Immer zur Musik bereit

Guido von Kaulla stellt Klabund vor

Von Erna Donat – Hannoversche Allgemeine Zeitung 12. März 1972

Den Namen Klabund hören und Blandine Ebinger in einem der dama­ligen Berliner Kabaretts vor sich sehen (kann sein im Tingel-Tangel), ist eines. Die Ebinger (verheiratet mit Friedrich Hollaender) war, kabarett­kritisch betrachtet, als Diseuse eine wichtige Figur. Blutarm, blass, dünn stand sie da, man hätte ihr das Vater­unser durch die Rippen pusten kön­nen, ganz und gar Hinterhof, unter-privilegiert. Aus magerer Brust sang sie beispielsweise „Die Harfenjule“ von Klabund.

Emsig dreht sich meine Spule
Immer zur Musik bereit,
Denn ich bin die Harfenjule
Schon seit meiner Kinderzeit.

Niemand schlägt wie ich die Saiten,
Niemand hat wie ich Gewalt.
Selbst die wilden Tiere schreiten
Sanft wie Lämmer durch den Wald.

Und ich schlage meine Harfe,
Wo und wie es immer sei,
Zum Familienbedarfe,
Kindstauf‘ oder Rauferei.

Reich mir einer eine Halbe
Oder einen Groschen nur,
Als des Sommers letzte Schwalbe
Schwebe ich durch die Natur.
Und so dreht sich meine Spule,
Tief vom Innersten bewegt,
Bis die alte Harfenjule
Einst im Himmel Harfe schlägt.

Die Ebinger hat damals den Zille-Typ abgelöst. Bei aller Liebe sei’s ge­sagt: Zille malte diesen Typ noch weiter, als er sich gesellschaftlich schon vollständig anders figuriert hatte. Bei der Ebinger war’s nicht mehr der versoffene Prolet; es war der Mensch wie er wird, wenn er arbeitslos und verhungert auf der Straße herumsteht, überflüssig, aus­rangiert.

Halb sagte sie’s, halb sang sie es: Manchmal troppt mir eine Träne / Und im Herzen pupperts schwer; / Und ich baumle mit de Beene / Mit de Beene vor mich her.

Es ging um die Darstellung sozialen Elends, um Melancholie, die aus dem leeren Magen kommt. Als Refrain Hilflosigkeit, Resignation: – ich baumle mit de Beene. Noch nach 1933, wenn sich alte Freunde trafen und einer fragte: Na, wie geht’s?“, konnte es vorkommen, daß der an­dere sagte: Ach, ich baumle mit de Beene. – Das war der Seufzer von Klabund.

Später, 1949, hatte man Gelegen­heit, eine Weile in Davos zu sein. Dort kam man täglich bei den Mahl­zeiten in der Villa Pravenda ins Ge­spräch mit Jules Ferdmann, einem Schweizer aus Samara an der Wolga; Menschewik, Historiker, Redakteur. Als über Plirchanow, den Begründer der russischen Sozialdemokratie, nichts mehr aus ihm herauszuholen war, wandte man sich, unablässig fra­gend, den berühmten Lungenkranken zu, die Ferdmann so nach und nach in Davos zu Grabe getragen hatte. Notiz 1949: Ferdmann hat heute ge­sagt, Klabunds Ruhm werde erst noch kommen. Sein Schreibduktus entspre­che unserer Zeit, der „Jazzband-Zeit“.

Doch alles das nur nebenbei. Ein bemerkenswertes Buch ist yorzustellen Guido von Kaulla „Brennendes Herz Klabund“ Legende und Wirklichkeit. Alfred Henschke, der sich Klabund nannte, wurde 1890 in Crossen an der Oder geboren. Er starb 1928 in Davos;. Er ging in Frankfurt/ Oder zur Schule. Sein Schulfreund war Stephan Benn, dessen Bruder Gottfried ihn als Künstler erkennt, ihm brüderlich zur Seite steht, später von „fünfundzwanzig Jahre Freund­schaft“ spricht, noch später in Cros­sen die Totenrede hält: „… diesen, unseren Kameraden, der nur ein Künstler war – nur ein Narr, nur ein Dichter“. Bern und Klabund sind märkische Kunst-Kollegen gewesen. Klabund schreibt Gedichte, Romane, Kabarettistisches, Grotesken („Der Kunterbuntergang de» Abendlandes“ zum Beispiel): er dichtete Chinesi­sches nach – des wunderbaren Klan­ges wegen, aber auch weil sich auf chinesisch vieles unverbindlicher auf­sagen läßt, was ja auch Brecht Immer wieder eingeleuchtet hat, sag’s durch die Blume.

Im Jahre 1914 jammert der lungen­gefährdete Klabund, weil er nicht wie seine Dichterkollegen Toller. Hugo Ball, Rilke, Becher, die Brüder Mann freiwillig zu den Fahnen eilen darf. Er macht seinen Papier-Krieg am Schreibtisch ab, jubelt wie alle ande­ren auch. Nachher will sich niemand so recht nach Kaisers Rock gedrängt haben, keiner will es gewesen sein. Nur Klabund – der will es unbedingt gewesen sein, öffentlich legt er seine Irrtümer, seine Erfahrungen, seine Entwicklung dar.

Von Kaulla hält bei aller Verehrung seinen Helden immer ein Stück von sich weg, das ist angenehm. Er ver­schweigt auch Knallfreds (Spitzname) Schattenseiten nicht, das ist noch an­genehmer.

1928 stirbt Klabund in Davos. Ferd­mann nimmt Abschied, hält eine gute Rede. Carola Neher (die Ur-Jenny in Brechts Dreigroschenoper. Klabunds zweite Frau) läßt alle Proben sausen. Sie bleibt bei ihrem Mann. Sie ist offenbar von stürmischer Natur, nicht immer berechenbar, doch unbedingt anständig und treu. Weil sie so treu und anständig ist, lehnt sie eine Weile später das sowjetische Ange­bot, in Deutschland als Agentin zu arbeiten, ab, wofür sie verrecken muß.

Einwände gegen von Kaullas gutes, notwendiges Buch: Der Titel, „Bren­nendes Herz Klabund“, wird seine Verbreitung nicht fördern. Dürre muß jetzt gesagt werden, was unter die Leute soll. Unbedingt hätte Klabund mit besser ausgedruckten Werkproben viel mehr zu Wort kommen müssen. Von Kaulla hat seinen Stoff so fest im Griff, daß die allzugroße Intensität zum Mangel wird. Der Lesehunger wird angereizt, er wird nicht ausreichend gestillt. Die Zeit, in der Kla­bund lebte, war so vielschichtig, schillernd, folgenschwer, daß auf sie dreißig Seiten mehr verwendet nicht geschadet, hätten. Nicht jeder Leser weilte seinerzeit schon unter den Lebenden. Das Buch ist nicht dick ge­nug. Man legt es aus der Hand. Man sehnt sich nach einer erweiterten Auflage.