Eine derartige Weite des literarischen Erlebnisfeldes war gemeinhin des Landes nicht der Brauch: nebeneinander prasselndes Feuerwerk und stille Flamme, gefühlsstarke Lyrik und kesser Klamauk, zeitpolitische Kabarettchansons und Nachdichtungen chinesischer Verse, Brünstiges und Inbrünstiges, rasch zerfasernde Papierblumen und unverwelkliche Blüten. Zudem erschwerte das geysirhafte Herausschleudern von über 70 Verlagserscheinungen den Blick auf das Ganze eines Menschen, der auf der Literaturszene im ersten Viertel des Jahrhunderts einmaliges bedeutete: Klabund.
Als Alfred Henschke am 4.11.1690 in Crossen a. d. Oder geboren – gestorben am 14,8,1928 in Davos – durchlief er in seinem kurzen Leben Zeiten des Kaiserreichs, Weltkrieg, Revolution, Inflation und einige Jahre der Weimarer Republik. 1911 begann er, sich mit literarischen Veröffentlichungen durchzusetzen. Beim großen Leserpublikum hatte er 1913 den Durchbruch mit seinem ersten Gedichtband: „Morgenrot! Klabund! Die Tage dämmern!“ Dieses erst nur zu gelegentlicher Verwendung bestimmte Pseudonym „Klabund“ (Familienname eines Apothekerkollegen seines Vaters) hatte er bald ganz übernommen, weil es infolge einer Gerichtsverhandlung seinen Vatersnamen an Werbewirkung ganz erheblich übertraf. Dieser junge Dichter, keiner Gruppe zugehörig, hatte bald eine große Gemeinde, die seine Verse mitzuatmen und die Ausdruckskraft seine; Prosa zu erleben wusste.
Sein dichterischer Leitstern war Goethe. Zu seinen Ahnen zählte er Johann Christian Günther, den Lyriker des Spätbarock, C. M. Bellmann, schwedischen Sänger des Rokoko, den französischen Chansonnier Aristide Bruant und den Dichter Peter Hille. Den Sinn für überlieferte Dich tung zeigten später die Taschenbücher mit seiner Geschichte der deutschen und der Weltliteratur. 1915 hatte er die Form für seine Romane gefunden, die in ihrer knappen Gestaltung der entscheidenden Handlungs- und Dialog-Elemente später als Vorwegnahme von Tonfilm Treatments erschienen. Im gleichen Jahr entstanden Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Wechselvoll waren die Schicksale seiner dramatischen Arbeiten. So kam nach dem Durchfall seines „Cromwell“-Schauspiels der Vers auf: „Auf den Hund kommt Klabund, nicht reich, nicht gesund. Vor allzugrossem Mist bewahre ihn, Herr Jesus Christ!“ Nicht reich: erst drei Jahre vor seinem Tode enthob ihn der Erfolg seiner Bearbeitung des altchinesischen Dramas vom „Kreidekreis“ der finanziellen Sorgen. Nicht gesund: Sehr früh tuberkulös geworden, stand gerade sein leidenschaftlicher Erlebnistrieb einem bei ruhigem Leben möglichen Krankheitsstillstand entgegen.
Es gehört zu den über ihn verbreiteten Legenden, er sei beeinflusst worden von dem spätmittelalterlichen französischen Poeten Villon und von Brecht, Für Villon wurde er 1916 zum Wegbereiter, als ei dessen Gestalt in erhöhender Sicht durch eine „Grabrede auf Francois Villon“ ins Bewusstsein der Öffentlichkeit hob. Das „lyrische Porträt“ „Der himmlische Vagant“ war J. Chr. Günther gewidmet und nur aus verlegerischen Gründen wurden dann diese Gedichtbündel Villon-Nachdichtungen eingefügt, Bert Brecht aber war von ihm, dem bereits ausgereiften Dichter, früh als ungewöhnlich begabt erkannter und geförderter Nachwuchsautor, mit dem ihn aber keine Freundschaft verband,
Klabunds Gegner nannten ihn einen „“Konjunkturbuben“, einen mit Nuditäten bluffenden Feuilletonisten und „Individualitätsttrottel. Sie parodierten sein „Ich würde sterben, hätte ich nicht das Wort“ in „Er müsste sterben, hätte er nicht die Wörter“. Mildere Ablehnung: er sei nur eine „interessante Zwischenfigur in der Literatur seiner Zeit“ und „keine originale Persönlichkeit“, Dagegen spricht aber die Unverwechselbarkeit und die unverminderte Lebenskraft seines Werks, Im Nachruf sagte der Kritiker Alfred Kerr: „Klabund hatte kein Glück, nur das Glück, ein Dichter zu sein. Was aus ihm herausquoll war. nicht gekrampft, nicht zeitgierig, nicht programmatisch und nicht musiklos“.
Guido v. Kaulla