Hermann Hesse – Schriften zur Literatur

Rezensionen und Aufsätze – Suhrkamp 1972

Noch zu Lebzeiten von Klabund 1926 veröffentlicht

Klabund (1890-1928) – Gedichte

Jetzt ist es wohl schon mehr als ein Dutzend Jahre her, seit ich eines Tages Klabunds erstes Gedichtbuch in die Hände bekam, mit dem Titel „Morgenrot, Klabund, die Tage dämmern!“ Und ich erinnere mich wohl daran, wie schon die Rhythmik dieses Titels heiter, befreundet und zugleich etwas spielerisch auf mich wirkte. Damals, mit seinen ersten Publikationen hat Klabund die Leserwelt mit seinem neuen Ton erschreckt und schwer geändert, es standen da allerlei jugendhafte Verulkungen uno manche gewagten neue Klänge, es war die Zeit, in der die ersten Vorboten eines poetischen Expressionismus sich in Deutschland regten. Heute wirkt ein Buch von Klabund gerade umgekehrt, jeder Leser vor Kultur wird nir­gends das Wagnis, das Neue Verblüffende im Aus­druck als ein Hauptmerkmal dieser Dichtungen finden, sondern im Gegenteil eine tiefe Verbundenheit mit der Tradition. Das Klabund aus vielen KulturQuellen schöpft, dass er sich, der als Schüler keineswegs dem Kult des Analphabetismus huldigte, son­dern ein guter Lateiner und Grieche war, leicht und gewandt in Denkweisen und Formen fremder und ver­gangener Kulturen einfühlt, ja darin ein Virtuose ist,  dies ist dabei nicht das Entscheidende. Es ist nur die glänzende und hie und da den Dichter an der Oberfläche festhaltende Außenseite seines großen Talents. Nein, wesentlich ist seine innige, herz­liche Verbindung mit unsrer poetischen Vergangenheit, ist die Melodik seines Verses, ist der Zusammenhang mit der Musik unserer großen romantischen Lyriker.

Dieser ewig junge Kranke, dieser stets in einer leichten Untertemperatur lebende, oft todkrank gewe­sene lungenleidende mit dem Knabengesicht und der seinen  Freunden so teuren Heiterkalt atmet als Dichter noch immer die Luft jener letzten großen Lyriker, die er ohne Zweifel als Knabe heiß geliebt hat, der Eichendorff und Brentano, und seine Modernität ist nicht Selbstzweck noch Snobismus, sondern blüht aus einer stets jugendlichen, ja jünglingshaften Offenheit und Hingegebenheit. Gewiss, er hat auch Experimente gemacht, hat Spielereien getrieben, hat werbend oder spottend beim Schreiben an den Leser gedacht, es steckt ein ganzes Stück Literat n in ihm. Was ihm unsre Liebe dennoch bewahrt, ist das andere Stück, das Stück echten Dichtertums in ihm, heute eine seltene und seltener werdende Gabe.

Alle diese Gedichte handeln von der Liebe, alle haben diesen jungen. schönen, etwas flehenden Blick.