In Memoriam Klabund

(Zum 5. Todestag des Dichters am 14. 8. 33)

Von Heinz Grothe

Am 14. August finden sich alle Freunde und Anhänger des Crossener Dichters Klabund auf dem Crossener Bergfriedhof über der Oder zu einer stillen Gedenkstunde im Geiste zusammen, um an dem Tage. An dem sich zum fünften Male der Tod des Dichters jährt, seiner zu erinnern.

Die nachfolgenden Zeilen „In Memoriam Klabund“, die aus der Feder des Biographen Klabund, Heinz Grothe, kommen, sind außer dem Gedenken noch aus einem anderen Grund geworden. Endlich einmal den Verballhornungen gegenüberzutreten, die das Recht für sich glaubten, Klabund zu einem sozialdemokratischen Parteidichter stempeln zu können. Das traurige Verdienst hat allen voran der ehemalige Berliner „Vorwärts“ für sich. Es ist bedauerlich, dass die große Anhänger- und Freundesschar Klabunds nicht den Mut aufbrachte, dagegen energisch Sturm zu laufen, auch wenn Klabund im Laufe der Jahre sich gelegentlich  politisch gebärdete. Es waren und blieben eben Gebärden, denen niemals die Tat folgte. Seine kindlich-naiven Ausflüge auf dem ihm völlig fremden Boden der Politik hat man eigentlich  niemals ernst genommen. Umso verwerflicher erscheint es, dass eine ehemalige Parteipresse die Konjunktur ausnutzte und diesen Dichter, der einen außergewöhnlichen Publikumserfolg hatte, für sich auszuschlachten. Durch den Gang der Ereignisse ist dieser politisch-literarischen Verballhornung und Ausbeutung ein endgültiger Strich gesetzt worden. Daraus möge man rückschauend nicht dem Dichter, seinem Werk Schuld zumessen. Bei klarer und auch noch weit entschiedener Sichtung bezüglich der Lyrik und Prosa wird, sicherlich auch von der Kritik im neuen Deutschland der echten Kunst Klabunds, die allen Einwänden zum Trotz an die Heimat gebunden ist, kein böses Wort gesagt werden. Wenn man Klabund, den Todgezeichneten, von dieser Warte aus sieht und nicht die Ahasversnatur, die er nicht war, denn ihn trieben nichts als Krankheit von einem Ort zum nächsten, so ist dem Menschen als auch seinem Werk gedient. So auch die nachstehenden Zeilen.

Mitten im tiefsten Frieden. Man schreibt das Jahr 1890. Es ist ein Novembertag. Die Herbstblätter wehen manchmal noch leise wie Papierschnipsel von den Bäumen und bedecken den Erdboden mit einem goldgelben Teppich. Der wilde Wein am Apothekerhaus in der Dammstraße in Crossen an der Oder, der im Sommer in sattem Grün herabquillt, ist verdorrt. Graue Fäden jetzt, nichts mehr- Die Tür der Apotheke klingt hin und wieder. Hin-her. Klingeling-Peng-Tür. Leicht, spielerisch schwankt sie. Der Abend zieht über die Stadt. Mond und Venus stehen verheißungsvoll über dem Haus der Adlerapotheke. Da erblickt Alfred Henschke-Klabund das Licht der Welt. Ist mit einem Male da, wird notiert in den Listen des bürgerlichen Lebens, existiert von Amts wegen. Bei ihm ist seine Mutter: Still, glücklich und hängt ihre Wünsche an den Lebensweg ihres zweiten Kindes. Neben ihr liegt ihr Sohn in seiner Wiege und weiß noch nichts von der Größe seiner Sendung …

Der Knabe Klabund streift in seinen frohen Stunden hinaus in die Wälder, tollt auf den Oderwiesen umher, wirft die Kleider ab, stürzt sich in den Fluss und läßt sich von den Fluten treiben, tragen. Die Bäume am Ufer schauen seinem Spiel zu und die Blätter rauschen ein fröhliches Lied. Schmetterlinge fliegen ihn an. Wenn er wieder an Land klettert, kreuzen Käfer seinen Weg, schlängeln sich Raupen vorüber. Oh. Oder der Knabe legt sich in die Sonne und träumt, fliegt in schnellem Sprung wieder ins Wasser. Ach so kühl, so gütig. Früher als er noch nicht lebte, da war es so warm und schön gewesen unter einem Frauenherzen zu ruhen. Und sich gegen das Geborenwerden zu wehren, schien ihm damals Pflicht. Helle und Dunkelheit hatten ihn da umfangen. Eine heilige Dunkelheit voller Geheimnisse. So fühlte der Knabe. Im Wasser, oh, da kann man sich spiegeln, Zwiesprache halten mit seinem anderen Ich, fragen nach dem Was-dann, Oh-ja, Oh-nein und taucht ein in die kleinen Wellen und sucht das andere Ich.

Vielleicht hat man Glück und kann es finden …Oder man sieht den Himmel, wenn man auf dem Rücken schwimmt. Den Wolken kann man da nachjagen, seine Wünsche an sie heften und ihnen solange nachschauen, bis einem das Wasser über die Augen rinnt und man achthaben muss, dass man nicht bei seinen Träumereien ersäuft. So tollt der Knabe Klabund umher im Element und Wasser, Himmel, die Welt decken ihn zärtlich zu …

Die Krankheit kam über Klabund. Inmitten der großen Hotels, Pensionen und Liegehallen und strengen Vorschriften der Sanatorien ist Klabund für eine Spanne von nun an immer wieder zu finden. Die Schweiz, namentlich Davos, musste  für ihn aus diesem Grunde zur zweiten Heimat erden. Bitter genug für ihn, der mit seinem heißen Herzen zutiefst an Deutschland hing – auch wenn ehemalige politische „Gesinnungsgenossen“ das Gegenteil behaupteten. „Freunde“ haben ihn für eine Zeit auf die politische gezerrt, aber Klabund hatte einen klaren Blick für dieses seinerzeit verseuchte Arbeitsfeld und zog sich schleunigst zurück. Seiner todgezeichneten Zerrissenheit war der politische Boden zuwider. Er lebte vielmehr seiner Gesundheit  oder besser seiner Krankheit …

Und dann kam der Welterfolg. In Davos auf seiner Liegeveranda, schrieb er viele kleine weiße Zettel voll.  Warf sie wahllos umher, sammelte sie wieder ein und hatte sich den großen Coup seines Lebens geleistet. Ein Theaterdirektor nach dem Anderen las den „Coup“ und startete ihn. Klabunds „Kreidekreis“ trat sine Weltreise an. Andere arbeiteten mit brutalen Mitteln und dem Schmutz der Gosse. Klabund eroberte sich mit seiner Zartheit und seiner Verliebtheit in seine lyrischen Mittel die Menschen. Und wenn er noch unter uns weilen würde und wüsste, dass in der kommenden Theatersaison sein „Kreidekreis“ als Text zu einer Oper unterlegt wurde, wieder seinen Weg von Berlin aus antreten wird, dann würde wieder über sein Knabengesicht ein gütiges Lächeln gehen und gläubig würde er dieses neue Wunder zu all den anderen hinnehmen …

Sommer 1928. Klabund sitzt im Süden. Die Freunde wissen aus seinen flüchtigen Karten, dass er voll neuer großer Pläne und niemals innerlich so froh ist, wie jetzt. Sie haben Hoffnung, dass es doch vielleicht einmal wieder werden könnte mit seiner bösen Lunge. Wider klang einen südlichen Sommer lang die goldene Glocke und da fuhr er wie von ungefähr nach Davos. Über seiner  Borgiaballade arbeitete er mit aller Anspannung. Der große Wurf musste gelingen. Und mitten in der Arbeit fiel ihn plötzlich von neuem der Sensenmann an. Schwerer, wuchtiger als sonst. Und Klabund spürte das Ende kommen. Mit unerhörtem Willen beendetem der Todgezeichnete die Durchsicht der Korrekturbogen … und dann rief er nach den Eltern und der Frau. Sie kamen. Fast zu spät. An einem wunderbar gütigen Sommermorgen beherbergte das Haus Stolzenfels in Davos einen der besten deutschen Dichter – einen Toten. Klabund hatte heimgefunden zu seiner Irene. – Das Leben summt den letzten schönen Reim: „Klabund fand heim“