Terzett

Personen
Tatzel, ein junger Vagabund
Anny, eine junge Frau
Bess, ein uralter Mann

TATZEL  (klopft draußen einmal, zweimal, dreimal, immer heftiger, tritt endlich ein): Ein gastliches Haus – steht jedem offen. Guten Tag, Herr Stuhl. Guten Tag, Großvater Schrank. Wünsche wohl geruht zu haben, Fräulein Bett. Ist kein Kamerad hier, der mit mir kommt? Kein kleiner Kamerad, der mich begleitet? Sie schweigen, Vetter Schreibtisch? Sind so – verschlossen. Wollen Ihnen mal ein wenig das Maul öffnen. Vielleicht wissen Sie eine Ant­wort. (Zieht einen Dietrich aus der Tasche, öffnet die ober­ste Schublade.) Sieh da: ein Tausendmarkschein! Reve­renz! Reverenz! Bin dir lange nicht begegnet, freundlicher Mulatte. Wenn mich der Schein nicht trügt, ist deine Freundschaft für mich – echt. (Hält ihn gegen das Licht.) Komm an meine Brust. (Steckt ihn in die Brusttasche.) Ach, du wärmst, schöner als eine Frau. (Will sich entfernen.)

ANNY  (von links): Halt — wer sind Sie? was wollen Sie? (Zieht einen Revolver.) Hände hoch!

TATZEL  (hebt die Hände): Wer ich bin? Ihr Gefangener, rei­zende Göttin oder Gauklerin oder Gaunerin, wer immer Ihr seid! Und was ich will? Da Sie so freundlich mir zure­den? Ihnen in jeder Weise dienen und behilflich sein.

ANNY  (geht an ihn heran, untersucht seine Taschen, findet den Tausendmarkschein): Sieh da! unser letztes Geld! Ein Proletarier bestiehlt den andern. Pfui Teufel. Warum be­stehlen Sie nicht einen reichen Schieber?

TATZEL  Wie recht Sie haben! Ich bin ganz zerknirscht. Es bietet sich mir nicht immer die Gelegenheit.

ANNY  Es heißt: Gelegenheit macht Diebe. Ein wahrer Dieb macht Gelegenheiten.

TATZEL Sie schätzen meinen Beruf falsch ein. Ich stehle nur so nebenbei. Hauptsache werde ich getrieben: vom Win­de und Sturme.

ANNY Es weht eine steife Brise heute überall.

TATZEL Wollen Sie nicht Ihre steifen Arme ein wenig ent­lasten? Und den Revolver ein wenig herunterlassen. Wenn Sie mich der Polizei denunzieren wollten: bitte. Ich laufe Ihnen nicht davon.

ANNY  Sie gefallen mir.

TATZEL Sie mir noch mehr. Ich möchte –

ANNY Was möchten Sie?

TATZEL Legen Sie den Revolver weg. Ich möchte Sie um­armen. Ich möchte Sie lieben. Ich möchte in Sie dringen wie der Hengst in die Stute.

ANNY Rühren Sie mich nicht an. Ich schieße Sie sonst nieder wie einen tollen Hund.

TATZEL  Der bin ich ja: ein toller Hund. Und toll bin ich nach Ihnen.

ANNY Ich bin keine läufige Hündin. Auf der Straße laufen genug. Suchen Sie sich eine aus.

TATZEL Mädchen! Mädchen! Ich rieche den Duft Ihres blon­den Haares! Es riecht wie Korn.

ANNY  Und Sie nach Schnaps.

TATZEL Lassen Sie mich Ihre Füße küssen. Ich bin Ihnen bedingungslos ergeben.

ANNY Bedingungslos?

TATZEL Bedingungslos.

ANNY Hier haben Sie den Revolver-

TATZEL  (betroffen): Was – was soll ich mit dem Revolver?

ANNY  Was stutzen Sie? Wenn Sie den Revolver haben, ha­ben Sie doch z. B. mich ganz in Ihrer Gewalt?

TATZEL  Das will ich ja. Ich will Sie ja ganz in meiner Ge­walt haben.

ANNY Also –

TATZEL  (entreißt ihr den Revolver, den sie ihm läßt): Hän­de hoch!

ANNY (hebt die Hände).

TATZEL  Jetzt habe ich Sie in meiner Gewalt, Sie dumme Gans Sie – Ich liebe Sie – Werden Sie mich lieben?

ANNY Vielleicht.

TATZEL  (fuchtelt ihr mit dem Revolver vor die Stirn): Wer­den Sie mich lieben?

ANNY Vielleicht. Mit dem Revolver da werden Sie mich nicht zwingen. Sie können mich ja über den Haufen schie­ßen, wenn es Ihnen Spaß macht.

TATZEL Der Revolver ist wahrscheinlich gar nicht geladen (sieht nach). Weiß Gott: ich hätte es nicht gedacht, er ist geladen, er ist scharfgeladen. Sie sind eine unbegreifli­che Frau.

ANNY  Ich werde Sie lieben.

TATZEL Sie werden mich lieben

ANNY Wenn –

TATZEL Kein Wenn, sonst schieß ich.

ANNY  Esel. – Wenn Sie mir einen Wunsch erfüllen.

TATZEL  Einen Wunsch – so weit es in meinen schwachen Kräften steht.

ANNY  Einen kleinen winzigen unbeträchtlichen Wunsch. Es wird Ihnen nicht viel ausmachen.

TATZEL  Also heraus mit der Sprache!

ANNY Ich ließ Ihnen den Revolver zu einem ganz bestimm­ten Zweck. Ich tue nichts Zweckloses.

TATZEL Was soll das?

ANNY Das soll, was ich will: ich werde Sie lieben, wenn Sie mit dem Revolver da –

TATZEL Nun?

ANNY  (gleichmütig): Meinen Mann erschießen.

TATZEL  Ihren – Mann – erschießen? Was hat mir Ihr Mann getan?

ANNY Noch nichts. Aber er wird Ihnen viel tun, wenn Sie ihm nicht zuvorkommen.

TATZEL Ist er stark? 0 ich bin stärker. Wozu töten? Stehlen ist mir ein Spaß – aber töten –

ANNY Töten ist auch ein Spaß, nur ein blutiger.

TATZEL Wer wäscht das Blut ab von mir?

ANNY Ich küsse es dir von den Lippen – (Geräusche.) Er kommt. Nimm dich zusammen. (Die Tür geht auf, herein humpelt der Alte.)

BESS Guten Tag, mein Liebchen, mein Weibchen, mein Täubchen, mein Zuckerschnutchen – gib mir einen Will­kommenskuß.

ANNY (küßt ihn): Guten Tag, mein Liebling. Gestatte, daß ich dir Herrn Weißnichtwer vorstelle, der aus Weißnichtwoher kommt. Ich kenne ihn schon weißnichtwielange. Er wird heute unser lieber Gast sein.

BESS Entzückt, mein Herr, entzückt, Ihre werte Bekannt­schaft zu machen. Wie steht das werte Befinden? Ausgezeich­net hoffe ich. Und die Frau Gemahlin? Und die Kinderchen?

TATZEL  Danke der Nachfrage.

BESS  Bring uns doch ein Glas Wein, Täubchen. Wir müs­sen doch den seltenen Gast feiern.

ANNY (ab): Gern. Gleich –

BESS Meine Frau hat viele Freunde. Die Freunde meiner Frau sind auch meine Freunde.

TATZEL  Ich liebe Ihre Frau.

BESS Wer liebt sie nicht? Ich bin glücklich, daß sie mich ihrer Zuneigung würdigt. Sie ist ein selten schöner und selten guter Mensch. Ich bringe ihr volles Vertrauen ent­gegen.

TATZEL Ich … würde ihr nicht trauen.

BESS Herr — Sie beleidigen mich. Welches Recht haben Sie zu Ihrem Mißtrauen?

TATZEL Kein Recht, nur eine Pflicht.

BESS  Ich bin kein Pfliehtmensch. Ich liebe das Leben. Und bin ja Gott sei Dank noch rüstig genug, es zu lieben – (hüstelt).

ANNY  (kommt mit Wein): So, meine Lieben (schenkt ein).

BESS Auf das Wohl unseres Gastes! (Sie trinken.) Darf ich Sie fragen, ob Sie noch einen besonderen Zweck mit dem Besuch in hiesiger Stadt verbinden? Sie wollten nur meine Frau wiedersehen? Oder —

TATZEL  Ich wollte Ihre Frau sehen – ja – ich sagte Ihnen schon, daß ich sie liebe —

BESS  (küßt ihr die Hand): Sie ist überaus reizend. Man muß sie lieben.

TATZEL  Aber – eben darum – verbinde ich noch einen be­sonderen Zweck mit meinem Besuch.

BESS So?

TATZEL Ich habe einen Feind hier.

BESS Wer hat keine Feinde? Viel Feind viel Ehr, wie unser hochseliger König zu sagen pflegte.

TATZEL Ich bin gekommen, diesen Feind zu vernichten.

BESS  Liebet eure Feinde!

TATZEL Das kann ich nicht.

BESS  Wir sind allzumal Sünder.

TATZEL Geben Sie mir einen Rat.

BESS Gern, wenn ich Ihnen damit dienen kann.

TATZEL Ich liebe eine schöne junge Frau.

BESS Sie Glücklicher! So sind Sie ein Bruder meines Glückes!

TATZEL  Diese schöne junge Frau ist mit einem alten Scheu­sal von Mann verheiratet.

BESS (bedauernd): 0 … das arme Weibchen! (Streichelt seiner Frau die Wange.)

TATZEL  Die schöne junge Frau haßt den alten widerlichen Mann.

BESS Wie begreiflich!

TATZEL Er aber weigert sich, sich von ihr zu trennen, und besteht eifersüchtig auf seinen staatlichen und kirchlichen Rechten.

BESS Wie unrecht! Wie verabscheuungswürdig. Es gibt nur innere Gesetze.

TATZEL Diese Gesetze beachtet er nicht. Als unwissendes junges Mädchen ist die schöne Frau auf ihn hereingefal­len. Weil sie die Tyrannei des Elternhauses nicht mehr ertrug. Weil sie frei sein wollte.

ANNY  Ja – so war – es –

TATZEL  Sie wußte nicht, daß sie eine schlimmere Tyrannis dafür eintauschen sollte.

ANNY  (schluchzt).

BESS Aber Liebling, ich begreife nicht, wie ein fremdes Schicksal dich derart aufregen kann? Du bist so gut, mein Liebling, voll Mitleid für jede Kreatur.

TATZEL Was soll sie tun?

BESS Den alten Mann betrügen –

TATZEL Das tut sie schon: verzweifelt, aber voll guten Ge­wissens –

BESS Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen.

TATZEL  Sie aber will frei, ganz frei sein.

BESS (denkt nach): Sie könnte ihren Kerkermeister töten. Ja, das könnte sie, obwohl es gegen die äußeren Gesetze verstieße: Gott spräche sie frei —

ANNY  Gott — spräche — sie — frei?

BESS Er, der mit allen Leidenden leidet: er spräche sie frei.

TATZEL (zieht den Revolver): Du hast dir selbst dein Urteil gesprochen. Du hast dich selbst gerichtet. Du stirbst!

BESS (ächzend): Mörder! Mörder! (Er sinkt in sich zusam­men.)

TATZEL  (wirft den Revolver weg): Was ist mit ihm? — Er verdreht die Augen. —

ANNY  (jubelnd): Er stirbt – ohne daß du ihn hast töten brau­chen — der Schreck hat ihn getötet.

TATZEL Gott hat gerichtet sprach er selbst. —

ANNY Wir haben ein gutes Gewissen – wir können aller Welt in die Augen sehen – frei bin ich — frei bin ich — ach, Liebster. Du Mörder, Gauner, Dieb, du lebendiges Leben, küsse mich, küsse mich! (Umschlungen.)

TATZEL  Ich will ihm die Augen zudrücken –

ANNY Laß, laß seine toten Augen offen – sie sollen mein Glück sehen, als Rache der Qual, die ich um seine leben­den Augen erduldet. (Neue Umarmung im Vordergrunde; im Hintergrunde hat Beß den Revolver aufgehoben, den Tatzel fallen ließ und springt mit einem Sprung auf.)

BESS Auf die Knie, ihr Hunde, ich will euren Liebesbund mit dem Tode segnen.

ANNY, TATZEL  (schreien auf): Er lebt!

BESS Er lebt – und er wird ewig leben, jedenfalls so lange, wie du, mein Liebchen, mein Weibchen, mein Täubchen, mein Zuckerschnutchen. Ihr dachtet, es wäre zu Ende mit mir. Ihr dachtet, ihr könntet beginnen. Gott hat gerichtet -aber euch. Komm her, mein Liebling, küsse deinem Ge­liebten die Füße. Komm, so komm doch — wird es bald -oder ich schieße. (Sie kommt auf den Knien zu ihm gekro­chen und küßt ihm die Füße.)

TATZEL Sie Ungeheuer!

BESS Ich bin ein Drache der Vorzeit. Ich bin Ahasver. Ich bin Baal. Ich bin der Drache, der seinen Schatz, sein Schätzchen bewacht. Willst du bei mir bleiben, mein Täub­chen? Mich nie verlassen? Mich immer lieben? Ja? Du mußt mir einen Gefallen erweisen? Da ist das Telephon — geh an das Telephon — nicht so kleine Schritte — nicht so zögernd – nimm jetzt den Hörer ab – so – und jetzt die Polizeiwache anrufen —

TATZEL  (macht eine Bewegung).

BESS (den Revolver erhoben): Nähern Sie sich nicht — (zu Anny:) Weißt du die Nummer? 33113! Also?!

ANNY  (am Telephon): Bitte       33113 – ja – ist dort die Polizeiwache – (sie läßt den Hörer sinken) was soll ich sagen?

BESS Sag — daß du in der Wohnung einen Einbrecher auf frischer Tat ertappt hättest —
TATZEL  (Bewegung).

BESS Still Sie

ANNY Hier ist Frau … Ich habe einen Einbrecher — in meiner Wohnung — auf frischer — Tat — ertappt —

BESS – und in der Notwehr –

ANNY  und in der Notwehr —

BESS (hebt den Revolver, schießt auf Tatzel): erschossen! (Tatzel fällt tot um.)

ANNY erschossen (sinkt schluchzend am Telephon nie­der).

BESS Weine nicht, Liebling, das macht deine schönen Au­gen häßlich. Wie du weißt, sind wir heute nachmittag zum Tee beim Geheimrat geladen. Um Gesprächsstoff werden wir nicht verlegen sein!

(Vorhang.)