Klabunds Tod – Und was erinnert uns an ihn?

Rückblick, Mitte Juli 1928 plagt Klabund hohes Fieber, er muss nach Davos. „Also trat er seine letzte Reise an – zum Haus Stol­zenfels, zur Familie Poeschel. Der Arzt stellte eine schwere Lungen­entzündung, aber auch eine Hirnhautentzündung fest.“ (Wafner)

Fredi ahnt sein nahes Ende und schreibt an die Eltern in Crossen Anfang August:

„… Liebste Eltern, herzlichsten Gruß aus Davos! Ist es Euch nicht möglich, sagen wir innerhalb 8 bis 10 Tagen nach Davos zu kommen? Ihr sitzt von Berlin bis Landquart (1 Stunde nach Davos) im selben Wagen (Schlafwagen). Ich lade Euch herzlichst ein. Euer Fredi.“

Am 14. August stirbt Klabund, Guido von Kaulla:

„… Am 13. August abends gegen 10 Uhr beginnt Klabund hinzuscheiden – er findet Erlösung durch eine Schwäche der letzten Stunden. Dr. Staub hatte das Ende nicht so rasch erwartet, so dass die Eltern nicht mehr rechtzeitig herbeitelefoniert werden können und erst am 15. August eintreffen. Carola bittet Dr. Poeschel instän­dig, nicht aus dem Zimmer zu gehen – sie nicht allein zu lassen in ihrer Angst – der Angst eines naturhaften Menschen vor dem Ende, dem Tode. Am Bett Klabunds, der niemand mehr erkennt, stehen in der Sterbestunde Carola Neher, Dr. Erwin Poeschel und eine Nachtschwester. Am Morgen des 14. August 1928 – um halb fünf Uhr – ist Klabund sanft entschlafen.“

Die „Davoser Zeitung“ Nr. 191 veröffentlicht diese Anzeige: „Standesamt. Todesfälle: Den 14. August: Henschke genannt Klabund Alfred, Dr. phil. Schriftsteller von Crossen a. d. Oder, geb. 4. Nov. 1890, Gatte der Carola geb. Neher.“

Und im Anzeigenteil derselben Zeitung: „Die Kremation von Klabund findet Donnerstag nachmittags halb fünf Uhr hier statt.“ –

Im „Crossener Tageblatt“ vom 20. 8. 1928 heißt es: „Hunderte von Depeschen aus ganz Deutschland und dar­über hinaus waren bei der Witwe von Freunden, Künstlern, Pressevertretern, Theaterdirektoren eingegangen.“

Klabund beschreibt seinen Wunsch, verbrannt zu werden:

„… Ich möchte, dass man meine Asche über das Meer hin‘ streut. Dann werde ich wie Jonas in einem Walfischbauch landen oder eine Flunder wird mich verschlucken und ein dicker Herr aus Königsberg wird mich eines Tages zum Nachtmahl zu sich nehmen. Aber vielleicht gelange ich auch ungefährdet bis auf den Grund des Meeres, ja: vielleicht auf den Grund allen Seins“.

Wohl auf Wunsch der Familie soll die Urne in Crossen beerdigt werden und diese Beerdigung verzögert sich, man ist sich über die Form im Rat der Stadt nicht einig.

Zurückgekehrt nach Berlin schreibt Carola Neher nach Davos:

„…Liebe Frau Poeschel,

ich danke Ihnen sehr für Ihren letzten lieben Brief. Sie sind sehr gut zu mir.

Denken Sie, die Beisetzung ist noch nicht gewesen in Cros­sen, immer war sie wieder verschoben, ich habe solche Angst davor. Diese Bürgermeister und Stadtverordneten-Trottel strei­ten sich jetzt um den Platz, was sagen Sie? Monilein hätte sich totgelacht!

Ich konnte nicht arbeiten. Ich bin 2 x bei den Proben ohn­mächtig geworden und der Arzt hat mir vorläufig jede Arbeit verboten. Am liebsten wollte ich sofort wieder nach Davos fahren. Aber Sie gehen jetzt weg und Thea geht weg und da lohnt es sich nicht und es ist auch zu weit in diesem Falle. Haben Sie das Bild bekommen von Moni?

Auf Wiedersehen, liebe Freunde, alles Gute wünscht Ihre Carola Neher.“

Was Carola Neher in ihrem Brief anklingen lässt – die Diskussion in der Stadt – „Diese Bürgermeister und Stadtverordneten-Trottel strei­ten sich jetzt um den Platz, was sagen Sie? Monilein hätte sich totgelacht!“, beschreibt Guido von Kaulla:

„… In Crossen hält man es zunächst gar nicht für selbstver­ständlich, dem Dichter ein Ehrenbegräbnis zu geben. Die Bürgerschaft ist immer noch gespalten in ihrer Wertung. Aber die hohe Achtung, die seinem Vater – einem Manne mit frühen demokratischen Auffassungen – in der Stadt ent­gegengebracht wird, überwindet schließlich alle engstirnigen Hürden und führt zu dem einstimmigen Beschluss: am Nachmittag des 9. September die Beisetzung in einem von der Stadt Crossen an hervorragender Stelle auf dem Bergfriedhof geschaffenen Ehrengrabe stattfinden zu lassen.“

Der Bergfriedhof war ganz im Sinne von Klabund, in einer seiner Geschichten erzählt er einmal:

„…Friedrich der Große hat den Crossener Fischern und Schiffern abgeraten, sich wei­terhin unten in der Oder- und Boberniederung anzusiedeln. Er riet ihnen, auf die Berge zu gehen. Aber die halsstarrigen Crossener blieben fest. Erbost schrie sie der ärgerliche alte Herr an: „Bleibt wo ihr seid und versauft in eurer Dummheit!“ Nun, sie sind nicht ersoffen, die guten Crossener; auch nicht in ihrer Dummheit, sie sind immer noch recht leben­dig, und hin und wieder schicken sie einen rechten Unruhe­stifter in die Welt, allerlei wunderliche und aufgeregte Leute, wie den alten Konrektor, der als erster am lenkbaren Luft­ballon herumexperimentierte, den Philosophen Rudolf Pannwitzer und den Schreiber dieser Zeilen. Über ihn ist sogar schon einmal ein Artikel erschienen unter der Überschrift: „Der Stern von Crossen“, der ihn mit nicht geringem Stolz erfüllte. Denn er ist ein Crossener, mit Freude und Wehmut denkt er seiner Heimat. Und wenn er einmal begraben werden sollte, was hoffentlich noch lange Weile hat, dann soll man ihn auf dem Bergfriedhof neben dem General Friedrichs des Großen begraben. Und ewig wird vor seinen klaren, verklär­ten Augen das Odertal liegen: die Aue, die kleine Stadt und ganz im Hintergrund der Kämpfenberg. Und im Baedeker wird sein Grabdenkmal neben dem Barockdenkmal des Ge­nerals einen Stern bekommen. Den Stern von Crossen.“

Ob er tatsächlich neben diesem General gelegen hat, weiß ich nicht, aber der Bergfriedhof ist es doch geworden – Guido von Kaulla:

„… Am Nachmittag des 9. September 1928 findet die Bei­setzung der Urne im Ehrengrabe der Stadt Crossen auf dem Bergfriedhof statt. Am Grabe liegen rote und weiße Rosen – eingedenk der Worte Klabunds: „Ich stamme irgendwo aus der Mark. Ich bin ein Preuße. Und meine Farben, die ihr kennt, sind schwarz und weiß. Schwarz, das ist die Nacht. Und weiß, das ist der Tag. Ich bin Tag und Nacht.

(…) Immer wieder muss ich mit heißer Klinge die klingenden Kämpfe in mir zu Ende fechten. Den Kampf der roten und der weißen Rose. Wenn ich einmal verblutet dahinsinke, soll man mir weiße und rote Rosen aufs Grab werfen. Das soll geschmückt sein wie ein Brautbett und ein liebendes Paar soll wie Goldregen darauf niederstürzen. Und noch im Tode werde ich das neue Leben segnen.“

Ca­rola Neher kann erst mit viertelstündiger Verspätung aus Berlin kommen. Sie ist sehr verweint, beschreibt Guido von Kaulla die Feier.

In den Crossener Heimatgrüßen erschien im Heft 4 des Jahres 1978 dieser Artikel:

„… Vor 50 Jahren starb der Dichter – Totenfeier auf dem Bergfriedhof mit einer Rede Gottfried Benns

Wer heute als Besucher an Oder und Bober über den von den Polen in einen Park verwandelten Crossener Bergfriedhof geht, hat auch als Ortskundi­ger Mühe, die Stelle zu finden, an der die Asche des Dichters Alfred Hensch­ke-Klabund der Erde anvertraut wurde. Wesentliche Bezugspunkte wie die den alten Teil des Gottesackers abgrenzen­de gemauerte Erbbegräbnisreihe und die Friedhofskapelle fehlen. Nur nach dem Wegeverlauf kann man ungefähr bestimmen, wo zwischen den Bäumen unter wenig gepflegtem Rasen die Urne ruhen muss. Das bei der Beisetzung am 9. September 1928 von Bürgermeister Küntzel gegebene Versprechen, dass die Stadt das Ehrengrab von Generation zu Generation behüten und pflegen wolle, kann also der politischen Umstände wegen nicht eingehalten werden. Umso mehr fühlen wir noch lebenden Crossener uns aber verpflichtet, dazu beizu­tragen, dass Leben und Werk Klabunds unvergessen bleiben.

Einen solchen Beitrag will ich in diesen Tagen, da sich der Tod Alfred Henschkes am 14. Au­gust 1978 zum 50. Male jährt, dadurch leisten, dass ich hier in den „Heimatgrüßen“ zwei Freunde und Gönner Kla­bunds. die an dem Begräbnis teilnah­men, zu Wort kommen lasse.

Der erste ist Fred Hildenbrandt (ge­storben 1963). Dieser schrieb einen Tag nach dem Begräbnis im „Berliner Ta­geblatt“, dessen Feuilletonchef er da­mals war, unter der Überschrift „To­tenfeier für Klabund“:

„Es wird der kleinen Stadt Crossen immer zur Ehre gereichen, dass sie den Lebenslauf eines ihrer Söhne mit sol­chem liebevollen Interesse verfolgte, dass sie ihm, da dieser Lebenslauf so plötzlich abbrach, über das Grab hinaus alles an Ehren erwies, deren sie fähig war.

Gestern Nachmittag wurde die Ur­ne mit der Asche Klabunds in Crossen auf dem alten Friedhofe beigesetzt. Feuerwehr sperrte ab. Viele Einwohner hatten sich eingefunden. In der kleinen Kapelle sprach der Pastor die Gebete, worauf die Urne wenige Schritte weiter an das mit Blumen bedeckte Grab ge­tragen wurde. Eine Abordnung von Schülern, in blauen Anzügen und mit derselben Mütze, die Klabund getragen hatte, ließ durch einen Kameraden ein Gedicht vortragen.

Darauf sprach der Bürgermeister von Crossen, im Frack und mit allen Orden, und aus seiner Rede konnte man entnehmen, wie hier schon zu Lebzeiten ein deutscher Dich­ter geliebt und gefeiert worden ist. Er übernahm im Namen der Stadt das Grab und versprach, dass diese Stätte von Generation zu Generation gepflegt und behütet werden solle. Nach ihm hielt Dr. Gottfried Benn eine wunder­volle Andacht für seinen toten Freund, für den Menschen, den Leidenden und den Dichter, eine der herrlichsten Re­den, die je an einem Grabe laut geworden sind. Kränze wurden niedergelegt, darunter der Kranz der Stadt Crossen: „Ihrem großen Sohne“, ein Kranz der Deutschen Bühnengenossenschaft, ein Kranz der Funkstunde, einer der Deut­schen Buchgemeinschaft, einer im Namen Max Reinhardts für das „Deutsche Theater.“

Ein Männerchor sang Lieder. Mit tiefster Bewegung standen die Eltern am Grabe, und sie mögen nicht nur einen Trost der Worte mitgenommen haben, sondern einen wahrhaften Trost des Herzens.“

„Die Stadt Crossen war die erste, die es vorzog, einen Dichter in solcher Weise zu ehren, sie hat ein Beispiel auf­gestellt, indessen in anderen Städten Boxer, Läufer und Männer und Frauen der Muskeln überschwänglich gefeiert werden, fand sie es richtig, einen dün­nen, muskellosen, jünglingshaften, re­kordlosen Menschen zu feiern, der zum Geiste gehört. – Ehre der Stadt Cros­sen.“

Und weiter:

„… In die große Stille des Friedhofes hinein, in dessen Zypressen ein leichter Wind wühlte, ertönte der Klagegesang eines Freundes für einen Freund, eines Dichters für einen Dichter, gehalten in der ein­fachsten Sprache eines bettübten Herzens.“

Dieser Freund ist Gottfried Benn – seine Grabrede für Klabund: 

„…Ist nicht alles nur Ton, darin wir spielend nach Göttern suchen. H. Mann

Bei dieser Feier, die die Stadt Krossen ihrem verstorbenen Sohne weiht, habe ich als des Toten ältester Freund und märkischer Landsmann unter den schriftstellernden Kollegen die Aufgabe und die Ehre, einige Worte zu sprechen.

Ich sehe hier versammelt in erster Linie die landschaftliche und genealogische Verwandtschaft des Verstorbenen, die Eltern, an denen er so hing, die Gattin, die er so sehr liebte, die Stadt, zu der er zählte, und wir wollen dies alles in uns aufnehmen und verehren, da es Klabunds Heimat war. Aber eine andere Verwandtschaft drängt herbei, eine andere Vater- und Bruderschaft macht ihr Recht geltend, heute hier zu sein, eine große Gemeinschaft aus vielen Städten, aus Berlin, aus München und über Deutschlands Grenzen hinaus aus vielen Zentren des abendlän­dischen Lebens bekundet ihr Verlangen in dieser Stunde – ich meine die Gemeinschaft derer, die der Menschheit zu dienen glauben, in dem sie dem Worte dienen, ich meine die Gemein­schaft der Künstler, Dichter, Schriftsteller und Literaten, die den Härten des Lebens nichts anderes entgegenzusetzen haben als ihren Glauben, ihr Talent und ihr Leiden, und zu denen der Verstorbene sich bekannte in den Jahren der Bedürftigkeit wie in den Jahren des Ruhms. Im Namen dieser will ich sprechen.

Da habe ich zunächst das Bedürfnis, der Stadt Krossen einen Dank abzustatten. Es ist schön, dass sie es ermöglichte, dass Klabund auf diesem Friedhof ruht. In Norddeutschland, von wo er hergekommen ist, in dieser Stadt, die er oft besungen hat, am bewegendsten heute für uns in jener Ode an Krossen, in deren Schlussversen er diese jetzige Stunde beschreibt und sieht, die Stunde: „in der auf seinen kleinen, kindlich-kümmerlichen Leib die Erde fällt, die ihn gebar, an der Grenze Schlesiens und der Mark, wo der Bober in die Oder, wo die Zeit mündet in die Ewigkeit“ — ich sage, ich möchte mir die Freiheit erlauben, der Stadt zu danken, dass sie es sich nicht hat nehmen lassen, ihren Sohn, diesen, unseren Kameraden, der nur ein Künstler war – nur Narr, nur Dichter, wie es im „Zarathustra“ heißt -, mit allen Ehren des Lebens und der Öffentlichkeit zu sich zurückzuholen. Die Dichter sind die Tränen der Nation – es ist vielleicht für Deutschland nicht schlecht, wenn die anderen hören, dass eine Stadt die Zeit und die Innerlichkeit besaß, diesen Tränen der Nation ihre Aufmerksamkeit und ihre Ehrfurcht zu bezeugen.

Aus diesem Tal also, das wir heute durchfuhren, stammte Klabund. Diese Hügel, dieser Strom. Als er sie zum ersten Male verließ, als Junge, um auf eine andere Schule zu kommen, begegneten sich unsere Wege. Wir waren beide auf derselben Schule, dem Friedrichs-Gymnasium zu Frankfurt an der Oder, auch in derselben Pension in der Gubener Straße, und wir dachten oft daran zurück. Wir trafen uns immer wieder in München und Berlin, unser letztes Weihnachten feierten wir zusammen, und als Klabund am 30. Mai dieses Jahres Deutschland zum letzten Mal und für immer verließ, trat er die Reise mit seiner Frau von meiner Wohnung aus an.

Ich kannte ihn in den Zeiten, wo er noch nichts war, und in den Zeiten des Glanzes seines Namens. Die schönsten Jahre waren wohl die, als er, bald nach dem Krieg, in Berlin in einer kleinen Straße des Südwestens wohnte, in einem kleinen Zimmer, das nur ein Fenster hatte und kein Bett; er schlief auf einem Sofa und, wenn man vormittags ihn besuchte, lag er auf diesem Sofa ganz bedeckt von Manuskripten, Zeitun­gen, Briefen und Journalen und arbeitete rastlos und fieberhaft, wie er sein ganzes Leben lang tat. Es waren die Jahre der zweiten Periode seiner Gedichte, seiner Romane und die Jahre, in denen ihm der Gedanke an den „Kreidekreis“ kam. Es waren auch Jahre der Krankheit, und ich ging oft zu ihm als Arzt. Manchmal nannte ich ihn in Freundschaft Jens Peter, das waren die Vornamen des großen dänischen Romanschriftstellers Jens Peter Jacobsen, dem er äußerlich ähnelte, und der an der gleichen Krankheit litt und starb. Oft auch sah ich Veilchen in seinem Zimmer, die Lieblingsblumen Chopins, seines anderen Krankheitskameraden. Einmal lasen wir zusammen die letzten Worte Chopins, die er an seinem Todestage schrieb, sie lauteten: „Meine Versuche sind nach Maßgabe dessen vollendet, was mir zu erreichen möglich war“ – das Abschiedswort eines wahren Künstlers, der das Fragmentari­sche des Individuellen erlebt hatte, ein Wort von Stille und Zurückhaltung, wie es auch Klabund hätte geschrieben haben können, dessen Wesensgrundzug alle die Jahre hindurch der einer tiefen brüderlichen Bescheidenheit war.

Die zarte, nie zu einer völligen Reife erwachsene Gestalt unseres toten Freundes tritt vor unseren Blick. Der schmächtige Mann, und auf seinen Schultern trug er eine Last, die schwer zu tragen war. Ich meine nicht die Krankheit, ich meine die Beru­fung. Gegen eine Welt der Nützlichkeit und des Opportunismus, gegen eine Welt der gesicherten Existenzen, der Ämter und der Würden und der festen Stellungen, trug er nichts als seinen Glauben und sein Herz. Es gibt den Wahlspruch eines alten französischen Geschlechts, der Beaumanoire, der im Grunde der Wahlspruch aller Künstler ist: „Bois ton sang, Beaumanoire“ -trinke dein Blut, Beaumanoire“; das heißt für den Künstler, du leidest, hilf dir selbst, du bist deine eigene Erlösung und dein Gott; du bist durstig, du musst dein Blut trinken, trinke dein Blut, Beaumanoire! Und dieser hier trank sein Blut jede Stunde seines Daseins, wie es das innere Gesetz seines Lebens und seines Sterbens ihm befahl.

Diese schmächtige Gestalt – und die Unendlichkeit der Welt. Das Aufgestiegene und das Versunkene, Dinge, die wir erleben, und Dinge, die wir ahnend erschließen, zusammenzufassen, zusammenzuströmen zu einem Wort, zu einer Wahrheit jenseits jeder Empirie. Durch die Geschichte aller Zeiten und Völker gehen diese Figuren, auf deren oft kranken Schultern ehre geheime Sendung liegt. Es ist schwierig, darüber zu reden in einer Stunde des Heute, die durchklungen ist vom Sausen der Propeller und vom Arenageheul einer Boxerzivilisation, dass es einst eine andere Menschheit gab und wieder geben wird und eine andere Menschheitsstunde. Ich weiß nicht, ob Ihnen gegenwärtig ist, wie die Forschung dabei ist, die viertausend Jahre Menschheitsgeschichte, die wir bis heute übersahen und an deren Ende wir gehören, zurückzustellen vor jenen zehntausend Jahren, die vorher waren, da eine andere Art Menschheit mit anderen Kräf­ten der Seele sich gestaltete und wuchs.

Diese Zeitspanne, die wir als die geschichtliche bezeichnen, als die geistige Bewusstwerdung, als den sogenannten Aufstieg aus der primitiven Gemeinschaft, scheint zu verblassen und klein zu werden vor den weiteren Zeiträumen, die die eigentliche produk­tive Periode des humanen Geschlechts zu umschließen scheinen, eines Geschlechts unter heiligen Zeichen und mit einem magi­schen Gesicht. Die Forschung spricht in diesem Zusammenhang von jenen rätselhaften „Leuten vom Fremdboottypus“, deren Schiffe noch in den Darstellungen der ältesten mesopotamischen Kulturdenkmäler gefunden sind, um dann für immer spurlos zu verschwinden. Aber sie sind nicht verschwunden, meine ich, sie gingen weiter durch die Jahrtausende und durch die Völker, diese rätselhaften „Leute vom Fremdboottypus“, bis in unsere Tage, und retteten die Erbmasse des Urgesichts.

Er, dessen Asche in dieser Urne ruht, hatte das Fragwürdige und das Vage des Gesandten. Keine Sicherheit, keine Beweis­barkeit der Existenz. Die Realität, von einer zivilisatorischen Menschheit geschaffen und behauptet, keines Blickes, keines Lächelns wert. Immer nur gegen sie angehen, immer nur sie umbiegen zu einem Zug von Masken, zu einem Wurf von Formen, ein Spiel in Fiebern, sinnlos und das Ende um jeden Saum. Ach, diese ewige Entwicklung, welch eine kommerzielle Kontinuität! Die Seele hat andere Tendenzen, sie hat eine Schichtungs- und Rückkehrtendenz zu jener Erbmasse, zu jenen Träumen, zu jenen Tränken aus ihrem alten Blut: die Wirklichkeit und die Entwick­lung, die Kausalität und die Geschichte, alles nur Masse, alles nur Ton, darin sie spielend nach Göttern sucht.

Unser Freund hier suchte nach Göttern in allem Ton. Nichts konnte ihn beirren in der Freiheit dieses Drangs. Und wenn ich an seine Urne etwas zu schreiben hätte, wäre es ein Satz aus einem der großen Romane von Joseph Conrad, über die ich oft in der letzten Zeit mit dem Verstorbenen sprach. Ein Wort, das die Verwirrungen des Menschenherzens und der Menschheits­geschichte raunend erhellt: „dem Traum folgen und nochmals dem Traum folgen und so ewig – usque ad finem.“ (bis zum Ende) Mit diesem Satz nehme ich Abschied von unserer fünfundzwanzigjährigen Freundschaft und im Raunen dieses Satzes ruhe ewig Klabund.“

Fred Hildenbrandt sorgte dafür, dass diese Totenrede auf einer Schallplatte festgehalten wurde.

Nach der Trauerfeier schreibt Carola Neher in einem Brief an das Ehepaar Poeschel:

„… Liebe Poeschels,

vielen Dank für Ihre liebe Karte aus Nauheim. Wie viel Sie an mich denken! Wie hab ich das verdient? Es geht mir besser jetzt aber ich spüre doch, dass der liebe Gott sehr mit mir abgerechnet hat, indem er mir mein Monilein genommen hat. (…)

Die Grabrede von Benn war tatsächlich sehr schön. Er ist ein selten gescheiter und interessanter Mensch. Ich bin mit ihm befreundet und habe eine große Stütze an ihm.

Was Ihr Mann in der Davoser Revue schrieb, habe ich gelesen und fand es sehr schön. (…) Viele herzliche Grüße, ganz Ihre Neherchen“

In der ersten Ausgabe der „Davoser Revue“ nach Klabunds Tod erscheinen am 15. September 1928 die Nachrufe von Erwin Poeschel, Martin Platzer und Jules Ferdmann, Klabund Gedichte und das Märchen von Sankt Jemand und Sankt Niemand, in denen noch einmal die enge persönliche Verbundenheit des Dichters mit Davos zu spüren ist, mit den Menschen, der Landschaft, dem Ort seiner Krankheit, seiner Erholung und seines Todes.

Klabund

Von Erwin Poeschel, Davos

Den ungezählten Berichten, die das Werk dieses Dichters wogen, als die Kunde von seinem Tode ging, einen weiteren hinzuzutun ist hier nicht unseres Amtes. Aber es wäre nicht recht, wenn ungesagt bliebe, dass Klabund denen, die hier eine Weile seines Lebens mit ihm verbrach­ten, nicht allein der Dichter war, der dem Erbe deutscher Poesie ‚einen eigenen Klang, ein Wort, das nur er sagen konnte, beisteuerte. Was er dichtete, darum wissen viele, was er als Mensch war, nur die- ihm begeg­neten. Und wenn man nun, nachdem die erste Erschütterung verebbt ist, unter denen, die ihn kannten, sein Bild beschwört, so wird man inne, dass nicht nur seine Verse, sondern auch seine menschliche Wirkung wei­ter dauert, ja, dass man an ihn den­ken und von ihm reden kann, als habe er gar nicht unser Ufer ver­lassen. Die Erinnerung an ihn ist mit einer Innigkeit ohnegleichen lebendig, ja sie ist von einer Heiterkeit um­geben, die von dem Teil Schwermut, der ihr beigegeben ist, nicht getrübt, sondern nur tiefer durchleuchtet wird. So ist der Zauber seines Wesens stär­ker gewesen als der Tod. Als die schwarzen Flügel seine Stirne schon tief beschatteten, brach in manchen Momenten noch sein Lächeln durch die Dämmerung, dieses Lächeln, das immer war, als ob ein Vorhang zer­risse, das einen jugendlichen Charme und eine bestrickende, wesenhafte Liebenswürdigkeit atmete, der nicht zu widerstehen war. Wenn Frauen ihn verstanden, so war es nicht von ungefähr. Denn er hatte ein höfliches Herz und einen zärtlichen Sinn. Hilf­reichen Sinnes versagte er sich nie dem, der ihn brauchte, und so viele etwas bei ihm suchten, so wenig for­derte er. Wie er den Menschen Treue hielt, so war er anhänglich auch an unsere Landschaft, von deren Zauber noch einer seiner Briefe sprach, bevor er nun zum letzten Mal wiederkehrte.

Er hatte den vollen ungebrochenen Sinn für die Fülle und die Schönheit des Lebens bis an sein frühes Ende. Was das Schicksal mit ihm vor hatte, hat er mit diesem zeitigen Tod er­füllt: er sollte als ein Sinnbild der Jugend in die Geschichte der Lite­ratur unserer Zeit eingehen und in unserer Erinnerung bleiben. Wie er in seiner Dichtung das Direkte und Agressive, aber auch das Schwärmeri­sche des jungen Menschen hatte, der sich im Gezweige panischer Naturver­bundenheit mit Pflanze, Tier und Ster­nen verbrüdert wiegt, so stand er auch als Mensch immer dort, wo Leben sich regte, wo Zukunft sich ankündigte, wo Wirkung war und rascher Umsatz der Kräfte. So galt er uns als Bürg­schaft, dass es eine Jugend gab, die Wesen war und nicht Lebensalter. Er war offen, locker und bildsam, be­wahrte aber in sich einen Bezirk, den er verschloss, und aus diesem Kern seines Wesens erhielt seine Wander­schaft in dieser Welt den Eindruck des Notwendigen, war nicht ein sinn­loses Dahin- und Dorthinfallen, son­dern Weg und Umweg zu sich selbst. Er war noch ein wirklich echter Nach­fahr eines Günther, einer Eichendorff-schen Figur auch vielleicht, aber mit dem harten und bisweilen dissonanten Klang, der in unserer Zeit ist. Denn er konnte Lebensverhältnisse so gestalten als seien es Verse.

Wohl kaum ein Dichter durfte – wie er einem Band seiner Werke den Ti­tel geben: „Das heiße Herz“. Als sein Körper schon der Auflösung nahe war, da schlug dieses Herz noch mit der Kraft der gesunden Tage, in denen es der starke Motor eines heftigen Lebens war. Zwar kam seinem Er­lebnisdurst ein starker Antrieb aus der tiefen Kenntnis von der Unersetzlich­keit und Einmaligkeit des Lebens, wie sie einer bedrohten Existenz immer ge­genwärtig ist, er war aber doch Ausdruck einer im Innern ungebrochenen Vitalität und nicht etwa hektische Be­rauschung. Und um dieses starken un­sentimentalen Triumphierens des Le­bens willen griff er an unser Herz. Leben, Aufnehmen, Schauen, so lang es Tag ist und Arbeiten, bevor es dämmert. Denn das: die Verpflichtung an das Wort war doch schließlich das Band mit dieser Welt. „Ich würde sterben, hätt‘ ich nicht das Wort.“ Jetzt aber ist wirklich die Stunde da, deren Ahnung uns schon damals mit Schwermut erfüllte, als er sagte: „.Wenn ich gehe zu Gott Trag ich in Händen das Wort… Nimm es zurück. — Und schaff leicht mir die Hände und leer.“

Klabund

Von Martin Platzer, Davos-Wolfgang

Das Leben schien dir wie ein buntes Spiel,
Du freutest gern dich seiner grellen Farben —
Im Schreiten selbst schon lag dir Glück und Ziel,
Aus allen Blumen bandst du deine Garben!

Du hülltest dich in mancherlei Gewänder,
Denn Wandlung war dir deines Dichtens Sinn,
Herr warst du und Vermittler vieler Länder
Und nahmst die Dirne wie die Göttin hin!

Man schalt dich frech, weil du ein sichrer Meister
Der Formen warst und nichts dir heilig schien,
Vernahm nicht,‘ wie aus losem Spuk der Geister
Die Qualen einer wunden Seele schrien!

Denn Aufschrei warst du, Flucht vor letztem Ringen!
Und Maske war dir jenes kühle Lächeln
Des Wissens um das Nichts in allen Dingen —
Maske und Sieg im letzten Atemfächeln!

Klabund, Mensch und Dichter 

Von Jules Ferdmann

Goethe sagte einmal: „Man muss oft etwas Tolles unternehmen, um nur wieder eine Zeitlang leben zu kön­nen. In meiner Jugend habe ich es nicht besser gemacht, und doch bin ich noch ziemlich mit heiler Haut davon­gekommen.“

So wie Goethe in seinen jungen und nicht selten auch in seinen späteren Jahren, machten es auch Byron und Puschkin, um nur bei ganz Großen zu bleiben. Die objektive Kritik über­sieht diese Seite ihres Lebens und ihres Werkes nicht, lässt sich aber in ihrem Gesamturteil dadurch nicht be­einflussen.

Nicht anders darf sie auch bei der Betrachtung des Dichters Klabund verfahren. Auch er hat öfters in seinem Leben etwas Tolles unternommen. Körperlich geschwächt, ist er doch see­lisch mit heiler Haut davongekommen. Noch jung, mitten in langsamer see­lischer Umwälzung und Umwertung aller Werte, ist er von uns wegge­gangen. Seine Fehler zu verschweigen wäre ebenso unrichtig, wie seine Ver­dienste zu verkleinern. Wir erfüllen ihm gegenüber unsere letzte Pflicht, indem wir unparteiisch und gerecht, sine ira et studio, über ihn nach­denken.

Klabund war — besonders in frü­heren Jahren — ein Liebling der Boheme. Seine Couplets wurden in den Kabaretts vorgetragen, um seine Ge­dichte und Skizzen rissen sich sen­sationslustige Blätter und seichte Ma­gazine. Er saß oft in den Tavernen, umgeben von Bohemiens, die gern auf seine Kosten zechten. Seine großen Augen blitzten bisweilen heiter und verwegen, aus seinem Munde ertönte unerwartet ein kindliches Lachen, er sagte hastig ein witziges Wort, oder er sprang von seinem Platze auf, um, nicht gerade sehr gewandt, sich auf dem Tanzboden zu wiegen oder irgend einen Streich zu machen, denn er, der Autor von „Bracke“, war und blieb ein Schalk. Aber meistens saß er still mit erstauntem Ausdruck in den Au­gen, halbgeöffnetem Mund und seit­wärts geneigtem großen, runden Kopf. Er hörte nicht auf, seine Umgebung mit raschen Blicken zu beobachten, während sein Geist irgendwo weit her­umschweifte. Bald war er auch dieser Träumereien müde, dann nahm er un­geniert eine Zeitung zur Hand und, mitten in seiner lärmenden Gesell­schaft, vertiefte er sich mit Eifer in die Lektüre. Seine Tischgesel­len interessierten ihn offenbar sehr wenig, er duldete sie, sehnte sich vielleicht nach ihnen in den Stunden, wo ihn das Gefühl der Einsamkeit übermannte‘, aber er liebte sie nicht und schätzte sie nur sehr gering.

Im Gegensatz zur Mehrzahl dieser Leute war er ein rastloser Arbeiter, ein Mann, dessen vielseitige und ge­naue Kenntnisse Achtung einflößten. Er verlor nicht gern seine Zeit mit leerem Geschwätz und schwieg, um seinen eigenen Ausdruck zu gebrau­chen, „wie ein Parlograph, in den man alles spricht, der alles treu bewahrt“ (Marietta). Er schwieg, und, das bunte Treiben eines Kabaretts beobachtend, dachte er … an gute alte Zeiten der Menschheit, die zu idealisieren er im­mer geneigt war. Hören Sie zu, an was er dachte:

„Friede war auf Erden, denn die Erde war friedlich, und der Mensch war friedlich, und friedlich war der Himmel und des Himmels Sohn. Man sprach nicht um zu sprechen. Man sprach Gedachtes. Das Leben war einfach und ernst. Die Heiterkeit wohnte im Herzen und nicht in den Schenken“… („Die zwei Reiche“).

Klabund trug viele Gegensätze in sich. Träumerischer Romantiker und überzeugter Idealist hatte er je­doch viel Verständnis für die Dinge des praktischen Lebens, viel Ordnungs­sinn und Organisationstalent. Da stand er wiederum im ausgesprochenen Ge­gensatz zu der Boheme.

Graf von Wind erwartet in seinem Roman „Franziskus“ einen jungen Ma­ler aus München:

… „Hoffentlich hat der junge Mann erträgliche Manieren und reine Fin­gernägel. Mit den obligaten langen Haaren und dem Samtjackett werden wir uns schon abfinden müssen.“ Der junge Maler, der eines Morgens von der Münchener Akademie kommend im Schlosse eintraf, enttäuschte den Grafen auf das wunderlichste und ange­nehmste. Er trug weder einen Flo­rentiner Hut noch ein schwarzes Samt-Jackett. Auch schienen seine Fingernägel eitel gepflegt   und manikürt.

Beim Essen bewegte er das Besteck mit einer vollendeten Sicherheit und Anmut. „Sonderbar, unsere neue deutsche Jugend! sagte der Graf. Sollte man in ihm noch einen Künstler ver­muten? Ist er nicht ein eleganter junger Herr?   Man könnte ihn bei Hofe vorstellen, und er würde sich nicht im Ton vergreifen. Weiß Gott, ich habe ein wenig Angst vor dieser Jugend. Sie ist mir zu sicher. Sie kann zu viel.   Ich will mich hängen lassen, wenn unser Maler nicht schießt, jagt, fischt und reitet wie ein Edel­mann. Und dabei malt er noch!“

Im Bilde dieses jungen Malers ist Klabund selbst zu erkennen. Er konnte viel, trug aber sein Können durch keine Äußerlichkeiten zur Schau. Kurzgeschorene Haare, unauffälliger Anzug, freundliche, korrekte Manieren. Charakteristisch für ihn war auch sein großes Interesse für Reiten und Fi­schen, Bob- und Schlittenrennen. An den Eishockey-Spielen konnte er sich nicht satt sehen. Als es dem Norweger Roald Larsen während der Davoser Eislaufkonkurrenzen des letzten Win­ters gelang, den Weltrekord von 43,4 auf 43,1 Sekunden zu verbessern, ge­riet Klabund vor Begeisterung außer sich. Er hielt alle seine Bekannten auf dem Eisplatz auf und wieder­holte:

— „Ein Weltrekord in 43,1 Sekun­den! Ist es nicht wunderbar!“

Es wäre jedoch gefährlich gewe­sen, Klabund bei Hofe vorzustellen, denn er konnte sich leicht im Ton vergreifen. ,,Er wusste (so äußerte sich Goethe über Günther, mit dem Kla­bund oft verglichen wird) sich nicht zu zähmen und so zerrann ihm sein Leben, wie sein Dichten“. Denkt man an die Taktlosigkeiten, die sich Kla­bund in seinen Schriften zuschulden kommen ließ, an die wilden Übertreibungen und an die vielen abstoßend zynischen Stellen, so kann man zuerst kaum begreifen, wie sich diese Mängel mit seinem großen Kunstsinn und seiner großen Lebensklugheit ver­einigen lassen können.

Bei näherer Betrachtung sieht man, dass er zu diesen Fehlern nicht nur durch seinen leidenschaftlichen Cha­rakter („Immer wieder, sagt er in seiner Selbstbiographie, „muss ich mit heißer Klinge die klingenden Kämpfe in mir zu Ende fechten“), sondern auch durch die Absonderlichkeiten sei­ner künstlerischen Aufgabe verleitet wurde. Klabund wollte nämlich für die verschärften Widersprüche in un­serem Leben, für Himmel und Erde, die wir in uns tragen, äquivalent ver­schärfte Ausdrücke^ finden. Der Ton­fall seiner Sprache erinnert oft an Jazzband, an diese sonderbare Mit­arbeit der zarten Geige mit dem schril­len Saxophon und dem andauernden Trommelschlag. Als kranker Mensch, der an dem Widerspruch seiner Ge­nussgier und seiner gelähmten körperlichen Kraft schwer zu tragen hatte, war Klabund besonders prädisponiert, zu einem der typischsten Dichter un­serer Jazzbandzeit zu werden. Kla­bund könnte die Worte wiederholen, die Cronegk in seinem Gedicht „Gün­thers Schatten“ Günther in den Mund legt:

„0 tadle mich nicht mehr!…
Verführung und Beschwerden
Verderbten mein Genie.  Gib alle
Schuld der Zeit, Den Sitten unsrer Welt“…

Wir zitierten einige Worte Goethes über Günther und möchten nun die­ses Zitat aus „Dichtung und Wahr­heit“ fortsetzen:

„Ein entschiedenes Talent, begabt mit Sinnlichkeit, Einbildungskraft, Gedächtnis, Gabe des Fassens und Ver­gegenwärtigens, fruchtbar im höch­sten Grade, rhythmisch bequem, geist­reich, witzig und dabei vielfach unter­richtet; genug, er besaß alles, was dazu gehört, im Leben ein zweites Le­ben durch Poesie hervorzubringen, und zwar in dem gemeinen wirklichen Le­ben. Wir bewundern seine große Leichtigkeit, in Gelegenheitsgedichten alle Zustände durchs Gefühl zu erhö­hen und mit passenden Gesinnungen, Bildern, historischen und fabelhaften Überlieferungen zu schmücken“..

Alles das lässt sich ohne weiteres auch von Klabund sagen. Die Leich­tigkeit, mit der er dichtete, wurde sogar oft überschätzt. Er sagte uns einmal, dass er an seinen Werken viel mehr arbeite, als allgemein angenom­men wird. Er arbeite sie im Kopf voll­ständig aus und schreibe sie erst dann schnell hin. In seinem „Lesebuch“ fin­det sich übrigens ein darauf bezogenes schönes Gleichnis, das wir hier, da dieser Punkt uns nicht unwichtig er­scheint, anführen möchten.

„Seth sprach:

Heute sah ich dem Maler Ma zu, der mit fünf schwarzen Pinselstrichen in fünf Sekunden die Illusion eines binsenbestandenen See-Ufers, über den ein Reiher zieht, auf Papier zauberte. Ich gestehe, dass mir sein Bild gefiel. Aber was für eine oberflächliche, un­ernste, leicht-sinnige und leicht-fertige Kunst, die im zehnten Teil einer Mi­nute schon ihr Resultat gibt und ver­gibt.

Li schwieg.

Er führte Seth in Ma’s Atelier.

Seth erstaunte auf das Höchste.

Im Atelier lagen tausende von Blät­tern herum, und alle zeigten: ein binsenbestandenes Seeufer, über den ein Reiher zieht.

Li sprach:

Ma hat fünf Jahre lang nichts ge­malt als das binsenbestandene See­ufer, über den ein Reiher zieht. Er hat fünf Jahre gebraucht, um in fünf Sekunden mit ein paar Pinselstrichen ein Bild der Vollkommenheit zu geben, wie es das binsenbestandene Seeufer zeigt, über den ein Reiher zieht.

Wer weiß, wieviel Aeonen das höch­ste Wesen brauchte, um in einer Se­kunde das zu schaffen, was wir das Leben nennen?“ —

Klabund ist einer der typischsten Dichter unserer Zeit nicht nur des­halb, weil er in seinem Leben und in seinem Schaffen so widerspruchs­voll war, sondern auch dadurch, dass er die Zeit und Raum überwindende Entwicklung der modernen Technik in seinen Werken wiederspiegeln zu las­sen suchte. Klabund verstand, unge­wöhnlich kurz und kondensiert zu schreiben. Sein Stil war energisch, lapidar, aphoristisch. Manche seiner be­sten Sachen schließen auf einigen Sei­ten ein ganzes Reich der Erlebnisse ein. Aber die gleiche Tendenz, die in dieser Hinsicht positiv und reforma­torisch wirkte, führtet ihn oft in einer anderem Beziehung auf Irrwege: Kla­bund wurde verleitet, manche kompli­zierten Dinge und Gedankengänge zu simplifizieren. In dieser vereinfachten Art schrieb er u. a. seine witzige und stellenweise sehr bemerkenswerte „Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde“ und „Geschichte der Welt­literatur“, ebenfalls in einer Stunde.

Klabund unterscheidet hier zwei po­lare dichterische Typen: die Pathetiker und die Erotiker. „Schiller, das be­sagt: Kampf, Forderung, Dornenweg, Verblendung und Erlösung, Gottes­minne, Jenseits. Goethe, das heißt: Sein, Genuss, selbst des Schmerzes, Blumenpfad, Sonnenblendung, Glanz und Erfüllung:

Menschenminne, Dies­seits. Klabund gehört zu keinem die­ser Typen: als Erotiker trug er zu viel von dem Romantischen und Jen­seitigen in sich, als Pathetiker war er zu sehr an die Erde gebunden. Man kann aber sagen, dass er eher zu dem Goethe-Typ zu zählen ist, wenigstens in dieser Formulierung: „Sein, Genuss, selbst des Schmerzes („Es ist so süß, — lesen wir im „Franziskus“ — krank zu sein, wenn draußen der sanfte Schnee fällt“…), Blumenpfad, Sonnenblendung, Glanz und Erfüllung“…

Klabund will vor allem Mensch sein. Nichts Menschliches — sei es Schlechtes, sei es Gutes — will er von sich fern halten. In seinem Eulenspiegelroman „Bracke“ sagt er: „So oft ein Mensch auf dem Wege ist, zu sich selber zu kommen, fliegt die Eule von der linken Schulter Gottes, einen Spiegel in den Krallen, zu ihm hernieder: dass er darin sich betrachte und bekenne, belächle und beweine, leicht- und tiefsinnig. Wes­halb dieses Buch benannt ist: der Eulenspiegel, und jeder in ihm findet etwas, das ihn ergötze oder erschüt­tere, nachdenklich oder zum reinen Klang stimme“.

Der Standpunkt des Eulenspiegels ist der Standpunkt der reinen Be­trachtung. Klabund beobachtet im Eulenspiegel die Wandlung der Schick­sale der Menschen und stellt sich jen­seits von Gut und Böse, Liebe und Hass. Auf einen wesentlich anderen Stand­punkt stellt er sich in manchen an­deren Werken, dort unterscheidet er zwischen Gut und Böse, dort liebt und hasst er. Die Polarität dieser beiden Standpunkte beherrscht das gesamte Schaffen Klabunds; eine synthetische Vereinigung dieser Standpunkte hat er kaum erstrebt.

Klabund war ein kritischer Kopf. In seiner „Deutschen Literaturge­schichte“ hielt er über die junge Ge­neration, der er selbst angehörte, ein strenges Gericht. Er sagt dort: „Der junge Mensch zwischen 1911 und 1918 fiel von einem Extrem ins andere: aus der Ekstase in die Verzweiflung, und umgekehrt. Er liebte allzu vage die Menschheit, ohne noch recht vom Menschen zu wissen. Er ist weitsich­tig: aber in der Nähe vermag er nichts zu sehen. Er will alles — und er­reicht nichts“. Und weiter: „Ich glaube nicht an die dauernde Überzeugungskraft brutaler Gewalt, von welcher Seite immer sie sich äußern mag. Der chinesische Denker Laotse sagt einmal: Das Zarteste überwindet das Härteste.“

Über die Bedeutung seiner eigenen Werke hat er sehr bescheiden geur­teilt. In der Skizze „Das Schreib­maschinenbureau“ verfasste er für sich selbst folgende Grabschrift:

„Er war ein Mensch, nicht weniger, nicht mehr. Er starb, bevor er starb. Möge er leben, nachdem er lebte. Mil­lionen gehen mit einem leeren, weißen Zettel zu Grab. Bleibt nur ein Wort von ihm für die Ewigkeit, so lebt er unsterblich im Liede des menschlichen Leides“…

Ein solches Wort hat Klabund in seinen lyrischen Gedichten gesprochen. Die schönsten von ihnen hat er seiner ersten Frau Irene gewidmet. Viele seiner kleinen Erzählungen sind ebenfalls von bleibender Bedeutung. Man muss auch das Verdienst Klabunds, nach den Mo­tiven des Ostens zu dichten, vollkom­men anerkennen. Denn es kommt bei einem Dichter nicht darauf an, woher er die Sujets seiner Werke genommen hat; es bleibt sich gleich, ob er sie der Heldensage, der religiösen Überlieferung, dem Volkslied, dem Leben entnommen hat, — die Hauptsache ist, was er daraus gemacht hat. Viele Schönheiten enthalten weiter der Eulenspiegelroman „Bracke“, der Ro­man eines Soldaten „Moreau“ und vor allem der Roman eines Zaren „Pjotr“. Trotz mancher historischer Fehler ist „Pjotr“ eine sehr große Dichtung. Mit genialer Intuition hat Klabund den Charakter des großen Reformators er­kannt und das Hohe und Niedrige in ihm mit erstaunlicher dramatischer Kraft und psychologischer Eindring­lichkeit gezeichnet. Dieser Roman be­weist vielleicht am besten, mit welcher dichterischer Einfühlungskraft Klabund begnadet war. Mit seinen lyrischen Dichtungen und seinem „Pjotr“ wird Klabund im Liede des menschlichen Leides weiterleben. Durch die weiten Felder dieses Leides ist er seinen eigenen Blumenpfad gegangen.

Gedichte von Klabund

FRÜHLINGSGEWÖLK

Frühlingsgewölk.  Die Stare
Singen schön.
Die ersten Regentropfen trillern
Am Dach.

Die Wetterfahne weht
Nach Süden.
Die kleine Wiese
Weiß viel.

Träum ich die Tanne?
Träumt die Tanne mich?
Es lebt und stirbt Sich leicht.

EPIGRAMM

Langsam ringt sich der Geist aus der Hülle des Unbewußten,
Und der Nebel gemach ballt sich zur festen Gestalt.
Wie ein Falter im Mai die Puppe bricht und die Schwingen
Zaghaft prüft und entzückt treibende Kräfte verspürt:
Mählich beginnt er den Flug, nicht weiß er das Ziel oder Ende,
Rings betäubende Luft, Taumel reißt ihn dahin.

ZUSPRUCH

Alles, was geschieht,
Ist nur Leid und Lied.
Gott spielt auf der Harfe Trost sich zu.
Welle fällt‘ und steigt.
Ach wie bald schon neigt
Sich dein Haupt im Tod. Dann lächle du.

AN IRENE

Du wehst um meine Wangen,
Du lächelst aus dem Licht.
Ich bin von dir umfangen
Im herbstlichen Gedicht.

Ich bin von dir umrundet,
Ich bin von dir umhallt.
Ich bin mit dir verbündet:
Gestalter und Gestalt.

Ich bin von dir umgeben,
Ich bin von dir umkreist.
Mein Sterben und mein Leben
Sind Geist von deinem Geist.

Märchen Sankt Jemand und Sankt Niemand

Von Klabund

Sankt Jemand und Sankt Niemand, zwei Pilgrime, begegneten einan­der auf der Landstraße des Lebens.

Sankt Jemand sprach: Wo kommst du her, Bruder? Du bist so gar be­trübt.

Sankt Niemand sprach: Ich komme aus dem Nichts und schreite ins Le­ben.

Und du? Du siehst gar fröhlich drein?

Sankt Jemand sprach: Ich gehe aus der Welt, das Scheiden wird mir leicht. Ich wandle ins Nichts.

Sankt Niemand sprach: Bruder, die Sonne steigt auf und versinkt. Der Mond nimmt zu, nimmt ab. Frühling, Sommer, Herbst und Winter, wech­seln wie Tod und Leben. Du stirbst. Ich werde geboren. Wenn ich einst sterbend dahinsinke, wirst du wieder den Pilgerstab aus meinen Händen nehmen.   Heilig ist das Leben. Heilig ist der Tod. Jemand ist heilig und heißt Sankt Jemand. Niemand ist heilig und heißt Sankt Niemand. Gott hält die Wage in seiner Hand: die Wage der Gerechtigkeit. Da schwebt in der einen Schale das Leben, in der andern der Tod. Sie wiegen gleich. Und also besteht nur die Welt. Und also sind nur du und ich. Ich war nicht ohne dich. Du wärst nicht ohne mich. Leb wohl. Stirb wohl. Wir begegnen uns immer wieder.

Sankt Jemand und Sankt Niemand gaben einander die Hand zum Ab­schied. Der eine schritt bergauf, der andere bergab. Sie sahen sich noch mehrmals um. Endlich verschwanden sie zu gleicher Zeit: der eine hinter einem Felsen der Höhe, der andere tief im Tal. Die Sonne versank, und leise begann das Horn des Mondes im Abend zu tönen.

In der Weltbühne erschien am 21. August 1928 ein Nachruf von Carl von Ossietzky:

Klabund

Et meure Paris et Helaine
quiconques meurt, meurt à la douleur …

François Villon

„Während grade in einigen Zeitungen über die Zukunft oder die Zukunftlosigkeit der Lyrik disputiert wird, stirbt der letzte freie Rhapsode, der Letzte aus dem alten Geschlecht dichtender Vaganten, dem das Versemachen so sehr Element war, dass es diesen gebrechlichen Leib für lange Jahre allein an die Erde zu binden schien.

Seine Begabung war unruhig und zuckend; in Beweglichkeit und Maskenkunst ohne Grenze. Es floss immer in einem schmalen Bändchen alles durcheinander: Heine, Rimbaud, Exoten, Rudolf Baumbach, Wedekind, Eichendorffs Mondscheinlyrik und Dialektwitz; Pathos, Melancholie und Biertischzote. Aus dem Einfall wurde blitzschnell Rhythmus, Wort, Refrain. Und über allem schwebte die einschmeichelnde Libertinage (Ausschweifung, Liederlichkeit) des Namens Klabund.

Er hatte keine Zeit und wusste es. Vieles von dem eilig Hingedichteten wird verwehen, trotzdem mehr übrigbleiben als von den meisten bändereichen Lyrikern seit Heinrich Heine. Vielleicht auch „Moreau“; gewiss „Bracke“.

Von seinen siebenunddreißig Jahren waren zwanzig eine rohe, handgreifliche Auseinandersetzung mit dem Tode. Ewige Flucht ins Sanatorium, Flucht vor dem kühlen Luftzug, Erbeben vor einem kleinen Kratzen im Halse, das den nächsten Anfall anzeigt. Das ist ein unmissverständliches Schicksal. Die Herren Poeten pflegen sonst immer sehr allgemein „am Leben“ zu leiden. Die Herren Lyriker namentlich pflegen von früher Jugend an mit dem Tod auf gutem Versfuß zu stehen, seinen Namen unnütz zu führen, um doch bald solide zu heiraten, und kleine Kinder und dicke Romane zu zeugen. Im Fall Klabund war das Leiden grausam deutlich lokalisiert.

Unter seinen vielen Schriften gibt es einen kleinen, wohl ganz vergessenen Band: „Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde“, der vor acht Jahren in einer Serie herausgekommen ist, die sonst bitter ernsten Bildungszwecken diente. Da wird über verstaubte Größen der Literaturgeschichte, die kein Scherer sonst ungeschoren lässt, so freundlich und kurzweilig abgehandelt wie hier:

„Heinrich Laube (aus Sprottau, 1806-1884) schlug die dramatische Pauke, dass einem Sehen und Hören verging. Sein Graf Essex war das erste Theaterstück, das ich als Knabe auf der Schmierenbühne einer märkischen Kleinstadt sah. Niemals mehr hat ein Drama solchen Eindruck auf mich gemacht. Ich sehe noch immer den schlotternden Essex im Kerker sitzen und höre auf einem vom Bäcker geborgten blechernen Kuchenteller zwölfmal die Stunde des Gerichtes schlagen. Alle Schauer jagen mir im Gedächtnis daran über den Rücken, und ich drücke den vereinigten Geistern von Laube und Essex pietätvoll und gerührt die Hand.“

Klabund (Alfred Henschke aus Crossen, 1891-1928) wird in die Literaturgeschichte und Nachschlagewerke eingehen. Möge er Federn finden, die so anmutig die Erinnerung an sein kurzes, krankes, melodienreiches Leben wahren.“

Eine der „trauernden Stimmen“ ist Eugenie Schwarzwald:

„Ach du liebe knabenschmale Gestalt, gütig-schüchterner Kinderblick, sanft-heisere Stimme – uner­träglich zu denken, dass ihr nicht mehr seid. So jung er ging, sein Ziel hat er doch erreicht. Früh schon hat man auf ihn gehört, ihn gedruckt. Er verstand, Interesse zu wecken, zu über­raschen, zu verblüffen, er wurde gelesen, aufgeführt. Aber was ist das alles gegen die Gedichte, von denen jedes ein Blutstropfen von ihm ist.

(…) Ein großer Liebender ist uns gestorben. In dem Sarg, der die zarten Glieder des jungen Alfred Henschke aus Crossen umschließen wird, begraben sie ein Herz mit, der merk­würdigsten Gefühle fähig, und einer Wärme, die man glaubt, nicht entbehren zu können. So überläuft es einen eiskalt am heißesten Augusttag.“

Alfred Kerr, sein früher Unterstützer, schreibt:

„… Ich weiß nicht, weshalb unsereins immer fest geglaubt hat, er könne trotz einer lebensbedrohlichen Krankheit achtzig Jahre werden. (…) In dem Maler Menzel, als er hochbetagt schied, fand man bei der Sektion uralte, glück­lich vernarbte Stellen der gleichen Krankheit.) Klabund hatte kein Glück. Nur das Glück, ein Dichter zu sein.“

Bernhard Ludwig Diebold (geboren am 6. Januar 1886 in Zürich, gestorben am 9. August 1945 in Zürich), der Schweizer Dramaturg, Literatur- und Theaterkritiker und Autor:

„… Er dichtete auf Verschwendung hin wie jene unbe­denklichen Meister früherer Zeit — die Komponisten von acht­zig Symphonien, die Dramatiker von tausend Stücken, die Maler der Wände von Kathedralen.

(…) Er starb im Sterbealter der Mozart und Raffael. (…) Hölderlin, Goethe, Heine, Rückert, Novalis, Eichendorff trug er in seiner Seele in die Welt der Technik und der bürgerlichen Auflösung. Er hat seine Seele nicht verraten. Er hat sich seiner Sentimentalitäten nicht ge­schämt.“

Und Klaus Mann findet die Zeilen: „Der Zauber, der seiner privaten Person eigen war, wird in diesen Versen und Fragmenten wirksam bleiben, solange man deutsch liest und singt.“

Der Schriftsteller und Dramatiker Hanns Johst schreibt einen „Brief zum Gedächtnis“:

„… Lieber Klabund, ich trat aus dem Museum zu St. Ulrich in Regensburg, ich hatte mich gerade bemüht, eine etwa 2000 Jahre alte Grab­schrift zu entziffern und diese Worte gefunden: Den Göttern der Unterwelt. Lucius Aurelius Tacitus Torquatus lebte 34 Jahre lang. Diesen Stein setzten dem Teuersten die Mutter Arcentia, sein Weib, die Süße… (…) … und kaufte mir, Du kennst sie selbst nur zu gut diese Angewohnheit, mit etwas Springlebendigem Bangnis zu verjagen, und kaufte mir eine Zeitung. Sie teilte mir knapp und unwiderruflich Deinen Tod mit. Plötzlich war es Nacht. Wir gingen Arm in Arm durch leere Straßen von Düsseldorf. Wir stritten uns um politische Dinge und warfen einander vor, dass wir beide nichts davon verstünden. Und wir ließen das Gerede von links und rechts, den Streit um des Kaisers Bart. Du sagtest mir Deine letzten Gedichte, wie Du sie gerade verschenkt hattest, an ein schönes Mädchen, an eine Sonnenblume, an einen Luftballon. Und auf einmal sagtest Du die Ballade vom deutschen Landsknecht: „0 Deutschland unser, das Du bist im Himmel! / Wir fühlen tausendfach Dein Weh./ Und deiner Söhne grauestes Gewimmel / Ist Stein zu Deiner ewigen Statue.

Ich umarmte Dich und rief: Noch einmal, und rief es immer wieder: Noch einmal! Eine französische Patrouille vertrieb uns von der Straße. (…) Und plötzlich zerstob die Nacht wiederum und ich fand Dein Ge­sicht im Gewühl des Münchner Hauptbahnhofes. Du ruhtest aus wie ein verlorengegangenes Gepäckstück, für Dich allein im Durcheinander von Menschen, die sich durch Züge hetzen ließen. Ich sprach Dich an. Dein Gesicht lag schräg über den Schultern, ein wenig verlegen und sehr hilflos. Ein kleines Mädchen hatte Dir gerade Dein Billet zweiter Klasse nach Rom geklaut. (…) Du fuhrst mit mir vierter Klasse nach Starnberg und lächeltest schon wieder. Und abermals zerfiel der Bahnhof zu lauter dunklen Flocken, es wurde ganz still und eng um uns. Du saßt an meinem Flügel und spieltest meiner Frau im Zwie­licht der herbstlichen Stube über meinem See mit einem Finger Melodien vor. Melodien aus Hafenkneipen (…) und sangst Reime dazu, die halb aus der Fremde waren und zur Hälfte Dir gehörten. (…) Lyrisch sein, heißt für einen Mann sehr tapfer sein müssen, so kam es, dass Dein Gesicht immer in einer heim­lichen Bereitschaft war, das leise Geständnis aller Deiner guten Worte offenen Auges und klarer Stirn, mit Leib und Seele zu vertreten.“

Der Pädagoge, Journalist und Schriftsteller Fritz Droop erinnert sich:

„…Wir trafen uns nach dem Theater im Garten des Durlacher Hofes. (…) Klabund erzählte uns von neuen Plänen. (…) Es war ein heißer Sommerabend, und weiße Motten flogen in das Licht der Bogenlampen über uns. Wir schauten oft hinauf; bald lag über dem Tisch der Schatten stummer Resignation. Denn Klabunds Gesicht war geisterbleich. Wir fühlten, was er dachte; keiner sprach ein Wort. Klabund aber zog ein Blatt Papier hervor und schrieb mit festet Hand:

Alles, was geschieht,
Ist nur Leid und Lied.
Gott spielt auf der Harfe Trost sich zu.
Welle fällt und steigt;
Ach wie bald schon neigt
Sich dein Haupt im Tod. Dann lächle Du!

Und Evelyne von Beyme schreibt über Klabunds Tod:

„…Als Klabund am 14. August 1928 in Davos (Schweiz) der Schwindsucht erlag, starb mit ihm nicht nur einer der meistgespieltesten Bühnenautoren Deutschlands, sondern auch einer der größten, unermüdlich auf Verbesserung abzielenden Sozialkritiker seiner Zeit.

Stetig präsent blieben Klabunds Anklagen gegen Krieg und Antisemitismus sowie die Darstellung des proletarischen Elends in seinen Gedichten („Die Harfenjule“, 1927).“

Zitieren will ich auch aus einem Brief von Carola Neher an Irene Heberle:

„… Innigsten Dank für Ihren liebevollen Brief. Sie haben mir sehr zu Herzen gesprochen. Ich bin sehr unglücklich und zuinnerst einsam. Der einzige Mensch, der mich kannte und verstand, den ich liebte und verehrte, ist fort. Nichts mehr in meinem Leben kann diesem Glück gleichkommen, das ich durch ihn empfunden.“

Eine heitere Erinnerung habe ich auch noch gefunden, wer sie erzählte, weiß ich nicht:

„… Klabund hatte sein chinesisches Theatermärchen „Der Kreidekreis“ geschrieben. Endlich kam er zu Geld. Es regnete Tausendmarkscheine an Tantiemen. Klabund zog nach Ber­lin und siedelte ins feinste Hotel — ins „Adlon“ —- über. Er wohnte in der sechsten Etage.

Um diese Zeit pflegte Klabund das Romanische Cafe sehr intensiv zu besuchen. Dort verkehrte die hohe Literatur und alles, was beim Thea­ter Rang und Namen hatte.

Klabund, der schmal und jungenhaft wie ein Primaner aussah, setzte sich – mit einem Schauspieler verabredet — an einen Tisch. Wer nicht kam, war der Schauspieler. Dafür setzte sieh eine reizende junge Dame an seinen Tisch. Beide nahmen kaum Notiz voneinander. Die junge Dame las in einem Buch, Schließlich beugte sich Klabund seitwärts und sagte leise: „Wie hübsch, dass Sie in einem Buch von mir lesen?“ Das Mädchen blickte kaum auf,   „Von   Ihnen?“, sagte sie, „Sie sind der Dichter? Pöh!“ Stand auf und verschwand.“

Ein gewisser Peter Panter, hinter dem sich Kurt Tucholsky verbarg, hat bereits vor Klabunds Tod eine Kritik der „Harfenjule“ geschrieben – die ist in dieser Biographie zu lesen. Darin heißt es u.a.: „Die meisten freilich sind Notentexte; sie pfeifen, brüllen, schreien und orgeln nach Musik. Das ist eines von den Heften, das ich einmal – in achtzig Jahren (…) zur Nachkontrolle lesen möchte. Mindestens zwanzig dieser Lieder werden dann noch frisch sein. Und das ist sehr viel.“

Guido von Kaulla fasst Klabund so zusammen:

„… 1928, zu Beginn seines achtunddreißigsten Lebensjahres, kann Klabund auf ein stattliches Werk, über 1500 Gedichte (von höchst unterschiedlichem Gewicht), zahllose Nachdichtungen, Romane, Theaterstücke, Essays und Artikel zu­rückblicken. Alle Versformen hatte er ausprobiert, die leichten des Chansons und der Brettl-Lyrik ebenso gut wie die klassischen Muster der Dichtkunst sind dem „lyrischen Schriftstellereibesitzer mit langjährigem Dampfbetrieb“ (angeblich hat Klabund sich selbst einmal so genannt, in Wahrheit dürfte diese Formulierung auf einen Spötter zu­rückgehen) schwerelos von der Hand gegangen.

Auch die Anhän­ger der Esoterik haben ihn übersehen, dabei kommt seine Neigung zu Mystik und Magie ihren Vorstellungen oft entgegen. Dass er in Vergessenheit geriet, mag an der fahrigen Unscharfe mancher Texte, vor allem der Romane, liegen. Die Brettl-Lyrik kann sich mit der von Kästner oder Tucholsky, Mehring oder Ringelnatz messen. Es liegt aber gewiss auch auf profane Weise daran, dass sich nach seinem Tode niemand systematisch und ausdauernd der Pflege von Klabunds Nachlass annehmen konnte oder wollte. (…)

Zu den häufigsten Motiven in Klabunds Dichtung gehört der Tod. In seiner vagantenhaft aufsässigen Lyrik wird der Tod verspottet, in seinen volksliedhaften Chansons dient er, zumeist mit beißendem Humor, als überraschende Pointe. In den elegischen, klagenden Versen wie etwa in den Irene-Ge­dichten wird er traurig beschworen oder hymnisch verklärt.

„Klabund war ein Tonfall“, erinnert sich später ein Freund, der Schriftsteller Hans Sahl. „Ein Lautenlied, gesungen in einer sternklaren Nacht von einem Sterbenden, dessen Tage gezählt waren.“

Ein „Totenlied für Klabund“ schrieb Carl Zuckmayer:

An Deine Bahre treten,
Klabund, in langer Reih,
Die Narren und Propheten,
Die Tiere und Poeten,
Und ich bin auch dabei.

Es kommen die Hamburger Mädchen
Samt Neger und Matros.
Wo werden sie jetzt ihre Pfundstück
Und all die Sorgen los?

Es kommen die englischen Fräuleins,
Wie Morcheln, ohne Kinn,
Wo sollen denn die Armen jetzt
Mit ihrer Unschuld hin?

Es kommt am Humpelstocke
Der Leierkastenmann
Und fängt aus tiefster Orgelbrust
Wie ein Hund zu heulen an.

Es kommt der Wilhelm Fränger
Die Laute in der Hand
Aus seinen Zirkusaugen rinnt
Statt Tränen blutiger Sand,

Es kommen alle Vögel
Und zwitschern ohne Ruh,
Sie decken Dich wie junge Brut
Mit flaumigen Federn zu.

Es kommt ein Handwerksbursche
Mit rotem Augenlid,
Der kritzelt auf ein Telegramm-Formular
Dein schönstes Liebeslied.

Es kommt auf Beinen wie ein Reh
Ein dünner grauer Mann
Der stellt die Himmelsleiter
Zu Deinen Füßen an.

 Wilhelm Fraenger (geboren am 5. Juni 1890 in Erlangen, gestorben am 19, Februar 1964 in Potsdam) war ein deutscher Kunsthistoriker und Volkskundler.

Fehlt noch der „Literaturpapst“ Marcel Reich-Ranicki, der schreibt am 30. August 1968 in der „Zeit“ über Fredi:

„… Damals, in der Weimarer Republik, war der Name Klabund in aller Munde. Heute ist er fast vergessen.

Gewiss, einiges von der Prosa und der Lyrik dieses ungewöhnlichen Dichters lebt noch im halb wehmütigen und halb ironischen Gedächtnis der Leser der älteren Generation. Aber sie scheinen, sofern man derartiges beobachten kann, nicht gerade darauf erpicht zu sein, sich erneut mit seinen einst so erfolgreichen „Romanen der Erfüllung“ und „Romanen der Leidenschaft“ zu befassen oder mit den Chansons und Brettlliedern der „Harfenjule“.

(…) Seine Dichtungen wurden mehr gelesen und gesungen als besprochen und häufiger rezitiert als analysiert. Und die dünnen, meist sehr attraktiv ausgestatteten Bände, in denen sie gesammelt waren, gehörten nicht ohne Grund zu den bevorzugten Geschenken einer ganzen Generation von Verliebten.

Doch jetzt (…) – lässt sich die simple Frage nicht mehr umgehen: Was taugt eigentlich Klabund heute?

Wie Franz Werfel, Kurt Tucholsky und Walter Hasenclever wurde auch er 1890 geboren. Aber er hat mit ihnen nicht nur das Geburtsjahr gemein.

Wie Werfel war er ein Träumer und Genießer zugleich, ein „Weltfreund“ und Hymniker, der emphatisch das Dasein feierte. Wie Tucholsky wurde auch er fortwährend von Unrast getrieben und von innerer Spaltung bedroht. Wie bei Hasenclever fällt auch bei ihm eine eigentümliche Mischung auf: aus Leidenschaft und Müdigkeit, aus jugendlicher Begeisterung und ostentativ zur Schau getragener Dekadenz. Und wie sie alle war er ein Ästhet par excellence und dennoch ein Vielschreiber. In der Sekundärliteratur wird gern – und in der Regel mit Zustimmung – ein Ausspruch von Ernst Lissauer zitiert: „Klabund ist nach meinem Eindruck durchaus ein Virtuose, das ist: jemand, der Ausdruck besitzt ohne Auszudrückendes.“ Bezeichnungen wie „hemmungslos“ und „leichtsinnig“ tauchen wiederholt auf, und auch die fatale Vokabel „wurzellos“ blieb ihm nicht erspart.

Indes liegt dieser Fall, glaube ich, doch etwas anders. (…)

Die Schranken, die die Krankheit ihm auferlegte, steigerten seine Sehnsucht nach absoluter Freiheit – gesellschaftlicher, künstlerischer, erotischer. Gefesselt träumte er von vollständiger Entfesselung. Ein Gehetzter, ein Taumelnder und Verlorener, ließ er seinen Weg bis zuletzt von poetischer Phantasie bestimmen und seine Poesie von der Fülle des Daseins: Im bewussten Wettlauf mit dem Tode lebte er seine Dichtung und dichtete er sein Leben.

Und als er, siebenunddreißig Jahre alt, aufhörte zu sterben, da war er der Verfasser von 17 Lyriksammlungen, 10 Romanen, 8 Dramen, mehreren Erzählungsbänden sowie einer amüsanten und anregenden „Literaturgeschichte“ – von zahlreichen Nachdichtungen, Bearbeitungen und publizistischen Beiträgen ganz zu schweigen. Zwischendurch hat er es noch geschafft, die Arbeiten verschiedener deutscher und ausländischer Dichter in kleinen hübschen Editionen herauszugeben.

So umfangreich sein Werk, so vielseitig ist es auch. Er konnte, scheint es, was er wollte: vom historischen Roman bis zur Boulevardkomödie, vom Volkslied bis zum Pamphlet, von der Legende bis zur Groteske, von der Idylle bis zur Parodie, von der feierlichen Ode bis zum schnoddrigen Song. Er schrieb mit vielen Federn, alle Stile waren ihm recht: Wer Lust hat, kann ihn für den Impressionismus in Anspruch nehmen oder für die Neuromantik, für den Expressionismus oder für die Neue Sachlichkeit.

Von einem Extrem fiel Klabund ins andere, er war abwechselnd zart und derb, sensibel und vulgär, demütig und herausfordernd, esoterisch und volkstümlich. Er schwankte zwischen Euphorie und Melancholie, zwischen Ekstase und Verzweiflung. Banales und Verblüffendes, Läppisches und Hochbeachtliches finden sich in seinen Werken hart nebeneinander.

Aber so gewiss Klabund viele Gesichter hatte und unzählige Masken trug, so wenig trifft es zu, dass er leichtsinnig mit Motiven und Stilen jonglierte.

Nicht wurzellos war seine Kunst, sie hatte eher allzu viele Wurzeln – im Alltag und in der Literatur, in der Gegenwart und in der Vergangenheit. Das „Auszudrückende“ fehlte ihm ebenso wenig wie Bravour oder Talent. Es wird wohl umgekehrt gewesen sein.

Denn Fülle kann in der Kunst Dürftigkeit verschulden, Reichtum sich unversehens als Armut erweisen und die Omnipotenz schlechterdings zur Impotenz führen. Mit anderen Worten: Klabunds außergewöhnliche Reizbarkeit war seine starke Seite – und zugleich auch seine entscheidende Schwäche, sein Unglück. „Der Gestalten, der Gewalten – Sind zuviel – klagte er. Sein Temperament trat über alle Ufer, er indes hatte weder Kraft noch Lust, es einzudämmen. Doch wer würde sich wundern, dass ein Sterbender darauf verzichtet, mit seinem Pfunde zu wuchern? Jedenfalls eignet fast allen seinen Arbeiten etwas Flackerndes und Verflackerndes, sie muten in der Regel skizzenhaft und fragmentarisch an.

Zumal die Romane, die er von sich schleuderte, als wären es gewaltige Blöcke, enthalten häufiger Ansätze und Versprechen als Ergebnisse und Ausführungen. Sind diese Bücher, die meist historische Gestalten und dekorative Milieus behandeln – Mohammed, die Borgias, Peter den Großen, General Moreau, Rasputin –, eigentlich unausgegorene Produkte? Nein, eher wohl grandiose und – mit Ausnahme von „Bracke“ – kaum oder überhaupt nicht verwirklichte Entwürfe eines Dichters, der nie Stoffe zu suchen brauchte, der vielmehr Mühe hatte, sich der auf ihn geradezu einstürmenden Themen zu erwehren. Extreme dramatische Szenen verband Klabund – oft unvermittelt und abrupt – mit hochgespannten, nicht weniger extremen lyrischen Partien. Der schnelle Wechsel der Bilder, Rhythmen und Stimmungen bewirkte eine damals neuartige und überraschende Dynamik. (…)

Nirgends freilich wird das Talent Klabunds, seine Skala und seine Gefährdung, deutlicher als in der Lyrik: Sie beweist seine Virtuosität nicht weniger als seinen Hang zum Eklektizismus. Da hört man bisweilen das Echo der deutschen Dichtung von Gryphius über Goethe, Mörike und Heine bis zu Rilke und Hofmannsthal.

Und zugleich fallen Verse auf, die daran erinnern, dass Klabund letztlich doch zur expressionistischen Generation gehört, etwa diese Zeilen, die gegen Ende des Ersten Weltkriegs entstanden sind:

Es werden Tage kommen
Sonnenlose ohne Gelächter.
Brachfelder.
Kein Korn glänzt.
Leichen rollen in den Flüssen.
Die Eisenbahnen sind voll toter Fahrgäste.
Eine Tanne
Steht noch – vielleicht.
Das Gehörn einer Gemse
Hängt am Abgrund.

Vielen seiner Gedichte, zumal der zwanziger Jahre, gebührt Anerkennung und Respekt, und doch lassen sie sich nicht ohne ein leises Unbehagen lesen, das allerdings die Lyrik mancher seiner bedeutenderen Zeitgenossen ebenfalls auslöst. Denn auch Klabunds gelegentlicher Lebensüberdruss und seine Klage über die Vergänglichkeit („Was du immer hältst in Händen, / Mädchen oder Buch. / Ach, wie bald wird es sich wenden“) erweisen sich als eminent sangbar. (…)

Am sichersten findet Klabund seinen eigenen Ton in jenen Arbeiten, denen er wahrscheinlich die geringste Bedeutung beigemessen hat: in den meist für das Kabarett geschriebenen Couplets und Balladen, Chansons und Bänkelliedern. Hier gelingt ihm wie von selbst die Verbindung des Schwermütigen mit dem Flotten und des Graziösen mit dem Kessen.

Man könnte einwenden, dass in diesen Gedichten der Witz nicht selten den Humor übertreffe und die Koketterie zuweilen die Kunst diskreditiere. Auch sei es, mag oft von Wedding, Köpenick oder Plötzensee die Rede sein, doch Vorstadtlyrik für den Kurfürstendamm.

Schon möglich, aber eben sie ist für die Berliner zwanziger Jahre charakteristisch – wie das so erfolgreiche Liedchen mit dem Refrain: „Und ich baumle mit de Beene, / Mit de Beene vor mich hin.“ Solche und ähnliche Verse Klabunds – illusionslos und sentimental, schnoddrig und melodramatisch – lassen uns immer noch jenes Klima und Aroma spüren, das sie einst sowohl wiedergaben als auch selber mitschufen.

Die Marginalien sind es, die Klabund in die Nähe von Ringelnatz und Mehring, von Brecht und Kästner rücken, von Großstadtdichtern also, die man wenige Jahre nach seinem Tod mit der schönen und treffenden, mir besonders sympathischen Bezeichnung – ich meine das ganz aufrichtig und ohne Ironie – „Asphaltliterat“ bedacht hat. Auch Klabund wurde im „Dritten Reich“ so genannt und, obwohl er im Grunde ein unpolitischer Autor war, verboten.

Wie man sieht, haben ihn die Nationalsozialisten durchaus richtig eingeschätzt.“

Das Schlusswort unter dieses Kapitel und meine Biographie von Alfred (Fredi) Georg Hermann Henschke soll Wilfried Reinicke aus Crossen haben. In einem Artikel – erschienen in den Crossener Heimatgrüßen – schreibt er:

„… Eine Ruhebank für den Dichter Klabund, der hier in Krosno damit wieder seinen Platz findet, eine gute Idee! Und die Krosnoer, die ihn ja schon kennen, können ihm als Banknachbarn nahe rücken.

1890 als Sohn des Apothekers Dr. Alfred Henschke hier geboren, besuchte Klabund das Gymnasium, das es in Krosno neben dem Schloss auch heute noch gibt. Er kannte noch die alte hölzerne Oderbrücke und fing Fische in der Oder Hier lernte er schwimmen, und er kannte auch den Verkehr bei Hochwasser der Oder in den engen Straßen von Crossen. In seiner Ode an Crossen, dem großen Crossen-Gedicht, kommt seine Liebe zum Ausdruck.

Klabund verließ seine Heimatstadt Crossen: um zu studieren, wegen seiner Krankheit und wegen seiner Dichtung, für die seine Eltern zuerst wenig Verständnis aufbrachten. Er hielt sich in München, Berlin und in der Schweiz auf. Er war vielseitig, sehr fleißig und originell: so wurde Klabund der viel gelesene Dichter seiner Zeit mit Gedichten, Romanen und Bühnenstücken.

Bei einem Besuch in Crossen mit seiner zweiten Frau, der Schauspielerin Carola Neher, wollte er an einem Sonntag im Geschäft meiner Eltern einen Badeanzug kaufen – für einen Badebesuch an einem Crossener See!

Und Klabund kam 1926 mit seinem erfolgreichen Bühnenstück „Der Kreidekreis“ nach Crossen und feierte mit den Crossenern und den Schauspielern.

Sein kurzes Leben endete 1928: am 9.9.1928 wurde die Asche Klabunds auf dem Bergfriedhof hier oben beigesetzt: sein Dichterfreund Gottfried Benn sprach Gedenkworte.

Auf dieser Bank nun wünschen wir ihm und denen, die sich zu ihm setzen:

heitere Ruhe für Klabund!

Wilfried Reinicke, zum 25. Mai 2012

Ich werde ewig meine Seele lieben
In ihrer Ruh, in ihrer Raserei.
Geliebte, Ewige an meinen Mund:
Ich bin und war und werde sein Klabund.