Klabund Leben und Werk eines Poeten

Mitgeteilt von Heinz Grothe
Joachim Goldstein Verlag Berlin 1933

„Wenn ich gehe zu Gott,
Trag ich in Händen das Wort“

Lebensbild

In einem kleinen Winkel am Einfluß des Bobers in die Oder findet man die kleine, märkische Stadt Crossen. Sie liegt wie auf einer Insel, und die beiden Flüsse umbrausen sie in wilder Sehnsucht nacheinander, um sich dann stürmisch zu vereinigen. Duftende frische Wiesen ringsherum. Bunt glänzen die Dächer – blau rot und dar­über der fundamentale barockene Marienturm. Schließlich das Rathaus mit Treppen und Giebel, ein freundlicher Markt mit einem viele, viele Jahrzehnte schon rauschenden Brunnen, Straßen mit Hoppelpflaster – lieb, vertraut, die Oderbrücke und dann die Oder mit den Kähnen, den Fischern, den Buhnen, dem Hügelland, den Weinbergen, dem roten Horizont.

Und im Frühjahr, wenn das Treibeis rollt und berstet, wenn es schmilzt, dann ist die Stadt, die Landschaft ein großes Wassermeer.

In dieser Stadt wurde Klabund geboren. Vielleicht ist es nicht uninteressant zu wissen, daß außer ihm noch einige andere „Größen“ aus dieser Stadt kommen: so Rudolf Pannwitz aus dem Charonkreise, Hugo Licht, Erbauer des Leipziger Rathauses und Richard Graef, der bekannte Kunst­maler. Diese kleine Stadt hat ihre durchaus eigene, lebendige, produktive Kunst. Und hier wuchs Klabund auf.

„Dies weiß ich: daß ich mich gegen das Erwachen wehrte. Mit Händen und Füßen sträubte ich mich gegen das Geborenwerden“, sagte er einmal später. Es war so gut zu schlafen unter einem Frauenherzen. Nun, da er lebt, schaut er mit großen, schmerzlichen, gütigen Augen die Welt.

Am 4. November 1890 erblickte Alfred Henschke, d. i. Klabund, das Licht der Welt. Von seinen Eltern wurde dieses Ereignis im „Crossener Wochenblatt“ so angekündigt:

„Die heute glücklich erfolgte Geburt eines munteren Jungen beehren sich anzuzeigen Apotheker Dr. A. Henschke und Frau.“

Das Elternhaus übte auf den Jungen zunächst den größten Einfluß aus. Wie geheimnisvoll ist es doch in solch einer Apotheke, und wie sehr regt solch ein Haus mit sei­nen vielen Treppen, Gängen, Bodenwinkeln, kleinen Kam­mern, Nischen, die voller Mixturen, Flaschen, Gefäßen stehen die Phantasie eines Knaben an. Spukgeschichten erzählte man sich von diesem Haus. Erinnerungen an einen Aufenthalt Friedrichs des Großen wurden gepflegt.

In diesem Zusammenhang mag es nicht ohne Interesse sein, daß Bruno Frank aus Freundschaft zu Klabund seine schöne Novelle „Die Favoritin“ in Crossen spielen läßt und auch eine Begegnung Friedrichs des Großen mit dem da­maligen Apothekenbesitzer, den er Klabund zu Liebe, Henschke nennt, einschiebt. – Klabund besuchte in Crossen die Schule. Er war ein guter Schüler. Kein Streber. Ihm „flog“ der Lehrstoff zu. Er begriff leicht, hörte im Unter­richt aufmerksam zu und hatte seine freien Nachmittage auf diese Art gewonnen. Da saß er denn nicht in den Stuben des Elternhauses, da zog es ihn hinaus in die Natur. Ganz allein war er in diesen Stunden draußen in den Wäldern, auf den Auen und hatte seine glücklichsten und tiefinnersten Stunden. Oder er sah zu, wie der Landmann wuchtig über den gelockerten Acker schritt, um aus dem weißen Linnentuch den Samen zu nehmen und ausströmen zu lassen. Er freute sich an den Ochsen vor dem Pfluge, wenn sie schwerfällig den Boden umbrachen. Er plauderte mit den Bauern, packte selbst einmal zu, suchte mit ihnen wohlig den Genuß des Ausruhens nach vollbrachter Arbeit auszukosten und er saß auch manchmal abends bei den Knechten und Mägden und ließ sich von dem süßen Duft des Heus berauschen und dann war es still und feierlich in ihm.

Am liebsten jedoch lief er hinaus auf die Wiesen an der Oder, den azurblauen Himmel über sich, Erlen und Weiden, die an regentrüben Tagen gespenstisch dreinblickten, stehen stolz und wiegen sich im Winde. Schmetterlinge umflattern ihn, Käfer kreuzen seinen Weg. Er hört den Wald fern am Horizont weinen. Er fühlt, daß eine junge Tanne denkt, daß sie hinauf muß, ihre Krone in den Him­mel recken. „Über der Tanne Übertanne werden.“ In ihr allein muß Himmel hängen. Und wenn er an solchen Tagen nach Hause kommt, und seine Mutter ihm in die Augen sieht, dann schaut sie sein Erlebnis, dann wird ihr für Bruchteile von Sekunden sein Herz offenbar und s!e fühlt und weiß um seine schicksalhafte Sendung.

Und dann .kamen die Jahre, in denen er langsam, erst leise zögernd, heimlich, dann ermutigt durch kleinen Erfolg, schließlich laut und bewußt seine Verse hinauszuschleudern begann.

Dreizehn Jahre ist der Knabe alt. Da hört er in der Schule von Napoleon. Der gefällt ihm. Das ist ein ganzer Kerl! Solche Menschen machen Eindruck auf das Erleben des Knaben. Napoleon ist ein Held! Nur Helden kann er lieben. Und so setzt er sich abends in seinem Zimmer, das die Mutter ihm mit vieler Herzlichkeit eingerichtet hat, an den Tisch und schreibt 14 lose Notizblätter voll. Auf solche Blätter schreibt er, wie sie der Vater benötigt, um Notizen oder Rezepte aufzukreiden. Und dann bindet er die Blätter mit Zwirn zusammen, heftet sie in einen steifen, blauen Einband und zeichnet ein Titelbild, entwirft einen Spielplan und malt diese Überschrift:

Ein welthistorisches Ereignis . . . Schauspiel in einem Akt von
A. Henschke.“

in Dresden spielt das Stück am 28. Juni 1813. Napoleons Kühnheit, sein Blick, seine Kraft hatten es ihm angetan. Die ersten Worte in diesem Einakter: „Träume sind Schäume“.

Und als er sein „Werk“ geschaffen, oh, da war ein süßes, beseligendes Klingen in seiner Brust. Er mußte hinausstür­men und den Tieren, den Bäumen, dem Fluß sich anver­trauen. Und so sagte er es denn ihnen, die willig ihm ihr Ohr liehen: Ich bin ein Dichter, ein wahrhaftiger Dichter. –

Gelegentlich, meistens um die Weihnachtszeit besuchte er die Großeltern im benachbarten Frankfurt. In den Ferien verreiste er oder tummelte sich auf den Fluren, badete in den heimatlichen Flüssen.

Und dann umgeschult nach Frankfurt a. Oder. Im Unterricht ist er nach wie vor gut orientiert. Er hat eine vernünftige Art zu arbeiten und schafft sich so freie Zeit für Studien, oder unternimmt einen Bummel durch die Stadt, schaut den Mädchen gelegentlich einmal nach, ja auch das, besucht einen Freund und in diese Zeit fällt dann seine erste autobiographische Aufzeichnung. Der 17jährige Kla­bund sagt: „Diese Zeilen schreibe ich nicht, um mich wohl­gefällig und eitel im Spiegel zu betrachten . Ich schreibe sie nur für mich, mir zur Freude, zu meinem Schmerze. Wie ein Sammler mit leuchtenden Augen und zitternden Händen in einem alten kostbaren Pergamente blättert, bald hier, bald da innehält, um einen schönen Stich, eine feine Sen­tenz recht zu genießen, so will ich im Buche meiner Jugend lesen. Es ist ein Sonntag im August. Die Glocken läuten und singen mit süßer Inbrunst. Bald verstummen sie. Durch das offene Fenster meines Zimmers dringt die tiefe Stille der Straße zu mir herauf. Nur hin und wieder tönt vom nahen Bahnhof das Kreischen einer Lokomotive oder das dumpfe Rollen eines Güterzuges. Kaum hörbar summen am Fenster einige Fliegen. Ihr leises Gesurr läßt die atemlose Ruhe nur noch mehr empfinden. Und meine Seele sinnt der vergangenen Kindheit nach.

Ich wurde geboren in einem zweistöckigen Hause der Dammstraße, das in späteren Jahren auf mich immer einen unscheinbaren und unfreundlichen Eindruck gemacht hat. Wir bewohnten das erste Stockwerk, während in dem unteren die Geschäftsräume der Apotheke meines Vaters lagen. Erinnerungen habe ich aus diesem Hause kaum mitgenommen. Ich kann mich nur auf ein blaues Etwas besinnen, das über mir wie ein Tuch ausgebreitet hing, und auch ein anderes Etwas, das immer in der Luft herum­sprang. Das blaue Etwas war, wie ich später erfuhr, der Himmel, und das, was immer in der Luft herumsprang, der kleine Springbrunnen unseres Dachgartens. Und diese beiden schönen Dinge sah ich vom Kinderwagen aus. Nach einem Jahre etwa verlegte mein Vater seine Apotheke nach der Ecke Roß- und Schloßstraße. Denn jenes Haus der Dammstraße hatte die wenig lobenswerte Eigentümlichkeit, bei jeder größeren Überschwemmung der Oder voll Was­ser zu stehen, so daß man nur auf Stegen in die Offizien und die zu ebener Erde gelegenen Räume gelangen konnte. Auch wurden durch das Wasser viele Medikamente ver­dorben. Die neue Wohnung ließ mein Vater, ehe wir sie bezogen vollständig umbauen. Besonders der Laden, in dem eine Eisenhandlung floriert hatte, entsprach seinen Ansprüchen und Forderungen nicht. Doch nannte er diese Geschäftsverlegung später den klügsten Streich seines Le­bens. Die Apotheke kam in günstigste Verkehrslage und nahm bald einen großen Aufschwung.

In einem seltsam tapezierten Zimmer, in dem 3 Betten stehen, zwei große dicht nebeneinander und ein kleines etwas nach hinten in der Ecke, finden sich meine Erinnerungen wieder. In dem kleinen Bette liegt ein kleiner blondlockiger Junge, und dieser Blondkopf bin ich. Es ist gegen Morgen. Durch den gebrochenen Fenstervorhang schlüpfen schon hier und da einige vorwitzige Sonnen­strahlen. Der kleine Junge ist wach, aber er verhält sich ruhig. Denn die beiden Eltern schlafen noch. Im stillen aber wundert er sich, er wundert sich, wie solche vier- oder fünf­jährigen Leute tun, über alles. Er wendet sich nach der Wand und wundert sich über die seltsamen Schnörkel und Linien der Tapete. Er betrachtet sie ganz genau. Die eine Tape­tenfigur sieht fast so aus wie der große Hund in seinem unzerreißbaren Bilderbuch. Das kommt ihm sehr wunderbar vor. Dann sieht er den Sonnenstrahlen zu, wie sie über sein Bett hinfliegen und dann die Wände hochklettern. Er freut sich, daß die Sonne schon da ist, denn er mag sie gar gern leiden. In trüben, grauen Tagen, wenn der Regen gegen die Scheiben schlägt und die lustige Sonne sich hinter die griesgrämigen Wolken versteckt hat, steht er am Fenster und guckt in den Himmel und sucht sie. Und kann er sie nicht finden, ist ihm traurig und weh zu Mute.“

Auf einer Reise ins Riesengebirge holte sich Klabund bei einem Bad in einem kühlen Quell eine heftige Influenza, so daß er lange Zeit das Bett hütete Zur weiteren Gene­sung mußte er Italien und die Schweiz aufsuchen Neue Ein­drücke regten seine Phantasie an. Aber in dieser Zeit körperlicher Brache schuf er nichts. Im Gegenteil: Er hatte viel in der Schule versäumt, holte es nach und bestand sein Abitur trotzdem als primus inter omnium mit Befreiung vom Mündlichen.

Damit war die Schulzeit vorüber. Wie er über die Lehrer dachte, hat er in einer kleinen Geschichte an einem Knaben aufgezeigt:

„Die Lehrer verachtete er im Innern seines Herzens. Diese Leute, auserwählt, alles Gute, Schöne im Menschen zu wecken und großzuziehen, so sprach er oft zu sich, waren Tyrannen, die ihre Macht gebrauchten, jede freie Willensäußerung zu unterdrücken und Sklavenseelen groß zu züchten. Er stand deshalb mit seinen Lehrern auf ge­spanntem Fuße. Sie konnten ihn nicht verstehen, konnten seiner schönheitstrunkenen Seele nichts geben.“

Auf die Frankfurter Sturm- und Drangperiode Klabunds, in welcher hauptsächlich Lieder, Balladen, Märchen und kleine Geschichten in erstaunlich großer Zahl geworden waren, – folgte, auf Wunsch des Vaters, das Studium.

Klabund wurde in München immatrikuliert. Und hier geriet er, inmitten des Studentenlebens auch In die Kreise der Münchener und Schwabinger Boheme. Er lernte junge Künstler kennen. Die Atmosphäre behagte Ihm und er zog ein in jene Welt von Künstlern, die durch den einen da­mals gekennzeichnet wurde: Frank Wedekind.

Zu dieser Zeit erscheint in Crossen bei Richard Zeidler das erste Werk des Dichters, ein Buch Alt-Crossener Ge­schichten mit dem Titel „Celestina“. Hier zeichnet er noch mit seinem bürgerlichen Namen Alfred Henschke.

Studienjahre in Lausanne und Berlin folgen. In Berlin schickt er seine Gedichte an Alfred Kerr, der damals Schrift­leiter am „Pan“ war. Kerr nahm die Gedichte an und ver­öffentlichte sie. Da sie starken Widerspruch auslösten, for­derte Kerr (nun und jetzt immer) von Klabund neue Verse. Diese leitete Kerr mit folgender Vorbemerkung ein: „Die Strophen von Klabund haben so viel Widerspruch erweckt, daß abermals welche hier stehen sollen.“

Die saftigen, frechen Verse erregten Anstoß. Der Kon­flikt mit dem Gericht war da. Es gab einen interessanten Prozeß. Richard Dehmel und Frank Wedekind gaben ihre Gutachten zu Gunsten des jungen Autors ab. Jedoch er wurde zu kleiner Buße verurteilt und war im Handumdrehen – bekannt.

1912 erscheinen dann im Erich Reißverlag seine ersten Gedichte in dem Bande „Morgenrot! Klabund! Die Tage dämmern!“ Alfred Kerr, damals maßgebendster Kritiker, schrieb in der Zeitschrift „Pan“:

In seinen Gedichten sah ich Vagantenverse; Lieder eines Desperado, künstlerisch wertvoll. Es wirkte hier ein ab­sonderlicher Galgenhumor. Ich hatte vor mir die unge­wöhnlich begabten Poesien Eines, der „sein Sach auf nichts gestellt“.

1914 folgten Schwanke „Klabunds Karussell“. Um seine Verse reißen sich die Zeitungen, die Zeitschriften, die Ka­baretts. Er ist mit einem Schlage bekannter Bohemien, Bänkelsänger. Zwischendurch war er bereits elf mal wieder schwerer bettlägerig gewesen. Und da erkannte er, daß ihm nur eine kurze Frist hier auf Erden von dem Sensen­mann gegeben war. Und diese Erkenntnis hat er bis zum letzten Hauch vor Augen gehabt.

Er wechselte unaufhörlich seine Aufenthaltsorte; bald ist er in Crossen, München, Brioni, Berlin, bald in Graubünden, Zürich, Davos-Dorf, Arosa, Swinemünde, Locarno, Positano oder Breslau; immer abhängig von Witterungs- und Krankheitszuständen.

1916 schreibt er von Davos an seine Eltern:

„. . . ich habe oft eine große Sehnsucht nach Euch und der kleinen Stadt da oben. Oft erinnere ich mich eines Ganges nach Güntersberg, und die Kirchenglocke von St.-Marien schlägt in meine Stimmung. Das sind beinahe die Sentiments eines Greises, der sich nach seiner Kindheit sehnt. Aber: keine Furcht! ich bin noch kein Greis, son­dern im Gegenteil sehr lebendig . . . .“

Im Sommer 1917 ist er in Zürich. Eine kuriose Schar von Poeten hatte sich hier versammelt u. a. Albert Ehren­stein, Iwan Göll, Leonhard Frank, Ludwig Rubiner, Ernst Hardekopf, Hugo Ball, Emmy Hennings, Hans Arp. Auch Kla­bund war unter ihnen. Meist jedoch saß er im schönen schattigen Garten seiner Pension „Delphin“, anzuschauen wie ein Primaner und schrieb unter den alten Bäumen seine Gedichte, Dramen, Romane und Streitschriften. Gelegent­lich traf man ihn in der Mascotte-Bar. Das war jedoch fast nur nachts. Die Welt fraß ihn, dennoch blieb er einsam in ihr.

In Davos war er ständiger Gast. Im Kurhaus las er die Zeitungen, war eine bekannte Figur, sauste im Schlitten die Promenade entlang, besprach mit Rene Schlckele oder Wil­helm Herzog das Schicksal, das sie teilweise zwangsmäßig nach der Schweiz verschlagen hatte, denn man ließ sie nicht in die Heimat.   Sie waren „verdächtig“.

3a, beim Armeekommando hielt man gar Klabund für den Verfasser einer aus der Schweiz an der Front verbreite­ten revolutionären Hetzschrift, die die Truppen zum Unge­horsam aufforderte. Das war eine schlimme Denunziation für Klabund, wenn man weiß, wie sehr er deutsch war, deutsch fühlte, auch wenn er einen „Offenen Brief“ an den Kaiser geschrieben, und sich gelegentlich politisch gebärdete. Klabund war kein Revolutionär, wie etwa Eisner oder Becher oder L. Frank. Klabund war auch kein Parteibonze. Im Innersten war ihm Politik zuwider. Diejenigen aber, die ihn des Landesverrats bezichtigten, sollten seine Kriegs­lieder und Gedichte „Dragoner und Husaren“ einer genauen Durchsicht unterziehen, und sie werden feststellen, wie patriotisch gesinnt auch Klabund war. Und auch die an­deren, seine sogenannten „politischen Gesinnungsfreunde“ sollten das tun, damit sie einmal sehen, wie wenig Klabunds Schaffen mit der schmutzigen politischen Atmosphäre zu tun hat.

In Ragaz, Locarno, Davos war zu dieser Zeit sein kleiner Roman „Franziskus“ entstanden. Diesem sei eine Stelle ent­nommen, die Klabunds nationale (im weiten Sinne) Gesin­nung deutlich umreißt: „Deutschland. Wie wir Dich lieben, wir Fernen, wir Auslandsdeutschen. Wie wir alle Deine Schmerzen doppelt und dreifach empfin­den. Uns peitscht eine widerhakige Geißel den Rücken, da wir Dich unfrei und ungelenk sehen. Deiner ewigen Größe noch nicht gewiß.“

In den schönen Schweizer Bergen, in Arosa, fand er sein kurzes, ach zu kurzes Glück. Wie schnell ward der Irenentraum ausgeträumt! Sechs Monate dauerte der Bund mit Brunhilde Heberle (aus Passau gebürtig) nur und dann zerbarst die Ehe. Einen kurzen Sommer nur die goldene Glocke klang, um dann seine „Irene“ vom Sensenmann heimholen zu lassen. Klabunds Frau war gleich ihm lungen­krank. Sie hauchte ihr junges Leben aus, als sie einem schwächlichen Kinde das Leben gab. Bald folgte es der Mutter nach. Klabund ward einsam wie nie zuvor. Der Sinn seines Lebens war ihm nicht mehr klar. Die Beste, die Gefährtin seines Herzens hatte ihn verlassen, nun mußte er wieder allein durch die Welt wandern. An diesem Schick­sal zerbrach sein Herz. Daran konnte auch keine spätere neue Herzlichkeit etwas ändern.  Vielleicht war es gut so . .

Und in dieser Zeit schwersten Leids war ihm Dichten Ver­gessen. So schrieb er sich seine Schmerzen von der Seele. Damals 1918/1919 wurden die „Oden auf Irene“, die „Kleinen Lieder“ und das schönste, reinste und tiefempfun­denste Denkmal für Irene die Sonette der „Totenklage“ ge­schaffen.

Diese Jahre mit Irene hatten ihm unerhörten Impuls ge­geben. Seine Produktivität war enorm. 1915 erschien der Soldatenroman „Moreau“, außerdem zwei Gedichtbände. Im Jahre 1916 gab er 5 Bücher heraus, darunter den autobiographischen Grotesk-Roman „Die Krankheit“ und die Ge­dichtsammlung „Die Himmelsleiter“. 1917 folgte der Pro­phetenroman „Mohammed“ und 1918 übergab er der Öffentlichkeit seinen gotischen Roman eines Eulenspiegel „Bracke“.

In diese Zeit fällt dann auch seine Verhaftung. Er kam ins Gefängnis nach Nürnberg, „Verse aus dem Gefängnis“ waren die Ausbeute.

Gelegentlich konnte man sein Gesicht in Berlin in einem Cafe auftauchen sehen. Meistens kurz vor Mitternacht. Da saß er dann, die Ballonmütze auf dem Kopfe, hinter einem Berg von Zeitungen oder Büchern, schaute gelegentlich einmal auf, lächelte heimlich, wenn er die festlich geklei­deten Leute im Frack oder Smoking an sich vorüberstreichen sah oder gar wenn ein Frack sich unter all die Vaganten und Bohemiens mischte im Romanischen Cafe. Freunde, Bekannte hielt er frei, ließ sie auf seine Kosten zechen. Bis­weilen unterhielt er die Gesellschaft mit witzigen Worten, dem ein naives Lachen folgte. Aber meistens saß er ruhig und versonnen, mit großen erstaunten Augen, den Mund ein wenig geöffnet. Trotzdem er so, wer weiß in welchen Gefilden, träumte, war er immer bei der Sache. Wenn er sich in solcher Gesellschaft langweilte, griff er zu Büchern und Zeitungen und vertiefte sich in die Lektüre. Dann in­teressierte ihn seine Umgebung kaum.

Unermüdlich arbeitete Klabund, in den Cafes, in den D-Zügen, in Kneipen, an den Luxus-Orten der Schweiz oder Italiens. Ob Heimat oder Ausland, überall war er der un­ermüdlich Schaffende.

Manchmal traf er sich mit Freunden, besuchte sie. Aber das geschah seltener, da er die Menschen nicht suchte und im Grunde ein Einsamer war. Aber die Freunde waren froh, ihn einmal für eine kurze Zeit bei sich zu sehen, ihn, der sonst nur in Hotels und Sanatorien heimisch war. Man hörte seine verhangene, klanglose Stimme, die von innerer Leidenschaftlichkeit getragen; man hoffte, man wurde siche­rer wieder, wenn man ihn, den Todgezeichneten vernahm. War er fort, bangte man um ihn, um das Wiedersehen, weil man wußte, wie es um ihn stand. Und kam er dann, mein Gott, für kurze Zeit war man beruhigt.

Als er sich einige Monate bei einem Freund aufhält, wird der Zarenroman „Pjotr“. Dann plant er einen Hanse­roman, läßt aber das Thema wieder fallen und schreibt das Werk, das ihm den meisten sichtbaren Erfolg eintrug, den „Kreidekreis“.

In München (Meissen Hartmut Deckert) wurde das Stück uraufgeführt und wurde das Theaterereignis des Jahres 1925. Von München aus machte es seinen Weg über die deutschen Bühnen, kam zu Reinhardt nach Berlin und bleibt unvergeßliches Ereignis mit Elisabeth Bergner als Haitang in der Hauptrolle. Un­vergeßlich auch, wie sich Klabund knabenhaft schüchtern, am Ende des Stückes herausgeklatscht, auf die Bühne begibt und glücklich nach allen Seiten dankt, dankt auch der Berg­ner und wie ein unbeholfener Jüngling ihr die Hand küßt.

Klabund war mit einem Schlage berühmt und stand in der vordersten Reihe unserer repräsentativen Dichtung. Für viele Menschen, bislang Gegner des Dichters, ob seiner frivolen Gedichte und Schwanke, bedeutete dieses Werk Umkehr und versöhnte sie. Aber es war keine Umkehr, es war Fortschritt.

In München lernte Klabund, indem er eines Tages auf eine fahrende Straßenbahn am Cafe Stephanie sprang, eine junge Dame kennen. Er fixierte sie unver­schämt und lachte sie dauernd an. Schließlich irritierte diese etwas ungewöhnliche Art die junge Dame und aufgebracht zischte sie ihn an. „Wenn Sie mich ungeniert be­trachten wollen, müssen Sie ins Theater gehen. Ich spiele heute in den Kammerspielen in „Der Büchse der Pandora“ die „Hugenberg“.“ Der junge Mann lächelte: „Gewiß, ich werde gehen und Sie weiter ansehen.“ Und er hielt Wort. Er kam abends in die Vorstellung, saß in der ersten Parkettreihe mit einem großen Rosenbukett und entdeckte dort zweierlei in eines: Eine Schauspielerin und seine Frau. Kla­bund und Carola Neher waren sich begegnet und hatten sich gefunden. 1925 vermählten sie sich in Breslau. In dieser Ehe fand Klabund letzte Erfüllung seines Lebens. Alle seine schöpferischen Kräfte blühen noch einmal in ihm auf. Nur noch für sie schuf er, umwarb sie in zärtlichen Gedich­ten und Spielen. Arbeitete in hastiger Nervosität (der sonst so Ruhige), nur für seinen Vogel Kukuli.

Aus dieser Zeit sei ein autorisierter Bericht von Herybert Menzel, einem jungen ostdeutschen Dichter wieder­gegeben. Dieser besuchte Klabund in Breslau einige Male. Über seinen ersten Besuch erzählt er:

„Endlich meldete man mich, und es dauerte nicht lange, da durfte ich bei Klabund eintreten. Man geht durch ver­schiedene Türen mit verschiedenen Stimmungen und Ge­fühlen.

Wer nicht weiß, daß er am 4. November 1890 geboren wurde, würde ihn für einen Jüngling von einigen zwanzig Jahren halten, so schlank und jung sieht er aus. Besonders fallen seine großen dunklen Augen auf hinter der schwarzen Hornbrille. Es war selbstverständlich, daß wir viel von seiner Heimat sprachen, aus der ich eben erst nach Breslau gekommen war. Und er hatte viel zu fragen, und ich konnte ihm von vielen lieben Menschen berichten.

Er sah blaß aus und sprach davon, bald wieder nach Italien zurückzukehren. Das nordische Klima ist seiner Ge­sundheit nicht zuträglich. Daß Breslau ihm besonders ge­fiele, kann man nicht behaupten. Doch war er froh, aus seinen Fenstern einen so schönen Ausblick zu haben auf die Oder unten, auf den Fluß, der auch durch Crossen fließt und ihn so mit seiner Vaterstadt verbindet und seine Ge­danken und lieben Wünsche wie kleine Papierschiffchen, wie er sie einst seinen Wassern mitgab als zehnjähriger blonder Junge, mitnimmt nach Crossen.

Und weiter deutete er auf die schöne Domlnsel hin mit ihren Kirchen. Dieser Blick lohnte sich, und oft genug mag er ihm Anregung zu dichterischem Schaffen gegeben haben.

Auf seinem Schreibtisch sah ich zwei Bilder einer schönen Frau. Ich wußte noch nicht, wen sie darstellten. Das erfuhr ich erst später. Als ich mich verabschiedete, schenkte Klabund mir ein Exemplar der Prachtausgabe seines „Bracke“ und lud mich ein, ihn wieder zu besuchen. Und das tat ich nur zu gern, solange ich in Breslau war.

Ich habe Klabund seitdem noch öfter gesehen und jedesmal immer mehr die Überzeugung gewonnen, daß seine Liebenswürdigkeit keine echtere sein kann und ohne Grenzen ist.“

Inzwischen waren eine Anzahl neuer Werke erschienen, so: „Das heiße Herz“, „Das Blumenschiff“, die beiden „Litera­turgeschichten in einer Stunde“, „Das Kirschblütenfest“.

1926 kam ein vorzüglicher Sammelband: „Klabund-Lesebuch“ heraus. Ein Werk, das wie keines geeignet ist, in das Schaffen des Dichters einzuführen.

Die frechen Gedichte „der Harfenjule“ spukten herum. „Cromwell“ und „XYZ“ wurden, früher schon, 1921, hatte er eine Komödie „Hannibals Brautfahrt“ geschrieben.

Pläne erfüllten ihn. Zukunftshoffnungen flackern auf. Da meldet sich die Krankheit in neuem, schlimmsten Maße. Wieder beherbergt ihn in Davos die Pension Stolzenfels. Ein Blutsturz entkräftet ihn. Aber sein Arbeitswille, seine Energie sind ungeheuerlich. Im Bett sitzt er über den „Borgia“-Korrekturen. Die Stimme des Todgeweihten sollte zum letzten Male erklingen. Morgensonne dringt in sein Zimmer. Sie erfüllt auch sein Herz.   Da setzt er sich aufrecht hin, nimmt die Bleifeder und eine Karte und schreibt an seine Eltern zum letzten Male. Ohne Datum läßt er die Karte. Zeit und Ewigkeit gehen ineinander über. Klabunds Schicksalsring will sich schließen.

„Liebste Eltern, herzlichsten Gruß aus Davos! Ist es Euch nicht möglich, jetzt, sagen wir innerhalb acht bis zehn Tagen, nach Davos zu kommen! Ihr sitzt von Berlin bis Landquart (1 Stunde von Davos) im selben Wagen (Schlaf­wagen).

Ich lade Euch herzlichst ein. Euer Fredi.“

Klabund verlangte nach Carola. Sie kam. Zu einem Sterbenden. Am 14. August 1928, morgens 4 Uhr verschied der Dichter. Carola Neher legte Rosen auf seine Bahre, wie er es sich gewünscht hatte als 27-jähriger: . . . „Wenn ich einmal verblutet dahinsinke, soll man mir weiße und rote Rosen aufs Grab werfen . . .“

Durch den Draht ging die Kunde von seinem Tod in alle Welt. Und durch die Zeitungen ging ein Raunen. Ein Mensch ist nicht mehr und ein dichter.

Crossener Tageblatt, 14. August 1928: Klabund +.

Soeben geht uns die Nachricht zu, daß Klabund nach langem, schwerem Leiden heute früh in Davos im Alter von 36 Jahren zur ewigen Ruhe gegangen ist.

Die erschütternde Nachricht, daß der Sohn unserer Stadt, an dessen dichterisches Schaffen sich noch so große Hoffnungen knüpften, in der Blüte der Jahre durch einen unerbittlichen Tod abberufen wurde, wird überall schmerz­liches Bedauern auslösen. Die schwergeprüfte Familie darf der herzlichen Anteilnahme der gesamten Bürgerschaft versichert sein.

Crossener Tageblatt, 15. August 1928:

Der Magistrat der Stadt Crossen hat heute vormittag in gemeinsamer Sitzung mit dem Büro der Stadtverordneten-Versammlung  beschlossen,  darauf hinzuwirken,  daß der große Sohn der Stadt, der Dichter Klabund, in seiner Hei­mat beigesetzt wird. Es wurde ferner der Beschluß gefaßt, eine Grabstätte zur Verfügung zu stellen, die der Nachwelt als Erinnerungsstätte erhalten werden soll. –

Und dann brachten sie in Crossen Klabund zu Grabe. Auf dem Bergfriedhof fand er seine Ruhestätte. Tannen, Lebensbäume, Eisblumen, Vögel, Käfer, Falter sind um ihn herum und begleiten ihn auf seinem jenseitigen Wege und folgen ihm, wie einst Franziskus.

Die Trauerfeier für Klabund fand im September 1928 statt. Die Stadt Crossen, von ihrem größten Sohn so herr­lich gerühmt, holte ihn sich heim. Es war wohl das erste Mal, daß eine deutsche Stadt ihren Dichter auf diese Weise ehrte. Ehrfürchtig, menschlich, bescheiden sprach der Bür­germeister der Stadt von diesem Kind Crossens. Die Worte hätte Klabund hören sollen! Niemand wäre durch diese vornehme Rede so berührt gewesen wie er. – Weiße und rote Rosen gab ihm die Stadt Crossen auf den letzten Weg mit. Und dann sprach Gottfried Benn. Er hielt dem Landsmann eine wundervolle Gedenkrede. Klabunds Werden, ihre fünfundzwanzigjährige Freundschaft erstanden. Es war eine Andacht von einem Freund für seinen toten Freund, für den Menschen, den Leidenden und Dichter. Eine der herrlichsten Reden, die je an einem Grabe laut geworden sind. Einer von Klabunds jungen Freunden, Herybert Menzel, sandte ihm den Grabgesang „Klabund fand heim“ nach.

Klabund ist seine eigene Himmelsleiter emporgestiegen. Der glühende Knabe hat ausgelitten. Er ist gestorben wie ein Jüngling. Aber Klabund ist nicht tot. Er lebt. Er lebt in der jungen Generation, denn ihr gehört dieser Dichter unbändig tobenden Blutes.

Der Leierkastenmann dreht lustig im gewohnten Tempo die Kurbel.   Klabunds Karussell läuft weiter.

Einer aber aus der großen Gemeinde des so früh ver­schiedenen Dichters schrieb ihm die schönste Melodie seines Lebens und Sterbens:

Klabund fand heim

Von Heribert Menzel

Nun singt sein Leben diesen letzten Reim:
Klabund fand heim.
Klabund ward müde, sucht den letzten Hafen,
Klabund will schlafen.
Still: Klabund will schlafen.

Will schlafen, wo zuerst er tief gelauscht
Dem Sang der Welten.
Will schlafen, wo der Oder Ströme rauscht,
Wo Sterne seine Jugend glückerhellten,
Wo er den ersten Liebesgruß getauscht.

Das Leben war wohl wild,
War bunt und schön.
Traumhaft zog Bild in Bild,
Aufrauschte Goldgetön.
Und jubelnd sang sein Mund:
Die Tage dämmern! Morgenrot! Klabund!

Früh kam die Nacht schon, Abendrot, Klabund.
Er hat es bitter jung vorausgeahnt.
Und wo das Leben noch so hell und bunt.
Hat in ihm eine Stimme scharf gemahnt:
Denk an dein Werk, du hast nicht Zeit, Klabund.

So hat die Welt im Blitzflug er durchfahren
Und Sang auf Sang aus seiner Brust gedrängt.
Und doch, die schönsten seiner Lieder waren
Die immer, die der Heimat er geschenkt.

Wenn er sie floh, geschah es, sie zu finden.
Und das war seines Lebens tiefster Sinn,
Das hieß ihn wandern stets und nie sich binden,
In Wandlung suchen himmlischen Gewinn.

Denn wer sich hält, der hat sich schon verloren,
Und nur wer hungerte, kennt Stillens Glück.
Und so ist auch der Dichter nur geboren.
Nach Gott zu suchen eines Irrwegs Stück,
Zu suchen, um die andern so zu fragen,
Ob sie ihn wüßten, und um dies zu sagen,
Wir gingen alle wieder schon zurück.

Weit war sein Weg, doch seht, wie auch so weit, Nicht weiter als zurück fand er durch Glück und Leid.
Und was im Leben nicht, im Tode nun geschah,
Heimat und Gott sind ihm nun immer nah.

Die Oder rauscht, der Friedhof wird zum Zelt,
Und Gottes Atem geht lind durch die Welt.
Das Leben summt den letzten, schönsten Reim:
Klabund fand heim.

Dichterisches Werk

Jedes dichterische Lebenswerk zeigt Höhe- und Tiefp­unkte  auf;  es  läuft  gewissermaßen  konform  mit dem Erleben des Dichters.

Klabunds Werk ist eine einzige steigende Fieberkurve von den ersten Erzählungen bis zum letzten Roman – von Anfang bis Ende – jäh abbrechend. – Sein Leben war ein ungehemmtes Auf und Ab.

Sein früher Tod, sein tragischer Tod flicht um das Werk den Schein eines Heiligen. Er hat ihn verdient, diesen Glanz.

Von den Celestinaerzählungen bis zur Borgiaballade schießt ein greller roter Faden den Weg weisend, sein Leben gleichsam symbolisierend. Mit seinem Herzblut hat er seine Werke getränkt. Alle sind sie mehr oder weniger selbstisch, klabundisch. Und gerade darum lieben wir sie. Und sie werden ihn alle lieben lernen, alle Menschen, wenn die Zeit ruhiger geworden ist und sein Werk als wahrhaft dichterisch aus den Jahren der Weltunruhe in unsere Tage, Zukunft vollends hineingewachsen ist. Wenn sie erst alle wieder von ihrer Verblendung frei geworden sind und klarer sehen, was war – ist – sein wird, dann erst kommen die echten Dichter vergangener Jahre zu Ihrem wirklichen Recht. Dann wird auch Klabund völlige Gerechtigkeit widerfahren.

Durchblättert man die Anthologien der Jahre 1910 bis 1930, so macht man die erstaunliche Feststellung, daß Klabund sehr selten darin vertreten ist. Selbst Kurt Pinthus konnte sich nicht entschließen in der von ihm herausgege­benen „Symphonie jüngster Dichtung: „Menschheitsdämme­rung“ Klabund aufzunehmen. Er hat damit gut getan. Denn im Herzen ist Klabund kein Anhänger einer beson­deren Kunstrichtung, kein Schreier aus Überzeugung, kein Idealist für Weltrevolutionen. Politik ist ihm widerwärtig. In dem nachgelassenen „Roman eines jungen Menschen“ heißt es:

„Politik war ihm ein leeres Wort, ein leeres Gefäß ge­worden, in das jeder seine Brühe gießt. Wie „Kunst“. „Kunst ist ja nur die Wut, daß man nichts Festes hat, alles in unseren Händen zerrinnt. In Wirklichkeit ist Kunst Ver­dünnung.“ Auch so ein „Begriff“. Mit Begriffen will Klabund nichts zu tun haben, ja, er will überhaupt nichts begreifen, nur greifen. Vielleicht die Wahrheit. Aber das ist auch so eine Sache.

„O, die Wahrheit kann man noch so laut brüllen, nie­mand hört sie. Um sie den Leuten verständlich zu machen, muß man sie flüstern.“

Klabund hat noch Sinn für die Schwächen und Stärken der Menschen. Er weiß um ihre Leidenschaften. Und aus diesem Wissen entwickelt sich bei ihm auch Humor, der uns oft fehlt. Wo wir doch alles so verflixt ernst nehmen, und so unendlich komisch dabei aussehen. Klabund ist kein Hansnarr für andere, höchstens für sich selbst.

Und so bereits sein Name, sein Pseudonym. Eigentlich hieß er doch Alfred Henschke; einer Laune folgend, schrieb er unter einen Einakter einmal Knallfred Henschke. Und im Irenegesang, da offenbart er sich, zeigt er seine Ge­sinnung, seine andere Herkunft:

„Mein Name Klabund.
Das heißt: Wandlung.
Mein Vater hieß Schemen.
Meine Mutter: Schau.

Die lautliche, seltsame Zusammenstellung seines Namens „Klab-und“ glaubt man so klären zu können: Klabautermann und Vagabund – Klabunds Bruder gab mir eine andere einleuchtende Deutung (die ihm Klabund selbst einmal gegeben) „Kla“, wie eine Trompete und „bund“ wie der Schlag auf eine Pauke. Gleichsam das Auf und Ab.

Grotesk, bizarr, das bereitet ihm Freude. Er liebt die Vaganten, er, der im tiefsten Kern seiner Seele selbst einer ist. Heute zart, morgen brutal. Hier zynisch, dort lyrisch. Immer ruhelos. Oft sein Sein als Maske vor sich selbst, die er erst mit seinen Werken fortschleuderte. So ist er voller Schwäche und Stärke. Oft spielt er uns Theater vor, um sich zu beruhigen; aber er bekennt seine tiefe, grenzen­lose, frohe Schuld und er erkennt seine Sünden und fleht um Gnade. Sie ist ihm geworden. Konnte es denn anders sein? Unser Bruder Klabund ging zu Gott, trug in Händen das Wort, um es zurückzugeben, der Demütige. Wir wissen nicht, was aus ihm geworden. Sein Schicksal ist uns unbe­kannt. Irgendwohin ist seine Seele geschleudert worden, zuweilen scheint’s als riefe ein Sonnenstrahl sie ins Zimmer zurück und bannte sie für eine kurze Spanne. Wir fühlen’s nicht, wir ahnen’s nur. Es gibt irgendetwas in uns Men­schen, das ist unergründlich, unendlich und doch mit einem anderen Menschen oder zweien abgestimmt. Was es ist, können wir nicht sagen. Aber wir sind froh, daß es über­haupt ist. Sonst wäre wohl das Leben langweiliger um eine entscheidende Nuance. Und dieses Geheimnis hat Klabund gespürt.

So malt er denn seine Dichtungen hin, nicht etwa mit feinen Pinselstrichen, vorsichtig, behutsam, sondern wie in einem Rausch werden sie eruptiv hinausgeschleudert – vermenscht oder vertiert. Alle Leidenschaften, alle Gefühle menschlichen Daseins klingen in ihnen sehnsuchtsvoll an. Klabund will das Chaos klären. Er kämpft um Gott und um das Gute. Man muß Vertrauen zu sich selbst haben. Denn was man tut, kann nicht schlecht sein. Das muß man einfach glauben. Wenn man „schlechte Gedanken hat, ist man kein freier Mensch. Denn freie Menschen sind ohne schlechte Gedanken und schlechte Taten. Was sie tun und denken, ist recht und gerecht.“ Und für Gerechtigkeit kämpfen seine Helden, allen voran der Reitergeneral Moreau, Klabund ruft auf zur Gesinnung. Und bei diesem Kampf haben eine Anzahl erlauchter Köpfe Pate gestanden. Klabunds Ahnen sind unschwer zu finden, von dem Mittel­alter bis zur Modernen. Der Weg ist klar: Von Francois Villon über Christian Günther, Heinrich Heine bis zu Frank Wedekind. Von jedem dieser großen Geister trägt Klabund ein wenig in sich. Und so werden seine ersten Werke, jedoch völlig unabhängig bereits, der Öffentlichkeit über­geben. Klabund ist von Natur Lyriker. Und von der Lyrik wurde er sein kurzes Erdenleben nicht mehr frei. Seine lyrischen Verse werden in die Ewigkeit eingehen, werden schlechthin klassisch werden und diese verirrte und ver­wirrte Zeit überdauern.

Sein erstes lyrisches Werk erschien 1912 unter dem Titel: „Morgenrot! Klabund! Die Tage dämmern!“ Sofort offenbart sich sein starkes Talent. Er packt das Leben in seiner Vielfalt, greift es von allen Seiten an – mit welchem Glück! Es wird nichts beschönigt. Grell, wüst, verwildert – immer ehrlich, übermütig, unbekümmert, ernst. Manches ist hart und schroff, aber daneben gibt es sehr reine Stimmen einer müden Seele, Töne von hoher Innigkeit und traum­haften Versunkensein. Manchmal will es scheinen, als begegne man dem auferstandenen Christian Günther, dem verbummelten Studenten, von dem Josef Nadler sagt, er habe „das beneidenswerte Glück mit wenig schlichten, süßen Worten ein Übermaß der Seligkeit zu sagen, in ein paar leise Laute unheilbares Weh zu legen.“ Klabund hatte wie Christian Günther einen kranken Körper und eine kranke Seele und tauchte ein in das unruhige Vagabunden­dasein. Von diesem Poeten hat Klabund einen Schuß Liebenswürdigkeit in seinem Blut. Die rein lyrischen Steifen des Werkes sind die echtesten. Gedichte wie „O gib“ und der „Springbrunn“ . . . „Wasser stieg auf, Glanz fällt zurück“ sind so stark persönlich und neu, weil einfach, daß man erstaunt ist und glücklich zugleich über diesen jungen Poeten, der die buntesten Farbenspiele des Lebens er­schütternd leicht meistert. Worte schillern, Zeilen perlen, Strophen gleiten und das ganze Gedicht zwingt uns in seinen Bann. Klabunds erste Gedichte haben ihren Antrieb durchaus vom realen Geschehen erhalten, ein wenig un­gehemmt mitunter, aber der Grundakkord bleibt klanghaft im Ohr. Naturalismus und Symbolismus, reale und horizont­hafte Dichtung schwingen entgegen.

Klabund konnte und wollte sich nicht den Fragen der Zeit verschließen. Der Weltkrieg war ausgebrochen. Da fühlt er in sich Kräfte, die ihn befähigen, auch hier auf eigentlich fremdem Gebiete, über den Krieg als solchen, etwas auszusagen. Freilich, über allem steht eine glühende Sehnsucht nach Frieden. Jedoch Klabund verschließt sich nicht dem tatsächlichen Zustand. Er dichtet seine Kriegslieder, die auch teilweise schon vor dem Kriege entstanden waren, Kriegslieder-Gedichte, die zeitlich nicht gebunden sind, die immer sein werden, solange wir Soldaten haben. Klabund weiß, daß Soldaten leben und sein müssen und, daß es den letzten Frieden nur im Tod geben wird. Ach, und so manchem ist das Herz gestorben, während der Winterwind weht. Wenn es doch nur bald wieder Frieden geben würde. Die Zeit geht weiter. Die Soldaten hoffen auf Freiheit und Vaterland. Ihnen steht der Himmel offen. Sie kennen keinen Tod.   Sie haben nur diese eine Sehnsucht:

„O wieder eine Mutter haben!

Mit einem Mädchen Hand in Hand zu gehen!
Wir brauchen keine Brüder mehr begraben
Und dürfen wieder nach den Schwalben sehn.“

Und ans Ende seines Sammelbuchs „Dragoner und Husaren“ setzt er das Gedicht von der „Neuen Jugend“ mit den bekannten Endzeilen:

„Doch sei verflucht der alte Zopf!
Verflucht die dürre Krücke.
Deutschland hat einen Knabenkopf
Und braucht keine Perücke.“

Klabunds heißes Herz strömt Rhythmus und Reime in vollen Zügen aus. Mitten im Kriege entsteht die Dichtung „Irene oder die Gesinnung“. Ein Gesang. Klabunds Kreuzigung und Auferstehung durch sich selbst. Seine eigene Höllen-und Himmelfahrt, die noch in anderen Werken des öfteren wiederkehren sollte. Dieser Gesang ist symbolisch, kämpferisch und vielleicht von allen Dichtungen Klabunds, die revolutionärste. Klabund ringt um innere Festigung. Er wünscht den Friedlosen Frieden und mahnt sie zur Gesin­nung. Er preist knabenhaft die Mannheit und wird sich dennoch ans eigene Kreuz nageln. So wird er denn „die gefangene Stirn hilflos hängend im Raum“ – vielleicht wird sie auch zersplittern – zu Pallas gerüstet empor­steigen. Er wird Gott bitten, daß er sich zu ihm verlieren, daß er mit den Wolken schweben, mit den Vögeln singen, mit den Sternen glänzen, mit den Tieren lieben und mit den Schreitenden schreiten darf. Er wird zu Gott gehen und sich niederbeugen und seine tiefe Schuld bekennen, denn er hat schwer gesündigt. Und wenn Gott gnädig ist, wird der Dichter verbrüdert in die Fruchtbarkeiten der Erde mit aufgenommen werden.

Klabunds Sprache geht abseits von den andern, neue eigenwillige Wege. Insofern schon ist sie typisch deutsch. Nicht vergleichbar etwa mit der, der Franzosen, obgleich Klabund Maupassant liebte. Die Sprache ist lebendig, originell, neue Formen bildend, rundet sich ab oder zer­fetzt – letzten Endes immer wieder andere, neue Arten kristallisierend.

Klabund hat sich keinem „Ismus“ bewußt angeschlossen. Diese Einordnung bleibt den Literarhistorikern vorbehalten. Die genaueste und gerechteste Arbeit hat in dieser Be­ziehung bisher eigentlich nur Albert Soergel in seinem hervorragenden, sachlichen Werke „Dichtung und Dichter der Zeit. Neue Folge“ geleistet. Soergel stellt Edschmid und Klabund ungefähr in eine Reihe und überschreibt das Kapitel: „Flucht in das Abenteuer und die Wandlung.“ –

Klabunds Dichtungen brechen plötzlich aus seinem Innern hervor, wie Raketen pfeilschnell abgeschossen. Im ersten Augenblick verwirren sie, erscheinen als übertrieben neue Gebilde; aber bei intensiver Betrachtung wird das Formale, die innere Geschlossenheit der Formen augen­fällig. Klabunds eruptiv entstandene Sprachgebilde sind leicht (bei allem Einwand!) aufzunehmen. Sein Stil bietet bisher nicht geahnte Möglichkeiten an Knappheit, Konzen­tration, Absicht und – Fülle.

Durch seine Gedichte geht der Atem Gottes. Das ist vielleicht das Schönste, was man von Klabund sagen kann. Seine Lyrik ist der Seismograph seiner Seele, seines Her­zens. Innerliche Spannung, das Auf und Ab seines Daseins, seine Sehnsucht, seine Ironie erfüllen sie. In seinen beiden großen Sammelbänden Gedichten „Die Himmelsleiter“ und „Das heiße Herz“ spürt man etwas von diesem Atem Gottes. In diese Gedichte legt er seine ganze Sehnsucht, haucht ihnen Leben ein, den fremden „Helden“: Laotse, Hiob, Franziskus, Montezuma. Diesen beiden Büchern, von denen die Sammlung „Die Himmelsleiter“ in dem Gedichtband der gesammelten Werke an erster Stelle nur zu recht steht, gebührt der erste Rang in dem Schaffen Klabunds. Hier spürt man am lautesten Klabunds Herzschlag, der seinen Sprachrhythmus beflügelte. Lebendiges Herz in jedem Vers, lebendiges Pochen, wo die Hülle krank der Zukunft entgegenharrt und in Todesängsten schwebt, da entsteht dieses wunderbare, schwingende Lebensgefühl in den un­endlich zarten und blütenleichten Gedichten denen der Dichter, aus seiner eigenen Zwiespältigkeit heraus zu ver­stehen, als Gegengewicht Bilder von Schwermut beigibt. Ein Gedicht beginnt mit den Worten: „Laß mich fühlen, was ich glaube! Laß mich glauben, was ich fühle!“ Das ist echt klabundisch: sich verströmen lassen.

Die Unmittelbarkeit des Dichters schaut aus allen diesen Visionen. Tatsächlich bilden die Strophen der „Himmels­leiter“ und des „Heißen Herz“ eine Bereicherung der mo­dernen deutschen Dichtung und genügen vollauf den Forde­rungen, die die gestrenge Kritik an die Lyrik legt. Aber nicht nur darauf kam es an, sondern vielmehr wie die Öffentlichkeit auf die Verse reagierte. Sie empfand deut­lich die Vertiefung der Gefühle, die Klabund erstrebte, wenn er auch mit jedem neuen Gedicht aus einer Maske in eine andere schlüpfte, was zweifellos eine Schwäche be­deutete, aber sie ist verständlich. Seine Krankheit hatte ihn so sehr zermürbt, daß er in die Dichtung fliehen mußte, um hier sein wahres Antlitz zu verbergen oder vorbehalt­los zu offenbaren.

Mit einem größeren Gedichtband „Dreiklang“ erregte Klabund dann neuerliches Aufsehen. Klabund, der Sehn­süchtige, schreit seine Einsamkeit hinaus in die Welt. Flüche schleudert er unter seine* Mitmenschen ob ihrer Ge­sinnungslosigkeit und nur, wenn sie weinen, rinnt auch seine Träne, wenn sie bluten, fließt sein Blut. Beider Schmerzen sind gleich. Aber nur im Schmerz erkennt er, daß sie seine Brüder sind. Gutes und Rechtes wollte er tun, da wurde es Schlechtes, Ungerechtes, denn „die Tat ist schlecht in sich“. Und so wendet er sich in seiner Not an Irene und fleht um ihren Beistand. Irene war ihm „Schwester . . . Friede im Krieg . . . Frau unter den Weibern . . . Blonde unter Schwarzen . . . Weiße unter Negerinnen . . .“ Er legte Sinn in sie und sie schenkte ihm Gesinnung . . so ward ihm Gottes Tochter zur Geliebten. Sie gab ihm Festigung für eine kurze Spanne. Festigung, die er bitter nötig hatte, sang er doch:

„Herz zwischen Herzen,
Brust zwischen Brüsten,
Wank ich und schwank ich,
Und krank ich dahin.“

Tiefe brennende Erkenntnis kommt über ihn. Der Mensch lebt nicht ohne Tod. „Er stirbt und tötet ewig.“ Das ist sein Los. Er glaubt nicht mehr leben zu können, weil zu­viel des Leids war, weil er seinen Mond, sein goldenes Herz verloren hat. Nun muß er wandern in der Nacht „blindäugig, dumpf“. So wird ihm in seinem Leid Irene zur   Heiligen   des   zwanzigsten   Jahrhunderts.    Und ihr Lächeln überglänzte Qual und Glück. Seine Irene ist tot. Das Schicksal hatte es so gewollt. In seinem hohlen Her­zen hat er ihr einen Sarkophag errichtet und die „Birnen läuten im Chorgestühl der Baumkirchen“ ein silbern Lied zum Gedächtnis. Irene, das war die heiße Hand unter den Winden, die zart nach seinem Herzen tastete. Sie ist ihm heilige Dreiheit in eins: „Orchidee- silberner Maimorgen, tönender Gesang des Regens im Herbstlaub.“

Klabund weiß wohl, daß er sich gewandelt hat, daß sein eben Wandlung ist von „Mond zu Mond, ja oft von Sonne chon zu Sonne“. Aus Eigensinn wird Geigensinn. Aus Mord und Röcheln – Lord und Lächeln. So wird er immer ein Anderer, ein ewiger Wanderer sein. Aber Klabunds „Dreiklang“ hat einen versöhnenden Ausklang. Er bekennt, daß er seinen Frieden gefunden, seinen Frieden, der stumm, süß, hell und ewig ist, wie die „ewige Seele der Ge­liebten“.

„Der Geist der Tiefe ist unsterblich.
Er ist das Übersinnlich-Mütterliche.
Des Übersinnlich-Mütterlichen Herkommen
ist die Wurzel Himmels und der Erde.
Ewig sitzt die Mutter am Webstuhl.
Sie wird des Webens nicht müde.“

Im selben Jahr veröffentlichte Klabund seinen „Himm­lischen Vaganten“. Mit das Köstlichste, das aus seiner Feder kam. Der himmlische Vagant ist kein anderer als der berühmte Francois de Villon oder de Montcorbier. „Le petit et le grand testaments“ und die Ballade „Les pendus“ hatten Klabund angeregt zur Schöpfung einer sprachlich ebenbürtigen deutschen Ausgabe. Klabund übersetzte nun nicht etwa, sondern selbst Vagantenfigur wie Villon, Blut von demselben Blut, erlebte er dessen Abenteuer noch einmal und dichtete sein Werk, das völlig unabhängig und gleichberechtigt neben dem französischen steht. Villon lebte ungefähr um die Mitte des 15. Jahrhunderts.   Er war bald verbummelter Student, Rechtsschreiber, Bettler, bald Hurenfreund, Mörder, Schalk. Er war ein Vagabund wie selten einer. Zechprellereien, Händel mit Soldaten, Raufe­reien mit Studenten, Streitigkeiten mit ehrsamen Bürgern Mitgliedschaft in der Bande „des coquillards“ waren Teile seiner Beschäftigung. Unverfroren, zynisch, brutal, witzig, ewig lachend und auch tieftraurig, melancholisch — so lebte Villon dahin. Und so läßt ihn Klabund aufleben. Kla­bund führt eine geschmeidige Feder, wie Villon den Degen. Beide zielen nach dem Herz des Bürgers, das er wohlver­wahrt unter seinem Wams trägt, nächst dem Magen.

Und dann schließlich stehen da ganz einsam, konträr zu den Gedichten um Irene, den östlichen Dichtungen: die volkstümlichen Verse des „Leierkastenmannes“ und der „Harfenjule“. Für Leiermänner hatte schon Klabund als kleiner Bengel und noch nichts von seiner Sendung wußte eine besondere Vorliebe. Stundenlang konnte er am Fenster stehen und dem Klange ihrer Weisen lauschen und Geldstücke ihnen zuwerfen. Diese wunderbare Zer­lumptheit der Leiermänner, ihre sehnsuchtsvollen, schwer­mütigen Lieder, die strammen Märsche oder ein Volkslied aus dem Kasten, der mit allerlei bunten Figuren bemalt war, bannten ihn. Die Leiermannsromantik wurde sogar be­stärkt in dem Knaben, denn er erhielt einmal zum Weih­nachtsfest einen kleinen Leierkasten, band sich dazu knotig ein buntes Halstuch um, setzte sich eine Mütze ver­kehrt auf und durchzog das Haus, auch brav für sein Spiel Geld einsammelnd. Und der Dichter Klabund ist diesem Spiel treu geblieben. Wieder einmal schickte er seinen Leierkastenmann hinaus, daß er den Menschen traurige und schöne Weisen vorspiele. Siehe da: Klabund hatte er­staunlich sicher den Ton des Volkes getroffen und fand ein herzliches Echo in ihren Kreisen.

Und dann die „Harfenjule“! Von allen Klabundschen Gedichten sind doch diese, in einem kleinen 64-seitigen Bändchen erschienenen, die populärsten Verse. Ob Wed­ding oder Kurfürstendamm!   Diese Strophen kannte jeder.

Und bei aller Frechheit, Frivolität – wie viele haben ihn wegen dieser Verse verachtet – hier ist der Anschluß an Wedekindsche Lautenlieder, hier ist Bänkelsang in seiner Vollendung.

Frech, schnoddrig, zynisch, unverschämt, herzlich, frivol, lyrisch, dreist, herausfordernd, verliebt, bohemienmäßig, gutmütig – Verse. Hingestreut. Alle Bezeichnungen – so verschieden sie auch sein mögen und sein sollen – fließen in einem lebendigen Begriff wieder zusammen. Dieser Begriff heißt: Klabund.

„Harfenjule“ und Klabund. Das sind zwei untrennbare Daseinsformen. Aber wie bereits festgestellt nicht die einzigen Formen des Dichters. Diese Form (der „Harfenjule“) ist vielleicht die seinem Selbst entfernteste. Kla­bund spielte Theater, war Schauspieler seines eigenen Ichs. Es ist eine seiner vielen Möglichkeiten, stärker – publikumswirksamer – ausgenutzt. Mancher Vers entstand möglicherweise nur, weil es sein mußte, weil die materielle Not den Dichter unbarmherzig zum Schaffen antrieb – zum Verdienst. Und so ordnete sich in dieser Zeit größerer materieller Einengung die dichterische Intuition, die Begabung, der Tagesforderung unter. Die Existenzberechti­gung setzte den Mammon vor die Kunst. So wurden ge­legentlich Gedichte fabriziert! Durch die klare Sichtung in den Ges. Werken ist jetzt ganz offenbar, wie fest und schlagkräftig viele Gedichte der „Harfenjule“ sind.

Die „Harfenjule“, überhaupt diese ganze Art moderner volkstümlicher Großstadtdichtung Klabunds, steht, wie Her­bert Eulenberg einmal sagte, „zwischen der Kunst eines Zille und der einer Käthe Kollwitz“. Ein großer, gütiger Ton klingt aller Frechheit zum Trotz aus seinen neuen Zeit-, Streit- und Leidgedichten. Ein Ton der bei Werfel zum erstenmal anklingt und nicht mehr verloren gehen wird. Auch Klabund behält ihn.

Leidenschaft, Haß, Sinnenliebe pulst in diesen Balladen, Mythen und Lyrika.   Eine Liebe über allen, die so stark strömt, daß eine ganz andere Art von Liedern – wieder Beispiel für die Vielfalt Klabunds – entsteht: die Irene­lieder. Sie nehmen innerhalb der Klabundschen Lyrik eine ganz besondere Stellung ein. Entstanden sind sie aus einer ganz persönlichen Stimmung, aus tiefstem, glücklichem Er­leben. Die Intuition für diese lyrischen Sentiments gab ihm der Mensch, der für kurze Zeit sein liebster Kamerad und bester Gefährte seines Lebens war: die Geliebte, die Gattin.

Für sich tauft er sie Irene. Wir wissen, daß ihr bürger­licher Rufname anders lautete; aber Klabunds Einbildungs­kraft verband mit der geliebten Frau unabänderlich diese Namensvorstellung: Irene.

Und so gingen die Oden, kleinen Liebeslieder und Sonette für sie in die deutsche Dichtung ein. Wieder ein­mal befruchtete eine Frau das Werk eines schöpferischen Mannes auf das Tiefste. Sie spielte die entscheidende Rolle in seinem Leben. Er mag viele andere Menschen zu lieben Freunden und Vertrauten gezählt haben; aber letzten Endes waren diese doch nur Episoden bei aller Aufrichtigkeit von Seiten des Dichters. Das Genie dieser Frau erst brachte seiner lyrischen Seele Erlösung, wie das Gleiche zirka zehn Jahre danach sich wiederholte als er Verse für die Schwarze, seine Carola schrieb.

Die zärtlichen, ach so glücklichen und schmerzlichen Gedichte aus der Irenezeit verdanken wir jedoch dieser ersten Frau, ihrer Liebe. Klabund bedurfte ihrer Herzlich­keit. Sein Herz benötigte ihre Leidenscheid. Wilde Ent­spannung tat ihm wohl. Ach, welch tiefes, glückliches Dasein!

Klabunds Lyrik ist um die Jahre 1916/20 im Wesent­lichen auf das schöne Erleben mit dieser Frau eingestellt. Schmerz und Glück wechseln einander ab und der Aus­klang allen Dichtens ist Trauer, Trauer wie sie in zeitgenössi­scher Dichtung selbstloser nicht war.

Und nicht minder demütig ist die „Totenklage“; die dreißig Sonette sind von auserlesener Zucht und Strenge in Form und Rhythmus der Sprache und der Bildhaftigkeit. Kaum war Irene von ihm gegangen, als er sich an den Tisch setzte und Tag für Tag ein Sonett ihr schrieb, es abends an ihr Himmelbett brachte, und es zu ihr sprach und sie stumm, die Augen zu, ihm lauschte. So verging ein Monat, seit sie starb und die „Totenklage“ wurde, eine läge wie sie mir erschütternder noch nicht begegnet ist. In seiner Verlassenheit sieht er nur ihr Bild, ihr Sternbild und ‚ann ist er gegen diese Zeit gefeit.   So soll ihm Irene erscheinen, daß sie ,ihn und uns, ja auch uns erlöse, die Himmlische.  Und er bekennt:

„Und sollt ich hundert Jahre Qual erleiden, In denen stündlich ich dich neu verlöre: Einmal war doch das Paradies uns beiden!“

Wieder ist Klabund ohne Heimat, ohne Herd, ohne Frau und Kind. Verlassen hockt er in seiner Einsamkeit und schwankt „von neuem in das Wanderschaftsgetriebe.“ Auf den Sommer folgt ein Winter der Verzweiflung. Unglücklich ist er und möchte am nächsten Straßenrande einschlafen, denn er hat nichts als diesen Wunsch in seinem Schmerz: zu sterben.

So wandelt er sich wieder einmal mehr. Aus dem freudvollen, frohen Poeten wird ein Demütiger, ein Büßer. Und so wächst er in das Erhabene hinein und der Weg zur Epik ist bereitet.

Der Kreis um Klabunds deutsche Lyrik ist geschlossen, abgesehen von einigen kleinen Sammlungen, die ich nicht weiter erwähne, weil sie für das Gesamtbild nicht von tragender Bedeutung sind.

Klabund sitzt nicht in seinem lyrischen Stübchen und „macht“ Gedichte. Die Vielfalt seiner Seele läßt seine ganze Persönlichkeit total erscheinen.   Und so war er: Er konnte ebenso hassen wie lieben, weinen wie lachen. Seine Verse sind bei aller innerlichen Unsicherheit mit der Kraft eines Ungehemmten geworden, in jener blitzartigen Erkenntnis, wo das menschlich Endliche und das Unend­liche sich berühren. „Klabund war wortgewordener Ge­danke.   Klabund ist Lyrik.“*

Klabund, der Lyriker, hat auch in der Prosa seine Er­folge errungen, freilich erst nach hartnäckigem Ringen. Zehn Romane liegen von ihm vor und eine Unmenge Er­zählungen, Legenden, Geschichten, Grotesken.

Wie so mancher andere Dichter begann Klabund mit Heimaterzählungen, Alt-Crossener Geschichten, an die Öffentlichkeit zu treten. Die meisten Klabundfreunde werden diesen ersten Band kaum kennen, der nur in kleiner Auflage verbreitet wurde. Er ist „Celestina“ betitelt, ent­hält 16 Prosastücke auf leichte Art heruntergeplaudert. Klabund hält hierbei den Ton des referierenden Chronisten, berichtet im Stil der Zeit in der die Kurzerzählungen spielen.

„Bunt ist die Natur, und es gibt rote, blaue, gelbe und violette Blumen. Also gibt es auch rote, blaue, gelbe und violette Charaktere.“

Diese Vielfalt aufzuzeigen und „vermeinend, daß die Posteritas ihm den zünftigen Dank nicht vorenthalte“ der­maleinst, begann Klabund den langen beschwerlichen Weg eines deutschen Dichters.

Und dann versteckt sich der Ruhelose hinter einer neuen Maske. Er schickt Grotesken hinaus. Bunt, grell, übermütig, frech, jung – erstaunlich sicher in Form und Sprache bereits, beginnt „Klabunds Karussell“ die Fahrt. Und alle sind sie versammelt und stehen zur Schau, der sterbende Jockey mit seiner Atalanta, das Mädel, die ewig-lächelnde,   heimtückische   Margarete   Andoux, der kleine sich nach Liebe sehnende Lorbeer, die abenteuern­den Konrad und Esther und der Gelehrte Runkel, Schrecken aller Pennäler und drehen sich herum auf dem schnell und schneller rotierenden Karussell und singen des Dichters Geleitverse im Chor:

„O es fällt ein trüber Regen,
Und verweinte Winde wehn.
Nein, — ich will ins Bett mich legen.
Und nach meinen Puppen sehn.

Spielend form ich aus den Kissen
Weiße brennende Figuren,
Welche mir gehorchen müssen:
Kinder, junge Herrn und Huren.“

Klabund als Zyniker. Keine Überraschung. Hinter allem Zynismus steckt ein tieftrauriges Menschenantlitz, ein verklärtes Knabengesicht, das zur Fratze wird, weil sein
Meister es so will. Es mangelt meines Empfindens nicht an künstlerischem oder sittlichem Ernst wie ein Zeitgenosse Klabunds, der abseitsstehende Gustav Sack, behauptete, sondern Klabund stößt in jungenhaftem Überschwang scharf vor und dringt auf Wirkung, daß er dabei gelegentlich seinen Trieb schießen läßt, schreibe man seiner stürmischen Jugendlichkeit zugute und gehe nicht mit dem Maßstab einer hochgelahrten Literaturkritik an diese Geschichten, dazu liegen sie viel zu sehr an der Oberfläche, ähnlich denen im „Kunterbuntergang des Abendlandes“ und man  lasse sich von diesen Bluffstories eben – bluffen. Denn letzten Endes soll doch der Bürger, der Trottel, der ängstliche Moralist ein wenig angeärgert und verulkt werden, er sich ekelt — bitt‘ schön — es sei ihm gestattet, er
zahlt einen Groschen in die Kasse. –

Ganz anders ist es dann mit seinen Novellen (die in den Ges.-Werken unter dem neuen Titel „Gestalten“ auftauchen). Diese halten allen kritischen Erwägungen stand. Sie sind so sauber, was die Technik der Anlage und die Ausführung betrifft, angelegt, daß sie schlechthin meisterhaft anmuten.

Die „Gestalten“ enthalten auch die Prosaballade vom „Störtebecker“. Vielleicht das beste Stück, das Klabund uns bescherte. Schade, daß aus dem Hanseroman nichts wurde. Klabund hatte ihn geplant, während eines Auf­enthaltes bei einem Münchener Freund. Bücher, Akten, Bil­der hatte er sich besorgt – aber plötzlich verlor er die Lust, hinterließ dem Freund den Stoß Hanselektüre und der Plan zerrann ….

Im „Störtebecker“ wird Klabunds Varietät anschaulich, jene Varietät, von der er selbst sagt, daß sie die Welt erst zur Welt und das Leben lebenswürdig macht. „Wenn man Mensch ist, weiß man nicht immer, wie schön es eigentlich ist, Mensch zu sein. — Wir müssen alle um unser Tiefstes bluten. Die Hauptsache, dass wir bluten.“ – Wie sehr hat Klabund geblutet! Ausgeströmt ist sein Blut in Bächen und in schnellem Lauf talwärts gezogen. Spuren von der Not und Qual des Dichters hinterlassend, Zeuge des unerhör­ten Rausches, den sein Herz befiel, wenn er schuf. –

In einem solchen Rausch entstand in München der erste Roman seines Lebens, der Soldatenroman: „Moreau.“ Mit leidenschaftlicher Hingabe schrieb er sich das Werk von seiner Seele. Sein Herz pochte den stürmischen Rhyth­mus. Er arbeitete wie in einem Traumrausch. In ein paar Wochen wurde der „Moreau“. Klabund war wie vom Fieber gepackt und ruhte nicht eher bis das Werk vollendet war in einem Zuge.

Die Idee zu dem Roman war ihm auf nicht ganz alltäg­liche Art zugeflogen. In München auf dem Jahrmarkt der Auer Dult trieb sich Klabund herum. Die Krankheit, das Fieber schüttelten und zausten ihn heftig. An einer alten Jahrmarktsbude blieb er stehen und wühlte zwischen alten Folianten, Büchern, Kupferstichmappen, Zeichnungen, Zeit­schriften, als ihm zufällig ein alter Stich, den General Mo­reau darstellend, in die Hände kam. In diesem Augen­blick hatte er in blitzartiger Erkenntnis die Vision seines „Moreau“, zu seiner Dichtung. Dann setzte er sich hin und arbeitete bis zur Vollendung. Freilich, um die Historie küm­merte er sich den Teufel. Sehen mußte man seinen Mo­reau. seinen Helden. Der war kein braver Papa, am Rock­zipfel die Kinder und geruhsam am Arm der Madame schreitend. Sein Moreau war kein Bürger; der war ein Kämpfer für die Gerechtigkeit. Ein Held! Was scherte ihn die Überlieferung. Ein wahrer Dichter muß seinen Ge­stalten unabhängig von ihr Lebensodem einatmen können. Klabund konnte es. Es ist typisch für ihn, – auch bei anderen Prosawerken, insonderheit der „Borgia“ – , daß er sich nicht gebunden fühlt an die Tradition, sondern frei von ihr — bei aller innerlicher Hochachtung vor ihr – schuf.

Moreau, das ist die Inkarnation eines wahren Sol­daten. Als Moreau schon längst im Grabe vermodert  – von einer napoleonischen Granate bei Dresden zu Tode getroffen – da erscheint sein Skelett dessen Soldaten: „ein blutendes Mal in der Gestalt eines Kreuzes auf der Stirn, auf einem weißen Schimmel reitend, die Reihen der Verbündeten anführend“.

Überall ist Moreau Retter. Ob an der Front oder in der Heimat. Aber der kleine Korse verdrängt ihn. Mit siche­rem Instinkt spürt Moreau den Gegner Bonaparte.

Im Schmerz, in der Enttäuschung ist Moreau am größten und am liebsten, wenn er wild und mild, gut und böse seiner kleinen Hau-Ri gegenübersteht und ganz zart und stark ihre Liebe empfängt und hütet, denn „er würde sie töten, wenn er sie wahrhaft liebte“.

Moreau fällt vor Dresden. –

Moreau schlug mit der Hand in die Luft.
Die Bretagne blendete.
Mütterliche Güte strich über seine Stirn.
Seine Wimpern zitterten. Er wollte weinen.
Aber er schlief ein.“

Anfang und Ende haben denselben Wortlaut. Gleich­sam Symbol für den Kreislauf vom Leben zum Tod. Immer das Gleiche: Ewig, ruhelos, menschlich. Schön.

Als nun folgendes Werk sei hier der Zarenroman „Pjotr“ gewürdigt (indem die Anordnung der Ges.-Werke Klabunds respektiert wird). „Pjotr“, das ist Blut von Kla­bunds Blut. In wilder Ekstase gestaltete der Dichter das Bild des großen Russen Peter. Halb Wolfskind, halb Menschenkind – ungewöhnlich auf alle Fälle – tritt Pjotr in die Welt. Ein kleiner Vampir ist er, der seine Mutter ausgesaugt hat, daß sie auf „einer weißen Abendwolke zum Himmel“ schweben mußte und Behüterin den Wegen ihres Knaben Pjotr wurde. Da ist der idiotische Bruder Pjotrs: Iwan, der ihn auf Geheiß seiner sauberen Schwester Sofija ermorden sollte. Da ist der liebenswürdige Fürst Galizyn ein höfischer, ergebener Trottel. Da sind Timmermann und Menschikow, beste Freunde und Berater Pjotrs. Da ist sein mächtiger Widersacher im Innern: der Pope Golowin; im Äußern: Karl von Schweden. Und da ist die Geliebte, die Heißblütigste: Katharina.

Pjotr, Welten zerstörend, Welten schaffend, Menschen entwaffnend, Menschen liebend, Pjotr der Gigant, das Kind!

Einmal, als alter Haudegen schon, rettete Pjotr einen Knaben vom Tode des Ertrinkens. Ein heftiges Fieber be­fiel ihn. Er beichtet Golowin: „Es war alles umsonst.“ Pjotr stirbt, als das Testament aufgesetzt werden soll. Katharina inszeniert einen Staatsstreich und durch eine kleine Urkundenfälschung wird sie Zarin.

Ein Mythos von „Gewalt, Lüge, Greuel, Brunst, Schand­tat – ein Antichrist“. Klabund fühlt die Schicksals­gemeinschaft mit dem gewaltigen Reußen. Er spürt die tiefinnerliche Liebe zu jenem und entwirft dieses grandiose Bild, dieses Sinnbild aller weltlichen Mächte.

Das ist das entscheidende Merkmal, darauf kommt es bei all diesen Romanen historischen Inhalts an: Sie sind Visionen, Dichtungen reinsten Blutes, in einem Zuge hinge­schrieben und nicht mühsam zusammengestümpert.

Klabund hat eine neue Form für den modernen histori­schen Roman gefunden. Sie ist vorbildlich. Aber man messe sie nicht an Vorbildern. Man nehme sie, wie sie ist und berausche sich an ihr. Dann wird dem Werk des Dichters Gerechtigkeit. Bei aller Historie und Tradition und Tathaftigkeit: Klabunds Helden sind Kinder der Natur. Ob Moreau, Pjotr, Mohammed, Rasputin, Bracke oder Störtebecker. Sie alle müssen zum großen Teile aus ihrer Landschaft, ihrer Erde verstanden werden. Klabund trug ja selbst in sich Natur in jeglicher Gestalt. Eine schöne Landschaft, wild, romantisch wie er sie etwa 1921 in Positano erlebte, war ihm gerade recht. Dort blieb er, „so lange es ihm so gut gefällt oder so lange er sich hier so gut gefällt“.

Klabund bemalt seine Helden grell und farbig. Sie gleiten nicht „schattenhaft durch eine romantische Kulissen­welt“, sie stehen vielmehr im Vordergrund und wandern blutvoll durchs Leben. Verflucht, was ist das für ein Leben, das sich um diesen „Rasputin“ abspielt. Alles aus Menschen­liebe. Aufrührer, Gottgesandter, Wahlagitator, Heiliger, Prophet, Dämon, Wüstling, Favorit bei der Zarin, Neben­buhler, Schieber, Kriegsgewinnler, Mörder, Frauenliebling und am Ende doch – Geprellter. Ein armseliges, stürmisches Leben. Nur zu verständlich, daß Klabund dieses historische Dasein, dieses sprunghafte Auf und Ab gefesselt hat. Mit einer selten erlebten Eindringlichkeit und Kürze wächst die­ser Rasputin bei der Lektüre bereits zu plastischer Größe vor unseren Augen auf. — Dieser Roman ist die erste Nach­laßveröffentlichung. Das Werk als solches ist inhaltlich sehr kurz. Man weiß nicht genau, ob Klabund noch geändert. Neues hinzugedichtet hätte.

Romane der Leidenschaft, leidenschaftliche Romane. Das sind sie. Auch der Roman von dem Propheten „Mo­hammed“. Wieder liegt als Thema vor: das Schicksal von der Berufung und Sendung eines Auserwählten. Dieses Mal spielt es im Osten, Klabunds anderer Heimat. Somit gehört es dem Sinne nach zu den östlichen Dichtungen, von Jenen später noch die Rede sein wird. Die Welt der Dattel- und Feigenbäume, der Palmen und Rosenbüsche er­schließt Klabund. Vögel und Blumen zwitschern. So setzt der Dichter ein Bild neben das andere, Wort folgt auf Wort. „Wie der Gärtner das Wasser in den Mund nimmt, die Blumen zu besprengen, habe ich schöne Worte im Munde und lasse sie über die dürre Wiese regnen.“ Dieser Mohammed ist voller Güte und Demut wie Klabund. Er tut nichts als träumen, will nichts als Wünsche, er kann die Erde nur ehren, die Tiere nur lieben, den Geist nur preisen. Sich selbst muß er unausdenkbar und unaussprechlich ver­achten. Aber als er sich innerhalb der Gemeinheit der Menschheit hassen lernte, da ,.wagte er sich zum erstenmal zu lieben und weinte sich wie ein Kind in seligen Schlaf . . .“ Datteln und Lotoshaine winken. Granatäpfel, Pfirsiche, Orangen, Zitronen wehen süße Düfte zu uns hin. Das Para­dies, will es uns scheinen.

Mohammed, des großen Propheten Sendung hat sich vollendet mit seinem Tode. Wieder ist ein Schicksal in sich abgeschlossen. Mohammed hat zuvor noch die Gläubigen aufgerufen „zum heiligen Kampf, zum strahlenden Ge­metzel, zur ewigen Schlacht, zum süßesten Sieg“. Moham­med hat seinen Kampf um die Gerechtigkeit, wie auch einst Moreau, ausgekämpft und insofern sind diese Ro­mane glühende Zeitbekenntnisse. Freilich mit dem Unter­schied, daß der Soldatenroman „Moreau“ ein Prosastück ist, während der Prophetenroman „Mohammed“ aus lyrischer Empfindung wurde.

Auf die Romane leidenschaftlichen Kämpfertums um Gerechtigkeit, um Menschlichkeit, folgen die Romane des Suchers, des Gottsuchers, des Sehnsüchtigen – Romane der Sehnsucht. Nur zu erklärlich, daß solche Werke werden mußten. Zauberbergwelt — und Thema. Die Stille der Sanatoriumszimmer, die ewige Gleichmäßigkeit der kahlen, weißen Wände, die behutsamen Menschen, des Arztes Schritte, die Schwestern daneben, die Tabellen am Kopf­ende des Bettes mit Kurven bunt bemalt, Blutkurven an denen man das Tempo, die eigene Impulsivität feststellen kann; die jungen Assistenten; die Klingel zur Linken, daß man die dienstbaren Geister herbeiläuten kann; das brennende Fieber; die Uhr, die jede Viertelstunde schlägt; Schritte auf den Fluren; in trüben Stunden Gespenster, in lichten Stunden heller Blick durch die Fenster in den Garten, in die Welt, sehnsüchtig Fernes, Geliebtes herbeizaubernd. Höchste Seligkeit des Kranken. In dieser Einsamkeit, Ver­zweiflung, Lebenssehnsucht — nirgends sonstwo tritt Kla­bunds glühender Wille leben zu wollen, so deutlich her­vor, entsteht der Roman: „Die Krankheit.“ Ein autobio­graphisches Werk. Es spielt in Davos, auch Klabunds Heimat, halb wirklich, halb träumerisch. Man weiß nie, wann man stirbt. Täglich, stündlich kann einen der Tod anpacken. Jeder neue Tag, den man erleben darf, bedeutet Gnade und Trauer, Abschied vom Leben, Hoffnung auf den nächsten. Wenn einer stirbt, wird er nachts still und leise aus der Pension getragen, wie die Russin Agafja, die sich in einen Oberlehrer mit offener Hauttuberkulose verliebt hatte. „Ab­gereist“ sagte man sei sie. Und jeder wußte was ge­meint. Das Leben dort in Davos inmitten einer Gemeinde Kranker sagt Klabund, das heißt: „Einer Protestversammlung Sterbender gegen den Tod angehören.“ Ueber seine eigene Krankheit bekennt er in diesem Roman:

„Es sind sieben Jahre her, daß ich an beiderseitiger Rippenfellentzündung erkrankte und im Krankenhaus zu Frankfurt an der Oder lag. Ich ging, ein Knabe von sech­zehn Jahren, zur Rekonvaleszenz nach Locarno. Ich schlug zum erstenmal die Augen zum Himmel empor und sah die Madonna del Sasso auf dem Felsen schweben und San Bernardo über die Sonnenkugel schreiten. Auf Locarno folgten Borkum, Brückenberg, Gardone-Riviera, Arco, Swinemünde, Reichenhall, Arosa, Lugano, Davos, Wehrawald und wieder Davos. Ueberau lebte ich meiner Ge­sundheit, wie es so hübsch heißt. Aber lebte ich nicht meiner Krankheit?  Ich erinnere mich eines Sanatoriums im Schwarzwald, da war unser Krankenpfleger und Masseur zu­gleich Totengräber des kleinen Dorfes.   Man sah von den Liegehallen auf den Kirchhof.   Ein freundliches Symbol. Bei mir verdichtet es sich noch: Kranker, Krankenpfleger und Totengräber bin ich in einer Person.“ – Das ist Zynismus eines Todgeweihten, Grausamkeit, die wir kaum noch ver­stehen und die ihre tiefste Ursache in einer großen, gewalti­gen Lebensbejahung hat. Was für eine erschreckend kuriose Gesellschaft hat sich Klabund da ausgesucht.   Er selbst identifiziert sich mit einem Dichter Sylvester Glonner, „einer der Führer der jungen deutschen Dichtung, den Davosern im besonderen nicht unbekannt als Autor des grotesk­schwermütigen Davoser Romans „Die Krankheit“. Freunde, Japaner, Oberlehrer, Sybil, die Schauspielerin, Ärzte, Bul­garen, Davoser.   Ein buntes Gemisch von Menschen. Syl­vester ist Dichter, Schauspieler, Rennleiter, Kranker, Lieben­der, Tänzer, Todgeweihter, Gejagter, Abenteurer — immer zwischen Diesseits und Jenseits, Leben und Tod, Himmel und Hölle.

Tod, Sylvester hat ein Musterbeispiel von Tod, das zitiert er: „Mir hat immer der Tod Friedrichs des Großen als Beispiel eines Todes gegolten, wie er sein soll. Er starb draußen im Freien, in der Sonne, unter grünen Bäumen, im Lehnstuhl sitzend, den letzten Blick einer Schwalbe zuge­haucht.“

Klabund hatte auch seinen eigen Gott. Er legte sein Bekenntnis einem jungen Crossener Künstler einmal in den Mund. Und man geht nicht fehl, wenn man es sein eigenes nennt:

„Gott ist nicht der Menschen Erschaffer, sondern der Mensch ist Gottes Erschaffer. Was aber (glaubte ich da­mals) predigt die Kunst anders? Und bin ich ein Christ, wenn ich Gott in mir suche?

Mir im Blute lag ein Widerwillen gegen jede verbaute und überdachte Gottesehrung, wie sie die Kirchen darstell­ten.   Wenn ich beten wollte, ging ich zu den Tannen im Walde, zu den Schmetterlingen auf der Wiese. Und meine Abneigung gegen Kirchengebäude wurde mir erst benom­men, als ich in Nürnberg und München gotisch herrliche Bauwerke erfaßte wie die Sebalduskirche und die Kirche unserer lieben Frauen. Denn ich rang hart mit meinen El­tern, denen das Ungewohnte und Ungewöhnliche meiner Veranlagung nicht in den Kopf wollte, daß sie mich sollten nach Nürnberg ziehen lassen und nach Köln, wo ich die Zeichenkunst und den Kupferstich zu erlernen gedachte. Setzte es auch wider ihren Willen durch. Denn ich wußte wohl Bescheid in der Bibel, und daß es da heißt: Man muß Gott mehr gehorchen, denn den Menschen. Und ich ver­traute meinem Gott.“ –

Klabund, . . . Sylvester, der Einsame, sucht Freundschaft. Sybil ist Schauspielerin und krank. Das sollte genügen, ihn zu erschrecken und ihn veranlassen, von der Freund­schaft Abstand zu nehmen. Aber er ist ja selber beides. Und darüber hinaus noch ein Drittes: Er „ist ein Dichter und speit immer Blut“. Und Sybil weint Blut. Denn sie „lebt mit den Augen“ …. und er, da er Blut speit, lebt „mit dem Mund“ ….

„Ein Kopf ohne Hirn …. ein Leben ohne Tod …. immerhin es war zu erwägen …. und …. so süß zu hoffen . . . .“ heißt es am Ende dieser fürchterlichen Beichte, die in nichts dem „Spuk“ nachsteht.

Auch der kleine Roman „Franziskus“ spielt in den Bergen zwischen Davos und Arosa. In dieser Geschichte geschieht nichts anderes, als daß man krank ist. Vor­stellungen von Pflicht und Zweck des Lebens verschwinden, wenn „das Wasser in den Teemaschinen summt, und das Mädchen mit einer Schale leichtem Backwerk vorsichtig das Zimmer betritt. — Alle Gefühle lösen sich in leichte Schmerzen auf, die gerade so weh tun, daß man noch weiß, es sind Schmerzen“.

Klabund kennt seine Krankheit genau. Er weiß um ihre Symptome.  Manchmal spielt er mit ihr, so lange sie sich’s gefallen läßt. „Denn sie ist nur im Sommer und Winter gutartig. Im Frühling aber und Herbst, im Frühling, wenn die andern Leute das Leben am meisten freut, bläst sie einen mit giftigen Dämpfen an und zittert in Krämpfen.“

In diesen Rahmen: Krankheit stellt Klabund die wunder­schöne, tief ergreifende Geschichte von dem Hund Franziskus, der mit menschlichem Verständnis seiner Herrin folgt, sie beschützt, sie verläßt, von ihr und ihrem Liebhaber verlassen wird. Da folgt ihr der Hund Franziskus, der Treue, und noch im Versinken in den Fluten des Bodensees, am Rande der Ewigkeit, wo sein Blick noch einmal seine Herrin Gonhild schauen darf, stürmt ein Jauchzer hinaus in die Welt und dann versinkt er und geht ein in das himmlische Heer der Tiere, wo er einst in liebender Inbrunst seiner Gon­hild begegnen wird und sie werden im All-Eins eins werden.

Dieser kleine Roman ist von so vielem menschlichen Verstehen, von so vieler Güte getragen, daß man ihn gläu­big neben andere Romane mit dem ähnlichen Vorwurf, wie etwa bei Francis Jammes stellen kann. Hier spricht ein Mensch zu uns. Nicht einer dem es um das Individuum geht, was das „Nebensächlich-Unsächliche“ ist, sondern einer der um die Wandlung der Seele, des Ich zum andern Ich weiß: um das Element. Nur so kann man gut, kann man heilig werden. Man muß ein Mensch gewesen sein, um ein Heiliger zu werden, denn „wie kann der von Güte wissen, der niemals schlecht war?“

Man verspürt in diesem kleinen Roman etwas von der Liebe, die Alles zusammenschließt. Mensch, Tier, Natur und Erde werden eins. Nicht ohne geistige Verwandt­schaft zu dem Roman dreier Hunde „Die Flucht zu den Hilflosen“ des Bonner Wilhelm Schmidtbonn. Hier wie dort die Welt der Gemeinheit, Lüge, Eitelkeit, Feigheit, Erbarmungslosigkeit.

Um inbrünstiges Sein geht es auch in Klabunds letztem Werk aus dem Nachlaß: „Roman eines jungen Mannes.“ Freilich ob man dem Dichter mit der Veröffentlichung dieses Romans einen Dienst erwies, das bezweifele ich, trotz­dem! . . .

Wieder ein Werk mit autobiographischem Antlitz. Un­erhört sinnlich, die Zuchtlosigkeit und Zerrissenheit der Münchener Boheme aufdeckend. Aktuelle Themen werden mit beißendem Spott behandelt, wie z. B. der Antisemitis­mus. Dieser Josua Triebolick, Kind eines Seemannes und einer Schwindsüchtigen, Adoptivsohn eines braven Dro­gisten, Abiturient, Student, Anarchist, Künstler, Dichter, Schwindsuchtskandidat — ja, vielleicht hatte er ein Martyrer-gesicht, vielleicht?!

Dieser Josua ist ein Narr seiner selbst, ein betrogener Betrüger; einer der sich um seine eigene Seele und andere um sein Herz prellt. Ein trauriger, – ein kranker Mensch, Er kann sich nicht verändern, er ist immer derselbe. Er glänzt rot und dunkel, klar und durchsichtig wie ein Rubin.

Ich habe das Gefühl, daß dieser Nachlaßroman eine der erschütterndsten Beichten Klabunds um sein ruheloses Leben ist und deshalb hätte seine Veröffentlichung unterbleiben sollen.

Nur zu natürlich, daß auf die Sehnsucht die Erfüllung folgt. Romane der Erfüllung: „Borgia“, „Bracke“. Diese beiden Werke sind die bedeutendsten epischen Dichtungen aus der Feder Klabunds. „Bracke“, das ist lebendige Eulenspiegelei. In diesem Zusammenhang ist es nicht ohne Interesse, auf den mittelalterlichen Ursprung dieser Dich­tung hinzuweisen.

Das bürgerliche Leben wurde stark von dem Bund der Hanse mit den sächsischen Städten beeinflußt. Wir wissen von der Sagenbildung um Klaus Störtebecker, notwendiges Produkt seines Heimatbodens, Ergebnis vom Kampf der freiheitlich Gesinnten gegen die ständischen Patrizier. Nicht unähnlich diesem Vorgang die Entstehung der Eulenspiegel­sagen. In Braunschweig zankten sich die Handwerker mit den großspurigen Gildemeistern. Da hörten die braven Leute von den närrischen und einfältigen Streichen jenes Till Uhlenspeighel aus Kneitlingen am Elm und sie waren voller Freuden, wenn die Zunftmeister schlecht dabei weg­kamen. Mag dieser Uhlenspeighel ein törichter Schalk, ein Narr, ein Schwachsinniger gewesen sein. Seine naiven Streiche, wie er alles, was man ihm aufträgt falsch versteht und wörtlich ausführt, hatten ihr begeistertes Publikum. Und dieser Mann ist der Sammelpunkt für alle die kleinen Er­zählungen und Geschichten geworden, in denen der eine seinen „lieben“ Nächsten grundlos, nur aus Freude an der Bosheit verspottet. 1483 ward das Buch von dem zu Mölln begrabenen Possenreißer Uhlenspeighel geschrieben und 1500 zum erstenmal gedruckt.

Ähnlich berühmt sind die von Büttner gesammelten Aussprüche, Wortspiele des kurfürstlich sächsischen Hof­narren „Claus Narr“, dessen Historie 1582 zu Eisleben er­schien.

Und ganz dicht zu Eulenspiegel gehören die Geschich­ten, die Krüger aus Trebbin (er ist der Verfasser von dem bekannten Spiel „Vom Anfang und Ende der Welt“) um den Schlossergesellen Hans Ciawert aus Trebbin, 1566 daselbst an der Pest verstorben, schreibt. Ciawert ist ein Possen­reißer allerersten Ranges. Joachim II. und Eustachius von Schlieben hörten sich seine Narreteien gerne an. In Krügers Buch bilden die Schalkhaftigkeiten Ciawerts den Kern, ansonsten hat er gedruckte Schwanke zur Benutzung seines Werkes mit herangezogen und verwertet, obgleich er versichert, daß alle Historien tatsächlich und ursprünglich seien. In diesem Buch ist die Sprache der Mark und des deutschen Ostens vermischt, und es entsteht ein schöner, reiner Eindruck, zumal der Märker und seine Lebensart trefflich gezeichnet sind. Auf dieses komische Buch „Hans Ciawerts Werckliche Historien“ 1587, hat sich Klabund gestützt und seinen „Bracke“ gedichtet, der neben dem „Uhlenspiegel“ Charles de Costers, zu den schönsten Schalkhaftigkeiten der Gegenwart zählt. Klabund hat, wo­mit der Ursprung klar und sicher zu Tage tritt, seinem „Bracke“ eine Widmung mit auf den Weg gegeben. Ge­widmet ist er „dem Gedächtnis des märkischen Schalkes Hans Ciawert, von dem viele Geschichten in der Mark noch umgehen, auch da und dort in diesem Buche nach den Zwecken seines Zieles verwendet sind, samt manchem Märchen und Legenden märkischen Lebens“. So wie dieser Bracke möchte Klabund sein. Und es gelingt Klabund: Der Narr Ciawert und der Poet Klabund gehen ineinander auf. Der Narr verwindet den Tod leichter, überwindet ihn leich­ter, als der Mensch, der nur mittels der Vernunft zu ihm Stellung nimmt. Der Narr Klabund vermag in vollem Ernst das Lustige, Heitere zu schauen. Man wird Blume, Tier, Baum; man verwandelt sich und sinkt auf die Erde. Man geht nicht unter. Man irrt umher. Das alte Klabundsche Thema taucht wieder auf, wie in der Lyrik, wo auch Ge­stalt und Dichter ineinander aufgingen. Bracke-Klabund be­gegnet einem hübschen Mädchen und liebt sie und be­dichtet sie. Er dichtet, wie er lebt. Überhaupt: die Mäd­chen! Von ihnen sagt er einmal: „Wenn ein Mädel hübsch ist und sich außerdem noch hübsch kleidet, so habe ich schon immer eine gewisse wohlwollende Voreingenommen­heit dafür.“ Alle Frauen hat Klabund geliebt, nicht wie man Puppen oder Glasperlen, sondern wie man Sterne und Tiere und Blumen liebt.

Dieser Bracke ist ein Philosoph, Eulenspiegel, Buß­prediger, Liebhaber, Revolutionär, Ehemann, Hofnarr in eins. Er sucht die Gerechtigkeit, er ist ihr Künder und zieht gegen alles Unrecht zu Felde, und wenn es selbst vom Kurfürsten von Brandenburg oder gar vom Kaiser kommt.

Manchmal streift Bracke die Fesseln bürgerlichen Lebens ab und zieht durch die Mark, um wie einst Diogenes, Menschen zu finden. Dieser Bracke resigniert am Ende seines Lebens, weil ihm die Erkenntnis der ge­heimnisvollen Dinge kam. So kann er dem Tode ruhig ins Auge sehen. Ergreifend und meisterhaft hingemalt die Schlußapotheose, wo sich St. Jemand und St. Niemand, zwei Heilige aus dem Leben Klabunds begegnen.

Bracke ist ein Weiser, ein Lebensphilosoph, wie auch Klabund ein Weiser, ein guter Mensch war.   Es ist schon so, wie es Bracke, sich selbst ironisierend ausspricht: „Es war einmal ein Possenreißer, der sagte die Wahrheit, indem er log – aber niemand glaubte sie ihm“ ….

Klabund-Bracke, das ist ein Begriff. Bracke der Vagant, Nimmermüde, Vagabund und „Klabautermann, der die Schiffe zum Untergang lockt — und selber strahlt und himm­lisch leuchtet: einen riesigen Pokal mit Rotwein in den Händen schwingt, davon sie alle trinken und trinken Blut.“

Ja, sie trinken nicht nur, sie saufen das Herzblut eines Dichters in schnellen Zügen und wissen es nicht einmal. Siegesgewiß, ist der Dichter am Ende doch der Betrogene. Der unheilvollste Feind „ergreift uns stets von innen – aus unserem eigenen Herzen“. Klabund zieht in den flammen­den Kampf: „für Mensch und Menschheit, für Friede und Freiheit“ wie Bracke.

Er haßt das Böse, das Gemeine, die Niederträchtig­keiten des Lebens, die Habgier und Geilheit der Menschen. Da sind die Tiere besser.

„Was ist das Böse?“

„Das: Sowohl-als-Auch. Das: Vielleicht-Ja – Vielleicht-Nein, – das Später-Einmal.  Wer gut denkt, ist gut.“

Und an einer anderen Stelle bekennt Klabund durch Bracke seine Unlust auf der Welt zu sein:

„Ich bin so müde, ein Mensch zu sein. Ach, ich bin wohl keiner, sondern vom Mars nach hier verschlagen, mit sonderbaren und verwegenen Organen ausgerüstet, die für diese Welt nicht taugen. Ich habe zu große Augen, zu klei­ne Ohren, zu schlanke Füße, zu zarte Hände.“

Klabund ist ein Genie wie ein Vogel oder eine Wolke. Sein Buch vom Bruder „Bracke“ ist löblich und nützlich, leicht und schwer, licht und dunkel wie das größte ge­waltigste Buch dieser Welt: die Bibel. Es ist weise und gütig und gerecht. Neben dem „Götz von Berlichingen“ Goethes und dem „Michael Kohlhaas“ Kleists sichtbarstes und bestes Fanal im Kampf für die wahre Gerechtigkeit im menschlichen Leben.

Als Beleg sei „eine leichte und schwere“ Stelle an­geführt aus dem Werk.

Sankt Jemand und Sankt Niemand.

Sankt Jemand und Sankt Niemand, zwei Pilgrime, be­gegneten einander auf der Straße des Lebens.

Sankt Jemand sprach: „Wo kommst du her, Bruder? Du bist so betrübt.“

Sankt Niemand sprach: „Ich komme aus dem Nichts und schreite ins Leben. Und du? Du siehst so fröhlich drein?“

Sankt Jemand sprach: „Ich gehe aus der Welt, das Scheiden wird mir leicht. Ich wandle ins Nichts.“

Sankt Niemand sprach: „Bruder, die Sonne steigt auf und versinkt. Der Mond nimmt zu, nimmt ab. Frühling, Sommer Herbst und Winter wechseln wie Tod und Leben. Du stirbst. Ich werde geboren. Wenn ich einst sterbend dahinsinke, wirst du wieder den Pilgerstab aus meinen Händen nehmen. Heilig ist das Leben. Heilig ist der Tod. Jemand ist heilig und heißt Sankt Jemand. Niemand ist heilig und heißt Sankt Niemand. Gott hält die Wage in seiner Hand: die Wage der Gerechtigkeit. Da schwebt in der einen Schale das Leben, in der andern der Tod. Sie wiegen gleich. Und also besteht nur die Welt. Und also sind nur du und ich. Ich war‘ nicht ohne dich. Du wärst nicht ohne mich. Leb‘ wohl. Stirb wohl. Wir begegnen uns immer wieder.“

Sankt Jemand und Sankt Niemand geben einander die Hand zum Abschied. Der eine schritt bergauf, der andere bergab. Sie sahen sich noch mehrmals um. Endlich ver­schwanden sie zu gleicher Zeit: der eine hinter einem Felsen der Höhe, der andere tief im Tal. Die Sonne ver­sank, und leise begann das Horn des Mondes im Abend zu tönen.

(Diese Geschichte ist den Ges. Werken entnommen: „Romane der Erfüllung.“ Sankt Jemand und Sankt Nie­mand: Seite 187—188.)

Was ist das doch für ein seltsamer Mensch. Mit dem Tod in der Brust, gezeichnet, förmlich im Endspurt mit dem Sensenmann ringt er sich sein blutvollstes Werk ab: die „Borgia“. Aufrecht saß er in seinem Krankenbett, korrigierte eifrig die letzten Bogen und hat das Buch doch nicht mehr erleben dürfen. Diesen Erfolg in der deutschen Öffentlichkeit!

Es wird das Leben des übelbeleumundeten Renaissance­papstes Alexander VI., des Lüstlings auf dem heiligen Stuhl, und seiner Kinder, des mit der Franzosenkrankheit beladenen Cesare und der zynischen Lucrezia, die in illegi­timer Ehe mit der römischen Kurtisane Vanozza erzeugt waren, abgerollt.

An den Anfang stellt Klabund den referierenden Chronisten. Jedoch wird dieser äußere Rahmen nicht ein­gehalten. Die Geschichte der Familie, gradlinig ablaufend, beginnt mit der Legende von der namenlosen Stute, die Zeus, der Gott der Götter, verführte. Das Centauren­geschlecht, alle Laster und Tugenden von Menschheit und Tierwelt in sich vereinigend, wird Urahn und Sinnbild dem Geschlecht der Borgias. Und so sind sie geblieben: Tier­menschen, Menschtiere. Genußsüchtige, Gewaltmenschen, die nur die eigene Macht kennen, ihre eigene Skrupellosigkeit, die eigenen Gelüste und die keinen Menschen und kein Gesetz über sich duldeten, denn ihr Verlangen. Die Geschichte dieser Familie ist uns nicht unbekannt. Machiavell, Ranke, Tomasius, Gregorovius- Gobineau, d’Annunzio haben sie geschildert. Wortreiche Bilder wurden geformt, manches verdeckt. Klabund reißt alles, alles auf und zeigt dieses ekelerregende Geschlecht auf dem heiligen Stuhl. Eine gewaltige Anklage! Diese von allen nur denkbaren Dämonen gehetzte Familie war der Menschheit eine Fessel wie Pjotr oder Rasputin. Was für Schurkereien, Freveltaten, Schwelgereien, Luftgelage entstehen vor unseren Augen! Was für ein grandioses Bild der Zeit entsteht von dieser Welt des Abscheus: Kardinälen, Lustknaben, Hetären, Mönchen, Söldnern, Mördern, Fürsten, Huren. Die Borgias kannten keine Moral.   Ihre Moral hieß: Lust und Wollust!

Klabunds Dichtung ist ein Wagnis, eine Ballade des Schreckens. Wieviel Kraft und Ungehemmtsein sind noch in ihm gewesen! Was für Dramatik steckt in der Konzep­tion zu diesem Werk. Leidenschaftlich, erregend, sinnlich, tropisch heiß und knapp ist die Sprache. Sie wird vom Rhythmus der Ballade getragen. Und das ist Notwendigkeit für die atemraubende Schnelligkeit des Ablaufs der Ge­schehnisse. Dieses Buch ist Roman und Ballade in einem. Es ist jene typische Form der Prosa, die Klabund erfand und die seine Romane so einmalig erscheinen läßt. Mit der historischen Treue nimmt es Klabund wiederum nicht so genau. Darauf kommt es ihm auch nicht an. Die plastischen Visionen des Dichters aber packen ungemein und nehmen bei allem Abscheu und Ekel – doch für ihn ein. Eine un­geheuerliche Fülle von Bildern – aufblitzend, verschwin­dend, ein rubinrotes Gemälde des Lasters. Klabund, welt­hungrig, greift in seinem Lebenshunger noch einmal fana­tisch zu und formt — trotz allem — liebevoll diese übelsten Verbrecher aller Zeiten. Es ist eine Arbeit, die sich würdig an seine anderen Prosastücke reiht und eingeht in die deutsche Dichtung und leuchtet, getragen von der sug­gestiven Kraft ihres Schöpfers.

Außer diesen Prosawerken hat Klabund noch eine An­zahl von kleineren Bänden herausgegeben, wie die No­vellen: „Der Neger“ (in den Ges.-Werken fehlend); „Der letzte Kaiser“, eine Geschichte aus China; eine Anzahl von Heiligenlegenden; ein paar Sammelbände fremder Prosa; ein „Kleines Klabund-Buch“ und ein „Klabund-Lesebuch“. Die beiden letzteren Bücher sind vortrefflich geeignet in das Schaffen des Dichters einzuführen, zumal sie von ihm selbst zusammengestellt und gut gesichtet wurden. Gerade auf diese beiden Werke sei an dieser Stelle geziemend ge­wiesen.

Schließlich hat Klabund sein großes literarisches Wissen in seiner Literaturgeschichte zusammengefaßt und mit bos­haften mehr oder weniger gelungenen geistreichen Wendungen versehen. Diese Literaturgeschichte ist eine amü­sante Plauderei und nur für solche Menschen gedacht, die zunächst einmal in der deutschen Dichtung einigermaßen zu Hause sind und, die keine literarhistorische philologenhafte Aufklärung verlangen. Es ist schade, daß die Neuauflage nicht mehr genau die Linie der Klabundschen Auffassung einhält. Man sollte doch hier vor dem Werk Klabunds mehr Respekt haben und sich nicht nur mit der Nennung von Namen und Werken modernster Autoren begnügen. Man sollte entweder im Sinne Klabunds fortfahren zu schreiben oder aber sein Werk unangetastet lassen.

Klabunds Epik steht vor uns. Noch einmal taucht sein Gesicht auf der Wölbung des Himmels auf, seine Züge sind blaß, wie die einer Morgenwolke. Er tritt näher. Wir sehen seine verschleierten dunklen Augen, hören seine begnade­ten Worte und werden ihm folgen: fröhlicher, liebevoller, inbrünstiger in jene Welt östlichen Lichts, die Spiegel seines Herzens, seiner Seele, seiner lyrischen Dichtungen überhaupt wurde.

Eine besondere Stellung innerhalb der Klabundschen Werke nehmen die östlichen Dichtungen ein. Was ihn da­zu getrieben hat, wer weiß es? Vielleicht sein kosmo­politisches Interesse, vielleicht seine tiefe Melancholie, sein romantisches Herz. — Man ist so leicht geneigt und wird da­zu verführt mit dem großen Meister west-östlicher Dichtun­gen: Goethe zu vergleichen. — Vielleicht sind auch diese Verse Klabunds wieder nur Masken, Formen, die eine be­stimmte Einengung mit sich bringen, die die dichterische Aufgaben erschweren, aber auch die dichterische Wirkung erleichtern. Diese Masken sind nur Hüllen für das Äußere. Der Stil der chinesischen, japanischen, persischen Lyrik wird geschickt getroffen, durch ein zartes Bild, ein dis­kretes Wort, eine leise leichte Bewegung. Was fesselt, sind die plastischen Darstellungen. „Ordnende Vernunft“ und „dienende Seele“ — Kongfutse und Laotse stehen sich gegenüber — Moralist und Mystiker.

Aus dieser östlichen  Welt holt Klabund sich seine besten Lyrika und „dichtet sie neu“. So sagt man.  Aber es ist nicht so. Klabund übertrug nicht nach Originalen. Er „erfand“ diese Verse und sie scheinen uns wie Blumen aus dem üppigen Garten chinesischer Dichtkunst ans Tages­licht gezaubert. Die Welt der Ahnenverehrung, die Men­schen, die die Geister fürchten, die ihnen ihr Leben und Gesundheit bedrohen, läßt Klabund in seiner Art erstehen. Nichts von der Ferne und Tiefe östlichen Geheimnisses, umsomehr Romantik. Woraus wiederum zu schließen ist, daß ein anderer Zusammenhang sein muß, als nur vom Vorbild zum Nachdichter. Klabunds eigene Traurigkeit klingt aus diesen Strophen. Herrliche Liebesgedichte, häm­mernde Kriegsverse, trunkene Lieder Litaipes, Strophen von stärkster Resignation.

Der Schlag eines Gongs tönt auf, Flöten und Geigen singen, der Mond ist im Netz einer Geisha wo gefangen und ein Vogel singt von einem Ast zum nächsten hüpfend. Ein Mandarin erster Klasse lauscht am Ufer des Flusses dem Sang eines schönen Mädchens in einer Barke.

Die Weisheit Klabunds ist scharf und spitz wie der Haken einer Angel. Die Ideen sind Bilder, die Bilder Ideen geworden. Chinesische Welt, Geisterwelt weht um uns, wenn wir in diesen Schriften Klabunds blättern. Klabund spielt auf seiner Leier einen Teil des Weltmotivs, das sicher­lich noch von den Literarhistorikern und Kritikern entdeckt und uns allerlei interessante Überraschungen bereiten wird. –

Was wissen wir denn voneinander, außer daß wir uns von Angesicht zu Angesicht kennen?

Die chinesische Sonnenmajestät tritt vor und blendet in ihrem himmlischen Glanz. Mandarinen stehen de­mütig, stumm und ergeben wie Pflöcke um sie herum. Und der Kaiser wandelt durch die sich neigenden Häupter einem winkenden Fächer zu. Sein Herz ist entbrannt und ein Blumenantlitz ihm zugewandt.

Und das schleppende Gewand der hohen Frau und des Kaisers erhobene Gestalt schreiten davon durch den zu­sammenschlagenden Perlenteppich in ein rotes Zimmer . . .

Neben zarten Strophen herrische, trommelnde, rhyth­mische Gesänge der Soldaten, des Krieges, beängstigendes Warten der heimgebliebenen Frauen, Sehnsucht nach dem Gatten. Der Feind muß bezwungen werden. Und ob man tagelang im Blut watet; man tut es zum Zweck. Man ist kein Mörder, sondern Soldat. Alle diese Gedichte unter dem Titel „Dumpfe Trommel und berauschtes Herz“ er­schienen, sind aus dem Wort und Geist der großen Chinesen zu verstehen und enthalten das, was Klabund über den Krieg als Krieg lyrisch auszusagen wüßte. Es sind sozu­sagen „Projektionen“.

Im „Li-tai-pe“ sind die Verse dieses trunkenen Rebellen und größten Dichters Chinas vereint.

„Das „Blumenschiff“ schwimmt hinter Brandungsschaum und Riff. Seine Blumen, lieblich duftend und berauschend, hängen traubenförmig über Bord. Manchmal fällt eine Blüte in die Wellen und weht zum Ufer hin.“

Die sinnlichen und betörenden Sänge der „Geisha O-Sen“ klingen auf. Leise singt sie ihre Lieder. Klagelieder — Liebeslieder. Wilde Frauen — milde Frauen. Und plötz­lich steht da ein so schöner Vers von ihnen:

„Wenn der Sommer kommt, gehen die Frauen
mit ganz langsamen Schritten durch den Garten.
Ihre Füße träumen schwer. Und ihre Brüste warten.
Daß jemand unversehens von hinten sich herausschleicht
und sie packt: ein Knecht, ein Strolch, ein Hirt —
Und ihre Wehrlosigkeit zur süßen Schande wird.

So läuft die Sehnsucht der kleinen Geisha. Ihre Füßchen trippeln hin und her, aufgeregt wogen ihre kleinen Brüste, der Atem geht schneller. „Blut brach aus ihr stumm. O es war so süß zu küssen. Und zu wissen nicht warum . . .“ Solch eine kleine Geisha ist einsam, wie die europäischen Freudenmädchen. Aber an der Schönheit jener Fremden hat der Dichter Freude, mit den Anderen nur Mitleid. Von ferne geht manchmal ein Blick zu ihr und das fühlt die Geisha.   Am Wege stehen Pfirsiche in rosavioletter Blüte,

Cirruswolken am blauen Himmel, tiefe dunkle Nächte der Liebe, der Sehnsucht nach Zweisamkeit, denn „alle dunklen Wege münden nächtens in die Liebe ein.“

Die „Hafislieder“ Klabunds aus dem Persischen sind ein seltenes und frohes und kurioses Testament, ähnlich etwa in der Güte und Weisheit des Koranbewahrers, denn so heißt Hafis, dem des Villon. Hafis bekennt in seinem Testa­ment seine Sünden. Er kündet der Menschen Leid. „Er war ein Mensch. Und das ist viel gesagt.“ Er singt zur Laute die Lieder für Suleika. Süße Musik, die uns um­fächelt.

Hafis sagt einmal und hierbei wird Hafis ganz Klabund:
„Ich würde sterben, hätt ich nicht das Wort,
Das meine flüchtigen Gedanken hält,
Das sie bewahrt für die und jene Welt;
Es schützt mich, daß mein Lebensbaum verdorrt,
Es reißt den Schreitenden zum Schweben fort.
Ich würde sterben, hätt‘ ich nicht das Wort.“

Hafis weiß vieles.   Er bettet sich in Geist.   Hafis wird gut und böse – von anderen Menschen gemacht.  Er weiß nur, daß er Suleika liebt im Himmel und auf Erden, der Tor. Er darf Persiens schönste Frau sein eigen nennen und trinkt ihr Herzblut. Er streift unergründlich in seinen stillen Stun­den am Firmament umher und erkennt, daß Gott ohne Schranken und Grenzen ist, ohne Beginn und Ende,

Raum und Jahre. Ja

„Alles was geschieht
Ist nur Leid und Lied.
Gott spielt auf der Harfe Trost sich zu.
Welle fällt und steigt.
Ach wie bald schon neigt
Sich dein Haupt im Tod. Dann lächle du“

Hafis säuft und daran hindern ihn weder Frauen nach Staub in den Wimpern. Hafis, der göttliche Zecher, läßt sich den letzten Trank kredenzen, daß er die Erinnerung nicht ver­gesse an eine Nacht … Hafis ist ohne Leid. Er wird zu Gott gehen.

Gleichsam als Epilog folgt das Gedicht des „Persischen Zeltmachers“.

Klabunds Dichtungen west-östlicher Art ergreifen auf das Stärkste in ihren naiven, menschlichen, dichterischen Tönen. Weich, ohne Spott, melancholisch in der Mehrzahl, hat sie Klabund geschaffen. Ein wohltuender Ausgleich zu den frivolen Versen, dem Bänkelsang. Goethe klingt gol­den. Klabund silbern. Alles ist beschwingt von der träume­rischen Romantik Klabunds. Östliches und Westliches, das in jedem von uns ist, fand seinen harmonischen Ausgleich.

Mandarin Klabund aus der Landschaft U läßt Papier­flocken und Pfirsichblüten auf uns schneien. Kühler Herbst­wind trägt uns seine Früchte zu und wir naschen an ihnen, wie an süßem Konfekt und vertragen es wohl. Unser Freund und Bruder Klabund hat seine Sprüche zu uns ge­sprochen. Er hat sein Herz uns in diesen Gedichten ent­deckt ohne Schmerz, ohne Leid — mit grenzenloser Liebe. Und wir sind ihm dankbar dafür:

„Der Strom floß
Der Mond vergoß.
Der Mond vergaß sein Licht — und ich vergaß
Mich selbst als ich so saß
Beim Weine.
Die Vögel waren weit,
Das Leid war weit,
Und Menschen gab es keine.“

Schließlich sollen die Theaterdichtungen Klabunds nicht unerwähnt bleiben. Aber seine Spiele, Dramen, Schwanke, Übertragungen haben außer dem „Kreidekreis“ und „XYZ“ kaum den gewünschten Erfolg gehabt. Klabund war kein Dramatiker. Das hat er am besten bewiesen, als er den großen englischen Diktator „Cromwell“ erstehen lassen wollte und nur einen kläglichen Versager zustande brachte; das Drama von der menschlichen Größe und Gewalt Cromwells endete mit einem Choral und fiel durch. Der Lyriker ist kein Dramatiker. Und der Cromwellstoff eignete sich viel eher für einen Roman.

Auch seine Übertragung, die unter dem Titel „Der junge Aar“ (nach Rostand) 1925 herauskam, konnte nicht befriedigen.

„Brennende Erde“, Symbol des revolutionären Rußlands, errang in einer guten Aufführung in Frankfurt (Main) mit Carola Neher in der einzigen weiblichen Rolle auch kaum mehr als einen Achtungserfolg.

Ein anderes russisches Spiel hat dann Klabund in der Nachdichtung noch geschaffen mit: „Liebe auf dem Lande.“ In diesem Stück hat eine Frau: Arina, die Hauptrolle. Sie ist eine echte Klabundsche Figur: Voller Unruhe, Unglück bringend und doch glücklich machend. Um sie herum hat Klabund drei Männer gestellt, die auf mehr oder weniger gelungene Art bei Arina um die Ehe werben. Das hat alles an sich herzlich wenig mit Rußland, mit dem Land zu tun, das ist menschlich, klabundisch. „Eine Komödie: Ein sensibles Weib und drei komische Männer.“ Heiterkeit übertönt die lyrischen Stellen eines witzigen Spieles.

Dann unterbreitete Klabund in einer neuen Form dem Publikum das alte Volksschauspiel vom Christoph Wagner. Es ist durchaus geistiges Eigentum des Dichters. Das Spiel ist nicht etwa mit Goethe zu messen oder erhebt gar den Anspruch mit ihm gemessen zu werden. Es will eigentlich nur, wie Klabund selbst angab, zur Neubelebung der deut­schen Bühne seinen bescheidenen Teil beitragen, die den Beschauer auf eine edle Art im Theater halten und unter­halten soll, neben den zeitproblematischen Dramen großen Stils (wie auch der „Kreidekreis“ eines ist).

Der „Kreidekreis“ hat Klabund den größten sichtbaren Erfolg eingebracht in jeder Hinsicht.

Ein Mandarin kauft ein Teehausmädchen um eine so hohe Summe, daß der junge liebende Prinz Pao zurück­stehen muß. Als die Haitang dem Mandarin einen Sohn schenkt, fürchtet die Mandarinengattin „ersten Ranges“ für ihre Erben, vergiftet den Gatten und verdächtigt die Nebenbuhlerin des Mordes und Kindsraubs. Das bestochene Ge­richt verurteilt Haitang und auch ihren Bruder, der als Zeuge die Majestät des Sonnenkaisers beleidigt hatte.

Soweit ist der Kreidekreis „Kreis der Notwendigkeit“, Orakel, Weltsymbol, Tod und Leben spendendes Schicksals­rad. Nun sprengt aber die Liebe den Kreidekreis. Prinz Pao ist Kaiser geworden. Auch er versucht im Banne dieses ethischen Wahrzeichens noch Gerechtigkeit zu sprechen. Der Kaiser fällt einen salomonischen Spruch: In den Kreidekreis werde der Knabe gelegt. „Und nun ihr beiden Frauen versucht, den Knaben aus dem Kreis zu ziehen zu gleicher Zeit. Die eine packe ihn am linken, die andere am rechten Arm. Es ist gewiß, die rechte Mutter wird die rechte Kraft besitzen, den Knaben aus dem Kreis zu sich zu ziehen.“

Haitang, die fürchtet, dem Kinde weh zu tun, läßt sein Ärmchen los und beweist somit, gegen die brutal zu­greifende andere Frau „ersten Ranges“, daß sie die wahre Mutter des Knaben ist. Haitang und der Kaiser erkennen sich, ihre Liebe zueinander und das Teehausmädchen wird erhoben zur kaiserlichen Gattin und Richterin über ihre Verleumder.

„Gerechtigkeit, sie sei dein höchstes Ziel,
Dann also lehrts-des Kreidekreises Spiel.“

Dieses Spiel vom „Kreidekreis“ war neben der „Heiligen Johanna“ B. Shaws der Theatererfolg von 1924/25. Kla­bund vermittelte in diesem Stück tatsächlich einen Hauch von jener Welt, der die Gestalten angehören. In zarte lyrische Märchensprache ist die Fabel eingekleidet und trug nicht unwesentlich zum Gelingen des Werkes bei.

Im Schatten des Kreidekreises verkümmert etwas Kla­bunds anderes chinesisches Spiel: „Das Kirschblütenfest.“ Für mein Empfinden, weit lyrischer noch in Stimmung und Thema als der „Kreidekreis“.  Bestes chinesisches Porzellan.

Im Gegensatz zu diesen Spielen steht dann Klabunds Posse „Hannibals Brautfahrt“. Das Leben des Spießbürgers wird in seinem ganzen lächerlichen Gehabe aufgezeigt.

Zwei Typen stehen sich gegenüber: Der eingeengte und der unverkünstelte Mensch. Klabund schildert sie beide mit einer gehörigen Portion romantischer Selbstironie.

Er kann sich gelegentlich auch einmal nichts Schöneres denken, als das Prinzip der Faulenzerei zu vertreten. Frech­heit, Frivolität, Unmoral feiern ihre Triumphe. Vernunft ist etwas für Optimisten. Nie vernünftig sein – dann lieber in ein Irrenhaus!

Für dieses Stück hatte sich Klabund „Originale“ aus der Heimat geholt. Bis vor einigen Jahren war der „Schöne Oskar“ eine Crossener Type. Nun ist er auch in jener anderen Welt. Vielleicht treffen sie sich dort: Unser Bruder Klabund und der Vagant Oskar?!

„XYZ“, das Spiel zu Dreien von Klabund, Spiel der frem­den und vertauschten Rollen. Er hat es nicht mehr erlebt. Über fast alle deutschen Bühnen ist es gegangen und die Menschen haben ihre Freude an der Komödie der Schwinde­lei unter vornehmen Leuten gehabt. Es ist eine instinkt­sichere Komödie, die leicht aber nicht oberflächlich wirkt.

Klabunds Spiele stehen eigentlich nicht zur Diskussion. Sie seien aber der Vollständigkeit wegen hier einer kurzen Betrachtung unterzogen worden und auch darum: Klabund in seiner Wandlung auf den „Brettern des Lebens“ wandern zu sehen mit Erfolg und auch – ruhmlos. Hier wie dort zeigt es sich, daß Klabund nicht Muße sich gönnte und schrieb, so lange er konnte. Und siehe da: ein- oder zwei­mal hatte er das große Los gezogen: „Kreidekreis“, „XYZ“.

Epilog

Das Leben und Werk unseres Bruders Klabund zog vor­über an unseren Augen. Er war über den Tod hinaus und über sich, denn er hatte zuviel gelitten. Seine Figuren hat er ersehnt, und seine Sehnsucht hat ihnen schwingende Ge­stalt verliehen. Seine Seele war geblieben sanft, zart, rein, gutgläubig, denn er hatte die große Liebe und den tiefen Glauben, aber er hatte kein Glück. Er war nur ein Dichter. Er summte seine Melodien vor sich hin, ohne Acht auf ihre Aktualität oder programmatische Bedeutung, voller Musi­kalität. Ja, er ist — wie Kerr es ihm nachgerufen hat — ein Musizierer gewesen, einer der als kleiner Urgroßneffe Franz Schuberts gelten kann.

Drei Frauen haben ihre Hände auf seine Bahre legen können, nachdem sie ihn im Leben und er sie verehrt hatte: Sybil Smolowa, Elisabeth Bergner und Carola Neher und zur Vierten, zur Besten, zur Irene hat Klabund nun den Weg selbst gefunden. Abendrot!  Klabund!  Die Nacht bricht an!

Nachwort des Autors

Klabunds Werke erscheinen heute in einer stattlichen siebenbändigen Ausgabe im Phaidon-Verlag, Wien. Diese Ausgabe ist für den Klabundfreund unentbehrlich, für den bibliophilen Liebhaber eine rechte Augenweide. Hoffent­lich läßt es der Verlag bei den vorliegenden sieben Bän­den nicht bewenden, denn noch fehlen der Roman „Spuk“, die Novelle „Der Neger“ und viele andere gute Erzählungen und Gedichte.

Im Heyderverlag, Bln.-Zehlendorf, erscheinen das Klabund-Lesebuch, die Novelle „Der letzte Kaiser“ und eine Anzahl kleiner Klassiker-Heftchen. Die Ausgaben und An­ordnungen besorgte noch Klabund selbst.

In der Reihe der billigen Inselbücher erscheinen im Insel-Verlag: „Pjotr“, „Li-tai-pe“ und „Dumpfe Trommel und berauschter Gong.“

Bei Reclam erscheinen „XYZ“ und „Das kleine Klabund-Buch.“

Erstausgaben von Klabundschen Werken sind heute sehr gefragt und selten und werden hoch bezahlt. Klabund soll neben Rilke meist gesuchtester Autor sein. Klabund ist im Kommen.

Am Ende dieses Bandes möchte ich Herrn Dr. Henschke, Studiendirektor Hübener, Herrn Verleger Zeidler, Crossen, Herybert Menzel Tirschtiegel und dem Verleger des Wiener Phaidonverlages Dr. Horovitz meinen aufrichtigen Dank sagen für das freundliche Entgegenkommen, das sie alle dem Zustandekommen dieser kleinen Schrift entgegengebracht haben.

So mag der erste Versuch über Klabund hinausgehen und dazu beitragen, daß die Gemeinde um den Dichter und Freund Klabund größer werde und noch dazu, daß sie sich finde und organisiere.

Die letzte Deutung des Dichters konnte noch nicht (kann sie es überhaupt jemals?) gegeben werden, weil nicht alles Material zugänglich war, und weil versucht werden sollte sich in Ehrfurcht und Liebe nur über den so früh Verstummten ein wenig zu orientieren.

Am Schluß dieses Versuches möchte ich einen Vorschlag aussprechen: Die Gründung einer Klabundgesellschaft. Zweck: Pflege des Andenkens des Dichters, Sammlung des in alle Winde verstreuten Materials über und von dem Dichter. Zentralisation an einem Ort, etwa Berlin. – Ich stehe über den Verlag Goldstein, Bln.-Niederschöneweide, Hainstr. 11, für diesen Plan zur Verfügung.

Heinz Grothe