Thu-fu ruft den großen chinesischen Dichter Li-tai-pe im Auftrag des Kaisers aus der Verbannung zurück

Thu-fu, Literat von niedren Graden und kleiner Beamter am kai­serlich-chinesischen Hof, sendet dem Großen und erlauchten Dichter Li-tai-pe, dem Bruder der Sonne und dem Genossen des Mondes, durch einen Eilkurier seinen ehrerbietigen Gruß. Kein Tag des letzten Jahres ist vergangen, dass er Euer nicht in Tränen gedachtet da Ihr die Pfirsichblüte des Frühlings durch die Gitterstäbe Eures Ker­kers nur ahnen, von einem Gang durch den goldenen Sommer nur dichten durftet. Nacht für Nacht tratet Ihr in meinen Traum, mit Ketten beladen; Ihr wisset   die Striemen der Misshandlung und das Gerassel der Ketten klang noch grauenhaft in den beginnenden Tag. Eure Augen sahen mich starr und unerbittlich an; sie forschten nicht nur nach meiner Gesinnung, sie flehten, forderten: Gedenke nicht nur meiner Freiheit! Schaffe sie mir! – Wie soll ich Euch die Fülle der Ereig­nisse, – das Übermaß der Begebenheiten, welche sich in den letzten Wochen zusammendrängten wie die erregte Volksmenge vor den:, kaiser­lichen Palast, auf der Kürze dieser Papierrolle beschreiben? .Was Jahre nicht vermochten, das tat ein Tag: Kaiser Ming-hoang-ti er­litt in der Wüste Gobi eine entscheidende Niederlage, die sofort den Abfall des Tatarenfürsten Lu-lan vom Bündnis zur Folge hatte. Mit einem Schlag war das extreme Eroberungsprogramm, das vier Jahre lang dem Kaiser seine Generale aufgeschwatzt hatten, die den Frei­heitswillen des eigenen Volkes ebenso wie die Widerstandskraft des. Feindes unterschätzten, zunichte geworden. Man erinnerte sich, schmerzlich bewegt, des Rates, den Ihr im verflossenen Jahre dem Kaiser Ming-hoang-ti gegeben und dessentwegen Ihr den steinigen Weg in die Verbannung schreiten musstet: ehe es zu spät, mit den längst angesagten inneren Reformen zu beginnen. Denn nur ein inner­lich freies Volk, das nicht mir Pflichten, sondern auch Rechte hat, das keine Herren und Sklaven, sondern nur Bruder einer Nation kennt, vermag dem gewaltigen Ansturm der Feinde auf die Dauer stand zu hal­ten und den Krieg zu einem guten Ende zu führen.

Schon meldeten einige Städte .Aufruhr und Empörung. Da entschloss sich der Kaiser, um meinem  Volke den Frieden zu geben und für die neuen Staatsprinzipien den neuen Männern die Bahn frei zu geben, abzudanken zu Gunsten seines Sohnes. Su-tsung hat gestern den Thron bestlegen. Er hat in einem feierlichen Manifest die Menschen­rechte verkündet, er erteilt allen politischen Verbannten die Amnestie, und er hat mich, den er zum Zensor des neuen Reiches zu er­nennen geruhte, gebeten, Euch, Li-tai-pe, unverzüglich an den Hof zurückzuberufen. Er ersucht Euch um Euren Ratschlag hinsichtlich der neu zu ergreifenden Maßnahmen, welche geeignet wären den inne­ren und den äußeren Frieden des Reiches wiederherzustellen. Er er­wartet Euer baldiges Eintreffen und sagt Euch Buße und Entschädi­gung für das im Dienst der Gerechtigkeit erlittene Unrecht zu. Eilt darum, verzieht nicht! Ganz China wird glücklich sein, dem Verfech­ter der Volksrechte, in dem et gleichzeitig seinen größten Dichter ehrt, aus dem Kerker erlöst zu sehn. Vergesst auch nicht nach Eurer Rückkehr bei Eurem bereitwilligen Diener und ergebensten Freund Thu-fu vorzusprechen, welcher keine größere Pflicht sich gesetzt sieht, als Euch den Weg zu bereiten, der über die Milchstraße zu den ewigen Gestirnen fahren wird.