Tommy Atkins

Eine englische Komödie

Figuren:

Nutall,
Allnutt,
Eine Ordonanz,
Miss Basingstoke,
Tommy Atkins

Ort: London – Zeit: August 1914

(Links und rechts vom Zuschauer. Rekrutierungsbüro Spartanische Einfachheit. Links zwei Türen. Links Mitte Stehpult, Papierkorb. Telefon Rechts vorn Fenster. Davor Tisch mit Schreibutensilien Zwei Stühle. Im Hintergrund an der Wand in Reih und Glied fünf behagliche und elegante Lederklubsessel. Kein Zimmerschmuck. Nur über den Klubses¬seln an der Wand ein schreiend buntes Plakat: Unter Vorantritt einer Musikkapelle durch¬reiten schön gemalte Frauen, Variete-Chanteusen und Tänzerinnen die Stadt. Über das Bild läuft quer eine Inschrift: Ihr stolzen Helden, strömt zu den ruhmreichen Fahnen Britannias. Man bemerkt, daß diese Inschrift aufgeklebt ist und eine andere ursprüngliche verdeckt: Votes for Women, votes for women! – Wenn der Vorhang aufgeht, bleibt es ei¬nen Augenblick still und man sieht Leutnant Jack Allnutt und Stabsarzt Davis Nutall im Hintergrund in zwei Klubsesseln hingelümmelt; sie rauchen Cigarren oder Cigaretten)
NUTALL: Eigentlich sind die Clubsessel nur für die Herren Rekruten da; wir nutzen sie unberechtigterweise ab.
ALLNUTT: Eigentlich sind WIR zu einem anständigen Leben da; man nutzt uns unberechtigterweise ab. Durch diesen sogenannten englischen Militärdienst, der nichts ist als eine auf die Wochentage transponierte englische Predigt: dumm, schmierig und langweilig.
NUTALL: Wie geht es Elga?
ALLNUTT: Dank der Nachfrage. Nicht besonders. Sie ist bettlägerig.
NUTALL: Was fehlt ihr?
ALLNUTT: Sie hat sich erkältet.
NUTALL: Bestehen Komplikationen?
ALLNUTT:
Der Arzt sagt, es sei Mandelentzündung; aber man brauche die Hoffnung auf Genesung nicht aufzugeben.
NUTALL: Ich glaube, du läßt sie abends zu lange auf der Straße. Das feuchte Herbstwetter ist ihr nicht zuträglich.
ALLNUTT: Da kannst du dir denken, daß ich unter ihrer schlechten Laune sehr zu leiden habe. Ich möchte manchmal gar nicht nach Hause gehen.
NUTALL: Du hast sie sehr verwöhnt; aber schließlich verdient sie es auch: sie ist gut ihre zweihundert Pfund wert.
ALLNUTT: Gestern wollte ich ihr ein Vergnügen bereiten und zeigte ihr, um sie aufzuheitern, den goldnen Becher, den sie auf der großen Hundeausstellung in Liverpool vergangenes Jahr gewonnen hatte. Was meinst du, wie sie meinen guten Willen belohnte?
NUTALL: Nun?
ALLNUTT: Sie hob das eine Hinterbein und … in den Becher.
NUTALL: In den goldenen Becher? (ein wenig entsetzt)
ALLNUTT: In den goldenen Ehrenbecher.
NUT ALL: Es ist merkwürdig, wie wenig das Schamgefühl bei den Hunden, besonders bei den Hündinnen entwickelt ist. Dieses negative Schamgefühl ist das Einzige, was sie von den Menschen unterscheidet.
ALLNUTT: Dieses … Schamgefühl haben übrigens auch die Deutschen nicht.
NUTALL: Sie sind also keine Menschen.
ALLNUTT: Es gibt nur eine Sorte Menschen, und das sind die Engländer.
NUTALL: Bravo, mein Junge, ich muß dir die Hand schütteln (tut es).
ALLNUTT: Hast du in der Zeitung gelesen, wie die Deutschen bei Maubeuge unsern braven Tommys, die sich wacker geschlagen hatten und gefangen genommen wurden, Shakehands verweigerten.
NUTALL: Ich habe es gelesen. Die Deutschen sind ein rohes Volk; man sollte sie lieber Teutonen nennen. Sie haben keine Kultur im Leibe. Sie können das Wort gentlemanlike nicht einmal richtig aussprechen.
ALLNUTT: Ich gebe zu, daß unter den Deutschen viele Gentlemen sind, aber was hilft das, wenn sie, wie du sehr richtig bemerkst, ihren eigenen Gattungsbegriff falsch aussprechen. Ob man tugendhaft IST, scheint mir sehr nebensächlich; die Hauptsache, daß man tugendhaft redet, da das Leben nun einmal zum größten Teil aus Gesprächen besteht, welche einen beträchtlich langweilen würden, wenn man immer die Wahrheit sagte.
NUTALL: Lieber Jack, warum gehst du eigentlich nicht zur Presse? Sie würde dir sehr liegen. Ihre Gesichtspunkte sind durchaus die deinigen, die mich übrigens sehr interessieren.
ALLNUTT: Lieber Junge, du irrst, die Presse liegt mir gar nicht. Sie lügt. Gewiß. Aber sie kommentiert ihre Lügen nicht, und ich kommentiere die meinen. Das ist ein großer Unterschied. Ich komme, wenn ich lüge, der Wahrheit ziemlich nahe; die Presse aber lügt, wenn sie die Wahrheit sagt.
NUTALL: Das einzig Schöne im Leben ist ein Fußballmatch, an dem man persönlich teilnimmt mit anschließendem Fußbad
ALLNUTT: Man kann nur in möglichst heftigen Reaktionen leben. Sie allein machen das Leben lebenswert. Deshalb lebt man auch in England nicht … (Das Telephon klingelt)
NUTALL: Hast du gehört?
ALLNUTT: Ja.
NUTALL: Das Telephon hat geklingelt.
ALLNUTT: Gewiß.
NUTALL: Möchtest du nicht mal horchen, was es gibt
ALLNUTT: Lieber Davis, warum befriedigst du nicht selbst deine Neugierde?
NUTALL: Ich bin der Rangältere von uns beiden. Es ist deine Pflicht, ans Telephon zu gehen und mir zu berichten, was es gibt.
ALLNUTT: Das werde ich den Teufel tun, mein lieber Junge, Du hast heute deinen Jour. Ich bin mehr zum Spaß hier, weil ich nicht weiß, was ich sonst in London tun soll und die Klubräume noch immer nicht geheizt werden. (Das Telephon klingelt)
NUTALL: Hast du gehört?
ALLNUTT: Ja.
NUTALL: Das Telephon hat geklingelt.
ALLNUTT: Gewiß.
(Das Telephon klingelt wieder)
NUTALL: Es klingelt schon wieder, (seufzend) Dieses Telephon ist eine unangenehme Einrichtung Ich glaube, es ist von den Deutschen erfunden. (Das Telephon klingelt)
ALLNUTT: Das Telephon klingelt bereits zum vierten Male. Es scheint, man verwechselt uns mit einer Feuerwache.
NUTALL: Es bleibt mir nichts übrig, als die Ordonanz zu rufen (er erhebt sich, geht zur Tür links und öffnet sie, ruft hinaus) Ordonanz! (Diese erscheint)
ORDONANZ: Sie wünschen?
NUTALL: Es tut mir leid, daß ich Sie belästigen muß. Darf ich Sie bitten, einmal ans Telephon zu gehen und zu hören, was es gibt. Es hat bereits dreimal geläutet, (versinkt wieder in seinen Clubsessel)
ORDONANZ: (am Telephon) Halloh! Hier Rekrutierungsbüro Z 1.17 in der Lammerstreet Wie? … Wie? (entzückt ins Zimmer) Herr Leutnant! Herr Leutnant! Ein Freiwilliger will sich melden! (Die beiden Offiziere sind aufgesprungen)
BEIDE: Wie? Ein Freiwilliger?
ALLNUTT: Das ist uns ja seit vierzehn Tagen nicht mehr passiert. Halten Sie ihn fest.
ORDONANZ: Da ist er. (gibt den Hörer an Nutall)
NUTALL: Ergebensten Guten Morgen, Sir! Darf ich mir erlauben, Sie einzuladen, uns heute zum Lunch zu besuchen Wie? Was? In Firma Johnson. Galanterie? Was für eine Galanterie? Ah, Galanteriewaren! Sie wollen sich freiwillig melden … Wie? … Aber nur als . Was? … als General? .. Sie sind wohl verrückt, Mann Gottes! … Tausend Pfund, nun so billig ist der General bei uns nicht … Fragen Sie mal am Ende des Krieges wieder an. Schluß! (hängt ab) Was sagst du dazu, Jack? (zur Ordonanz) Nachdem Sie das ganze Gespräch mitangehört und Ihr Wissen bereichert haben, können Sie wieder gehen, Billey.
ORDONANZ: (verbeugt sich, ab)
ALLNUTT: Kitchener und Asquith wollen 25 Armeekorps auf die Beine bringen.
NUTALL: Eine holde Naivität!
ALLNUTT: Du kannst schon lieber Idiotie sagen.
NUTALL: Von unseren dreitausend Offizieren, die auf dem Festlande stehen, sind schon zwölfhundert gefallen, gefangen oder verwundet. Wer soll denn die 25 Armeekorps ausbilden.
ALLNUTT: Beruhige dich, wir werden noch ein Armeekorps ausbilden und aufstellen … Formalitäten halber … Es wird zum größten Teil aus Zuchthäuslern, Negern und Bengalen bestehen. Der Krieg ist ein Blödsinn Kein Engländer ist so dumm und läßt sich totschießen, weil Mr Grey im Kopfrechnen schwach ist und sich bei seinen Additionen verdammt verrechnet hat.
NUTALL: Aber das Parlament!
ALLNUTT: Das Parlament. Das Parlament. Das Parlament! Was will das Parlament? Den Krieg etwa? Zur Not kriegte man noch ein zweites Armeekorps zusammen, wenn man sich die in Frankreich gefangenen Deutschen herüberschicken ließe und sie als Hochländer einkleidete. Drüben auf dem Festlande liefen sie dann alle davon, aber man hätte seine Ehre, ein zweites Armeekorps aufge¬stellt zu haben, gerettet und könnte in den Zeitungen berichten: Nach tapferster Gegenwehr wurde in neuntägiger, unerhört heftiger Schlacht ein Teil unseres linken Flügels zum erfolgreichen Rückzug gezwungen.
(Das Telephon klingelt)
NUTALL: Das Telephon beginnt bereits wieder zu klingeln
ALLNUTT: Es klingelt wie eine Kuhglocke. Es nimmt mich Wunder, daß man in London noch keine Telephonklingel mit Choralbegleitung erfunden hat.
NUTALL: (an der Tür) Ordonanz! Ordonanz!
ORDONANZ: (tritt ein) Sie wünschen?
NUTALL: Das Telephon hat geläutet. Bitte wollen Sie einmal hören, wer uns belästigt.
ORDONANZ: (vorwurfsvoll) Es ist bereits das zweite Mal, Sie, daß Sie mich in meinem Vormittagsschlaf stören Sie sollten das nicht tun und lieber selber ans Telephon gehen. Unsereiner muß sich, bevor er in den Krieg zieht, noch einmal tüchtig ausschlafen. Im Kriege soll man durch die unangenehmen Geräusche der Granaten und Shrapnells des öfteren um seinen Schlaf kommen und he¬tiger zum Dienst geweckt werden als es nötig ist. Noch dazu vor 7 Uhr früh, was eine Menschenschinderei ohne gleichen ist.
NUTALL: Quasseln Sie nicht, da ist das Telephon.
ORDONANZ: Halloh! Hier Rekrutierungsbüro Z 1 17 in der Lammerstreet … Wer ist da? … So die Kanzlei des Marineministeriums Wer ist? . Bitte beeilen Sie sich .. Wir haben keine Zeit, wir sind stark beschäftigt. … Ob wir dem Marineministerium einige junge Offiziere für die Flottenparade und die Parade der Marinetruppen am Samstag ausleihen können? Wie? Uniform wird gestellt .. Natürlich … Sehr gerne
ALLNUTT: Aber wir beanspruchen für Samstag Rangerhöhung …
ORDONANZ: Wir beanspruchen für unsere Offiziere aber Rangerhöhung .. Nein Verstehen Sie doch recht, nur für Samstag, nur für die Uniform. Es schadet ja nichts, wenn ein paar Kapitäne zuviel da sind .. Ja, danke, Schluß.
NUTALL: Sie sind eine Perle. Schade, daß Sie Soldat geworden sind.
ORDONANZ: Ich danke Ihnen für Ihr wohlgemeintes Kompliment, Sir, aber ich bin nur Soldat geworden aus Not, aus Feigheit sozusagen.
ALLNUTT: Wie ein Soldat und feige?
ORDONANZ: Sir, ich war früher Polizist, habe in den wildesten Suffragettenschlachten mitgefochten. „Votes for women“, jenes Plakat dort, ich habe es mehr als einmal bespuckt. Diese Medaille auf dieser Brust zeigt die Namen der Schlachten, die ich, ich begreife selbst nicht wie, überstanden habe. Hier 17. Oktober: Schlacht am Justizministerium, hier 13 Mai Schlacht in der Wallstreet, 15. Juni Schlacht im Hydepark
ALLNUTT: Armer, bedauernswerter Mann! Sie sind ein Held! Die Deutschen werden Ih¬nen nichts anhaben können. Gehen Sie!
ORDONANZ: (ab)
NUTALL: Die Zeiten ändern sich. Das Militär hat jetzt mit den Suffragetten ein offizielles Bündnis abgeschlossen. Sie sind unsere einzigen verlässigen Bundesgenossen, (seufzend) Was werden wir ihnen dafür später zahlen müssen Selbst die Überzeugung ist in England nicht umsonst und muß immer gewisse Prozente abwerfen.
ALLNUTT: Die Suffragetten leihen uns zum Zweck der Rekrutenwerbung ihre Plakate, ihre Musikkapellen, ihre furiosen Weiber, überhaupt ihre ganze Kampfesmethode. Es wäre nur logisch, wenn man Sir French absetzte und eine Suffragette zum Chef des britischen Generalstabs ernennen würde.
NUTALL: Allein die Nachricht davon würde in Deutschland eine Panik hervorrufen.
ALLNUTT: Wir können uns immerhin noch trösten, die Deutschen haben ihre Zeppeline und wir haben unsere Suffragetten … Auch diese werfen Bomben, meistens leider ins eigene Land. (Es klopft)
NUTALL: (zögernd) Herein! (Es klopft stärker) Herein!
ORDONANZ: Sir, haben Sie einen Revolver? Ich habe den meinen zu Hause im Nachtkästel liegen lassen. Ach Gott, warum bin ich immer so vergeßlich; ich werde noch in die Schlacht gehen und meinen Whisky vergessen.
ALLNUTT: Ja, zum Teufel, was gibt’s denn?
ORDONANZ: Draußen steht eine, eine — ?
NUTALL: Nu, dalli fix!
ORDONANZ: Eine — eine Suffragette! (Die Offiziere erbleichen)
ALLNUTT: Ist … sie … allein?
NUTALL : Hat sie einen Regenschirm bei sich?
ORDONANZ: Das weiß ich nicht, aber ein Herr aus Whitechapel ist in ihrer Begleitung.
NUTALL: Ein Raubmörder vielleicht.
ORDONANZ: Gewiß ist er so etwas.
ALLNUTT: Vielleicht hat sie einen Rekruten, (alle drei stehen auf)
ORDONANZ: Das ist möglich. Daran hab‘ ich in meinem ersten Schreck nicht gedacht.
NUTALL: Das ist es.
ALLNUTT: Ich hab‘ es mir gleich gedacht.
NUTALL: Ich bin erlöst (zur Ordonanz) Lassen Sie die Dame eintreten.
ORDONANZ: (ab, läßt eintreten Miss Flora Basingstoke, eine ältere mißvergnügte Dame und Tommy Atkins. Dieser sieht sehr übel und heruntergekommen aus. Allnutt und Nutall schieben den Herrschaften zwei Clubsessel zu)
NUTALL: Bitte, wollen die Herrschaften nicht Platz nehmen Miss: (setzt sich) Danke. Haben draußen beinahe drei Stunden im zugigen Flur warten müssen, bis diese dickköpfige Ordonanz begriff, was ich wollte.
ALLNUTT: Billey ist ein wenig nervös und wird vor Damen Ihres Standes leicht schüchtern, man könnte beinah sagen, ängstlich, wenn dieses Wort nicht aus dem Kodex des Soldaten gestrichen wäre.
MISS:  (zu Tommy) Setzen Sie sich!
TOMMY: (setzt sich gehorsam und unbeholfen)
NUTALL: Bitte Sir!
TOMMY: (bissig) Ich bin kein Sir!
NUTALL: Verzeihen Sie, wenn ich in meiner Höflichkeit zu weit ging, Mister!
Miss: (vorstellend) Tommy Atkins!
ALLNUTT: Ein schöner Name!
TOMMY: (bissig) Ja ein schöner Name! Besonders jetzt im Kriege ist ein schöner Name viel wert, man kann ihn sozusagen verkaufen, wenn man Hunger hat oder nicht?
NUTALL: Mr. Atkins, ich weiß nicht.
Miss: Der Herr hat Hunger. Er hat ein Weib, drei Kinder, sie haben alle Hunger.
ALLNUTT: (verlegen) Warum?
TOMMY : Weil man mich hinausgeschmissen hat.
ALLNUTT: Wo hat man Sie denn hinausgeschmissen?
NUTALL: Vielleicht haben Sie doch ein wenig zu viel getrunken?
TOMMY : Wenn Gentleman ein Schimpfwort wäre, würde ich zu Ihnen sagen: Gentleman
ALLNUTT: (besänftigend) Wir freuen uns sehr, daß Sie sich entschlossen haben, unter den glorreichen Fahnen seiner Kgl Englischen und Kais. Indischen Majestät zu fechten.
TOMMY: Ich habe mich entschlossen. Sehr gut! Ich habe mich entschlossen, … Hunger hab‘ ich. … Mein Weib hat Hunger … Meine drei Kinder haben Hunger … Herausgeschmissen haben sie mich aus der Fabrik . Stellung kriegt man keine, wenn man Soldat wird, hat man zu fressen und ein paar Shillinge pro Tag, die man seinem Weib aufheben kann Ich traf diese Frau, als ich bereit war, sonst was zu tun Sie erzählte mir allerlei und nahm mich gleich mit. Da bin ich: Ich will als Freiwilliger in die Armee aufgenommen werden.
Miss: Ein kräftiger Bursche. Nur ein wenig verhungert.
NUTALL: O das macht nichts. Die Unterernährung ist es gerade, welche ausgezeichnet zum Freiwilligen disponiert. Sind Sie sonst gesund? In was für einer Fabrik waren Sie angestellt?
TOMMY : In einer Fabrik für landwirtschaftliche Maschinen.
NUTALL : Du lieber Gott, gibt es so etwas in England? So eine Fabrik muß doch schon im Frieden bei uns pleite machen
ALLNUTT: (ist zum Stehpult gegangen und schreibt) Jedenfalls erweckt das Wort „landwirtschaftlich“ allein schon die gesündesten Vorstellungen von Dorf und Acker, von Erde und Stallgeruch. Es ist sicher gesünder, in einer Fabrik für landwirtschaftliche Maschinen zu arbeiten als beispielsweise in einer Fabrik für industrielle Maschinen.
TOMMY : Wieso?
ALLNUTT: Nun ich sagte doch schon „landwirtschaftlich“, allein das Wort „landwirtschaftlich“ . . jedoch lassen Sie uns den philosophischen Diskurs jetzt abbrechen und zu dem eigentlichen Zweck unseres erfreulichen Zusammenseins übergehen. Ich schätze mich sehr glücklich, Sie kennen zu lernen. Sie heißen also:
TOMMY : (steht auf) Tommy Atkins.
ALLNUTT: Danke sehr. Bitte bemühen Sie sich nicht Bleiben Sie ruhig sitzen. Wir sind in jeder Hinsicht auf die Bequemlichkeit unserer Soldaten bedacht. (Tommy setzt sich und fühlt sich sehr unglücklich)
ALLNUTT: Wie alt?
TOMMY: 32 Jahre.
ALLNUTT: Verheiratet?
TOMMY: Ja
ALLNUTT: Ihre Frau Gemahlin hat, wie ich nebenbei bemerken möchte Anspruch auf Witwenpension.
TOMMY : (entsetzt) Muß ich sterben?
ALLNUTT: (wohlwollend) Es ist sehr unwahrscheinlich, daß Sie sterben, höchstens vor Langeweile. Sir French führt einen sehr langweiligen Krieg: ich kenne das aus dem Burenfeldzug. Aber Sie sterben nicht. Die meisten unserer Leute werden gefangen genommen, haben es dann in Deutschland nach vertraglicher Abmachung ebenso gut wie bei uns. Nur daß es bei den Mahlzeiten statt Rumpsteak gekochtes Rindfleisch und statt Currey Sauerkraut gibt, was aber kein großer Unterschied ist
TOMMY: Rumpsteak! Ich träume des Nachts von trockenen Semmeln, (verklärt) Und muß das Wort Rumpsteak hören.
ALLNUTT: Einen Augenblick. Wir gehen gleich zum Lunch und werden uns eine Ehre daraus machen, Sie als unsern Gast zu begrüßen Wollen Sie dies hier bitte unterschreiben. Es ist der Kontrakt zwischen der Kgl Englischen Regierung und Ihnen. Sie stehen der Königl Englischen Regierung als gleichberechtigter Kontrahent gegenüber.
TOMMY: (unterschreibt)
ALLNUTT: Danke sehr.
NUTALL: (schüttelt der Miss die Hand) Ich danke Ihnen, Miss Basingstoke Sie haben Ihre Pflicht als englische Frau voll und ganz erfüllt.
TOMMY : (verzückt) Rumpsteak!
ALLNUTT: Mein lieber Davis! Möchtest du nicht noch schnell den poetisch sehr wertvollen Aufruf zum Eintritt ins Heer vorlesen, damit unser Freund Mr. Atkins weiß, was seiner wartet.
NUTALL: (liest) Ihr jungen Helden, strömt zu den stolzen Fahnen Britannias. Man zahlt euch täglich fünf Shilling und bürgt für warmes Mittag- und Abendbrot.
TOMMY : Rumpsteak!
NUTALL: Sowie für Freizeit zu Kirchgang, Sport und Lektüre.
TOMMY : Lektüre, was ist das?
ALLNUTT: Zum Beispiel Zeitungslesen. Wir haben einen eigenen Lesesaal, worin für Lektüre, d h. für Zeitungen, Detektiv-, Räuber- und Liebesgeschichten hinreichend gesorgt ist.
Miss: (empört) Liebesgeschichten auch?
ALLNUTT: Sagte ich Liebesgeschichten? Oh keine Liebesgeschichten, aber sonst alles, was Sie wollen.
NUTALL : (liest weiter) Falls keine Schlacht stattfindet, werden auch im Felde Fußball, Baseball und Flachballspiele arrangiert Zum Rasieren bleibt jeden Morgen genügend Zeit. Zur Belustigung der Mannschaften sind in den Pausen der Schlacht Sackhüpfen und Eierlaufen vorgesehen An der Aisne und der Marne kann dem so beliebten Angelsport gefrönt werden, und kostet die Angelkarte keinen Penny. Das Risiko, sein Leben zu verlieren, ist sehr gering, da jeder Krieger mit einem kugelsicheren Wollhemd ausgestattet wird, in dessen Maschen sich die deutschen Kugeln, welche bekanntlich sehr kleines Kaliber haben und von Erbsengröße sind, verfangen usw. usw. Sind Sie nun zufrieden?
TOMMY : Ich habe Hunger … Rumpsteak.
ALLNUTT: Gewiß, Rumpsteak .. und Whisky.
TOMMY: Rumpsteak … und Whisky.
MISS: Wie … Whisky?
ALLNUTT: Sagte ich Whisky. Natürlich keinen Whisky. Das war ein Irrtum. Verzeihen Sie, Miss Basingstoke. – Kommen Sie, Mr. Atkins, wir wollen lunchen.
Miss: Limonade. Nur Limonade!
ORDONANZ: (tritt auf, zitternd, ein Zeitungsblatt in der Hand) Sir, ein Zeppelin … ein Zeppelin
ALLE: Ein Zeppelin? … ein Zeppelin?
Miss BASINGSTOKE: (kreischend ab)
TOMMY : (versucht unter einen Klubsessel zu kriechen)
ALLNUTT: (schleicht, den Revolver in der Hand, vorsichtig ans Fenster) Ein Zeppelin!
NUTALL:
(stellt sich unters Telephon) Ich habe gehört, es soll das Beste sein, sich beim Herannahen eines Zeppelins unter das Telephon zu stellen … die Bomben werden durch die Telephondrähte glatt in zwei Hälften zerschnitten und sind dann ungefährlich wie Eierschalen.
ORDONANZ: (spricht zitternd) Sir, ein Zeppelin ist über Antwerpen erschienen … ach Gott, wenn wir ihn erst in London haben werden.
ALLNUTT UND NUTALL: (zugleich) Antwerpen! Dummkopf! . Warum sagen Sie das nicht gleich?
TOMMY: (unter einem Klubsessel hervor) Auf in den Krieg!

(Vorhang)