Kaspar – Ein Trauerspiel von Klabund

Unveröffentlichtes Spiel von Klabund.

(Nur das Gedicht „Ich geh – wohin“? ist als „der arme Kaspar “ veröffentlicht. Es ist im Manuskript nur mit den zwei Anfangszeilen und einem „usw.“ vertreten. Bei dieser Abschrift aber im Wortlaut eingefügt worden.

Diese Abschrift erfolgte am 4. Juli 1964

Die Personen:

Der Bauer
Die Bäuerin
Beider Tochter, genannt das Fräulein
Kaspar
Die Magd
Der Küster
Der Doktor
Der Dichter
Der Gefängniswärter

1. Bild
Auf dem Acker

Bauer: Feierabend Kaspar
Kaspar: Ja, Herr
Bauer: Worauf wartest du?
Kaspar: Ich weiss nicht, Herr.
Bauer: Willst mit oder bleibst noch auf dem Acker?
Kaspar: Ich bleib noch, Herr.
Bauer: Milch und Brot stellt die Bäuerin dir in den Schrank
Kaspar: Ja, Herr
Bauer: Gute Nacht, Kaspar
Kaspar: Gute Nacht, Herr
(Bauer ab.)
Kaspar: Die Sonne – geht. Mir wird kühl um die Stirn. Weiß nichts. Kann nichts. 0 ich…
(Magd kommt)
Magd: Wusst, dass du noch auf dem Acker bleibst, zu sinnieren. Leist dir Gesellschaft. Es wird eine heiße Nacht. Es wetterleuchtet allenthalb.
Kaspar: Was denn willst von mir?
Magd: Dich – dich.
Kaspar: Hast nit viel, wann mich hast.
Magd: Viel – viel – alles.
Kaspar: Glaubs nit.
Magd: Ich schwörs
Kaspar: Schwör’s nit.
Magd: Mein Eichkatzel.
Kaspar: Machst dich lustig über mein rot Haar.
Magd: Mein roter Reiter. Mein Feuerkopf.
Kaspar: Mir ist wohl, wann du mich küsst. Ich lieg ganz still bei dir. Reg mich nit auf.
Magd: Kaspar –
Kaspar: Hast du die Sternschnuppe gesehn?
Magd: Hast dir was gewünscht? Was denn?
Kaspar: Es war kein Sternschnuppe, Es war ein Blitz. Der zuckte grad durch mein Herz. Magd: Du – liebst das Fräulein, Kaspar. Ists wahr oder nit?Kaspar: Ich lieb niemand. Keinen Menschen und kein Tier.
Magd: Sell ist nit wahr. So gottlos bist nit. Gehst doch heimlich, ich habs oft gesehn, in die Kirche.
Kaspar: Es ist so still in der Kirche. Und die Fenster sind so bunt bemalt. Und es duftet gar anders als im Ziegenstall. .
Magd: Vor jedem Kruzifix nimmst deine Mütze ab.
Kaspar: Weil dort am Holz ein armer Mensch hängt, der schwer leid’t. Ich nehme vor Jedem die Mütze ab, der Schmerz trägt. Vor jeder Frau, die ein Kind trägt. Sie trägt doppelten Schmerz.
Magd: Kaspar: Ich krieg ein Kind von dir, du weisst’s. bin im dritten Monat.
Kaspar: Wer ein Kind erzeugt, ist ein Mörder.
Magd: Du hast mich verführt im Heu.
Kaspar: Das ist nit wahr. Ich hab dich nicht verführt. Du hast mich nicht verführt. Es war die Nacht.
Magd: Vergiss nit, das Aufgebot zu bestellen. Ich wart nit länger mit der Hochzeit als bis zum vierten Monat. Es war eine Schande.
Kaspar: Jetzt – blitzt es wieder. Und jetzt donnert es. Das Gewitter rückt näher. Wie eine heiße Frau die an einen heran rückt. Küsse mich. Lass den Himmel über uns zusammen stürzen. Jetzt regnets Schlössen, Es wird eine wilde Nacht.
Magd: 0 du.

2. Bild.
Bauernstube

Magd: Lasst mich zufrieden, Bauer,
Bauer: Nur nicht gar so spräd. Sind Menschen alle beid: Du und ich.
Magd: legt Euch zur Bäurin ins Bett. Tut ihr’s.
Bauer: Mags. aber grad einmal dir tun. Hast feste Schenkel und feste Brüste. Die Bäurin geht auseinander wie ein Pfannenkuchen.
Magd: Hättest ihr halt nie die Eier zerschlagen sollen, (lacht)
Bauer: Weibsstück.
Magd: Still – das Fräulein kommt.(ab)
Fräulein: Vater –
Bauer:
Fräulein: Ich bin so unruhig. Die ganzen ‚rage schon. Gehe hierhin und dorthin. Finde keine Rube.
Bauer: Soll ich den Doktor –
Fräulein: Ach, der Doktor, was soll der Doktor. Ich weiß schon eher als er, was er sagen muss. Die Brust halt. Und Ruhe. Und Milch trinken und Eier essen. Und schlafen, viel schlafen. Wo ist der Kaspar? Er hat mir gestern ein Waldkraut in die Suppe getan, davon schlief ich schön wie im Märchen.
Bauer: Der Kaspar ist auf dem Feld.
Fräulein: Er ist stark. Er gräbt die ganze Erde um und um.
Bauer: Ich hab viel Freud und Stütze an ihm. Er dankt mir’s, dass ich ihn von der Straße auflas.
Fräulein: Er ist ein Waisenkind. Aber ich glaube: er hat nie Vater oder Mutter gehabt. Er ist von einem Stern herunter auf die Erde gefallen.
Bauer: Sieht nit gar so himmlisch aus, so sternmässig. hat Pranken wie ein Tiger. Und – fällt dir den dicksten Baum im Revier wohl ganz allein.
Fräulein: Wo ist die Mutter ? Im –
Bauer: Im Stall bei den Kühen. Melkt. Geht aber dann aufs Feld, den Knechten und Mägden die Vesper bringen.
Fräulein: Ich such sie im Feld, Vater. Hab heut Lust, tau¬send Meilen weit zu gehn.
Bauer: Mein Engel!

Erste Szene

Bäuerin: Kaspar –
Kaspar: Bäuerin –
Bäuerin: Legt die Spaten doch einmal beiseite
Kaspar: Es ist noch nicht Vesperzeit
Bäuerin: Ich geb euch Pardon. Tut’s nur.
Kaspar: Ihr seid gut zu mir.
Bäuerin: Kommt … hier zu mir – in den Schatten Setzt Euch zu mir.
Kaspar: Es ist eine arge Hitz.
Bäuerin: Wollt Ihr mich nit lieben? (zieht ihn an sich)
Kaspar: Ich hab Euch immer lieb Bäuerin.
Bäuerin: Es sieht s niemand hier am Schober, ich hebe die Kleider, und Ihr tuts schnell. Hitzige Liebe ist am schönsten.
Kaspar: Ich täts Euch gern zu Gefallen, Bäuerin, aber die Magd möcht mir’s übelnehmen, ich bin“ ihr versprochen.
Bäuerin: Einmal ist keinmal. Und die Magd erfährt’s ja nit.
Kaspar: Aber es ist noch jemand da, vor dessen Augen könnt ich nit treten wann ich gesündigt hätt mit Euch. Und diese Augen sind wie Sterne und ich stürbe, wem; ich sie meinethalb erbleichen sah.
Bäuerin: Wer ists?
Kaspar: Das Fräulein.
(Das Fräulein kommt.)
Fräulein: Mutter, ich bin heut so lustig wie all die Tag nit. Ich hab am Weg am Bach Vergissmeinnicht gepflückt und einen Kranz geflochten und gesungen dabei. Ich setz ihn dir auf dein braunes Haar.
Bäuerin: Ich bin nicht wert, gekrönt zu werden; setz dem Kaspar die Vergissmeinnichtkrone auf.
Fräulein: Der Kaspar hat schon eine Krone aus Gold. So leuchten seine Haare in der Sonne. Guten Tag, Kaspar.
Kaspar: Guten Tag Fräulein. Ich bin froh, dass Ihr so munter seid.
Fräulein: Ist doch Sommer und die Vögel singen und die Blumen blühen und die Menschen – lieben.
Kaspar: Zeigt mir, wie Ihrs‘ s macht;, dass Ihr alle Kreatur liebt.
Fräulein: So mach ichs. (nimmt seinen Kopf und küsst ihn auf die Stirn)
Kaspar: (erschrocken) Fräulein.
Bäuerin: Dirn, du bist nit recht gescheit. Verrückst dem Kaspar noch den Kopf.
Kaspar: Bin nur ein Knecht des Fräuleins. Bäuerin.
Fräulein: Kaspar, wann du zu end bist, musst du an den Bach kommen und mir eine Weidenflöte schnitzen. Du musst mich in den Schlaf … Musik und Schlaf: sind mir die liebsten Geschwister.

4. Bild
Am Bach

Kaspar: Ich hab euch eine Kröte gefangen, Fräulein, wollt Ihr mit ihr spielen?
Fräulein: Zeig her, Kaspar. –Sie sitzt mir ruhig im Schoss und sieht mich mit ihren goldnen Augen an wie.. wie .. du, Kaspar
Kaspar: Ich wünscht, ich wär eine Kröte, Fräulein
Fräulein: Ein Mensch sein ist auch nit schlecht. Das ist allgleich: ob du ein Mensch, eine Kröte, eine Wolke oder ein Baum bist.
Kaspar: Ich bin ein Bach. Verrinne. Verfließe.
Fräulein: Ich bin eine Birke. Schwanke nur leicht.
Kaspar: Ihr fasst Wurzeln: überall. in wurzellos.
Fräulein: In meinem Herzen, Kaspar, hast du Wurzeln geschla¬gen.
Kaspar: Fräulein!
Fräulein: Sing mir ein Lied, Kaspar.
Kaspar:
Ich geh – wohin?
Ich kam – woher?
Bin aussen und inn,
Bin voll und leer.
Geboren – wo?
Erkoren – wann
Ich schlief im Stroh
Bei Weib und Mann.
ich liefere dich,
Und liebst du mich?
Ich trübe dich,
betrübst du mich?
Ich steh und fall,
Ich werde sein.
Ich bin ein All
und bin allein.
Ich war, Ich bin.
Viel leicht. Viel schwer.
Ich geh – wohin?
Ich kam – woher?
Fräulein: Die Weide streichelt meine Stirn. Der Himmel lächelt mir zu. Ich möchte schlafen. Spiel auf der Weidenflöte, Kaspar
Kaspar spielt. Das Fräulein entschläft. Die Magd kommt geschlichen.
Magd: Kaspar –
Kaspar: Sei still – das Fräulein schläft
Magd: Kaspar: Du spielst ein arges Spiel. Du trügst mich.
Kaspar: Liebes Mädchen – das ist nit wahr. Ich hab das Fräulein in den Schlaf gesungen.
Magd: So tief schläft nur die Liebe, die erfüllet ward.
Kaspar: Das Fräulein ist krank.
Magd: So krank nit, dass sie die Beine nit auseinandertun könnt.
Kaspar: Du schimpfst das Fräulein. Sie ist heilig wie eine Heilige.
Magd: Heilig sind wir alle wann wir lieben. Ich liebe dich.
Kaspar: Du liebst meine Schwäche.
Magd: Ich liebe deine Stärke.
Kaspar: Wann ich recht lang bei dir bin, das liebst. Das Fräulein liebt mich ohne Sinn, ohne Ziel wie ich das Fräulein liebe. Wir sind da und also lieben wir.
Magd: Sei auf der Hut, Kaspar, dass nichts geschieht, was dich und mich gereuen könnt, ich – hasse das Fräulein. Ich bin gesund. Sie ist krank. Ich bin hart. Sie ist zart. Ich bin böse. Sie ist gut. Tag und Nacht vertragen sich nit.
Kaspar: Geh – geh -das Fräulein rührt sich. Stör ihr den Traum nit.

5.. Bild
Auf dem Felde

Bauer: Wo ist das Mädchen?
Bäuerin: Am Bach. Der Kaspar ist bei ihr.
Bauer: Kupplerin.
Bäuerin: Du geiler Bock. Schleichst der Magd nach. Sah dich ein¬mal, wie du ihre Brüste packtest und sie dir eins ins Gesicht fetzte.
Bauer: Du alte Hure. Möchtest, dass der Kaspar dich von hinten bespringt wie ein Hund. Bist immer läufig.
Bäuerin: Das ist dein Schuld. Kannst ja nimmer ohne Nachhilf. Wann ich mit der Hand dich nicht bearbeit.
Bauer: Warum hast du mir keinen Sohn geschenkt? Keinen Erben? Ein krankes Kind, dem der Tod auf der Stirn steht ?
Bäuerin: Möchte wohl wissen, was du dir geholt hast als du bei den Soldaten warst in der grossen Stadt.
Bauer: Lügnerisches Weib!
Bäuerin : Mensch.
Bauer: Wirst mir auch mein Kleinod, mein Heiligtum nicht be¬schmutzen : mein engelhaftes Mädchen –
Bäuerin: Ich lieb sie nit weniger als du. Sie ist kein Mensch wie du und ich! Deshalb darf sie auch seelenruhig beim Kaspar am Bach liegen. Hab gar kein Furcht oder Bedenken.
Bauer: Sie – liegt – beim – Kaspar – am- Bach?
Bäuerin: Was tut’s, gib sie dem Caspar doch zur Frau. Hast gleich einen Erben für den Hof.
Bauer: Spekulierst recht auf meinen Tod, dass du den Kaspar heiratest und du dein Pläsier hättest dein Alter.
Bäuerin: Es war nit schad um dich, wann du verrecken tatst.
Bauer: Ungeheuer
Bäuerin: Die Magd kriegt ein Kind vom Kaspar, dass du’s weißt. Er und sie heiraten. Er ist ja schon das Aufgebot bestellen gangen.
Bauer: Wo ist mein Engel, dass ich ihn schütze.
Bäuerin: Acht auf dich selbst, Bauer,

6. Bild
Dorf-Kirche

Die letzten Töne der Orgel verklingen. Die Kirchgänger verlassen die Kirche: darunter der Arzt, der Bauer, die Bäuerin, die Magd. Als die Leute der Magd ansichtig werden: Getuschel und Fingerzeigen. Kaspar, den Kopf in die Hände vergraben, ist auf der Kirchenbank sitzen geblieben. Das Fräulein, als letztes.
Fräulein: (zum Küster auf der Empore) : He, Küster –
Küster: Was soll‘s?
Fräulein: Ihr müsst mir einen Gefallen erweisen. Küster, tu Euch auch wieder einen .Wolltet die Arien und Cantaten von Bach und Haydn besitzen. Schenke sie Euch.
Küster: Fräulein!
Fräulein: Spielt mir etwas
Küster: Gern, Fräulein
Fräulein: Nur für mich, eine himmlische, selige Musik – nur für mich.
Küster: Was soll es sein: von Palestrina –
Fräulein: Nichts Frommes, nichts Strenges, nichts Herbes, Küster – eine süße bezaubernde Musik: spielt mir ein Menuett, eine Gavotte:
Küster: Bedenkt, Fräulein, dies ist ein Gotteshaus
Fräulein: Und ich bin ein Menschenkind.
Küster: Wenn’s der Pfarrer erführe –
Fräulein: Pfarrer hin, Pfarrer her, ich steh mit dem lieben Gott auf Du. Spielt: ich will tanzen, ihm zu Ehren.
Küster: (schüttelt den Kopf) Ich tu’s euch zu Gefallen, weil ich euch achte und weiß, dass euer Gedanke nicht schlecht ist (spielt eine heitere Gavotte, Das Fräulein dreht sich leicht im Tanz. Kaspar hat den Kopf erhoben und sieht ihr zu. Sie bricht atemlos ab, fasst sich an die Brust.) 
Fräulein: Ach, die Luft – schmerzt.
Kaspar: Ich hätt niederknien mögen wie vor der heiligen Frau.
Fräulein: Ich hab getanzt – auch für dich, Kaspar.
Kaspar: Der Doktor hat Euch jede Erregung verboten. Ihr seid ihm nit gehorsam. Ihr wütet gegen Euer schönes junges Leben, daran so viele Menschen Freude haben, wie gegen ein widerspenstiges Fohlen.
Fräulein: Ich werde jung sterben – Kaspar, und darum will ich gern sterben.
Kaspar: Wisst Was heut nacht ist? Fräulein.
Kaspar: Johannisnacht – die Knechte werden Feuer auf den Hügeln rings entzünden.
Fräulein: Ihr habt Tränen in den Wimpern hängen – warum?
Kaspar: (senkt den Kopf) Ich sah, wie die Leute auf die Magd zeigten, weil sie schwanger sei von mir, und ich känn’s nit ändern. –
Fräulein: Es wird alles gut werden, Kaspar.

7. Bild
Johannisnacht

Rings Feuer auf den Hügeln
Die Knechte und Mägde: Wir schlingen den Johannisreihn.
(dann ab, Kaspar mit der Magd bleibt zurück.)
Magd: Du hast kein Feuer mehr, Kaspar, bist kalt wie Stein.
Kaspar: Brennt Feuer genug auf den Hügeln
Magd: Komm hinter das Gebüsch, ich brenne
Kaspar: Ich hin verbrannt. Nur Asche noch, bin grau. Streu mich in den Wind.
Magd: Wenn du mich heut Nacht nicht liebst, betrüg ich dich.
Kaspar: Dein schwanger Bauch findt Liebhaber genug. Braucht keiner Angst zu haben, das er ein Kind macht.
Magd: Höhnst mich noch in meinem Unglück, weil ich auf dein Wort gebaut. Pfui Kaspar, bist kein ehrlicher Mensch.
(Man hört Harmonikaklänge)
Kaspar: Ich geh. muss unter Menschen sein, finde mich nit zurecht. (ab)
Magd: (bleibt, bricht dann in Schluchzen aus) (Das Fräulein kommt)
Fräulein: Warum weinst du? Komm, ich streichle dich.
Magd: Ach, Fräulein, Ihr seid gut zu mir.
Fräulein: Nicht gut genug. Ich bin zu schwach, Dir Gutes zu tun. Warum weinst du? Alle sind fröhlich in dieser Nacht.
Magd: Der Kaspar liebt mich nimmer. Er ist zu den tanzenden Mädchen gegangen.
Fräulein: Er liebt dich. Er weiß es nicht.
Magd: Nein, Fräulein, Euch liebt er. Und nur Euch, er sollte Euch nicht lieben.
Fräulein: Komm, wir wollen zu den tanzenden Burschen und Mädchen gehen. Und wenn der Kaspar mit einem fremden Mädchen tanzt, so tanzt du mit einem fremden Burschen,
(Harmonikaklänge. ab. Nach einer Weile : Kaspar mit dem Fräulein auf die Bühne.)
Kaspar: Fräulein, länger ertrag ich’s nicht. Ihr habt mit mir getanzt, und der Kopf donnert mir, als wären tausend Gewitter in ihm losgelassen. Lasst mich zerstampfen von einem rasenden Stier, erwürgt mich, ich weiß, ich bin selbst des von Euch verhängten Todes nicht wert: aber erlöst mich aus dem Grund meines unwissenden Seins und meines dumpfen Herzens, meines höllischen, Herzens, das zu Euch, mein Himmel schreit, ich bin der Teufel, ja leibhaftig der Teufel, der Euch Engel liebt, weil Ihr voll des seid, was er nicht ist : weil Ihr gut, schön, sanft, seid. Er selbst aber ist ein stinkendes Tier. Ein rotznäsiges.
Fräulein: (kniet vor ihm nieder.) Kaspar, ich bin deine Dienerin, tue mit mir, was dir beliebt. Ich knie vor deiner namenlosen Qual in Demut. Denn ich bin die ewige Seligkeit, du aber bist verdammt und sollst erlöst werden – durch mich-

8. Bild.
Stube

Der Doktor: Ich habe dem Fräulein immer gesagt: ihre schwache Lunge verträgt das Tanzen nicht. Keinerlei Aufregung. Auch das Herz ist angegriffen. Nur leichte Diät. Auch der Magen ist angegriffen. Was soll man tun? Die Warnung der Wissenschaft wird nicht beachtet.
Bauer: Das Mädchen fühlte sich all die Tage so leicht, so heiter. Schwebte nur so durch den Tag. Sang wie eine Schwalbe.
Doktor: Die der Wissenschaft wohlbekannte Euphorie ! Ein ganz verdächtiges Anzeichen. Je wohler sich der Mensch fühlt, desto näher ist er dem Tod. Media in vita morte.
Bäuerin: Ach Gott wir sind ihr so viel Liebe noch schuldig.
Doktor: Gehen wir zur Patientin, greifen wir den Pulsschlag. Sie hustet?
Bauer: Wenig.
Doktor: verdächtig, höchst verdächtig. Geschlossene Tuberkulose meist umso bedenklicher. (ab)
Bauer: Lass uns Frieden schließen an ihrem Sterbebett,
Bäuerin: (schluchzt)
Bauer: Ich fühl’s: Unser Glück stirbt. Uns bleibt: das gemeinsame Alter, der stille Abend. Der gemeinsame Tod.
(Kaspar kommt.)
Kaspar: Bäuerin, Bauer.
Bäuerin: Kaspar, Ihr seht ja totenblass aus.
Kaspar: Bauer – wie geht’s dem Fräulein?
Bauer: Nicht gut, Kaspar.
Kaspar: Ich – bin – schuld, Bauer – an ihrem Leid.
Bauer: Red nit Unsinn, Kaspar .Das Fräulein war immer krank.
Kaspar: Ich – bin – schuld – Bauer – kanns auch nit so sagen – ich bin schuld ganz allein.
Bäuerin: Wir sind alle schuld, Kaspar, weil wir schlecht waren.
Kaspar: Ich – bin – allein – schuld – ich tanzte mit dem Fräulein, – da brach ihr das Blut aus dem Mund.
(Der Doktor aus dem Zimmer)
Doktor: Wenn Ihr euer Kind nochmals, lebend sehen wollt, kommt Bauer, Bäuerin.
(Bauer und Bäuerin ab in das Zimmer) – Kaspar verharrt unbeweglich. Die Magd kommt.
Magd: Kaspar, verzeih mir: ich tanzte mit dem Knecht vom … Bauer.Wir gingen in den Wald – und er zwang mich – (sie fällt vor ihm nieder)
(Ein zarter Ruf des Fräuleins aus der Kammer)
Kaspar, komm, sag mir lebewoh!.
(Kaspar, ohne die Magd beachtet zu haben, ab.),

9. Bild
Gericht

Richter: Drei Jahre Zuchthaus, Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte. Der nächste.
(Ein Verurteilter ab. Der nächste tritt ein.)
Richter: Zehn Monate Gefängnis, davon drei auf die Untersu¬chungshaft angerechnet. Der nächste,
(wie oben)
Richter: Sieben Jahre Zuchthaus, 5000 Mark Geldstrafe, Zehn Jahre Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte. Der Nächste
(wie oben)
Richter: Zum Tode durch den Strang, Der nächste.
(wie oben Zum Tode durch den Strang, der nächste)
(Kaspar tritt auf.)
Kaspar: Richtet mich, Richter! Ich habe gefehlt.
Richter: Wo kommt ihr her?
Kaspar: Aus dem Leben. Und will in den Tod.
Richter: Was habt Ihr begangen ? Diebstahl ? Raubmord ? Not¬zucht ? Schema A,B,.C.. Es gibt nur eine engbegrenzte Anzahl Motive, aus denen man handelt. Also ?
Kaspar: Ich tat nichts dergleichen.
Richter: So stehlt Ihr mir wenigstens meine Zeit – schert Euch weiter, Ihr seid unschuldig, Der nächste.
Kaspar: Ich bin schuldig – schuldig wie nie ein Mensch.
Richter: Ich habe noch nie einen Menschen sich zum Urteil drängen sehn. Weswegen und wozu soll ich Euch verurteilen?
Kaspar: Ich habe einen Menschen mit meiner Liebe – getötet.
Richter: Papperlapapp. Man tötet: mit einem Messer, einem Beil etcetera. Aber nicht mit Liebe. Die Liebe ist keine Waffe.
Kaspar: Ich habe einen Engel mit meiner Umarmung geschändet. Mein böser Kuss war ihr Tod – Ich bin tausendmal schuldiger als der arme Dieb, der aus Hunger stahl, oder der arme Mörder, der aus Verzweiflung mordet. Ich mordete aus dem eingeborenen Hass des Bösen gegen das Gute.
Richter: Papperlapapp. Einige Menschen sind nur darum gut, weil viele so schlecht sind, Die Guten sind am Bösen schuldig.
Kaspar: Ich versteh euch nicht. Ich habe das Fräulein getötet, die Tochter des Bauern.
Richter: Ihr bezichtigt Euch selbst?
Kaspar: Ja.
Richter: (schellt. Ein Wärter erscheint) Abzuführen in Untersuchungshaft bis zur Klärung der Sachlage. – Der nächste: Zwölf Jahre Zwangsarbeit —

10. Bild
Gefängniszelle

Kaspar: Ein Jahr besohle ich schon die Schuhe. Ich leide gern. Nein: ich leid gar nit. Ich arbeit gern. Ob’s wieder Sommer ist? Ich mein, ich spür, durch das Gitterfenster droben einen Ruch vom Kastanienbaum im Hof.
Wärter: Nr. 311: Zelle fegen, Eimer leeren. Es ist Besuch angemeldet.
Kaspar: Besuch? Von Wem? Ich habe seit einem Jahr von der Welt nit mehr vernommen.
Wärter: Nr. 311: (sperrt Zelle auf: lässt Magd, ein kleines Kind auf dem Arm, eintreten.)
Magd: Guten Tag, Kaspar. Ich hab Erlaubnis bekommen, dich zu besuchen .Willst deinem Kind nit Guten Tag sagen?
Kaspar: Guten Tag Frau. Guten Tag, Kind.
Magd: Was bist so verstört, Kaspar. Sieh mich an: ich bin heiter dass ich dich erblicken darf. Und dass ich gute Nachricht hab: brauchst nit mehr im Gefängnis bleiben, Es ist eine arge Lüge von einem bösen Menschen gewesen, dass Du das Fräulein sollst getötet haben. Haben der Bauer, die Bäuerin und alle für dich gezeugt, dass du ein braver Mensch bist und nit fähig zu solcher Untat.
Kaspar: Es kann – nicht – sein … Der Richter – und – ich bin schuldig, Fühlt ichs nit selbst im tiefsten –
Magd: Kaspar: einer ist am anderen schuldig. Wer weiß, wie¬viel. Wer weiß, wozu. Musst leben und im Leben wirken. Das Leben wartet. Die Scholle dampft. Die Ochsen stehn schon unruhig an dem Pflugschar und der Hund bellt hinter den Lämmern. Kaspar: sieh hier dein Kind! (Kaspar nimmt  das Kind auf seine Arme.)
Kaspar: (glücklich) Hoppla – hoppla – das ist ein starker Knecht – der wird wie ich Bäume ausreißen.
Magd: Komm, hörst du die Gefängnisglocken läuten? Ich hab den Pastor gleich in die Kirche her bestellt: er soll uns trauen: dich und mich – und das Kindlein taufen auf den Namen des Fräuleins: Maria. Denn es ist.

Nachbemerkung Guido von Kaulla: „Kaspar“ ist nicht zu verwechseln mit dem 1912 entstandenen Schauspiel „Der arme Kasper“.