Botschafters Henry Morgenthau als parteiisch. Zudem bemängeln sie die Beweisaufnahme der Istanbuler Prozesse, die in der Zeit der alliierten Besatzung stattfanden und machen geltend, dass es eine Reihe von jungtürkischen Erlassen gab, die Deportierten gut zu behandeln.

Der erste türkische Politiker nach Ausrufung der Republik Türkei, der die Opfer des Völkermords durch einen Besuch der Gedenkstätte in Jerewan ehrte, war im Juni 1995 Gürbüz Çapan, der sozialdemokratische Bürgermeister Esenyurts. 2008 wurde von türkischen Professoren und Intellektuellen die Unterschriftenkampagne Özür Diliyorum („Ich bitte um Entschuldigung“) gestartet, um bei den Armeniern um Verzeihung zu bitten.

Innertürkische Kritiker der offiziellen Sichtweise müssen mit juristischer Verfolgung aufgrund des umstrittenen Artikels 301 des Strafgesetzbuches rechnen, der u. a. die „Beleidigung der türkischen Nation“ unter Strafe stellt. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema erfolgte hauptsächlich durch Journalisten wie den 2007 ermordeten Hrant Dink sowie durch den Schriftsteller und Nobelpreisträger Orhan Pamuk. Pamuk wurde im März 2011 wegen Verstoßes gegen den Artikel 301 zu einer Schadensersatzzahlung an sechs Kläger verurteilt, die sich durch seine Äußerungen zu den Tötungen von Armeniern aus dem Jahr 2005 beleidigt fühlten (Pamuk: „Die Türken haben auf diesem Boden 30.000 Kurden und eine Million Armenier getötet.“). Der 1991 aus der Türkei geflohene türkischstämmige, deutsche Schriftsteller Doğan Akhanlı hatte 1999 in Istanbul den Roman Kıyamet Günü Yargıçları (deutsch Die Richter des jüngsten Gerichts) veröffentlicht. Dieser Roman thematisiert den Völkermord und seine offizielle staatliche Leugnung in der Republik Türkei Akhanlı wurde im August 2010 bei einem Besuch der Türkei festgenommen und in Untersuchungshaft genommen. Von der Anklage, an einem Raubüberfall und an Umsturzversuchen beteiligt gewesen zu sein, wurde er im Oktober 2011 freigesprochen. Vor der Gerichtsverhandlung war er abgeschoben und mit einem Einreiseverbot in die Türkei belegt worden.

Es gab seitens türkischer Regierungen mehrmals den Vorschlag, die Geschehnisse durch eine gemeinsame türkisch-armenische Historikerkommission wissenschaftlich untersuchen zu lassen. Dieser Vorschlag wurde unter anderem 2005 vom türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan dem armenischen Präsidenten Robert Kotscharjan und 2007 vom türkischen Außenminister Ali Babacan seinem armenischen Kollegen Wartan Oskanjan unterbreitet. Die armenische Regierung lehnt diesen Vorschlag (Stand April 2010) ab. Staatspräsident Sersch Sargsjan äußerte 2010, die Schaffung eines solchen Gremiums bedeute, das Faktum des Völkermords anzuzweifeln.

Die Türkei warf Frankreich und Russland vor, Parlamentsbeschlüsse zu verabschieden, aber nicht auf die eigene grausame Vergangenheit mit vielen Völkermorden zu blicken. Als beispielsweise die Französische Nationalversammlung 2006 ein Gesetz verabschiedete, das explizit die Leugnung des Völkermords an den Armeniern unter Strafe stellen sollte, kam es zu schweren diplomatischen Auseinandersetzungen und Wirtschaftsboykotten durch die damalige türkische Regierung Erdoğan I. Als im Dezember 2011 die französische Nationalversammlung ein ähnliches Gesetzes zur Bekämpfung der Leugnung der Existenz gesetzlich anerkannter Völkermorde verabschiedete, reagierte die Regierung Erdoğan III ähnlich drastisch. Das Gesetz wurde im Februar 2012 vom französischen Verfassungsgericht abgelehnt.

Am 24. April 2010 fand in Istanbul erstmals eine öffentliche Gedenkveranstaltung für die armenischen Opfer in der Türkei statt. Das Datum wurde symbolisch gewählt; am 24. April 1915 waren die ersten 235 Armenier vom Haydarpaşa-Bahnhof deportiert worden. Organisiert von der Initiative „Irkçılığa ve Milliyetçiliğe Dur de!“ (zu deutsch: Sag Stopp zu Rassismus und Nationalismus) trafen sich Aktivisten in Trauerkleidung auf dem Taksim-Platz, zeigten Bilder der Deportierten und legten Blumen nieder.

2011 veranlasste Premierminister Recep Tayyip Erdoğan den Abriss der 2006 von Mehmet Aksoy geschaffenen Skulptur „Denkmal der Menschlichkeit“, die an den Völkermord erinnert hatte.

In einer am Vortag des 24. April 2014 veröffentlichten Botschaft bezeichnete Erdoğan es jedoch als „eine menschliche Pflicht, auch das Gedenken der Armenier an die Erinnerung an das Leid, das die Armenier zu jener Zeit durchlebt haben, zu verstehen und es mit ihnen zu teilen.“ Gegen Ende der Botschaft heißt es im Text: in der Hoffnung auf gemeinsames Gedenken der Toten „wünschen wir, dass die Armenier, die unter den Bedingungen zu Anfang des 20. Jahrhunderts umkamen, in Frieden ruhen, und sprechen ihren Enkeln unser Beileid aus.“ Allerdings bezeichnete er die Taten nicht als Völkermord.

In türkischen Schulbüchern aus dem Jahr 2015 wird der Völkermord nach wie vor geleugnet. Im Geschichtsbuch für die Klasse 10 heißt es auf Seite 212: „Mit dem Umsiedlungsgesetz wurden nur jene Armenier aus dem Kriegsgebiet entfernt und in die sicheren Regionen des Landes gebracht, die sich an den Aufständen beteiligt hatten. Diese Vorgehensweise hat auch das Leben der übrigen armenischen Bevölkerung gerettet, denn die armenischen Banden haben jene ihrer Landsleute, die sich an den Terrorakten und Aufständen nicht beteiligt hatten, umgebracht.“ Im September 2014 stellten hundert türkische Intellektuelle, unter ihnen der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk, zwei Forderungen an die Regierung (Davutoğlu I): Sie solle die bislang verwendeten Geschichts-Schulbücher aus dem Verkehr ziehen und sich bei den Armeniern entschuldigen.

Bewertung durch die Kurden

Kurdische Stämme stellten zahlreiche Mitglieder der Guerillaorganisation Teşkilât-ı Mahsusa, die an den Armenier-Massakern beteiligt war. Andererseits retteten Kurden insbesondere in den Regionen Dersim und Mardin – mitunter aus finanziellen Motiven – zwischen 20.000 und 30.000 Armenier aus den Kolonnen der Deportierten. In den letzten Jahren haben einige kurdische Organisationen und Politiker, darunter der Parlamentsabgeordnete Ahmet Türk, die Beteiligung der Kurden an den Massakern eingeräumt und das armenische Volk für die Taten von damals um Verzeihung gebeten.

Bewertung in der Geschichtswissenschaft

In der Geschichtswissenschaft werden die Deportationen und die Massaker an den Armeniern seit vielen Jahren ganz überwiegend als Völkermord bewertet und gelten als einer der ersten systematischen Genozide des 20. Jahrhunderts. Zu nennen sind hier unter anderem die Werke von Wolfgang Gust, Vahakn N. Dadrian und Donald Bloxham, die auf breiter Quellengrundlage aus deutschen und amerikanischen Archiven zu der übereinstimmenden Einschätzung kommen, dass die drei führenden Männer der Ittihat ve Terakki Cemiyeti – Enver Pascha, Talât Pascha und Cemal Pascha – die Ermordung von bis zu 1,5 Millionen Armeniern ins Werk setzten. Ihr Ziel war es zum einen, alle nichttürkischen Ethnien aus Kleinasien zu eliminieren, das ein „Nationalheim“ für die Türken („Türk Yurdu“) werden sollte, und zum anderen die „fünfte Kolonne“ der Armenier, die pauschal verdächtigt wurden, mit den Russen gemeinsame Sache zu machen, auszuschalten. Die Tatsache, dass die Verfolgung der Armenier in der Endphase des Krieges und im Türkisch-Armenischen Krieg 1920 auch außerhalb Anatoliens fortgesetzt wurde, etwa beim Armenierpogrom in Baku 1918, wird als Beleg dafür angesehen, dass es den Türken tatsächlich um die vollständige Vernichtung aller Armenier ging. Der Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung Wolfgang Benz beschreibt daher den Völkermord an den Armeniern als typisch für die nachfolgenden Völkermorde des 20. Jahrhunderts: Sie wurden „planmäßig und kaltblütig in Szene gesetzt“, sie waren das Ergebnis „systematischer Planung“, betroffen waren ethnische, religiöse oder kulturelle Minderheiten, die Verfolgung begann unter dem „Vorwand, die Mehrheit sei provoziert worden“, die „Lösung“ des angeblichen Problems wurde als „Umsiedlung, als friedensstiftende Maßnahme“ hingestellt und wurde vollzogen als „Vertreibung, Raub und Mord“. Im Vergleich mit anderen Völkermorden wie dem an den Armeniern begangenen dürfe aber für Deutsche die Singularität der Shoa nicht aus dem Blick geraten.

Einige Wissenschaftler wie Bernard Lewis, Justin McCarthy und Guenter Lewy vertreten die Mindermeinung, dass die Deportationen und die Morde gewiss Verbrechen gewesen seien, man insgesamt aber nicht von einem Völkermord sprechen könne. Der amerikanische Historiker Justin McCarthy glaubt aufgrund demographischer Statistiken, dass während des Ersten Weltkriegs 600.000 Armenier umkamen, das heißt 20 % der armenischen Bevölkerung Anatoliens. Von Anatoliens muslimischer Bevölkerung seien im gleichen Zeitraum 18 % umgekommen, das heißt 2,5 Millionen. Die Gewalttaten seien nicht einseitig gewesen, vielmehr habe in Ostanatolien ein blutiger „Bürgerkrieg“ stattgefunden. Auch nach dem deutschen Politikwissenschaftler Herfried Münkler, der den genozidalen Charakter der Armeniermorde nicht bestreitet, seien in die Konflikte im Osmanischen Reich während des Weltkriegs „Elemente des […] Bürgerkrieges“ mit eingeflossen, was die Grausamkeit „von allen Seiten“ deutlich verstärkt habe. Für den deutsch-amerikanischen Historiker Guenter Lewy war es dagegen durchaus kein Bürgerkrieg, von einem Völkermord könne man aber ebenso wenig sprechen. Völkermord setze eine Zentralsteuerung voraus, für die aber kein authentisches Quellenmaterial vorliege. Die Deportationen und die Massaker seien vielmehr derart improvisiert und chaotisch abgelaufen, dass eine Zentralplanung nicht erkennbar sei. Als Beleg nennt er etwa widersprüchliche Befehle der Jungtürken und Bestrafungen von Morden an Armeniern, zum Beispiel an dem Abgeordneten Krikor Zohrab. Lewy zieht den Schluss: „Unter den Bedingungen der osmanischen Missregierung war es möglich, dass es im Land auch ohne einen vorsätzlichen Vernichtungsplan zu so hohen Verlusten an Menschenleben kam“.

Völkerrechtliche Aspekte

Für die völkerrechtliche Bewertung der Geschehnisse von 1915/16 als Genozid ist die UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes maßgeblich. Deren Entstehung geht ihrerseits auf diese Ereignisse zurück. Die Attentate, denen zu Beginn 1920er Jahre einige Verantwortliche für die Massaker zum Opfer gefallen waren, machten den polnischen Staatsrechtler Raphael Lemkin auf das Thema aufmerksam. In der Folge entwickelte er den völkerrechtlichen Straftatbestand des Genozids. Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust fertigte Lemkin einen Gesetzentwurf zur Bestrafung dieses Verbrechens an, in dem er den von ihm schon früher geprägten Namen „genocide“ verwendete. Diesen Entwurf nahm die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 9. Dezember 1948 nahezu unverändert und einstimmig an. Darin wird Völkermord definiert als eine Handlung, „die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören.“ Für die Republik Türkei, die die Konvention am 31. Juli 1950 unterzeichnete, trat sie am 12. Januar 1951 in Kraft. Damit erkannte die Türkei auch die Definitionen in den Artikeln I und II an.

Ob die Ereignisse von 1915 bis 1917 als Völkermord im Sinne der UN-Konvention von 1948 zu betrachten sind, hängt auch davon ab, ob diese sich überhaupt auf Ereignisse vor ihrem Inkrafttreten anwenden lässt. Die Ententemächte haben die Verbrechen der Jungtürken jedoch schon im Ersten Weltkrieg – also lange, bevor der Begriff „Genozid“ Eingang in das Völkerrecht gefunden hatte – als Verstoß gegen allgemein geltende Rechtsgrundsätze und als schwere, strafwürdige Verbrechen angesehen. Der Vertrag von Sèvres verlangte ausdrücklich die Bestrafung der für die Massaker und Deportationen Verantwortlichen und verpflichtete die osmanische Regierung in Artikel 230, die Verdächtigen auszuliefern. Artikel 144 verlangte von ihr, das Gesetz von 1915, mit dem das Vermögen der Armenier zu „Aufgegebenem Eigentum“ geworden war, für null und nichtig zu erklären.] Der Vertrag von Sèvres wurde zwar nie ratifiziert, doch findet sich ein deutlicher Beweis für seine Relevanz auch in den Materialien der United Nations War Crimes Commission zum Londoner Statut vom August 1945. Dort heißt es

“The provisions of Article 230 in the Peace Treaty of Sèvres were obviously intended to cover, in conformity with the Allied note of 1915 … This article constitutes, therefore, a precedent for Articles 6 c) and 5 c) of the Nuremberg and Tokyo Charters, and offers an example of one of the categories of ‚crimes against humanity‘ as understood by these enactments.”

In einem Rechtsgutachten vom Mai 1951, bei dem es um die Frage eventueller Vorbehalte hinsichtlich der Gültigkeit der Völkermordkonvention ging, verwies der Internationale Gerichtshof schließlich auf die hohen humanitären Ziele dieser Konvention, die den elementarsten Prinzipien der Moralität entsprächen, und führte aus, dass zivilisierte Staaten diese der Konvention zugrunde liegenden Prinzipien ohnehin als bindend ansähen, weswegen sie auch ohne Verpflichtung durch die Konvention Geltung hätten. Daher kann die Konvention rechtlich als Ius Cogens angesehen werden, was bedeutet, dass sie auch Anwendung auf Völkermorde findet, die sich vor ihrem Inkrafttreten ereigneten.

Bewertung durch internationale Institutionen und Organisationen

UN-Menschenrechtskommission

Der ‚Unterausschuss für die Verhütung von Diskriminierung und den Schutz von Minderheiten‘ der UN-Menschenrechtskommission benannte die Ereignisse in einem am 29. August 1985 veröffentlichten Bericht über Völkermordverbrechen als Genozid. In einem Zusatz wurde notiert, dass einige Mitglieder des Unterausschusses Einwände dagegen hatten, weil sie die Massaker an den Armeniern als nicht ausreichend dokumentiert ansahen und bestimmte Beweismittel für gefälscht hielten. Durch die Annahme des Berichtes durch diesen Unterausschuss der UNO gilt der Völkermord an den Armeniern gleichwohl als von der UNO anerkannt.

Europäisches Parlament

Das Europäische Parlament (EP) hat mit den Beschlüssen vom 18. Juni 1987 und 15. November 2001 die Anerkennung des Völkermordes durch den heutigen türkischen Staat zu einer Voraussetzung des EU-Beitritts der Türkei erklärt und am 28. Februar 2002 in einem weiteren Beschluss die Türkei zur Einhaltung dieser Vorgabe gemahnt.

Das EP war 1987 laut eigenen Angaben die erste größere internationale Organisation, die die Ereignisse im Jahr 1915 als Völkermord bezeichnet hat.

Das EP hat am 15. April 2015, anlässlich des 100. Jahrestags des Völkermords an den Armeniern, eine Entschließung verabschiedet und die Türkei aufgefordert, den Völkermord als solchen anzuerkennen sowie ihre Bemühungen, einschließlich der Gewährung des Zugangs zu den Archiven, fortzusetzen.

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erklärte im Dezember 2013 die Entscheidung von drei Schweizer Gerichtsinstanzen für rechtswidrig, die Doğu Perinçek wegen der Leugnung der Verbrechen an den Armeniern verurteilt hatten. Diese dürfe, so der Gerichtshof, anders als die Leugnung  des Holocausts nicht strafrechtlich verfolgt werden, weil der Begriff „Völkermord“ im Falle der Armenier umstritten sei und die Verurteilung Perinçeks daher gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit verstoße. Die Schweiz legte gegen das Urteil Berufung ein. Die große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bestätigte am 15. Oktober 2015 das erstinstanzliche Urteil, betonte dabei aber ausdrücklich, dass damit keine Bewertung der Massenmorde und -deportationen an den Armeniern durch das Osmanische Reich verbunden sei.

Permanentes Völkertribunal

Das Permanente Völkertribunal untersuchte im Jahre 1984 die Massaker an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs und urteilte, dass die Vernichtung der armenischen Bevölkerung durch Deportation und Massaker einen Genozid darstellt, und forderte die Vereinten Nationen sowie alle Mitgliedsstaaten dazu auf, den Völkermord an den Armeniern anzuerkennen. Das Urteil wurde von 13 Vertretern des Tribunals ausgesprochen, die sich Berichte verschiedener Rechtsexperten, aber auch Berichte von Historikern und Überlebenden des Genozids anhörten. Die Vertreter, bestehend aus Nobelpreisträgern und angesehenen internationalen Wissenschaftlern, untersuchten des Weiteren Archivmaterial.

Der unabhängige Prüfungsausschuss des Tribunals bezeichnete den Völkermord an den Armeniern als ein „internationales Verbrechen“ und urteilte, dass die jungtürkische Regierung die Schuld an diesem Völkermord trägt und der türkische Staat die Verantwortung dafür übernehmen und die Realität des Völkermords und die daraus resultierenden Schäden, welche das armenische Volk erlitten hat, offiziell anerkennen muss. Die Erklärung der im Oktober 1923 ausgerufenen Republik Türkei, sie sei zu der Zeit des Völkermords noch nicht existent gewesen, hält das Tribunal für nichtig.

International Association of Genocide Scholars

Im Jahre 1997 hat die Internationale Vereinigung von Völkermordforschern einstimmig eine Resolution verabschiedet und die Massaker an über einer Million Armeniern 1915 im Osmanischen Reich als Genozid klassifiziert sowie die Leugnung seitens der türkischen Republik verurteilt. Im Jahre 2005 verfasste die Organisation einen Offenen Brief an den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und bekräftigte erneut, dass der Völkermord an den Armeniern von hunderten unabhängigen Völkermordforschern anerkannt wurde. Dort findet sich ein Hinweis auf die fehlende Unparteilichkeit von Forschern, die die türkische Regierung und das türkische Parlament beraten haben. Im Jahre 2006 schrieb die Organisation einen weiteren Offenen Brief an jene Historiker, die der türkischen Position der Leugnung des Völkermords folgen, und bezeichnete diese Haltung als ein unverfrorenes Ignorieren überwältigenden historischen und wissenschaftlichen Beweismaterials und forderte ein Jahr später den US-Kongress dazu auf, den Völkermord offiziell anzuerkennen. Insgesamt veröffentlichte die Internationale Vereinigung von Völkermordforschern in den Jahren 1997 bis 2007 vier Resolutionen und Erklärungen, in denen der Völkermord an den Armeniern anerkannt wurde.

Türkisch-Armenische Versöhnungskommission

Im Jahre 2001 wurde eine Türkisch-Armenische Versöhnungskommission gegründet, die eine Förderung des Dialogs und der Verständigung zwischen Armenien und der Türkei zum Ziel hatte. Die Kommission beauftragte das International Center for Transitional Justice (ICTJ) die Ereignisse von 1915 zu untersuchen. 2003 kam das ICTJ zu dem Ergebnis, dass die Ereignisse von 1915 alle Straftatbestände der UN-Genozidkonvention erfüllen.

Bewertungen außerhalb Armeniens und der Türkei

Seit 1965 haben etliche Staaten die durch den osmanischen Staat begangenen Deportationen und Massaker der Jahre 1915 bis 1917 offiziell als Genozid entsprechend der UN-Völkermordkonvention von 1948 anerkannt

(u. a. Argentinien, Belgien, Frankreich, Griechenland, Italien, Kanada, Libanon, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Russland, Schweden, die Schweiz, die Slowakei, Uruguay, die USA und Zypern).

Andere Staaten (so z. B. Israel, Dänemark, Georgien und Aserbaidschan) sprechen (Stand 2008) offiziell nicht von Völkermord. 2009 verurteilte die Regierung Brown (Großbritannien) die Verbrechen, bezeichnete sie aber nicht als Völkermord gemäß der UN-Völkermordkonvention.

Deutschland

Der Deutsche Bundestag debattierte im April 2005 erstmals eine von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachte Entschließung, nach der die Türkei aufgefordert werden sollte, sich zu ihrer historischen Verantwortung für die Massaker an armenischen Christen im Osmanischen Reich zu bekennen. Die Verfasser des Antrags, die den Begriff „Völkermord“ selbst vermieden, bedauerten „die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches, das angesichts der vielfältigen Informationen über die organisierte Vertreibung und Vernichtung von Armeniern nicht einmal versucht hat, die Gräuel zu stoppen.“ Im Juli desselben Jahres verabschiedete der Bundestag einstimmig einen Antrag aller Fraktionen, in dessen Begründung auf die über eine Million Opfer verwiesen und angeführt wurde, dass zahlreiche unabhängige Historiker, Parlamente und internationale Organisationen die Vertreibung und Vernichtung der Armenier als Völkermord bezeichneten.

In einer Kleinen Anfrage vom 10. Februar 2010 bat die Fraktion Die Linke die damalige Bundesregierung um eine Stellungnahme dazu, ob sie die Massaker an den Armeniern 1915/16 als einen Völkermord im Sinne der UN-Konvention von 1948 betrachte. In der Antwort heißt es: „Die Bundesregierung begrüßt alle Initiativen, die der weiteren Aufarbeitung der geschichtlichen Ereignisse von 1915/16 dienen. Eine Bewertung der Ergebnisse dieser Forschungen sollte Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftlern vorbehalten bleiben. Dabei ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Aufarbeitung der tragischen Ereignisse von 1915/16 in erster Linie Sache der beiden betroffenen Länder Türkei und Armenien ist.“ Auf eine weitere Kleine Anfrage antwortete die Bundesregierung am 4. Juni 2010, sie sehe keinen Anlass, an der Authentizität der Dokumente im Politischen Archiv zu zweifeln, und nehme insgesamt keine Bewertung der vorliegenden Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung zur Rolle des deutschen Kaiserreichs vor. Sie erwähnte, dass die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes nicht rückwirkend gilt. Im Vorfeld der Bundestagsdebatte zum 100. Jahrestag des Beginns der Deportationen kam es in der großen Koalition zu kontroversen Diskussionen darüber, ob der Völkermord, wie von den Oppositionsparteien gewünscht, beim Namen genannt werden solle oder nicht. Am 14. April 2015 legten die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages ein Papier zum Gedenktag am 24. April vor.

Am 23. April 2015 bezeichnete Bundespräsident Joachim Gauck, als erster Bundespräsident überhaupt, die Armeniermassaker als Völkermord. Laut Gauck geht es vor allem darum, „die planvolle Vernichtung eines Volkes in ihrer ganzen schrecklichen Wirklichkeit zu erkennen, zu beklagen und zu betrauern“. Er warnte davor, die Debatte „auf Differenzen über einen Begriff“ zu reduzieren.

Am 24. April 2015 beriet der Bundestag drei Anträge (ein gemeinsamer der Union und der SPD sowie jeweils einer der Grünen und der Linken) zum Völkermord an den Armeniern, in denen dieser als solcher bezeichnet wird. Die Oppositionsparteien forderten zudem eine formale Anerkennung entsprechend der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes der Vereinten Nationen sowie ein Bekenntnis zur historischen Mitverantwortung des Deutschen Reiches. Bundestagspräsident Norbert Lammert sagte zum Auftakt der Debatte: „Das, was mitten im Ersten Weltkrieg im Osmanischen Reich stattgefunden hat, unter den Augen der Weltöffentlichkeit, war ein Völkermord.“

Am 2. Juni 2016 beschloss der Deutsche Bundestag mit einer Gegenstimme und einer Enthaltung auf Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Grünen die Resolution „Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten in den Jahren 1915 und 1916“. Bundeskanzlerin Merkel, Vizekanzler Gabriel und Außenminister Steinmeier hatten nicht an der Debatte teilgenommen.

Im Teil I des Beschlusses des Bundestages heißt es:

„Der Deutsche Bundestag verneigt sich vor den Opfern der Vertreibungen und Massaker an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten des Osmanischen Reichs, die vor über hundert Jahren ihren Anfang nahmen. Er beklagt die Taten der damaligen jungtürkischen Regierung, die zur fast vollständigen Vernichtung der Armenier im Osmanischen Reich geführt haben. Ebenso waren Angehörige anderer christlicher Volksgruppen, insbesondere aramäisch/assyrische und chaldäische Christen von Deportationen und Massakern betroffen. Im Auftrag des damaligen jungtürkischen Regimes begann am 24. April 1915 im osmanischen Konstantinopel die planmäßige Vertreibung und Vernichtung von über einer Million ethnischer Armenier. […] Der Bundestag bedauert die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches, das als militärischer Hauptverbündeter des Osmanischen Reichs trotz eindeutiger Informationen auch von Seiten deutscher Diplomaten und Missionare über die organisierte Vertreibung und Vernichtung der Armenier nicht versucht hat, diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stoppen.“

– Deutscher Bundestag, Drucksache 18/8613

Im Teil II des Beschlusses fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung u. a. dazu auf, „sich gegenüber der türkischen und der armenischen Regierung für die Ratifizierung der 2009 unterzeichneten Zürcher Protokolle einzusetzen.“ Um die deutsche Vermittlerposition nicht zu gefährden, findet die deutsche Mittäterschaft keine Erwähnung im Beschluss.

Die Türkei hatte die geplante Bundestagsentschließung kritisiert. Ministerpräsident Yıldırım hatte gegenüber Bundeskanzlerin Merkel gesagt, die Entschließung enthalte ungerechte und grundlose Anschuldigungen. Nach der Annahme der Resolution rief die Türkei ihren Botschafter Hüseyin Avni Karslıoğlu aus Berlin zurück. Präsident Erdoğan drohte, die Resolution werde „ernste“ Folgen für die Beziehungen zwischen beiden Ländern haben. Yıldırım sprach von einer „rassistischen armenischen Lobby“, die für die Entscheidung des Bundestages verantwortlich sei. Außenminister Çavuşoğlu warf Deutschland vor, dunkle Kapitel der eigenen Geschichte überdecken zu wollen, indem „die Geschichte anderer Länder angeschwärzt wird“, und kritisierte die Resolution als „unverantwortlich und haltlos“. Justizminister Bozdağ äußerte, die in der Resolution enthaltenen Genozid-Vorwürfe seien eine „Verleumdung“ des Volkes, des Staates, der Geschichte und der Vorfahren der Türken und sagte mit Bezug auf den Holocaust: „Erst verbrennst Du die Juden im Ofen, dann stehst Du auf und klagst das türkische Volk mit Genozidverleumdungen an“. Er forderte von Deutschland: „Kümmere Dich um Deine eigene Geschichte.“ Die türkischstämmigen Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die für die Resolution stimmten, seien „Leute mit schlechtem Blut und schlechter Muttermilch [und] können die Türkei nicht vertreten“. Yıldırım sagte, „ungeachtet der Umstände werden wir unsere Beziehungen zu unseren Freunden und Verbündeten fortsetzen“. Deutschland sei ein wichtiger Verbündeter. In der Folge kam es zu Mordaufrufen gegen elf türkischstämmige Bundestagsabgeordnete und Erdoğan forderte die Untersuchung deren Blutes. Bundeskanzlerin Merkel wies Erdoğans Äußerungen zurück. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz kritisierte Erdoğan scharf Bundestagspräsident Norbert Lammert sagte bei der Eröffnung einer Sitzung des Plenums: „Dass ein demokratisch gewählter Staatspräsident im 21. Jahrhundert seine Kritik an demokratisch gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit Zweifeln an deren türkischer Abstammung verbindet, ihr Blut als verdorben bezeichnet, hätte ich nicht für möglich gehalten. Und die Verdächtigung von Mitgliedern dieses Parlamentes als Sprachrohr von Terroristen weise ich in aller Form zurück.“

Am 2. September 2016 wurde berichtet, die Bundesregierung wolle sich von der Resolution des Bundestags distanzieren. Geplant sei eine politische Geste an die türkische Regierung, damit deutsche Abgeordnete die auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik stationierten Bundeswehrsoldaten wieder besuchen dürfen. Daraufhin betonte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), dass die Resolution keine rechtliche Wirkung habe. Er sagte: „Der deutsche Bundestag hat natürlich jedes Recht und die Freiheit, sich zu politischen Fragen zu äußern. Der Bundestag sagt aber auch selbst, dass nicht jeder Resolution eine rechtliche Bindewirkung zugrunde liegt.“ Aus Opposition und Union rief der berichtete Plan Kritik bzw. Widerstand hervor. Regierungssprecher Steffen Seibert stellte daraufhin klar, die Regierung habe nicht das Recht, sich in Entscheidungen eines anderen Verfassungsorgans einzumischen. Die Resolution sei jedoch kein rechtlich bindendes Dokument. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts teilte mit, Minister Steinmeier „stand, er steht und er wird zu der Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages stehen“. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sagte, es werde „keine Distanzierung von der Armenien-Resolution geben“. Der Bundestag habe das Recht, sich zu jedem Thema zu äußern. Zur Stellungnahme der Bundesregierung sagte der Sprecher der türkischen Botschaft in Berlin, Refik Soğukoğlu: „Wir sehen das generell eher positiv.“ Man schätze vor allem die Aussage Seiberts, „dass den Gerichten die Entscheidung obliegt, was Völkermord ist – und nicht dem Parlament.“ Auch stimme man zu, „dass die Bundesregierung nicht immer die gleiche Meinung haben muss wie der Bundestag.“

Frankreich

Am 30. Januar 2001 wurden die Verbrechen an den Armeniern von 1915 bis 1917 in Frankreich per Gesetz als Völkermord eingestuft. Das Gesetz enthält einen einzigen Satz; er lautet La France reconnaît publiquement le génocide arménien de 1915. („Frankreich erkennt den Genozid an den Armeniern von 1915 öffentlich an.“)

Die Sozialistische Partei (PS) brachte 2006 einen Gesetzentwurf in die Nationalversammlung ein, nach dem die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern mit einer Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr und einer Geldbuße von bis zu 45.000 Euro bestraft werden sollte. Ein Großteil der Abgeordneten blieb der Abstimmung fern, als der Entwurf am 12. Oktober 2006 verabschiedet wurde. Letztlich scheiterte das Gesetz im französischen Senat. Dennoch zog der Vorgang erneute Boykottdrohungen gegen französische Produkte von türkischer Seite nach sich.

Am 22. Dezember 2011 verabschiedete die Nationalversammlung ein Gesetz, das bestimmt, dass „die öffentliche Preisung, Leugnung oder grobe Banalisierung von Genoziden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen“ mit schweren Haft- und Geldstrafen geahndet werden kann.67] Das Gesetz betrifft auch den Völkermord an den Armeniern. Als Reaktion zog die türkische Regierung ihren Botschafter auf unbestimmte Zeit aus Frankreich ab und drohte mit Sanktionen. Die französischen Abgeordneten rügten die „unerträglichen Versuche“ der Republik Türkei, Druck auf das Parlament auszuüben. Das Gesetz wurde im Januar 2012 durch den französischen Senat bestätigt.[ Auf Antrag einer Gruppe von Senatoren wurde das Gesetz zusätzlich vom Verfassungsrat geprüft, der es für verfassungswidrig erklärte, da es gegen die Meinungsfreiheit verstoße.

Israel

Israel verwendet die Begriffe Völkermord und Genozid in Bezug auf die Vorkommnisse von 1915/16 nicht. 2001 sagte der damalige Außenminister Israels Schimon Peres in einem Interview, die Armenier hätten zwar eine Tragödie durchlebt, jedoch keinen Völkermord. Am 26. Dezember 2011 wurde der Völkermord an den Armeniern erstmals in der Knesset diskutiert, und zwar im Komitee für Bildung, Sport und Kultur. Dabei ging es darum, ob dieser Völkermord anerkannt werden könne. Weiter wurde ein Gesetzentwurf diskutiert, wonach der 24. April ein „Gedenktag an das Massaker am armenischen Volk“ sein soll. Nach Einwänden aus dem Büro des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und auf Bitten des Vorsitzenden des nationalen Sicherheitsrates, Yaakov Amidror, wurden die Diskussionen ohne Ergebnis vertagt. Parlamentspräsident Reuven Rivlin (Likud) meinte: „Wir haben die moralische Pflicht, uns selbst und die Welt an die Tragödie des armenischen Volkes zu erinnern.“ Rivlin setzt sich seit 1989 zusammen mit Chaim Oron (Meretz) dafür ein, den Genozid jedes Jahr auf die politische Agenda zu setzen (siehe auch Erinnerungskultur). „Wir rufen die Nationen auf, den Holocaust nicht zu leugnen, und so haben wir Juden kein Recht, die Tragödie eines anderen Volkes nicht anzuerkennen. Dies ist keine politische, sondern eine moralische Angelegenheit“, so Rivlin.  Ein anderer Initiator des Vorstoßes, Arieh Eldad (Hatikva), meinte: „Früher durfte man über diese Frage nicht reden, weil wir so gute Beziehungen mit der Türkei hatten. Jetzt soll man es nicht tun, weil die Beziehungen so schlecht sind. Wann also wird der richtige Moment dafür sein?“ Der Ausschussvorsitzende Alex Miller (Jisra’el Beitenu) betonte die „erzieherische und akademische“ und dementiert jegliche „diplomatische und sicherheitspolitische“ Motivation der Debatte. Einige Beobachter deuten diese Debatte als „Provokation im andauernden israelisch-türkischen Streit“, der durch den Ship-to-Gaza-Zwischenfall am 31. Mai 2010 entstand. Parlamentspräsident Reuven Rivlin dagegen dementierte jegliche politische Motivation.  

Niederlande

Das Unterhaus des Niederländischen Parlaments erkannte am 22. Februar 2018 fast einstimmig (142:3 Abgeordnete) den an Armeniern begangenen Völkermord als solchen an.

Österreich

Der österreichische Nationalrat gab am 21. April 2015 anlässlich des 100. Jahrestags des Völkermords eine von den Vorsitzenden aller Fraktionen unterzeichnete Erklärung ab, die den Völkermord an den Armeniern als solchen benennt und verurteilt. Weiter heißt es darin, aufgrund seiner historischen Verantwortung als einstiger Verbündeter des Osmanischen Reichs sei Österreich zu diesem Schritt verpflichtet. Die Türkei solle sich ihrer Vergangenheit stellen, sie aufarbeiten und die an Armeniern begangenen Verbrechen ebenfalls als Genozid anerkennen.

Die türkische Regierung (Davutoğlu) protestierte gegen die Erklärung und die ihrer Ansicht nach „voreingenommene Haltung“ des Nationalrats und zog ihren Botschafter aus Wien ab.

Schweden

Schweden stufte die Ereignisse am 11. März 2010 in einer Resolution (bei einem knappen Stimmenvergleich von 131 zu 130) bei einer Reichstagssitzung als Völkermord ein. Deswegen beorderte die türkische Regierung ihre Botschafterin Zergün Korutürk aus Stockholm zurück, die vor ihrer Abreise schwere Vorwürfe gegen die schwedische Regierung äußerte. Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan sagte zudem aus Protest einen geplanten Schweden-Besuch ab.

Slowakei

Die Slowakei stufte die Ereignisse am 30. November 2004 in der Resolution Nr. 1341 des Nationalrates der Slowakischen Republik als Völkermord ein. Als einziges Land der EU stellt die Slowakei die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern unter Strafe. In der Slowakei gibt es zwei Gedenkstätten für die Opfer, eine in Bratislava und eine in Košice.

Syrien

Während anhaltender Kampfhandlungen im Rahmen des syrischen Bürgerkriegs, an dem türkische Truppen auf Seiten syrischer Oppositioneller kämpften, erkannte das syrische Parlament am 13. Februar 2020 den Völkermord an den Armeniern offiziell an.

Vatikan

Der Vatikan erhielt erste Berichte über Massaker im Juni 1915. Der Apostolische Delegat in Konstantinopel, Msgr. Angelo Maria Dolci, berichtete dem Vatikan. Unter anderem sandte er Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri und Kardinal Girolamo Gotti am 30. Juli 1915 einen detaillierten Bericht.

Benedikt XV., Papst von 1914 bis 1922, intervenierte in den Jahren 1915 bis 1918 mehrfach sowohl beim Osmanischen Reich als auch in Deutschland und Österreich-Ungarn erfolglos zugunsten der Armenier.

Papst Johannes Paul II. bezeichnete während seines Armenien-Besuchs (September 2001) die Verfolgung als „Genozid“. Ignatius Maloyan, damals Erzbischof von Mardin und am 11. Juni 1915 ermordet, wurde am 7. Oktober 2001 durch Johannes Paul II. als Märtyrer anerkannt und seliggesprochen.

Papst Franziskus bezeichnete die Gräueltaten an den Armeniern am 3. Juni 2013 während einer Zusammenkunft mit dem armenisch-katholischen Patriarchen Nerses Bedros XIX. Tarmouni im Vatikan als „den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts“, wogegen das türkische Außenministerium protestierte. In einer Messe am 12. April 2015 wiederholte er dies sinngemäß, es habe im vergangenen Jahrhundert drei gewaltige und beispiellose Tragödien gegeben. Die erste dieser Tragödien, die weithin als erster Völkermord des 20. Jahrhunderts gelte, habe das armenische Volk getroffen. Die türkische Regierung (Kabinett Davutoğlu I unter Staatspräsident Erdoğan) bestellte daraufhin den Apostolischen Nuntius in Ankara ein. Am 24. Juni 2016, dem ersten Tag seines Besuchs in Armenien, bezeichnete Franziskus die Verfolgung der Armenier erneut als Tragödie und Genozid. Der türkische Vize-Regierungschef Nurettin Canikli äußerte, die Erklärung sei „sehr unglücklich“, habe „keinerlei Bezug zur Realität“ und zeige eine „Kreuzfahrermentalität“ des Papstes.

Vereinigte Staaten von Amerika

Im Jahr 1951 stuften Anwälte der amerikanischen Regierung die Ereignisse von 1915 als Völkermord gemäß der entsprechenden UN-Konvention von 1948 ein, als sie vom Internationalen Gerichtshof um eine Stellungnahme gebeten wurden. Um das Jahr 1965, also zum 50. Jahrestag des Beginns der Ereignisse, gewann das politische Bestreben der armenischen Diaspora nach einer Anerkennung des Genozids auch in den Vereinigten Staaten an Momentum. In einer Proklamation zum Holocaust führte Ronald Reagan im April 1981 die Massenmorde im Osmanischen Reich und in Kambodscha unter Pol Pot als Genozide an. Nach der Ermordung des türkischen Konsuls Kemal Arıkan durch zwei armenische Amerikaner im Januar 1982 in Los Angeles änderte er seine Haltung. Zum einen war er über das Attentat in seinem Heimatstaat Kalifornien empört, zum anderen war die Türkei während des Kalten Krieges ein wichtiger NATO-Partner. Sieben Monate später veröffentlichte das Außenministerium einen Artikel über „armenischen Terrorismus“. In diesem stand unter anderem die Feststellung, dass Terroristen mit dem Genozidvorwurf an die Türkei ihre Gewalttaten rechtfertigten. Des Weiteren hieß es, dass die amerikanische Regierung sich die Einstufung der Ereignisse von 1915 als Genozid nicht zu eigen machte. Anders als im Kongress war die Bezeichnung Genozid an den Armeniern danach bis auf Weiteres aus dem offiziellen Sprachgebrauch des Weißen Hauses gestrichen.

Im Kongress hingegen betrieb der armenisch-amerikanische Unternehmer Stephen Mugar in den 1970er Jahren Lobbyarbeit für die Anerkennung der Ereignisse von 1915 als Genozid. Er konnte dabei den Sprecher des Repräsentantenhauses Tip O’Neill aus Massachusetts für die Sache gewinnen. In  dessen Kongresswahlbezirk lag Watertown, das eines der wichtigsten Zentren der armenischen Diaspora in den Vereinigten Staaten ist. Im Jahr 1975 dirigierte O’Neill mit Erfolg eine Resolution durch das Repräsentantenhaus, die den 24. April zum „Nationalen Gedenktag an die Unmenschlichkeit von Menschen untereinander“ (National Day of Remembrance of Man’s Inhumanity to Man), um alle Opfer von Genoziden zu ehren. In der Resolution wurde explizit der Völkermord an den Armeniern genannt, womit sie für lange Zeit die letzte blieb, die dies tat. Im Senat setzte sich Bob Dole für eine erneute Ausrufung dieses Gedenktages ein, scheiterte damit aber 1990.

In den Vereinigten Staaten dauert eine Diskussion über die Einschätzung der Massaker seit Jahren an. Resolution 596 wurde am 27. September 2000 in den US-Kongress gebracht mit dem Ziel, der Kongress möge die Geschehnisse offiziell als Völkermord anerkennen.

US-Präsident Bill Clinton drängte mit Schreiben vom 19. Oktober 2000 den Sprecher des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten Dennis Hastert, die Resolution 596 von der Tagesordnung zu nehmen.

Am 10. Oktober 2007 stimmte der Auswärtige Ausschuss des Repräsentantenhauses mehrheitlich einer Resolution zu, die aussagt, dass die Verfolgung und Vertreibung von Armeniern im Osmanischen Reich im Ersten Weltkrieg als „Völkermord“ eingestuft werden soll. US-Präsident George W. Bush und das US-Außenministerium äußerten die Befürchtung, die Entscheidung könne die Beziehungen zur Türkei verschlechtern. Die türkische Regierung rief einen Tag später ihren Botschafter aus den USA vorübergehend zurück. Diese Sorge teilten acht ehemalige Außenminister, so dass der Kongress die Resolution letztendlich fallen ließ.  Am 18. Oktober 2007 meldeten Medien, die Türkei habe dem Kongressmitglied Robert L. Livingston zwölf Mio. US-Dollar für Lobby-Arbeit gegen die Armenien-Resolution gezahlt.  

Barack Obama, von 2009 bis 2017 US-Präsident, hatte seinen Wahlkampf unter anderem mit dem Versprechen geführt, er werde als erster US-Präsident die türkischen Massaker an den Armeniern als „Völkermord“ bezeichnen. Am 24. April 2009, an dem Armenier in aller Welt wie alljährlich der Massaker gedachten, vermied Obama in einer Erklärung allerdings den Begriff Genozid, erinnerte aber an seine früheren Stellungnahmen dazu, in denen er diesen Begriff verwendet hatte. Er wählte stattdessen die armenische Bezeichnung „Meds Yeghern“ und ließ keinen Zweifel an seiner Einordnung der historischen Geschehnisse als große Gräueltaten, die 1,5 Millionen Armenier bei den Massakern und auf den Todesmärschen das Leben gekostet hätten. Der auswärtige Ausschuss des US-Repräsentantenhauses bezeichnete im März 2010 in einer Resolution die Ereignisse als Völkermord. Der Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses, Howard Berman, kommentierte die Entscheidung des Repräsentantenhauses mit den Worten: „Deutschland hat die Verantwortung für den Holocaust akzeptiert. Für die Türkei ist es jetzt Zeit, die Realitäten des Genozids an den Armeniern zu akzeptieren.“

Obama forderte im April 2011 von der Türkei eine umfassende historische Anerkennung der Massaker an den Armeniern. Von Völkermord sprach er erneut nicht. Der türkische Botschafter in den USA, Namık Tan, wies Obamas Kritik zurück. Obamas Erklärung zeuge von einer „ungenauen, fehlerhaften und politisch einseitigen Geschichtsbetrachtung“; seine Aussagen seien „inakzeptabel“ und „unvertretbar“.

Mit 405 zu 11 Stimmen votierte das US-Repräsentantenhaus am 29. Oktober 2019 für eine Resolution, die die Deportation und Ermordung der Armenier im Osmanischen Reich zum Völkermord erklärte. 13 Abgeordnete enthielten sich der Stimme. Gegen die Resolution stimmten 11 Abgeordnete der Republikanischen Partei. Am 12. Dezember 2019 stimmte der Senat dieser Resolution einstimmig zu.

Am 24. April 2021 erkannten die USA die Gräueltaten an den Armeniern als Völkermord an. Damit löste US-Präsident Biden ein Wahlversprechen ein. Biden sagte unter anderem: Wir bestätigen die Geschichte. Wir tun dies nicht, um Schuld zuzuweisen, sondern um sicherzustellen, dass sich das, was geschehen ist, niemals wiederholt.

Während des ersten Weltkrieges 1915 bis 1917 wurde im osmanischen Reich neben der Ermordung der Armenier auch der Mord an syrischen Christen begannen.

Wikipedia schreibt:

Völkermord an den syrischen Christen bezeichnet Ereignisse von 1915 bis 1917 während des Ersten Weltkrieges unter der Herrschaft der 1908 an die Macht gekommenen Jungtürken im damaligen Osmanischen Reich und der iranischen Grenzregion, die gleichzeitig mit dem Völker syrischen Christen mord an den Armeniern und den Verfolgungen der Griechen geschahen. Der Völkermord wird auf Aramäisch Sayfo oder Seyfo („Schwert“ genannt.

Betroffene Volksgruppe

Betroffen von den Massakern waren die indigenen syrischen Christen Nordmesopotamiens. Die Begrifflichkeit „Syrisch“ bezieht sich nicht auf die heutige Republik Syrien, sondern auf die syrische Tradition des Christentums. Konkret wurden die Anhänger der folgenden Orientalisch-orthodoxen Kirchen Opfer der systematischen Verfolgung:

Westsyrische Kirchen (geht auf das Patriarchat Antiochien zurück, daher antiochenischer Ritus):
Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien
Syrisch-katholische Kirche
Ostsyrische Kirchen (geht auf das Katholikat Seleukia-Ktesiphon zurück, daher ostsyrischer Ritus):
Assyrische Kirche des Ostens
Chaldäisch-katholische Kirche

Aber auch missionierte evangelische und protestantische Assyrer/Aramäer wurden Opfer dieser Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Gemeinsam war diesen Gemeinschaften die syrische Kultsprache, während sie im Alltag heute als „neoaramäisch“ bezeichnete Dialekte dieser Sprache, Arabisch oder Kurdisch sprachen. Gleichfalls betroffen waren die Gemeinden, die sich durch die Tätigkeit protestantischer Missionare unter diesen Gemeinschaften gebildet hatten, was insbesondere im Raum Urmia der Fall war. In der Gegenwart sind für diese Gruppen die Bezeichnungen Assyrer bzw. Aramäer, auch über die Konfessionsgrenzen hinweg in Gebrauch, wobei die Benennung in den Gruppen, besonders bei den Syrisch-Orthodoxen als größter Gruppe, heftig umstritten ist. Ihre heutige Eigenbezeichnung lautet Suryoye, während sie im Deutschen als syrische Christen bezeichnet werden.

Diese Volksgruppen waren religiös und ethnisch heterogen, ohne einheitliche kulturelle und nationale Identität. Die von der osmanischen Verwaltung geförderte religiöse Vielfalt und Konkurrenz unter den orientalischen Kirchen verhinderte einen Erfolg panassyrischer Bestrebungen.

Schon bei den Massakern an den Armeniern 1894–1896 waren auch andere christliche Bewohner im Osten des Reiches betroffen. Bei antichristlichen Pogromen in Diyarbakır oder Urfa starben bis zu 55.000 Aramäer/Assyrer, etwa 100.000 wurden gezwungen, zum Islam überzutreten.

Verlauf

Schon am 26. Oktober 1914 ordnete Innenminister Talât Bey, besorgt wegen russischer Avancen an die orientalischen Christen, die Deportation der Nestorianer aus Hakkâri in die osmanischen Westprovinzen an, wo sie unter Moslems verteilt werden sollten. Bereits drei Tage später wurde mit der Begründung, dass die erforderlichen Truppen fehlten, die Deportation verschoben und kurz danach, nach Intervention des Patriarchen, ganz abgesagt.

Die verheerende osmanische Niederlage an der Kaukasusfront gegen Russland in der Schlacht von Sarıkamış um die Jahreswende löste letztlich ein Vorgehen der osmanischen Regierung gegen die Armenier aus, da diese als Verbündete und Unterstützer des christlich-orthodoxen Zarenreiches betrachtet wurden. Im Gefolge dieser als Völkermord an den Armeniern bekannt gewordenen Vorgänge kam es zur Verfolgung auch der syrischen Christen. Anders als im Fall der Armenier dürften die Massaker an den syrisch-orthodoxen Christen nicht Teil einer zentralen Regierungspolitik gewesen sein, sondern waren von den Gouverneuren der Provinzen Van und Diyarbakır provoziert oder unterstützt worden. Letzterer war vielmehr durch den Innenminister Talât Bey angewiesen, diese nicht wie die Armenier zu behandeln – eine Anweisung, die jedoch folgenlos blieb.

Der Gouverneur von Van führte nach der Schlacht bei Sarıkamış mit kurdischen Stammeskriegern eine Invasion in dem benachbarten Iran durch. Das dortige Gebiet war von russischen Truppen besetzt gewesen, die Russen hatten aber ihre Truppen wegen der Schlacht bei Sarıkamış weitgehend abgezogen. Im Gebiet von Urmia lebte eine größere Anzahl von Christen, die hauptsächlich dem in Hakkâri residierenden nestorianischen Patriarchen Mar Benyamin Shimun unterstanden. Aus diesen Nestorianern hatten die Russen während der Besatzung auch Hilfstruppen rekrutiert. Beim Vorstoß der osmanischen Armee nach Urmia wurden 1915 zehntausende dieser Christen vertrieben oder getötet. Dabei kamen rund 47.000 Christen, Heinsohn bezeichnet sie als Assyro-Chaldäer, um.

Hakkâri gehörte damals zur Provinz Van. Das Verhältnis zwischen dem Gouverneur und dem nestorianischen Patriarchen verschlechterte sich infolge des Misstrauens und der Feindseligkeiten des Gouverneurs und als ungerechtfertigt empfundener Requirierungen immer mehr, bis im Juni 1915 der Patriarch dem Osmanischen Reich den Krieg erklärte. Der Patriarch war das Oberhaupt der sogenannten Bergnestorianer, die eine ihren kurdischen Nachbarn ähnlich soziale Stammesstruktur und Lebensweise aufwiesen. Bereits im September musste der Patriarch mit seinem Volk nach Persien fliehen. Dort wurde er im März 1918 in einem Hinterhalt des Kurdenführers Simko Schikak ermordet. Sein Nachfolger führte die ca. 60.000 Überlebenden nach Baquba im Irak, von wo sie die Briten im Norden ihres Mandatsgebiets Mesopotamien ansiedelten. Sie rekrutierten aus ihnen wieder Hilfstruppen. Nach der Unabhängigkeit fiel ein großer Teil dieser nun so genannten Assyrer erneuten Massakern zum Opfer. Ein Teil der Überlebenden ging nach Syrien, wo sie, nunmehr auch als Chabur-Assyrer bezeichnet, 36 Dörfer am Chabur gründeten.

In der Provinz Diyarbakır lag der Tur Abdin, ein Hauptsiedlungsgebiet der westsyrischen Christen, der Anhänger der Syrisch-Orthodoxen Kirche, deren Patriarch in Mardin residierte. Auch dort war die soziale Struktur und Lebensweise denen der benachbarten Kurden vergleichbar. Bis ins 19. Jahrhundert waren die dortigen, tribal organisierten Christen nahezu unabhängig und zahlten dem osmanischen Staat keine Steuern. Sie waren aber fortwährenden Angriffen der kurdischen Emire von Cizre ausgesetzt, die sie zu unterwerfen trachteten. Kirchlich waren die Christen dort in zahlreiche Patriarchate und Gegenpatriarchate gespalten; die Errichtung eines einzigen von der osmanischen Regierung anerkannten Patriarchats markiert den Beginn der staatlichen Kontrolle über das Gebiet. Geduldet und aufgestachelt durch den Gouverneur kam es zu Übergriffen, Plünderungen und Vertreibungen durch kurdische Milizen, zum Brechen des Widerstandes wurde auch die reguläre Armee eingesetzt.

Weniger betroffen war die Gruppe der Angehörigen der Chaldäisch-katholischen Kirche. Der Sitz ihres Patriarchen und ihr Hauptsiedlungsgebiet lag in der Provinz Mosul.

Verlässliche Opferzahlen existieren nicht. Die Zahlenangaben zu den assyrisch-aramäischen Opfern schwanken ähnlich wie beim Armenier-Genozid stark und reichen von 100.000 bis 250.000. Darüber hinausgehende Opferzahlen beruhen auf der unreflektierten Übernahme von Angaben der Delegationen der betroffenen Volksgruppen bei den Pariser Friedensverhandlungen.

Die meisten Schätzungen aus den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg sprechen von einer Gesamtbevölkerung syrischer Christen von 500.000 bis 600.000. Die Opferzahl unter assyrischen/aramäischen syrisch-orthodoxen Christen in Syrien wird für den Gesamtzeitraum von 1914 bis 1918 auf 90.000 geschätzt, allein in Midyat wurden über 25.000 Assyrer/Aramäer ermordet.

Viele der Opfer starben wie die Armenier bei Todesmärschen in die Syrische Wüste an Durst, Hunger, Erschöpfung oder Misshandlungen. Einige Christen konnten mithilfe ausländischer Missionare oder ihrer türkischen oder kurdischen Freunde und Nachbarn gerettet werden.

Rezeption

Der Völkermord an den Aramäern, Assyrern und Chaldäern ist einer der am wenigsten bekannten der modernen Geschichte. Die Heterogenität der betroffenen Volksgruppen in wirtschaftlich unbedeutendem Grenzland führte zu einer Vielzahl an lokalen Erfahrungen und selektiven Erinnerungen. Das Gesamtgeschehen des Völkermords zersplitterte so in einzelne, regionale Narrative im Schatten des weit größeren Genozids an den Armeniern. Überlebende berichteten oft nur von lokalen Konflikten mit Nomaden oder muslimischen Fanatikern. Die Gründe und Zusammenhänge für Vertreibung und Massaker blieben in dieser lokalen Dimension verborgen.

Die türkische Regierung leugnet den Völkermord, wie im Falle der Armenier. Eine internationale Anerkennung des Geschehens, vergleichbar mit dem Genozid an den Armeniern, gibt es bislang nicht. Das liegt an mehreren Faktoren: an der geringeren Zahl und dem eher kleinen Einfluss der Gemeinschaft in der Welt, am Fehlen eines eigenen Staates, an der Repression in Irak, Iran, Syrien und der Türkei, aber auch an fehlenden Quellen über die Geschehnisse, die sonst fast durchwegs türkischen oder armenischen Ursprungs sind.

Ein weiteres Kapitel in der Verfolgung und Ermordung von Minderheiten im osmanischen Reich sind die 

Griechenverfolgungen im Osmanischen Reich 1914–1923

In den Jahren 1914 bis 1923 kam es zu einer Welle von Griechenverfolgungen im Osmanischen Reich, die in der sogenannten Kleinasiatischen Katastrophe – also der Vertreibung der Griechen von der Westküste Kleinasiens und der fluchtartigen Auflösung der dort im Zuge des Griechisch-Türkischen Krieges (1919–1922) errichteten staatlichen Institutionen – sowie in gewaltsamen Maßnahmen gegen die Griechen Ost-Anatoliens kulminierte.

Während des Ersten Weltkrieges und der Folgejahre veranlasste die Regierung des Osmanischen Reiches die Tötung zahlreicher griechischer Bewohner der kleinasiatischen Halbinsel. Die Maßnahmen umfassten Massaker, Deportationen und Todesmärsche, schließlich die Vertreibung und Umsiedlung der Überlebenden. Gemäß verschiedenen, weit divergierenden Quellen starben mehrere hunderttausend osmanische Griechen in dieser Zeit. Einige der Überlebenden und Flüchtlinge, vor allem jene in den östlichen Provinzen (Vilâyets), flüchteten in das benachbarte Russische Reich. Nach dem Ende des Griechisch-Türkischen Krieges fand ein zwangsweiser Bevölkerungsaustausch statt: die meisten der überlebenden Griechen mussten 1923 das Osmanische Reich verlassen und siedelten unter den Bedingungen des Vertrages von Lausanne nach Griechenland über. Im Gegenzug wurden die meisten Türken Griechenlands in die Türkei übersiedelt.

Die Regierung der Republik Türkei – Rechtsnachfolger des Osmanischen Reiches – behauptet bis heute, dass die Verfolgungen und Vertreibungen durch die Vermutung der damaligen Staatsführung ausgelöst wurde, die griechische Bevölkerung in der Türkei unterstütze die Kriegsgegner des osmanischen Staates. Die Alliierten des Ersten Weltkrieges und zahlreiche ausländische Beobachter der Geschehen sahen dies anders und verurteilten die Massaker als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Historischer Hintergrund und Ursachen

Griechen lebten bereits seit der Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends, zur Zeit Homers, an der Westküste Kleinasiens. Seit dem siebten Jahrhundert v. Chr. folgte die Gründung der Kolonien an der Küste des Schwarzen Meeres, der späteren Pontos-Region, und die partielle Besiedlung des dahinterliegenden kappadokischen Binnenlandes. In byzantinischer Zeit wurde der griechische Einfluss auf die gesamte kleinasiatische Halbinsel durch administrative Maßnahmen gestärkt; Kleinasien war lange weite Zeit das Kernland des griechischsprachigen Reiches. Noch bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges war die Bevölkerung Anatoliens ethnisch vielfältig; dort lebten Türken, Griechen, Armenier, Kurden, Zazas, Tscherkessen, Aramäer (Assyrer), türkische Juden, Lasen und Aserbaidschaner.

Unter den Ursachen für die osmanische Kampagne gegen die griechische Bevölkerung wird die Befürchtung der osmanischen Regierung genannt, die osmanisch-griechische Bevölkerung werde den Gegnern des osmanischen Reiches helfen. Durch die Machtergreifung Eleftherios Venizelos’ hatte Griechenland sich eng mit der Triple Entente alliiert und gehörte nun also eindeutig zum gegnerischen Lager der Mittelmächte, mit denen das Osmanische Reich verbündet war. Daneben äußerten einige Verantwortliche die Überzeugung, man müsse das Osmanische Reich grundsätzlich von den verschiedenen nationalen Gruppierungen „säubern“, die die Integrität einer türkischen Staatsnation gefährden könnten. Dann könne man einen „ethnisch reinen“ türkischen Nationalstaat gründen.[4] Laut dem deutschen Militärattaché erklärte der osmanische Kriegsminister Ismail Enver im Oktober 1915, er beabsichtige, „das griechische Problem während des Krieges zu lösen, […] in der gleichen Art, wie er glaubt[e], das armenische Problem zu lösen.“

Bereits im Sommer 1914 zwang die geheime Guerillaorganisation Teşkilât-ı Mahsusa, unterstützt von Beamten der Regierung und der Armee, griechische Männer im wehrfähigen Alter aus Thrakien und Westanatolien in Arbeitsbataillone, in denen Hunderttausende starben. Hunderte von Meilen in das Innere Anatoliens gesandt, wurden diese Wehrpflichtigen zu Arbeiten im Straßen- und Tunnelbau sowie zu Bau- und Feldarbeiten eingesetzt, wobei sich ihre Zahl stark verringerte – entweder durch Entbehrungen und Misshandlungen oder durch richtiggehende Tötungen und Massaker durch die türkischen Wachen. Dieses Programm der Zwangsrekrutierung wurde später auf andere Regionen des Reiches, einschließlich des Pontos, ausgedehnt.

Die Zwangsarbeit von griechischen Männern wurde begleitet von Deportationen der allgemeinen Bevölkerung, die teilweise den Charakter von Todesmärschen annahmen. Zudem wurden griechische Dörfer und Städte gezielt von Türken eingeschlossen und ihre Bewohner massakriert. Ein solches Geschehen wurde am 12. Juni 1914 aus der westanatolischen Stadt Phokaia, fünfundzwanzig Meilen nordwestlich von Smyrna gelegen, berichtet; die entstellten Leichen von Männern, Frauen und Kindern seien anschließend in Brunnen geworfen worden.

Im Juli 1915 erklärte der griechische Geschäftsträger Tsamados, dass die Deportationen nichts anderes „als ein Vernichtungskrieg gegen die griechische Nationalität in der Türkei sein können; durchgeführte Maßnahmen hierzu waren Zwangsübertritte zum Islam, damit, falls es nach dem Krieg erneut zu einer europäischen Intervention zum Schutz der Christen kommen sollte, so wenige wie möglich von ihnen übrig bleiben.“ Laut George W. Rendel vom britischen Außenamt wurden 1918 „über 500.000 Griechen deportiert, von denen vergleichsweise wenige überlebten.“ In seinen Memoiren schrieb der Botschafter der Vereinigten Staaten zwischen 1913 und 1916, Henry Morgenthau: „Überall werden die Pontosgriechen in Gruppen zusammengelagert und werden, unter dem sogenannten Schutz der türkischen Gendarmerie, ins Innere des Landes transportiert – der größte Teil zu Fuß. Wie viele auf diesem Weg vereinzelt und verstreut wurden, ist nicht eindeutig bekannt, die Schätzungen reichen von 200.000 bis 1.000.000.“

Am 14. Januar 1917 versandte der schwedische Botschafter in Konstantinopel Cosswa Anckarsvärd eine Depesche zu den Deportationen der osmanischen Griechen:

„Was zuvörderst als eine harte Grausamkeit erscheint ist, dass die Deportationen nicht allein auf Männer beschränkt sind, sondern auch gleichermaßen auf Frauen sowie Kinder ausgeweitet wird. Dies wird vermutlich getan, um die Möglichkeit zu haben, das Eigentum der Deportierten weitaus leichter zu konfiszieren.“

Methoden der Vernichtung, welche den Tod indirekt verursachten – wie Deportationen einschließlich Todesmärschen, das Verhungern in Arbeitslagern und die Konzentrationslager – wurden als „weiße Massaker“ bezeichnet. Die türkischen Kriegsgerichte der Jahre 1919 und 1920 sahen Anklagen gegen eine Reihe von führenden türkischen Beamten für ihre Rolle bei den Massakern gegen Griechen und Armenier vor. In einem Bericht vom Oktober 1920 beschreibt der britische Offizier ein Massaker im nordwestanatolischen İznik, indem er berichtet, dass mindestens 100 verstümmelte Leichen von Männern, Frauen und Kindern in und um eine Höhle außerhalb der Stadtmauern gebracht worden seien.

Auf die bereits systematischen Massaker an den kleinasiatischen Griechen und die begleitenden Deportationen seit 1914 folgte der Griechisch-Türkische Krieg mit der Besetzung des überwiegend griechisch bewohnten Smyrna im Mai 1919 aufgrund eines Völkerbundmandats. In diesem Krieg verübten diesmal beide Seiten ein gegenseitiges Massaker. Zwischen Mai 1919 und September 1922 verübten auch die griechischen Truppen in dem von ihnen besetzten Teil Westanatoliens Übergriffe gegen türkische Städte und Dörfer. In Alaşehir, dem antiken Philadelphia, wurden 4300 von 4500 Häusern zerstört, 3000 Menschen kamen dabei ums Leben. In Manisa, dem antiken Magnesia, blieben nur 1400 von 14000 Häusern unversehrt. Die griechische Besetzung endete im September 1922, worauf eine panikartige Flucht der griechischen Bevölkerung einsetzte. Am 13. September 1922 brach im armenischen Viertel der Stadt ein Feuer aus, das sich rasch über die Viertel der Griechen und der westlichen Ausländer (der sogenannten „Franken“) ausbreitete und einen großen Teil Smyrnas vernichtete; in der griechischen Geschichtsschreibung wird dieses Geschehen als Katastrophe von Smyrna bezeichnet. Dieses Ereignis wurde zum emblematischen Bild der kleinasiatischen Katastrophe in der griechischen Memoria.

Der Historiker Arnold J. Toynbee vertrat die Auffassung, dass es die griechische Besatzung war, welche zur Gründung der türkischen Nationalbewegung von Mustafa Kemal und damit zu einer Verschärfung der Nationalitätenfrage geführt hatte: „Die Griechen des Pontos und die Türken in den griechisch besetzten Gebieten waren in gewissem Grade Opfer der ursprünglichen Fehlkalkulation der Herren Venizelos und Lloyd George in Paris.“ Toynbee stellte die Massaker somit in den Kontext der irredentistischen Politik Griechenlands, nach der überwiegend griechisch besiedelte Gebiete von der Fremdherrschaft befreit werden sollten (Megali Idea).

Hilfsaktionen

Im Jahre 1917 wurde als Reaktion auf die fortgesetzten Deportationen und Massaker eine Hilfsorganisation mit dem Namen Hilfskomitee für die Griechen Kleinasiens (englisch Relief Committee for Greeks of Asia Minor) gegründet. Das Komitee arbeitete in Kooperation mit dem amerikanischen Near East Relief, um Hilfe für die osmanischen Griechen in Thrakien und Kleinasien zu verteilen. Die Organisation wurde im Sommer 1921 aufgelöst, aber die griechische Hilfsarbeit wurde von anderen Organisationen fortgesetzt.

Zeitgenössische Reaktionen

Die Berichte deutscher und österreichisch-ungarischer Diplomaten sowie das 1922 von George William Rendel zusammengestellte Memorandum über „Türkische Massaker und Vertreibungen“ bilden wichtige Belege für eine Reihe von systematischen Massakern an den Griechen in Kleinasien.Die Zitate gehen auf verschiedenen Botschaftern und Konsuln der Mittelmächte bei der Hohen Pforte zurück, vor allem auf die deutschen Botschafter Hans Freiherr von Wangenheim und Richard von Kühlmann, den deutschen Vize-Konsul in Samsun Kuchhoff, den österreichischen Botschafter János von Pallavicini und den österreichischen Konsul in Samsun Ernst von Kwiatkowski sowie den inoffiziellen Agenten in Ankara, den Italiener Tuozzi; das Deutsche Kaiserreich und Österreich-Ungarn waren Verbündete des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg. Ebenso berichteten verschiedene Geistliche und politische Aktivisten von den Geschehnissen, allen voran der deutsche Missionar Johannes Lepsius und Stanley Hopkins vom American Committee for Relief in the Near East. Die Berichte nennen systematische Massaker, Vergewaltigungen sowie Niederbrennungen von griechischen Dörfern und beschreiben die damit verbundenen Absichten der türkischen Beamten, namentlich der türkischen Premierminister Mahmud Şevket Pascha, Rafet Bey, Talat Pascha und Enver Pascha.

Zudem berichteten auch die Korrespondenten der New York Times umfassend über Massaker, Deportationen, einzelne Morde, Vergewaltigungen, Niederbrennungen von ganzen griechischen Dörfern, Zerstörung griechisch-orthodoxer Kirchen, Pläne zur Bildung von Arbeitsbataillonen, Plünderungen, Terrorismus und andere Grausamkeiten an griechischen, armenischen Bürgern, aber auch an britischen und amerikanischen Bürgern und Regierungsbeamten. Die Zeitung erhielt ihren ersten Pulitzer-Preis im Jahre 1918 „für den uneigennützigsten und verdienstvollsten öffentlichen Dienst erbracht durch eine amerikanische Zeitung – vollständige und genaue Berichterstattung über den Krieg.“ Weitere Medien berichteten über die Ereignisse der Zeit unter ähnlichen Titeln.

Henry Morgenthau, der Botschafter der Vereinigten Staaten im Osmanischen Reich von 1913 bis 1916, bezichtigte die „türkische Regierung“ einer Kampagne von „abscheulicher Terrorisierung, grausamer Folter, Treiben von Frauen in Harems, Vergewaltigung von unschuldigen Mädchen, den Verkauf vieler von ihnen für jeweils 80 Cent, dem Deportieren und Ermorden Hunderttausender und dem Verhungernlassen weiterer Hunderttausend nach der Vertreibung in die Wüste, sowie die Zerstörung tausender Dörfer und vieler Städte – alles Teil einer vorsätzlichen Ausführung eines Schemas zur Vernichtung der armenischen, griechischen und syrischen Christen der Türkei.

US-Generalkonsul George Horton berichtete, dass „eine der cleversten von den türkischen Propagandisten in Umlauf gebrachten Aussagen die Behauptung ist, dass die massakrierten Christen genauso schlimm wie die Mörder seien, dass es ,50-50‘ stand.“ In dieser Frage kommentiert er: “Hätten die Griechen, nach den Massakern in Pontus und Smyrna, all die Türken in Griechenland massakriert, hätte die Aufzeichnung bei fast 50-50 gelegen.” Wie ein Augenzeuge lobte auch er die Griechen für ihr „Benehmen […] gegenüber den tausenden Türken in Griechenland, während die grausamen Massaker anhielten […], [das laut seiner Meinung] eines der anregendsten und schönsten Kapitel in der Geschichte aller Länder war.“

Opfer

Verschiedene Quellen beziffern die Todesopfer im Völkermord an den Pontosgriechen von Anatolien mit Zahlen zwischen 300.000 und 360.000. Die Schätzungen für die Zahl der Todesopfer kleinasiatischer Griechen als Ganzes reichen deutlich höher.

Laut den Berichten der Internationalen Liga für die Rechte und Freiheit der Völker zwischen 1916 und 1923 wurden bis zu 350.000 griechische Pontosgriechen in Massakern, Vertreibungsaktionen und Todesmärschen getötet. Der Professor für Geschichte, Merrill D. Peterson, bestätigt, dass die Zahl der Todesopfer unter den Pontosgriechen bei 360.000 liegt. Laut George K. Valavanis muss „die Vernichtung menschlichen Lebens unter den Pontosgriechen seit dem Großen Krieg [sci. dem Ersten Weltkrieg] bis zum März 1924 mit 353.000 getöteten Menschenleben beziffert werden, als Folge von Ermordungen, Erhängungen sowie von Bestrafungen, Krankheiten und anderen Beschwernissen.“ Der griechische Journalist und Historiker Tassos Kostopoulos hat gezeigt, dass diese Zahl das Ergebnis der willkürlichen Hinzufügung von 50.000 Toten zu 303.238 war, die in einer griechischen Broschüre von 1922 vorgestellt wurde, um die gemeinsame Meinung über die Verfolgung der kleinasiatischen Griechen von zu sensibilisieren. Die Broschüre sprach von 303.238 Vertriebenen, aber Valavanis stellte sie fälschlicherweise als ausgerottete Menschen dar. Die Anzahl von c. 350.000 Tote, die bereits 1925 von Valavanis gegründet wurden, wurden von zahlreichen pontischen griechischen Aktivisten reproduziert und haben den offiziellen Status erlangt, der in fast allen Gedenkzeremonien erwähnt wird. Kostopoulos schätzt die Zahl der von 1912 bis 1924 ausgerotteten Pontus-Griechen auf etwa 100.000 bis 150.000 Tote.

Constantine Hatzidimitriou schreibt, dass der „Verlust von Leben unter anatolischen Griechen während der Periode des Ersten Weltkrieges und seines Nachwirkens bei ungefähr 715.370 lag.[35]“ Gemäß Edward Hale Bierstadt heißt es, dass „nach offizieller Bezeugung die Türken seit 1914 kaltblütig 1.500.000 Armenier und 500.000 Griechen – Männer, Frauen und Kinder – ohne den geringsten Anlass abgeschlachtet haben. “ Auf der Konferenz von Lausanne Ende 1922 wird der britische Außenminister Lord Curzon aufgezeichnet mit den Worten, dass „eine Million Griechen deportiert, getötet wurden oder gestorben sind.

Nachwirkungen

Der Artikel 142 des Vertrages von Sèvres von 1920, der im Anschluss an den Ersten Weltkrieg ausgehandelt wurde, bezeichnete das türkische Regime als „terroristisch“ und enthielt Bestimmungen, die dazu dienen sollten, „das im Laufe der Massaker des Krieges gegen Einzelne in der Türkei verübte Unrecht so weit als möglich wiedergutzumachen.“ Der Vertrag von Sèvres wurde von der türkischen Regierung niemals ratifiziert und letzten Endes durch den Vertrag von Lausanne ersetzt. Dieser Vertrag wurde begleitet von einer allgemeinen Amnestie und ohne jegliche Bestimmung in Bezug auf Bestrafung der Kriegsverbrechen.

Im Jahr 1923 führte der Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei zu einer nahezu vollständigen Beseitigung der ethnischen griechischen Präsenz in der Türkei und zu einer analogen Beseitigung der ethnischen türkischen Präsenz in weiten Teilen Griechenlands. Nach Angaben der griechischen Volkszählung von 1928 hatten zu diesem Zeitpunkt 1.104.216 osmanische Griechen Griechenland erreicht. Während die Bevölkerung Griechenlands im Jahre 1921 noch 5.050.000 Einwohner betragen hatte, war sie durch die kleinasiatischen Flüchtlinge auf 6.010.000 angestiegen.

Ausgenommen vom Bevölkerungsaustausch waren insgesamt 110.000 Griechen der Türkei sowie 106.000 Türken in Griechenland. Die verbliebenen Griechen verließen die Türkei später infolge des Pogroms von Istanbul von 1955, die Anzahl der Griechen in der Türkei wird heute zwischen 2.000 und 2.500 Personen geschätzt. Die Anzahl der Westthrakientürken in Griechenland beläuft sich aktuell auf 80.000 bis 120.000 Personen.

Es ist bis dato unmöglich, genau zu wissen, wie viele griechische Einwohner der Türkei zwischen 1914 und 1923 verstarben und wie viele ethnische Griechen aus Anatolien nach Griechenland oder in die damalige Sowjetunion vertrieben wurden. Einige der Überlebenden und Vertriebenen fanden Zuflucht in der benachbarten Demokratischen Republik Georgien (später Georgische Sozialistische Sowjetrepublik; im heutigen Georgien werden viele von ihren Nachkommen als Urumer klassifiziert).

Juristische und historische Aufarbeitung

Vorwissenschaftliche Terminologie und Anerkennung der Massaker

Vor der wissenschaftlichen Ausbildung des Begriffs „Völkermord“ war die Vernichtung der osmanischen Griechen bei den Griechen selbst als „das Massaker“ (griechisch η Σφαγή), als „große Katastrophe“ (Μεγάλη Καταστροφή) oder „große Tragödie“ (Μεγάλη Τραγωδία) bekannt. Zeitgenössische Berichte verwendeten Begriffe wie Vernichtung, Annihilation, Extermination, „anhaltende Kampagne des Massakers“, „Groß-Massaker“ und systematische Vernichtung.

Akademische Forschung

Nach dem Historiker Mark Mazower blieben die Deportationen von Griechen durch die Osmanen „in einem relativ kleinen Maßstab und scheinen nicht dazu bestimmt gewesen zu sein, im Tod ihrer Opfer zu enden. Was mit den Armeniern passieren würde, war in einer anderen Größenordnung.“ Demgegenüber hält Niall Ferguson für die Verfolgung der Griechen – wie für das Schicksal der Armenier – die Verwendung des Begriffes „Völkermord“ für angebracht. Darüber hinaus haben Genozidforscher wie Dominik J. Schaller und Jürgen Zimmerer festgestellt, dass die genozidale Qualität der „mörderischen“ Kampagne gegen die Griechen Kleinasiens offenkundig sei. In seinem Buch With Intent to Destroy: Reflections on Genocide, argumentiert Colin Tatz, dass die Türkei den Völkermord nur leugne, um nicht den „fünfundneunzig Jahre alten Traum, das Leuchtfeuer der Demokratie im Nahen Osten zu werden“, zu gefährden. Elizabeth Burns Coleman und Kevin White präsentieren eine Liste von Gründen, welche die Unfähigkeit der Türkei zur Anerkennung des nach ihrer Meinung durch die Jungtürken begangenen Völkermordes erklären sollen.

Politische Folgen

Das griechische Parlament hat zwei Gesetze über das Schicksal der osmanischen Griechen verabschiedet, das erste im Jahr 1994 und das zweite im Jahr 1998. Die Dekrete wurden im Amtsblatt der Hellenischen Republik jeweils am 8. März 1994 und am 13. Oktober 1998 veröffentlicht und bekräftigt. Das Dekret von 1994 bestätigte den Völkermord in der Pontosregion Kleinasiens und bestimmte den 19. Mai zum Tag des Gedenkens. Die Republik Zypern hat die Ereignisse ebenfalls offiziell als Völkermord anerkannt.

Als Reaktion auf das Gesetz von 1998 veröffentlichte die türkische Regierung eine Erklärung, welche behauptet, dass die Beschreibung der Ereignisse als Völkermord „jedweder historischen Grundlage entbehrt“. Der türkische Außenminister sagte: „Wir verurteilen und protestieren gegen diese Resolution. Mit dieser Resolution stützt das griechische Parlament, welches sich in Wirklichkeit beim türkischen Volk für die in Kleinasien verübten großangelegten Zerstörungen entschuldigen muss, nicht nur die traditionelle griechische Politik der sinnentstellten Geschichte, sondern legt auch den expansionistischen griechischen Geist an den Tag.“ Das von der griechischen Regierung verabschiedete Gesetz wurde auch von der Opposition im Inland unterstützt. Allerdings meinte der griechische Historiker Angelos Elefantis, dass das griechische Parlament in dieser Sache „wie ein Idiot“ gehandelt habe, wenn es auch die smyrneische Episode der kleinasiatischen Katastrophe unter den Begriff des Genozids subsumierte, während die schwierige Lage der griechischen Flüchtlinge eher das Ergebnis einer missglückten Militärstrategie der griechischen Heeresleitung dargestellt habe.

Am 11. März 2010 passierte im schwedischen Reichstag ein Antrag, welcher die Ereignisse „als einen Akt des Völkermords zur Tötung aller Armenier, Assyrer, Aramäer, Chaldäer und pontischen Griechen im Jahre 1915“ anerkennt.

Gedenkstätten

Gedenkstätten zur Erinnerung an die Not der osmanischen Griechen sind in ganz Griechenland errichtet worden sowie in einer Reihe von anderen Ländern, darunter Deutschland, Kanada, den USA, Schweden, Zypern und zuletzt in Australien.