Das Sinngedicht des persischen Zeltmachers
Neue Vierzeiler nach Omar Khayyâm
Alle Rechte besonders das der Übersetzung vom Verlag und Autor vorbehalten Copyright 1917 by Roland Verlag
Eine Vorzugsausgabe von Klabund. Das Sinngedicht des persischen Zeltmachers wurde im Auftrag des Roland-Verlages in der Buchdruckerei R. Oldenbourg in München auf Bütten gedruckt. In den Handel kamen 100 Exemplare, die von I-C nummeriert und vom Verfasser signiert sind.
MEINEM VATER
Du leichter Schatten,
Wolkenschmetterling,
Ich fühle dich an
meinen Wimpern hängen.
Der schwarze Schmerz, das dunkle Ding,
Begeistert mich zu strahlenden Gesängen.
Erhebt euch, Brüder, tanzt mit meinem Wort,
Ich will die Verse schön wie Frauenfuße setzen!
Ach, ich bin hier und dort
Von Sternen nur ein Pfützenglanz, vom Himmel
nur ein Fetzen.
Ich deck mit diesem Tuche meine Blöße,
Nackt wandelt nur mein Kamerad, der Tod.
Er achtet mein Gesetz. Ich diene seiner Größe
Und opfre knieend ihm im Morgenrot.
Ich habe nie vermeint, mich selber zu erkennen.
Ich drehte oft am Karrn das fünfte Rad.
Zu Asche muß sich brennen
Die Flamme Mensch, die Gott entzündet hat.
Entzündet hat sie Gott, das Weib soll sie behüten.
Sie aber stellt das Feuer in den Wind.
Der bläst zu Rauch die roten Blüten
Der Mannheit, die wie Hyazinthen sind.
Ein jeder ist von einer Frau geboren,
Die einst ein Mann in seine Arme nahm.
Die Perlenkette reißt. Die Perlen sind verloren,
Und keiner kehrt zurück, woher er kam.
Ud wünschte mancher, seiner Mutter
Im Mutterleib verstorbner Sohn zu sein.
Nun treibt es ihn wie einen steuerlosen
Kutter Ins blaue Meer der Menschlichkeit hinein.
Laßt uns die Segel nach den Winden hissen
Und achtet auf der Möven Flug!
Sie ahnen nicht: sie wissen…
Und ihnen dünkt ihr weißes Sein genug…
Wer schließt das Herz bei göttlichen Gebeten,
Wer schließt die Augen, wenn die Sonne steigt?
Ich hasse euch, ihr höllischen Asketen,
Den grauen Kutten finster zugeneigt.
Ich schließe meine Blicke nur im Kusse,
Wenn das Entzücken tief ins Innre dringt
Und rauschend, gleich dem heiligen Flusse,
Aus Felsgestein die selige Quelle springt.
Da blinkt erhellt die magische Laterne,
Die uns verzaubert zu den Schatten schickt.
Die Nähe scheint zu nah, es scheint zu fern die Ferne,
Und nur der weise Wunsch beglückt.
Wir sind nicht Schatten mehr. Wir wurden zu
Gestalten.
Der Töpfer knetet uns aus Ton.
Er meißelt in die Stirn uns dürre Falten
Und stellt uns auf den Markt für Hundelohn.
Wie können wir uns dieses Zwanges wehren?
Sieh: dieser Henkel hier am Krug von Lehm,
In dem wir das erstarrte Handwerk ehren,
Schlang sich als Arm um einen Nacken ehedem.
Du, der Du bist von keinem Mann gezeugt
Und der wie Duft steigt aus dem Saft der Reben:
Beug Dich vor mir, wie sich mein Knie vor Deinem
Wahnsinn beugt.
Vergieb uns, wie wir Dir vergeben!
Ich bin kein Freund der funkelnden Moscheen,
Einsam such ich in Schenken meine Ziele.
Wann würde ich Dein wahres Antlitz sehn,
Wenn nicht im Frauenangesicht die Maske fiele?
Ich bin, o Gott, dein treuester Vasall,
* Ich bin, o Geist, dein wildester Rebelle.
In bin dein Ziegenhirt, dein Seneschall,
Ich bin dein Fels, dein Turm und deine Schelle.
Ich bin der Tugend Glanz, des Lasters Stank.
Ich bin dein Priester und dein Trunkenbold.
Ich bin dein Fluch, dein Traum und dein Gesang,
Ich will, o Gott, weil du mich einst gewollt.
Du hast das Mahl für deinen Gast bestellt,
Pastete, Wein, Geflügel, die mich kirrten.
Ich hoffe, daß du auch in einer andren Welt
Den Fremdling gleicherweise wirst bewirten.
Denn leugne nicht: ich bin dir fremder als
Die Krüge, die dort auf dem Bordbrett lehnen
Und dennoch lieg ich weinend dir am Hals,
Und du, du segnest meine Tränen.
Ich kam, o Gott, zu spät auf diese Welt.
Ich darf mit Vorsicht nur noch Mensch mich nennen..
Ich bin ein abgemähtes Feld,
Auf dem die legten Erntefeuer brennen.
Du fragtest mich nach meinem Leid und Glück,
‚Und ob ich alles dies erdulden möchte.
Du stießest in den Urwald mich zurück,
Daß ich aus Palmenfasern mir mein Lager flöchte.
Dies Lager ist kein Teppich des Gebets,
Der Rücken schmerzt. Es fiebern die Gelenke.
Tönt abendlich der Sang des Minarets,
Streb ich bezaubert in die Schenke.
Ich neige bei der Frauen monotonen
Gesängen meine graugepflügte Stirn.
Ich weiß, wir armen Menschen wohnen
In einer Wildnis, die wir nicht entwirrn.
Ich will wohl brünstig an das Höchste glauben,
Wenn mir das Schicksal nicht den Glauben wehrt.
Doch rechne ich mich zu den Stumm- und Tauben,
Wenn mich ein Mörder ewiges Leben lehrt.
Einst floß die Sintflut über unsren Leibern,
Jetzt überfällt uns eine Flut von Wein.
Verschlaf des Lebens Nacht bei schönen Weibern
Und sauf, so wirst du deiner ledig sein.
Wie Ambra duften, Mädchen, deine Locken,
Und deine Lippen sind wie Blumen sanft.
Dein Haar steht gelb wie reifer Roggen
An deiner Stirne lilienweißem Ranft.
Jetzt will ich nur noch deinen Nacken küssen,
Der leichte Baum ist doch wie blondes Schwert.
Ich habe immer Frauen lieben müssen,
Die ihre Wimpern dumpf zum Licht gekehrt.
Ich rannte kreuz und quer durch dieses Leben,
Ich sah zur Sonne und zum Mond.
Ich klebte fliegenklein in Spinnenweben
Und hab in Höhlen krötenfeucht gewohnt.
Doch sah ich nie Geschöpfe, die dir glichen,
O vierzehnjährige Frau!
Der Morgen ist vor deinem Glanz erblichen,
Mit deinen Tränen weint der Abendtau.
Vor deinem Wuchs krümmt sich die schlanke Fichte,
Vor deiner Weißglut scheint die Sonne kalt.
Mein Antlitz spaltet sich in viel Gesichte,
Und jedes spiegelt mich als Mißgestalt.
Und doch, wie viele Mädchen sind
Vor dir, mein Kind, schon auf der Welt gewesen.
Und immer wieder weht der Wind
Und neigen Frauen sich beim Ährenlesen.
Der Mond wird oft noch über den Syringen
Der Schwermut blasse Kerzen nachts entünden,
Gleich einem Diener dir den Leuchter bringen —
Er wird dich suchen und dich nicht mehr finden…
Ach , unterm Rosenstock, der blühend winkte,
iegt ein enterbter König hingemeuchelt.
Der Krokos, der mit Weisheit dich beschwingte,
Gab seinen Blütenschatten nur geheuchelt.
So will ich lieber tausend Schwüre brechen
Als einen Krug, der noch zum Weine gut ist.
Komm, Bruder Gott, laß uns im Dunkel zechen!
Ich trinke deinen Geist, der rot wie Blut ist.
Es blüht in mir der grüne Garten Eden,
Die Hölle speit mich an mit Rauch und Ruß —
Den Händlern gleich in den Arkadenläden
Setz ich auf Teppiche von Qual den Fuß.
In mir ist beides: Himmelreich und Hölle.
In mir ist Gott und Teufel, Lust und Qual.
Ich bin das Meer, ich bin die Quelle,
Ich bin der Leichnam, der Schakal.
Und dieser Krug, den ich am Munde halte:
Er ist ein Abbild andrer Krüge nur.
Das Neue wird so ganz und gar das Alte –
Und eine gleicht der andren Wagenspur.
Ich würde weinen, wenn ich Tränen hätte.
Die Grille zirpt. Ein fremder Vogel schreit.
Ich wälze ruhlos mich auf hartem Bette —
Vergänglichkeit – Vergänglichkeit.. .
Entsetzlichstes der Worte, das erfunden:
O daß ich morgen nicht mehr heute bin!
Ich rausche wie ein Fluß von Stund zu Stunden
Und bin am Ende schon kaum zu Beginn.
Dies lockt zum Laster: daß wir sterben müssen.
Was jubelt ihr von einem Jenseits doch?
Ich will vergehen unter Huriküssen,
Mich beugen unter schlanker Arme Joch.
Ich bin von einer Nacht zum Morgen wieder
Der leichte, lose Junge, der ich war.
Ich trage wie im Tanze meine Glieder,
Und Frühlingswinde rauschen durch mein Haar.
Wo ist die Traurigkeit der vielen Stunden?
Des Nebels graue Öde ist dahin.
Ich habe mir aus Sonnenstrahlen einen Strauß gebunden
Und diene einer milden Königin.
Ich trage ein Gestirn an meinem Ringe,
Das fiel vom Himmel als ein Edelstein.
An meinen Schultern glänzt Libellenschwinge,
Ich ströme selig über Au und Rain.
Wenn nachts das Dunkel Gram und Elend brütet,
Kehr ich erheitert in den Tag zurück.
Ich liege in der Wiege Welt, behütet
Von der Geliebten goldnem Mutterblick.
Am Morgen wacht man auf. Man schlendert in
Bazare,
Kauft einen Teppich oder zwei.
Betrachtet die und lobpreist jene Ware
Und also geht der Tag vorbei.
Es sprach der Scheik: Du liebst die schönen
Mädchen;
Sie sind wie Rauch, und keiner kann sie haschen.
Ihr Herz rollt wie ein Spielzeug leicht auf Rädchen.
Komm trinken, Freund, tu Silber in die Taschen.
Der Engel der Verheißung naht dir dann
Mit blauen Flügeln, die dich leicht beschweren.
Er lehrt dich Wolke sein und Sonnenmann
Und Mohn und Rade unter edlen Ähren.
Er schlägt Gestein aus deiner harten Brust
Und türmt dich zu unendlichen Gebirgen.
Du saugst der Höhe reine Ätherlust
Und brauchst der Tiefe Stickluft nicht mehr würgen.
Was soll, sprach ich, dein aufgestecktes Wort?
Du scheinst ein anderer, Gaukler, als du bist.
Die Rebe ist in diesem Jahr verdorrt.
Das Korn steht dürr. An Regen fehlts und Mist.
Was nennst du mich Gebirg und Felsengrat?
Ich bin nur groß, weil ich so Großes leide.
Ich weiß mir selber keinen Rat,
Und du verlangst, daß ich auf Steinen weide?
Des Hochgebirgs Gedenken muß ich hassen,
Sein Anblick ist es, der die Seele steinigt,
Denn glaubte sie sich vom Geröll gereinigt,
Schon schwemmt ein Gießbach neue Kieselmassen.
Geängstigt scheut sie vor dem harten Treiben
Und flüchtet gemsengleich auf steile Flächen,
Da naht das Licht in heißen Strahlenbächen,
Und ach, sie kann nicht auf dem Gipfel bleiben.
Es schmilzt der Schnee, es schmilzt der Gram der Berge
Im Sonnenkuß des Frühlings liebend hin.
Wir aber sind wie steingeformte Zwerge,
Entbunden einer Träumerin.
Wir schmelzen nie. Wir leuchten angekettet
Am Sonnenwagen, Sklaven seinem Licht.
Und wer uns etwa rettet,
Er rettet unsere Kinder nicht.
Ich war ein Kind. Nun hab ich selbst ein Kind,
Ich heb es fröhlich aus der Taufe.
Ich schenk ihm meinen Mut als Angebind,
Und alle Liebe trage ich zu Haufe.
Mein Kind macht seinen ersten Gehversuch.
Es eilt von Tisch und Wand zu welchen Fernen.
Es hängt an meinem Bein, es stützt sich auf mein Buch,
Ich will mit meinem Kinde gehen lernen …
So wie der Teller, leicht gewölbt, die Last
Der süßen Früchte gern und willig trägt,
So bist auch du, von Farben wirr bewegt,
Ein rundes Etwas nur voll Rast und Hast.
Wie wild du in den Nordwind schreist und harfst:
Zufrieden sei, daß dich ein Licht bestrahlt,
Daß Gott ein wenig bunt dich angemalt,
Und daß du manchmal Früchte tragen darfst …
Auf Tafeln ist das Sein uns vorgeschrieben,
So daß uns nur der Weg des Rhythmus blieb.
Das andere heißt: hassen oder lieben,
Weil Gott die Zeile »du« schon längst zu Ende schrieb.
Als er mich schrieb, da zitterten die Hände,
Und seine Augen waren blind:
So bin ich denn an meines Lebens Ende
Wohl Greis, und doch als Greis ein Kind.
Ich bin der Stein am Ringe der Natur
Ich bin ihr Sinn, ihr Rat und ihr Gerät.
Der Hagel, der in meine Felder fuhr,
Ich hab ihn bei der Aussaat nicht gesät …
Die Menschheit liegt in einem steten Krieg,
Seitdem sie Gott in seinem Wahn geschaffen.
Ein jeder glaubt an seines Glaubens Sieg.
Ein jeder traut dem Trotze seiner Waffen.
Wir hauen mit den Schwertern auf uns ein,
Wir beißen uns wie Hunde ineinander.
Und Trost ist nur im Rausch, und Rausch ist nur im Wein
Und in der Liebe zärtlichem Selbander.
Und als den Feind ich warf in Staub und Sand,
Dem Tränen Blutes aus den Augen rannen,
Da sprach er leis: Du, der mich überwand,
O hebe, eh du fällst, dich doch von dannen!
Der du auf deiner Schwere nur beruhst,
Und eisern deine Faust ins Handwerk reckst:
Bedenke, wie du schlafend Träume tust
Und wie ein Hund der Herrin Hände leckst.
O wolle nicht die Schwachen überblitzen
Gewitternd und mit donnerndem Getön!
Wann scheuchte Gott von seiner Hand die Gnitzen?
Ein wenig Blut von ihm macht jedes Wesen schön.
Der Gott spielt Schach mit uns. Die schwarzen Felder
Des Brettes deuten Nacht, die weißen Tag.
Die Schwangerschaft ist unsres Spiels Vermelder,
Das am Geburtstag noch beginnen mag.
So stellt er König, Läufer, Dame, Bauer
In Tag und Nacht, ganz wie es ihm beliebt.
Hier steht ein dicker Turm auf seiner Lauer,
Ein Springer dort, der scheinbar Vorsprung giebt.
Schachmatt. Die Fahnen sinken von den Masten.
Und unwirsch wirft der Spieler das Gebein
Der knochigen Figuren in den Kasten
Und läßt das Spiel gewesen sein.
Ich geh betäubt zum abendlichen Mahle,
Mit Nebel der Erinnerung bekränzt,
Da naht der Engel mit der klaren Schale,
Der mir den dunklen Trank kredenzt.
Und als wir unsre Augen höher hoben,
Da glänzten sie ertrunken wie in Wein.
Die goldnen Ströme der Gestirne schnoben
Zu unsren Füßen leopardenklein.
Die Kröten krochen mit azurnen Bäuchen,
Die Tannen weinten weißen Morgentau,
Und aus den Teichen, Wolken und Gesträuchen
Trat blau der Himmel, sanft wie eine Frau.
Die Sonne raste an der dunklen Kette.
Uns aber fror die Zunge, daß sie schwieg.
Und gläsern funkelte und klang die Mette
Und salbte uns mit ewiger Musik.
Am Morgen wacht man auf. Man schlendert in Bazare,
Kauft einen Teppich oder zwei.
Betrachtet die und lobpreist jene Ware
Und also geht der Tag vorbei.
Man eilt zur gleichen Tür hinaus,
Durch die des Händlers Bude man betreten.
Ein altes Blumenmädchen reicht uns einen Strauß.
Man fragt: Woher? Wohin? Von welchen Beeten?
Der Veilchen, Nelken, Rosen, Anemonen
Schwüle Gerüche uns wie Sklaven fächeln.
Und wie wir das verhärmte Weib entlohnen,
In ihren Augen blitzt ein Dirnenlächeln.
Ich bin ein kleines Licht und brenne in den Schenken,
Am rechten Ort, verwahrt vorm Windeswehn,
Ich bin nicht Ampel über heiligen Bänken,
Ich wär ein Nichts im Glanze der Moscheen.
Ich ehre den Koran. Und mir gefällt sein Wesen;
Doch hat sein Studium wenig mir genützt.
Ich muß von Zeit zu Zeit die Verse lesen,
Die in den Rand der Krüge eingeritzt.
Warum hat Mohammed den süßen Wein verboten,
Den sauren Yoghurt doch erlaubt?
Ich sandt durch alle Himmel einen Boten
Mit Weinlaub schön behängt das junge Haupt.
Der Bote kam zurück. Sein Lächeln sah ich winken:
Mohammed meint, es habe keine Not.
Du darfts, o Omar, ewig darfst du trinken,
Da er den Toren nur den Wein verbot.
Bin ich ein Tor? Der Weisheit leichte Zelte,
Ich nähte schwer an ihnen mondelang.
Da kam ein Sturmwind, brüllend, und er fällte
Das Werk der Hände, das die Nacht verschlang.
Nun sitz ich nächtlich unter freiem Himmel
Und sehne mich nach deinem Stern, Saturn.
Und meine Seele weidet wie ein Schimmel
Auf dürrem Ödland mit verhaltnem Murrn.
Die sieben Tore öffnen ihre Flügel,
Und die Planeten wandeln ihre Bahn.
Schon führt der Morgen sein Gespann am Zügel
Und hinterm Hause kräht der Hahn.
Das Licht singt seine flammenden Gesänge,
Im rasenden Zenith, im sinkenden Nadir.
Da ich als Taube flog, geriet ich in des Greifen Fänge.
Nun trag ich seiner Krallen Mal an mir.
Ich darf euch das Geheimnis nicht vertrauen,
Nicht dir, mein schönes Kind, und nicht dem wertsten Freund.
Ich stehe blind vor allen schönen Frauen;
Ich bin ein Bettler, der durchs Weltall streunt.
Mein Gott, du warfst mir Münzen in die Mütze.
Die Mütze war verfilzt und zeigte Loch bei Loch.
Das Gold fiel in die Pfütze
Und liegt wohl in der Pfütze noch.
Ich bin zu stolz, es aus dem Dreck zu heben.
Ich will den Lohn aus deiner eignen Hand.
Ich will, o Gott, mein Leben
Und nicht ein fremdes zugewandt.
Als gestern ich mit den Kumpanen zechte,
Da blies der Abendwind die Kerzen aus.
Das Dunkel hing ins Haus wie eine Flechte,
Und unsre Augen sahen Gram und Graus.
Da schlugest du in dem entrückten Dunkel
Den Krug mir aus der fest gekrampften Faust.
Der Wein vergoß sich nieder mit Gefunkel.
Ich stand im Nichts, vom Tränenstrom umbraust.
Was nahmst du mir den Wein? Und löschtest die Laterne?
Spannst du auch mich an deinen Pflug? –
Es sprach ein Geist aus einer hohen Ferne:
Omar, du selbst zerschlugst den Krug.
Du warst von Liebe und von Freundschaft trunken
(Von Liebe doch und Freundschaft nicht allein … )
Da bist du in den Staub gesunken
Und fraßest Erde tief in dich hinein. –
Ich will die Trunkenheit dir zugestehen.
Ich brenne ewig, da ich mal entbrannt.
Die Sterne, die in deinem Hause stehen,
Sind Fackeln, die ich einst Dir zugesandt.
Du wirst das Paradies für mich verwahren,
Die schöne Huri, die so ruhlos schweift.
Dann, Herr, kehr ich vielleicht nach vielen Jahren
In ein Herz zurück, das mich begreift.
O laß mich sterben, Herr, ich bin ein toter Mann,
Was nützt mir noch ein weiteres Jahrhundert?
Fing ich noch einmal an, stürb ich noch einmal dann,
Dein Fangballspiel hat Omar nie bewundert.
Ich will die Stunden meines späten Tods
Mit den Geliebten und den Freunden bechern;
Dann tragt mich beim Gesang des Abendrots
Nach meines Hauses innersten Gemächern.
Dort steht ein Sarg aus härtestem Metall,
Legt mich hinein und wollt ihn gut verschließen,
Daß Frauenkuß und Früchtefall,
Des Seins Geräusche mich im Nichtsein nicht verdrießen.
Aus meinem Grabe aber steigt ein Duft
Von rosenfarbenen, von erlauchten Weinen,
Chimären wandeln seufzend durch die Luft
Und tanzen mit den schlanken Geisterbeinen.
Wenn dann ein Freund der fernen Ahnung lauscht,
Stürzt aus der Tiefe strömend süßer Odem –
Da sinkt er wohl, von Wein und Tod berauscht,
Gleich einem heiligen Trunkenbold zu Boden.
Nachwort
Der Perser Omar Khayyäm (Khayyäm bedeutet Zeltmacher), gestorben 1123 in seiner Vaterstadt Nischapur, ist durch des Ewald Fitzgerald englische Nachdichtung seines Rubaijat, die erstmals 1859 erschien, in der Schätzung Westeuropas zu einem der berühmte¬sten östlichen Dichter geworden, während man ihn vorher nur als mathematische oder lyrische Kuriosität zu schalen wusste. Das Rubaijat, eine Sammlung Vierzeiler, deren jeder für sich Phrase und Paraphrase, Ethos und Symbol bedeutet, ist nicht von Omar selbst, sondern von Hörern und Schülern, in deren Kreise er die Vierzeiler improvisierte, niedergeschrieben worden. Welche der Rubaijat, die Omar’s Namen führen, ihm mit Sicherheit zuzuschreiben sind, kann heute, vom scharfsinnigsten Philologen selbst, nicht mehr festgestellt werden. Die losen Beziehungen, die in den Rubaijat des Omar zwischen Dichtung und Dichter zu bestehen scheinen, die seine Verse wie Wolken schweben, seine Gedanken wie Schmetterlinge irren lassen — verlocken wie keine andere Dichtung der Weltliteratur zu freiester Nachdichtung. Ewald Fitzgerald hat etwa hundert Vierzeiler, die in der Urschrift in keinerlei Beziehung zu einander stehen, zu einem einzigen sinnvoll-schönen Gedicht bindend geformt. Seine Dichtung liegt den meisten deutschen Übertragungen des Omar zugrunde: am besten dünkt mich Fitzgerald’s Omar von Hektor G. Preconi verdeutscht zu sein, der in seiner Übertragung etwa die Hälfte der Vierzeiler Fitzgeralds durch bessere aus erst später bekannt gewordenen Quellen ersehen konnte. Sie ist in einer ebenfalls von Willy Orth, dem Zeichner des Sinngedichts, geschmückten Neuauflage in den Rolandbüchern erschienen.
Vorliegender Versuch der Schaffung eines neuen deutschen, nicht auf Fitzgerald beruhenden Omar, geht auf die freundliche Anregung meines Verlegers Dr. Albert Mundt zurück. Unter Benützung aller vorliegenden Quellen: Fitzgerald Rubaijat of Omar Khayyäm (Leipzig, Bernhard Tauchnitz 1910), Th. Quatrains of Omar Khay¬yäm by S. H. Whinfield (London, Trübner 1882), Strophen des Omar Chijam, deutsch von Adolf Friedrich Grafen v. Schack (Stuttgart, Cotta 1878 — die reichhaltigste deutsche Sammlung von Rubaijat, enthält deren 356) und vieler anderer wurde im Gegensatz zum mehr englisch-moralisierenden Omar des Fitzgerald die intuitive Rekonstruktion eines (selten gesehenen, aber gewiss gewesenen) rebellisch-schwärmerischen Omar erstrebt. Die Methode des Fitzgerald: ein einheitliches Gedicht zu erdenken, wurde beibehalten; die Reimform des Rubaijat a b a a in die deutsche Reimform a b a b verändert.
Irgendwelcher Erläuterungen bedürfen meine Verse nicht.
„Am liebsten aber wünschte der Verfasser dieses Gedichtes als ein Reisender angesehen zu werden, dem es zum Lobe gereicht, wenn er sich der fremden Landesart mit Neigung bequemt, deren Sprachgebrauch sich anzueignen trachtet, Gesinnungen zu teilen, Sitten aufzunehmen versteht. Man entschuldigt ihn, wenn es ihm auch nur bis auf einen gewissen Grad gelingt, wenn er immer noch an einem eigenen Akzent, an einer unbezwinglichen Unbiegsamkeit seiner Landsmannschaft als Fremdling kenntlich bleibt. In diesem Sinne möge nun Verzeihung dem Büchlein gewährt sein! Kenner vergeben mit Einsicht, Liebhaber, weniger gestört durch solche Mängel, nehmen das Dargebotene unbefangen auf.“
(Goethe, West-östlicher Divan.)
Davos, im September 1916.
KLABUND