Versuchung

Komödie in einem Aufzug

Personen:

Alfred Schluckebier
Trude Bräunlich
Frau Schabatsberger, Zimmervermieterin
Erwin Arnim Knöckel
Referendar Julius H. Geppert
Eine Dame.

Ort: Berlin-N. – Zeit: Gegenwart

(Mit schäbiger Eleganz ausgestattetes möbliertes Zimmer in Berlin-N. etwa Linienstr oder Auguststr Rechts und links vom Zuschauer: Links vorn Schreibtisch, darüber ein Regulator, der nicht geht – der große Zeiger ist abgebrochen Neben dem Regulator ein Bild, das ein Loch in der Tapete verdecken soll: „Der Kuß“. Nach innen: Schreibtisch, Bett. Über dem Bett ein Holzschild, darin die Worte gebrannt sind: „Froh erwache jeden Morgen“. Unter diesem Schild ein anderes aus Papier, rot mit grünem Kranz umwunden und weißer Schrift: „Gott segne das Brautpaar“ – (wie sie zu allerlei Festlichkeiten üblich sind)

Dann Waschtisch, der von der hohen Bettlehne verdeckt wird. Im Hintergrund links Tür, rechts von der Tür Schrank, Chaiselongue, Ofen. Rechts nach dem Vordergrund Tür, Tisch, 1 Stuhl, 1 Sessel. Ganz vorn rechts ein Fenster.

Der Vorhang geht auf Alfred Schluckbier sitzt, eine Zigarre rauchend am Schreibtisch und liest. Er klappt das Buch plötzlich zu, macht eine Bewegung, als wolle er nach der Taschenuhr sehen; besinnt sich plötzlich, daß er keine hat und geht zum Fenster und sieht hinaus)

ALFRED: Hmm – (Er geht mit vorsichtigen Schritten an das Bett, in dem Trude noch schläft: mit ruhigen Atemzügen Kämpft mit sich, ob er sie wecken soll oder nicht. Es klopft rechts an der Tür)
ALFRED: Ja? (hinter der Tür)
FRAU SCHABATSBERGER: Herr Schluckebier, der Kaffee.
ALFRED: Ja, Frau Schabatsberger, – es geht nicht. Stellen Sie ihn nur draußen in die Küche. Ich werde mir ihn gleich selbst holen … (schlendert zum Bett, beugt sich hernieder, seufzt, packt endlich Trude leicht am Arm) Du – (Trude räkelt sich)
Herrgott – hat das Mädel ’n Schlaf! – Wach auf, es ist schon halb elf durch.
TRUDE: (stößt unverständliche Laute aus – richtet sich halb auf und wischt sich mit der einen geballten Hand in den schlaftrunkenen Augen) Fred.
ALFRED: Das ist ja schrecklich, mit Dir Langschläferin, man kann ja garnichts anfangen.
TRUDE: Was hast Du denn vor? (gähnt)
ALFRED: Du denkst nie daran, daß unsereiner schließlich auch zu tun hat. Nachdem Du gestern den ganzen Nachmittag von 2-7 Uhr bei mir auf der Chaiselongue geschlafen – allein – Du hattest ja ein Korsett an – und schon um 10 Uhr ins Bett – ich meine, Du solltest endlich genug haben.
TRUDE: Hat Deine Wirtin was gesagt?
ALFRED: Nein – davon ist auch garnicht die Rede.
TRUDE: Hast Du gesagt, daß ich schmutzige Zähne habe?
ALFRED: Nein – Du bist schon ’n Mädel – wie kommst Du darauf?
TRUDE: Dann hab‘ ichs geträumt. Aber ich hab‘ mir gestern morgen erst die Zähne geputzt mit Schlämmkreide.
ALFRED: Willst Du nicht aufstehen? (geht ärgerlich im Zimmer auf und ab)
TRUDE: Bist Du schon lange auf?
ALFRED: Eine Stunde mindestens.
TRUDE: Was hast Du getan?
ALFRED: Gelesen
TRUDE: Und?
ALFRED: Briefe geschrieben
TRUDE: An wen?
ALFRED: An einen Freund
TRUDE: Du lügst — Gib mir eine Zigarette.
ALFRED: (gibt ihr eine und Streichhölzer) Wirst Du dann auch aufstehen?
TRUDE: (lächelnd) Sicher – nur eine Zigarette, (pafft)
ALFRED: Ich werde den Kaffee holen, (geht zur Tür rechts und schließt sie auf)
TRUDE: (sieht sich die Zigarette an) Hör‘ mal, vorige Woche wars doch noch 3/2 und jetzt nur 2? – (Alfred geht und läßt die Tür angelehnt)
TRUDE: (pafft) Idiot
(Alfred kommt mit Tablett, einem Paar Stiefel, in dem ein Briefpaket steckt, zurück; stellt das Tablett auf ein viereckiges Tischchen vor Trude)
ALFRED: Trinke!
TRUDE: Du auch …
(Alfred holt ein zerbrochenes Bierglas und gießt für sich Kaffee ein, den er hastig heruntergießt)
TRUDE: (rührt gemütlich in ihrer Tasse und betrachtet die Schrippe) Iß.
ALFRED: Nein.
TRUDE: Dann nicht, (ißt) – Was is das für ’n Packet?
ALFRED: Manuscripte.
TRUDE: … und bedauere, davon leider keinen Gebrauch machen zu können. Hochachtungsvoll.
ALFRED: Von der satirischen Zeitschrift „Kakerlake“. Mir scheint, mir scheint, ich muß meine erotischen Anschauungen wieder mal korrigieren. Es genügt noch nicht, Fräulein … Oder zuviel? Zuviel ist nie!! –
TRUDE: Schieber.
ALFRED: (zieht sich die Schuhe an) Draußen regnets … da kann man wieder nicht auf die Straße gehen, ohne ’n Fußbad zu nehmen. Meine Sohlen sind auch schon mehr als wasserdicht!
TRUDE : Hast du gelbe Schuhcreme‘?
ALFRED: Wie Du Deine Schuhkouleur noch als „gelb“ bezeichnen kannst, ist mir schleierhaft – selbst bräunlich paßt schon nicht mehr ganz. Das einzig richtige Epitheton ist dreckig – und zwar gehörig – Warum hast Du sie denn nicht raus gestellt‘? Geputzt hätte sie sie schon.
TRUDE: Deine Wirtin – damit sie mich angnatzt – nee, so was mach’n wir nich.
ALFRED: Also, nun steh auf.
TRUDE: Nur noch eine Zigarette.
ALFRED: Aber Du hast ja schon eine.
TRUDE: Noch eine … die letzte . Komm setz Dich hier her
ALFRED: (setzt sich widerwillig auf die Bettkante, gibt ihr eine Zigarette und Streichholz)
TRUDE: Du, wenn ich so morgens im Bett liege . muß ich immer an zu Hause denken … es war doch schön..
ALFRED: Ja, tu mir den Gefallen?
TRUDE: Bleib, (packt ihn an die Hand) Jetzt bin ich hier zu Hause – ja? – es ist anders. -Ach Du, es war schön . . morgens brachte mir Mutter den Kaffee oder die Milch ans Bett – Du, kennst Du Buttermilch?
ALFRED: Ja.
TRUDE: Und nach dem Kaffee – da dehnte ich mich und streckte ich mich – und dann
stand ich langsam auf – langsam, ach wie langsam – ich hatte ja Zeit. – Und
dann spielte ich eine Stunde Klavier Du, wenn wir wenigstens ein Klavier
hätten
ALFRED: Ja, Du hast recht … Musik, Musik, die gute Dame ist uns nur noch an verstimmten Leierkästen hold –
TRUDE: Vor Tisch – da fuhr ich Rad, mit meinem Bruder oder allein – in den Wald – eine Hängematte hatte ich zum Geburtstag gekriegt – die schnallte ich hinten aufs Rad . und im Wald band ich sie an zwei Bäume und dann schlief ich – schlief ich – und nach Tisch da schlief ich auch .. bloß Du läßt einen nicht schlafen. Schlaf ist das einzige, was man noch hat. (fängt an zu lachen)
ALFRED: Was ist denn …
TRUDE: Und einmal – wenn ich dran denke – zum Schießen wars da war in Neiße grad das erste Roßwarengeschäft aufgemacht Ich war zwölf Jahre alt und mein Bruder 11 – und als wir davon hörten, mein Gott, ein Schauder überlief uns – die Pferde, die da so vor uns herumliefen, die konnte man essen. Ungeheuerlich schien es uns zuerst, so ungeheuerlich, als wenn man Menschen¬fleisch hätte essen sollen – Aber von dem Tag an ließ uns das Gelüst nach Pferdefleisch nicht los – es war direkt verrückt – und als wir 20 Pfg bei¬sammen hatten, gingen wir zum Roßschlächter – Du mußtest kaufen – und ich stand draußen Schmiere, daß uns niemand sah – und eine Angst hatten wir … wovor, weiß ich selber nicht – weißt du noch?
ALFRED: Gewiß, kleine Schwester
TRUDE: Oh, und dann gingen wir hintern Wald und aßen sie … mit Andacht schmeckte wirklich ganz gut; während ich aß, mußte ich übrigens immer an den lahmen Schimmel vom Mineralwasserfabrikanten Böhmer denken. Komisch, was?
ALFRED: Warum? (leise ärgerlich) Aber jetzt stehst Du auf. Ja?
TRUDE: Du hast mir heute noch gar keinen Kuß gegeben!
ALFRED: (küßt sie) Aber nun. Ja!
TRUDE: (seufzt) Meinetwegen – Du kannst einem schon was zusetzen (wirft das Deckbett zurück und setzt sich auf die Bettkante. Alfred erhebt sich und läuft im Zimmer herum, den Kopf etwas gebeugt, den Rücken ein ganz klein wenig gekrümmt, die Finger am Munde) Wirf mir mal ’n Unterrock her.
ALFRED: (gibt ihr Unterrock, Rock usw. vom Stuhl)
TRUDE: (zieht sich Unterrock an und geht ans Waschbecken)
TRUDE: (beim Waschen) Gestern war ich schlimm zu Dir, was? Ja, weißt Du ich hab‘ so manchmal meine Launen, dann bin ich eklig … unausstehlich, sag‘ ich Dir, – aber ich kann nichts dagegen machen, ich kann einfach nichts dafür.
ALFRED: Ja, ja.
TRUDE : Woran denkst Du?
ALFRED: An Deinen Roßschlächter aus Neiße – Übrigens – hast Du Deinem Vater, dem hochverehrten Herrn Oberlehrer zu Neiße, einmal geschrieben und um Geld gebeten? Ich finde, daß er Dich so gänzlich verstoßen, sehr unangebracht.
TRUDE: Seit ich damals vor einem Jahre mit dem Negerboxer ausgekniffen bin, hat er mir erst einmal Geld geschickt – 100 Mark. Da hab‘ ich mich aber auch tüchtig angestrengt und gewinselt und geflennt, daß es mal seine Axt hatte. Aber 100 Mark, was sind 100 Mark?
ALFRED:
Ja, was sind 100 Mark? Eine Bagatelle! 50 Pfg. täglich sind mir lieber und sind mehr, als 100 Mk. auf einen Hieb.
TRUDE: Na natürlich – 50 Mark sind doch gleich bei Kempinski – und die andern 50 Mark, die hast Du doch … für … Portospesen verwandt dagegen will ich noch nichts sagen! .. aber – daß Du dem Portier bei Kempinski 5 Mark Trinkgeld gegeben hast, das find‘ ich jetzt noch empörend … das ist Ver¬schwendung –
ALFRED: Andere Leute wollen auch leben – außerdem war ich besoffen. (Es klopft) Herein.
TRUDE: Aber!!
ALFRED: Ach, wer soll’s denn sein?
(Herein tritt Armin Erwin Knöckel. Er trägt einen blonden Vollbart, ist aber erst 21 Jahr; Kopfbedeckung: Sportmütze. Darf nicht im affektierten Schauspielerpathos gespielt werden, im Gegenteil, Knöckel spricht ziemlich leise)
KNÖCKEL: Allseits gegrüßt. Ist dies das Fräulein Kressida7
ALFRED: Sie ist’s.
KNÖCKEL: Sei hold gegrüßt der Griechen schönes Fräulein. Mit einem Kuß begrüßt Euch der Feldhauptmann, (küßt sie auf die Stirn) Zum Kusse hatt‘ ich hübschem Anlaß sonst.
ALFRED: Doch ist das Anlaß nicht zum Küssen jetzt
KNÖCKEL: O bittre Schmach! Ich bin engagementslos
ALFRED: Mensch, Teutone Agamemnon … hat das Friedrich Wilhelmstädtische nicht liquidiert?
KNÖCKEL: Aus meiner Bude bin ich auch rausgeschmissen. Wo finden Pilger Wohnung? Sagt mir an!
ALFRED: Auf diesem Sofa, edler Lord.
KNÖCKEL: Ich seh‘ kein Sofa.
ALFRED: Ich auch nicht.
TRUDE: (gurgelt) Wir können ja zu Dreien schlafen.
KNÖCKEL: Ja – sag‘ mal Schluckebier – kannst mir nicht mit 25 Pfg. unter die Arme greifen? Ich werde zwar die Direktion auf Schadenersatz anklagen … 5000 Mark … und ich bin überzeugt, die Gerichte geben mir Recht –
ALFRED: Bitte zur Kasse – dort, (mit Handbewegung nach Trude)
KNÖCKEL: Also Fräulein – gelt – pump mir was.
TRUDE: Wenn Du schon wieder zu wimmern anfängst, kriegst erst recht nix. I hab‘ au nix mehr. Schorsch Knöckel. (leise) Ich war gestern – nachmittag – nicht spazieren.
KNÖCKEL: Ja, hier schaut jeder finster. Unser Blut gehorcht nicht mehr dem Himmel.
ALFRED: Verrückter Kenner und Citierer Shakespeares, unvergeßlicher Darsteller des stummen Blinden im „Bild zu Sais“, des Kellners in „Charleys Tante“, des „ein Bauer“ aus Antonius und Kleopatra, … es ist, wie Du sagst, zum Kotzen (Es klopft)
ALFRED: Herein. (Dr. jur. Julius H. Geppert, mittelgroß, etwas dick, hübsches Gesicht, geschmackvolle elegante Kleidung, runder Strohhut, Stock mit runder silberner Krücke, spricht manchmal etwas schnell, hastig, Jude)
JULIUS: Morgen, Alfred, – ach, du hast – Damenbesuch?
ALFRED: Wenn Du nichts dagegen hast. Du warst ja lange nicht mehr hier.
JULIUS: Ach, weißt Du, die Arbeiten zum Examen.
ALFRED: Darf man gratulieren?
JULIUS: Gottseidank, ja, aber – bittersauer ists geworden – nicht Examen, aber Arbeit dazu (unruhig) willst Du mich nicht …
ALFRED: vorstellen?
TRUDE: Quatsch, hat gar keinen Zweck (sitzt jetzt wieder auf dem Bettrand und knöpft an ihrem Schuh) Ist mir furchtbar piepe, wie Sie heißen, helfen ‚S mir lieber die Schuh zubinden.
JULIUS: (kniet am Bett nieder, legt Hut und Stock weg) Wenn Sie gestatten –
ALFRED: (sieht ihm halb ironisch, halb neidisch zu) Also Du hast Dein Examen bestanden?
KNÖCKEL: Herzlichen Glückwunsch –
TRUDE: Also Sie sind Referendar? Mein Gott – und so jung noch … und so hübsch
JULIUS: Ich bleibe natürlich nicht bei der Juristerei – ausgeschlossen – ich geh‘ zu meinem Onkel nach Triest – ins Geschäft – juristisch vorgebildete Kräfte werden sehr geschätzt, und wenn ich in 5 Jahren nicht mindestens 10 tausend Mark jährlich … so (steht auf) Die Schuh sind zu ..
TRUDE: Zehntausend!!!
KNÖCKEL: Zehntausend!!! (schüttelt den Kopf)
JULIUS: Sie werden mir zugeben, gnädiges Fräulein, ein anständiger Mensch heutzutage – also sagen wir 500 Mark monatlich, das ist doch das wenigste – und – –
ALFRED: Kannst Du mir 10 Mark pumpen?
JULIUS: Mit Vergnügen .. 20 .. mein Alter hat aus Anlaß des bestandenen Examens – – (leiser) übrigens hätt‘ ich Dich gern allein gesprochen (zieht das Portemonnaie und gibt ihm 20 Mk.)
ALFRED: Danke – die gehen gleich.
KNÖCKEL: (lächelnd) Wer gibt dem armen Thoms was? – den der böse Feind durch Feuer und durch Flammen geführt hat, durch Flut und Strudel, über Moor und Sumpf, der ihm Messer unters Kissen gelegt hat und Schlingen unter seinen 5 Kirchenstuhl, der ihm Rattengift neben die Suppe stellte, der ihm Hoffart eingab, auf einem braunen trabenden Roß über einen Zoll breiten Stege zu reiten und seinem eignen Schatten wie einem Vorreiter nachzujagen. Gott schütze Deine fünf Sinne!
TRUDE: Recht hast, Erwin.
KNÖCKEL: Thoms friert – Gebt dem armen Thoms ein Almosen, den der böse Feind heimsucht –
ALFRED: Edgar, diesmal hast Du mir aus dem Herzen gesprochen. Ich möchte weinen, Edgar. Gib ihm 5 Mark, Julius.
KNÖCKEL: Knöckel ist mein Name
JULIUS: Geppert – wenn ich Ihnen einen kleinen Gefallen erweisen kann (gibt ihm 10 Mark)
(Trude ist fertig und steckt sich den Hut auf)
TRUDE: Ich möchte bummeln gehen. Es ist jetzt schönes Wetter – in die Zelte. Der Erwin wird mich begleiten, (zu Alfred) Du – – heut brauch ich Nachmittag nicht – spazieren gehen.
ALFRED: Nein – heut brauchst Du Nachmittag nicht spazieren gehn.
KNÖCKEL : Meinen besten Dank, wenn mein Engagement bei Reinhardt fest geworden – und ich zweifle nicht daran – sollen Sie es mit 100 % Zinsen zurückkriegen, mit Wucherzinsen, als wenn Sie n‘ Jude wären.
(Julius etwas unangenehm berührt)
TRUDE : Du hast auch gar keine Lebensart, Erwin, der Herr ist doch ein Jude – Nicht wahr, Sie sind Jude?
JULIUS: (verlegen) Ja –
TRUDE : Schadet nichts, ich hab‘ nichts gegen Juden. Die kleinen Judenbengels so von 4, 5 Jahren find ich sogar süß. Bloß die Jüdinnen – zu dick, zu wenig Figur, wenn sie alt werden – wenn ich n‘ Mann war –
ALFRED: Halt doch Dein Maul jetzt, ja! Adieu, laßt Euch den Sommermorgen im Tiergarten gut schmecken-
TRUDE: Adieu … hm …
KNÖCKEL: Bitte vielmals um Entschuldigung
JULIUS: Oh …
ALFRED: Adieu …
(Trude und Erwin Knöckel ab)
JULIUS: Das wurde mir zuletzt doch etwas bunt. Die Gesellschaft, in der Du jetzt verkehrst – ich begreife Dich, offen gestanden nicht. Muß nicht schon – sagen wir – das Reinlichkeitsgefühl gegen diese Leute rebellieren
ALFRED: Ach – Reinlichkeitsgefühl -, wenn Du wüßtest, seit wann ich nicht mehr -gebadet habe.
JULIUS: Wovon lebst Du eigentlich?
ALFRED: Wie Du siehst –
JULIUS: Hast Du dieses Fräulein immer bei Dir?
ALFRED: Im Sommer – zu zweien im Bett – man schwitzt – aber man tuts doch.
JULIUS: Ich möchte Dir gern helfen – aber –
ALFRED: Helfen? Woher weißt Du, daß ich hilfsbedürftig bin? – (Kurze Pause)
JULIUS: Meine Schwester Mimi hat jetzt furchtbar das Nervenzucken.
ALFRED: Das arme liebe Ding – ich glaube, ich habe sie damals, als Primaner, auch mal geliebt, nie habe ich ein Wesen gesehn, was so reinlich, so unerhört reinlich gewesen wäre. Sie muß das Ideal einer anständigen Ehegattin werden. Ehegattinnen pflegen sonst nicht immer reinlich zu sein. Das macht, sie haben die Kunst des Schlafens zu zweien noch nicht gelernt und müssen sie erst lernen. Ach mein Gott, auch hier wirds nachher ein Kompromiß!
JULIUS: Und doch, ich glaube Du hast Sehnsucht nach einer anständigen Umgebung, einem anständigen Leben. Ich begreife vollkommen, daß Du damals mit der bürgerlichen Gesellschaft gebrochen hast, Du warst jünger – aber heute – 25 Jahre bist Du und da –
ALFRED: Was machen die andern kleinen Mädchen von damals, vom Tennisspielen.
JULIUS: (erfreut) Grete Wota sprach ich neulich, sie erkundigte sich nach Dir.
ALFRED: Sie erkundigte sich nach mir?
JULIUS: Sie ist noch schöner geworden, reifer. Und ihre Augen sind jetzt schon von einer beinah unmöglichen Schönheit. Das ist eine … ich würde sie heiraten vom Fleck weg – nicht weil sie Geld hat – So etwas Weiches, Herbes, Verhaltenes und Zustürmendes –
ALFRED: Heirate sie doch, Du hast ja jetzt – Titel und Würden.
JULIUS: Du weißt ganz genau, daß sie mich nicht nehmen würde. – Du warst damals der größte Tor, daß Du sie verlassen hast, kindisch, kindisch.
ALFRED: Bitte – weshalb regst Du Dich auf?
JULIUS: Es wäre Dein Glück gewesen … Sie liebte Dich … und sie hat Geld … da hättest Du abenteuern können nach Herzenslust … aber so? Ich meine, eine normale praktische Grundlage muß der Mensch haben, auch in seinem Denken. Da scheint’s bei Dir zu hapern.
ALFRED: Nachdem ich durch allen Höllendreck gegangen – und wenn je etwas vom Himmel in mir war, in Fetzen nur noch, wie mein abgetragener Gehrock, an mir herunterhängt – ich habe ein ganz klein wenig Glauben an mich, ein ganz klein wenig – das ist ja das einzige, was ich noch habe – Kein Mensch glaubt an mich, meine Eltern nicht, Du nicht – und wie sollte man zum Glauben kommen? Man sieht ja keinen Erfolg, keinen Erfolg. Und wer keinen Erfolg hat der taugt eben nichts, das ist die harte höhnische Moral unserer Gesellschaft.
JULIUS: Das redest Du Dir ein: wir glauben so gern – aber Du mußt hier heraus, sonst wird’s nichts. Du kannst nicht ewig in diesen Hurenwinkeln stecken bleiben. Das sagte Grete Wota auch, – die Dich noch liebt, verstehst Du -Dich noch liebt – Du solltest hören, wie sie von Dir spricht …
ALFRED: Es ist unglaublich, was ein liebendes Weib für Kraft zu närrischen Illusionen hat.
JULIUS: Sie glaubt unerschütterlich an Dich – unerschütterlich – und ich weiß, daß sie Dich neulich mit einer Deiner Dirnen gesehen hat.
ALFRED: Die Weiber sind mir bis – hierher – Jedes schöne Gesicht ist mir widerwärtig, weil ich weiß, nachher, wenn ich sie gehabt habe, ist es alt, verfallen, grau – Ich sehe das Alter, sehe den Tod, im schönsten, gesundesten Weiberantlitz. Und doch peitscht mich ein wüster Wille – ist es in mir, ist es außer mir, in dieses Wirrsal.
JULIUS: Charakter … Charakter . es muß doch wenigstens zum Geldverdienen reichen.
ALFRED: (geht zum Schreibtisch, schlägt mit der Faust auf die Platte) Hier … hier … liegts begraben … kostbarer als die Ohrringe Deiner Frau Mama … reicher als die Million Deines Fräulein Grete Wota …
JULIUS: Mit Absicht verbirgst Du Dein besseres Wesen hinter Blasphemie, man weiß nie, ob Du im Ernst oder irre redest.
ALFRED: mit der Du mich absolut verkuppeln wolltest, hier verfaulen sie, die Früchte meines Lebens, die Werke der Unsterblichkeit, meine Novellen. Abgesehen von meinen sonstigen Vorzügen bin ich ja doch auch noch ein Dichter -Dichter – Dichter! Maupassant kriegt für eine einzige noch so winzige Novelle 500 Mk. – was kriege ich? Die Schwindsucht Verflucht, ich habe im Grunde so wenig Talent zum Bohemien, dem Spießer von der andern Seite – und bin auch kein Bohemien … aber es wird noch so weit kommen.
JULIUS: Du sehnst Dich nach dem andern Ufer… daß Charon Dich zurück ins Leben fahre …warum hörst Du nicht auf Grete Wota, die in Dir noch sprechen muß … Denn …, es ist unmöglich, Du kannst sie nicht vergessen haben.
ALFRED: Verflucht, warum sind die Weiber keine Statuen! Gibt es etwas Verehrungswürdigeres, als die Brüste der Nike von Samothrake. Weltweit würde ich wandern, wenn ichs Geld hätte … zu ihr … Aber leben sollte sie mir nicht.
Dann wäre sie ja tot für mich. Dann brauchte ich sie ja nicht lebendig zu machen.
Wenn sie Dir im Leben gegenübertritt, dann faßt Dich ein Rausch, ein Taumel, aber dann steigts in Dir auf süß und traurig und reißt und zerrt an Dir und macht Dich unrein, unrein –
JULIUS: (sieht nach der Uhr) Ich muß aber jetzt gehen. Ich habe um 12 Uhr eine Verabredung Unter den Linden Soll ich Grete Wota nicht wenigstens einen Gruß bestellen -?
ALFRED: Wenn es Dir Spaß macht …
JULIUS: Adieu, Alfred, Du tust mir leid …
ALFRED: (leise) Ich verbitte mir diesen Kindergartenton.
JULIUS: Warum hast Du mir eigentlich auf meine zwei letzten Karten, die Dich zu Abend einluden, nicht geantwortet? Du hast sie doch erhalten?
ALFRED: Weil die ganze Geschichte keinen Zweck mehr hat.
JULIUS: Keinen Zweck?
ALFRED: Nein, lieber Freund, keinen Zweck. Meinst Du, daß ich noch mal den Weg in Eure Zirkel zurückfinde? – Sind wir uns nicht schon fremd geworden? Du kommst nur noch aus einem alten Anhänglichkeitsgefühl, das ich achte – aber verzeih – ein wenig schwächlich finde. Es klingt lächerlich, das Wort „schwächlich“ in meinem Munde und als Tadel, wie? Das ist der Mut des Feiglings, der mit dem Worte „Feigling“ um sich wirft, wie der Australneger mit dem Bumerang. Es fliegt zurück – und schmeißt den Wurfkünstler um. (schon an der Tür) Adieu, Julius, grüß mir die kleine, reine arme nervöse Mimi … und die .. Grete … Wota.
JULIUS: Adieu – Vor der Abreise nach Triest besuche ich Dich noch mal.
ALFRED: Lieber nicht – meine Adresse – wer weiß, wie lange ich hier bleibe. Aber Du kannst mir ja schreiben, postlagernd; lieber Gott, dann trifft es mich schon, (schließt die Tür hinter Julius, geht ans Fenster, sieht hinaus, kommt zurück, bis in die Mitte des Zimmers, bleibt stehen) Ja … Grete Grete … ja … (es klopft rechts)
(Alfred nimmt seinen Spaziergang durch das Zimmer wieder auf) Kommen Sie nur rein, Frau Schabatsberger
(Frau Schabatsberger tritt ein, holt das Kaffeegeschirr, bleibt dann stehen)
FRAU SCHABATSBERGER: Ich wollte Ihnen nur sagen, wenn dat so weiter jeht, det ick Ihnen kündige.
ALFRED: …
FRAU SCHABATSBERGER: Anderthalb Monate sind Sie mir nun schuldig, und Sie wissen janz jenau, dat ick ’ne Frau bin, wo drauf angewiesen is, aber freilich, da sucht man sich auf anständige Art durch die Welt zu schlagen, und da kommt so’n Tunichtgut und Gassengaffer, und man is ooch immer wieder so gutmütig Aber dat ist schon keene Gutmütigkeit nich mehr, dumm is man, weiter nischt: dumm. .
ALFRED: (greift in die Tasche) Hier haben Sie 10 Mark, als Abschlagszahlung; ich habe beim besten Willen nicht mehr.
FRAU SCHABATSBERGER: Gott, ja, ich glaubs ja, aber unsereins will doch ooch leben, un Sie sin ooch so’n – lieber – hübscher junger Mann – ja – blos: die Weiber, die haben Sie aufm Gewissen, die Weiber und die Dichterei
ALFRED: Die Poesie, Frau Schabatsberger, die Poesie – die ist freilich auch wie eine verkappte Hure.
FRAU SCHABATSBERGER: Ick bin ja die letzte, wo Ihnen wat Schlechtes wünscht, Herr Schluckebier, -blos, jeben Sie die Dichterei uff, et bringt nischt, det hab‘ ick schon an meinen Gustav, meinen Ältesten gesehen: wunderschön dichten könnt‘ er zu allen Gelegenheiten: Silberhochzeit, Taufe – Bejräbniss .. Vadienstmedaille aber wat hat’s gebracht: 1 Pfennig die Zeile, stellen Sie sich vor, eenen Pfennig!
(draußen klingelts. Alfred horcht, wird unruhig)
Herrjott, dat bleibt ja heute in ewigem Bimmeln (stellt das Geschirr wieder hin)
ALFRED: Sehen Sie mal nach, Frau Schabatsberger
(Frau Schabatsberger geht hinaus. Alfred steht unbeweglich, den Kopf, wie es seine Art, ein wenig gesenkt, Frau Schabatsberger kommt zurück)
FRAU SCHABATSBERGER: Es is ’ne junge Dame.
ALFRED: Wie?
FRAU SCHABATSBERGER: Dame! Nich so’n Mädchen, wie Sie sich denken …
ALFRED: Eine Dame . . Dame.
FRAU SCHABATSBERGER: Ja, die wird sich woll auch in de Hausnummer jeirrt hab’n. Und ein Gesicht hat sie – ach Gott – so hübsch und anständig –
ALFRED: Lassen Sie die Dame herein.
FRAU SCHABATSBERGER: Aber, wie’s hier aussieht, Herr Schluckebier, noch nich aufgeräumt – und’s Geschirr – und’s Bett – mein Gott – hier hat Fräulein Trude wieder ’ne Haarnadel rumliegen lassen, was wird die Dame bloß denken. Ich will man’s Bett –
ALFRED: Lassen Sie die Dame herein … so ist’s gerade recht.
(Frau Schabatsberger heraus: läßt dann die Dame eintreten. Frau Schabatsberger geht mit dem Kaffeegeschirr, sich mehrmals umwendend rechts in ihr Zimmer Die Dame ist schlank, mit einem Ansatz zur Fülle Alter kaum 18 Jahre, blondes Haar, große blaue Augen – breites Gesicht – geht sehr zierlich, feine weiche Stimme, klug, starkes Temperament, das sich hinter scheuer Bewegung und Blick verbirgt. Ist elegant und unauffällig in ein blaues Tuchkostüm gekleidet Weiße seidene Bluse darunter, schwarzer Topfhut mit goldner Schnur, Schirm mit rundem Porzellangriff. Den Schirm trägt sie beim Eintreten in der linken Hand)
GRETE: (geht ihm entgegen, gibt ihm die Hand)
ALFRED: Guten Tag.
GRETE: (sieht sich ein wenig im Zimmer um)
ALFRED: Bitte, wollen Sie nicht ablegen?
GRETE: (sieht ihn an) Danke – ja (legt Schirm aufs Bett, Alfred hilft ihr aus dem Jackett, sie nestelt am Hut) Ach – nein – den kann ich doch wohl aufbehalten, (sieht sich nochmals im Zimmer um, völlig unbefangen) Seit wann wohnst Du hier?
ALFRED: Seit einem halben Jahre …
GRETE: Und wann haben wir uns das letzte Mal gesehen? d.h. gesprochen, gesehen hab‘ ich Dich manchmal, ein, zwei Mal auf der Straße (Pause) — vor einem Jahre.
ALFRED: Weshalb sind Sie nun gekommen? Was wollen Sie von mir?
GRETE: (geht zum Schreibtisch) Der Schreibtisch! – Schreibst Du noch viel Gedichte? nicht mehr, nicht wahr?
ALFRED: (betroffen) Weshalb keine Gedichte?
GRETE: In solcher Umgebung kann man doch keine Gedichte machen .
ALFRED: Ich schreibe keine Gedichte mehr.
GRETE: (greift ein Bild vom Schreibtisch) Sieh mal – das Bild – Deiner Eltern
ALFRED: (entreißt es ihr) Laß das Bild.
GRETE: Wo – hast Du mein Bild?
ALFRED: (leise, hartnäckig) Ich habe es nie gehabt.
GRETE: Doch – das weißt Du nur nicht.
ALFRED: Wollen wir uns nicht setzen?
GRETE: Ja (setzt sich in den Sessel am Tisch, Alfred ihr gegenüber auf den Stuhl. – Grete hat die Angewohnheit hin und wieder den Kopf mit geschlossenen Augen etwas nach hinten zu beugen und mit der linken Hand das Haar aus der Stirn zu streichen)
ALFRED: (wie um eine konventionelle Unterhaltung einzuleiten) Ich kann mir denken, daß es Ihnen schwer geworden ist, hierher zu kommen.
GRETE: Schwer – o nein – ich habe Dich ja immer noch lieb
ALFRED: Grete –
GRETE: Warum sagst Du übrigens das dumme „Sie“ zu mir?
ALFRED: Grete, in der Nähe – da sind alle Dinge grau und tun weh – die in der Ferne leuchten – Julius Geppert war vorhin hier – steht Ihr Besuch vielleicht im Zusammenhang mit seinen konfusen Reden? Stecken Sie beide vielleicht unter einer Decke und haben alles verabredet? .
GRETE: O nein – – ich traf ihn zwar – und er sagte mir, daß er von Dir käme und daß Du sehr, sehr krank seist. Sonst nichts
ALFRED: Krank?
GRETE: Bist Du nicht krank? Ich wäre so gern Dein Arzt
ALFRED: Grete – Du – –
GRETE: (hält seine Hand) Ich weiß, Du hast mich auch noch lieb.
ALFRED: (inbrünstig) Vielleicht – vielleicht –
GRETE: Du liebst mich noch – Warum bist Du nicht ehrlich gegen Dich selbst?
ALFRED: Du siehst mich zu hoch, zu gut, Grete – ich war nie ehrlich – gegen mich am wenigsten O ich möchte auch nicht wahr sehen – es muß schrecklich sein. Du weißt nicht, was ich für ein Leben führe, angewidert würdest Du von all dem Dreck –
GRETE: Du kannst noch umkehren – (Die Stimme wechselnd) Wovon lebst Du? Was verdienst Du? – Deine Eltern unterstützen Dich nicht mehr?
ALFRED: Nein – ich lebe … teils .. vom bißchen Journalismus . . teils . . teils
GRETE: Bitte –
ALFRED: Weißt … Du … was … das .. ist: ein … ein … ?
GRETE: (sieht ihn stumm an, nach einer Weile) Ich hab‘ Dich lieb – Du mußt hier heraus aus dieser atembeklemmenden stickigen Luft – auf meinem Rücken will ich Dich hinaustragen –
ALFRED: O – Du ahnst nicht, was für eine Sehnsucht ich nach Bürgerlichkeit und Wohlanständigkeit habe – ich schreie nach Anständigkeit . spießerhaftester, blödsinnigster Anständigkeit . Du bringst von jener Welt, die ich – verachten und – ersehnen muß, einen Hauch mit, der mich betäubt. Jene Welt der Bürgerlichkeit, in der ich ein Bürgerrecht gehabt, und die ich doch wie ein Paria mit neidischen Augen durch das Gitter meiner Verzweiflung betrachte –
GRETE: So komm – Du wirst eine Heimat in ihr (leiser) in mir finden.
ALFRED: Ich will sie – aber ich würde – wie von den Frauen – auch von ihr leiden -leiden – was für’n großes Wort – wenn ich sie dann habe, wird mir übel von dem Fraß.
GRETE: Ich habe Dich oft gehaßt – aus Not – – aus Liebe – besinne Dich – Komm mit …
ALFRED: Vielleicht.
GRETE: Ich – ich mache Dir ganz offen – einen Heiratsantrag – wenn wir uns lieben, warum sollen wir uns nicht heiraten“
ALFRED: Das wolltest Du? Mich?
GRETE: Ja, Dich – Dich will ich, nur Dich – ich würde meine Eltern zwingen zur Einwilligung.
ALFRED: Ich glaube fast, Du weißt nicht was Du sagst.
GRETE: Doch – deshalb kam ich ja.
ALFRED: Wenn ich Deinen Antrag, der mich so sehr ehrt – nun (bitter) annähme?
GRETE: (froh) Das sollst Du ja! Es ist das einzige Rettungsmittel für Dich (verlegen) es wäre zwar nur nebensächlich, aber in diesem Punkte ich habe Vermögen, das weißt Du, es würde für uns beide reichen, Du könntest ungehindert Schriftstellern und Novellen und Dramen machen – und Du würdest auch wieder Gedichte schreiben lernen.
ALFRED: Gedichte – das ist wohl vorbei
GRETE: Du liebst mich doch – warum willst Du mich nicht einmal küssen?
ALFRED: Grete – (küßt sie) .
GRETE: Am besten ist, – Du kommst gleich mit. Läßt alles liegen und stehen, wie’s ist, Wertvolles wird wohl nicht darunter sein Nur Deine Manuscripte – packen wir ein. Zeig, wo hast Du sie? (geht an den Schreibtisch, öffnet ein Fach, nimmt ein Pack beschriebener Bogen heraus. Ihr Blick fällt auf den obersten; liest, laut:)
Du bist ja auch nur eine mehr Von all den Tausend andern. Ich nahm Dich, Mädel, einmal her, Nun mußt Du wieder wandern, – wieder wandern, (schweigt betroffen)
ALFRED: Es ist ein dummes albernes Lied und schlecht obendrein, aber ich kanns weiter: (spricht langsam vor sich hin, den Kopf gebeugt)
Da ist die Tür, Du kannst nun gehn, Wenn Dein Gefühl perdue, Ich hab‘ ein Rendezvous halb zehn Am Bahnhof Bellevue.
GRETE: Das ist ja alles dummes Zeug, Lieber.
ALFRED: Dumm ist es schon – aber die Wahrheit ist meistens dumm und niederträchtig dazu. Wenn man erst auf der Rutschbahn ist – dann gehts immer runter, runter – da kann selbst ein Engel nicht bremsen – bis im Sumpf – schwapp -kopfüber – Klatsch – nur ein paar Blasen – Frösche quaken – Fische schnappen – Es ist eine vorzügliche appetitliche Liebesleiche, was dann in diesem Teiche schwimmt – und die Karpfen – wissen es zu schätzen.
GRETE: Alfred, Du redest im Wahnsinn – laß alles … denke nicht mehr daran … komm –
(Draußen erregte Stimmen, Stimme der Wirtin, Trude’s Stimme: „Lassen Sie man, Frau Schabetzberger, also ein Weibstück ist bei ihm, also so ist er zu mir?“ – Die Tür wird aufgerissen und Trude Bräunlich stürmt aufgeregt herein)
TRUDE: Ein Weibstück bei Dir? So! ein Weibstück (eine kleine Orgel beginnt von irgend¬woher leise ein religiöses Lied zu spielen) Sie wollen ihn verführen, Fräulein, was, weil Sie so fein gekleidet sind, weil Sie so’n Hut haben und so anständige Augen, (hängt sich an Alfred) Aber Sie kriegen ihn nicht – nein – was hab‘ ich denn dann? Ich war auch mal so fein gekleidet, bilden Sie sich nichts ein -mein Vater ist Oberlehrer in Neiße, ich habe auch mal die höhere Töchter¬schule besucht – (schreit) wollen Sie jetzt gehen, Fräulein –
ALFRED: (bestimmt) Trude – sei ruhig –
TRUDE: (wimmert)
GRETE: Was ist denn das da oben für eine schreckliche Musik7
ALFRED: (steht unbeweglich gepeinigt) Wer nur den lieben Gott läßt walten … Das ist der evangelische Jünglingsverein drüben von der Johanniskirche, der über mir sein christliches Heim aufgeschlagen .. Und hoffet auf ihn alle Zeit …
GRETE: Und ich weiß Du – liebst mich – was willst Du mit jenem – Mädchen?
ALFRED: (streichelt Trude) Ja – habe ich das gesagt -, daß ich Dich liebe -, ja – das muß ich wohl – ja … ich liebe Dich …
GRETE: Komm mit – Komm
TRUDE: Fred … ich möchte – ihr die Gurgel abbeißen …
ALFRED: Ja … nein, ich liebe Dich nicht – … glaube das nicht – nein – vielleicht -aber ich kann nicht –
GRETE: Du-
ALFRED: Kann nicht – wer Y gesagt, muß auch Z sagen – Da ist die Tür, Du kannst nun gehn – wenn Dein Gefühl perdue –
TRUDE: Fräulein –
ALFRED: (macht sich von Trude los) Ich zerfahre … zerflattere .. kann ein gutes, langes Buch nicht mehr hintereinander lesen … So ist es mit Dir ich kann Dich nicht zu Ende lesen – So einfach Du bist, Du bist zu schwer für mich …
GRETE: (geht leisen Schrittes, die Jacke übern Arm, davon zur Tür. Alfred macht ihr die Türe auf, da stoßen sie mit 2 Jünglingen vom Jünglingsverein zusammen)
ALFRED: Pardon – (Grete hinaus)
(die beiden Jünglinge treten näher)
DER EINE: Gleich zwei Mädchen
ALFRED: (schließt die Tür)
ALFRED: Womit kann ich den Herren dienen?
DER ANDERE: Wir sind von Pastor Lindemann geschickt – ob Sie nicht eintreten wollen
DER EINE: in unseren evangelischen Jünglingsverein …
DER ANDERE: und einmal kommen möchten. Er sagt, Ihre Seele könnte es brauchen – –
DER EINE: – aber keiner sei so tief gesunken, daß Gott der Herr ihn nicht errette (oben spielt die Orgel wieder: „Wer nur den lieben Gott läßt walten“)
DER ANDERE: Wir haben eben unsere Mittwoch Mittagsandacht, wenn Sie uns die Freude machen wollten…
ALFRED: Aber natürlich – nicht wahr Trude – das ist der allein würdige Abschluß -und die Dame will in den Jungfrauenverein treten.
DER EINE: Ja?
ALFRED: Was glotzen Sie so? evangelischer Jüngling Haben Sie noch keine Jungfrau? gesehen?
TRUDE: Idiot.
ALFRED: Welchen Bibeltext haben Sie denn gerade am Schlafittchen? Vielleicht wo von der eventuellen praktischen Verwendung der Fensterschnüre, Bettpfosten und Waschschüsseln die Rede ist …
DIE JÜNGLINGE: (begreifen nicht)
ALFRED: (faßt Trude am Arm, die sich eine Zigarette angezündet hat) Übrigens (zu den Jünglingen) jeder werde geheiligt nach seinem Verdienst – können Sie mir ’ne Mark pumpen? (alle 4 hinaus)

(Vorhang fällt)