Am Dienstag den 4. August 1931 erscheint in der Zeitschrift „Die Weltbühne“ eine Glosse des Autors Ignaz Wrobel mit dem Titel: „Der bewachte Kriegsschauplatz“ und darin schreibt er „Soldaten sind Mörder.“ Hinter Ignaz Wrobel verbirgt sich der Schriftsteller Kurt Tucholsky.
Diese Glosse wird über Jahrzehnte bis in die heutige Bundesrepublik hinein einer der wichtigsten politischen Artikel sein, ein wichtiges Streitthema.
Carl von Ossietzky schreibt bereits kurz nach den Veröffentlichung: „Es ist falsch wenn man annimmt, dass es sich um die Diffamierung eines Standes handelt; es handelt sich um die Diffamierung des Krieges.“
Der bewachte Kriegsschauplatz
Im nächsten letzten Krieg wird das ja anders sein … Aber der vorige Kriegsschauplatz war polizeilich abgesperrt, das vergisst man so häufig. Nämlich: Hinter dem Gewirr der Ackergräben, in denen die Arbeiter und Angestellten sich abschossen, während ihre Chefs daran gut verdienten, stand und ritt ununterbrochen, auf allen Kriegsschauplätzen, eine Kette von Feldgendarmen. Sehr beliebt sind die Herren nicht gewesen; vorn waren sie nicht zu sehen, und hinten taten sie sich dicke. Der Soldat mochte sie nicht; sie erinnerten ihn an jenen bürgerlichen Drill, den er in falscher Hoffnung gegen den militärischen eingetauscht hatte.
Die Feldgendarmen sperrten den Kriegsschauplatz nicht nur von hinten nach vorn ab, das wäre ja noch verständlich gewesen; sie passten keineswegs nur auf, dass niemand von den Zivilisten in einen Tod lief, der nicht für sie bestimmt war. Der Kriegsschauplatz war auch von vorn nach hinten abgesperrt. „Von welchem Truppenteil sind Sie?“ fragte der Gendarm, wenn er auf einen einzelnen Soldaten stieß, der versprengt war. „Sie“, sagte er. Sonst war der Soldat „du“ und in der Menge „ihr“ – hier aber verwandelte er sich plötzlich in ein steuerzahlendes Subjekt, das der bürgerlichen Obrigkeit untertan war. Der Feldgendarm wachte darüber, dass vorn richtig gestorben wurde.
Für viele war das gar nicht nötig. Die Hammel trappelten mit der Herde mit, meist wussten sie gar keine Wege und Möglichkeiten, um nach hinten zu kommen, und was hätten sie da auch tun sollen! Sie wären ja doch geklappt worden, und dann: Untersuchungshaft, Kriegsgericht, Zuchthaus, oder, das schlimmste von allem: Strafkompanie. In diesen deutschen Strafkompanien sind Grausamkeiten vorgekommen, deren Schilderung, spielten sie in der französischen Fremdenlegion, gut und gern einen ganzen Verlag ernähren könnte. Manche Nationen jagten ihre Zwangsabonnenten auch mit den Maschinengewehren in die Maschinengewehre. So kämpften sie.
Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.
Es ist ungemein bezeichnend, dass sich neulich ein sicherlich anständig empfindender protestantischer Geistlicher gegen den Vorwurf gewehrt hat, die Soldaten Mörder genannt zu haben, denn in seinen Kreisen gilt das als Vorwurf. Und die Hetze gegen den Professor Gumbel fußt darauf, dass er einmal die Abdeckerei des Krieges „das Feld der Unehre“ genannt hat. Ich weiß nicht, ob die randalierenden Studenten in Heidelberg lesen können. Wenn ja: vielleicht bemühen sie sich einmal in eine ihrer Bibliotheken und schlagen dort jene Exhortatio Benedikts XV. nach, der den Krieg „ein entehrendes Gemetzel“ genannt hat und das mitten im Kriege! Die Exhortatio ist in dieser Nummer nachzulesen.
Die Gendarmen aller Länder hätten und haben Deserteure niedergeschossen. Sie mordeten also, weil einer sich weigerte, weiterhin zu morden. Und sperrten den Kriegsschauplatz ab, denn Ordnung muss sein, Ruhe, Ordnung und die Zivilisation der christlichen Staaten.
Der Journalist Claus Menzel schreibt:
„… Verfasser der Glosse war der Schriftsteller und Doktor der Jurisprudenz, Kurt Tucholsky. Zwar hatte er, einst Feldpolizeikommissar im Heer des deutschen Kaisers, Soldaten auch zuvor gelegentlich als Mörder bezeichnet, strafrechtliche Folgen aber waren ausgeblieben. Jetzt allerdings, in der Endzeit der ungeliebten Republik von Weimar, sah die Führung der Reichswehr offenbar eine Chance, sich an einem ihrer wort- und wirkungsmächtigsten Kritiker zu rächen. Sie irrte. Das zuständige Berliner Schöffengericht sprach Carl von Ossietzky frei, der Revisionsantrag der Staatsanwaltschaft wurde vom Kammergericht verworfen. Mit dem sehr allgemein gehaltenen Satz „Soldaten sind Mörder“ seien, erklärten die Richter, bestimmte Personen nicht gemeint und folglich auch nicht beleidigt worden.“
Schon seit 1912 hat Tucholsky immer wieder geschrieben, dass Krieg Mord und Soldaten „professionelle Mörder„ seien und er sprach von „ermordeten Mördern“. Doch erst 1931 kommt es deswegen zur Anklage.
Die Reichswehr – nicht erst in diesen Jahren eine „fragwürdige Organisation“ – mehrheitlich in ihrer Führung demokratiefeindlich und weit rechts beheimatet – will sich diese Beleidigung nicht gefallen lassen. Vertreten durch den amtierenden Reichswehrminister General Wilhelm Groener klagt sie gegen den verantwortlichen Redakteur der Weltbühne, Carl von Ossietzky, nachdem Tucholsky seit Jahren im Ausland lebt.
Als Ankläger ausgerechnet General Groener zu wählen, war schon fast Satire, denn nach der Entlassung Ludendorffs am 26. Oktober 1918 wurde er als neuer Erster Generalquartiermeister faktisch der Chef der OHL und wusste also sehr genau, über was der Autor schrieb.
Ossietzkys Verteidiger legten den Anklägern eine Fülle von Zitaten aus der deutschen Kulturgeschichte vor, in denen Soldaten als Mörder, Henker und Schlächter bezeichnet werden: von Goethe über Kant bis zu Gerhard Hauptmann. Nicht den Stand des Soldaten wolle man verunglimpfen, argumentiert von Ossietzky: „Wir verteidigen das Recht auf Leben. Was nützt den Toten des Weltkriegs die Ehre, die angeblich hier geschützt werden soll?“
Kurt Tucholsky war allerdings nicht der einzige und vor allem nicht der erste, der den „Beruf“ des Soldaten angriff. Wikipedia schreibt:
„… Schon lange vor Tucholskys Zeit wurde nicht nur der Krieg an sich, sondern auch speziell der Soldatenberuf immer wieder als unethisch kritisiert und das Töten im Krieg auf eine Stufe mit Mord gestellt. So schrieb Cyprian von Karthago (* um 200) in einem Brief:
„Der Mord ist ein Verbrechen, wenn ein einzelner ihn begeht; aber man ehrt ihn als Tugend und Tapferkeit, wenn ihn viele begehen! Also nicht mehr Unschuld sichert Straflosigkeit zu, sondern die Größe des Verbrechens!“
Ähnlich äußerten sich andere Vertreter der Alten Kirche. Mehrere Schriftsteller des 18. und 19. Jahrhunderts bezeichneten das Soldatenhandwerk als Mord, darunter Voltaire („Mordbrenner“), Heinrich Heine („stehende Heere von hunderttausenden Mördern“) und Georg Büchner („gesetzliche Mörder“). Der Aufklärer und Spracherneuerer Joachim Heinrich Campe bemühte sich vergeblich, statt „Soldaten“ den Begriff „Menschenschlächter“ in die deutsche Sprache einzuführen.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren es nicht nur Tucholsky, sondern auch Ernst Friedrich („Soldaten-‚Handwerk‘ ist Mordhandwerk!“; Krieg dem Kriege) und Rosa Luxemburg („Mordwaffen“), die das Töten im Krieg in die Nähe des Mordes rückten. Keine dieser Aussagen führte jedoch zu ähnlich starken gesellschaftlichen Reaktionen oder Gerichtsprozessen wie Tucholskys Satz.“
In der gleichen Nummer der „Weltbühne“ vom 4. August 1931 wird eine Exhortatio, also eine Ermahnung oder Mahnung des Papstes Benedikts XV. veröffentlicht, die der Vatikan am 28. Juli 1915 herausgegeben hatte, allerdings in Deutschland durch die Bischöfe in einer verfälschten und abgemilderten Form.
Der Originaltitel: „Allorché fummo chiamati“.
Der Krieg ist eine grauenhafte Schlächterei! von Papst Benedikt XV.
An die kriegführenden Völker und deren Oberhäupter!
Als wir ohne unser Verdienst auf den Apostolischen Stuhl berufen wurden zur Nachfolge des friedliebenden Papstes Pius X., dessen heiliges und segensreiches Leben durch den Schmerz über den in Europa entbrannten Bruderzwist verkürzt wurde, da fühlten auch wir mit einem schaudernden Blick auf die blutbefleckten Kriegsschauplätze den herzzerreißenden Schmerz eines Vaters, dem ein rasender Orkan das Haus verheerte und verwüstete. Und wir dachten mit unausdrückbarer Betrübnis an unsre jungen Söhne, die der Tod zu Tausenden dahinmähte, und unser Herz, erfüllt von der Liebe Jesu Christi, öffnete sich den Martern der Mütter und der vor der Zeit verwitweten Frauen und dem untröstlichen Wimmern der Kinder, die zu früh des väterlichen Beistands beraubt waren. Unsre Seele nahm teil an der Herzensangst unzähliger Familien und war durchdrungen von den gebieterischen Pflichten jener erhabenen Friedens- und Liebesmission, die ihr in diesen unglückseligen Tagen anvertraut war. So fassten wir alsbald den unerschütterlichen Entschluss, all unsre Wirksamkeit und Autorität der Versöhnung der kriegführenden Völker zu weihen, und dies gelobten wir feierlich dem göttlichen Erlöser, der sein Blut vergoss, auf dass alle Menschen Brüder würden.
Die ersten Worte, die wir an die Völker und ihre Lenker richteten, waren Worte des Friedens und der Liebe. Aber unser Mahnen, liebevoll und eindringlich wie das eines Vaters und Freundes, verhallte ungehört! Darob wuchs unser Schmerz, aber unser Vorsatz wurde nicht erschüttert. Wir ließen nicht ab, voll Zuversicht den Allmächtigen anzurufen, in dessen Händen Geist und Herzen der Untertanen und Könige liegen, und flehten ihn an, die fürchterliche Geißel des Krieges von der Erde zu nehmen. In unser demütiges und inbrünstiges Gebet wollten wir alle Gläubigen einschließen, und, um es wirksamer werden zu lassen, sorgten wir dafür, dass es verbunden wurde mit Übungen christlicher Buße. Aber heute, da sich der Tag jährt, an dem dieser furchtbare Streit ausbrach, ist unser Herzenswunsch noch glühender, diesen Krieg beendigt zu sehn; lauter erhebt sich unser väterlicher Schrei nach Frieden. Möge dieser Schrei das schreckliche Getöse der Waffen übertönen und bis zu den kriegführenden Völkern und ihren Lenkern dringen, um die einen wie die andern mildern und ruhigern Entschlüssen geneigt zu machen.
Im Namen des allmächtigen Gottes, im Namen unsres himmlischen Vaters und Herrn, bei Jesu Christi benedeitem Blute, dem Preis der Menschheitserlösung, beschwören wir euch, euch von der göttlichen Vorsehung an die Spitze der kriegführenden Völker Gestellte, endlich dieser grauenhaften Schlächterei ein Ende zu setzen, die nun schon ein Jahr Europa entehrt. Bruderblut tränkt das Land und färbt das Meer. Die schönsten Landstriche Europas, des Gartens der Welt, sind besät mit Leichen und Trümmern; da, wo kurz zuvor noch rege Tätigkeit der Fabriken und fruchtbare Feldarbeit herrschten, hört man jetzt den schrecklichen Donner der Geschütze, die in ihrer Zerstörungswut weder Dörfer noch Städte verschonen, sondern überall Gemetzel und Tod säen. Ihr, die ihr vor Gott und den Menschen die furchtbare Verantwortung für Krieg und Frieden tragt, erhört unser Gebet, hört auf die väterliche Stimme des Stellvertreters des ewigen und höchsten Richters, dem auch ihr über euer öffentliches und privates Tun Rechenschaft ablegen müsst.
Die großen Reichtümer, mit denen der Schöpfer eure Länder gesegnet hat, erlauben euch, den Kampf fortzusetzen; aber um welchen Preis! Das sollen die Tausende der jungen Menschen beantworten, die täglich auf den Schlachtfeldern dahinsinken. Das sollen die Trümmer so vieler Flecken und Städte beantworten, die Trümmer so vieler der Frömmigkeit und dem Geist der Vorfahren geweihter Monumente. Und wiederholen nicht die bittern, in häuslicher Verschwiegenheit oder an den Stufen der Altäre vergossenen Tränen, dass dieser Krieg, der schon so lange dauert, viel kostet, zu viel?
Niemand sage, dass dieser grausige Streit sich nicht ohne Waffengewalt schlichten ließe. Möge doch jeder von sich aus dem Verlangen nach gegenseitiger Vernichtung entsagen, denn man überlege, dass Völker nicht sterben können. Erniedrigt und unterdrückt tragen sie schaudernd das Joch, das man ihnen auferlegte, und bereiten den Aufstand vor. Und so überträgt sich von Generation zu Generation das traurige Erbe des Hasses und der Rachsucht.
Warum wollen wir nicht von nun ab mit reinem Gewissen die Rechte und die gerechten Wünsche der Völker abwägen? Warum wollen wir nicht aufrichtigen Willens einen direkten oder indirekten Meinungstausch beginnen, mit dem Ziel, in den Grenzen des Möglichen diesen Rechten und Wünschen Rechnung zu tragen, und so endlich dieses schreckliche Ringen zu beendigen, wie das in andern Fällen unter ähnlichen Umständen geschah? Gesegnet sei, wer als erster den Ölzweig erhebt und dem Feind die Rechte entgegenstreckt, ihm den Frieden unter vernünftigen Bedingungen anbietet! Das Gleichgewicht der Welt, die gedeihliche und gesicherte Ruhe der Völker beruht auf dem gegenseitigen Wohlwollen und auf dem Respekt vor Recht und Würde des andern, viel mehr als auf der Menge der Soldaten und auf dem furchtbaren Festungsgürtel.
Dies ist der Schrei nach Frieden, der an diesem traurigen Tage besonders laut aus uns herausbricht; und alle Freunde des Friedens in der Welt laden wir ein, sich mit uns zu vereinen, um das Ende des Krieges zu beschleunigen, der, ach, schon ein Jahr lang Europa in ein riesiges Schlachtfeld verwandelt hat. Möge Jesus in seiner Barmherzigkeit durch die Vermittlung seiner schmerzensreichen Mutter bewirken, dass still und strahlend nach so entsetzlichem Unwetter endlich die Morgenröte des Friedens anbreche, das Abbild seines erhabenen Antlitzes. Mögen bald Dankgebete für die Versöhnung der kriegführenden Staaten emporsteigen zum Höchsten, dem Schöpfer alles Guten; mögen die Völker, vereint in brüderlicher Liebe, den friedlichen Wettstreit der Wissenschaft, der Künste und der Wirtschaft wiederaufnehmen, und mögen sie sich, nachdem die Herrschaft des Rechts wiederhergestellt ist, entschließen, die Lösung ihrer Meinungsverschiedenheiten künftig nicht mehr der Schärfe des Schwertes anzuvertrauen, sondern den Argumenten der Billigkeit und Gerechtigkeit, in ruhiger Erörterung und Abwägung. Das würde ihre schönste und glorreichste Eroberung sein!
In dem sichern Vertrauen, dass sich diese ersehnten Früchte zur Freude der Welt bald am Baum des Friedens zeigen werden, erteilen wir unsern Apostolischen Segen allen Gliedern der uns anvertrauten Herde; und auch für die, die noch nicht der römischen Kirche angehören, beten wir zum Herrn, dass er sie mit uns vereinen möge durch das Band seiner unendlichen Liebe.
Rom, Vatikan, 28. Juli 1915.
Wikipedia über den Ausgang des Prozesses:
„… Das Berliner Schöffengericht sprach Ossietzky am 1. Juli 1932 mit der Begründung frei, dass der allgemeine Satz „Soldaten sind Mörder“ nicht auf bestimmte Personen ziele und deshalb keine Beleidigung sei. Ein Revisionsantrag der Staatsanwaltschaft wurde vom Kammergericht nicht zugelassen.“
Allerdings hatte die Justiz die Rechnung ohne den Reichspräsidenten gemacht. Der vermutete – wahrscheinlich zu recht – man könne auch ihn meinen und erließ im Dezember 1932 per Notverordnung des Reichspräsidenten einen besonderen „Ehrenschutz für Soldaten“, festgeschrieben im Strafgesetzbuch § 134a. Darin hieß es: „Demnach soll derjenige, der die deutsche Wehrmacht beschimpft oder böswillig und mit Überlegung verächtlich macht“, mit Gefängnis bestraft werden.
Wo wäre man auch hingekommen wenn am 21. März 1933 – „dem Tag von Potsdam“ – vor der Garnisonkirche aus der Menge heraus dieser „Spruch“ gerufen würde, während die versammelte Clique, behangen mit ihren blutverschmierten Blechschildern der Soldaten gedacht hätte, die wohl Tucholsky gemeint hatte.
Übrigens an dieser Feier nahmen aus der Familie Hohenzollern neben dem Kronprinzen auch die Prinzen August Wilhelm, Oskar und Eitel Friedrich teil.
Dieser Paragraph „134a StGB wurde zusammen mit dem in der Zeit des Nationalsozialismus hinzugefügten § 134b StGB, der einen speziellen Ehrenschutz für die NSDAP enthielt, 1946 durch den Alliierten Kontrollrat abgeschafft“, schreibt Wikipedia.
Die Weimarer Republik wurde von den Nazis hinweggefegt und das „Tausendjährige Reich“ waren am 8. Mai 1945 „Geschichte“, nicht aber Tucholsky und „Soldaten sind Mörder“.
Am 5. Mai 1955 wurde in der jungen Bundesrepublik die „Bundeswehr“ gegründet und am 12. November 1955 die ersten 101 Freiwilligen vereidigt. Von Anfang an war die Frage zwischen CDU und SPD strittig, ob diese Republik jemals wieder Streitkräfte bekommen sollte. Leider wurde sie entschieden zugunsten einer Armee, zumal ihre Zusammensetzung nicht gerade für „Bürger in Uniform“ sprach.
Wikipedia schreibt:
„… Bei Gründung der Bundeswehr stammten deren Offiziere und Unteroffiziere fast ausnahmslos aus der Wehrmacht – teilweise auch aus der Waffen-SS. Im Jahre 1959 waren von 14.900 Bundeswehroffizieren 12.360 bereits in der Reichswehr oder Wehrmacht zu Offizieren ernannt worden, 300 Offiziere entstammten der Waffen-SS. Alle Offiziere vom Oberst aufwärts wurden durch den Personalgutachterausschuss überprüft. Dieses Gremium bestand aus 38 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung und nach Bestätigung durch den Bundestag ernannt worden waren. Auf den Vorwurf, alle hohen Offiziere hätten in der Wehrmacht gedient, antwortete Bundeskanzler Adenauer sinngemäß, die NATO nehme ihm keine 18-jährigen Generale ab.“
Zu den Gegnern der neuen Armee zählte auch der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann und der benützte Tucholskys Zitat 1958 in einer Bundestagsrede. Heinemann wurde im Kabinett Adenauer nach heftigem Sträuben Innenminister bis zu seinem Rücktritt am 9. Oktober 1950.
In seinen Jahren als Abgeordneter und als Minister sind seine Reden gegen die Wiederbewaffnung Legende geworden.
So heißt es in seinem Rücktrittsbrief: „Was für Russland und seine Satelliten auf der einen Seite und für die Westmächte auf der anderen Seite (…) immerhin noch Chancen des Gewinnens oder doch des Überlebens in sich schließt, ist für uns in jedem Falle der Tod, weil Deutschland das Schlachtfeld ist. (…) wir legitimieren unser Deutschland selbst als Schlachtfeld, wenn wir uns in die Aufrüstung einbeziehen. (…) Es kommt darauf an, dass die Chance für eine friedliche Lösung nicht verlorengeht. Unsere Beteiligung an der Aufrüstung würde das Aufkommen einer solchen Chance kaum mehr offen lassen. (…) Unser Staatsapparat ist (…) noch so wenig eingespielt und gefestigt, dass die militärische Macht nahezu unvermeidlich wieder eine eigene politische Willensbildung entfalten wird. Wenn wir diese Gefahr dadurch für gebannt halten, dass die deutschen Kontingente in einer internationalen Armee stehen, so ist abzuwägen, ob die Abhängigkeit von einem internationalen Generalstab geringer oder erträglicher sein wird. (…) Wir können noch nicht von einem gefestigten demokratischen Staatsbewusstsein sprechen. Es wird deshalb nicht abzuwenden sein, dass die antidemokratischen Neigungen gestärkt und die Remilitarisierung die Renazifizierung nach sich ziehen wird.“
Als Rechtsanwalt setzte sich Heinemann besonders für Kriegsdienstverweigerer ein und 1952 trat er wegen der Pläne zur Wiederbewaffnung Deutschlands aus der CDU und ab Mai 1957 wurde er Mitglied der SPD.
Aus Wikipedia:
„… Heinemann gehörte 1957/58 zu den schärfsten Gegnern der von Adenauer und Strauß geplanten Atombewaffnung der Bundeswehr, darüber hinaus aller ABC-Waffen. In einer legendären Bundestagsrede am 23. Januar 1958 vollzog er (…) eine Generalabrechnung mit der aus seiner Sicht völlig gescheiterten Deutschlandpolitik Adenauers und warf ihm dabei Volksbetrug, Hintergehen des Kabinetts und des Parlaments vor. In dieser Rede nahm er zum erfolgreichen CDU-Wahlkampf aus der zurückliegenden Bundestagswahl Stellung, in dem Adenauer erklärt hatte: „Es geht darum, ob Deutschland und Europa christlich bleiben oder kommunistisch werde!“ Dies kritisierte Heinemann als ideologische Vereinnahmung christlich-abendländischer Werte für den Kalten Krieg.“
Und auch der folgende Satz stammt von Gustav Heinemann: „Ich nenne die Atomwaffen Ungeziefervertilgungsmittel, bei denen diesmal der Mensch das Ungeziefer sein soll.“
Auf Vorschlag Willy Brandts wurde er am 1. Dezember 1966 Bundesminister der Justiz in der von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger geführten Großen Koalition und am 5. März 1969 wurde er im dritten Wahlgang mit einfacher Mehrheit zum Bundespräsidenten gewählt.
Wikipedia:
„… Heinemann verstand sich als „Bürgerpräsident“ und zeigte dies bei seinem Amtsantritt am 1. Juli 1969 mit den Worten:
„(W)ir stehen erst am Anfang der ersten wirklich freiheitlichen Periode unserer Geschichte. (…) Überall müssen Autorität und Tradition sich die Frage nach ihrer Rechtfertigung gefallen lassen. (…( Nicht weniger, sondern mehr Demokratie – das ist die Forderung, das ist das große Ziel, dem wir uns alle und zumal die Jugend zu verschreiben haben. Es gibt schwierige Vaterländer. Eines davon ist Deutschland. Aber es ist unser Vaterland.“ (…)
Zur Rolle der Bundeswehr urteilte Heinemann: „Jede Bundeswehr muss grundsätzlich bereit sein, sich um einer besseren politischen Lösung willen in Frage stellen zu lassen.“ Mit dieser Äußerung empörte Heinemann vor allem die CDU/CSU. Der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß meinte, es sei von dort aus nur ein kleiner Schritt zu sagen, „die Bundeswehr steht der Wiedervereinigung im Wege“.
„Die Auseinandersetzungen gehen weiter und 1959 verklagt Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Strauß den prominenten Pastor Martin Niemöller 1959 für die Bemerkung, dass die Ausbildung der Soldaten „die Hohe Schule für Berufsverbrecher“ sei. Die Richter entscheiden auf Freispruch – ebenso wie 1981 bei der Feststellung, dass „jeder Soldat ein berufsmäßig trainierter Mörder“ ist. 1995 entscheidet das Bundesverfassungsgericht, dass jedermann unbehelligt Soldaten als Mörder bezeichnen darf – sofern er seine Aussage abstrakt genug hält und nicht konkrete Personen oder Institutionen wie die Bundeswehr meint“, so der Autor Claus Menzel.
Ein Auszug aus Niemöllers Rede vom 25. Januar 1959 in Kassel:
„…„Denn sie wissen, was sie tun! Krieg ist gegen den Willen Gottes. Nun ja, das ist viel gesagt und gar nichts getan. Mord ist auch gegen den Willen Gottes. Aber damit, dass ich das feststelle und Morde nicht verhindere, habe ich eben noch gar nichts getan. Und damit ist heute die Ausbildung zum Soldaten die Hohe Schule für Berufsverbrecher. Mütter und Väter sollen wissen, was sie tun, wenn sie ihren Sohn Soldat werden lassen. Sie lassen ihn zum Verbrecher ausbilden.“
Die Staatsanwaltschaft erhebt übrigens keine Strafanzeige!
Wikipedia:
„… Auch gegen Lorenz Knorr, der 1961 mehrere ehemalige Wehrmachtsgeneräle als Massenmörder bezeichnete, wurde unter anderem von Strauß Strafanzeige gestellt. In der öffentlichen Diskussion um die juristischen Auseinandersetzungen, die nach mehreren Verurteilungen erst 1974 wegen geringer Schuld eingestellt wurden, stand nicht die abstrakte Rolle von Soldaten, sondern die konkrete Rolle der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg im Vordergrund.
Es gab eine größere Anzahl von Prozessen zu ähnlichen Aussagen, die weniger bekannt geblieben sind oder bei denen das Urteil nicht veröffentlicht wurde. Beispielsweise kam es am 6. Oktober 1970 am Landgericht Karlsruhe zu einem Freispruch in einem Verfahren, in dem es um die Darstellung eines auf ein Bajonett gespießten Babys mit dem Untertext „Geh’ zur Bundeswehr, lerne schlachten“ ging.“
Und das Landgericht Limburg sprach wegen des Zitates einen Freispruch aus:
„Jeder Soldat ist ein berufsmäßig trainierter Mörder, jeder Ausbilder ein Anstifter zu Mordtaten, jeder Luftwaffenpilot ein professioneller Bombenwerfer, jede Armee ist eine Terrorbande.“
Die öffentlichen Debatten erreichten einen Höhepunkt, als Frankfurter Gerichte sich mit Anklagen beschäftigen mussten, oder wollten.
Als Beispiel sei eine Podiumsdiskussion am 31. August 1984 in der Frankfurter Friedrich-Ebert-Schule genannt. Dort hatte sich ein Arzt der IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e. V.) und ehemaliger Sanitätsoffiziersanwärter gegenüber einem Jugendoffizier der Bundeswehr geäußert: „Jeder Soldat ist ein potentieller Mörder – auch Sie, Herr W. In der Bundeswehr gibt es einen Drill zum Morden.“
Wikipedia schreibt über die Zeit der Verhandlungen:
„… Es folgten lange gerichtliche Auseinandersetzungen wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Frankfurt legte die Verteidigung mit Sachverständigen, den Friedensforschern Hanne-Margret Birckenbach und Erich Schmidt-Eenboom sowie dem Psychiater und Militärmedizin-Forscher Peter Riedesser, die Folgen des Einsatzes von A-Waffen und die Methoden und Folgen militärischen Drills dar. Die Staatsanwaltschaft vertrat mit Hilfe der von der Bundeswehr gestellten Sachverständigen, eines Generals und eines hohen Ministerialbeamten die Auffassung, dass die Bundeswehr alleine den Auftrag der Abschreckung und unmittelbaren Landesverteidigung zu verfolgen habe, niemals aber Krieg außerhalb der Bundesrepublik führen werde. Auf die Frage des Vorsitzenden, was sie tun würden, wenn die Abschreckung versage, erklärten sie, sie würden sofort zurücktreten. Nach insgesamt fünf verschiedenen Urteilen des Amtsgerichts Frankfurt am Main, des Frankfurter Landgerichts und des Oberlandesgerichts endete der Rechtsstreit erst 1992 mit einer Einstellung wegen geringer Schuld, nachdem das Bundesverfassungsgericht in einem Parallelverfahren inzwischen die Tucholsky-Worte als durch Art. 5 Abs. 1 GG (Meinungsfreiheit) gedeckt bezeichnet hatte.“
Im Jahre 1988 verurteil das Landgericht Ansbach mal wieder einen Studenten, der Tucholsky zitiert hatte, Die Akten landen beim Bundesverfassungsgericht, zusammen mit drei weiteren Beschwerden.
Auch höchste Politiker versuchten das Urteil anzufechten, oder mindestens als „Fehlurteil“ hinzustellen. So Bundeskanzler Helmut Kohl auf einer Veranstaltung des Bundeswehr-Verbands:
„Es steht auch dem Regierungschef der Bundesrepublik Deutschland nicht an, im Normalfall Richterschelte zu üben. Aber als Bürger dieses Landes möchte ich deutlich sagen: Was in diesem Urteil zum Ausdruck gekommen ist, ist eine Gesinnung, die für mich völlig inakzeptabel ist.“
Und einer darf aus dem „konservativen Lager“ nicht fehlen, der damalige Chef der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Alfred Dregger: „Ich hoffe, dass gegen das schlimme Fehlurteil von Frankfurt Revision eingelegt wird und dass diese Revision Erfolg hat. Solche Fehlurteile erinnern mich an Urteile, die zum Untergang der Weimarer Republik beigetragen haben. Das darf sich nicht wiederholen, meine Damen und Herren.“
Und nochmal Wikipedia:
„… Besonders gegen die Freisprüche von 1987 und 1989 erhob sich heftiger öffentlicher Protest. Unter anderem kritisierten Bundespräsident von Weizsäcker, Bundeskanzler Kohl, Außenminister Genscher, Verteidigungsminister Stoltenberg und Justizminister Kinkel öffentlich die Entscheidungen.
Die beiden Vorsitzenden Richter des Landgerichts, das jeweils auf Freispruch erkannt hatte, erhielten schriftlich und telefonisch Morddrohungen und die Kanzlei der Verteidiger wurde durch einen Brandanschlag zerstört. Der Bundestag debattierte in einer Aktuellen Stunde und es wurden Rufe nach einem Ehrenschutzgesetz für Soldaten laut. Im Rahmen der öffentlichen Debatte fielen außerdem Äußerungen, die weitere Prozesse nach sich zogen. Dagegen begrüßten Soldaten des „Darmstädter Signals“ – einem Zusammenschluss aktiver und ehemaliger Offiziere, Unteroffiziere und Zivilbeschäftigter der Bundeswehr, die sich der Friedensbewegung verbunden fühlen – öffentlich die Freisprüche und Anwälte des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins stellten sich öffentlich hinter die Aussage. Während die Bundeswehr gegen die Soldaten darunter Helmuth Prieß (18. März 1939 in Hildesheim, 26. April 2012 in Bonn) einem Oberstleutnant a. D. sowie Mitbegründer und Sprecher des Arbeitskreises Darmstädter Signal. disziplinarisch vorging, damit aber bei dem Bundesverfassungsgericht scheiterte, das die Disziplinarurteile des Bundesverwaltungsgerichts aufhob, blieb die Erklärung der Anwälte ohne juristisches Nachspiel.
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichtes verkündet endlich am 7. November 1995, dass der Ausspruch „Soldaten sind Mörder“ nur als Beleidigung strafbar ist, wenn eindeutig ein einzelner Soldat oder speziell etwa die Bundeswehr herabgesetzt werde. Eine Verurteilung ist ausgeschlossen, wenn die Äußerung als generelle Kritik an „Soldatentum“ und „Kriegshandwerk“ zu verstehen sei, da solch eine allgemeinpolitische Aussage durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt ist.
Über eine erneute Diskussion im Jahre 2010 schreibt Wikipedia:
„… Im Jahr 2010 wurde die Debatte um das Zitat wiederbelebt, als die Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen den Journalisten und Linke-Politiker Thies Gleiss einleitete. Dieser wurde schließlich von einem Berliner Amtsgericht zu einer Geldstrafe verurteilt, in nächster Instanz jedoch freigesprochen. Gleiss hatte in einem Kommentar in der „Jungen Welt“, auf den von Oberst Georg Klein angeordneten Luftangriff bei Kundus anspielend, geschrieben: „An der Berliner Mauer starben 136 Menschen eines gewaltsamen Todes, das ist unmenschlich und verbrecherisch, aber in Afghanistan haben von SPD und Grüne geschickte Mördersoldaten schon deutlich mehr Menschen umgebracht.“
Für Kabarettisten war und ist das Zitat ein „gefundenes Fressen“, Wikipedia schreibt:
„… Die öffentlichen und gerichtlichen Auseinandersetzungen wurden begleitet von satirischen und kabarettistischen Beiträgen, deren Verfasser sich fast ausnahmslos auf die Seite der Meinungsfreiheit schlugen. Ein oft verwendetes Motiv ist hierbei die Verfremdung des Zitats, das man in seiner ursprünglichen Form nicht verwenden dürfe. So fragt der Autor und Satiriker Wiglaf Droste in Gedichtform „Sind Soldaten Faxgeräte?“, um mit „Mörder soll man Mörder nennen“ zu enden.
Aus dem Programm des Kabarettisten Matthias Deutschmann stammt der Satz: „Soldaten sind Marder und fahren Leopard.“
Dieter Hildebrandt fragte im Scheibenwischer vom 2. November 1989: „Was wäre, wenn alle Soldaten nicht potentielle … sondern potentielle Deserteure wären? Was würde Bonn denn wohl dazu sagen?“
In der ersten Folge der Kabarettsendung Neues aus der Anstalt vom 23. Januar 2007 betrat Georg Schramm als Kunstfigur „Oberstleutnant Sanftleben“ die Bühne, mit einem Button am Revers mit der Aufschrift „Soldaten sind Mörder“ und fragt den ebenfalls auf der Bühne stehenden Jochen Malmsheimer nach seiner Meinung dazu, worauf dieser erwidert: „Würde es Sie stören, wenn hier stünde ‚Metzger sind Fleischer‘?“
„Sieben Vorstandsmitglieder des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins verteidigten die Bezeichnung „potentielle Mörder“ ebenfalls öffentlich. Sie führten das Argument an, dass die Geschichte durchsetzt sei mit Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung, die von Soldaten ausgeübt worden seien“, schreibt Wikipedia und dazu ließe sich als besonderes Beispiel die „Wehrmachtsausstellungen“ anführen, die von 1995 bis 1999 und von 2001 bis 2004 zu sehen waren. Die erste hatte den Titel „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“, die zweite „Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944“.