Villa Helvetia

Die Pianistin Klara Zappler veröffent­licht 1960 einen Artikel in der „Davoser Revue“, der das Leben in der Villa Helvetia wiedergibt:

„… Schon bald nach Kriegsende treffen sich die Refugies in Davos.

Da ist Carlo Graf Seilern, der versucht, den Seinen in der Villa Helvetia etwas wie ein Heim aufzubauen. Er ist mir noch immer gegenwärtig, wie er polternd gegen alles aufbegehrt, während seine Güte in Wahrheit keine Grenzen kennt. Seine Angestellten vergöttern ihn und nennen ihn den Vater.

Ihm zur Seite steht seine Frau Ilse, die mit ihrem Charme und ihrer Güte die Atmosphäre dieses gastfreien Hauses bestimmt.

Zu den Hausgenossen zählt noch Frau Bommel, die über das „Reich des improvisierten Malerateliers“ herrscht und die Gräfin und klein Marion zu Leistungen inspiriert, die weit über den Durchschnitt gedeihen.

Musik, Literatur, dies alles wird auf eine lebendige, schöpfe­rische Art betrieben.

Aber die Geschichte der Villa Helvetia ist nicht nur eine Familiengeschichte, sie ist zugleich die Geschichte der Gestran­deten des Ersten Weltkrieges, welche in der Schweiz Zuflucht suchen und zum Teil in Davos und in der Villa Helvetia ein Stück Heimat finden.

Da sind zunächst die emigrierten österreichischen Aristokra­ten, die den großen Umwälzungen der Revolution und der Infla­tion nicht gewachsen sind.

Doch sie begegnen diesen Unbilden, die nicht selten völliger Enteignung gleichkommen, nicht ohne Grazie. Es gehört plötz­lich zum guten Ton, arm zu sein. Und sie bringen auch jenen un­entwegten Humor mit, der nicht des Tropfens Wermut entbehrt.

So lässt sich eines Tages ein Adjutant des österreichischen Kaiserhofes in der Villa Helvetia anmelden, und auf seiner Visitenkarte steht wörtlich zu lesen: „Im zwölften Jahrhundert von Karl dem Großen in den Adelsstand erhoben und im zwanzig­sten Jahrhundert von Karl Renner des Adels für verlustig er­klärt.“

Doch das Niveau der schaffenden Künstler überwiegt bald die konversationsgeladene Atmosphäre des Salons.

Da begegnet man vor allem einem der Stillen, die zuzuhören verstehen. Es ist der Bildhauer Philipp Modrow, um den sich mit der Zeit alle sammeln, die mit der Feder oder mit dem Pinsel umzugehen wissen.

Schon früh schließt sich Klabund diesem Zirkel an, der das zwiespältige Gepräge derer trägt, die zum Teil in dem herrlichen Tal auf völlige Genesung hoffen dürfen, zum Teil aber von der Tragik der Zu-spät-Gekommenen erfüllt sind. Er wird diese Atmosphäre zu seiner eigenen machen, denn auch er – ein Gezeichneter – weiß um das Geheimnis heißer Lebenssehnsucht, die der nahen Todesahnung verwandt ist. Beide aber, Modrow und Klabund, werden dank des herrlichen Klimas von Davos das unvermeidlich bittere Ende um Jahre hinauszögern können. Klabund lässt uns einen Blick in die schöpferische Gedankenwelt seines „Kreidekreises“ tun, ein Gebender ist er wie Modrow.

Die Anziehungskraft dieses Zirkels ist bald so groß, dass ihrer viele, die sich vorübergehend oder für längere Zeit in Davos aufhalten, Kontakt suchen. Auch d’Albert, der große Beethoven-Interpret, ist Gast in der Villa Helvetia. d‘Albert spielt, d’Albert reißt uns zu großer Begeisterung hin, d’Albert erzählt auch.

Sein Lieblingsthema ist das Phänomen Backhaus. „Back­haus war mein Schüler, ich saß oft stundenlang neben ihm. Wenn er nur einmal danebengegriffen hätte, wenn er nur einmal“.. verliert er sich in Erinnerungen.

Auch Szigetti, der große Geiger, ist dieser Atmosphäre ver­fallen, findet sie stimulierend. Nach mancher Tournee findet er die stillen Tage in Davos anregend, wo besonders das Musi­zieren im intimen Milieu auf der Schatzalp oder im Sanatorium Turban ihn wie ein Gedankenaustausch, wie Geben und Nehmen anmutet. 

Auch die Muse der Gesangskunst fehlt nicht. Wir begegnen Frau Issler, die namentlich mit russischen Romanzen und dem Zauber ihrer Stimme gefangen nimmt.

Wir begegnen in der Villa Helvetia Richard Tauber, der mit seinem herrlichen Tenor in verschwenderischster Weise mit Opern- und Operettenarien einen Abend zu einem Fest macht.

Der Kreis der künstlerisch Interessierten bekommt immer neue Anhänger, neue künstlerische Impulse – diesem Kreis ge­hört nun auch unter anderen Maria Moissi an.

Sie gibt dramatischen Unterricht, und ihre begabteste Schü­lerin, die Schülerin, von der sie sich am meisten verspricht, ist Muriel McCormick, die Enkelin Rockefellers. Wir dürfen das Publikum sein und werden Zeugen der überraschend meisterhaf­ten Wiedergabe der großen klassischen Gestalten – Iphigenie, Gretchen.

Ein Schauspieler des Wiener Burgtheaters besucht Maria Moissi. Er ist bezaubert von der Darstellungskunst der jungen Novizin, ihrer Anmut, ihrer edlen Geste, die seit eh und je den großen Tragöden angeboren scheint. Er wird versuchen, ein fait accompli zu schaffen, und eines Tages erscheint in der Wiener Presse eine Notiz: „Es ist uns gelungen, Muriel McCormick, einen neuen aufstrebenden Stern, fürs Burgtheater zu gewinnen.“ Das Ergebnis ist aber ein Kurzschluss: Muriel muss umgehend nach Amerika zurückkehren.

Die Szenerie wechselt. Der Zauberer Herbert Eulenberg führt uns dank seiner dichterischen Seherkraft ins Märchenland seines „Schwanenprinzen“.

Eulenberg begegne ich als Mitarbeiterin der Davoser Blätter bei deren Redaktor, Martin Platzer, der eine geschmackvolle kleine Wohnung besitzt und es liebt, alle diese prominenten Gäste in seinem Heim zu begrüßen. Er besitzt außerdem einen herrli­chen Flügel, den ich bei diesen Gelegenheiten nicht unbenutzt lasse. Eulenberg liebt Musik und fühlt sich für die Vorlesung des Abends inspiriert.

Er liest aus dem „Schwanenprinzen“, der noch nicht erschie­nen ist. Es folgen herrliche Tage des Beisammenseins mit seinen neu gewonnenen Davoser Freunden, und als er Abschied nimmt, verspricht er mit den folgenden Worten, den „Schwanenprinzen“ nach Erscheinen zu senden:

Solang der Prinz noch nicht erschienen ist
Und seine Schwanenflügel klingend schlägt,
Send ich dies ernste Stück auf kurze Frist,
Dass es ihr Herz für meine Kunst bewegt.
Zwar ist es düster und in schwarzen Fäden
Gewoben wie der Parzen finstres Lied,
Doch kann’s vielleicht in ihre Seele reden
Von dem, was meine einst und heut durchzieht.

Indessen geht Modrow ohne Klage seinen Leidensweg weiter. Es ist ihm selten vergönnt, an allen diesen künstlerischen Manife­stationen teilzunehmen; aber die Krankheit vermag seine Schaf­fenskraft nicht zu mindern. Neben den erschütternden Allegorien einer fieberbelasteten Fantasie – Zeichnungen, die seiner plasti­schen Figur „Die Qual“ entsprechen – entstehen Entwürfe zu völlig gesunden Werken, wie „Splittersucher“, „Knospe“, das reizende Figürchen „Brüderlein“, die Entwürfe zum Spengler-Denkmal.

Er ist voll künstlerischer Anregungen, und es kann nicht ausbleiben, dass er und der anwachsende Kreis um ihn auch die Jugend mitreißt. Diese lernt und macht gute Musik, und unter den tänzerisch begabten und zum Teil rhythmisch trainierten Kindern beginnt sich eine neue Entwicklung abzuzeichnen.

Da sind vor allem Beate Moissi, Dorothea Wieck, Lilian Roeder, Marion Stegemann, die beiden Haas-Mädchen und die zwei Modrow-Buben. Wir beschließen also – sind doch inzwischen Wiener betreuungs- und erholungsbedürftige Kinder eingetrof­fen, für die sich Graf Seilern stark engagiert – nach einigen privaten Darbietungen die Vorführung der „Kinderszenen“ von Schumann zugunsten eben dieses wohltätigen Zweckes.

Modrow spielt selbst den Schumann und erzählt, die Kinder zu seinen Füßen, an der Hand von Bildern auf der Leinwand „Von fremden Ländern und Menschen“ und mit gleicher Szenerie „Am Kamin“. Unvergesslich der Flammentanz der beiden kleinen Schwestern Haas; unvergesslich der Märchenzauber, mit dem die kindlichen Darsteller die anderen Szenen füllen. Schumann-Modrow beschließt die Darbietung mit „Der Dichter spricht“.

Die Aufführung hat Erfolg, und wir werden sehr bald von der deutschen Kolonie aufgefordert, im Rahmen einer Jubiläums­feier die entzückenden Kinderlieder von Pfarrer von Oeffingen einzuüben.

Dieser privaten Darbietung folgt eine öffentliche Wiederho­lung zu wohltätigem Zweck, erweitert durch eine Weihnachtspantomime, die namentlich unter den Jugendlichen ein starkes Echo auslöst. Schon das Motto dieser Lieder: „Es ist eine sehr frohe Sache um den wahren Ernst und eine sehr ernste Sache um die wahre Freude“, verrät die innere Beziehung des Komponisten zu kindlichem Erleben. Und mit großer Hingabe gestalten die Kinder die reizenden und rhythmisch hinreißenden Kinderlieder zu Bild gewordenen Reigen.

Es werden weitere Aufführungen folgen, so „Chopins letzter Traum“ nach Musik von Chopin zugunsten polnischer Emigran­ten. Unter diesen Emigranten finden wir in dem polnischen Grafen Stablewski eine erschütternde Ähnlichkeit mit dem Cho­pin der letzten Jahre. So spielt er denn die Hauptrolle. Fürstin Czartoryska aus dem Hause derer, die Chopin wohlwollten, baut die Szenerie für die Pantomime auf.

Wir haben 30 Davoser Kinder auf der Bühne, und ich hoffe, noch an anderer Stelle über die köstlich-naiven, mit unfreiwillig gewürztem Humor gespickten Reaktionen der kleinen und klein­sten Darsteller berichten zu können.

Wir schreiben 1923, und Graf Seilern beschließt eine Italienreise mit seiner Familie. In der Villa Helvetia werden rasch Reise Vor­bereitungen getroffen. Ich darf mit.

Wir reisen mit der Postkutsche über den Ofenpaß, wo noch tiefer Schnee liegt, und in ein paar Stunden werden wir die ganze Skala des Frühlingserwachens erleben…

Wir sind wieder in Davos, und mir bangt vor dem Wieder­sehen mit unsern Freunden. Ich besuche zuerst eines unserer Sorgenkinder, den jungen Sohn Hans der Kunstmalerin Bommel. Hans muss viel liegen, und ich habe ihm viel zu erzählen. Er versteht zuzuhören, ist wissensdurstig und aufgeschlossen für alles Wissenswerte, alles Schöne. Freilich, er gleitet immer wieder ab, und ich kann nicht alle seine Fragen beantworten, denn die Schönen Künste bedeuten ihm nur Liebhaberei. Worauf er Antwort haben will, das sind Fragen der exakten Wissenschaf­ten. Dieser Tatendrang, diese subjektive und positive Einstellung zum Leben wird ihm zur Kraftquelle, wird ihm helfen, ganz gesund zu werden. Er findet denn auch in der Villa Helvetia, wo seine Mutter Malstunden gibt, volles Verständnis. Für seine männlichen Freunde ist Hans Bommel ein Lernphänomen, für seine Betreuer ein Musterbeispiel gesunder Arbeitstherapie.

In der Villa Grünau bei Modrow finde ich die Maler Bau­knecht und Rubach, der letztere arbeitet gerade an seinem »Fran­ziskus«. Die Krankheit und die materielle Not sind offenkundig, aber die Künstler wehren sich tapfer.

Wir treffen alle bei Modrow zusammen, denn Modrow hilft, Modrow ermutigt. Ich höre lange zu, ich beobachte. Es ist etwas Neues um Modrow. Seine Stimme ist wie ein Hauch, seine Augen hohl, fieberglänzend und seltsam geweitet. Er lässt mich erzäh­len, er fragt immer eindringlicher. Meine Art, Wirkliches und Unwirkliches zu erfühlen, quittiert er mit den Worten: „Also auch Du bist angerührt vom Irrationalen!“

Zunächst ist nicht zu verkennen, dass seine Krankheit jenes tragische Stadium erreicht hat, das nur einen Schluss zulässt; aber Modrows Gestalterwille ist ungebrochen.

Modrow hat während unserer langen Abwesenheit zum Buch der Bücher gefunden. Er steht nicht allein mit den Problemen, die ihn nun beschäftigen. Namhafte Theologen bemühen sich, in seine Gesichte hineinzuleuchten, ihm aus dem Chaos seiner Gedanken herauszuhelfen. „Und aus dem Chaos ersteht wieder Gott“, sagt Modrow mir einmal. Dieses leidenschaftliche Eindrin­gen in Ewigkeitsfragen, das schon viel vom Jenseitigen hat, gibt ihm einen Halt, der ihn nicht mehr bis zu seinem Tode verlassen wird.

Ich habe, selber erkrankt, die Freunde lange Zeit nicht ge­sehen, aber als es mit Modrow zu Ende geht, werde ich geholt.

Im Vorraum flüstert mir Günther, Modrows Ältester, zu „Vater hat gestern nach einem besinnlich-heitern Gespräch nach seinem Tagebuch verlangt, und das ist seine letzte Eintragung: Bereit zu sein fürs Leben und fürs Sterben, das ist das ganze Geheimnis. 

Und Modrow darf das schreiben; denn er versteht es, vom Leben, von seinen Freunden Abschied zu nehmen.

Er hat es immer verschmäht, Schlaf- oder sonstige Betäu­bungsmittel zu nehmen, und sein bewusstes Eingehen in die Ewigkeit ist von einem solchen Adel, dass wir ergriffen auf jedes und besonders auf sein letztes, kaum gehauchtes Abschiedswort lauschen.

Sein Arzt, sein Mäzen Rudolf Schneider und Frau, die in den letzten zwei Jahren alles taten, um ihm ein erträgliches Dasein zu ermöglichen, seine Familie, wir alle harren erschüttert bis zum letzten Moment aus.

Aber noch ein Phänomen hinterlässt uns Modrow, an dem wir nicht ungerührt vorbeigehen können.

Die Einsegnung der Leiche verzögert sich, weil auf Harald, den jüngeren Sohn, der im Ausland weilt, gewartet wird. Die Leiche ist in einem ungeheizten Zimmer aufgebahrt – wir regi­strieren -20 Grad – und das wird wohl die Ursache sein, dass das Gesicht des Toten wieder die blühende Farbe des Lebens annimmt und nur vom Leben zu erzählen scheint.

Mit diesem Eindruck stehe ich später vor seinem monumen­talen Werk „Der Atmer“, dem Spengler-Denkmal, das einen gesunden, blühenden Jüngling darstellt, die Brust geweitet, den Blick dem Licht und der Sonne zugewandt.

Ja, das ist es, was das Leben Modrow versagt hat – ohne Schmerzen atmen zu können.

Modrow hat eine große Lücke hinterlassen. Es ist uns allen aber auch zumute, als ob wir ihm etwas schuldig geblieben wären. Das ewig tragische „Warum“, auf das wir keine Antwort wissen, bedrängt uns. Die Heilerfolge in Davos mehren sich gegenüber der Kriegszeit zusehends, denn die Tuberkulose lässt sich jetzt schon im frühesten Stadium erkennen. Es darf keine Zu-spät-Gekommenen mehr geben. Diese unheimliche Krankheit erfasst zumeist die Jungen. Ein Blick allein in die früheren Statistiken der Hochschulen zeigt, wie unerbittlich sie unter den Jungen wütet, während ein rechtzeitiges Eingreifen, verbunden mit einem Aufenthalt im Hochgebirge, Wunder wirken würde. Phi­lipp Modrow denkt darüber nach und trägt sich zu Beginn der Zwanziger Jahre mit dem Gedanken der Gründung einer Hochschule in Davos, und einige Jahre später, ohne davon Kenntnis zu haben, propagiert Prof. J. Kollarits mit teilweise andern Argu­menten die gleiche Idee (vgl. Davoser Revue Nr. 7 und 10, April und Juli 1926).

Gleichzeitig taucht aber ein neuer Plan auf, der den Frauen und Müttern anheimstellt, die Mittel für eine Hochgebirgs-Universität mit kleinen und kleinsten Beiträgen aufzubringen. Dieser Plan der Fraueninitiative dringt nicht durch. Aber es wäre unrecht, hier nicht der spontanen Zustimmung der Davoser Frauen zu gedenken, mit der sie sich diesen Gedankengang zu eigen machten. Vor allem ist es Marie Beeli, meine mütterliche Freundin, die mit der Idee sympathisiert, mit kleinen Beiträgen im Rahmen einer Friedensarbeit der Frauen ein Kulturwerk von so hoher Bedeutung zustande zu bringen.

Marie Beeli, die aus ihrer sozialen Arbeit um das erwachende Verantwortungsbewusstsein der Frauen für öffentliche Fragen weiß, begrüßt darum jene Initiative zur Gründung einer Hochgebirgs-Universität.

Die Zeit entscheidet jedoch gegen die Fraueninitiative als eine Idee von zu weiter Sicht. Es ist Dr. Paul Müller, instinktsi­cher und tatkräftig, der die Not der augenblicklichen Situation, welche rasche Hilfe erfordert, erfasst und sich für eine fruchtbare Zusammenarbeit von Hochschullehrern und Studenten in wie­derkehrenden Hochschulkursen im herrlichen Klima von Davos einsetzt. Und die Geschichte gibt ihm recht, denn selbst die so gut fundierten, die so hoffnungsvoll begonnenen Hochschulkurse, die ein weltweites Echo auslösen, werden ein Opfer der Kriegsvorbe­reitungen werden, in deren Gedankengängen kein Platz für internationale Zusammenarbeit ist.

Eine Umfrage bei Universitätsprofessoren aus aller Welt, die gerade im Engadin weilen, wird mit Begeisterung aufgenommen. Professor Albert Einstein sagt telegraphisch zu, und es folgen viele weitere Zusagen aus den bedeutendsten Universitätszen­tren Europas. Schon im Jahre 1927 kann das Initiativ-Komitee, dem neben Dr. Müller Landammann Dr. Branger und Professor Salomon angehörten, an einem Propaganda-Abend viele Promi­nente begrüßen. Bela Bartök, Weissmann, Riele Quelling leisten bereitwillig ihren künstlerischen Beitrag. Und so kann dann im Frühling 1928 der erste ordentliche Hochschulkurs bei überra­schend großer Beteiligung stattfinden.

Denn man bedenke, was es für die jungen Leute bedeutet, ein paar Wochen ungezwungener Hochschulkurse mit den Segnun­gen eines Hochgebirgsaufenthalts verbinden zu können. Lehr­stunden wechseln mit Sportanlässen im Freien, Arbeitsstunden mit Diskussionsabenden, die mit erfreulichem Freimut geführt werden.

Ergreifend aber auch, mit welcher Begeisterung die Gäste von Davos, welche, wie die Bewohner der Villa Helvetia, der Villa Grünau und andere, monatelang und oft jahrelang des gesunden Klimas wegen in Davos bleiben, diesen neuen geistigen Impulsen begegnen. Sie besuchen Kurse, sie folgen den Diskussionen, sie nehmen dankbar teil an den künstlerischen Darbietungen oder befruchten sie selber mit ihrem schöpferischen Können; ich denke dabei an einen der markantesten Wiener Gäste jener Zeit, der als Patient in Davos weilt, an den Maler Emmerich Haas. Er hatte sich auf der Flucht aus der Gefangenschaft in Sibirien ein schweres Leiden zugezogen. Emmerich Haas nimmt tätigen Anteil an allem, was die Hochschulkurse zu bieten haben. Er malt in der Villa Helvetia das Portrait der Gräfin, das Portrait von Marion, er hinterlässt eines der schönsten Kinderbildnisse und einige treffende, lebendige Bildnisse von Professor Einstein. Am Abend trifft er sich im Künstlerkreise mit Remarque oder hört ein schönes Konzert – er ist dankbar und empfänglich für alle Darbietungen.

Auch die Davoser Familien begegnen gastfreundlich den Gästen. Die Villa Helvetia öffnet noch einmal ihre Tore. Noch einmal erweisen die charmanten Seilerns, wie man sie hier nennt, Gastfreundschaft, unterstützt von der für Malerei und Musik begabten Jugend, welche die Atmosphäre der Prominenz etwas auflockert.

Noch einmal finden bedeutsame Begegnungen in der Villa Helvetia statt. Die ergreifendste davon ist wohl die Begegnung des jungen Hans Bommel mit Professor Albert Einstein. Es ist eine jener fundamentalen Begegnungen, die ein Schicksal ent­scheiden: Hans Bommel ist heute Professor an einer Universität in Amerika.

Und hier wollen wir Abschied nehmen von der Villa Helvetia und ihren Bewohnern, die Davos bald verließen, und die bis dahin so lebendigen Anteil genommen an allem, was das Jahrzehnt nach dem Ersten Weltkrieg in Davos so verschwenderisch reich zu bieten hatte.“