Offener Brief an die nationalsozialistische Freiheitspartei Deutschlands

Meine Herren!

Sie erweisen mir die Ehre, sich in einem Antrag mit meiner bescheidenen Person zu beschäftigen. Ein Gedicht von mir: „Die Heiligen Drei Könige“ hat, so erklären Sie, Ihr religiöses Gefühl verletzt, und Sie rufen gegen dieses Gedicht, Kanonen gegen einen Sperling, den Staatsanwalt auf. Ich bin, so darf ich wohl sagen: entzückt, dass es in dieser stumpfen, dumpfen Zeit noch Menschen gibt, die durch ein Gedicht, ein Kunst­werk also, im tiefsten Herzen erregt und erschüttert werden.

Die Aufgabe der Kunst ist ja grade, die Seele zu bewegen und aufzuwühlen. Zu bewegen, wie der Wind die Blüte be­wegt. Aufzuwühlen, wie der Sturm das Meer aufwühlt. Wäh­rend der heutige Mensch allen möglichen mechanischen Rei­zen wie Radio, Rassenhass, Boxsport, Theosophie, Weltkrieg und Jazz leicht zugänglich ist, verhärtet und verkrustet sich sein Inneres immer mehr, und es muss schon allerlei gesche­hen, bis er vor einem Kunstwerk, positiv oder negativ einge­stellt, sich elektrisch oder explosiv entlädt.

Was also, meine Herren von der Reaktion, Ihre Reaktion auf mein Gedicht betrifft, so bin ich durch sie sehr beglückt. Was aber nun die Fol­gerungen angeht, die Sie aus Ihrem erregten Zustand zu zie­hen belieben, so muss ich vor allem meiner höchsten Verwun­derung darüber Ausdruck geben, dass Sie, meine Herren vom Hakenkreuz, in deren Reihen dem altgermanischen Wodans­kult das Wort geredet wird, für die das Paradies in Mecklen­burg liegt und die sich über den schlappen Christusglauben so oft offenkundig lustig gemacht haben – dass Sie, meine Her­ren Heiden, die allenfalls für Wodanslästerung zuständig wä­ren, dass ausgerechnet Sie für den von Ihnen immer über die Achsel angesehenen Christengott eintreten und über Gottes­lästerung wehklagen.

Und was ist das für eine „Gottesläste­rung“? Ich kann in dem fraglichen, inkriminierten Gedicht weit und breit keine Gotteslästerung finden – dagegen finde ich bei Ihnen, die sich so gern als Deutscheste der Deutschen bezeichnen, eine geradezu hanebüchene Unkenntnis deutscher Volksbräuche. Denn das Gedicht „Die Heiligen Drei Könige“ bezieht sich gar nicht, wie von Ihnen wohl angenommen, auf die drei Weisen aus dem Morgenland, sondern auf einen am Heiligendreikönigtag in vielen Gegenden Deutschlands geüb­ten Brauch: da ziehen nämlich, als Heilige Drei Könige ka­rikaturistisch kostümiert, drei Burschen im Dorf herum, um mit mehr oder weniger ruppigen Versen bei den Bauern Bier und Schnaps zu schnorren. Diese Verse sind derb, frech, wit­zig – aber gotteslästerlich?

Du lieber Gott! Ich glaube, du hast deine rechte, recht göttliche Freude an ihnen. Denn du bist ja kein nationalsozialistischer Abgeordneter. Du hast ja sogar den Teufel geschaffen, weil dir in deiner ewigen Güte gar nicht wohl war und du eine Art Gegengewicht brauch­test. Ja, ohne den Teufel wärst du eigentlich gar nicht denk­bar, gar nicht vorstellbar. Gott und Teufel, Tag und Nacht, Mann und Weib – eines wird erst am andern, an seinem Ge­gensatz recht sichtbar. Wie ja auch die Nationalsozialistische Freiheitspartei notwendig ist, damit man sieht, dass es auch ge­scheite Leute auf der Welt gibt.

Diese, wozu hoffentlich auch der Staatsanwalt gehört, mögen der Partei klarmachen, so­fern man den Dunklen etwas klarmachen kann: dass, wenn ein zwar derbes, aber harmloses Gedicht wie „Die Heiligen Drei Könige“ eine Gotteslästerung sein soll (was dem einen sein Gott, ist dem andern dem Teufel), Goethes „Faust“ von Gottes­lästerungen nur so strotzt, dass Goethe auch ein Gedicht von den Heiligen Drei Königen geschrieben hat, „Epiphanias“ beti­telt, das für den Antrag auf Gotteslästerung vielleicht noch in Betracht kommt.

Neben Goethe auf der Anklagebank zu sitzen, würde sich zu einfach besonderen Ehre schätzen

Ihr ergebener Klabund

Nachschrift

Um Weiterungen vorzubeugen: ich bin kein Jude! Ich habe keine jüdische Großmutter! Ich bin auch kein Mischling! Ich heiße nicht Krakauer und bin auch nicht aus Lemberg. Ich heiße schlicht mit bürgerlichem Namen Alfred Henschke. Und mein Großvater hat als Erzieher des ehemaligen Kai­sers sein Bestes dazu beigetragen, dass wir den Krieg verloren, aber statt dessen die Nationalsozialistische Freiheitspartei ge­wonnen haben* Das nächste Mal wird es uns hoffentlich umgekehrt gehen.

Aus: die Weltbühne 21, 1925