Mein Kind

Meiner Tochter eine Hochzeitsgabe – Irene Heberle

Verlag J. F. Matthes, Passau

Anlässlich der Hochzeit ihrer Tochter Brunhilde erscheint im Verlag J.F. Matthes, Passau 1918 von Irene Heberle der Gedichtband „Mein Kind“ in einer Kleinauflage von 250 Stück. („meiner Tochter eine Hochzeitsgabe“)

Einsame Frauen

Es tragen stille Frauen junges Sehnen
Nach einem Stern, von dem sie ahnend meinen,
Dort eine Seele, ihrer gleich zu finden.
Wie fernster Glocken Töne sie verbinden
Ist Sehnsucht nach dem Gleichklang mit dem Einen
Weit über alle Maßen auszudehnen.

Und diese einsam stillen Frauen flehn
Zu ihrem Stern, dass er die Seele sende,
Die ihrem Schoße dann als Eigenes entblüht
Und lebenslang verschlossen trauert ihr Gemüt,
Stumm ringen sie die leergebliebenen Hände,
Wenn sie beglückter Mütter Kinder sehn.

Die Lindenallee

Hoch wölbt sich Baum an Baum. Ein dunkler Schacht
Ist hier die Straße überdacht.
Die Blüte schenkt mit rührender Gebärde
Der Blüte sich, dass sie vollendet werde.
Den Kreis durchfurchen in der Lindenreihe
Die Kinderwagen. „Mutter“ – Schreie
Verhallen, Frauen gehen schweren Gang.
Erfüllung hoffend, die Allee entlang.
Brennt draußen auch die Glut, die Furcht zu reifen,
Hier ist es kirchenkühl, nur schmale Sonnenstreifen
Umstreichen mütterlich die Kinderlocken
Und blondes Lachen klingt wie Ernteglocken.
Duftwolken wollen aus den Lindenblüten,
Umhüllen das Geheimnis und behüten
Es heilig vor des Alltags heißem Strom
Als Weihrauch in der Mütter Dom.

Erfüllung

An einem Sonnensonntag
Nach banger Schmerzensnacht
Ist meines Kindes Seele
Auf Erden aufgewacht.
Nun bin ich ganz dein Eigen
Und du mein liebstes Gut,
Ein Gott und eine Mutter
Sind deines Lebens Hut.

Mein Kind

Aus stillem Land kamst du zu mir,
Erblühtest durch mein Muttersein zum Kinde,
Mir wuchs ein neuer Stern mit dir,
Den geb ich dir als erstes Angebinde.

O, unbegrenzte Freude, mich die ganz zu schenken,
So strahlte meine Sonne die zum Segen,
Und ich erschrak vor nachtgetrübtem Denken,
Es könnte schwer sich in dein Werden legen.

Dann gab ich dir das Licht! – Bald reift dein Wille,
Ein Mensch erstand aus zartem Kinde.
Mein eigen bleibst du heilig in umhegter Stille,
Wo ich mit Mutterkraft dich ganz wie einst Empfinde.

Das Jahr der Bäume

Der Bäume Jahr ist wiederum zu Ende.
Wo Kinder schwärmend in Alleen
Die alten Reime sangen, flinke Hände
Nach Zweigen haschten, ist ein still Vergehen.
Statt bunter Bälle gipfelfrohem Springen
Spielt nun der Wind mit falbem Laub vergnügt
Und zu den alten Jahresringen
Hat sich ein  neuer Kreis gefügt.
Wo sonst die Mütter in verklärtem Stolze
Ihr Kindlein unter Blütenästen sehn
Dort weint November vom entblößten Holze.
In große Körbe, die am Wege stehn,
Da haben alle braven
Kastanienbäume Blatt um Blatt geräumt,
Wie müdes Kind, das folgsam vor dem Schlafen
Sein Spiel verlässt und dann von Weihnacht träumt-

Mütter

Mein Bild fällt in den blanken Spiegel,
Jäh löst es der Erkenntnis Siegel,
Verborgnes ist mit aufgetan:
Die eigne Mutter sieht mich an!
Ein Lächeln nur, das Spiel entschwindet,
Bis sich in meinen Liedern findet
Verwandter Ton, wie Mutter sang, –
Dann läutet die beschwingte Glocke
Mein Kind herein und mit ihm sprang
Ein Sonnenstrahl in blonde Locke,
Erkennen leuchtet: Das bin ich!
Und tausend Mütter binden sich
Und reichen mir geweihte Hände:
Wo ist mein Anfang, wann mein Ende?

Das Karussell

Wenn der Schule schwere Eichenpforte
Ferienkündend in den Angeln knarrt,
Dann entsteht ein Tempel feinster Sorte,
Der auf jauchzende Besucher harrt.

Schnelle Wagen führen kleine Pärchen,
Rosse kühne Reiter auf den Thron
In ein wahrgewordnes Königmärchen
Und der Orgelmann spielt seinen Ton.

Und in allerliebsten goldnen Träumen
Wiegt sich nicht allein die kleine Schar,
Alte sinnen unter Ahornbäumen
Wie an Wundern reich die Jugend war.

Juninacht

Nun ist die Zeit der hellen Juninächte,
Da möchte ich in des Gartens stillem Bann
Dir spät im Dämmerschein begegnen,
Dass ich dir alle meine Liebe brächte,
Um mit dem Schönsten was ich ersann,
Die Kindesseele wachzusegnen.
Dann zeig ich dir, wie leuchtend durch die Nacht
Dort auf dem Weiher weiße Rosen
So ahnungslos auf dunkler Tiefe blühn. –
Und bist du mir zum Tag erwacht,
Möchte ich dich schützen vor den Blumenlosen
Des Lebens, die im Sturm verglühn.

Unter dem Akazienbaum

Entschweben dem Akazienbaum die Blüten,
Dann spielen sie im Licht mit Silbermücken,
Befreit von schattenschweren Zweigen.
So ist dem Sommer schon der Herbst zu eigen
Und frühe Wehmut dämmert im Entzücken.
Mein Kind, dein Blühen möchte ich behüten,
Doch due entgleitest langsam meinem Zügel,
Fühlst eigne Kraft und zählst mich zu den Alten.
Im Sommerwerden reift das Weitersterben,
Du aber bist der Lenz, wagst neues Leben,
Die Mutterhände können dich nicht halten,
Denn deiner jungen Seele wachsen Flügel.

Mein Kind, mein Frühling

Nun lauschen wir wieder dem Frohgesang
Des Frühlings im Heimatlande,
Du wandelst die grünen Wege entlang
Mit Blumen im Gürtelbande.

Ich sehe um dich das Maienlicht
Vergangener Kindheit glänzen
Hell strahlt aus deinem Angesicht
Das Glück der sechszehn Lenzen.

Doch langsam wir der Glanz mit dir
In Sommerhelle wandern,
Du trägst ihn leuchtend fort von mir
Und bringst ihn einem Andern.

Nein

Muss ich dein zartes Seelchen plagen
Mit unerbittlich hartem: Nein.
Du wirst nach meiner Liebe fragen,
>Fühlst nicht darin ihr starkes Sein.

Wie einst das Kind mit Kuss und Tränen
Den Tand verlangt, der lockt und gleißt –
Und brach – will jetzt dein ernstes Wähnen,
Was doch dein junges Herz zerreißt.

Ich kann dir nicht des Traumes Täuschung geben
Und bricht darob dein kindliches Vertraun,
Bemüh ich mich, die Scherben aufzuheben
Und stärker Brücken zu dir aufzubaun.

Mädchentanz

Um deines Lebens leichtem Schreiten,
Mein blondes Kind,
Aus Sonnenfäden zarte Saiten
Gewoben sind
Es gleiten deine Zehenspitzen
Auf seidnem Glanz
Und weben aus dem goldnen Blitzen
Den Mädchentanz.
Im Schweben deines Atems Wogen
Den Schleier schwingt,
Du bist ein schlanker Geigenbogen
Der Lieder singt.
Wenn in die Schatten eingesponnen
Mein Herz zerbricht,
Lachst du noch froh in Tanzes Wonnen
– Und merkst es nicht.

Arosa

Die Berge stehen schwarz im Talschnee,
Ich stolpre, umblendet von Schneeraum,
Wie sinnlos über den Schattenbaum –
Mein Herz tut so weh.

Die Schatten greifen nach mir,
Weil mich kein Glück mehr umblaut,
– Wie mir vor dem Morgen graut,
– Vor dem Abschied von dir!

Sehnsucht

So wie die Silberflocken stieben
Und Wolke alles Sein umhegt
Hat sich nach dir, der fernen Lieben,
Mein Sehnen um die Welt gelegt.

Das Auge taucht in blasses Schleiern
Und keine goldne Farbe lacht,
Schlaf brütet auf der Stirne bleiern,
Verschneiter Tag wird bald zur Nacht. –

-Sind Wunder folgsam meine Sklaven,
Erfasst mich deine ferne Hand? –
Ein Strauß von Lorbeer und Agaven
Blüht mir im Schoß, von die gesandt.

Sein Duft vermählt dich meinem Träume,
Die Welt ist wieder grün und gold,
Ich schwebe leuchtend hoch im Raume
Der Sonne die nach Süden rollt.

Im Dufte deiner Blume

Du riefst heut Nacht! Wie wenn dein Schatten
Das Dunkel meines Zimmers teile
Und mit den Tönen jäh enteile,
Die zwölfmal hart gehämmert hatten.

Flog deine Seele, eine Schwalbe, weit
Im Äther ihrer Träume? Schwebte
Sie still zu meinen und erbebte,
Als dröhnend schlug vom Turm die Zeit?

Bang streifte sie der Erde Krummen
Mit flatternd schlankem Flügelschlag.-
-Ich wachte sehnend gegen Tag
Im Duft von dir gesandter Blumen.

Genesung meines Kindes

Ich wandle auf Blumen im Schnee,
Die Sonnenfarben, die ich seh
Ahnt ihr nicht,
Alles ist Licht
Und Lied in der Welt,
Ein Stern, der singend vom Himmel fällt,
Mündet in meinem Herzen,
Zündet lauter Liebe
Unter Weihnachtskerzen.

Heimkehr

Nun kehrst du wieder! – Ach, wie sehnte
Sich unsre Lampe nach dem goldnen Haar,
Der Stuhl in dem dein Körper schlank sich dehnte,
Der Fingerhut, der ganz vergessen war.

Die Bücher, die mit dir Gedanken tauschten,
Sie harren enggeschmiegt der lieben Hand
Und Wände. Die einst widerhallend lauschten
Und treue Bilder, lächelnd von der Wand.

Bist du nicht reich durch alle diese Dinge,
Die Heimat sind, die gebend stets gewährt? –
Die sich noch fügen deinem Lebensringe
Wenn Mutterhände längst in Traum verklärt.

Die weißen Schuhe

Weiße Rosen sind deine Füße,
Duftendem Tau der Gräser entsprossen
Blühen sie auf den Gartenwegen.
Tauben sind es, zwei wundersüße,
Wenn sie im Stuhle hingegossen,
Kosend sich übereinander legen.

Träumen Silber im Mondenscheine,
Tanzen Irrlicht in schwülen Nächten.
Flackernd locken sie gläubige Diebe,
Wie verzauberte Edelsteine,
Die den Menschen ein wunder brächten …
-Wie ich die weißen Schuhe liebe!

Weise Güte

Ich stehe plötzlich vor verschlossnem Tor
Und kann aus deinem fremden Lächeln spüren:
Ins Schloss geschmettert sind die dunklen Türen,
Dahinter jeder Glanz sich mir verlor.

Da gibt es nur ein stummergebnes Halt
Und kein Erkennenlassen dumpfer Kühle
Sonst knickt ein Sturm die zartesten Gefühle,
Zerstört das Letzte mit Gewalt.

Verschließt du dich in goldvermeintes Land.
So will ich ahnend vor dem Tempel warten –
Zur Wiederkehr heg ich den alten Garten,
Wenn sich dein Gold entblaßt in Tand.

Hier sind die Wege deinem Fuß bereit
Und kann dein Schmerz sich kühlen in den Lauben,
In denen wir in Liebe einst und Glauben
In Händen hielten die Gemeinsamkeit.

Die Mutter

Ich habe eine Brücke geschlagen
In winkendes neues Land
Hab Steine um Steine getragen.
Wie ward mir so müd meine Hand.

Es träumte mein Kind und vermeinte
Dort drüben das Märchen zu sehn,
Da sehnte sein Herz sich und weinte,
Konnt nicht übers Wasser gehen.

Nun schwebt auf der Brücke ins Blaue
Mein Mädchen in seligem Glanz,
Pflückt strahlend auf Märchenaue
Sich Rosen und Myrthenkranz.

Ich aber steh müde am Ufer,
Es brennt meine Liebe so heiß,
Im Märchenwald dort singt ein Rufer,
Der schönere Lieder weiß

Sonnentag

Viele weiße Schierlingsdolden
Liegen auf der grünen Wiese breit,
Tausend Butterblumen glänzen golden
Auf dem duftumströmten Sommerkleid.
Leinwandstreifen bleichen auf der Weide,
Dass es schwer die Halme drückt,
Blondes Mädchen ist im hellen Kleide
Sorglich kniend drüberhin gebückt.
Sie, da tanzen leicht in heitren Blauen
Farbenbunt zwei Falter her und hin
Und zwei heiße Mädchenaugen schauen
Wie sie liebesspielend weiterziehn.-
Möchte wohl auch die jungen Flügel spannen,
Auszufliegen in die weite Welt? –
All das Wasser aus den vollen Kannen
Strahlend auf die straffe Leinwand fällt,
Lacht die Sonne froh im Silberregen,
Denn das Leinen wird ein Brautgewand
Und es ziehen bald mit Glück und Segen
Noch zwei Falter weit ins Sonnenland.

Sonntagskind

Wie einst dem Kinde nie ein Schrecken war
Des rätselvollen Lebens sieben Siegel,
Erschaust du hell dein künftiges Geschick.
Es schien dem Mädchen mit gezöpftem Haar
Kein Hund zu bös, noch Schlage oder Igel,
Kein Keller dunkelte den Traumesblick.

Stets bist du, Sonntagskind, im Licht geschritten,
In einer Rosenwolke froher Güte,
Die Erde hat dir nur gesagt. –
-Dann wardst du krank. – Wie habe ich gelitten,
Als deine schmale Hand im Fieber glühte,
Als deine Stimme starb, die nie geklagt.

Schon stand das Friedhofsgitter drohend offen.
Du aber glittest über Grabesgrund,
-Die Türe schloss mit hellem Glockenlaut. –
Auf einer Welle von verzücktem Hoffen
Schwebst du zur Sonne und gesund
Durchs Tor der Liebe, junge Braut!

Stille Gedanken

Manchmal denke ich mich längst schon tot
Und mein Kind als Urne meiner Seele,
Die durch Liebe ewig weiter lohnt,
Mein verhalltes Wort in seiner Kehle.

Und da möchte ich schön sein und so gut,
Wie man gottbegnadet handelt,
Dass mein Kind, mein Herz und Blut
Selig meines Geistes wandelt.

Wunsch

Wenn du durchwandelst deiner Kindheit Land:
Der kargen Wiese frühlingsdünnes Gras,
Ein Baum der mitten deiner Spiele stand,
Entsunkne Freude ist dir das!
Verborgenheit des Brunnens , nie erfasst,
Die Wolken, darin spiegelnd nahgerückt, –
Hälst du als reifer Mensch dort Rast,
So neide nicht, was einst das Kind beglückt,
Weil Höheres als Baumes Gipfel warb
Dein Wille und du weiter als die Wolken wägst
Und wenn das kleine Glück der Kindheit starb,
Du Freuden, weltumfassen in die trägst.