Ein Schwank in drei Aufzügen und einem Nachspiel Geschrieben 1912.
Personen
Der alte Eisermann.
Hannibal, sein Sohn.
Plüddecke, Schneidermeister.
Die Miß.
Liddy, ein stummes Faktotum.
A. Schulz, Kommandant der Freiw. Feuerwehr.
B. Schultz, Major der Schützengilde.
C. Schulze, Präsident des Kegel und Skatklubs „Harmonie“.
Fräulein Pompe.
Maxi Beerbaum, Realgymnasiast.
Der schöne Oskar.
Mädele, seine Tochter.
Lisa.
Ein Kellner.
Ein Bürgermeister.
Ein junger Mann mit Photographenapparat.
Zeit: Vor dem Krieg. – Ort: Kleine Stadt.
Erster Akt
Bürgerlich behaglich eingerichtetes Wohnzimmer. Hannibal sitzt am Frühstückstisch und frühstückt, neben sich die Zeitung. Er ist sehr gut und geschmackvoll gekleidet, mit einem auffallend grellgrünen Seidenschlips, sehr blonde Haare, Scheitel links sorgfältig gezogen, Monokel.
HANNIBAL (liest in der Zeitung): Die Millionärin Miß Mary Eleonore Tunderstam, durch verwandtschaftliche Bande unserer Stadt verknüpft — wie ist denn hier die Konstruktion — Dativ? Wem? Wodurch? – es gibt doch noch Probleme auf der Welt … Ihre verstorbene hiesigen Ortes bestattete Mutter war die Tochter des Heringshändlers Herrn Goegle hierselbst – beehrt unsere Stadt mit einem der Pietät geweihten Besuche und ist im Hotel „Drei Kronen“ abgestiegen. Wir wünschen der jungen, entzücken¬den Dame — Schmock hat keinen schlechten Geschmack – die übrigens, wovon sich unser F F. Berichterstatter durch persönliches Interview überzeugte, ein perfektes, mit lei¬sem englischen Akzent gemischtes Deutsch spricht — einen angenehmen, genußreichen Aufenthalt in unserem in diesen lauen Herbsttagen so überaus traulichen Städtchen und möchten nur zum Schluß nicht verfehlen, darauf hinzuweisen, daß unsere Gasanstalt, deren vortrefflichem Dezernenten im Magistrat, Herrn Eisermann, wir übrigens durchaus nicht nahetreten wollen noch immer des zweiten Gasometers enträt. — Wie fein ausgedrückt! Wie zart!
(Er klingelt. Das Dienstmädchen erscheint)
LISA Der junge Herr wünschen?
HANNIBAL Die Eier sind wieder hart, steinhart wie Backziegel und kalt, man kann sie überhaupt nur aufgeschnitten essen.
LISA Aber der Herr Papa …
HANNIBAL Der Herr Papa! Dann lassen Sie eben für mich extraweiche Eier kochen. Pflaumenweich. Drei Minuten. Sagen Sie das der Köchin.
LISA Ich hab’s ihr schon öfter gesagt, aber der junge Herr wissen ja, die Marie, wenn ich ihr was sage, sie meint, ich wollt sie sekkieren.
HANNIBAL Ich liebe diese kalten, aufgeschnittenen, mit Sardellen belegten Eier nicht. Ich liebe auch ein kalt aufgeschnittenes, mit Sardellen belegtes Leben nicht.
LISA …?
HANNIBAL (kneift sie in die Brust): Pflaumenweich, verstehen Sie mich?
LISA (kichert verlegen).
HANNIBAL Ist mein Zimmer oben geheizt?
LISA Elf Briketts. Ich hab’s schon vor ’ner halben Stunde hineingetan. Wie’s der junge Herr wünschten.
HANNIBAL Recht so.
LISA Es wäre eigentlich nicht nötig gewesen, so viel, es ist Tauwetter … und der Herr Papa, wenn er’s erführ, tat mich wieder anfahren, daß ich so verschwenderisch umging mit die Briketts.
HANNIBAL Es ist gut. Sie können gehen. Räumen Sie den Kaffeetisch ab. (Lisa räumt ab und geht. Hannibal zündet sich eine Zigarre an. Sieht Lisa nach. Ruft ihr:) „Lisa …?“
LISA (dreht sich verlegen um).
HANNIBAL Du hast mir ja heute noch nicht deinen Tribut gezahlt …?
LISA (kommt langsam näher).
HANNIBAL Na, wird’s bald?
LISA (ergreift seine Hand. Küßt sie).
HANNIBAL Du kommst heut nacht. Ich laß die Tür offen …
LISA (nickt scheu).
HANNIBAL (klopft sie auf den Nacken). (Lisa geht hinaus, trifft in der Tür auf Eisermann, erschreckt hinaus.)
EISERMANN Meine Bouillon … dalli (zu Hannibal): Ah … der gnädige Herr beliebten noch zu frühstücken (sieht auf die Uhr). Es ist halb zwölf. Unsereiner plagt sich seit acht Uhr im Geschäft, um das bißchen tägliche Brot zusammenzuscharren und du …
HANNIBAL Warum schreist du eigentlich so?
EISERMANN Hast du bis jetzt geschlafen?
HANNIBAL (schweigt).
EISERMANN (schreiend): Ob du bis jetzt geschlafen hast, will ich wissen.
HANNIBAL Natürlich.
EISERMANN Natürlich … so … natürlich …
HANNIBAL Und jedenfalls besser geschlafen als Du.
EISERMANN Den ganzen Tag nichts als faulenzen.
HANNIBAL Ich kann mir jedenfalls nichts Schöneres denken.
EISERMANN Du bist frech, du bist frivol, Du bist unmoralisch.
HANNIBAL: Amoralisch … a… a… man kann das auch animalisch nennen.
(Lisa bringt die Bouillon, dann ab.)
EISERMANN (trinkt im Stehen): Selbstverständlich wieder nicht zu trinken, so heiß (trinkt die Tasse in drei Schlucken aus).
HANNIBAL Warum gießt du denn die Bouillon nicht auf die Untertasse, sie zu kühlen. Wie das sonst üblich ist.
EISERMANN Was soll das heißen? Willst du dich vielleicht über die Manieren deines alten Vaters lustig machen? Es sähe dir ähnlich. Vor nichts hast du Respekt. Ohrfeigen möchte ich dich manchmal.
HANNIBAL Warum tust du es dann nicht?
EISERMANN (tritt an ihn heran): … Weil … weil eben … weil (schreiend) weil ich hoffe, du wirst noch einmal vernünftig werden.
HANNIBAL Optimist … vernünftig … nie … nie … lieber ins Irrenhaus.
EISERMANN Hinausschmeißen möchte ich dich.
HANNIBAL Aber du wagst es ja nicht! Du hast ja Angst!
EISERMANN Angst? Lachhaft! Wovor? Daß du nicht längst auf dem Pflaster liegst, verdankst du deiner Mutter, deiner guten Mutter, die, Gott hab sie selig, verrückt genug war…
HANNIBAL Ja, sie war sehr unvernünftig. Das zeigt sich schon darin, daß sie dich heiratete …
EISERMANN Ich verbitte mir deine Impertinenzen. Sie war verrückt genug, einen Narren an dir zu fressen. Fünfzehn Jahre warst du damals … und ich habe ihr auf dem Sterbebette schwören müssen … immer für dich zu sorgen … Da du dich in der Welt doch nie zurecht finden würdest …so sanft seist du … so ideal veranlagt, so gut … Und wir hätten doch die Mittel und ich soll dich zu keinem dir widerwärtigen Beruf zwingen. Ja, so war deine Mutter.
HANNIBAL Es ist mir unbegreiflich, wie Ihr beide ausgekommen seid … freilich noch unbegreiflicher, wie ich da herausgekommen bin.
EISERMANN Und die Mittel hätten wir? Ja Kuchen! Wir haben einen schweren Stand, wir kleinen Fabrikanten in den kleinen Städten … gegen die Großindustriellen. Wir haben x-mal soviel Betriebsunkosten. Und wir können die Abfälle nicht richtig verwerten. Und dann muß man noch so einen … Kerl wie dich durch die Welt füttern.
HANNIBAL Du kannst eben die … Abfälle nicht richtig verwerten. — Du hast doch erst neulich zehntausend Mark der Arbeiterstiftung und dreitausend Mark dem Hospital überwiesen und fünftausend Mark der städtischen Waisenanstalt. Wofür bitte?
EISERMANN Es ist mir schwer genug angekommen …
HANNIBAL (überzeugt): Das glaube ich!
EISERMANN Wie? Ja! Aber man ist es schließlich sich schuldig.
HANNIBAL Sich? d. h.: dem Kommerzienratstitel!
EISERMANN Nun ja, die Welt sieht nun mal aufs Äußere.
HANNIBAL Und seitdem Tuchfabrikant John den Kronenorden vierter Klasse … ich habe dich übrigens schon längst gefragt … nicht gerade gebeten: warum gibst du mir nicht einmal fünftausend Mark zu einer Reise nach Italien?
EISERMANN (schlägt auf den Tisch): Das ist unerhört… Der Bengel, der froh sein kann, daß ich ihn nicht hinauswerfe … das ist das allerselbstverständlichste, nicht wahr? Ich muß, ich bin gezwungen, ich bin geradezu verpflichtet, dir fünftausend Mark für solche Kinkerlitzchen in den Rachen zu schmeißen. Nein, mein Sohn, du hast dein übliches Taschengeld, das ist schon reichlich genug.
HANNIBAL Du verschwendest oft genug, immer, prinzipiell, dein Geld an Phantome, warum willst du’s nicht mal dem Lebendigen opfern? Ich sehe nicht ein, wie fünftausend Mark besser verwendet werden können, als für mich.
EISERMANN Also, du bist wahrhaftig dem Blödsinn nahe. So spricht kein vernünftiger Mensch.
HANNIBAL Wieder dieses entsetzliche Wort: Vernunft, womit Ihr wie mit Spielmarken, die das Geld ersetzen sollen, zahlt. Du bist doch sonst für echtes Geld … du … Falschmünzer.
EISERMANN Nicht so laut … die Mädchen, man könnte es hören — … was sollen denn die glauben.
HANNIBAL 0, die Wahrheit kann man noch so laut brüllen, niemand hört sie. Um sie den Leuten verständlich zu ma-chen, muß man sie flüstern. Ach, wenn du doch ein Falsch¬münzer wärst, aber ein richtiger.
EISERMANN Albern … Quatsch … (greift zur Zeitung). Was steht denn drin? So, so … die Miß und die Gasanstalt. Sehr fein haben wir das eingefädelt.
HANNIBAL Es könnte nämlich sein, daß du mich für immer los bist, mit jenen fünftausend Mark. Es könnte sein, daß ich mir eine Begräbnisstätte da unten in Italien aussuche … (sieht auf seine Fingernägel) …
EISERMANN Du? Quatsch!
HANNIBAL Eine Begräbnisstätte für mich und meine un¬geborenen Kinder. — Da fällt mir eben ein: Hast du an Fanny nach Leipzig die Alimentengelder geschickt … es ist heut schon der vierte.
EISERMANN Ja, doch ja … Gott sei dank, daß man hier in der Stadt nur über den kleinsten Teil deiner Schandtaten unterrichtet ist. Ich möchte dich ersuchen, mich nicht zu kompromittieren. Den Schein haben wir ja Gott sei dank noch aufrecht erhalten können, daß du in meinem Kontor — arbeitest … in meinem Privatkontor … da kann’s wenigstens niemand kontrollieren. Aber wenn du das geringste anstellst, so wirst du die Stadt verlassen müssen. Ich hoffe immer, du wirst eines Tages doch arbeiten lernen.
HANNIBAL Arbeiten! Das ist für die Stümper.
EISERMANN Hannibal! Mein ganzes Leben ist angefüllt von schwerer mühevoller Arbeit. Ich habe nie
HANNIBAL gerastet noch geruht und mir keine Erholung gegönnt.
EISERMANN Ich verachte dich!
HANNIBAL Und ich dich nicht minder. Ich liebe dich nicht: Du gibst mir Geld, das ist alles. Ich erkenne das an … weiter nichts. Aber du gibst es nur gezwungen, gezwungen von meiner toten Mutter… weil du ihren Dämon fürchtest…
EISERMANN Du wirfst mir Feigheit vor, der ich es gewagt habe, den früheren Stadtverordnetenvorsteher öffentlich einen Trottel zu nennen? Ha ha … Aber du? Hast du dich nicht beinah bis ins zwanzigste Jahr nachts vor der Dunkelheit gefürchtet?
HANNIBAL Ich hatte auch Grund, die Dunkelheit zu fürchten. Denn meine Gespenster sind echt.
EISERMANN Du bist nicht mehr wert, als der schöne Oskar, der Stadtlump.
HANNIBAL Gewiß nicht… da ich überzeugt bin, daß dieser Stadtlump der einzige Ehrenmann der ganzen Stadt ist. Er hat Leidenschaft, Lebenssinn, Humor … Humor … und das besonders fehlt Euch insgesamt. Ihr nehmt Euch ernst, bluternst, das macht Euch so unendlich komisch. Übrigens arbeitet der schöne Oskar ebenfalls nicht, aus Prinzip, um Euer Lexikon zu zitieren.
EISERMANN Haltlosigkeit, Nichtigkeit, Nichtsnutzigkeit, Faulheit: das sind deine Ideale.
HANNIBAL Faulheit, ja, denn die Arbeit ist nur von denen erfunden, die mit dem Leben sonst nichts anzufangen wußten. Um ihre innerliche Leere und Unfähigkeit zum beschaulichen Dasein, dem einzigen Dasein, das wert ist, gelebt zu werden, zu betäuben und Rhythmus hineinzubringen, wurden sie Steinklopfer und Philologen. Schließlich ist auch die Kunst nicht viel mehr wert. Kunst ist ja nur die Wut, daß man nichts Festes hat, alles in unseren Händen zerrinnt. Und damit man nicht verzweifelt, muß man eben so tun, als hätte man irgend etwas vom Leben fest, als hielte man es gepackt, in Quintessenz. In Wirklichkeit ist Kunst Verdünnung.
EISERMANN Rede mir nicht von Kunst! Das ist das einzige, wovon ich nichts verstehe.
HANNIBAL Ja, es ist dein einziger Vorzug, um den ich dich beneiden könnte. (Steht am Fenster.) Da unten kommt der Hausbursche mit der Mittagspost. Du mußt wohl herunter.
EISERMANN Hat noch Zeit. Bist du übrigens heute früh um neun Uhr von ihm geweckt worden, wie ich ihm befahl?
HANNIBAL Von wem?
EISERMANN Vom Hausburschen.
HANNIBAL Natürlich nicht. Der weiß mehr, was sich schickt, als Du.
EISERMANN Alles, was ich heute geredet habe, habe ich wieder in den Wind gesprochen.
HANNIBAL Ja, ich bin der Wind. Du weißt nicht, von wannen er kommt, noch wohin er fährt.
EISERMANN Wenn’s so weiter geht, zur Hölle.
HANNIBAL (nach einer kleinen Pause): Ich gebe dir einen
süßen Trost: ich gedenke heute noch mich zu bessern, zu
verbessern, wie man sagt.
EISERMANN Gott gebe. Ich glaub’s nicht. Willst du endlich an deine Doktorarbeit gehen, die du schon seit drei Jahren planst?
HANNIBAL Nein, ich gedenke ernstlich zu arbeiten.
EISERMANN Arbeiten?
HANNIBAL Jawohl, arbeiten. Übrigens ist jedermann heutzutage Doktor phil. Es ist direkt unfein. Wenn ich Wert darauflegte, den Doktortitel zu führen, würde ich ihn eben einfach führen.
EISERMANN … ohne vorher das Doktorexamen gemacht zu haben?
HANNIBAL: Natürlich.
EISERMANN: Dann säßest du übermorgen im Zuchthaus.
HANNIBAL Aber Papa! Du kennst die Strafgesetze nicht. Ich bekäme höchstens einen Monat Gefängnis. Und auch der ließe sich wohl in Geldstrafe umwandeln.
EISERMANN Und wer sollte die bezahlen?
HANNIBAL Du, Papa. Jedoch – das ist jetzt nebensächlich. Du weißt natürlich, daß Miß Mary Eleonore Tunderstam gestern hier eingetroffen ist und im Hotel „Drei Kronen“ Wohnung genommen hat.
EISERMANN Sie ist eine der reichsten Frauen der Welt. Man spricht von einem Vermögen von neunhundert Millionen Dollar.
HANNIBAL Siebenhundertsiebenunddreißig, lieber Papa, aber das genügt auch.
EISERMANN Woher weißt du das?
HANNIBAL Ich habe meine Informationen eingeholt.
EISERMANN Was soll das alles?
HANNIBAL Ich habe dir doch gesagt, ich würde mich ernstlich an eine ernste Arbeit machen.
EISERMANN Nun?
HANNIBAL Ich werde heiraten.
EISERMANN Ach! So?! Wen denn, wenn man fragen darf?
HANNIBAL Miß Mary Eleonore Tunderstam.
EISERMANN Du … Du … bist verrückt!
HANNIBAL Durchaus nicht! Wenn ich schon heirate, muß es die reichste Frau der Welt sein, oder wenigstens annähernd die reichste.
EISERMANN Du bist ganz und gar übergeschnappt.
HANNIBAL (langsam jedes Wort betonend): Ich bitte dich, Papa, ich werde sie heiraten!
EISERMANN Ein Taugenichts wie du, ohne Vermögen …
HANNIBAL Sie hat Geld genug für zwei.
EISERMANN Ohne Titel …
HANNIBAL Sie ist im Besitz des Dr. phil. et jur. Sie hat ihn in München summa cum laude gemacht. Über die Statistik der unehelichen Kinder. München erscheint hier als das durchaus geeignete Feld. Vielleicht hat sie selber eins.
EISERMANN Was?
HANNIBAL Ein uneheliches Kind! Mein Gott, Papa, bist du schwer von Begriffen.
EISERMANN Hannibal!!!!!
HANNIBAL Ich möchte dich bitten, über meine Pläne noch absolutes Stillschweigen zu bewahren.
EISERMANN Darauf kannst du dich verlassen. Man sperrte mich postwendend ins Irrenhaus … wenn ich sie verlauten lassen würde … (es klingelt). Was ist denn das für ein ewiges Gebimmel heute morgen? Die Ohren zerreißt’s einem förmlich … (es klopft).
HANNIBAL Herein!
LISA (in der Tür): Gnädiger Herr … der Schneider.
EISERMANN Der Schneider?
HANNIBAL Lassen Sie ihn nur herein.
(Schneider Plüddecke, einen in schwarzes Tuch gehüllten Anzug überm Arm, tritt ein. Lisa ab.)
PLÜDDECKE Gehorsamster Diener, meine Herren, gehorsamster Diener, Herr Eisermann, habe die Ehre, Herr Doktor.
HANNIBAL Da siehst du’s, Papa … Herr Plüddecke verleiht mir huldvoll seinen Ehrendoktor.
PLÜDDECKE Oh, alle Welt Verzeihung, Pardon, wenn ich mich irgendwie ungeschickt ausdrückte …
HANNIBAL Ganz und gar nicht, lieber Plüddecke …
EISERMANN Was wollen Sie eigentlich?
PLÜDDECKE Der Herr Doktor … um alle Welt …
HANNIBAL Nennen Sie mich ruhig Hannibal, lieber Plüddecke, und wenn’s Ihnen Spaß macht, können Sie mich auch duzen.
EISERMANN Ich verbitte mir diese Art Scherze … was soll das, Plüddecke?
PLÜDDECKE Man gab mir die Ehre und machte mir das Vergnügen, einen … ein … eine … sozusagen … einen Frack bei mir zu bestellen …
EISERMANN Frack?
PLÜDDECKE Frack!!
EISERMANN Wer?
PLÜDDECKE 0, um alle Welt … (verlegene Gebärden, zeigt mit dem Kopf auf Hannibal).
EISERMANN Du?
HANNIBAL Jawohl, Papa …
EISEHMANN Wer gab dir die Erlaubnis?
HANNIBAL Aber Papa … hier vor Herrn Plüddecke, der selber Familienvater ist, nicht wahr, Herr Plüddecke?
PLÜDDECKE Gott sei’s geklagt … o um alle Welt Verzeihung, Pardon. Pardon.
HANNIBAL eine Familienszene aufzuführen. Ich könnte sagen: der schöne Tag draußen oder die Butterfrau oder der Schirmständer … oder du! Darauf kommt’s ja nicht an. Ich bedurfte eines Frackes, ich hatte einen Frack nötig, und sehr folgerichtig, nicht wahr, Herr Plüddecke …
PLÜDDECKE 0 um alle Welt, Pardon, allerdings, Verzeihung, jawohl.
EISERMANN Das ist doch unerhört …
HANNIBAL Packen Sie ruhig aus, lieber Plüddecke.
(Plüddecke nimmt das Tuch ab und ein hellgrüner Frack kommt zum Vorschein.)
EISERMANN Aber er ist ja grün!
HANNIBAL Gott sei dank!
PLÜDDECKE: Allerdings, Pardon, jawohl.
HANNIBAL Durchaus meinen Intentionen entsprechend!
PLÜDDECKE Der gnädige Herr hat einen, mit Verlaub zu sagen, originellen Geschmack. Aber, es ist immerhin … ein
HANNIBAL Geschmack wollen Sie sagen, lieber Plüddecke.
EISERMANN Was bedeutet diese Hanswurstiade?
HANNIBAL Die Welt muß wieder grüner werden, Papa … Probieren wir mal an, lieber Plüddecke … (Plüddecke ist ihm beim Probieren behilflich.)
HANNIBAL Nun, wie sitzt er?
PLÜDDECKE 0 um alle Welt … ausgezeichnet … wenn ich mich so ausdrücken darf.
EISERMANN Ich bezahle ihn nicht … meinetwegen leiste den Offenbarungseid.
HANNIBAL 0, das fiel mir gar nicht schwer. Aber Meister Plüddecke geht seines Lohnes nicht verlustig. Jemand anders zahlt ihn.
EISERMANN Da bin ich doch neugierig, wer …
HANNIBAL (langsam, jedes Wort betonend): Miß Mary Eleonore Tunderstam.
PLÜDDECKE (sperrt den Mund auf).
EISERMANN Du … Du
HANNIBAL bist verrückt. Nämlich ich. Weiß schon. Laß, Papa. Ich habe mir den Frack extra bauen lassen, um darin um ihre Hand anzuhalten.
EISERMANN Wessen Hand?
HANNIBAL Miß Mary Eleonore Tunderstams Hand!
EISERMANN Ich habe kein Geld, um noch die teuren Kosten einer Kaltwasserheilanstalt für dich zu bezahlen (ist in einen Sessel gesunken).
HANNIBAL 0, das wird alles Miß Tunderstam bezahlen. Vor¬ausgesetzt, daß du dich der Kaltwasserkur unterziehen willst. Ich werde bei ihr ein gutes Wort für dich einlegen. (Er klingelt.)
EISERMANN Was willst du? (Lisa erscheint.)
HANNIBAL Hat der Gärtner schon die Orchidee für das Knopfloch geschickt?
LISA Nein, junger Herr.
HANNIBAL Schicken Sie sofort zu ihm herüber. Und bezahlen Sie gleich, sie kostet zwanzig Mark. Papa, vielleicht bist Du so freundlich und legst die kleine Summe aus?
EISERMANN (stößt einen schweren Seufzer aus): Ich will dich nicht blamieren. Wert bist du’s nicht. (Gibt dem Mädchen zwanzig Mark. Lisa ab.)
HANNIBAL Wo haben Sie die Rechnung, Plüddecke?
PLÜDDECKE Bitte sehr, Pardon, Verzeihung, mir gehorsamst zu gestatten, sie steckt hier in der Brusttasche.
HANNIBAL (Zieht die Rechnung aus der Tasche) dreihundertfünfzig Mark? Das ist nicht zu teuer. Man wird die Rechnung spätestens übermorgen begleichen. – Sie können gehen, Plüddecke. (Plüddecke ab.) Heute noch halle ich um ihre Hand an.
EISERMANN Um wessen Hand?
HANNIBAL Um Miß Mary Eleonore Tunderstams Hand.
EISERMANN: Wenn das Mama noch erlebt hätte!!!!
HANNIBAL: Sie hätte gelächelt und in ihrem Gedächtnis nachgeforscht — und gefunden, das vielleicht doch … ein anderer mein … Vater sein könnte … und nicht …du!
EISERMANN Hannibal!
HANNIBAL Eisermann?!? (Verächtlich.)
(Vorhang.)
Zweiter Akt
Hotelzimmer der Miß. Die Miß klingelt mit einer Schelle, die auf dem Tisch steht. Liddy erscheint aus dem Nebenzimmer.
MISS Sag dem Oberkellner, er möchte das Diner auf meinem Zimmer servieren lassen. Ich habe keine Lust, Konfektionsreisende und Referendare bei der Table d’höte an¬zustarren. Wer ist denn noch draußen?
LIDDY (neigt den Kopf und geht hinaus, kommt im Moment zurück, gibt durch Mienenspiel und Handbewegung zu erkennen, daß draußen jemand wartet).
MISS So, so … eine Dame ist da … hat sie ihren Namen genannt?
LIDDY (schüttelt den Kopf).
MISS Hat sie dir keine Karte gegeben?
LIDDY (schüttelt den Kopf).
MISS Sollte sie etwa mütterlicherseits mit mir verwandt sein?
LIDDY (zuckt mit den Achseln).
MISS Bitte sie herein!
(Liddy ab, läßt gleich darauf Fräulein Pompe eintreten. Fräulein Pompe ist siebenunddreißig Jahre alt, dürr, Kneifer mit schwarzem Rand und Band, spärliche Haare. Sie tritt unter vielen Knixen näher.)
MISS Du kannst gehen, Liddy. (Liddy ab.) Womit kann ich Ihnen dienen, mein Fräulein?
POMPE Mein Name ist Pompe … Fräulein Pompe …
MISS Sehr erfreut, bitte, wollen Sie nicht Platz nehmen?
POMPE 0 danke, Sie sind zu gütig.
MISS Was führt Sie zu mir?
POMPE Ich bin Handarbeitslehrerin an der hiesigen Mädchenmittelschule. Diese Tätigkeit … ein so reiches Wirken mir darin auch beschieden ist … füllt … mein seelisches Leben … sozusagen doch nicht ganz aus. Ein Plätzchen darin ist immer noch frei …
MISS Die Handarbeitslehrerinnen werden wohl sehr schlecht bezahlt?
POMPE Ach, wenn Sie wüßten, mein gnädigstes Fräulein! Dreihundert Taler!
MISS Im Monat?
POMPE Sie machen sich über mich lustig. Das sollten Sie nicht tun. – Im Jahre natürlich.
MISS Das ist allerdings nicht viel. Soviel bekommt Papas Chauffeur im Monat. Aber wir kommen von unserem Thema ab. Sie wollten erzählen von dem Plätzchen, das in Ihrer Seele sozusagen noch frei ist. Haben Sie die Absicht, zu heiraten? Brauchen Sie eine Mitgift? Wieviel? Liddy wird sie Ihnen auszahlen!
POMPE Mein gnädigstes Fräulein, Sie sind zu gütig. Mit der Ehe hängt mein Besuch allerdings zusammen, wenn ich mich auch nicht zu verehelichen gedenke. Die Männer sind so roh heutzutage.
MISS Entsetzlich roh.
POMPE Nehmen Sie mir die starken Worte nicht übel, gnädiges Fräulein … aber: ich kenne die Männer. Man kann ihnen nicht energisch genug gegenübertreten.
MISS Ganz meine Meinung.
POMPE Auch ich habe einmal geliebt … schweigen wir davon. Ich wollte Sie ergebenst auffordern, dem allgemeinen internationalen Jungfrauenbund, dessen Vorsitzende für Schlesien und die Mark Brandenburg vor Ihnen steht, als Ehrenmitglied beizutreten. Die Urkunde habe ich gleich mitgebracht.
Miss Wieviel kostet denn die Ehrenmitgliedschaft?
POMPE Das steht ganz in Ihrem Belieben, mein gnädigstes Fräulein. Nicht unter zehntausend Mark. Sie erhalten damit den Titel Ehrenjungfrau.
MISS Woher wissen Sie denn, ob ich noch Jungfrau bin?
POMPE (erschrocken): Mein gnädigstes Fräulein .. .Sie belieben zu scherzen … das versteht sich doch von selbst. Wenn man nicht verheiratet ist, dann ist man doch Jungfrau!
MISS Vielleicht … aber was sind denn nun die Tendenzen Ihres Bundes? Keuschheit?
POMPE Auch … nebenbei … In der Hauptsache handelt es sich um eine wirtschaftliche Organisation, die bestimmt ist, bahnbrechend die soziale Frauenfrage zu befruchten.
MISS Das ist mir noch nicht ganz klar. Die Mitglieder Ihres Bundes verpflichten sich, ewig Jungfrauen zu bleiben und niemals zu heiraten?
POMPE Absolut nicht, mein gnädigstes Fräulein, absolut nicht: sondern wer heiratet, darf nur einen Mann heiraten, der imstande ist, eine Frau auch vollständig zu unterhalten. Die schmachvolle Mitgift fällt gänzlich weg. In der letzten Zeit haben die Männer ihre sozialen Pflichten immer mehr mißachtet und vernachlässigt. Wer nur ein einigermaßen hübsches Gesicht hatte und nicht auf den Kopf gefallen war, heiratete ein reiches Mädchen, um sich dann einem faulen und weichlichen Lotterleben hinzugeben.
MISS Es gibt sehr viele reiche Mädchen?
POMPE Ich glaube.
MISS Sind an dieser Vernachlässigung der sozialen Pflichten durch die Männer nicht die Mädchen schuld? POMPE Ich bitte Sie, mein gnädigstes Fräulein! Wie können Sie so Ursache und Wirkung verwechseln. Wer, wie ich, auch nationalökonomisch geschult ist …
MISS Auch ich habe Nationalökonomie studiert, aber ich finde, ich habe zuviel Geld, um die Armut ganz zu begreifen oder die Dummheit zu verachten. Sie ist nur lächerlich und als Phänomen und Stimulanz unserm Leben einzuordnen.
POMPE Ihrem Leben.
MISS Ja … meinem Leben. Für mich gibt’s nur zweierlei Menschen … solche, die mir sympathisch und solche, die mir unsympathisch sind.
POMPE Das ist eine sehr vereinfachte Stellung zum Leben. Fühlen Sie sich glücklich dabei?
MISS Ich denke.
POMPE Und zu welcher Kategorie von Menschen gehöre ich?
MISS Natürlich zu der ersteren, mein liebes Fräulein. Also, ich trete natürlich Ihrem Bunde mit Vergnügen bei und zahle zwanzigtausend Mark. (Sie klingelt, Liddy kommt.)
Liddy, bitte sei so gut und gib der Dame zwanzigtausend Mark. Ich glaube, im Nachttisch liegen noch ein paar Dutzend Tausendmarkscheine. Oder hast du noch ein paar in deiner Schürzentasche?
LIDDY (holt aus ihrer Schürze einen Hunderttausendmarkschein und macht durch Gebärden verständlich, daß sie kein Kleingeld habe).
MISS Vielleicht läufst du mal hinüber in den Bäckerladen, vielleicht kann der wechseln. Oder laß … ich will mal in meiner Tasche nachsehen, vielleicht habe ich doch noch Kleingeld drin. (Öffnet ihre Krokodilledertasche.)
POMPE Bemühen Sie sich nicht, mein gnädigstes Fräulein.
MISS Es stimmt … hier sind zwanzigtausend Mark.
POMPE (erhebt sich): Im Namen des Allgemeinen Internationalen Jungfrauenbundes zur Bekämpfung der Mitgift händige ich Ihnen, mein gnädigstes Fräulein, hiermit un¬sere Ehrenurkunde ein. Unterschrieben ist sie schon (küßt ihr die Hand). Meinen herzlichsten Dank im Namen der gesamten Weiblichkeit.
MISS Schon gut. Adieu! Liddy, geleite die Dame hinaus. (Fräulein Pompe unter vielen Verbeugungen ab. Im Abgehen🙂
POMPE Soll ich Ihnen vielleicht unsere Broschüren und Prospekte zugehen lassen … per Nachnahme … ? MISS Bitte schön, nach Ihrem Belieben. Adieu.
(Pompe und Liddy ab.)
MISS (vor sich hin): … Diese Menschen … nein, diese Menschen …
(Liddy zurück, Mienenspiel.)
MISS So ? Ein Herr wünscht mich zu sprechen? Nun, meinetwegen, ich bin einmal im Zuge, heute Cour zu halten … führe ihn herein.
(Liddy öffnet die Türe. A. Schulz tritt in der Uniform eines Feuerwehrhauptmanns salutierend herein.)
MISS Mein Herr?
SCHULZ Schulz ist mein Name, Schulz, ganz einfach A. Schulz, nicht zu verwechseln mit B. Schultz und C. Schulze …
MISS 0 bitte, nein, Sie sind gar nicht zu verwechseln … wollen Sie nicht Platz nehmen? Haben Sie Zahnschmerzen?
SCHULZ 0 bitte, nein … das ist nur eine Angewohnheit von mir, mit dem linken Mundwinkel zu zucken. Das ist bei uns sozusagen erblich in der Familie. Seit meinem Urgroßvater Hyronimus Schulz. Es ist eine sehr unangenehme Geschichte. Besonders bei feierlichen Anlässen, z.B. Begräbnissen oder bei der Kaisergeburtstagfeier. Es sieht aus, als lache man immerzu. Aber dabei lacht man gar nicht. Ich versichere Ihnen, mein gnädiges Fräulein, ich bin eine sehr ernst veranlagte Natur und im Privatberuf Kohlenhändler.
MISS Wieviel brauchen Sie denn?
SCHULZ Ich … ich weiß nicht … verstehe nicht, wie meinen Sie das … ergebenst zu fragen?
MISS Wieviel Geld brauchen Sie?
SCHULZ Bitte sehr … (erhebt sich) ich bin Hofkohlenhändler des Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen, der in hiesiger Gegend große Jagden besitzt.
MISS Und Sie liefern ihm die Kohlen für die Kaninchenjagd?
SCHULZ Ich stehe vor Ihnen in meiner Eigenschaft als Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr hiesigen Ortes.
MISS: Sehr erfreut. Aber hier brennt es nicht. Was ist also der Zweck Ihres Besuches?
SCHULZ Mir ergebenst die Andeutung zu gestatten, Ihre Frau Mutter war hiesigen Ortes gebürtig und da wollte ich Sie ergebenst im Auftrage der Freiwilligen Feuerwehr bitten, es nicht übelnehmen zu wollen, wenn Sie uns eine Fahne schenken täten.
MISS Wofür?
SCHULZ Für die Freiwillige Feuerwehr.
MISS Wozu braucht denn die Feuerwehr eine Fahne? Damit kann man doch nicht spritzen?
SCHULZ Die Freiwilligen Feuerwehren unserer Nachbarstädte Schwiebus, Züllichau, Spremberg, Reppen, Drossen, sogar das kleine Bobersberg, welches nur neunhundert Einwohner hat, aber eine Tuchfabrik ist da, sind längst im Besitze einer Fahne. Da ist es schmerzlich für uns, bei festlichen Aufzügen zurückstehen zu müssen. Unsere Kasse …
MISS Bewilligt. (Miß klingelt.) (Liddy kommt.) Liddy, bitt schön, gib dem Herrn aus dem Nachttisch ein paar hundert Mark.
(Liddy steckt Schulz verächtlich einen Hundertmarkschein in die Hand.)
SCHULZ (räuspert sich): Mein gnädiges Fräulein … hiermit ernennt die Freiwillige Feuerwehr hiesigen Ortes Sie untertänigst zu ihrem Ehrenmitglied. Zur Fahnenweihe sind Sie freundlichst geladen. Gut Schlauch! (Liddy läßt ihn heraus, Schulz ab, Liddy zurück, Mienenspiel.)
MISS So … ? Noch ein Herr ist draußen … Herein mit ihm. (Liddy öffnet die Tür: B. Schultz in der Uniform eines Schützenmajors salutierend hereintretend.)
MISS Mein Herr?
B. SCHULTZ Schultz ist mein Name, B. Schultz … ganz einfach B. Schultz … nicht zu verwechseln mit A. Schulz und C. Schulze. Ich komme in meiner Eigenschaft als Major der Schützengilde hiesigen Ortes. Während die Schützengilden unserer Nachbarstädte Schwiebus, Züllichau, Spremberg, Reppen, Drossen, sogar das kleine Bobersberg, welches nur neunhundert Einwohner hat, aber eine Tuchfabrik ist da, längst im Besitze einer Vereinsfahne sind, muß die Schützengilde Krossen a. 0. dieselbe noch entbehren. Da Ihre Frau Mutter hiesigen Ortes gebürtig ist, pardon, ich weiß, sie liegt auch hier begraben, und da Sie uns die Ehre Ihrer Anwesenheit geben, mein innigstes Beileid (verheddert sich).
Miss (klingelt). (Liddy kommt): Liddy, bitte, gib dem Herrn ein paar hundert Mark.
(Liddy steckt B. Schultz verächtlich ein paar Hundertmarkscheine in die Hand.)
B. SCHULTZ (räuspert sich): Meinen aufrichtigen Dank. Mein gnädigstes Fräulein … Hiermit ernennt die Schützengilde Krossen a. 0. Sie, mein gnädiges Fräulein, zur lebenslänglichen Ehrenschützin. Zur Fahnenweihe sind Sie freundlichst geladen. Halali.
(Ab mit Liddy. Liddy zurück, spricht mit einem andern Herrn.)
MISS: Mein Herr?
C. SCHULTZ (in Frack und Zylinder): Schulze ist mein Name … C. Schulze, ganz einfach C. Schulze … nicht zu verwechseln mit A. Schulz und B. Schultz. Ich erlaube mir, vor Ihnen zu stehen in meiner Eigenschaft als Präsident des Kegel- und Skatklubs „Harmonie“. Während die Kegel- und Skatklubs unserer Nachbarstädte Schwiebus, Züllichau, Spremberg, Reppen, Drossen, sogar das kleine Bobersberg, welches nur neunhundert Einwohner hat, aber eine Tuchfabrik ist da, längst im Besitze einer Vereinsfahne sind, muß der Kegel- und Skatklub „Harmonie“ dieses Zierats noch entbehren. Gestatten Sie mir daher untertänigst …
MISS(winkt Liddy mit den Augenbrauen). (Liddy steckt C. Schulze verächtlich ein paar Hundertmarkscheine aus dem Nachtkästchen in die Hand.)
C. SCHULZE (räuspert sich): Hochverehrtes Fräulein! Hiermit ernenne ich Sie zum Ehrenmitglied des Kegel- und Skatklubs „Harmonie“. Zur Fahnenweihe sind Sie freundlichst geladen. Es gibt Bockwurst mit Salat. Das Diplom lasse ich gleich hier. Gut Holz!
(Liddy mit C. Schulze ab. Liddy zurück: schubst verächtlich Maxi Beerbaum vor sich her. Liddy ab.)
MAXL (klappt die Hacken zusammen — er ist ungefähr 16 Jahre, Kneifer, Konfirmandengehrock, eckige Bewegungen, Schülermütze): Maxi Beerbaum.
MISS Sehr angenehm.
MAXL Mein … mein gnädiges Fräulein (überreicht ihr einen Rosenstrauß).
MISS Danke sehr, aber danke vielmals … ist das für mich? Die schönen Rosen? und rote sind es sogar!
MAXL Jawohl, es sind rote.
MISS Also Maxi heißt du, ein hübscher Name. In welcher Klasse bist du denn?
MAXL Wenn … wenn Sie auch viel Geld haben (aufgeregt) und Millionärin sind, und deshalb komme ich ja zu Ihnen, so dürfen Sie mich doch nicht du nennen. In Untersekunda siezt man uns bereits!
MISS Ach, Sie sind Untersekundaner, entschuldigen Sie vielmals, daß ich das außer acht ließ. Die hiesige Anstalt geht ja wohl nur bis Untersekunda.
MAXL Jawohl, bis zum Einjährigen. Wir sind hier die erste Klasse.
MISS Da spielen Sie natürlich die erste Rolle in der hiesigen Gesellschaft …
MAXL Allerdings … die Tanzstunde beherrschen wir
MISS Erlauben denn die Lehrer diese Ausschweifungen?
MAXL 0, die Lehrer! Wenn man immer danach ginge, was die Schule einem erlaubt. Man fragt sie eben nicht – und läßt sich nicht erwischen.
MISS So? Also Sie fröhnen verbotenen Genüssen?
MAXI, (stolz): Jawohl!!! Wir haben eine Verbindung.
MISS Was haben Sie?
MAXL Eine Verbindung. Aber Sie dürfen uns nicht verraten.
MISS Nein, niemals!
MAXL Marchia ist ihr Panier und ihr Erstchargierter (ver¬beugt sich) heißt Maxi Beerbaum.
MISS Gratuliere!
MAXL Danke sehr!
MISS Was tun Sie denn da hauptsächlich in der Verbindung? Trinken?
MAXL Ja, vor allen Dingen trinken.
MISS Hat das irgend einen Zweck?
MAXL Natürlich! Die Studenten tun’s ja auch. Der Bierkrug ist das Zeichen der Männlichkeit, und der Freiheit von der Schule. Denn es ist verboten. Und darauf kornmts an.
MISS So?
MAXL Man soll nur das tun, was verboten ist, dann tut man schon das Richtige, sagt Hannibal.
MISS Wer sagt das?
MAXL Hannibal! Kennen Sie ihn nicht?
MISS Keine Spur.
MAXL Der ist unser alter Herr honoris causa. Und hat uns überhaupt erst Mut gemacht, daß die Marchia mich hier-her schickte zu Ihnen. Und hat auch gesagt, ich soll Sie schön grüßen von ihm.
MISS Danke sehr. – Aber, was wollen Sie eigentlich?
MAXL Wir wollten Sie bitten, ob Sie unserer Korpskasse für das Stiftungsfest nicht einen kleinen Beitrag überweisen könnten. Sie haben’s doch dazu.
MISS Ach?
MAXL Wissen Sie, unsere Finanzen stehen nämlich sehr mau!
MISS Das ist auf der ganzen Welt so – wieviel brauchen Sie denn?
MAXL Wenn wir Sie vielleicht um ein Darlehen von fünf Mark bitten dürften – auf neunundneunzig Jahre.
MISS Neunundneunzig Jahre? Wer hat Ihnen denn das gesagt?
MAXL Hannibal! Der sagt, das wäre chinesisches Recht. Ein anständiger Mensch könnte sich überhaupt nur nach dem chinesischen Recht richten.
MISS Das chinesische Recht verleiht aber den Gaunern und Narren hölzerne Halskrausen – weiß das Hannibal auch?
MAXL Ich glaub schon. Hannibal weiß alles.
MISS Das muß ja ein genialer Mensch sein.
MAXL Das ist das richtige Wort: er ist ein genialer Hund, verzeihen Sie, wie wir in unserer Korpssprache sagen.
MISS Also, auf seine – … auf Hannibals Fürsprache will ich, trotzdem es eigentlich unmoralisch ist –
MAXL Unmoralisch? Wieso? Hannibal sagt, so was gibt’s überhaupt nicht.
MISS Will ich also Ihre Korpskasse mit einem Fünfzigmarkschein bereichern. Bitte schön (gibt ihm den Schein).
MAXL Herzlichsten Dank. Damit ist meine Mission erledigt. Wir werden uns erlauben, auf der nächsten Kneipe einen Ehrensalamander auf Sie, mein gnädiges Fräulein, zu reiben. Marchia vivat crescal floreat in aelernum (verbeugt sich, ab).
(Es klingelt, die Miß betrachtet amüsiert den Rosenstrauß. Liddy hinaus, zurück, strahlt über das ganze Gesicht.)
MISS Was hast du, Liddy? Was ist passiert? Hat er dich in den Arm gekniffen?
LIDDY (lacht noch immer, macht allerlei Zeichen).
MISS Großer Gott, noch ein Herr ist draußen … und ein komischer Herr? Es geht in eins. Laß ihn herein! (Liddy hinaus, läßt Hannibal eintreten. Hannibal drückt ihr nachlässig ein Fünfmarkstück in die Hand. Liddy wird plötzlich ernst und verschwindet. Hannibal ist im grünen Frack, Kniehosen, schwarzen Seidenstrümpfen. Chapeau Claque. Eine Orchidee im Knopfloch.)
MISS (sieht ihn an, will lächeln, begegnet seinem Blick, hält das Lächeln zurück, ernst, ein wenig unruhig): Mein Herr, womit kann ich Ihnen dienen?
HANNIBAL Ich heiße Hannibal.
MISS Hannibal?
HANNIBAL Hannibal!
Hannibal! Ein Name der außerordentlich gut zu mir steht.
MISS Ein Name, der Ihnen außerordentlich gut steht.
HANNIBAL Bitte sehr, ich habe gesagt, zu mir steht. Das andere findet man heutzutage in jedem Schwank. Kein Mensch lacht mehr darüber. Dieses zu heißt pro, lateinisch für, zum Schütze, zum Schilde, da er, nämlich der Name, wie ein Schild vor mir steht, daß niemand zu mir herankann.
MISS Wie heißen Sie – mit Nachnamen?
HANNIBAL Der Nachname ist gleichgültig. So heißt mein Vater auch. Ich habe mit ihm sonst nichts gemein.
MISS Sie heißen also bloß … Hannibal?
HANNIBAL Wenigstens für Sie. Meine Mutter gab mir den Namen. Sie muß mit Ihnen große Ähnlichkeit gehabt haben.
MISS (lächelnd): Woher wissen Sie das?
HANNIBAL Wenn ich das nicht gewußt hätte, wäre ich gar nicht hergekommen. – Ich habe Sie gestern auf der Straße gehen sehen. Ihr Gang bezauberte mich und ich dachte, wenn ich meine Mutter einmal hätte gehen sehen, ihr Gang wäre gewesen wie der Ihre.
MISS Haben Sie Ihre Mutter denn nie gehen sehen? Das ist doch seltsam.
HANNIBAL 0 … nicht so sehr! Sie war gelähmt, als sie mich gebar.
MISS (schweigt – dann): Hannibal … ist das nicht der Feldherr, von dem es heißt: er kam, er sah, er siegte?
HANNIBAL Ich weiß das nicht genau, denn ich habe nie Historie getrieben. Aber es wird wohl so sein.
MISS Was suchen Sie eigentlich bei mir?
HANNIBAL Das, was all die andern die schon bei Ihnen waren, und die, die noch kommen werden, suchen werden: Geld. Und vielleicht noch ein wenig mehr …
MISS Sie sind in Geldverlegenheiten? Haben Sie Schulden? Wenn Sie sich nur nicht in mir täuschen. Ich borge Ihnen nichts.
HANNIBAL Ich will nichts geborgt.
MISS Sondern?
HANNIBAL Geschenkt… Ganz freiwillig … Selbstverständlich …
MISS So … das versteht sich also von selbst?
HANNIBAL Ja!
MISS Einem solchen Menschen wie Ihnen bin ich noch nicht begegnet.
HANNIBAL Das glaube ich gern. Aber es ist gut so. Wenn es noch mehr Leute gäbe, wie ich, stände ich nicht so hoch im Kurse. — Und das wäre schade. Ich stehe mindestens auf fünfhundertneunundzwanzig. Dann könnte ich mich Ihnen gegenüber auch nicht so hoch einschätzen.
MISS Sie sind ja sehr … einge … bildet, sehr … stolz.
HANNIBAL Ich denke, ich habe das Recht dazu. Jedenfalls ebensoviel Recht wie die andern zu ihrer sogenannten Demut. Aber wollen Sie nicht Platz nehmen? (Setzt sich. Die Miß setzt sich. Hannibal zieht sein Zigarettenetui:) Rau¬chen Sie?
MISS Bitte … (nimmt eine Zigarette).
HANNIBAL Haben Sie Feuer?
MISS (klingelt.) (Liddy kommt): Liddy, eine Kerze! (Liddy ab, sofort zurück mit einer Kerze, hält sie Hannibal zuerst hin, man fühlt die Hochachtung, die sie plötzlich für Hannibal empfindet. Liddy ab.)
HANNIBAL Ich rauche nur amerikanische Zigaretten. Das ist am ehrlichsten.
MISS Schwärmen Sie so für die Ehrlichkeit?
HANNIBAL 0! Nicht im geringsten! Aber in diesem Falle schon.
MISS Ich verstehe nicht, soll das ein Kompliment für mich sein, weil ich Amerikanerin bin – wenigstens der Nationalität nach – daß Sie amerikanische Zigaretten rauchen?
HANNIBAL Gewiß! Es ist auch ein Kompliment an den amerikanischen Geist, der sich in Ihnen so liebenswürdig verkörpert. Ich huldige ihm, indem ich offen amerikanische Zigaretten rauche, Zigaretten, die unter amerikanischer Flagge segeln. Während der gute Deutsche gemeinhin amerikanische Zigaretten raucht, die unter guter deutscher Firma gehen, und wohinter doch bloß der amerikanische Zigarettentrust steckt.
MISS Sie scheinen sich intensiv mit nationalökonomischen Fragen zu beschäftigen. Sind Sie etwa ein (mit Blick auf Hannibals Frack) verkappter Regierungsassessor?
HANNIBAL Mein gnädiges Fräulein, Sie unterschätzen mich, was die nationalökonomischen Fragen anbetrifft. Übrigens könnte ich Regierungsassessor sein. Es wirkt ziemlich dekorativ. Wenigstens im Wort.
MISS Und was sind Sie?
HANNIBAL: Warum so neugierig? Neugier gestatte ich nur mir, niemals Anderen.
MISS Also so eine Art … Moralphilosoph?
HANNIBAL Zum Moralisieren tendiere ich leider. Aber ich bekämpfe diese fatale Neigung auf das energischste.
MISS Ich kämpfe erst gar nicht dagegen an, ich gebe mich allen meinen … Neigungen hin. Was ist Ihr Beruf?
HANNIBAL Ich bin Lyriker …
MISS Ah, Sie machen Gedichte?
HANNIBAL Um Gottes Willen! Ich habe nie ein lyrisches Gedicht gemacht und werde nie eines machen – das ist mein Stolz, ich bin Lyriker, weil ich das ganze Leben lyrisch und gefühlslogisch lebe. – Ich habe mich noch nie so nachdenksam über mich selbst geäußert – daran sind nur Sie schuld!
MISS Aber was wollen Sie eigentlich von mir?
HANNIBAL Heiraten!
MISS Heiraten?
HANNIBAL Heiraten!
MISS Und dazu soll ich Ihnen erstens Ihre Schulden bezahlen und zweitens womöglich noch die Mitgift. HANNIBAL So ungefähr.
MISS Denn das Mädchen ist sicher sehr unbemittelt? Lyriker lieben immer sehr unbemittelte Frauen. HANNIBAL Das kann ich von mir nicht behaupten.
MISS Wen wollen Sie denn eigentlich heiraten?
HANNIBAL Sie!!!
MISS Wen?
HANNIBAL Sie!!!!!
MISS (ist aufgesprungen): Mich???
HANNIBAL Ja! Natürlich!
MISS Natürlich?
HANNIBAL Scheint Ihnen das so erstaunlich?
MISS Immerhin ..
HANNIBAL Das finde ich gar nicht. Ich halte das für die selbstverständlichste Sache von der Welt. Wenn Sie mich lieben, warum sollen Sie mich nicht heiraten?
MISS Ich … liebe Sie???????
HANNIBAL Ich denke schon!
MISS Sie sind ein entzückender Mensch!
HANNIBAL Sehen Sie!
MISS Aber lieben!
HANNIBAL Warum nicht?
MISS Und heiraten?!!
HANNIBAL Ja, die Ehe wird sich wohl nicht umgehen las¬sen!!
MISS Wieso?
HANNIBAL Denn ich liebe wirklich nicht nur Ihr Geld.
MISS Ach?? Wie liebenswürdig!
HANNIBAL Sondern auch Ihre Person …
MISS Warum versuchen Sie dann nicht, mich zu verführen und mich zu Ihrer Geliebten zu machen?
HANNIBAL Aber das tue ich ja schon, seit ich hier vor Ihnen stehe!
MISS Erlauben Sie … Hannibal … einen Mann mit solchen Prinzipien kann ich nicht heiraten, geschweige denn … lieben. Haben Sie überhaupt einen Beruf, in dem man arbeitet?
HANNIBAL Nein! Nie! Wie käme ich dazu?
MISS Und dann wollen Sie mich, die Tochter Tunderstams, heiraten, der man von früher Kindheit an in die Ohren schrie: Arbeit! Arbeit! Arbeiten muß der Mensch! Sieh deinen Vater! Im Winter um sechs, im Sommer um fünf Uhr morgens steht er auf und arbeitet mit geringer Unterbrechung bis in den grauen Abend. Unwirsch ist er geworden und verbittert und nervös und ein Menschenhasser, so nervös, daß er nachts nicht mehr allein schlafen kann — aber reich ist er geworden und in allen Schullesebüchern findet man seinen Aufsatz: „Die Arbeit, des Lebens Zier-de.“ Er hat ein Vermögen von achthundert Millionen Dollars zusammengebracht.
HANNIBAL Siebenhundertsiebenunddreißig, bitte schön. Ich habe mich im Auskunftsbüro erkundigt. Aber dieser Reichtum ist von ihm nur aufgehäuft worden, damit ein vernünftiger Mensch — in meinem Sinne vernünftig – einmal den rechten Gebrauch davon mache. Dieser vernünftige Mensch bin ich!
MISS Das wissen Sie ganz genau?
HANNIBAL Ja, allerdings.
MISS Sie irren sich vielleicht! Ich bin in die Fußstapfen meines Vaters getreten. Ich habe arbeiten gelernt … Als Studentin auf den Universitäten beider Erdteile. Ich besitze den juristischen und den philosophischen Doktor.
HANNIBAL (melancholisch): Ich nicht …
MISS Ich habe besonders die Menschen studiert und suche jetzt einen Menschen, dem ich mein Vermögen schenken könnte … einen Menschen, einem armen Teufel … nein, keiner humanitären Einrichtung für errettete Selbstmörder oder Impfgegner oder freie Universitäten. Diese Humanität ekelt mich an. Einem Menschen, einem Menschen will ich alles schenken. Das scheint mir die wahre Humanität!
HANNIBAL Vortrefflich, gnädiges Fräulein! Wir stimmen glänzend überein.
MISS Wenn ich nun einem Menschen, einem Menschen, der etwas damit anzufangen wüßte, die siebenhundertsiebenunddreißig Millionen Dollars schenkte und nur das notdürftigste für mich behielte … würden Sie mich dann auch noch heiraten wollen?
HANNIBAL Aber nein! Niemals! Ohne Geld niemals! Ich kann ohne Geld ja gar nicht leben.
MISS Das können die anderen Menschen bekanntlich auch nicht.
HANNIBAL Aber ich kann ohne sehr viel Geld nicht leben.
MISS Schaffen Sie sich das Geld, was Sie brauchen, produzieren Sie, ist denn Produktivität nicht das Höchste?!
HANNIBAL Falsch! Da irren Sie eben, das höchste, oder wenn Sie wollen tiefste Leben führt das, ich möchte es so nennen, passive Genie, das alle Lebenskräfte in sich sammelt zum eigenen Gebrauch, zum Privatgebrauch und sie nicht altruistisch in die Winde streut, wo sie doch eben dem Wind verfallen sind, und wie die Blütensamen gerade nur zufällig mal von dem Richtigen genutzt werden. Die Fabel von dem einzigen Wert des produktiven Genies haben ja nur die eitlen Künstler und Dichter und Literaten aufgebracht. Sie leben davon in der Schätzung der Leute. Es ist auch so eine Art Priesterlüge. Das Publikum im Parkett klatscht, wenn es einen seiner Götter oder Tenöre oder Tänzer oder Dichter über die Bühne hupfen sieht. Mich widert es an, den Hansnarren für andere zu spielen. Ich spiel‘ ihn höchstens für mich selber.
MISS (sieht auf seine Kleidung): Bunt genug sehen Sie aus zum Bajazzo.
HANNIBAL Grün ist die Farbe meiner Seele. Wenn ich in diesem grünen Frack in einem Schwank auftreten würde, wäre das ein erschütternder Witz für das genügsame Publikum. Er allein würde genügen, drei Akte zu füllen.
Seht, würden sie schreien, und ihre Bäuche würden vor Lachen auf- und niedergehen wie die Glaskugeln in den Wasserkünsten, seht den grünen Jungen. Ist das nicht famos? Ist das nicht zum Quieken? Ist das nicht zum Bersten?
MISS Wovon leben Sie also? Sie … passives Genie?
HANNIBAL Von mir selber! Es gibt ein Wort, das hat ein anderer aus mir heraus gesagt: Ein wenig Geist erwirbt man durch die Pflege der Phantasie und viel Adel durch den Anblick schöner Dinge.
MISS Und danach leben Sie?
HANNIBAL Ja … auch in diesem Augenblick, da ich Sie ansehe, vermehre ich mein Kapital an Adel wiederum in der vermutlichen Sprache Ihres hoffentlich verewigten Vaters zu reden.
MISS Warum?
HANNIBAL Sie sind schön!
MISS Es nützt Ihnen alles nichts … ich heirate Sie doch nicht … Ich kenne, abgesehen von Ihrer Frau Mutter, ja Ihre Familie gar nicht.
HANNIBAL Sie ist nicht sehenswert. Mit einer Ausnahme.
MISS Wer ist das?
HANNIBAL Meine Schwester.
MISS Kann ich sie nicht kennen lernen, … Ihre Schwester?
HANNIBAL Wenn Sie es wünschen.
MISS Ist sie lieb … Ihre Schwester? … Sie muß sehr lieb sein!
HANNIBAL Ja, sehr … Aber, wenn sie Ihnen gefällt… dann willigen Sie in die Ehe …
MISS In welche Ehe?!
HANNIBAL In unsere Ehe!!
MISS Ach so, daran dachte ich schon nicht mehr.
HANNIBAL Das ist betrüblich.
MISS Ich dachte immer nur, … daß Sie eine Schwester hätten.
HANNIBAL Die Sie kennen lernen möchten. Seien Sie also bitte heute um vier Uhr zum Kaffee Prangerstraße elf.
MISS Dort wohnen Sie? Welche Gegend! Dort ist doch auch das Restaurant „Vater Rhein“?
HANNIBAL Woher kennen Sie dieses einzig schätzenswerte Lokal hiesigen Ortes?
MISS Man sprach gestern an der Table d’hote nicht allzu leise davon … Man, das heißt einige Zahnbürsten- und Wollwarenreisende. – Also dort wohnen Sie, in der Prangergasse?
HANNIBAL Ich nicht. Aber meine Schwester. Bei der werden wir das Verlobungsfest feiern.
MISS Ich denke nein!
HANNIBAL Ich hoffe ja!
MISS Das ist verwunderlich, daß Sie mit Ihrer Schwester nicht zusammen wohnen. Ist sie verheiratet? HANNIBAL Nein. Das ist ganz natürlich bei Leuten wie ich und meine Schwester, daß sie nicht zusammen wohnen.
MISS Ist sie in Stellung?
HANNIBAL Als Dienstmädchen meinen Sie? Ja! Sie ist Köchin bei dem schönen Oskar.
MISS Wer ist das?
HANNIBAL Mein Vater! Darf ich mich jetzt verabschieden?
MISS Bitte sehr … was legen Sie da auf den Tisch?
HANNIBAL 0 … eine Kleinigkeit … eine unbezahlte Rechnung … für den Frack, den ich anhabe … ich habe ihn besonders für Sie anfertigen lassen. Nur für Sie! Innerhalb vierundzwanzig Stunden.
MISS Es ist gut. Auf Wiedersehen um vier Uhr bei Ihrer Schwester.
HANNIBAL Sie kommen?
MISS Bestimmt!
HANNIBAL (küßt ihr die Hand): Ich dürfte schon … mehr küssen, aber ich kann warten. (Verbeugt sich, ab.)
MISS (sieht ihm nach, betrachtet die Rechnung, lächelt, wird ernst, Liddy erscheint): Wie gefällt dir der Herr, der eben ging?
LIDDY (Mienenspiel: Vortrefflich!)
MISS Du hast eigentlich keinen schlechten Geschmack. Aber ich weiß nicht … (Es klingelt.) Sieh nach, Liddy. (Liddy ab, mit einer Karte zurück, die sie der Miß überreicht.)
MISS Eisermann? Eisermann? Was ist denn das? Hoffentlich der letzte für heute morgen. Hannibals Besuch hat mich doch sehr angegriffen. Ich habe ordentlich Hunger bekommen. – Hol ihn herein.
(Liddy ab, mit Eisermann zuiück, Liddy ab ins Nebenzimmer.)
EISERMANN Eisermann ist mein Name … Eisermann … Entschuldigen Sie, gnädiges Fräulein, wenn ich unvermutet und unerwartet hier einbreche … Aber es ist eine wichtige Angelegenheit. Ich komme zum Teil wegen des neuen Gasometers unserer Gasanstalt …
MISS Gasometer?
EISERMANN Ja, haben Sie denn die Zeitung nicht gelesen?
MISS: Ich lese nur Skandalblätter, wissen Sie die „Wahrheit“ z. B., aber keine Zeitung.
EISERMANN Dann sollten Sie aber, solange Sie hier verweilen, hin und wieder einen Blick in unser hiesiges Blatt werfen. Es ist ausgezeichnet redigiert.
MISS Ich werde Ihren Rat befolgen.
EISERMANN Aber zweitens bin ich gekommen um, hoffentlich noch früh genug, einen dummen Streich zu verhindern.
MISS Was für eine Dummheit hab ich denn gemacht?
EISERMANN (lachend): 0 nein! Ich meine einen dummen Streich, den man Ihnen spielen will … War mein Sohn schon hier?
MISS Verzeihung: Wie heißt Ihr Herr Sohn? Schulze vielleicht oder Maxi?
EISERMANN Hannibal heißt mein Sohn … Hannibal Eiser¬mann.
MISS Ein junger Mann namens Hannibal war allerdings eben bei mir.
EISERMANN (läßt sich in einen Sessel fallen): Dann ist es zu spät … o, tragen Sie mir unglücklichem Vater nicht nach, was er verfehlte.
MISS Dann sind Sie ja … Verzeihung, Ihr Herr Sohn nannte Sie so, der schöne Oskar?
EISERMANN (auffahrend): Der schöne Oskar? Der schöne Oskar? (zuckt konvulsivisch mit den Lippen🙂 Der schöne Oskar … ich? ich? Dieser Stadtlump, ich, ich? Mein Fräulein … wollen Sie mich beleidigen?
MISS Pardon, wenn ich Ihnen unrecht tat. – Übrigens … Ihr Herr Sohn hat nichts übles getan und mir auch keinen schlechten Streich gespielt. Er wollte mich nur heiraten!
EISERMANN: Der Narr! Der unverschämte …
MISS 0, ich finde das sehr vernünftig und, da er ein reizender Mensch ist, gar nicht unverschämt. (Es klopft.) Herein! Herein! (Ein Kellner tritt ein.)
KELLNER Ich wollte zum Diner decken. Gnädiges Fräulein hallen befohlen, es auf Ihrem Zimmer servieren zu lassen.
MISS Ja, bitte, decken Sie. Und bringen Sie zwei Gedecke. Herr Eisermann ist mein Gast. Nicht wahr, Sie machen mir doch das Vergnügen? Über den Gasometer reden wir noch!
EISERMANN Ich habe zwar schon einmal gegessen … aber wenn ich die Frechheit meines Sohnes ein wenig gut machen kann, von Herzen gern … Es würde mich freuen, über den Gasometer der Stadtverordneten-Versammlung günstigen Bescheid heimbringen zu können.
MISS Wir werden sehen … Als Hors d’Oeuvre: Kaviar auf Toast … Es ist Ihnen doch angenehm, Herr Eisermann?
EISERMANN Sie haben meinen Geschmack aufs beste getroffen. Mit Kaviar kann man mich mitternachts aus den Betten holen.
(Der Kellner verbeugt sich, ab.)
MISS Was ist denn das? Auf dem Tische lag doch noch eben meine Börse? (hält inne) Ach so … Hannibal war bei mir …
EISERMANN (bestürzt): Hannibal hat die Börse … ich wage das Wort nicht auszusprechen, gest … stöhlen?
MISS 0 nein … nur mitgenommen. Ohne meine Erlaub¬nis. Aber ich gebe sie ihm noch nachträglich …
(Vorhang!)
Dritter Akt
Dürftige und ärmliche Wohnung des schönen Oskar In der Prangerstraße. Mädele am Fenster, einen Glasscherben In der Hand. Der schöne Oskar mit Reparatur einer Uhr beschäftigt.
OSKAR Ich … kann den Nordhäuser … nicht mehr vertragen … ich vertrag ihn nicht mehr, er zwickt einen immer wie ein Krebs im Magen. Ich muß zum Kottbuser übergehen … oder zu kaltem Grog …
MÄDELE Vater, ich habe einen neuen Scherben gefunden…
OSKAR Zeig, wie sieht er denn aus?
MÄDELE (hält ihm, ohne sich vom Fenster zu wenden, den Scherben entgegen): Von einer Weinflasche ist er, von der Farbe hatt ich noch keinen, Vater.
OSKAR: Potz-Blitz sieht die Welt darin wie ein brauner Brei aus.
MÄDELE (sieht hindurch): Ganz verrostet sieht der Himmel darin aus, Vater. – Wenn man den Scherben sich dicht an die Augen drückt, dann sieht man nichts als diesen Rost an allen Dingen, an den Häusern, an den Bäumen, an den Menschen – und die Menschen haben so rote Augen wie Kaninchen. Oder haben sie soviel geweint? Ich könnt‘ mein ganzes Leben immer durch Scherben sehen.
OSKAR Der liebe Gott hat uns genug Scherben beschert, brauchtest sie nicht zu sammeln, Mädele.
MÄDELE Natürlich nicht immer durch denselben Scherben: bald blau, bald grün, mal gelb, mal violett, aber am liebsten hab ich rot. Dann brennt alles, die Straßen und die Bäume und die Türme und die Wolken und die Wälder, alles brennt lichterloh. Und alles, was sonst nicht brennt, brennt lichterloh. Die Wolken und die Wälder und die Menschen, die doch sonst nicht brennen, brennen lichterloh. — Vater, ich sehe zu gern, wenn es brennt.
OSKAR Deine Mutter, Mädele, hat sich, Gott sei’s geklagt, versehen. Im neunten Monat, da ist drüben ein Dachstuhlbrand gewesen in der Nacht, und die Mutter hat’s durch den Vorhang leuchten sehen.
MÄDELE Vater, ich möchte einmal was anzünden, einen Heuschober aufm Feld, wenn der Mond scheint.
OSKAR Kommt die Polizei, Mädele, schmeißt dich ins Gefängnis.
MÄDELE Aber gar nicht mit Streichhölzern mag ich’s anzünden. Mit den Augen, du, Vater, bloß mit den Augen.
OSKAR Werden dir die Augen aus’n Kopf reißen, Mädele.
MÄDELE: Dann brennt ja noch mein Herz, Vater. (Pause.)
OSKAR Wo hast du denn den Scherben gefunden, Mädele?
MÄDELE Am Schuttplatz bei der Gasanstalt.
OSKAR Wird vom alten Eisermann sein, die Weinflasche, der trinkt so feine Marken und läßt seinen Sohn dürsten.
MÄDELE Hannibal …
QSKAR Hannibal, das is’n stolzer Name, das ist hebräisch und heißt was mit dem Teufel, mit Baal, weißt du.
MÄDELE Ich glaube, Hannibal trinkt die feinen Marken und der Vater muß dürsten — kann er seinem Vater nichts abgeben?
OSKAR Nein, Mädele. Der hat ja gar kein Glas zum Trinken.
MÄDELE Wenn ich ihm nun diesen Scherben gäbe?
OSKAR Er würde dich auslachen, Mädele.
MÄDELE Du, Vater, den Scherben hier, den hab ich erst aus der Erde buddeln müssen, alle Scherben, die so schön in der Sonne glitzern, muß man sich erst aus der Asche graben. Glaubst Du nicht auch, Vater, daß die Scherben zu unrecht in der Asche liegen, wo die Sonne sie gar nicht sieht? Und die Sonne mag sich doch so gern in den Scherben spiegeln, die haben doch beide so viel von einander, die Sonne und die Scherben. Deshalb leg ich alle meine Scherben jeden Mittag, die roten und die blauen und die grünen und die gelben auf’s Fensterbrett in die Sonne, Vater (kleine Pause). (Mädele tritt vor eine Photographie im Rahmen, die links von der Tür hängt.) Du -Vater
OSKAR Ja?
MÄDELE Übermorgen hat sie Geburtstag …
OSKAR (seufzend): Ich weiß … ich weiß …
MÄDELE Ich werde auf die Aue gehen und Vergißmeinnicht suchen und einen Kranz für sie flechten …
OSKAR Tu es, Mädele, sie wird dir im Himmel danken.
MÄDELE Ist sie im Himmel, Vater?
OSKAR Wie du nur fragst, Mädele! Sie war so gut.
MÄDELE Und schön.
OSKAR Und traurig …
MÄDELE Und krank …
OSKAR Ja; aber erst später, Mädele, nicht als sie mir dieses Bild brachte …
MÄDELE Erzähl doch mehr von ihr … Wie hast du sie kennen gelernt … Vater …
OSKAR 0 … da war ich noch jung … und hübscher als jetzt, das kannst du mir glauben … Deine Mutter, die braune Marie, Gott hab sie selig, war mir noch nicht begegnet … jung war ich … und lustig … und schlief sommers des Nachts am liebsten draußen auf freiem Felde, unter einem Wildenbusch, nur den dunkeln Himmel und Gottes Sternaugen über mir … Freilich … der Stadtlump war ich schon damals … mein Vater war ja auch Stadtlump gewesen … und so was vererbt sich … diese Würde vererbt sich wie die Kaiser- und Königswürde … da lag ich eines Abends, es mochte gegen zehn Uhr sein, im Grase an der Schweinslache — du weißt ja diesen Teich, er ist sehr tief, tiefer als die Oder und die Schlinggewächse wuchern auf seinem Grunde, die keinen loslassen, wenn sie ihn erst mal ha¬ben. — Die Grillen zirpten nur noch vereinzelt — da knackt plötzlich das Gebüsch neben mir, ich höre leise Schritte … ich dachte, es wäre ein Reh, das zur Tränke wollte … es war eine Frau … und was sie vorhatte … das kann man sich denken … sie wollte ins Wasser springen … Ich war wie der Blitz auf meinen beiden Beinen und riß sie zurück … „Mit welchem Recht zerren Sie mich in dies verhaßte Leben zurück?“ sagte sie. „Mit dem Recht, das ich mir nehme!“ sagte ich. Da erkannte ich sie plötzlich … Und sie erkannte mich … Ich war der Stadtlump … und sie … sie … — Aber sie hatte keine Furcht vor mir. Wir setzten uns ins Gras. Dann sprach sie allerlei … stammelte … fluchte … weinte … auf einmal küßten wir uns und waren sehr glücklich. Dann ging sie in die Stadt zurück. Ich wußte, sie würde leben bleiben … leben wollen … (Pause.)
Ich mein, der Hannibal war lange nicht hier.
MÄDELE Mindestens vierzehn Tage nicht.
OSKAR Wenn Hannibal das nächste Mal kommt… wir werden sehr lange Gespräche miteinander haben, philosophische Gespräche, ich weiß gar nicht, ob du dabei sein darfst. Vielleicht mußt du in die Kammer.
MÄDELE Bitte Vater, laß mich dabei sein, ich will auch ganz still sein.
OSKAR Hannibal, alle Achtung, Mädele, das ist ein Mann, der’s Leben richtig versteht und’s (zeigt auf’s Herz) hier hat. (Es klopft.)
MÄDELE Es hat geklopft, Vater. (Mädele geht an die Tür, öffnet.)
(Hannibal tritt ein, ohne Monokel.)
MÄDELE (erfreut): Hannibal! Eben sprachen wir von dir.
HANNIBAL Seid mir gegrüßt, meine Freunde, guten Tag, Mädele, laß dich auf die Stirne küssen, meine kleine Schwester! (küßt sie.)
OSKAR (er steht auf, gibt ihm die Hand): Nun, Hannibal, wie geht’s?
HANNIBAL Leidlich. Mir ist nur eben ein häßliches Mißgeschick zugestoßen
MÄDELE Mir wird ängstlich, Hannibal …
HANNIBAL Denkt Euch, ich gehe grade am Schulgebäude vorüber und denke, Gott hab sie selig, meine Schulzeit -da …
MÄDELE Da …
OSKAR Da …
HANNIBAL Da springt mir das Monokel aus dem Auge wie ein Tier … wie ein selbständiges Wesen, fällt auf’s Pflaster und zerschellt!
MÄDELE (hält ihm den Scherben hin, lachend): Da, nimm das dafür, Hannibal.
HANNIBAL Danke dir, Mädele, für deine Teilnahme. Übrigens ist an dem Unfall, wie an so manchem Unglück heutzutage, nur das humanistische Gymnasium schuld.
OSKAR Da hast du sehr recht, ich bin bis Sexta gegangen und kann das beurteilen. In Sexta haben sie mich hinaus-geschmissen, weil ich eines Tages krank wurde.
HANNIBAL Ja, Alkoholvergiftung.
OSKAR Ist das vielleicht keine Krankheit?
HANNIBAL Das Monokel scheute sozusagen vor dieser widerwärtigen, ihm im Innersten feindlichen Einrichtung, wollte persönlich und prinzipiell dagegen ankämpfen -aber zerbrach an der Gewalt des Schicksals. – Hast du einen guten Korn, Oskar?
OSKAR Gleich … gleich … Mädele, geh doch mal in die Küche.
MÄDELE Sofort, Vater (ab). (Gleich zurück mit einer Flasche und zwei Gläsern.)
HANNIBAL Da, ich habe dir auch einige Importen gebracht.
OSKAR Ah! Dein Alter ist doch zuweilen ganz brauchbar.
HANNIBAL Ja, wenn er Zigarren einkauft, sonst nicht. Im übrigen pfeife ich auf meine gottgewollte Abhängigkeit von ihm, die ich sehr bald abstreifen werde.
MÄDELE Hier bitte, Hannibal, bediene dich.
HANNIBAL Danke sehr, Mädele.
OSKAR Wieso?
HANNIBAL Das werdet Ihr sogleich erfahren. — Dein Wohl, Mädele!
MÄDELE Danke, Hannibal.
OSKAR Prost, Hannibal!
HANNIBAL Ihr werdet heute noch (sieht nach der Uhr) und zwar in zehn Minuten … Besuch erhalten.
OSKAR Besuch? – Wir?
MÄDELE Von wem denn?
HANNIBAL Von einer Dame!
MÄDELE Einer Dame?
OSKAR Will sie ihre Uhr bei mir reparieren lassen?
HANNIBAL Das weniger, aber ihre Weltanschauung, sozusagen. Ich habe ihr von dir erzählt und was für ein bedeutender philosophischer Kopf du wärest …
MÄDELE Hast du ihr auch von mir erzählt, Hannibal?
HANNIBAL Aber gewiß; ich habe dich meine kleine Schwester genannt und habe ihr erzählt, wie hübsch du wärst und gut. Da hat sie große Sehnsucht gezeigt, Dich kennen zu lernen.
MÄDELE Ist sie – jung, die Dame, Hannibal?
HANNIBAL Ja, Mädele.
MÄDELE Und schön?
HANNIBAL Sehr schön.
MÄDELE Und blond?
HANNIBAL Außerordentlich blond.
MÄDELE Und gut?
HANNIBAL So gut.
OSKAR Und reich?
HANNIBAL Sehr reich!
OSKAR Warum heiratest du sie denn nicht?
HANNIBAL Das will ich ja!
OSKAR Aber sie will nicht?
MÄDELE Vater, das ist doch ganz unmöglich, daß eine Dame, die Hannibal heiraten will, ihn nicht mag.
HANNIBAL Ich habe dir auch was mitgebracht, Mädele, hier fang!
(Holt aus der Tasche das gestohlene Portemonnaie und wirft es Mädele zu.)
OSKAR Was ist denn das?
MÄDELE Ein Portemonnaie und ganz gefüllt mit Papier! Wie komisch!
HANNIBAL Das ist von der jungen, blonden, schönen, gu¬ten, reichen Dame, Mädele. Sie schickt dir’s als Willkommensgruß im voraus und als Beitrag zu deiner künftigen Aussteuer.
OSKAR Zeig her, Mädele!
MÄDELE (reicht Oskar die Börse): Da.
OSKAR (untersucht die Börse): Aber das sind ja … eins … zwei … drei … vier … fünf … sechs … sieben … acht … neun … zehn … elf Tausendmarkscheine.
HANNIBAL Sie sind sogar echt. – Nicht etwa von den falschen, wie wir sie einmal – leider ohne Erfolg – herzustellen versuchten.
OSKAR (entzückt): Elf Tausendmarkscheine! Mädele! Und das gehört dir? Das muß einen großartigen kalten Grog geben heute abend!
HANNIBAL Ja, es gehört Mädele. Aber vielleicht gibt sie dir einen ab.
MÄDELE (umhalst ihren Vater): ): Alles, wenn du willst, alles. Ich weiß gar nicht, was ich damit anfangen sollte. – Du hättest mir lieber die Korallenkette mitbringen sollen, Hannibal, die du mir schon lange versprachst.
HANNIBAL Die bekommst du auch noch, Mädele, und mit den zehntausend Mark Mitgift – ich bin geneigt, die Mitgift gegebenenfalls noch zu erhöhen – einen hübschen Mann dazu.
MÄDELE Ich will gar nicht heiraten, Hannibal, ich trete in deinen Hausstand als Dienstmädchen.
HANNIBAL Ich denke, das wird sich einrichten lassen, Mädele, wenn du mir versprichst, die Eier immer pflaumen-weich zu kochen, hörst du, pflaumenweich.
MÄDELE Aber gewiß.
HANNIBAL Oder noch besser, Eier Aim Glas und sehr viel Kognak!
MÄDELE Ich werde alles tun, wie du es willst. Aber ich möchte bei dir bleiben, Hannibal.
HANNIBAL ber dann magst du plötzlich doch heiraten. Zum Beispiel meinen Diener, einen blutgierigen schwarzen Mohren oder zinnoberfarbenen Feuerländer.
MÄDELE Pfui, Hannibal, pfui!
HANNIBAL Oder meinen Chauffeur, der in seinem Pelzmantel wie ein Grizzlybär ausschaut.
MÄDELE Brrrrrrr.
HANNIBA: Oder meinen Friseur! Am Sonntag läßt du dir dann von ihm die Locken drehen und dich mit Parfüm bespritzen.
MÄDELE Du bist abscheulich, Hannibal, wenn ich jemand heiraten würde, würde ich höchstens dich heiraten.
HANNIBAL Bedaure sehr. Ich bin nun leider schon vergeben. Ich begreife ja, daß dann für dich eine mir gleichwertige Partie schwer zu finden ist. Siehst du, so hoch stelle ich dich, daß ich dich, abgesehen von mir – eigentlich keinem gönne.
MÄDELE Nun reden wir hier allerlei Dummheiten und ha¬ben schon ganz vergessen, dass wir ja Besuch bekommen. Ich will nur flink nebenan in die Küche und etwas Kaffee kochen.
OSKAR Kuchen kannst du auch holen, aber nicht beim alten Sehmücke mit seinen Dreierwecken, sondern bei Hofmann in der Konditorei, aber nicht zuviel. – Höchstens für hundertfünfzig Mark, Du kannst von der Mitgift zahlen.
MÄDELE Adieu, Hannibal, adieu Vater, auf Wiedersehen in fünf Minuten. (Mädele ab.)
HANNIBAL Sie ist entzückend, Oskar. Sie entwickelt sich immer mehr zu meiner Schwester.
OSKAR Warum heiratest du sie nicht? Ich an deiner Stelle täte es.
HANNIBAL Sie ist mir noch zu jung … sechzehn Jahre. Außerdem soll man auch seine Schwester nicht heiraten, es gibt eine schlechte Rasse. Und meinen Sohn will ich mir nicht verpfuschen lassen.
OSKAR Da hast du recht. Und ein Mann wie du kann ohne Geld nicht heiraten.
HANNIBAL (lachend): Nicht einmal leben. – Das ist doch aber sehr fatal, daß ich mein Monokel nicht hab. Ich beginne, meinen Gesichtsmuskeln zuviel Freiheit zu gestatten und zu lachen … ein Mann wie ich sollte nur lächeln … und auch sein Lächeln selten machen.
OSKAR Es ist jemand draußen an der Tür.
HANNIBAL (geht an die Tür, öffnet): Hereinspaziert, bitte sehr … Sie kommen pünktlich, gnädiges Fräulein. (Die Miß ist eingetreten.) – Darf ich Ihnen meinen Vater vorstellen, den schönen Oskar, so benannt noch von seiner Jugend her und den Gas-senbuben. – Fräulein Mary – Ihren Nachnamen hab ich vergessen, wie hießen Sie doch gleich?
MISS Mary Eleonore Tunderstam, Dr. jur. et phil.
HANNIBAL Ah, Tunderstam! Richtig. Miß Mary Tunderstam, meine Braut!
OSKAR Sehr erfreut, mein Fräulein, Sie in meiner bescheidenen Häuslichkeit begrüßen zu können.
MISS Ihren zweiten Vater, Hannibal, habe ich auch mitgebracht. (In die Tür hinausrufend): Herr Eisermann … (Eisermann erscheint, mit mißgünstigem Gesichtsausdruck.)
HANNIBAL Verzeih, Papa, daß ich meine Enttäuschung schlecht verhehle, dich ebenfalls hier begrüßen zu müssen.
EISERMANN Das ist doch unerhört!
MISS Hannibal!
HANNIBAL Mary? – Übrigens gestattet, daß ich Euch beide miteinander bekannt mache. Der schöne Oskar, mein Vater – Herr Eisermann, mein Papa. Bitte, wollen es sich die Herrschaften nicht bequem machen? Der Tee wird sogleich von gallonierten Dienern – in grüner Livree natürlich, grün wie mein Frack – aufgetragen werden. (Sie setzen sich.)
OSKAR ES gibt aber nur Kaffee – und allzustark wird er auch nicht werden. Wir haben ihn persönlich geerntet und getrocknet.
HANNIBAL Der schöne Oskar ist nämlich Besitzer einer Kaffeeplantage in Hinterindien. Dort züchtet er den feinsten Mokka der Welt. Und Mokka werden wir heute trinken, eigenbereiteten, in der Maschine bereiteten Mokka.
EISERMANN (zur Miß): Daß Sie mich in dieses … Haus führten! Grade gegenüber vom „Vater Rhein“!
OSKAR: Ich glaube, ich habe Sie schon einmal in der Prangergasse gesehen, Herr Eisermann. Wenn ich mich recht erinnere, hatten Sie dem Haus gegenüber zu ziemlich später Stunde, es war ein Uhr nachts, einen Besuch abzustatten?
EISERMANN Das ist Verleumdung … das … das … das verbitte ich mir.
HANNIBAL Schade, Papa, daß du nicht wirklich da warst. Ich hatte gehofft, dir doch einmal ein Kompliment machen zu können.
EISERMANN (zur Miß): Wenn mich nur niemand gesehen hat! Mir war so, als hätte der Herr Vizebürgermeister am Eingang der Gasse gestanden, als ich ins Haus schlüpfte! Ich kann es nur damit entschuldigen, daß ich sage, ich hätte Studien machen wollen … in den Armenwohnungen … ich bin nämlich Ratsherr – und habe außer dem Dezernat für die Gasanstalt das Armendezernat.
MISS Das dürfen Sie ruhig sagen. Sie sagen ja damit hof¬fentlich nicht die Unwahrheit.
HANNIBAL Hoffentlich nicht? Leider nicht!
EISERMANN (zur Miß): Wie meinen Sie? Nein! Gewiß nicht!
OSKAR Werden Sie länger in unserer Stadt verweilen, mein Fräulein? Oder sind Sie nur hergekommen, um sich mit Hannibal zu verloben?
MISS Von der Verlobung weiß ich noch nichts, Herr …
HANNIBAL Er hat keinen richtigen Namen, Mary. Sie müssen ihn schon den schönen Oskar nennen … oder Vater.
MISS Dann schon lieber … Vater.
EISERMANN Wie?? Wie????
MISS Ich bin hierher gereist, um das Grab meiner Mutter zu besuchen, welche auf dem Bergfriedhof, es war ihr Wunsch, bestattet liegt.
OSKAR Ja, neben dem General Friedrichs des Großen. Ihre Frau Mutter und der General, das sind die beiden Sehenswürdigkeiten des Kirchhofs.
HANNIBAL Sie haben sogar in dem vom Verschönerungsverein herausgegebenen Fremdenführer einen Stern, ich glaube sogar, Ihre Frau Mutter hat zwei Sterne.
OSKAR Immer noch nicht soviel, wie ein guter Kognak. – Wenn Hannibal sich mal hier begraben läßt, mit Ihnen, in einem eichenen Doppelsarg, haben wir noch eine Sehenswürdigkeit mehr.
HANNIBAL Danke für deine gütige Anregung. Ihr wird zu gegebener Zeit näher getreten werden. Zum Begraben ist dieser Ort gar nicht ungeeignet. Aber vorläufig leben wir noch. Gott sei Dank. Und sehr. Nicht wahr, Miß Mary?
MISS Gott sei Dank!
HANNIBAL Wohin machen wir eigentlich unsere Hochzeitsreise? Ich denke Japan. Zu den Geishas. Was halten Sie davon?
MISS Sie fangen an, ein wenig … kurios zu werden.
HANNIBAL Bitte sehr, ich kann meiner Braut
MISS Braut!?
HANNIBAL Braut, diesen Ton mir gegenüber nicht erlauben. Übrigens sind Sie nur eifersüchtig. Wegen der Geishas. Es sind in der Tat berauschende Geschöpfe. Über¬haupt dieses Japan: Das Hotelwesen steht auf einer einzigartigen Höhe. Es ist bei weitem weiter entwickelt als das europäische. In Japan mietet man sich das Zimmer inklusive Licht, Frühstück, Bedienung bei Tag und Nacht – Bedienung: weibliche natürlich, im schönsten Sinne des Wortes. Auch die Liebe ist inklusive.
EISERMANN Hannibal! Laß diese obszönen Geschmacklosigkeiten.
HANNIBAL Also, ich kann mir nichts Schöneres denken, als eine solche … bezaubernde … kleine … ach so kleine Japanerin. Die Japanerinnen sind ja so klein. (Die Miß wendet sich ab. Hannibal hält inne, sieht sie an.)
HANNIBAL Doch, ich kann mir noch etwas Schöneres denken: Sie Mary, Sie!!!
MISS 0, ich glaube Ihnen nicht.
EISERMANN Glauben Sie ihm nicht, Miß.
OSKAR Glauben Sie ihm, Fräulein. Es gibt keinen Menschen auf der Welt, der ehrlicher ist als Hannibal. In seiner Art.
MISS In seiner Art! Kennen Sie überhaupt die Treue den Frauen gegenüber?
HANNBIAL Bisher noch nicht! Aber die sollen Sie mir ja beibringen!
MISS Vermöge meines … Geldes?
HANNIBAL Ja …
EISERMANN Hannibal!
HANNIBAL: Und vermöge Ihrer … Menschlichkeit …
MISS Ihre Schmeicheleien mißglücken!
HANNIBAL Im Gegenteil. Ich sehe es an Ihren Augen!
MISS Was tun denn meine Augen?
HANNIBAL Sie leuchten, — wie das Meer zuweilen in einer Sommernacht.
MISS : Sind Sie weitsichtig?
HANNIBAL 0 nein! Aber ich sehe in die Zukunft. In unsere Zukunft, Mary.
MISS Gehört die zusammen?
HANNIBAL Ja.
MISS Woher wissen Sie das?
HANNIBAL Weil Ihre Hände ihr entgegenzittern.
MISS Sie Prophet!
HANNIBAL Ich … Wahrsager (ergreift ihre Hände, küßt sie).
(Mädele kommt mit dem Kaffee von links.)
HANNIBAL Meine Schwester Mädele –
EISERMANN Schwester? Schwester? Bin ich blödsinnig?
HANNIBAL (zu Eisermann): Ja! (zu Mädele:) Meine Braut Mary.
MÄDELE (steht verlegen mit dem Tablett vor Mary).
MISS Wie alt sind Sie denn?
MÄDELE Sechzehn Jahre …
MISS Kommen Sie, zeigen Sie mir Ihre Augen! – Gib mir deine Hand, du sollst auch meine Schwester sein. Und sage du zu mir.
EISERMANN (ist bestürzt).
MISS Ich heiße Mary und du?
MÄDELE Mädele.
MISS Komm, ich werde dir helfen, den Kaffeetisch decken.
MÄDELE Ich habe aber noch keinen Kuchen! Denke dir, Vater, als der Bäcker das Papier gesehen hat, was ich ihm gegeben hab zum Zahlen, und du sagtest, es wäre tausend Mark wert, da hat er mir nichts geben wollen dafür und gesagt, es wäre unecht oder gestohlen.
HANNIBAL Gestohlen? Der Bube verleumdet mich.
EISERMANN Tausend Mark, woher hatten Sie die tausend Mark, Mädele?
MÄDELE Von Hannibal.
EISERMANN Hannibal?
MÄDELE Er hat sie mir geschenkt als einen Gruß (zur Miß🙂 von … von … dir!
MISS (küßt Mädele): Da hat er recht getan. Wir brauchen Gott sei Dank keinen Kuchen zu kaufen bei dem Bäcker, der dich so schlimm geärgert hat, ich habe selber welchen mitgebracht. (Geht in den Flur hinaus, kehrt mit einer großen Tüte Kuchen zurück, den sie auf einen Teller ausschüttet.)
So, und nun gieß den Kaffee ein, Mädele. (Mädele tut es.)
EISERMANN Hannibal … Du, ich weiß nicht, soll man es lachend oder weinend sagen: Lump.
HANNIBAL Willst du einen Likör, Papa … auf den Schreck?
EISERMANN Danke … nach dem Kaffee … Übrigens Du scheinst auch hier den Gastgeber zu spielen. HANNIBAL Der Gastgeber zu sein! Nicht wahr, Oskar?
OSKAR Ja! Überall, wo Hannibal hinkommt, ist er der Gastgeber!
MISS Bist du fertig mit Einschenken, Mädele?
MÄDELE Ja, gleich.
MISS Dann setz dich hier neben mich, so … nun werde ich einmal eine Rede halten, die erste Rede in meinem Leben. Hannibal, mein Verlobter, gib mir die Hand.
EISERMANN (wischt sich den Schweiß von der Stirne): Bin ich bei Trost?
HANNIBAL Papa, faß dich, unterbrach die geschätzte Rednerin nicht.
MISS Wie Diogenes, so bin ich mit der Laterne meines Instinktes – verzeihen Sie das kühne Bild – umhergezogen, um mir einen Mann zu suchen, der mir, philosophisch ausgedrückt, adäquat wäre. Vater wird mich schon verstehen.
OSKAR Ganz und gar.
EISERMANN Ich nicht.
MISS In dir, Hannibal, habe ich ihn gefunden, den Mann meiner Art und meiner Zeit, das habe ich schon gewußt, als du mir heute morgen den sonderbaren Besuch mach¬test, ich habe es wenigstens geahnt, aber ich habe gezögert, weil ich dich in einer mir fremden Umgebung wirken sehen wollte.
HANNIBAL 0 Dr. phil.!
MISS Deshalb kam ich hierher. Ich traf dich noch einmal in deinen Geschwistern an: in Mädele und in deinem Vater. Ich weiß, du wirst mir treu sein, du mußt es ja, sind wir doch Kinder eines Geschlechtes, das in so wenig Exemplaren über der Erde verbreitet ist und manchmal fast auszusterben scheint: des Geschlechtes der Naturmenschen. Mutig bist du, heiter, problemlos, unverschämt, unverfälscht, Träumer und Abenteurer, verliebt in jede Wirklichkeit. Küsse mich, Hannibal! (Hannibal küßt sie.)
HANNIBAL Ich bitte die Herrschaften, sich zu erheben und auf das Wohl des Brautpaares anzustoßen (alle tun es).
EISERMANN (kopfschüttelnd): Also doch, wenn ich nicht etwa blödsinnig bin. Weiß Gott, der Bengel hat Glück.
HANNIBAL Soviel als er verdient. Und mehr, als du verdienst.
EISERMANN Wie meintest du?
HANNIBAL Ja.
EISERMANN Wirst du nun dein faules Leben weiterführen -so ganz ohne Beschäftigung, ohne jede geistige Beschäftigung?
(Hannibal und Miß stehen umschlungen.)
HANNIBAL 0 nein, daran habe ich auch nicht gedacht. Ich werde z. B. immer sehr gut frühstücken. Gut Frühstücken ist eine durchaus geistige Beschäftigung. Die Leute sind bloß noch nicht darauf gekommen.
EISERMANN So?
HANNIBAL Ja! … Du zum Beispiel.
MISS Komm, Mädele … Komm, Vater.
(Oskar und Mädele treten zu Hannibal und der Miß, die, alle vier sich umschlungen haltend, wie eine Kette Eisermann gegenüberstehen.)
HANNIBAL Außerdem werde ich das Lustspiel meiner Brautfahrt schreiben …
EISERMANN Was, du dichtest?
MÄDELE Ach, so schön!
HANNIBAL Das Lustspiel meiner Brautfahrt in drei Akten, Du sollst sehen, der Kontinent wälzt sich vor Lachen, obgleich die einzige komische Figur, die darin vorkommt -du bist, du, mein so überaus ernster und ernstgenommen-seinwollender Papa.
EISERMANN Ich glaube, Du machst dich über mich lustig.
HANNIBAL Du meinst, weil das Parkett lacht? 0! das lacht noch über viel dümmere Witze, als du einer bist. Miss (sanfter Vorwurf): Hannibal!
MÄDELE Hannibal!
EISERMANN Hannibal!!! – Wir sind miteinander fertig (wendet sich zum Gehen, sein Blick fällt zufällig auf eine Photographie im Rahmen, die links neben der Tür hängt. Er stutzt. Wendet sich noch einmal um): Wie … wie kommt das Bild hierher?
HANNIBAL Du meinst das Bild meiner Mutter?
OSKAR Ja … das ist sozusagen Frau Eisermann … Frau Eisermann … das läßt sich nicht leugnen …
EISERMANN Wie kommt das Bild in diese Spelunke? (in Wut.)
OSKAR Nun … Spelunke …
EISERMANN Hast du es hergeschleppt, Hannibal? Du solltest das Andenken deiner Mutter, die dich über alles geliebt hat, besser in Ehren halten …
HANNIBAL Ich habe nichts mit dem Bilde zu tun. Es ist von selbst hergekommen.
EISERMANN Was ist das für ein Unsinn? Es hat keine Füße …
HANNIBAL Nein … aber das Urbild hatte Füße … sehr schöne Füße sogar …
EISERMANN Und …
HANNIBAL Und mit diesen Füßen ist es hierhergelaufen … in diese Spelunke ist meine Mutter vor dir und aus dem reichen Hause am Markt geflohen … wenn ihr das Herz weh tat und sie doch nicht weinen konnte…
EISERMANN Meine… meine… Frau war in diesem… Loch…
HANNIBAL Dieses Loch schien ihr das Paradies … gegen deine Krämerbude.
EISERMANN Was … was … wollte meine Frau hier? (langsam begreifend. Wimmernd.)
HANNIBAL Sie … liebte meinen … Vater …
EISERMANN: Wen? Wen? Wen?
HANNIBAL Sie liebte den — schönen Oskar. — Der schöne Oskar war ihr Geliebter …
OSKAR Ja … ja … ja … das ist nun wohl so …
EISERMANN (dumpf): Der Stadtlump?
HANNIBAL Der Stadtlump … mit ihm hat sie dich betrogen, nicht nur aus Liebe … auch aus Rache hat sie dein Bürgertum bespieen. Sie wußte, was sie dir antat, wenn sie es dir auch nicht gestand. Der Stadtlump ist mein Vater. Sie selbst hat auf dem Totenbette es mir noch geschworen … ohne Kummer voller Freude. Denn der schöne Oskar ist ein Kerl … und du bist … nichts.
MISS: Hannibal! (besänftigend.)
EISERMANN Meine Frau … meine Frau … (wimmernd): 0 meine Ehre! Was bin ich noch? Man wird mich aus dem Magistrat werfen (stürzt hinaus).
HANNIBAL Adieu, bitte komm nicht so bald wieder – Oskar, jetzt sind wir ganz unter uns. Laß doch von Mädele ein paar Flaschen Champagner holen. (Wirft ihm einen Hunderlmarkschein zu.) (Tritt mit der Miß Arm in Arm unter das Bild seiner Mutter:) Sieh, wie süß sie auf uns herablächelt! …
(Vorhang!)
Nachspiel
Weg an der Schweinelache am Stadtpark. Hängende Weiden.
Links Bank. Vorn freie Wiese. Bäume. Von rechts betritt der alte Eisermann die Bühne. Er trägt einen Strick in der Hand und sieht sehr derangiert aus in Kleidung und Haltung.
EISERMANN … als ich den Strick kaufte, sagte Seilermeister Kilian: Wozu benötigen Sie einen Strick, Herr Stadtverordnetenvorsteher? Ich sagte, ich brächte der Jugendbewegung, wie sie auch in unserer Stadt Fuß gefaßt hat, wärmstes Interesse entgegen und wollte den Wandervogel und Jungdeutschlandbund nächsten Sonntag Tau ziehen lassen. Kilian meckerte schadenfroh wie ein Geißbock, als ahne er, daß ich die Konsequenzen meiner Handlungs¬weise … (überlegt) … hm … Handlungsweise …meiner Handlungsweise? … Was man heutzutage für eine ver¬drehte Sprache spricht, merkt man erst kurz vor seinem Tode, wenn man mit sieh abgeschlossen hat… abgeschlossen hat? Bin ich ein Geldschrank? … Sobald man in einem Satz wie „Konsequenzen meiner Handlungsweise“ drinsteckt, kann man einfach nicht mehr heraus, wenns auch seine Handlungsweise war, die einem den Strick in die Hand drückte … Kann ein Es einem etwas in die Hand drücken? … 0 Gott, warum bin ich so lange Jahre nicht in die Kirche gegangen? … Ich habe meine Entlassung aus dem Verbände der städtischen Körperschaften und eine Disziplinaruntersuchung gegen mich beantragt … Ich bin längst tot. … Manchmal spielt man sehr schön die Orgel … in der Kirche … Ich weiß es von meiner Einsegnung her … Bei unserer Trauung spielte die Orgel einen sehr stimmungsvollen Choral … Wie hieß er doch gleich? … Im „Vater Rhein“ braut man ein merkwürdiges Getränk, welches Türkenblut heißt. Sekt, Rotwein, rohe Eier und frisches Bier vom Faß … Das Leben geht eigentlich immer nebenher … Kleider machen Leute … Wenn ich jetzt einen grünen Frack hätte, wäre ich mein Sohn … Wessen Sohn? … Nicht mal bis zu einem eigenen Kind hat man es gebracht… Bäume stehen so sonderbar hier … wie … es ist sehr unanständig, daß ich so etwas denke … Ich bin eine Vogelscheuche, aber ich scheuche keine Vögel mehr … Ich müßte über dem Wasser baumeln. Kann man sich nicht am Himmel aufhängen? … Aber der Himmel ist kein Baum …
(Er beugt sich über das Wasser.)
Ich habe mich heute noch gar nicht rasiert.
(Fährt entsetzt zurück.)
Meine Frau …
(Ein Schwan schwimmt an das Ufer. Eisermann streichelt ihn. Er kramt nach Brot in seiner Tasche.) Hast du Hunger? … Ich habe nichts … Rein gar nichts für dich … Habe nie etwas gehabt … Ich habe selber Hunger …
(Der schöne Oskar in schlecht sitzendem Smoking betritt leise schwankend von rechts die Bühne. Er ist betrunken. Er sucht nach etwas. Bleibt hinter Eisermann am Weiher stehen.)
OSKAR (singt): Hier ist die Stelle, wo ich selig war …
EISERMANN (erschrocken): Der Herr Landrat!
OSKAR (betroffen): Ein Strolch!
EISERMANN … Herr … Herr … Oskar … (erkennen sich): „Erlaube mir … Herr … Herr … Stadtverordnetenvorsteher …
EISERMANN Suchen Sie mich?
OSKAR Nein.
EISERMANN Wen suchen Sie denn?
OSKAR Ihre … Frau Gemahlin … mit Permission …
EISERMANN Sie war eben noch hier …
OSKAR Ich hatte sie bestellt.
EISERMANN: Sie sind nicht nur der Stadtlump, sondern Oberhaupt ein Lump …
OSKAR (bemerkt den Schwan, tritt an das Ufer, kramt in seinem Smoking und wirft Brocken von Kuchen in den Teich): Wenn ich mir erlauben darf, Herr Stadtverordnetenvorsteher: Es kann Ihnen von der Bürgerschaft nicht hoch genug angerechnet werden, was Sie als Vorsitzender des Verschönerungs- und Fremdenverkehrsvereins für die Stadt getan haben. Auch die Schwäne hier im Stadtpark sind, wenn man so sagen darf, Ihr Werk.
EISERMANN (sieht nach der Uhr): Es ist bereits fünf Minuten vor sieben. Ein schöner Sommerabend. In diesem Augenblicke hält der Herr Bürgermeister mein Entlassungsgesuch mit der gleichzeitigen Anzeige meines Todes in der Hand. Er wird sofort die ganze Stadt alarmieren. Entschuldigen Sie … Herr … Herr Oskar, wenn ich Sie bitte, einige Schritte weiter zu gehen. Es ist höchste Zeit, daß ich mich aufhänge … (Es tutet in der Ferne.)
OSKAR Hören Sie? … Die Feuerwehr! … Wir haben eine direkt großstädtische Feuerwehr … Alles ihr Werk, Herr Stadtverordnetenvorsteher … Undank ist der Welt Lohn … Hat Ihre Frau auch immer gesagt, wenn sie von Ihnen sprach, Herr Stadtverordnetenvorsteher … Eine direkt großstädtische Feuerwehr. In Berlin wird die Feuerwehr auch immer alarmiert, wenn sich ein Kater in der Dach¬rinne ersäufen will …
EISERMANN Schnell … schnell … (Er steigt auf die Bank, knüpft den Strick an einem Ast fest.)
OSKAR (beobachtet ihn gelassen): Weshalb wollen Sie sich denn aufhängen, Herr Stadtverordnetenvorsteher?
EISERMANN Weil Sie … Sie … Lump … mich unmöglich gemacht haben. Ein Ehrenmann zieht seine Konsequenzen.
OSKAR Was zieht er?
EISERMANN Seine Konsequenzen …
OSKAR Ich verstehe. Es ist nicht nobel, einen Handwagen zu ziehen.
EISERMANN Sie sind ein Mensch, zu dem man eigentlich du sagen müßte … Wenn doch wenigstens ein Kavalier meine Frau verführt hätte … Ich will ja gar nichts sagen … Leutnant Knallwitzer zum Beispiel … Sehen Sie … er hat sie geliebt … Ich weiß es … Er hat es mir einmal in der Besoffenheit gestanden … Aber (hebt den Finger) er war ein eiserner Charakter. Ein echt kriegerischer Geist.
OSKAR Ich kenne nur eiserne Öfen … und auch die heizen noch schlecht … Hoppla, soll ich Ihnen in die Schlinge helfen? Hängen Sie sich ruhig auf … Ich habe gar nichts dagegen … Ich habe so etwas schon öfter gesehen … Die Leute, die sich aufhängen, sind die besten Komiker.
EISERMANN Sie sind ja besoffen!
OSKAR Und Sie sind nüchtern … allzu nüchtern … So ein Glas guter Korn schadet selbst vorm Tode nichts … Oder sollte ich mir die Rettungsmedaille verdienen? … Ich habe schon mehr Menschen das Leben gerettet … Ihrer Frau Gemahlin zum Beispiel.
EISERMANN Scheren Sie sich zum Teufel … Ich muß meine Konsequenzen ziehen …
(Er steckt den Kopf durch die Schlinge und hängt vom Baume runter. Geschrei. Geklingel. Von rechts die Feuerwehr, an der Spitze A. Schulz. Von links Schützengilde, an der Spitze B. Schultz. Viel Volk. Darunter eine Musikkapelle, C. Schulze, Fräulein Pompe, Maxi Beerbaum und Plüddecke.)
GESCHREI Wo ist er? … Wo hängt er? …
OSKAR (ruft): Zu Hilfe! Zu Hilfe! (ist beschäftigt, ihn loszuknüpfen.)
(Feuerwehrleute machen sich daran, mit Beilen den Baum zu fällen, an dem Eisermann hängt. Kommandorufe von A. Schulz und B. Schultz. Zweckloses Durcheinander. Endlich fällt Eisermann herunter, kerngesund. Liegt am Boden.)
STIMMEN Ist er tot? Ist er tot? Wo steckt denn ein Arzt?
OSKAR Lassen Sie mich man machen … (Alle treten zurück).
OSKAR Eisermann … (lauter): Eisermann …
EISERMANN … (spuckt ihm in die Augen und verreibt den Schleim darin) … das ist so ein altes bewährtes Hausmittel, schon seit Jesus Christus … Der hat auch immer allen Leuten in die Augen gespuckt. (Mit Geste:) … Eisermann, du Hund, steh auf und wandle …
(Eisermann reibt sich die Augen, erhebt sich, steht betroffen da.)
STIMMEN Hoch der Herr Stadtverordnetenvorsteher! … Hoch der Herr Stadtverordnetenvorsteher.
ANDERE STIMMEN (übertönend): Hoch der schöne Oskar! Hoch der schöne Oskar! Hoch, Hoch! (Der schöne Oskar und Eisermann verbeugen sich Arm in Arm. Ein Auto tutet heran. Erst ferner, jetzt näher. Hannibal, die Miß und Mädele am Arm, bahnen sich einen Weg durch die Menge. Hinter ihnen der Bürgermeister und Liddy.)
HANNIBAL: Was gibt’s? Ist er tot?
A SCHULZ Der Herr Stadtverordnetenvorsteher lebt! Herr … Herr … Oskar hat ihn vom Baume geschnitten und in Ermangelung eines Arztes von den Toten erweckt.
B SCHULTZ Ohne die geringsten mechanischen Instrumente. Rein durch die Kraft seines Willens und seines … seines … Mundes.
HANNIBAL Ja, er hat einen sehr kräftigen Willen … zu alkoholischen Getränken.
EISERMANN (tritt mit Haltung auf Hannibal zu): Ich lege mein Schicksal in Ihre Hand, Herr … Eisermann.
HANNIBAL Tietmonick ist mein Name. Meine Mutter war eine geborene Tietmonick. Ich bin ein außereheliches Kind. Ich habe diese kleinen Formalitäten soeben im Standesamtsregister revidieren lassen. Nicht wahr, Herr Bürgermeister.
BÜRGERMEISTER Gewiß, ganz gewiß, Herr –
HANNIBAL Tietmonick.
BÜRGERMEISTER (verbeugt sich): Tietmonick.
HANNIBAL Es paßt mir gar nicht, daß du lebst, Eisermann. Ich hatte schon telegraphisch ein Begräbnis erster Klasse im Krematorium in Gotha für dich bestellt — um sicher zu gehen, daß auch wirklich nichts von dir übrig bleibt. Es käme mir übrigens auch nicht darauf an, dich persönlich zu begraben und den Totengräber zu spielen. Lieber Bürgermeister, was stellen wir nun mit dem Herrn Eisermann an?
BÜRGERMEISTER Ganz wie Euer Hochwohlgeboren beliebt.
HANNIBAL Du mußt wissen, Eisermann … ich bin dir vielleicht diese Erklärung schuldig … wir haben heute anläßlich unserer Verlobungsfeier in aller Eile noch ein öffentliches Volksfest inszeniert und bei dieser Gelegenheit unserer lieben Stadt Krossen eine Million Dollar für wohltätige Zwecke gestiftet. (Bürgermeister verneigt sich mehrmals emphatisch.)
MISS Ich habe geruht, einige tausend Dollar in kleinen Münzen unter das Volk zu werfen. Was weiß das Volk von wohltätigen Zwecken?
OSKAR Stiefelzwecken …
MISS Es kennt nicht einmal wohltätige Ziele.
B. SCHULTZ Wer nicht zielt, trifft auch nicht.
(Stimmen: Hoch Hannibal! Hoch Miß Tunderstam! Die Kapelle spielt einen Tusch.)
HANNIBAL Aus Anlaß dieses Volksfestes ist auch unser schöner lieber Oskar derart besoffen, daß er dich, mein Eisermann, wieder vom Baume geschnitten hat. Infolge der oben erwähnten Stiftung wurde meine liebe Braut zur Ehrenvorsitzenden der hiesigen Abteilung des vaterländischen Frauenvereins, sowie der Frauengruppen des Kolonial-, Wehr-, Flottenvereins und der Ortsgruppe des internationalen Jungfrauenbundes ernannt.
FRÄULEIN POMPE Hoch Miß Tunderstarn!
HANNIBAL Was mich betrifft, so hat man mir die Ehrenbürgerschaft und gleichzeitig, lieber Eisermann, das durch dein Ausscheiden erledigte Stadtverordnetenmandat angetragen. Ich bleibe vorläufig in dieser Stadt wohnen, solange, bis ich sie ganz verrückt gemacht habe. (Bürgermeister verbeugt sich emphatisch. Geschrei: Hoch Hannibal! Unser Wohltäter! Hoch der edle Spender!)
HANNIBAL Lieber Eisermann: Was tut man nun mit dir?
EISERMANN Ich verkaufe meine Fabrik. Verlasse die Stadt.
BÜRGERMEISTER: Es ist die Stelle eines Polizeisekretärs zu .vergeben.
HANNIBAL Ich bitte Sie, diesen Posten können wir nur mit einem intelligenten und tatkräftigen Manne besetzen. Oskar…
OSKAR Hannibal?
HANNIBAL Bitte, komm mal einen Moment her. Ich möchte dir den Herrn Bürgermeister vorstellen. Der Herr Bürgermeister … der schöne Oskar.
BÜRGERMEISTER (verbeugt sich): Angenehm … Sehr erfreut …
OSKAR Ich glaube, wir kennen uns schon. Von der Polizeiwache.
BÜRGERMEISTER: Sehr angenehm … Erfreut …
HANNIBAL Sehen Sie, lieber Bürgermeister, das wäre ein Mann wie geschaffen für die Stelle eines Polizeisekretärs. Treu, fleißig, nüchtern, intelligent, zuverlässig und zielbewußt.
BÜRGERMEISTER Ich werde nicht verfehlen, Herrn Oskar dringend zu empfehlen.
OSKAR Ich werde ein strenges Regiment führen! Wer sich besäuft, wird aufgeschrieben und ins Loch gesteckt, einfach ins Loch gesteckt.
MISS Verehrter Herr Eisermann, unter unseren Stiftungen findet sich auch eine solche für gerettete Selbstmörder. Würden Sie uns die Freude machen, der erste zu sein, der sie in Anspruch nimmt und dem sie zugute kommt.
EISERMANN Ich verkaufe die Fabrik. Verlasse die Stadt. (Ein junger Mann mit Photographenapparat erscheint rechts auf der Bildfläche, er spricht mit Mädele, drückt ihr die Hand.)
MÄDELE Hannibal – ein junger Mann will dich sprechen.
HANNIBAL Ich stehe zur Verfügung.
DER JUNGE MANN Ich begrüße Sie! (drückt ihm die Hand.) Sie machen Ihre Sache ausgezeichnet. Lassen Sie sich bitte nicht stören, ich möchte nur schnell eine Gruppenaufnahme machen … (Er stellt seinen Apparat auf.)
HANNIBAL Es wird mir ein Vergnügen sein. Können wir nicht nachher eine kleine Privatfeier veranstalten? Im kleinsten Kreise: meine Braut, der schöne Oskar, Mädele, ich und Sie. Mädele ist ein ausgezeichnetes Mädchen, ausgezeichnet durch mancherlei Vorzüge des Körpers und des Geistes, möchten Sie sie nicht heiraten? Sie bekommt – was bekommt sie mit, Mary?
MISS Zwanzig Millionen!
HANNIBAL Zwanzig Millionen! Denken Sie! Was verdienen Sie jetzt?
DER JUNGE MANN Hundert Mark im Monat.
HANNIBAL Bitt Sie! Und um ein solches Schandgeld haben Sie mich geschrieben?
DER ER JUNGE MANN Verzeihung, Hannibal, wenn ich Sie unterbreche … ein Augenblick Ruhe bitte, einen Augenblick – Ruhe die Herrschaften! (Alles drängt sich um den jungen Mann.) – Ich will nur schnell eine Gruppenaufnahme machen. Möchten sich die Herrschaften bemühen? Hannibal in die Mitte … Miß Tunderstam und Mädele bitte links und rechts …
MÄDELE Ich möchte bei Dir bleiben.
DER JUNGE MANN Später, Mädele, später, jetzt geh da neben Hannibal … So, links die Feuerwehr … rechts die Schützengilde … Oskar, faß Herrn Eisermann unter … Herr Eisermann, haben Sie auch Ihren Strick? Der Strick muß mit aufs Bild … Bitte recht freundlich … Schauen Sie nicht so unfreundlich drein, Miß Tunderstam … Es tut mir leid, daß Sie in diesem vierten Akt so wenig zu sagen haben, aber ich wüßte nicht was. Darf ich Sie auf ein späteres Stück vertrösten? … Herr Bürgermeister, mehr Profil! … Man muß Ihre griechische Nase besser sehen … Herr Schulz, rücken Sie doch den Baum der Erkenntnis da etwas weiter weg, wenn er Sie stört … So … so, jetzt bitte alles auf den Apparat sehen … So, recht freundlich, ja? (drückt ab.) So. Fertig. Besten Dank. Sie können gehen. (Feuerwehr, Schützengilde, Volk unter Musik links ab.) Komm, Mädele! Hannibal! Oskar! Wir nehmen Ihr Auto, Miß Tunderstam!
(Die Genannten mit dem jungen Mann ebenfalls rechts ab. Die Szene bleibt einige Augenblicke leer. Die Dämmerung sinkt hernieder. Am Himmel stehen Sterne. Der junge Mann mit dem Photographenapparat betritt noch einmal von rechts die Szene. Er geht am Weiher entlang. Er sucht etwas.)
DER JUNGE MANN (leise): Ich habe den Schwan vergessen. (Er sieht nach den Sternen.)
(Der Vorhang fällt langsam.)