7 J 35/29
XII L 5/31
Im Namen des Reichs
In der Strafsache gegen
1. den Schriftsteller Walter Ludwig Friedrich Kreiser, geboren am 10. Februar 1898 in Heilbronn am Neckar, wohnhaft Berlin W., Steglitzerstraße 22 bei Elsner,
2. den Schriftleiter Carl von Ossietzky, geboren am 3. Oktober 1889 in Hamburg, wohnhaft in Berlin-Friedenau, Laubacherstr. 20,
wegen Landesverrats,
hat das Reichsgericht, 4. Strafsenat, in der öffentlichen Sitzung vom 23. November 1931 auf Grund der Verhandlung vom 17. und 19. November 1931, an welcher teilgenommen haben als Richter:
der Reichsgerichtsrat Dr. Baumgarten als Vorsitzender und die Reichsgerichtsräte Driver, Dr. Sonntag, Drechsler, sowie der Landgerichtsdirektor Dr. Heim,
als Beamter der Staatsanwaltschaft:
der Amtsgerichtsrat Dr. Bauer,
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle:
der Regierungsoberinspektor Peters,
nach mündlicher Verhandlung für Recht erkannt:
Die Angeklagten werden wegen Verbrechens gegen § 1 Abs. 2 des Gesetzes gegen den Verrat militärischer Geheimnisse vom 3. Juni ein jeder zu
einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis
und die Kosten des Verfahrens verurteilt.
Der Artikel „Windiges aus der deutschen Luftfahrt“ der Zeitschrift „Die Weltbühne“ nebst den zu seiner Herstellung bestimmten Formen und Platten ist im Rahmen des § 41 Abs. 2 StGB unbrauchbar zu machen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I. Zur Person
1. Walter Kreiser ist der Sohn eines schon im Jahre 1903 verstorbenen Heilbronner Metzgermeisters. Er besuchte zunächst 3 Jahre die Elementarschule in Heilbronn und kam dann auf die dortige Oberrealschule. Diese verließ er im Dezember 1914 als Unterprimaner und trat als Kriegsfreiwilliger bei dem Fußart. Reg. Nr. 10 in Straßburg ein. Während des Krieges war er bei verschiedenen Fußartillerieformationen im Westen, Osten und auf dem Balkan tätig und wurde teilweise auch als Artilleriebeobachter zu Feldfliegerabteilungen abkommandiert. Er ist dabei 2mal verwundet worden und hat im Felde auch eine Gasvergiftung erlitten. Im Jahre 1919 schied der Angeklagte als Vizewachtmeister aus dem Heeresdienst aus und blieb zunächst zu Hause bei seiner Mutter in Heilbronn. Im Sommer 1919 entschloß er sich auf Grund des Abiturientenzeugnisses, das ihm die Oberrealschule in Heilbronn während seiner Kriegsdienstzeit im Jahre 1916 verliehen hatte, zu studieren und Ingenieur zu werden. Er arbeitete deshalb zunächst mehrere Jahre lang praktisch als Monteur bei den Ölfeuerungswerken Schmidt in Neckarsulm, bei den Neckarsulmer Fahrradwerken und bei den Daimlermotorenwerken. Dann studierte er vom Sommersemester 1923 ab an der technischen Hochschule in Stuttgart Flugzeugtechnik und betätigte sich gleichzeitig auch praktisch in der Fliegerei, indem er sich an den Segelflügen auf der Wasserkuppe in der Rhön beteiligte und in dem flugtechnischen Verein in Stuttgart mitarbeitete. Schon Ostern 1924 mußte der Angeklagte jedoch sein Studium aufgeben, weil das elterliche Vermögen durch die Inflation verloren gegangen war. Er wandte sich nunmehr der Journalistik zu und schrieb von Ludwigsburg aus, wo er sich bei Verwandten aufhielt, für das „Stuttgarter Tageblatt“, sowie andere kleinere württembergische und rheinländische Zeitungen Sportnachrichten. Im Juli 1925 siedelte er mit Empfehlungen des Herausgebers Dr. Schairer der „Sonntagszeitung“ an die Liga für Menschenrechte, die „Weltbühne“ und das „Berliner Tageblatt“ nach Berlin über. Hier arbeitete er als Zeitungsberichterstatter in Sportangelegenheiten für das „Berliner Tageblatt“, das „Stuttgarter Tageblatt“ und andere Zeitungen und wurde schließlich im Jahre 1926 Mitarbeiter der „Weltbühne“, für die er anfangs unter dem Pseudonym „Konrad Widerhold“ und später unter dem Pseudonym „Heinz Jäger“ über Luftfahrtfragen schrieb und für die er bis zum März 1929 arbeitete. Der später noch zu erörternde inkriminierte Artikel: „Windiges aus der Deutschen Luftfahrt“ war seine letzte schriftstellerische Arbeit für die „Weltbühne“. Neben dieser schriftstellerischen Tätigkeit widmete der Angeklagte sein Interesse auch dem praktischen Flugzeugwesen. So versuchte er sich im Jahre 1925 gemeinsam mit dem Flugzeugkonstrukteur Rieseler in Berlin im Kleinflugzeugbau, beschäftigte sich in den Wintern 1927/28 und 1928/29 mit dem Ausbau einer flugtechnischen Erfindung (Autogiro), arbeitete seit 1926 in der dem Deutschen Verkehrsbund angegliederten Luftfahrtabteilung, die er vom Frühjahr bis zum Herbst 1928 sogar allein leitete, organisatorisch mit, gründete im Frühjahr 1929 mit Unterstützung des Deutschen Verkehrsbundes den „Sturmvogel, Flugverband der Werktätigen e.V.“, der es sich zur Aufgabe gesetzt hat, das Interesse der breiten Masse für die Luftfahrt zu gewinnen, und übernahm auch die technische Leitung dieses Vereins. Er hat insbesondere auch auf dem Flugplatz in Johannisthal bei Berlin einige Zeit gearbeitet.
Früher, insbesondere im März 1929, gehörte er, nach seiner Angabe der sozialdemokratischen Partei an. Jetzt will er keiner politischen Partei mehr angehören.
Nach seinen Angaben bezieht er aus seinen verschiedenen Tätigkeiten ein monatliches Einkommen von etwa 400 RM.
Er ist bisher unbestraft. Gegen ihn war jedoch bereits früher einmal unter seinem damaligen Pseudonym „Konrad Widerhold“ in Sachen 7 J 159/26 der Reichsanwaltschaft ein Verfahren wegen Landesverrats und Verrats militärischer Geheimnisse, begangen durch seine Mitwirkung an der Druckschrift: „Die deutsche Militärpolitik sein 1918“ anhängig.
Er ist in jenem Verfahren von dem Untersuchungsrichter des Reichsgerichts am 23. April und 2. August 1927 eingehend verantwortlich vernommen worden. Dieses Verfahren ist durch Beschluß des Reichsgerichts vom 9. August 1928 auf Grund des Reichsgesetzes über Straffreiheit vom 14. Juli 1928 eingestellt worden.
In jenem Verfahren ist ein Brief vom 24. August 1925 des Angeklagten an den Redakteur Fritz Röttcher der Zeitschrift „Menschheit“, die in dem damals noch von den Franzosen besetzten Wiesbaden erschien, beschlagnahmt worden.
Dieser in der gegenwärtigen Hauptverhandlung auf Antrag des Vertreters der Reichsanwaltschaft zur Verlesung gelangte Brief hatte folgenden Wortlaut:
Berlin-Johannisthal, 24.8.25
Parkstraße 23/bei Thiele
Geehrter Herr Röttcher!
Ich übersende Ihnen anbei eine Darstellung über die Deutsche Luftpolitik. Ich arbeite in der Liga für Menschenrechte als Sachverständiger für Luftfahrtfragen. Bei dem ausschlaggebenden Wert der Luftfahrt für den Zukunftskrieg wird natürlich auch in Deutschland fieberhaft gearbeitet. Was hier seit 1 1/2 Jahren erreicht wurde, davon hat kein Mensch, der außerhalb dieser Bewegung steht, eine Ahnung. Man muß selbstverständlich diese Sachen sehr vorsichtig behandeln. Landesverratsprozeß wäre das erste, sobald man zuviel sagt. Ich habe daher auch verschiedene Punkte sehr vorsichtig gefaßt, obwohl sie in ihrer Bejahung den Tatsachen entsprechen. Ich habe absichtlich eine etwas umständliche Darstellung gewählt, weil es sich hier um Dinge handelt, die in der öffentlichen Deutschen Luftfahrtpropaganda (die vollständig vom Staat beherrscht wird) mit Argumenten operiert wird, deren Zweideutigkeit den meisten Zeitungslesern überhaupt nicht klar ist. Die allerwichtigsten Sachen, wie die organisatorische und strategische Vorbereitung eines Luftkrieges habe ich vollständig weggelassen, es hat keinen Wert Sachen zu veröffentlichen, von denen es besser ist, wenn die maßgebenden Stellen in Deutschland sich der Hoffnung hingeben, diese seien ihr alleiniges Geheimnis. Wenn ich einmal Gelegenheit haben sollte, in nächster Zeit in das Rheinland zu kommen, so würde ich Sie aufsuchen, um – falls Sie es wünschen – Ihnen mündlich ein gesamtes Bild über die Deutsche Luftpolitik, vor allem in militärischer Hinsicht zu geben. Auch muß man allmählich Schritte erwägen, wie man diese Dinge politisch – handelnd parieren kann. In fünf Jahren, das steht für mich fest, ist es zu spät. Herr Schramm von der Liga wird Ihnen jedenfalls auch schon geschrieben haben, ich möchte Sie nur noch bitten, diesen Aufsatz unter „Konrad Widerhold“ zu veröffentlichen, ein Pseudonym, unter welchem ich in der „Sonntagszeitung“ des Herrn Dr. Erich Scheirer – Stuttgart bereits mehrere Aufsätze veröffentlicht habe, damit ich, im Interesse einer genauen Berichterstattung, meinen Verkehr in Fliegerkreisen aufrechterhalten kann, denn soviel wir von hier aus übersehen, bin ich bis jetzt der einzige in pazifistischen Kreisen, der genauen Einblick in der Fliegerei hat. Da ich gegenwärtig, als freier Schriftsteller lebe, möchte ich Sie bitten, bei Veröffentlichung dieses Aufsatzes, denselben honorieren zu wollen.
Mit bestem Gruß
Ihr ergebener
gez. Walter Kreiser
Der Angeklagte Kreiser hat in der jetzigen Hauptverhandlung zugegeben, diesen Brief geschrieben zu haben. Er hat sich zu dessen Inhalt dahin eingelassen, der Brief beruhe auf jugendlicher Renommage, tatsächlich habe er zu damaliger Zeit keine Kenntnis von den mit der Deutschen Luftpolitik, insbesondere nach ihrer militärischen und strategischen Seite hin, zusammenhängenden Dingen, gehabt; im übrigen habe er schon längere Zeit vor dem Erscheinen des jetzt zur Anklage stehenden Artikels seine politische Einstellung geändert.
2. Carl von Ossietzky ist der Sohn eines im Jahre 1891 verstorbenen Hamburger Kaufmanns. Seine Mutter ist im Jahre 1921 verstorben. Nachdem er bis zum Jahre 1905 die Rumbaumsche Realschule in Hamburg besucht und dort das Einjährigenzeugnis erworben hatte, ging er in die kaufmännische Lehre. Dort hielt er jedoch nur etwa 2 Jahre aus und wandte sich dann der Journalistik zu, da er sich als Kaufmann nicht wohl fühlte und sich mehr für Literatur interessierte. Er betätigte sich zunächst als freier Schriftsteller in Hamburg, wo er seine Arbeiten in verschiedenen Zeitungen veröffentlichte. Im Jahre 1913 ging er studienhalber nach England und heiratete im August 1913 in London. Nach einigen Monaten kehrte er mit seiner Frau nach Deutschland zu seiner Mutter zurück, die in Hamburg in zweiter Ehe verheiratet war, und wirkte hier weiter als freier Schriftsteller, bis er im Jahre 1916 zum Militär eingezogen wurde. Über seine Militärdienstzeit hat er jede Angabe verweigert. Nach seiner Ende 1918 erfolgten Entlassung aus dem Heeresdienst siedelte er im August 1919 nach Berlin über und wurde dort Sekretär der Deutschen Friedensgesellschaft. Im Jahre 1920 verließ er diese Stellung und widmete sich erneut journalistischer Tätigkeit. Er war zunächst verpflichteter Mitarbeiter der Berliner Volkszeitung und schrieb als solcher ihre Leitartikel. 1922 wurde er in die Redaktion der Volkszeitung aufgenommen und arbeitete dort bis zum Jahre 1924 als verantwortlicher Redakteur für den auswärtigen Teil dieser Zeitung. Während seiner Tätigkeit für die Berliner Volkszeitung organisierte er gemeinsam mit dem Redakteur Karl Vetter die „Nie-wieder-Kriegs-Bewegung“, die bis zum Jahre 1924 alljährlich im August eine Demonstrationsversammlung im Berliner Lustgarten abhielt. Nach seinem Ausscheiden aus der Redaktion der Volkszeitung wurde der Angeklagte verantwortlicher Redakteur der Zeitschriften „Montag-Morgen“, „Das Tagebuch“, „Republikanische Presse“, „Die Welt am Abend“ und ging schließlich im Jahre 1926 zu der Redaktion der „Weltbühne“ über. Hier war er anfangs verpflichteter Redakteur dieser Zeitschrift und schließlich im Mai 1927 ihr Herausgeber und Leiter. Als solcher ist er auch jetzt noch tätig und will dabei etwa 10 000 RM Jahreseinkommen haben.
Der Angeklagte ist nach seinen eigenen Angaben schon seit 1912 überzeugter Pazifist und Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft. Er ist, wie folgt, vorbestraft:
a.) in Sachen 1 J 1019/26 durch Urteil des Schöffengerichts Berlin – Mitte vom 10. Februar 1927 wegen öffentlicher, durch die Presse begangener Beleidigung von Offizieren und Mannschaften des Kreuzers „Hamburg“ mit 500 RM Geldstrafe,
b.) in Sachen 23 C 488/27 durch Strafbefehl des Amtsgerichts Charlottenburg vom 24. Juli 1927 wegen Übertretung nach §§ 11, 19 des Preßgesetzes mit 100 RM Geldstrafe (Verweigerung der Aufnahme einer Berichtigung),
c.) in Sachen 23 C 450/28 durch Strafbefehl des Amtsgerichts Charlottenburg vom 28. Juni 1928 wegen Vergehens nach § 110 StGB. und § 20 des Preßgesetzes mit 50 RM Geldstrafe (in der Weltbühne war unter der verantwortlichen Leitung des Angeklagten ein Artikel erschienen, in dem politisch linksstehenden Zeugen empfohlen wurde, Zeugnis und Eidesleistung grundsätzlich zu verweigern),
d.) in Sachen E 1 J 280/27 durch Urteil der 3. großen Strafkammer des Landgerichts III in Berlin vom 16. April 1928 wegen öffentlicher Beleidigung zu 600 RM Geldstrafe, ersatzweise für je 20 RM zu einem Tage Gefängnis.
In der ersten Instanz jener Strafsache war der Angeklagte durch Urteil des Schöffengerichts in Charlottenburg, vom 20. Dezember 1927 zu einem Monate Gefängnis verurteilt worden.
Die Strafzumessungsgründe dieses in der gegenwärtigen Hauptverhandlung verlesenen Urteils führen u.a. aus:
Strafverschärfend fiel ins Gewicht die ungeheuerliche Schwere und Tragweite der Beleidigung. Hochangesehene aktive Offiziere, teils in den höchsten Stellen der Deutschen Wehrmacht, die sich im Kriege und Frieden bewährt haben, wie ihre Beförderung und Auszeichnung beweist, werden öffentlich der Teilnahme an einem der schwersten Verbrechen des StGB., am Morde, bezichtigt, ohne jede tatsächliche Grundlage, nur aus gehässiger Politik gegen die Reichswehr. Schon dieser Umstand allein gab dem Gericht Veranlassung, die schärfere der vom Strafgesetzbuch zur Verfügung gestellten Strafarten auszuwählen. Das Strafgesetzbuch gibt die Möglichkeit, einen Ehrenschutz nachhaltend zu gewähren, in dem es für eine öffentliche Beleidigung eine Gefängnisstrafe bis zu 2 Jahren zuläßt; es ist sogar Pflicht der Gerichte, diese Möglichkeiten zur Reinhaltung der Formen des öffentlichen Lebens und zur Erhaltung der Autorität maßgebender Reichbehörden zu benutzen, wie es auch stets bis in die neueste Zeit von den Zeitschriften und den im öffentlichen Leben stehenden Personen verlangt wird. Auch aus diesem Grund mußte auf eine scharfe Strafe erkannt werden. Ferner haben für die Strafzumessung strafschärfend die Vorstrafen der Angeklagten, die hier eine besondere Bedeutung haben, mitgespielt. Beide Angeklagte (von Ossietzky und Salomon) sind wegen öffentlicher Beleidigung mit einer Geldstrafe von je 500 vorbestraft ….. Daß so kurz nach der Bestrafung wegen Beleidigung mit hohen Geldstrafen beide Angeklagte schon wieder Gelegenheit zu neuen schwersten Beleidigungen nehmen, ist bezeichnend dafür, wie wenig Wirkung die hohe Geldstrafe auf die Angeklagten ausgeübt hat, und wie wenig eine Geldstrafe imstande war, die Angeklagten von neuen Beleidigungen abzuhalten. Auch aus diesem Grund ergab sich mit Notwendigkeit im Interesse des Schutzes und der Reinhaltung des öffentlichen Lebens, daß eine Geldstrafe hier gar nicht in Frage kommen konnte. Und schließlich waren für das Gericht auch maßgebend die überzeugenden Ausführungen des Rechtsanwalts Dr. Apfel, daß im Fall der Verurteilung zu der vom Staatsanwalt beantragten Geldstrafe sein Mandant, der Angeklagte von Ossietzky, gar nicht getroffen werden könne, da dann eben die Leser der „Weltbühne“ 65 Pfg. anstatt 60 Pfg. für das Exemplar solange zahlen müßten, bis die Geldstrafe abgetragen sei. Es bedarf weiter keiner Ausführung, daß bei einer solchen Auffassung von der Bedeutung einer Geldstrafe diese überhaupt keine Wirkung erzielen würde. Die Strafzumessungsgründe des unter Aufrechterhaltung der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz ergangene Berufungsurteil vom 16. April 1928 führen u.a. aus:
Bei der Strafzumessung kam strafschärfend einmal die Schwere des gegen die Offiziere erhobenen Vorwurfs und weiter die Tatsache in Betracht, daß die beiden Angeklagten bereits einschlägig, und zwar nur kurze Zeit vorher, vorbestraft sind. Andererseits war zu ihren Gunsten zu berücksichtigen, daß der Artikel aus der Stimmung des damaligen (Fememord-)prozesses vor dem Schwurgericht heraus geschrieben worden ist. Deshalb hat das Gericht gegen beide Angeklagten noch einmal eine Geldstrafe als ausreichende Sühne ansehen zu können geglaubt. Diese Geldstrafe mußte aber hoch bemessen werden.
Das Urteil ist rechtskräftig geworden; die Strafe ist indes auf Grund des kurze Zeit darauf ergangenen Gesetzes über Straffreiheit vom 14. Juli 1928 erlassen worden.
Außerdem war gegen den Angeklagten von Ossietzky in Sachen 7 J 200/26 des Oberreichsanwalts ein Verfahren wegen Landesverrats (§ 22 Nr. 1 StGB.), begangen durch den Artikel „Frontwechsel des Jungdo“ in Nr. 31 der „Weltbühne“ vom 2. August 1927, anhängig. Dieses Verfahren, in dem der Angeklagte vom Untersuchungsrichter des Reichsgerichts am 6. März 1928 eingehend verantwortlich vernommen worden ist, ist jedoch durch Beschluß des Reichsgerichts vom 9. August 1928 auf Grund des Reichsgesetzes über Straffreiheit vom 14. Juli 1928 eingestellt worden.
II. Zur Sache
In Nr. 11 der Zeitschrift „Die Weltbühne“, einer in Charlottenburg erscheinenden „Wochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft“ ist, wie das Impressum ausweist, unter der verantwortlichen Zeichnung des Angeklagten von Ossietzky am 12. März 1929 mit Wissen und Willen des Angeklagten Kreiser der von ihm unter dem Pseudonym „Heinz Jäger“ verfaßte Artikel „Windiges aus der deutschen Luftfahrt“ veröffentlicht worden. Dieser Artikel, für dessen Abfassung der Angeklagte Kreiser 80 RM erhalten hat, geisselt zunächst in den Unterabschnitten „Deutscher Luftkrieg im Ausland“, „Jubiläumsgaben“ und „Vergessen, Vergessen …“ die Verkehrspolitik der Deutschen Lufthansa und der „ihr übergeordneten Reichsbehörden“ im Ausland wegen angeblich zu hoher Dotationen der Direktoren der Deutschen Lufthansa, sowie wegen der angeblichen Vernachlässigung des Funkdienstes in der deutschen Verkehrsfliegerschule, die darauf zurückgeführt wird, daß die prominenten Führer dieser Schule alle Fliegerei mehr oder weniger nach militärischen Gesichtspunkten betrachten. Dann befaßt er sich in dem weiteren Unterabschnitt „Industrie-Subventionen“ mit der Subventionspolitik der Reichsbehörden auf dem Gebiete der deutschen Flugzeugindustrie und sucht dabei den Eindruck zu erwecken, als ob die Marineleitung zu anderen, als Verkehrs- und Sportfliegereizwecken, gewissen Flugzeugfabriken, die an sich gar keine Existenzberechtigung hätten, erhebliche geldliche Unterstützung gewähre.
Nach einer Erörterung der Beziehungen der Flugzeugfabrik Rohrbach zur Marineleitung heißt es dann wörtlich
„Wo steckt eigentlich Herr Rohrbach …..? ………. macht er in Amerika einen neuen Laden auf und überläßt den hiesigen ganz der Marineleitung?
Diese soll dann auch gleich Arado, Focke-Wulf und Albatros erwerben, damit man endlich erfährt, zu welchem Zweck diese Firmen da sind. Albatros leidet nie Subventionsmangel, obwohl feststeht, daß die größte Zahl dieser mit Reichsgeldern gebauten Flugzeuge höchstens reif für ein Flugzeug-Museum ist. Grade im Fall Albatros müßte der Haushaltsausschuß des Reichstags einmal die Frage untersuchen, in welchem Verhältnis die den Flugzeugfirmen gewährten Subventionsgelder zu ihren Leistungen stehen. Wo sind die Abnehmer für Albatros und Arado? Albatros hatte den Auftrag, sogenannte Schlafwagen-Flugzeuge zu bauen. Nach mehrmaligem Umbau dieser Flugzeuge verlangte schließlich das Reichsverkehrsministerium, das für sein Geld etwas sehen wollte, die Lufthansa solle die Dinger abnehmen. Wenn die Lufthansa die Ausführung dieses allerhöchsten Befehls trotzdem verweigert, so kann man sich diese technischen Mißgeburten halbwegs vorstellen.“
In einem weiteren Unterabschnitt „Seemannslos“ heißt es dann u.a. wörtlich:
„Unter der Bezeichnung „Severa“ wurde vor einigen Jahren eine Seeversuchsanstalt gegründet, deren Zweck immer noch dunkel geblieben ist. Im Untertitel hieß dies Institut „Tochtergesellschaft der Deutschen Lufthansa“. Nun pfeifen aber bereits die Spatzen von den Dächern, daß die Severa nichts anderes, als eine getarnte Abteilung der Marineleitung ist. Man wußte von ihren Beziehungen zum Lohmann-Konzern; der Reichstag wurde aufmerksam und die Preußische Staatsregierung mißtrauisch. Herr Gröner rechnete damit, daß dies unliebsame Thema im Reichstag zur Sprache kommen könnte. Er wollte dann vor die Volksboten hintreten und sagen: Seht, ich habe dies Geschäft aufgelöst. Also dachte Gröner und sprach zu dem damaligen Verkehrsminister v. Guérard: Wir wollen diese Severa auflösen und, da das Gesellschaftskapital ja sowieso den Hansa-Direktoren gehört, die aufgelöste Firma einfach unter dem Namen: „Deutsche Lufthansa, Abt. Küstenflug“, weiterführen.
Nun besitzt die Lufthansa bereits eine Abteilung „Seeflug“, die den von der Hansa betriebenen Luftverkehr über See betreibt.
Welches ist der Unterschied zwischen Küstenflug- und Seeflug-Abteilung der Lufthansa? Diese Preisfrage kann zugleich als Doktorarbeit für angehende Luftrechtler wärmstens empfohlen werden. Diese müssen sich aber beeilen, denn inzwischen hat der preußische Ministerpräsident Otto Braun verlangt, daß die zwischen Gröner und Guérard getroffene Tarnung wieder rückgängig gemacht wird, da er keinesfalls eine noch engere Verquickung zwischen der ehemaligen Severa und der Lufthansa wünscht.“
Den Abschluß des Artikels bildet schließlich ein mit „Abteilung M“ überschriebener, den Gegenstand der Anklage bildender Unterabschnitt folgenden Wortlauts:
„Ähnliche Kapriolen wurden auch auf dem Flugplatz Johannisthal-Adlershof gemacht. Auf der Adlershofer Seite bestand als besondere Gruppe der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt eine sogenannte Abteilung M. Als beim vorjährigen Luftfahrtetat der sozialistische Abgeordnete Krüger im Haushaltsausschuß die Regierungsvertreter um Auskunft bat, zu welchem Zweck die Abteilung M. da sei, bekam er keine Antwort, denn sonst hätten die Behörden darauf aufmerksam machen müssen, daß „M“ auch der Anfangsbuchstabe des Wortes Militär ist. So schwieg man lieber. Aber auch hier arbeitet Gröners findige Vernebelungstaktik. Um bei einer erneuten Anfrage sagen zu können: eine solche Abteilung M gibt es nicht mehr, mit diesen Schweinereien haben wir aufgeräumt, wurde diese Abteilung auch aufgelöst, kam auf die Johannisthaler Seite des Flugplatzes und heißt jetzt „Erprobungsabteilung Albatros“, zum Unterschied von einer Versuchsabteilung, die Albatros bereits besitzt. Diese „Erprobungsabteilung Albatros“ ist zu Lande dasselbe, was an der See die „Küstenflugabteilung der Lufthansa“ darstellt. Beide Abteilungen besitzen je etwa dreissig bis vierzig Flugzeuge, manchmal auch mehr.
Aber nicht alle Flugzeuge sind immer in Deutschland …..“
In der Nr. 17 der „Weltbühne“ vom 23. April 1929 ist dann ein weiterer Artikel des Angeklagten Kreiser „Atemnot der Luftfahrt“ unter seinem Pseudonym „Heinz Jäger“ erschienen. Dieser Artikel ist zwar nicht Gegenstand der Anklage und des Eröffnungsbeschlusses. Auf den übereinstimmenden Antrag der beiden Angeklagten ist dieser Artikel jedoch in der Hauptverhandlung zur Verlesung gelangt, da er zur Auslegung des inkriminierten Artikels „Windiges aus der deutschen Luftfahrt“ dienen könne und solle. Dieser zweite Artikel geht von der Erörterung des Eindruckes aus, den die durch die Reichstagskommission beschlossene Kürzung des Luftfahrt-Etats gemacht habe und bringt u.a. folgende Sätze:
Es hat sich aber schließlich auch im Reichstag herumgesprochen, daß die von der Luftfahrtbureaukratie verfolgte Politik nichts andres ist, als eine Art verschleierte Verwaltungsdiktatur, wobei der Reichstag die Rolle einer Reichszapfstelle spielen sollte, um der Bureaukratie damit die nötigen Flüssigkeiten zur Verwirklichung ihrer teils gefährlichen, teils dilettantischen Spielereien zu geben.
Dagegen stehen unter dem Kautschukbegriff „zur Förderung wissenschaftlicher und allgemein wirtschaftlicher Zwecke“ 27,1 Millionen. Aus jenen Geldmitteln wurden zum Teil die von der Reichswehr angeregte Flugzeugrüstung von Junkers in Rußland liquidiert. Dieser „Förderungstitel“ ist überhaupt der dunkelste des ganzen Etats und alle Bemühungen des Haushaltsausschusses wollten vor allem über diesen mysteriösen Titel Klarheit erhalten. Noch im nächsten Jahr sehen wir hier 18 Millionen Mark verbucht, wovon etwa 10 Millionen Mark zur Liquidation und Schuldendeckung der in jenen Jahren üppig emporgeschossenen Sportfliegerei aufgebracht werden müßten. Dabei weiß bis heute noch niemand, wofür die unter dieser Rubrik angeforderten Geldmittel grade in den letzten drei Jahren eigentlich ausgegeben wurden. Man weiß wohl, daß damit Flugzeuge bestellt werden und daß Flugzeugfabriken (zum Beispiel Albatros, Arado, Heinkel) für unkontrollierbare Experimente ebensolche unkontrollierbaren Zuschüsse erhalten, man weiß, daß diese Flugzeuge dann entweder in den Besitz jener „Severa“ alias „Küstenflugabteilung der Lufthansa“ oder jener noch mysteriöseren „Abteilung M“ alias „Erprobungsabteilung Albatros“ übergehen, während wiederum ein anderer Teil dieser Flugzeuge der deutschen Verkehrsfliegerschule oder der deutschen Lufthansa zur Verfügung gestellt wird. Dies wird aber im Etat nirgends erwähnt, denn für die Unterstützung der Lufthansa hat man ja den Titel „Luftverkehr“. Die Lufthansa erhält also tatsächlich eine viel größere Subvention, als man nach außen hin annimmt, und es wird erst jetzt verständlich, warum auch die Lufthansa immer so unklare Bilanzen aufstellt, denn es darf doch um Gotteswillen niemand auf diesen Etattrick kommen. Der Titel 2 ist in seinen Untertiteln noch eingehend dargestellt. Ohne zu verkennen, daß gewisse (aber bedeutend niedrigere!) zusätzliche Mittel, zum Beispiel beim Bau neuer Typen manchmal zu verantworten sind, so muß man doch immer wieder die Frage stellen: Wem gehören eigentlich die Flugzeuge, die mit diesen Geldmitteln gebaut werden? Dabei handelt es sich nicht nur, wie man meinen könnte, um den Bau neuer Großverkehrsflugzeuge, sondern um eine ganze Reihe sogenannter „Sportzweisitzer“ mit 500 bis 700 PS. Ein feiner Sport, nicht wahr?
Weiter unten schließt sich eine Erörterung der Verhältnisse der Verkehrsfliegerschule an und es heißt dann:
Ein kräftiger Schnitt wurde mit Recht auch bei der Verkehrsfliegerschule vorgenommen. Diese soll den Nachwuchs an Verkehrspiloten sicherstellen und behauptete, jährlich etwa 50 voll ausgebildete Akademiker-Piloten zur Verfügung zu stellen. Dazu hat sie drei Flugplätze (Staaken, München und Warnemünde), besitzt zirka 150 Flugzeuge und verlangt dafür dreieinhalb Millionen Mark Reichszuschuß. Jeder ausgebildete Schüler kostet also das Reich 70 000 RM. Ein teurer Spaß! Nach den Intentionen der Ministerialbureaukratie sollte diese Schule in diesem Jahr aus dem Titel 2 (der hier angeführten Etatsaufstellung) noch extra fünf Millionen für Anschaffung neuer Flugzeuge erhalten – ein Verfahren, das auch in den letzten beiden Jahren geübt worden ist -, das heißt: die Ausbildungskosten pro Kopf erhöhen sich damit auf 170 000 Mark jährlich. Diesen Schwindel glaubt wohl niemand. Was macht also die Verkehrsfliegerschule mit diesem vielen Geld? Wie weit steht sie mit der „Severa“ und andern Organisationen in einer Arbeitsgemeinschaft? Denn bei den angeführten dreieinhalb Millionen ihres eigenen Titels sind bereits anderthalb Millionen für „Unterhaltung der vorhandenen Flugzeuge“ eingerechnet. Während des Krieges – allerdings bei bedeutend kürzerer und oft auch schlechter Ausbildung – sind von etwa zwanzig Lehrern mit fünfzig Flugzeugen jährlich zirka 1 000 bis 1 200 Schüler ausgebildet worden. Dieser krasse Unterschied sollte genügen, auch wenn der Vergleich kein vollgültiger ist. Oder ist diese Schule etwa ein Rahmen für andre Zwecke?
Es folgen dann Abänderungsvorschläge, die mit dem Satze schließen:
Dann erhält man gute „Lokomotivführer der Luft“. Aber das will man nicht, sondern „Luftkapitäne“, und für diesen großen Vogel ist eben nur die akademische Jugend prädestiniert – und das darf schon etwas kosten.
Über die Veröffentlichung der beiden Artikel verhalten sich die zwischen den beiden Angeklagten gewechselten Briefe vom 4. und 9. März, sowie 10. April 1929. Sie lauten:
a) W. Kreiser
Berlin W 35, Berlin, den 4. März 1929,
Steglitzerstr. 66 I
Tel.: Lützow 8091
Sehr geehrter Herr v. Ossietzky,
Anbei schicke ich Ihnen den versprochenen Luftfahrtartikel. Ich möchte Sie bitten, trotz der Länge des Artikels, möglichst wenig Streichungen daran vorzunehmen. Im Laufe des morgigen Tages werde ich Sie anrufen, um eine mündliche Unterredung mit Ihnen zu verabreden.
Es ist zweckmäßig, den Aufsatz in der „Weltbühne“ vom 11. III. zu bringen. An diesem Tage findet abends 8 Uhr im Herrenhaus eine von der W.G.L. einberufene Luftfahrtversammlung statt, wo alle Prominenten der Luftfahrt und diejenigen die es sein wollen anzutreffen sind. Vielleicht beordern Sie einen tüchtigen Zeitungskäufer dorthin, der wird sicher einige hundert Exemplare los, da der Artikel gerade auf dieser Versammlung wie eine Bombe wirken dürfte. Dies wird zugleich der beste Weg sein, daß ein weiteres Echo dieser Publikation in der Tagespresse erfolgt. Auch auf den Reichstag kann es nur günstig wirken. Die S.P.D. Fraktion hat Herrn Binder und mich aufgefordert Streichungsanträge für den Luftfahrtetat auszuarbeiten. Wir haben daraufhin Vorschläge unterbreitet, wie von den 55 Millionen Luftgelder 13 Millionen gestrichen werden können. Die Sache wird in der nächsten Woche zur Beratung stehen, und die geplante Veröffentlichung ist vielleicht dafür noch besser geeignet, als die trockenen Zahlen, die wir eingereicht haben.
(Auch beim Wehretat hat die SPD Fraktion – der Not gehorchend, nicht dem eigenen Trieb – Streichungsanträge von 50 – 70 Millionen vorbereitet).
Der Artikel ist so korrigiert worden, daß er gleich in Satz gegeben werden kann, so daß weitere Änderungen zweckmäßigerweise erst am Bürstenabzug vorgenommen werden.
Mit bestem Gruß
Ihr
gez. W. Kreiser
b) Berlin W 35, den 9. März 1929
An die Redaktion der „Weltbühne“
Berlin-Charlottenburg
Sehr geehrter Herr v. Ossietzky!
Der Luftfahrtvortrag im Herrenhaus findet, wie ich gestern erfahren habe, am Montag Abend nicht statt. Es erübrigt sich also einen Zeitungshändler dorthin zu stellen.
Dagegen findet am Dienstag Abend 8 Uhr (12.III.29) im Flugverbandhaus, Blumeshof 17 ein Vortrag statt. Da in diesem Haus ohnedies die verschiedensten Leute der Fliegerei dauernd ein- und ausgehen, so empfiehlt es sich, einen tüchtigen Zeitungshändler den ganzen Dienstag über (bis abends) an die Ecke Blumeshof hinzustellen, der dort genügend Exemplare verkaufen dürfte.
Was die andere mit Ihnen besprochene Sache anbelangt, so ziehe ich noch weitere Erkundigungen ein, um noch mehr exactes Tatsachenmaterial darüber zu erhalten. Sobald dies geschehen ist, sende ich Ihnen das ganze Material, wie versprochen – zu.
Mit bestem Gruß
Ihr
gez. W. Kreiser
c) A/S. 10. April 9.
Herrn
W. Kreiser
Berlin W 35
Steglitzerstr. 66 I
Lieber Herr Kreiser!
Ich habe von Ihnen nichts mehr gehört und weiß deshalb auch nicht, ob ich den Artikel über den Luftetat jetzt erwarten kann. Trotzdem möchte ich Sie bitten, das einmal angerührte Thema nicht wieder verfallen zu lassen. Das lebhafte Interesse für Ihren Artikel hat gezeigt, daß ein Bedürfnis für eine dieser Art gepflegte Kritik vorhanden ist, schon aus dem Grunde, weil sie nirgendwo sonst gefunden wird. Besteht nicht die Möglichkeit, zu den letzten Artikeln noch Nachträge irgend welcher Art zu liefern, irgendwelche Töne weiterzuspinnen, die dort nur angeschlagen oder wegen Raummangels zu kurz gekommen sind? Ich bitte Sie freundlichst, sich das einmal zu überlegen. Ich schicke Ihnen beiliegend einen Artikel aus der „Frankfurter Zeitung“ von Direktor Merkel. Vielleicht läßt sich darauf einiges erwidern. Desgleichen eine Zuschrift aus Kiel.
Bitte, lassen Sie doch wieder von sich hören.
Mit herzlichem Gruß
Ihr
2 Anlagen.
Der Angeklagte von Ossietzky ist in beiden Nummern der „Weltbühne“ als verantwortlicher Redakteur genannt. Er hat in der Voruntersuchung, wie in der Hauptverhandlung seine prozeßgesetzliche Verantwortung für beide Artikel anerkannt und in Übereinstimmung mit dem Angeklagten Kreiser erklärt, daß er den Schluß des mit dem Untertitel „Abteilung M“ gekennzeichneten Abschnittes gekürzt und dementsprechend auch in der Fassung etwas geändert habe.
Vor dem Untersuchungsrichter hat er sich hierzu geäußert. Ein Teil dieser Äußerung sei hier wiedergegeben:
„Abteilung M.“ Dieser Abschnitt ist für das nichtorientierte Publikum im ganzen unverständlich und sollte es auch sein. Die Formulierung ist größtenteils von mir persönlich erfolgt und nicht von dem Verfasser des Artikels. Der Hinweis auf die Tätigkeit der Abteilung M hatte den Zweck, die verantwortlichen Stellen des Reichswehrministeriums rechtzeitig zu warnen, ehe durch eine offene Diskussion der Angelegenheit von anderer Seite daraus etwa ein öffentlicher Skandal werden würde.
Der gesamte Artikel „Windiges aus der deutschen Luftfahrt“ von Heinz Jäger ist von dem verantwortlichen Redakteur der „Weltbühne“, also von mir, nicht als militär-politischer Artikel aufgefaßt worden. Er behandelt bestimmte Vorkommnisse in den verschiedenen Teilen der Deutschen Luftfahrt, vornehmlich in privaten Firmen oder in solchen, die staatlich subventioniert sind. Die Kritik, die im Reichstag am letzten Luftetat geübt wurde, und zur Streichung von vielen Millionen geführt hat, bestätigt eine Reihe von sachlichen Angaben dieses Artikels. Soweit Einzelstellen des Reichswehrministeriums und der Reichsmarineleitung in diesem Artikel behandelt worden sind, handelt es sich nicht um Vorwürfe politischer Bedeutung, sondern lediglich budgetärer.“
Diese Erklärung hat von Ossietzky auch in der Hauptverhandlung aufrechterhalten mit dem Bemerken, gerade hieraus gehe hervor, daß mit dem beanstandeten Artikel lediglich eine Etatskritik beabsichtigt gewesen sei.
Anklage und Eröffnungsbeschluß erblicken in der Veröffentlichung des Unterabschnittes „Abteilung M.“ des Artikels „Windiges aus der Deutschen Luftfahrt“ ein vollendetes Verbrechen gegen § 92 Abs. 1 Ziff. 1 StGB., begangen in Tateinheit mit einem versuchten Verbrechen nach §§ 1 Abs. 2 des Gesetzes gegen den Verrat militärischer Geheimnisse vom 3. Juni 1914 in Verbindung mit § 20 Abs. 2 des Reichsgesetzes über die Presse vom 7. Mai 1874. In der Hauptverhandlung hat der Vertreter des Oberreichsanwalts den Standpunkt eingenommen, daß statt eines Versuchs vielmehr vollendetes Verbrechen gegen § 1 Abs. 2 des Spionagegesetzes vorliege.
Der Senat hat beide Angeklagten auf Grund der Hauptverhandlung eines gemeinschaftlichen vollendeten Verbrechens gegen § 1 Abs. 2 SpionGes. für schuldig erachtet.
Der Unterabschnitt „Abteilung M.“ des Artikels „Windiges aus der deutschen Luftfahrt“ ist zunächst so zu lesen und zu verstehen, wie er vom unbefangenen Leser, der von den einzelnen Tatsachen nicht unterrichtet zu sein braucht, aufgefaßt wird. Hierbei ergibt sich die Vermittlung der Kenntnis folgender Tatsachen, die in drei Gruppen zerfallen:
Gruppe A. I) Sie umfaßt mehrere Einzeltatsachen:
Auf der Adlershofer Seite des Flugplatzes Johannisthal-Adlershof (bei Berlin) habe eine sog. Abt. M. als besondere Gruppe der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt bestanden. Beim Luftfahrtetat des Jahres 1928 habe der sozialdemokratische Abgeordnete Krüger im Haushaltsausschuß die Regierungsvertreter um Auskunft gebeten, zu welchem Zweck die Abteilung M. da sei. Auf diese Frage habe er keine Antwort bekommen. Das sei deshalb geschehen, weil „M“ der Anfangsbuchstabe des Wortes Militär sei.
II) a) Um bei einer erneuten Anfrage das Bestehen einer solchen „Abteilung M“ verneinen zu können, habe der Reichswehrminister Groener folgendes unternommen:
Die Abteilung M sei – auf der Adlershofer Seite – aufgelöst worden und sei auf die Johannisthaler Seite des Flugplatzes gekommen.
Es wurde also mitgeteilt, daß die in Rede stehende Abteilung eine örtliche Veränderung, eine Verlegung, erfahren hatte.
b) Diese Abteilung heißt jetzt „Erprobungsabteilung Albatros“. Es wird also mitgeteilt, daß sie auch eine Namensänderung erfahren habe, und der neue Name wird angegeben.
c) „Albatros“ besitze bereits eine Versuchsabteilung, von der die „Erprobungsabteilung Albatros“ zu unterscheiden sei.
d) Diese „Erprobungsabteilung Albatros“ sei zu Lande dasselbe, was an der See die „Küstenflugabteilung der Lufthansa“ darstelle.
Damit nimmt dieser Satz Bezug auf das im vorhergehenden Unterabschnitt „Seemannlos“ Gesagte, wo es heißt: „Nun pfeifen aber bereits die Spatzen von den Dächern, daß die Severa nichts anderes, als eine getarnte Abteilung der Marineleitung ist.“ Damit wird mitgeteilt, daß das Reichswehrministerium bezw. die Heeresleitung bei der Firma Albatros eine Erprobungsabteilung – für Flugzeuge – unterhalte.
Gruppe B. Sie betrifft die Mitteilung der Tatsache, daß die beiden Abteilungen Severa und die Erprobungsabteilung Albatros eine jede etwa 30 – 40 Flugzeuge, manchmal sogar mehr besitzen.
Gruppe C. Hier wird die Tatsache mitgeteilt, daß nicht alle Flugzeuge immer in Deutschland seien. Hiermit wird, – ins Positive übertragen – mitgeteilt, daß sie zeitweilig im Ausland seien. Daß hiermit noch etwas Besonderes gesagt sein solle, ergibt sich daraus, daß der Satz ohne Satzpunkt schließt; dafür aber durch Punktierung mit drei Punkten andeutet, daß eigentlich noch mehr zu sagen wäre, das zu ergänzen aber dem Nachdenken der Leser überlassen bleiben solle.
Die Tatsachen zu A II, B und C entsprechen nach der eidlichen gutachtlichen Bekundung des Zeugen und Sachverständigen Majors Himer vom Reichswehrministerium und des Sachverständigen Ministerialrats Dr. Wegerdt vom Verkehrsministerium der Wahrheit und ihre Geheimhaltung war im Interesse der Landesverteidigung, wie auch für das Wohl des Deutschen Reiches erforderlich. Letzteres wird auch von dem schriftlichen Gutachten des Auswärtigen Amtes vom 24. August 1931, das gemäß § 256 Abs. 1 StPO. in der Hauptverhandlung verlesen worden ist, bestätigt. Unter dem Gesichtspunkt, daß die Geheimhaltung im Interesse der Landesverteidigung erforderlich sei, hat insbesondere der militärische Sachverständige in der notwendigerweise unter Ausschluß der Öffentlichkeit geführten Hauptverhandlung sich gutachtlich dahin ausgelassen:
Die sogen. Abteilung M – deren Bezeichnung M allerdings nichts mit „Militär“ zu tun habe – sei eine vom Reichswehrministerium geleitete und mit dessen Mitteln unterhaltene Versuchsanstalt für die Erprobung von Flugzeugen. Die in dieser Abteilung tätigen Flieger hätten der militärischen Kommandogewalt unterstanden und die fliegerischen Übungen hätten unter militärischen Gesichtspunkten zu militärischen Zwecken stattgefunden. Die Abteilung hätte der Befehlsgewalt eines Hauptmanns unterstanden, der allerdings immer in Zivil auf dem Flugplatz Johannisthal-Adlershof aufgetreten sei. Die Bezeichnung „Erprobungsabteilung Albatros“, wie auch die Verlegung des Flugplatzes auf die Johannisthaler Seite, auch die Ausübung des Dienstes durch den befehlsführenden Hauptmann in Zivil habe den Zweck gehabt, diese Abteilung zu „tarnen“, d.h. zu verhindern, daß sie als militärische Einrichtung der Heeresleitung von Außenstehenden erkannt werde. Das sei im Interesse der Landesverteidigung erforderlich gewesen. So, wie diese Abteilung aufgezogen worden sei, sei sie als eine Versuchsanstalt der – privaten – Firma Albatros erschienen. Der beanstandete Artikel habe diese Tarnung, dieses Geheimnis, gelüftet und den Tatsachen entsprechend aufgezeigt, daß diese Abteilung zu Lande dasselbe sei, wie für die Marine die Severa, die heute noch, ebenfalls getarnt, also um den Schleier des Geheimnisses nicht zu lüften, unter dem Namen „Deutsche Lufthansa, Abt. Küstenflug“ fortbestehe. Der Flugzeugpark beider Abteilungen habe je 30 – 40 Flugzeuge betragen und diese Flugzeuge hätten auch teilweise im Auslande zu militärisch-politischen Zwecken Verwendung gefunden, was naturgemäß auch im Interesse der Landesverteidigung geheim gehalten worden sei und auch geheim habe bleiben müssen. Der ausländische und insbesondere der französische Nachrichtendienst verfolge alle das Deutsche Luftfahrtwesen betreffenden Nachrichten mit größtem Interesse. Es bestünden z.B. bei den fremden Mächten Fragebogen auch über das deutsche Flugzeugwesen, die von Zeit zu Zeit immer wieder auf Grund angestellter Ermittlungen ausgefüllt würden. Insbesondere würden Artikel, die in Deutschen Zeitungen erschienen seien, von den fremden Nachrichtenstellen ausgewertet. Die „Weltbühne“ liege auch im Auslande vielfach aus. Wenn auch keine positive Unterlage dafür vorhanden sei, dass der in Rede stehende Artikel der „Weltbühne“ „Windiges aus der deutschen Luftfahrt“ von einer ausländischen Nachrichtenstelle ausgewertet worden sei, so sei er, der militärische Sachverständige, doch auf Grund seiner Erfahrungen bei der Abwehr des fremdländischen Nachrichtendienstes zu der festen Überzeugung gelangt, daß dieser Artikel sowohl ausländischen Regierungen, als auch Personen, die in ihrem Interesse tätig seien, insbesondere den Personen des ausländischen Nachrichtendienstes, bekannt geworden sei.
Daß die Geheimhaltung dieser Tatsachen im Interesse der Landesverteidigung erforderlich sei und die Mitteilung solcher Maßnahmen geeignet sei, die Sicherheit des Deutschen Reiches zu gefährden, liege auf der Hand. Dadurch würden die feindlichen Nachrichtenstellen in den Stand gesetzt, ihre Agenten anzusetzen und die feindlichen Heeresleitungen erhielten die Möglichkeit, ihre Angriffs- und Abwehrmittel so zu ändern und zu verstärken, daß die deutschen militärischen Maßnahmen in ihrer Wirkung herabgesetzt oder gänzlich entwertet würden.
Beizutreten sei dem Auswärtigen Amt darin, daß die Nachricht, auf dem Flugplatz Johannisthal würden Flugzeuge zu militärischen Zwecken unterhalten, was die Reichsbehörden zu verdunkeln versuchten, eine Behauptung enthalte, Deutschland verstoße gegen Art. 198 des Versailler Vertrags. Solche Behauptungen könnten leicht unerwünschte außenpolitische Folgen haben.
Der Senat hat sich den schlüssigen und überzeugenden eidlichen Gutachten der beiden Sachverständigen und im Wesentlichen auch dem schriftlichen Gutachten des Auswärtigen Amts angeschlossen.
Bei der rechtlichen Würdigung des tatsächlichen Sachverhalts ist vorauszuschicken, daß das den Angeklagten zur Last gelegte strafbare Tun lediglich unter dem Gesichtspunkt des Verbrechens gegen das Gesetz gegen den Verrat militärischer Geheimnisse vom 3. Juni 1914 zu beurteilen ist. Zwischen diesem Vergehen und dem des Landesverrats nach § 92 Abs. 1 Ziffer 1 StGB liegt, wenn Verrat militärischer Geheimnisse in Frage steht, Gesetzeseinheit vor; in diesem Fall hat die rechtliche Beurteilung, wie der Senat mit der weitüberwiegenden Meinung im Schrifttum annimmt, lediglich nach dem spezielleren Gesetz, d.h. hier dem sog. Verratsgesetz vom 3. Juni 1914 zu erfolgen (vgl. Leipziger Kommentar zum RStGB. 4. Aufl. Bem. 2 zu § 92 Nr. 1, sowie Olshausen, Kommentar 11. Aufl. Bem. 4 a a.a.O. letzter Absatz und das dort angeführte Schrifttum).
Auf Grund des festgestellten Sachverhaltes ist zunächst der äußere Tatbestand des § 1 Abs. 2 des Gesetzes gegen den Verrat militärischer Geheimnisse gegenüber beiden Angeklagten gegeben.
Bei dem beanstandeten Unterabschnitt M des Artikels: „Windiges aus der deutschen Luftfahrt“ handelt es sich um „Nachrichten“ im Sinne der genannten Gesetzesbestimmung. Darunter ist zu verstehen die mündliche oder schriftliche Wiedergabe von Tatsachen der Gegenwart oder Vergangenheit oder von Zuständen und Ereignissen, Maßregeln oder Einrichtungen. Von solcher Art waren die über die Abteilung M bezw. die Erprobungsabteilung Albatros gemachten Mitteilungen.
Diese „Nachrichten“ betrafen geheime Tatsachen. Geheim ist, was nicht gemeinkundig oder doch nicht jedermann zugänglich ist. Der Begriff des Geheimseins ist nur ein relativer, d.h. es kommt ausschließlich darauf an, daß die Nachricht einer fremden Regierung oder einer in ihrem Interesse tätigen Person im Interesse der eigenen Wehrmacht verborgen zu halten ist (RGst. Bd 25 S. 48). Gleichgültig ist es, ob kleinere oder größere Personenkreise des Inlands, die Bewohner eines Ortes oder Landstriches des Inlandes oder die Angestellten eines inländischen Flugplatzes davon Kenntnis hatten, wobei sich dieser Personenkreis nicht einmal notwendig auf das Inland zu beschränken braucht. In diesem Sinne geheim waren die mitgeteilten Tatsachen.
Die Angeklagten haben, um darzutun, daß die mitgeteilten Dinge nicht geheim gewesen seien, folgenden eventuellen Beweisantrag in der Hauptverhandlung gestellt:
Zum Beweis dessen, daß die in dem unter Anklage gestellten Artikel Abteilung M mitgeteilten Tatsachen zur Zeit des Erscheinens des Artikels 12. März 29 im In- und Ausland unter Luftfahrtinteressenten allgemein bekannt waren, bevor der Artikel erschien, benenne ich folgenden Zeugen:
1.) Merkel, früher Direktor der Luft-Hansa Berlin,
2.) Meyer, Willi, Hauptmann a.D., Berlin
3.) Dr. Heinkel, Warnemünde,
4.) Diploming. Rohrbach, Berlin,
5.) Alexander v. Bentheim, Dessau,
6.) Veill, Direktor Junkerswerke Dessau,
7.) Sachsenberg, “ “ “
8.) Böhm, Leiter des Patentbureaus Dessau,
9.) Joel, Redakteur des Berliner Tageblatt,
10.) Grey, Herausgeber des „Aeroplanes“ London,
11.) Reboul, Oberstleutnant a.D. Paris,
12.) Laurent Eynach, Deputierter Paris,
13.) Houard, Herausgeber von „Les Ailles“ Paris,
14.) Blondel, “ “ „L’Aerophile“, Paris,
15.) Messerschmidt, Vertreter der Weserwerft Madrid,
16.) Kindelau, General a.D. Madrid,
17.) Sago Contino, Admiral a.D., Lissabon,
18.) Liottu, Herausgeber der „Revista Aeronautica“, Rom,
19.) Witkowski, Herausgeber des Lot Polski, Warschau.
Dieser Beweisantrag ist vom Senat aus folgenden Gründen abgelehnt worden. Zunächst entbehrt der Begriff der „Luftinteressenten“ der erforderlichen Bestimmtheit. Gilt dies schon von diesem Begriffe ganz allgemein, so ist die Unbestimmtheit vorliegend besonders um dessentwillen geeignet, dem Beweismittel jede Eignung der Beweiskraft zu nehmen, weil nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts der Begriff des „Geheimseins“, wie oben ausgeführt, ein relativer ist. Es kann also sehr wohl die als geheim anzusehende Tatsache in einem bestimmten beschränkten Kreise bekannt gewesen sein, ohne dadurch ihrer Geheimeigenschaft im Sinne des § 1 Abs. 2 Spionagegesetzes verlustig zu gehen. Es kommt im vorliegenden Falle entscheidend nur darauf an, ob die in Rede stehenden Nachrichten einer ausländischen Regierung oder einer in deren Interessen stehenden Person bereits bekannt gewesen sind, nicht aber darauf, ob Kreise des Luftfahrtwesens die Nachrichten gekannt haben. Die unter Beweis gestellten Tatsachen sind daher für die Entscheidung der Schuldfrage ohne Bedeutung.
Die „geheimen Nachrichten“ sind nach Überzeugung des Senats, an ausländische Regierungen oder Personen, die in ihrem Interesse tätig waren gelangt, sodaß eine vollendete Verfehlung nach § 1 Abs. 2 a.a.O. vorliegt.
Die Veröffentlichung der Weltbühne richtet sich an die unbegrenzte Öffentlichkeit der Leserwelt dieser Wochenschrift, die auch im Auslande verbreitet ist. Wie der militärische Sachverständige begutachtet hat und wie dem Senat aus zahlreichen anderen Verratsprozessen bekannt ist (Stibi 14a J 336/29, Schwotzer 7 J 80/29) verfolgt das Ausland die deutsche Presse auf Nachrichten über offene und geheime deutsche Wehrmachtangelegenheiten genau und setzt ihre Agenten an, um darüber Näheres zu erfahren. Es erscheint dem Gericht ausgeschlossen, daß das Ausland – zumal zur Zeit der damals noch teilweise bestehenden Besatzung im deutschen Rheinland – den Artikel der Weltbühne „Windiges aus der deutschen Luftfahrt“ ignoriert hat.
Wie hiernach der äußere, so ist aber auch der innere Tatbestand des Verbrechens nach § 1 Abs. 2 Spionagegesetzes bei den Angeklagten erfüllt.
Dieses Verbrechen ist ein Vorsatzdelikt, bei dem auch bedingter Vorsatz genügt.
Der Vorsatz umfaßt das Wissen und Wollen der sämtlichen Tatbestandsmerkmale; der bedingte Vorsatz liegt vor, wenn der Täter die Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale für möglich hält und auch für diesen Fall damit einverstanden ist.
Der Vorsatz in diesem Sinne muß vorliegend folgende Tatbestandsmerkmale umfassen:
a)Die Angeklagten müssen gewußt haben, daß die Geheimhaltung im Interesse der Landesverteidigung erforderlich ist,
b) die Angeklagten müssen das Bewußtsein gehabt haben, daß ihre Handlung geeignet ist, die Sicherheit des Reiches zu gefährden,
c) die Angeklagten müssen gewußt haben, daß die von ihnen vermittelten Nachrichten an eine ausländische Regierung oder an eine Person, die im Interesse einer ausländischen Regierung tätig ist, gelangten.
Dieser Vorsatz ist nach der Überzeugung des Senats bei beiden Angeklagten mindestens in der bedingten Form vorhanden gewesen.
Das Gericht schließt dies aus folgenden Tatsachen:
Beide Angeklagte haben bereits, wie oben näher ausgeführt ist, in einem Verfahren wegen Landesverrats und Kreiser auch wegen Spionageverbrechens gestanden. Auch vorliegend handelt es sich um eine auf dem Gebiete des Landesverrats liegende Straftat, die nur infolge ihrer speziellen Gestaltung als militärische Verratshandlung dem Spionagegesetz unterworfen ist. Damit war das Bewußtsein beider Angeklagten im Hinblick auf die Strafbarkeit ihres Tuns besonders geschärft.
Der Angeklagte Kreiser hat in der Hauptverhandlung einen sehr intelligenten Eindruck gemacht und sich auf dem Gebiete des Flugzeugwesens als ungewöhnlich kundig gezeigt. Er war während des Krieges Artilleriebeobachter bei Feldfliegerabteilungen und hat an der Technischen Hochschule in Stuttgart Flugzeugtechnik studiert. Er hat sich auch praktisch in der Fliegerei betätigt und war Mitarbeiter im Flugtechnischen Verein in Stuttgart. Seit 1926 arbeitete er in der dem Deutschen Verkehrsbund angegliederten Luftfahrtabteilung, die er vom Frühjahr bis zum Herbst 1928 sogar allein leitete, organisatorisch mit. Im Jahre 1929 gründete er mit Unterstützung des Deutschen Verkehrsbundes den „Sturmvogel“. Auf dem Flugplatz Johannisthal war er längere Zeit tätig und ging dort aus und ein. Auf dem Gebiete des Flugzeugwesens war er auch journalistisch tätig.
Auf Grund dieser seiner Fähigkeiten, Arbeiten und Kenntnisse war er nach der Überzeugung des Senats sich völlig klar, daß es sich bei den von ihm im Abschnitt M erörterten Dingen um militärische Geheimnisse handelte.
Daß er hoffte und bemüht war, das, was er mitteilen wollte, in ein äußerlich harmloses Gewand zu kleiden, ergibt neben der gewählten Ausdrucksform sein oben inhaltlich wiedergegebener Brief vom 24. August 1925 an Röttcher, der geradezu eine Selbstbiographie des Angeklagten Kreiser enthält. Der Kern seiner dortigen Ausführungen ist: Ich schreibe so, daß man zwischen den Zeilen lesen muß! Kreiser hat nun allerdings in der Hauptverhandlung versucht, die Bedeutung des Briefes abzuschwächen. Das geschah indes mit Worten, die nach Ansicht des Senats Ausflüchte sind und keinen Glauben verdienen.
Dazu kommt die Bemerkung im Briefe Kreisers an von Ossietzky vom 4. März 1929, in welchem in bezug auf den zur Anklage stehenden Artikel gesagt wird, er würde wie eine Bombe wirken. Sollte aber der Artikel wie eine Bombe wirken, dann mußte es sich um etwas Geheimes, nicht aber um etwas allgemein Bekanntes handeln. Nur die Enthüllung geheimer Vorgänge konnte die gewünschte „Sensation“ bringen; eine solche konnte keinesfalls durch eine harmlose Etatskritik erzielt werden.
Auch der Angeklagte von Ossietzky hat in seinem Briefe vom 10. April 1929 bezüglich dieser Art „Kritik“ sich bezeichnender Weise dahin ausgelassen, daß „sie nirgendwo sonst gefunden werde“. Damit hat auch er sein Bewußtsein zum Ausdruck gebracht, es handle sich darum, nicht allgemein bekannte, sondern geheime Dinge zu enthüllen. Daß er die mitgeteilten Tatsachen als neu und geheim erkannt hat, ergeben auch seine oben wiedergegebenen Angaben zum Protokoll des Untersuchungsrichters vom 27. August 1929. Es sollte danach also dem Reichswehrministerium etwas vorgehalten werden, was in der Öffentlichkeit noch nicht bekannt war. Darin liegt das Einverständnis des von Ossietzky, daß ihm die „Neuheit“ der Tatsachen oder ihre bisherige Geheimhaltung bekannt war. Der Angeklagte war auch Pazifist. Mit der Erwähnung dieser Tatsache soll zu dieser Weltanschauungsfrage keine Stellung zu Ungunsten der Angeklagten genommen werden. Sie rechtfertigt aber psychologisch den Schluß, daß der Angeklagte mit dem fraglichen Artikel „antimilitärisch“ wirken wollte, und unter diesem Gesichtspunkt ergibt sich zwanglos der Wille des Angeklagten, etwas von der Militärverwaltung geheim Gehaltenes aufzudecken.
Der Angeklagte von Ossietzky ist daher im Gegensatz zur Auffassung der Reichsanwaltschaft, die seine Verantwortlichkeit aus § 20 Abs. 2 des Preßgesetzes entnimmt, – als Täter nach § 1 des § 20 a.a.O. und zwar als Mittäter des Kreiser im Sinne des § 47 StGB. angesehen worden, denn er hat im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit Kreiser gehandelt.
Gegenüber dieser Schuldfeststellung versagen die sämtlichen Einwendungen der Angeklagten. Wenn sie sich mit ihren Verteidigern darauf berufen, sie seien juristische „Laien“ und als solche der Ansicht gewesen, sie hätten das, was sie gesagt haben, sagen dürfen, so ist ein solcher Irrtum ein unbeachtlicher Strafrechtsirrtum.
Fehl geht auch der weitere Einwand, der zu Anklage gestellte Aufsatz, wie auch der seine Fortsetzung bildende weitere Artikel „Atemnot der Luftfahrt“ enthielte lediglich etatskritische Ausführungen und nur solche seien von ihnen bezweckt worden. Darauf ist zu sagen: Gewiß sind in beiden Artikeln auch Etatskritiken oder Betrachtungen budgetärer Art enthalten. Allein auch bei Gelegenheit einer öffentlichen Etatskritik können militärische Geheimnisse verraten werden. Ein erlaubter Zweck kann die Benutzung eines verwerflichen Mittels nicht rechtfertigen (Urt. des RG. vom 15. März 1927 – 7 J 137/26). Die Angeklagten wollten aber nicht nur eine Etatskritik bringen, sondern sie wollten auch militärisch geheime Dinge als einen Verstoß der Heeresverwaltung oder Heeresleitung offenbaren und anprangern. Das zeigt sich jedem einigermaßen kritischen Leser des Abschnitts M. Die Ausführungen in dem letzteren enthalten nicht das geringste, das darauf hinweist, die angedeutete militärische Tarnung würde aus finanziellen und budgetären Gründen gerügt. Lediglich militärisch angeblich unrichtige Handlungen werden gerügt und lediglich solche sollten gegeißelt werden.
Findet schon der unbefangene Leser des Abschnitts M keine „budgetäre“ Tarnung, so war schon ganz und gar nicht für den militärisch geschulten Leser und die Nachrichtenstellen des Auslands der Charakter dieser Nachricht als einer geheimen militärischen Nachricht zu verkennen. In diesem Zusammenhange wird von den „Kapriolen“ (Bocksprüngen, Zicken) gesprochen, die auf dem Flugplatz von den Reichsbehörden gemacht werden, weiter von „Groeners findiger Vernebelungstaktik“ geredet und damit ganz unzweideutig auf militärische Tarnung hingewiesen.
Entlastend wirkt für die Angeklagten auch keineswegs der von ihnen hineingezogene zweite Artikel. Im Gegenteil bringt auch er neben etatskritischen Bemerkungen recht bedenkliche Stellen. Es wird insoweit auf den oben teilweise wiedergegebenen Inhalt dieses Artikels verwiesen; so wird von der „mysteriösen Abteilung M“ gesprochen und die rhetorische Frage gestellt: „wem gehören denn eigentlich die Flugzeuge, die mit diesen Geldmitteln gebaut werden?“ Dabei handle es sich nicht um Großverkehrsflugzeuge, sondern um sog. Sportzweisitzer mit 500 – 700 PS. Ein feiner Sport, nicht wahr? Auch solche rhetorischen Fragen enthalten Nachrichten; denn sie werden nicht gestellt, um eine Antwort zu erhalten, sondern um die Sicherheit und Unwiderleglichkeit der Behauptung aufzudrängen (Urteil des Reichsgerichts vom 27. März 1924 – 6 J 30/23).
Wie zur Frage des Landesverrats im Sinne des § 92 Nr. 1 StGB, ist auch beim Verrat militärischer Geheimnisse der Täter der Strafbarkeit seiner Tat nicht dadurch enthoben, daß er sich darauf beruft, er habe völkerrechtswidriges Verhalten rügen wollen und er habe geglaubt, deshalb ein Recht zur öffentlichen Rüge zu haben. (Urteil des Reichsgerichts vom 14. März 1928 7 J 63/35, RGSt. Bd. 62 S. 65 ff., 67, 68). Dem eigenen Lande hat jeder Staatsbürger die Treue zu halten; auf Durchführung der Gesetze kann er nur durch Inanspruchnahme der hierzu berufenen innerstaatlichen Organe hinwirken, niemals aber durch Mitteilungen an ausländische Regierungen oder deren Organe (RG. Urt. v. 28. August 1923 in 7 J 69/23).
Auch die Ausführungen, die der Reichstagsabgeordnete Krüger in der Sitzung des Haushaltsausschusses des Reichstages vom 3. Februar 1928 – derartige Sitzungen sind nicht öffentliche (Anschütz Bem. 2 zu Art. 29 RV und Giese ebenda Bem. 1) – über eine angeblich bei dem Reichsverkehrsministerium bestehende Abteilung M gemacht hat und aus denen die Angeklagten gefolgert wissen wollen, daß die in dem Unterabschnitt „Abteilung M“ des Artikels „Windiges in der deutschen Luftfahrt“ erörterten Vorgänge schon vor der Veröffentlichung dieses Artikels im In- und Ausland allgemein bekannt gewesen seien, lassen sich nach den Gutachten des Auswärtigen Amtes und des Reichswehrministeriums nicht zu Gunsten der Angeklagten verwerten, da sich der fragliche Unterabschnitt „Abteilung M“ keineswegs nur auf die Wiedergabe der Ausführungen des Reichstagsabgeordneten Krüger beschränkt, sondern darüber hinaus eine ganze Reihe anderer Vorgänge erwähnt, die beim Erscheinen des Nr. 11 der Zeitschrift „Die Weltbühne“ vom 12. März 1929 den Regierungen auswärtiger Mächte noch nicht bekannt waren.
Im übrigen hat aber des Reichsgericht wiederholt ausgesprochen, daß als „Nachricht“ unter Umständen auch die Bestätigung bereits bekannter Tatsachen anzusehen ist.
Die Angeklagten waren daher wegen vollendeten Verbrechens gegen § 1 Abs. 2 des Gesetzes gegen den Verrat militärischer Geheimnisse zu verurteilen.
Was die Strafzumessung betrifft, so fragt es sich zunächst, ob den Angeklagten mildernde Umstände zuzubilligen waren: Im verneinenden Falle ist gemäß § 1 des Gesetzes vom 3. Juni 1914 der normale Strafrahmen eine Zuchthausstrafe von 2 – 15 Jahren, im bejahenden Falle eine Gefängnisstrafe von 1-3 Jahren. Der Senat hat bei beiden Angeklagten mildernde Umstände angenommen. Sie sind darin gefunden worden, daß sowohl Kreiser, als von Ossietzky bei der Veröffentlichung des zur Anklage gestellten Artikels die Absicht einer Schädigung der Landesverteidigung und der deutschen Reichssicherheit (animus hostilis) nach der Ansicht des Gerichts nicht gehabt haben; ferner darin, daß es nicht ehrlose Beweggründe gewesen sind, die sie zu der Veröffentlichung veranlaßt haben, sondern daß sie von ihrer subjektiven Auffassung der Sachlage ausgegangen sind. Auch ist die Verfehlung nicht derartig schwer, daß sie mit einer Zuchthausstrafe hätte gesühnt werden müssen.
Auf der anderen Seite waren allerdings eine ganze Reihe von strafschärfenden Momenten zu berücksichtigen. Der Schaden, der durch derartige schwere Indiskretionen dem deutschen Reich und dessen Regierungsstellen leicht zugefügt werden kann, kann bedeutend, ja unabsehbar nicht nur für die Heeresverwaltung, sondern für die Lebensinteressen des deutschen Volkes werden, zumal bei der großen Bedeutung, die bei einem etwaigen zukünftigen Kriege die Luftfahrt hat und bei der – worauf die beiden Sachverständigen übereinstimmend hingewiesen haben – großen Aufmerksamkeit, mit der das Ausland unsere Entwicklung auf allen Teilgebieten der deutschen Luftfahrt verfolgt. Die beiden Angeklagten waren auch durch die Vorverfahren wegen Landesverrats und Spionageverbrechens, die gegen sie im Jahre 1928 bezw. 1926 geschwebt haben und in denen sie eingehend gerichtlich vernommen worden sind, gewarnt worden. Weiter fällt die vorliegende Veröffentlichung in die Nachkriegszeit (Frühjahr 1929), in der Deutschland noch mit erheblichen außenpolitischen Schwierigkeiten zu kämpfen und noch die fremde Besatzung im eigenen Lande hatte, da das Rheinland erst am 1. Juli 1930 geräumt worden ist. Da war es eine besondere Pflicht der Presse – deren große Bedeutung für das gesamte öffentliche Leben gar keiner weiteren Ausführung bedarf vorsichtig und loyal auch die Probleme der deutschen Luftfahrt öffentlich zu behandeln. Eine Kritik am Heeresetat ist der Presse keineswegs verwehrt, auch nicht gegenüber unserer kleinen Reichswehr, aber die Grenzen zwischen sachlicher Kritik einerseits und Hetze und Verrat andererseits muß auch die Presse innehalten. Die Straftat der Angeklagten, die ihre Treuepflicht als Staatsbürger verletzt haben ist als eine staatsschädliche anzusprechen: Unbekümmert um die Interessen ihres Vaterlandes in schwerer Zeit und unter deren bewußter Nichtachtung haben sie aus Sensationsbedürfnis das Maß einer sachlichen Kritik weit überschritten. Der Angeklagte Kreiser ist der geistige Urheber des Artikels. Trotzdem hat das Gericht geglaubt, ihn nicht schwerer bestrafen zu sollen, als den Angeklagten von Ossietzky. Denn letzterer ist bereits viermal vorbestraft. Besonders die letzte Vorbestrafung durch das Landgericht III Berlin, wonach er hohe Militärs öffentlich schwer beleidigt hat, – die Heranziehung einer selbst getilgten Vorstrafe zur Begründung der Strafzumessung in einem neuen Strafverfahren ist zulässig (vgl. RG.Strafs. Bd. 60, S. 287) – zeigen ihn als einen Mann, der gerade in militärischen Angelegenheiten leichtfertig mit fremden Rechtsgütern in seinem Berufe als Publizist verfährt. Davon kann ihn nach dem in der Hauptverhandlung erörterten Inhalt der beiden Urteile, deren letzteres rechtskräftig geworden ist, auch der von der Verteidigung gemachte Umstand nicht reinwaschen, daß er die ihm in II. Instanz an Stelle der einmonatigen Gefängnisstrafe zuerkannte Geldstrafe von 600.– RM auf Grund der Amnestie vom August 1928 nicht hat zu zahlen brauchen.
Aus allen diesen Gründen erschien es dem Senate nicht möglich, auf die selbst bei Annahme mildernder Umstände gesetzlich niedrigste Strafe von einem Jahr Gefängnis zu erkennen, vielmehr ist die von dem Oberreichsanwalt beantragte Strafe von einem Jahr sechs Monaten Gefängnis für angemessen erachtet worden.
Die Frage, ob die Angeklagten als Überzeugungstäter im Sinne des § 52 der Grundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen vom 7. Juni 1923 (RGBl. II S. 263) anzusehen sind, hat das Gericht verneint.
Die Nebenentscheidungen folgen aus § 41 StGB. und § 465 StPO.
gez. Baumgarten. Driver. Sonntag.
Drechsler. Hertel.