Kleines Bilderbuch vom Krieg

Das „Kleine Bilderbuch vom Krieg“ gilt als verschollen. Trotz langer Suche habe ich im Internet lediglich ein Angebot gefunden. So wurde ein Exemplar am 5. Juni 2016 bei E-Bay angeboten und für 2600.- Euro versteigert.

Zur Geschichte dieser Ausgabe wurden diese Angaben gemacht:

„…Kleines Bilderbuch vom Krieg. Unpaginiert. (2+25 S.J. 12 Gedichte.

Illustrationen von Richard Seewald (12 farbige Tafeln)

Erschienen im Münchner Goltzverlag 1914.

Anmerkung auf der Vorderseite nach dem inneren Titelblatt: Von dieser Mappe wurden 30 Exemplare auf echt China und 270 auf unecht China gedruckt. Hiervon trägt dieses die Nummer /149/ Diese 300 Mappen wurden von beiden Verfassern handschriftlich unterzeichnet.“

Eine Zuordnung zum Goltz- Verlag galt lange als sicher. Aber dasselbe Werk soll auch im Erich Reiß Verlag Berlin erschienen sein, konnte aber bisher nicht nachgewiesen werden.

Inhaltsverzeichnis:

Ausmarsch … Jetzt muss ich in den Krieg ja Krieg marschieren

Offizier blickt in die Weite … Soldaten gehen mit strahlendem …

Nacht und Morgen und Wieder Nacht … Als die Sterne sanken

Franktireur … Weit steht der Himmel offen

Die ferne Schlacht … Wir, denen keine Kraft gegeben ist

Riesenvögel …Riesenvögel fielen über Land

Ostpreußen … Wie eine Fahne weht aus dem Gewühl

Flug über Paris … 0 Eiffelturm! Umrannt von Straßenbahnen!

Das eiserne Kreuz … Wo bin ich? Meine Seele hängt am Bach

Der Matrose … Alle Frauen duften heute wie fauler Jasmin

Schlachtfeld … Er wollte mich berauben

Auf einen gefallenen Freund … Arm in Arm sind wir gegangen.

Dank der Hilfe eines Besuchers meiner Seite kann ich alle Gedichte doch noch veröffentlichen – Gruß nach England!

Ausmarsch

Jetzt muß ich in den Krieg ja Krieg marschieren
Und bin doch noch so jung ja junges Blut!
Man hört den Trommler Generalmarsch rühren,
Er weiß ja nicht, wie es der Trommel tut.

Wie oft hab ich des Nachts bei dir gestanden,
Und auch du, Mädchen, standest dann bei mir.
Die Ketten, die uns aneinander banden,
Die waren unsre allerschönste Zier.

Sie waren nicht von Stahl und nicht von Eisen,
Sie waren ja aus Liebe ganz und gar.
Drum laß uns jene seligen Stunden preisen,
Da dein Herz mein und mein Herz deines war.

Ich habe Treu ja Treue dir geschworen
Als dein getreu ja treuer Infantrist.15
Ist erst das Kind und erst das Kind geboren,
So weißt du, Mädchen, wer der Vater ist.

Die Trommel rollt, es knattern die Gewehre,
Es schießt der Feind von hinten und von vorn.
Leicht ist das Leben, nimmermehr die Ehre20
Des deutsch ja deutschen Vaterlands verlorn.

Da wo zerschossne Häuser feurig schwelen,
Da scharrt man mich in fremdes Erdreich ein.
Dann sollst du meinem Kind ja Kind erzählen:
Er starb für dich für dich so ganz allein …

Offizier blickt in die Weite

Soldaten gehn mit strahlendem Gesichte
Am Horizonte und wie Tänzer jung.
Ich steh in ihrer Augen blauem Lichte
Wie eines künftigen Tags Erinnerung.
In ihrer Augen blauem Lichte steh
Ich wie mein Enkel blond gebannt zur Statue.

Nacht und Morgen und wieder Nacht

Als die Sterne sanken,
Als wir Nebel tranken,
Morgen wölbte seine Hand –
Unter seinem Segen
Haben wir gelegen
Wie ein aufgeblühtes Land.

Unsre Felder reiften.
Unsre Jäger streiften
Durch die taubeglänzte Pracht.
Reh durchschritt die Ferne.
Aber wie die Sterne
Sanken wir in unsre eigne Nacht.

Franktireur

Weit steht der Himmel offen,
Und leuchtet Stern am Sterne.
Ich hang an einer Laterne.
Besoffen.

Ihr Mädchen, he herbei,
Tanzt mir den letzten Reigen!
Bald brüllt das große Schweigen.
Einerlei.

Stürmt schon des jungen Tages Morgenrot
Über die Dächer ferne?
Ich häng an einer Laterne.
Tot.

Die ferne Schlacht

Wir, denen keine Kraft gegeben ist
Zu ziehen in den kriegerischen Scharen,
Wir wissen nicht, was Tod und Leben ist
Im Klange der erwachenden Fanfaren.

Wir schleichen krumm wie krumm geschlagne Hunde.
Wir bellen laut. Wir beißen nie.
Uns läuft statt Speichel Blut im Munde
Zusammen… bis es einer von sich spie

Im Blutsturz blaß auf dem Asphalt verreckend
Und seine Augen mit dem Traum der fernen Schlacht
gleich wie mit einem Schild bedeckend …

Riesenvögel

Riesenvögel fielen über Land
Schwarz mit gelben Schnäbeln,
Die sie gleich gekrümmten Säbeln
Menschen in den Leib gerannt.

Manche packten sie wie Brote.
Wehrlos lächelnd dem Verderben
Sah man sanft das Abendrote
Sich mit seinem Blute färben.

Ostpreußen

Wie eine Fahne weht aus dem Gewühl
Weiß eine Hand. Sie fuchtelt in Delirien.
Hoch oben aus dem steilen Turmgestühle
Höhnt dumpf die Glocke: Tod oder Sibirien.

Fernwo sind Feldkanonen aufgefahren.
Der erste Schuss schlägt grau und rollend ein.
Es flattert in der Luft von Frauenhaaren.
Köpfe sausen und tote Münder schrein.

Im Kirchtorgitter in Marienlust
Lehnt eine junge Frau. Aus offner Jacke
Reicht ihrem Jesuskind sie die Brust.
Blut trinkt’s statt Milch. Da pfeift es zur Attacke.

Sie bietet stumm sich als Kanonenfutter.
Ein ganzes Regiment starrt, geistumweht,
Gewehr bei Fuß ins Antlitz seiner Mutter,
Die lächelnd an der Balustrade steht.

Flug über Paris

O Eiffelturm! Umrannt von Straßenbahnen!
Der Regen ratterte auf unser Dach,
Wo noch von tanzenden Äroplanen
Der heilige Schimmer der Maschine lag.

Wie soll ich euch mein großes Glück beschreiben?
Der große Vogel war mir gut.
Ich durfte still auf seinen Flügeln bleiben
Und ritzte keinen Tropfen Blut.

Dann aber die elektrisch glühen Birnen!
In ihrem Strahl schmolz ich wie Wachs so weich.
Aus meinen Janusstirnen
Quoll Blut auf Blut: ein ganzes Himmelreich.

Das eiserne Kreuz

Wo bin ich? Meine Seele hängt am Bach
Und zittert einer Trauerweide nach.

Das Wasser rinnt. Es spinnt der Wind im hohen
Gezweig der Tannen, und die Lanzen lohen.

Heut ist der Himmel wie von Heimat blau.
Es steht ein schwarzes Kreuz vor unsren Reihn –
O fernes Mädchen! Weiße Wolkenfrau!
Wer möchte da nicht Heiland sein!

Der Matrose

Alle Frauen duften heute wie fauler Jasmin.
Aber: Ich möchte nicht bei ihnen schlafen.
Ich weiß: Ich bin in einem südamerikanischen Hafen,
Wo die regenbogenfarbenen Vögel ziehn.
Ist der Krieg nicht in ein Massengrab versunken?
Gehn wir nicht wie junger Frühling drüber hin?
Ich habe heute roten Wein getrunken
Mit einer blonden Tänzerin.
Brenne, brenne ich nicht wieder
In den Sonnen uruguayischen Lands?
Ich dehne meine Glieder
Als Rekrut des Beurlaubtenstands,
Aber: Ich will Kriegsmatrose werden!
Spähend hock ich in den Rah*n
Und jage mit schnellen Schiffspferden
Über den nordischen Ozean.
Ich will mein Herz mit Hass und Vernichtung tränken –
(Aber gegen wen?)
Ich will nur einmal einen englischen Kreuzer versenken
Ode mit einem englischen Mädchen in London spazieren gehen.

Schlachtfeld

Er wollte mich berauben.
Ob ich denn noch bin?
Tauben
Fliegen über mich hin.

Picken meine Blicke
Körner sich zum Mahl.
Dunkel im Genicke
Blinkt das Blutfanal.

Fahl
Dröhnt der Himmel.
Wagen rasseln durch die Nacht in meinem Hirn.
Ein Schimmel
Schlägt aus: Mitte in meine Stirn.

Auf einen gefallenen Freund

Arm in Arm sind wir gegangen
Durch das Himmelreich der Welt.
Mit dem Lasso haben wir gefangen
Schöne Frauen, die wie Rehe sprangen
Und wir wehten segelnd auf dem Belt.

Und in Stunden, die wie Schleier glitten,
Sind wir durch den hellen Park geritten,
Sonne regnete auf Rain und Ruf.
Deine Lippen sprachen leichte, schwere
Verse, und die goldne Ähre
Rauschte an der Rappen Huf.

Grosse Stadt war unsre Mutter,
Nahm uns gern im dunklen Abend auf.
O nach Wolkenfahrten banden wir den Kutter
Schwingend an des Kirchturms Knauf.
Grosse Stadt ist unsre Mutter,
In den niedern Strassen funkelt unser Lauf.

Stehn noch immer jener Kirche Türme?
Sind noch immer Frauen einem lieb,
Seit es dich in namenlose Stürme
In entbrannte Ozeane trieb?
Deine Lippen schweigen leicht und schwer,
Deine Stirn steht abendrotumwettert.
Ein entseelter Franktireur
Hat dein Herz, mein Herz zerschmettert.

Über den Illustrator Richard Seewald lohnen ein paar Zeilen:

Richard Seewald wurde am 4. Mai 1889 in Arnswalde/Neumark geboren. Heute heißt Arnswalde Choszczno und ist eine Stadt in der polnischen Woiwodschaft Westpommern – hat etwa 16.000 Einwohnern und ist zugleich auch Kreisstadt des Powiats Choszczeński.

Wikipedia schreibt:

„…Choszczno liegt im Westen der Woiwodschaft Westpommern (in der Neumark) zwischen dem Fluss Stüdnitz und dem Klückensee (Jezioro Klukom), der zur Arnswalder Seenplatte gehört.

Seit etwa 1255 befand sich Arnswalde in brandenburgischem Besitz. Die erste urkundliche Erwähnung von Arnswalde als Stadt (oppidum Arnswaldensis) stammt aus dem Jahr 1269. Arnswalde trägt den roten Brandenburg Adler im Wappen. (…)

Bereits vor 1859 gab es in Arnswalde eine Synagoge.

1945 wurde Arnswalde nach einer Belagerung von der Roten Armee erobert, wobei 1845 Häuser bzw. 85 % der Stadt zerstört wurden. Anschließend wurde die Stadt unter polnische Verwaltung gestellt und die einheimische Zivilbevölkerung vertrieben.“

Zurück zu Richard Seewald. Ab 1909 begann er in München Architektur zu studieren, „sattelte“ aber bald als Autodidakt zur Malerei um. Bereits während seiner Zeit auf dem Gymnasium nahm die Wochenzeitschrift „Die Jugend“ einige seiner Zeichnungen an und Seewald zeichnete später Karikaturen für die Münchner „Meggendorfer Blätter“ und die Berliner „Lustigen Blätter“.

Wikipedia schreibt:

„… Die Moderne Galerie Heinrich Thannhauser, die regelmäßig Werke junger Münchner Künstler vorstellte, zeigte erstmals eine Auswahl grafischer Blätter Richard Seewalds. Angeregt durch die malerischen Effekte einer Kaltnadelradierung, entstand 1913 auf der Insel Rab sein erstes Ölgemälde. Im November des Jahres gründete sich die Neue Sezession, zu deren Mitgliedern bald auch Richard Seewald gehören sollte, kurz danach trat der Künstler auch dem Deutschen Künstlerbund bei.“

Für zahlreiche Autoren zeichnete er, sowie auch für sein eigenes erstes Buch „Tiere und Landschaften“ und der Münchener Kunsthändler Hans Goltz stellte ihn 1919 aus.

Nochmal Wikipedia:

„… Erst fünfunddreißigjährig wurde Richard Seewald während eines Aufenthaltes in Positano 1924 als Professor an die Kölner Werkschulen berufen. 1929 konvertierte er zum katholischen Glauben und bearbeitete in Folge auch Aufträge für Wandbilder im sakralen Raum (z. B. malte er ein Chorwandbild in der Dominikus Böhm-Kirche Stella Maris auf Norderney). 1931 beschloss er unter dem Eindruck des neuen repressiven kulturpolitischen Klimas in Köln endgültig in die Schweiz nach Ronco sopra Ascona zu ziehen, wo er 1939 Ehrenbürger wurde. Er malte und schrieb von nun an gleichermaßen intensiv.

Zum ersten Mal nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur betrat Seewald 1948 wieder deutschen Boden, es dauerte jedoch noch drei Jahre, bis er im Kulturleben der Bundesrepublik Deutschland Fuß fasste. An der ersten Ausstellung des zuvor wiedergegründeten Deutschen Künstlerbundes 1951 in Berlin beteiligte sich Richard Seewald mit vier Gouachen, die toskanische Motive zeigten. 1954 nahm er das Angebot einer Professur an der Akademie der Bildenden Künste in München an, vier Jahre später legte Seewald das Amt nach Unstimmigkeiten mit dem Präsidium der Akademie nieder. Nach dem Tode seiner Frau verbrannte er rund 150 seiner Bilder sowie hunderte von Skizzen, Entwürfe und Korrespondenz.

Richard Seewald starb am 29. Oktober 1976 in München. Seine übriggebliebenen Skizzenbücher vermachte er dem Germanischen Nationalmuseum (GNM) in Nürnberg. Seinen gesamten übrigen Nachlass überführte er in eine Stiftung namens „Fondazione Richard e Uli Seewald Ascona.“

Illustrierte Bücher

Joachim Ringelnatz, d. i. Hans Bötticher: „Die Schnupftabaksdose“, Pieper, München 1912.

Klabund „Kleines Bilderbuch vom Krieg“, Goltz, München 1914.

Heinrich von Kleist „Penthesilea“, Goltz, München 1917.

Francis Jammes „Der Hasenroman“, Wolff, Berlin 1916.

Daniel Defoe „Robinson Crusoe“, Goltz, München 1919.

Richard Seewald „Traumreise oder Robinson der Sohn Robinsons oder Die vier Jahreszeiten oder Orbis Pictus“. Josef Kösel & Friedrich Pustet, München 1935.

Paul Gallico „Das kleine Wunder“, Hamburg 1952.

Edzard Schaper: „Das Christkind aus den großen Wäldern“, Hegner, Köln/Olten 1954.

Hans Christian Andersen: „Märchen“, Ueberreuter, Wien, 1955.

Edzard Schaper „Stern über der Grenze Köln“, Hegner, Köln/Olten 1958.

Seewald Bilderbibel, hundert Bilder mit Texten aus dem alten und neuen Testament, Herder, Freiburg 1957.

Johannes Rüber „Das Tal der Tauben und Oliven“, Herder, Freiburg 1979.

Gustav Schwab „Die schönsten Sagen des klassischen Altertums“, Herder, Freiburg 1983.

Erich Kästner „Die 13 Monate“, Cecilie Dressler, Berlin.

Hoffentlich sind nicht die Bücher aller Autoren durch die Illustrationen Richard Seewalds so teuer geworden wie das „Kleines Bilderbuch vom Krieg“ von Klabund!