Gedichtesammlung Die Harfenjule

Die Harfenjule

Emsig dreht sich meine Spule,
Immer zur Musik bereit,
Denn ich bin die Harfenjule,
Schon seit meiner Kinderzeit.

Niemand schlägt wie ich die Saiten,
Niemand hat wie ich Gewalt.
Selbst die wilden Tiere schreiten
Sanft wie Lämmer durch den Wald.

Und ich schlage meine Harfe,
Wo und wie es immer sei,
Zum Familienbedarfe,
Kindstauf‘ oder Rauferei.

Reich mir einer eine Halbe
Oder einen Groschen nur,
Als des Sommers letzte Schwalbe
Schwebe ich durch die Natur.

Und so dreht sich meine Spule,
Tief vom Innersten bewegt,
Bis die alte Harfenjule
Einst im Himmel Harfe schlägt.

Deutsches Volkslied

Es braust ein Ruf wie Donnerhall,
Daß ich so traurig bin.
Und Friede, Friede überall,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Kaiser Rotbart im Kyffhäuser saß
An der Wand entlang, an der Wand.
Wer nie sein Brot mit Tränen aß,
Bist du, mein Bayernland!

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Ich rate dir gut, mein Sohn!
Urahne, Großmutter, Mutter und Kind
Vom Roßbachbataillon.

O selig, o selig, ein Kind noch zu sein,
Von der Wiege bis zur Bahr‘!
Mariechen saß auf einem Stein,
Sie kämmte ihr goldenes Haar.

Sie kämmt’s mit goldnem Kamme,
Wie Zieten aus dem Busch.
Sonne, du klagende Flamme:
Husch! Husch!

Der liebe Gott geht durch den Wald,
Von der Etsch bis an den Belt,
Daß lustig es zum Himmel schallt:
Fahr‘ wohl, du schöne Welt!

Der schnellste Reiter ist der Tod,
Mit Juppheidi und Juppheida.
Stolz weht die Flagge schwarzweißrot.
Hurra, Germania!

Der geistige Arbeiter in der Inflation

Wer nur den lieben Gott läßt walten –
Ich arbeite an einer Monographie über die römischen Laren.
Am Tage liege ich im Bett, um Kohlen zu sparen.
Ich werde ein Honorar von drei Mark erhalten.
Drei Mark! Das schwellt meine Hühnerbrust wie ein Segel.
Ein kleines Vermögen. Ich werde es in einem Taschentuch anlegen.
Wie ich es früher trug und wie die reichen Leute es heute noch tragen.
Um vorwärts zu kommen, muß man eben mal leichtsinnig sein und was wagen.

Ein Jahr schon schneuze ich mich in die Hände,
Nun führt der Allerbarmer noch alles zum guten Ende.
Abends, wenn die Sterne und elektrischen Lichter erwachen,
Da besteige ich des Glückes goldnen Nachen.

Ich stehe am Anhalter Bahnhof. Ergebenster Diener!
Ich biete Delikateßbockwurst feil und die ff. heißen Wiener.
Manchmal hab‘ ich einen Reingewinn von einer halben Mark.
Ich lege das Geld auf die hohe Kante. Ich spare für meinen Sarg.

Ein eigener Sarg, das ist mein Stolz
Aus Eschen- oder Eichenholz,
Aus deutscher Eiche. Das Vaterland
Reichte mir hilfreich stets die Vaterhand.
Begrabt mich in deutschem Holz, in deutscher Erde, im deutschen Wald.
Aber bald!
Wie schläft sich’s sanft, wie ruht sich’s gut,
Erlöst von Schwindsucht und Skorbut.
Herrgott im Himmel, erwache ich zu neuem Leben noch einmal auf Erden:
Laß mich Devisenhändler, Diamantenschleifer oder Kanalreiniger werden!

Berliner Mittelstandsbegräbnis

In einer Margarinekiste habe ich sie begraben.
Ein Leihsarg war nicht mehr zu haben.
Die Kosten für einen Begräbnisplatz konnt ich nicht erschwingen:
Ich mußte die Margarinekiste mit der teueren Entschlafenen

auf einem Handwagen in die Laubenkolonie
am schlesischen Bahnhof bringen.

Dort habe ich sie in stockfinsterer Nacht
Unter Kohlrüben zur ewigen Ruhe gebracht.
Aber im Frühling werden aus der Erde Kohlrüben,

die sie mit ihrem Leibe gedüngt,
zum himmlischen Lichte sprießen,

Und der Hilfsweichensteller Kraschunke wird sie zum Nachtmahl genießen.
Während sie noch in der Pfanne (in Margarine-Ersatz) schmoren und braten,
Bemerkt Frau Kraschunke erfreut: „Die Kohlrüben sind dieses Jahr
aber ungewöhnlich groß geraten…

In der Stadtbahn

Ein feiles Mädchen, schön und aufgetakelt,
Ihr gegenüber, grün und unbemakelt,
Ein Jüngling, dessen Hände sanft behüten
Zwei Veilchensträußchen in den Seidendüten.
Sie sieht ihn an. Er lächelt traurig blöde:
Mein Gott, wie wird das heute wieder öde
Bei Tante Linchen, die Geburtstag feiert. –

Die Dame hat sich nunmehr ganz entschleiert.
Da ist er hingerissen, starrt ein Weilchen,
Und reicht ihr wortlos alle seine Veilchen.
Nun hat er nichts, für Tante kein Präsent…
Er wundert sich – das schöne Fräulein flennt:
Und ihre blassen Tränen auf die blauen
Märzveilchen wie Gelübde niedertauen.

Berliner in Italien

Die ganze Welt ist voll von Berlinern.
Deutschland, Deutschland überall in der Welt.
Ich sah sie auf der Promenade in Nervi sich gegenseitig bedienern,
Und sie waren als Statisten beim Empfang des italienischen Königs

in Mailand aufgestellt.

Da konnten sie einmal wieder aus vollem Herzen Hurra schreien.
So ’n König, und sei er noch so klein, is doch janz was anderes

als so ’ne miekrige Republik.

In Bellaggio wandeln sie unter Palmen und Zypressen zu zweien,
Und aus dem Grandhotel tönt (fabelhaft echt Italienisch;

Pensionspreis täglich 200 Lire) die Jazzmusik.

Wie hübsch in Bologna die Jungens mit den schwarzen Mussolinhemden!
Wie malerisch die Bettler am Kirchentor!
Die und die Flöhe finden einen Fremden
Aus hunderttausend Eingebornen hervor.

In Genua am Hafen aus engen mit Wäsche verhangenen Gassen winken
Schwarzäugige Mädchen und sind bereit,
Gegen entsprechendes Honorar sich abzuschminken.
O du fröhliche, o du selige Frühlingszeit.

Dagegen das Kolosseum, die ollen Klamotten, die verstaubten Geschichten,
Das haben wir zu Hause auf halb bebautem Gelände auch, nu jewiß.
Den schiefen Turm von Pisa sollten sie mal jrade richten.
Mussolini hat dazu den nötigen Schmiß.

Über diesem Lande schweben egal weg die Musen,
Man sehe sich die Brera und die Uffizien an.
Die mageren Weiber von Botticelli kann ich nich verknusen,
Aber Rubens, des is mein Mann.

Wohin man sieht, spuckt einer oder verrichtet sonst eine Notdurft:

es ist ein echt volkstümliches Treiben.

Prächtig dies Monument Vittorio Emmanueles in Rom: goldbronziert

und die Säulenhalle aus weißem Gips.

Dafür kann mir das ganze Forum jestohlen bleiben.
Ich bin modern. A proposito: haben Sie für Karlshorst sichere Tips?

Die Ballade von den Hofsängern

Wir ziehen dahin von Hof zu Hof.
Arbeiten? Mensch, wir sind doch nicht dof.
Wir singen nicht schön, aber wir singen laut,
Daß das Eis in den Dienstmädchenherzen taut.

Jawoll.

Wir haben nur lausige Fetzen an,
Damit unser Elend man sehen kann.
Der hat keine Jacke und der kein Hemd,
Und dem sind Stiefel und Strümpfe fremd.

Jawoll.

Wir kriegen Kleider und Stullen viel,
Die verkaufen wir abends im Asyl.
Ein Schneider lud mitleidig uns zu sich ein,
Da schlugen wir ihm den Schädel ein.

Jawoll.

Wir singen das Lied vom guten Mond
Und sind katholisch, wenn es sich lohnt,
Auch singen wir völkisch voll und ganz
Für’n Sechser Heil dir im Siegerkranz.

Jawoll.

Unger, Boeger, Ransick, so heißen wir.
Auf die Gerechtigkeit sch… wir.
Mal muß ja ein jeder in die Gruft
Und wir, wir baumeln mal in der Luft.

Jawoll.

Baumblüte in Werder

Tante Klara ist schon um ein Uhr mittags besinnungslos betrunken.
Ihr Satinkleid ist geplatzt. Sie sitzt im märkischen Sand und schluchzt.
Der Johannisbeerwein hat’s in sich. Alles jubelt und juchzt
Und schwankt wie auf der Havel die weißen Dschunken.

Waldteufel knarren, und Mädchenaugen glühn.
Mutta, Mutta kiek ma die Boomblüte.
Ach du liebe Güte –
Die Blüten sind alle erfroren. Ein einsamer Kirschbaum versucht zu blühn.

Eisige Winde wehn. In den Kuten balgt und sielt
Sich ein Kinderhaufen. Der Lenz ist da: ertönt es von Seele zu Seele.
Ein schon melierter Herr berappt für seine Tele,
Die ein Kinderbein für ein Britzer Knoblinchen hielt.

Vater spielt auf der Bismarckhöhe mit sich selber Skat und haut
Alle Trümpfe auf den Tisch, unbeirrt um das Wogen und Treiben der Menge.
Braut und Bräutigam verlieren sich im Gedränge,
Ach, wie mancher erwacht am nächsten Morgen

mit einer ihm bis dato unbekannten Braut.

Mutter Natur, wie groß ist deiner Erfindungen Pracht!
Vor lauter Staub sieht man die Erde nicht.
Tief geladen, mit Klumpen von Menschen beladen, sticht
Ein Haveldampfer in See. Schon dämmert es. Über den Föhren erscheint

die sternklare, himmlische, die schweigsame Nacht.

Grabinschriften

Der Pferdedieb

Hier ruht der ehrenwerte General Don Ferdinando D’Or.
(Er bekleidete nämlich diese Charge im Staate Ecuador.)
Seine Brust war bedeckt mit Ehrenzeichen und Symbolen.
(Die er auf zahlreichen Fahrten sich zusammengestohlen.)
Erschüttert steht ganz Ecuador an seiner Bahre.
Er starb glorreich im dreiundfünfzigsten Jahre.
In offener Feldschlacht (infolge eines Rückenschusses) mußt er ins Jenseits wandern,
(Weil er sein eigenes Pferd verwechselte mit einem andern.)

Pierrot

Hier ruht Pierrot, der leichte Schwerenöter.
Ach, er ist tot! Der Himmel, böt er
Auch alles auf, ihn wiederzuerwecken: Er bliebe doch bei einem Herzen stecken.
Doch weit in tausend Frauenherzen verstreute Pierrot sein Leben.
Es hat in seiner Brust tausend Herzen gegeben.
Und ob auch manche Frau ihr Herz als Sühne bot:
Pierrot ist tot, ganz tot, er ist entsetzlich tot.

Die Jungfrau

Hier ruht die Jungfrau Emma Puck aus Hinterstallupeinen,
Eine Mutter hatte sie eine, einen Vater hatte sie keinen.
In Unschuld erwuchs sie auf dem Land wie eine Lilie.
Da kam sie in die Stadt zu einer Rechnungsratsfamilie.
Hier hat sich erst ihr wahres Herz gezeigt,
Indem sie gar nicht mehr zur Jungfrau hingeneigt.
Bald kam das erste Kind. Was half da alles Greinen!
Männer hatte sie viel, aber einen Mann hatte sie keinen.

Zu Amsterdam

Zu Amsterdam bin ich geboren,
Meine Mutter war ein Mädchen ums Geld.
Mein Vater hat ihr die Ehe geschworen,
War aber weit gefehlt.

In einer dunklen Gasse,
Sah ich zum erstenmal das Sonnenlicht.
Ich wollte es mit meinen Händen fassen,
Und konnt‘ es aber nicht.

Ein junger Mann kam eines Tages,
Und küßte mich und rief mich seinen Schatz.
Sie legten bald ihn in den Schragen,
Ein anderer nahm seinen Platz.

Wir sind im Frühling durch den Wald gegangen
Und sahen Hirsch und Reh.
Die Bäume blühten und die Vögel sangen,
Vierblättrig stand der Klee.

Ein jeder hat mir Treu‘ in Ewigkeit geschworen,
War aber weit gefehlt.
Zu Amsterdam hab‘ ich mein‘ Ehr‘ verloren,
Ich bin ein Mädchen um’s Geld.

Die Wirtschafterin

Drei Wochen hinter Pfingsten,
Da traf ich einen Mann,
Der nahm mich ohne den geringsten
Einwand als Wirtschafterin an.

Ich hab‘ ihm die Suppe versalzen
Und auch die Sommerzeit,
Er nannte mich süße Puppe
Und strich mir ums Unterkleid.

Ich hab‘ ihm silberne Löffel gestohlen
Und auch Bargeld nebenbei.
Ich heizte ihm statt mit Kohlen
Mit leeren Versprechungen ein.

Ich habe ihn angesch…
So kurz wie lang, so hoch wie breit.
Er hat mich hinausgeschmissen;
Es war eine wundervolle Zeit…

Drei wilde Gänse

Drei wilde Gänse, die flogen über See.
Da schoß der Jäger alle drei,
Und was einmal ins Wasser fiel,
Kommt nimmer in die Höh‘.

Drei junge Mädels, die führte ein Kavalier aus,
Und wenn erst ein Mädel mal Sekt genascht,
Liebe genascht, Hiebe genascht –
Die kommt nicht mehr nach Haus.

Und ich pfeife auf meine Jungfernschaft,
Und ich pfeife auf mein Leben.
Der Kerl, der sie mir genommen hat,
Um eins und um zwei und um drei bei der Nacht,
Der kann sie mir nimmer geben.

Geh, schenk mir doch ’n Fuffzger,
Geh, schenk mir doch ’ne Mark.
Ich will mich mit Schnaps besaufen,
Ich will mir eine Villa kaufen
Oder einen Sarg…

In Lichterfelde Ost

Ich hab‘ einmal ein Mädel gehabt
In Lichterfelde Ost.
Das war wie Frau Venus selber begabt.
Sie hat mich mit Lust und Liebe gelabt
In Lichterfelde Ost.

Sie hatte das schönste schlankeste Bein
In Lichterfelde Ost.
Und wollt‘ ich besonders zärtlich sein,
So schlug ich ihr eins in die Fresse hinein
In Lichterfelde Ost.

Da kam ein feiner Kavalier
In Lichterfelde Ost.
Sie wurde sein Glück, sein Stück, sein Tier,
Sie sank mit ihm und er mit ihr
In Lichterfelde Ost.

Man brachte sie in das Krankenhaus
In Lichterfelde Ost.
Und als sie nach Monaten kam heraus:
Sie sah wie der Tod von Basel aus
In Lichterfelde Ost.

Jetzt bietet Papierblumen sie feil – noch knapp
In Lichterfelde Ost.
Zuweilen kauf‘ ich ihr welche ab.
Die leg‘ ich ihr übers Jahr aufs Grab
In Lichterfelde Ost.

Im Obdachlosenasyl

Ich war’n junges Ding,
Man immer frisch und flink,
Da kam von Borsig einer,
Der hatte Zaster und Grips.
So hübsch wie er war keiner
Mit seinem roten Schlips.
Er kaufte mir ’nen neuen Hut,
Wer weiß, wie Liebe tut.
Berlin, o wie süß
Ist dein Paradies.
Unsere Vaterstadt
Schneidige Mädchen hat.
Schwamm drüber. Tralala.

Ich immer mit’n mit.
Da ging der Kerl verschütt.
Als ich im achten schwanger,
Des Nachts bei Wind und Sturm,
Schleppt ich mich auf’n Anger,
Vergrub das arme Wurm.
Es schrie mein Herz, es brannte mein Blut,
Wer weiß, wie Liebe tut.
Berlin, o wie süß
Ist dein Paradies,
Unsere Vaterstadt
Schneidige Mädchen hat,
Schwamm drüber. Tralala.

Jetzt schieb ich auf’n Strich.
Ich hab’nen Ludewich.
In einem grünen Wagen
Des Nachts um halber zwee,
Da ha’m sie mich gefahren
In die Charité.
Verwest mein Herz, verfault mein Blut,
Wer weiß, wie Liebe tut.
Berlin, o wie süß
Ist dein Paradies.
Unsere Vaterstadt
Schneidige Mädchen hat,
Schwamm drüber. Tralala.

Er hat als Jöhr

Er hat als Jöhr von fuffzehn Jahren
Mir einst am Wedding uffjetan.
Wir sind nach Köpenick jefahren
Und sahen die Natur uns an.
Ick zog mir aus die rote Jacke.
Er hat für mich det Bier berappt,
Doch nach neun Monaten, au Backe,
Es hat jeschnappt, es hat jeschnappt.

Mein Emil is ne kesse Nummer,
Er hat schon manchen abgekehlt,
Doch fürcht‘ er sich vor jedem Brummer,
So jut is er, so zart beseelt.
Mir is weiß Gott schon allens piepe,
Ick lag bei ihm im Bett – da trappt
Es uff der Treppe… der Polype…
Es hat jeschnappt, es hat jeschnappt…

Im Hof der ollen Zuchthausschenke
Steht blutbespritzt ein Podium,
Der dove Pastor macht Menkenke,
Man sieht sich noch im Kreise um.
Im Mauereck blüht blauer Flieder,
Die Zunge klebt wie angepappt,
Da saust des Henkers Beil hernieder,
Es hat jeschnappt, es hat jeschnappt…

Ich baumle mit de Beene

Meine Mutter liegt im Bette,
Denn sie kriegt das dritte Kind;
Meine Schwester geht zur Mette,
Weil wir so katholisch sind.
Manchmal troppt mir eine Träne
Und im Herzen puppert’s schwer;
Und ich baumle mit de Beene,
Mit de Beene vor mich her.

Neulich kommt ein Herr gegangen
Mit ’nem violetten Shawl,
Und er hat sich eingehangen,
Und es ging nach Jeschkenthal!
Sonntag war’s. Er grinste: „“Kleene,
Wa, dein Port’menée is leer?”
Und ich baumle mit de Beene,
Mit de Beene vor mich her.

Vater sitzt zum ‚zigsten Male,
Wegen „Hm“ in Plötzensee,
Und sein Schatz, der schimpft sich Male,
Und der Mutter tut’s so weh!
Ja so gut wie der hat’s Keener,
Fressen kriegt er und noch mehr,
Und er baumelt mit de Beene,
Mit de Beene vor sich her.

Manchmal in den Vollmondnächten
Is mir gar so wunderlich:
Ob sie meinen Emil brächten,
Weil er auf dem Striche strich!
Früh um dreie krähten Hähne,
Und ein Galgen ragt, und er…,
Und er baumelt mit de Beene,
Mit de Beene vor sich her.

Meier

Ein junger Mann mit Namen Meier
Lief täglich vor ihr auf und ab.
Er gab ihr fünfundzwanzig Dreier,
Daß sie ihm ihre Liebe gab.

Sie zählte sehr besorgt die Pfennige
Und legte sie in einen Schrank.
Allein es schienen ihr zu wenige,
Sie wünschte etwas Silber mang.

Er dachte an die Ladenkasse.
Und eines Tages ward bekannt,
Daß Rosa sich betreffs befasse,
Doch Meier sich in Haft befand.

So geht es in der Welt zuweilen:
Der erste muß die Klinke zieh’n –
Der zweite soll sich nur beeilen,
Das Fräulein wartet schon auf ihn.

Berliner Ballade

Sie hing wie eine Latte
Vom Schranke steif und stumm.
Am Morgen sah’s ihr Gatte,
Lief nach dem Polizeipräsidium.

„Meine Frau“, so schrie er, „ist verschieden…“
Doch der Polizeiwachtmeister Schmidt,
Rollte blutig seine Augen:
„Wie denn, ha’m Sie den Jeburtsschein mit?“

Dieses hatte er mitnichten,
Und er setzte sich in Trab,
Spät entsann er sich der ehelichen Pflichten, –
Schnitt sie ab.

Und er legt den Strick an seine Kehle,
Vor dem Spiegel, peinlich und honett.
Nimmt noch einen Schluck, befiehlt Gott seine Seele –
Schwapp, schon baumelt er am Ehebett.

Liebeslied

Hui über drei Oktaven
Glissando unsre Lust.
Laß mich noch einmal schlafen
An deiner Brust.

Fern schleicht der Morgen sachte,
Kein Hahn, kein Köter kläfft.
Du brauchst doch erst um achte
Ins Geschäft.

Laß die Matratze knarren!
Nach hinten schläft der Wirt.
Wie deine Augen starren!
Dein Atem girrt!

Um deine Stirn der Morgen
Flicht einen bleichen Kranz.
Du ruhst in ihm geborgen
Als eine Heilige und Jungfrau ganz.

Trinklied

Ich sitze mit steifer Geste
Wie ein Assessor beim Feste.
Mein Herz schlägt hinter der Weste,
Was weiß ich.
Hielte der Kragen nicht meinen Schädel,
Er rollte in deinen Schoß, Mädel,
Und tränke Tokayer dort edel,
Was weiß ich.

In mir wogt Näh und Ferne.
Prost, goldne Brüder, ihr Sterne!
Die Schenkin aus der Taverne,
Was weiß ich,
Bringt einen vollen Humpen.
Nun sauft, ihr gottvollen Lumpen,
Und qualmt mit euren Stumpen,
Was weiß ich.

Ich streichle mit weinfeuchter Tatze
Dein zartes Fellchen, Katze,
Schon springt ein Knopf am Latze,
Was weiß ich.
Wir wollen das Fest verlassen
Und im Mondschein der alten Gassen
Uns pressen und Liebe prassen,
Was weiß ich.

Es sind so viele gegangen,
Die einst an mir gehangen,
Sie soffen mit mir und sangen,
Was weiß ich.
Und komm ich einst zu sterben,
Soll eins mir nicht verderben,
Du sollst das eine mir erben,
Das weiß ich.

Bürgerliches Weihnachtsidyll

Was bringt der Weihnachtsmann Emilien?
Ein Strauß von Rosmarin und Lilien.
Sie geht so fleißig auf den Strich.
O Tochter Zions, freue dich!

Doch sieh, was wird sie bleich wie Flieder?
Vom Himmel hoch, da komm ich nieder.
Die Mutter wandelt wie im Traum.
O Tannebaum! O Tannebaum!

O Kind, was hast du da gemacht?
Stille Nacht, heilige Nacht.
Leis hat sie ihr ins Ohr gesungen:
Mama, es ist ein Reis entsprugen!
Papa haut ihr die Fresse breit.
O du selige Weihnachtszeit!

Die heiligen drei Könige

Wir sind die drei Weisen aus dem Morgenland,
Die Sonne, die hat uns so schwarz gebrannt.
Unsere Haut ist schwarz, unsere Seel ist klar,
Doch unser Hemd ist besch… ganz und gar.
Kyrieeleis.

Der erste, der trägt eine lederne Hos‘,
Der zweite ist gar am A… bloß,
Der dritte hat einen spitzigen Hut,
Auf dem ein Stern sich drehen tut.
Kyrieeleis.

Der erste, der hat den Kopf voll Grind,
Der zweite ist ein unehlich‘ Kind.
Der dritte nicht Vater, nicht Mutter preist,
Ihn zeugte höchstselbst der heilige Geist.
Kyrieeleis.

Der erste hat einen Pfennig gespart,
Der zweite hat Läuse in seinem Bart,
Der dritte hat noch weniger als nichts,
Er steht im Strahl des göttlichen Lichts.
Kyrieeleis.

Wir sind die heiligen drei Könige,
Wir haben Wünsche nicht wenige.
Den ersten hungert, den zweiten dürst‘,
Der dritte wünscht sich gebratene Würst.
Kyrieeleis.

Ach, schenkt den armen drei Königen was.
Ein Schöpflöffel aus dem Heringsfaß –
Verschimmelt Brot, verfaulter Fisch,
Da setzen sie sich noch fröhlich zu Tisch.
Kyrieeleis.

Wir singen einen süßen Gesang
Den Weibern auf der Ofenbank.
Wir lassen an einem jeglichen Ort
Einen kleinen heiligen König zum Andenken dort.
Kyrieeleis.

Wir geben euch unseren Segen drein,
Gemischt aus Kuhdreck und Rosmarein.
Wir danken für Schnaps, wir danken für Bier.
Anders Jahr um die Zeit sind wir wieder hier.
Kyrieeleis.

Bauz

Bauz schwingt zierlich den Zylinder,
Bauz entstellt sich hiermit vor.
Bauz hat 45 Kinder
Und nen Bruch im Wasserrohr.

Bauz ist ohne alle Frage,
Bauz ist geradezu direkt,
Bauz macht jede Nacht zum Tage,
Bauz hat einen Schlauchdefekt.

Bauz ist jeder Krone Gipfel,
Bauz ist jedes Ärmels Loch,
Bauz ist auf dem I das Tipfel,
Bauz kroch, wo noch keiner kroch.

Bauz ist wiederum hingegen,
Bauz ist zwecks zu dem behuf,
Bauz ist andernteils deswegen,
Bauz ist ohne Widerruf!

Schwindsüchtige

Sie müssen ruh’n und ruh’n und wieder ruh’n,
Teils auf den patentierten Liegestühlen
Sieht man in Wolle sie und Wut sich wühlen,
Teils haben sie im Bette Kur zu tun.

Nur mittags hocken krötig sie bei Tisch
Und schlingen Speisen: fett und süß und zahlreich.
Auf einmal klingt ein Frauenlachen, qualreich,
Wie eine Aeolsharfe zauberisch.

Vielleicht, daß einer dann zum Gehn sich wendet,
– Er ist am nächsten Tage nicht mehr da –
Und seine Stumpfheit mit dem Browning endet…

Ein andrer macht sich dick und rund und rot.
Die Ärzte wiehern stolz: Halleluja!
Er ward gesund! (und ward ein Halbidiot…)

Der Seiltänzer

Er geht. Die schräge Stange trägt ihn linde.
Der Himmel schlägt um ihn ein Feuerrad.
Ein Lächeln fällt von einem mageren Kinde,
Und an dem Lächeln wird die Mutter satt.

Ein jeder fühlt sich über sich erhaben
Und tänzelt glücklich auf gespanntem Seil.
Die Menschen wimmeln braun wie Küchenschaben,
Und sind dem Blick der Höhe wehrlos feil.

Dort unten hockt in schmutzigen Galoschen
Das Niedere und Gemeine, und es hebt
Die Stirn zur Höhe für zwei povre Groschen,
An denen feucht der Schweiß des Werktags klebt.

Mystik

Ich gehe langsam durch die Stadt
Zum Ein- bis Zweifamilienbad.
Schon hebt sich aus der weißen Flut
Ein brauner Bauch, der trübe tut.
Der Bauch tut nichts. Je nun: ich weiß:
Die andre Seite ist der Steiß.
Ein jedes erntet hier sein Heil
Vom Gegen-Teil. Im Gegen-Teil.

Philosophie

Ein Philosoph schlug einen Kreis.
Wer weiß,
Was er damit bedachte.

Und siehe da – wie hingeschnellt
Hat sich ein zweiter zugesellt.
Da war es eine Achte.

So gehts den Philosophen meist,
Daß sie zwei nackte Nullen dreist
Zu einer Acht erheben.

Doch sehn sie das Exempel ein?
Nein!
Wo bliebe sonst ihr Leben?

Spaziergang

Über uns will es sich in den Zweigen regen,
Und ein hübscher Vogel macht sich plüsternd breit.
Wird er jetzt wohl Eier legen
Oder was ist seine Tätigkeit?

Plötzlich hat’s auf der erhobenen Stirne
Irgendwie und irgendwo geklext,
Und von einem Stoff, der – hm – in keines Menschen Hirne,
Sondern (vorher) auf den Feldern wächst.

War das eines Geistes mahnend ernste Stimme?
Oder war’s ein leises Scherzo nur?
Zwiegeteilt in bodenlosem Grimme
Flieht man die ungastliche Natur.

Und man fragt sich, während man so wandelt:
Ist denn das gerecht,
Daß die Kreatur derartig unanständig handelt,
Wenn verehren man und preisen möcht‘?

Melancholie

Schau, den Finger in der Nase,
Oder an der Stirn,
Zeitigt manche fette Phrase
Das geölte Hirn.

Warum liebt der die Erotik?
Jener die Zigarrn?
Der die Aeropilotik?
Der den Kaiserschmarrn?

Warum geht’s uns meistens dreckig?
Weshalb schreib ich dies Gedicht?
Warum ist das Zebra fleckig
Und Mariechen nicht?

Dennoch ahnt man irgendwie
Gottes Qualverwandschaft,
Trifft man unerwartet sie
Draußen in der Landschaft.

Ad notam

Nachts bis drei Uhr
Im Café wichtig tun und dösen,
Wenn ich eure Fratzen seh,
Wünsch ich mir den Bösen.

Und ihr schnüffelt
Und ihr grunzt mit gefurchten Mienen
Über eure Pseudokunst,
Die der Mond beschienen.

Doch die Kunst lebt nur besonnt,
Läßt sich nicht beriechen,
Und sie zeigt die Hinterfront
Dem Melangeniechen.

Arbeit, Arbeit, still gewagt,
Die Moral vom Liede,
Wenn sie euch auch nicht behagt:
Songez au solide!

Der Verzweifelte

Noch nie hat mir der Herbst so weh getan,
Daß ich mich ohne Freundin blaß begnüge.
Am Bahnhof steh‘ ich oft und seh‘ die Züge
Einlaufen nach des Kursbuch’s rotem Plan.

Hier kommt ein Zug um fünf und dort um sechs.
Der aus Polzin. Und der aus Samarkand.
So oft ich mich an eine Frau gewandt,
Entfloh sie mit dem Zeichen höchsten Schrecks.

Man wundert sich, daß ich so kopflos bin
Und daß ich ohne Beine gehen kann,
Und daß ich ohne Männlichkeit ein Mann,
Und daß ich ohne Sinnlichkeit ein Sinn.

Unglücksfall

Es stehen vor dem Hebekran
Ein kleines Kind, ein Hund, ein Mann.
Die Eisenkette rollt und rinnt,
Es staunen Mann und Hund und Kind.
Da saust sie nieder auf den Grund,
Zerschmettert Mann und Kind und Hund.
Gemäßigt naht die Polizei,
Ein Chemiker ist auch dabei,
Bis er den Totbestand befund:
Ein kleines Kind, ein Mann, ein Hund.

Der kleine Mörder

Er wußte nicht, warum er so elend war
Und warum der Himmel an jenem Abend so schwelend war.
Sein Schädeldeckel war aufgeklappt und Fliegen setzten sich auf sein rosiges Hirn
Und leckten daran. Göttliche Gedanken schienen ihn zu durchirr’n.
Wenn er das Messer nähme und sich die große Zehe abschnitt?
Oder ginge er lieber auf den Abtritt,
Und spielte mit sich, über den Abfluß geneigt?
– Da hat sich seine kleine Schwester in der Küche gezeigt.
Er hob ihr den Rock hoch und stieß ihr die große Kelle
In den Schoß, daß sie schrie. Ihn trug die Welle
Des Abendrotes durch die Wolken hin.
Er sah nichts mehr.
Er fühlte nichts mehr.
Ihn trieb die rote Flut, das rote Meer
Zu einem uferlosen Ziel.
Er fiel
Lächelnd über die kleine Leiche hin.

Der Backfisch

Papa ist heute furchtbar aufgeschwemmt.
Er blinzelt müde in die Morgenzeitung.
Mama im Morgenrock und ungekämmt,
Befaßt sich mit des Kaffees Zubereitung.

Dann spricht sie: Anton! Komm! Es wird bald Zeit!
Du darfst mir das Büro nicht noch versäumen! –
Ich sitz am Tisch in meinem Rosakleid
Und will den ganzen Tag in Rosa träumen.

2.

Sie sagen in der ersten Mädchenklasse manchmal unanständige Sachen.
Ob Maria sich damit befasse?
Der Primaner Hubert hat doch Rasse.
Und sie lachen.

Und wir heben unsre Kleider, zeigen unsre hübschen Beine.
Manche möchte mit nervösen
Fingern sich zum Scherz ihr Mieder lösen…
Und ich weine…

Tango

Tango tönt durch Nacht und Flieder.
Ist’s im Kurhaus die Kapelle?
Doch es springt mir in die Glieder,
Und ich dreh‘ mich schnell und schnelle.

Tango – alle Muskeln spannt er.
Urwald und Lianentriebe,
Jagd und Kampf – und wie ein Panther
Schleich ich durch die Nacht nach Liebe.

Das Wassermädel

Ich liebe ein Wassermädel vom Café Arkadia,
Bin siebzehn Jahr‘
Und erstes Semester in München.
Ich kann mein Herz nicht mit Erfahrungen übertünchen,
Wenn ich den Frauen unter die Hüte sah.
Und immer, wenn sich eine mir freundlich zugewandt:
Ein Kind vor dem Christbaum oder vor den Glaskugeln im Parke stand.
Oder ich sah blaue Pferde, erstaunlichstes Getier.
Eine Stute mit schlanken Fohlen sprang spielerisch zu mir.
Und als das Wassermädel schlief bei mir zur Nacht –
War sie Jungfrau? Oder hatte sie sich zur Jungfrau gemacht?
Sie war mir wie ein Lächeln im Dunkel zugetan…
Weißes Segelboot… Südwind wehte um unsere Rahn…
Die ewige Föhrde lag im Morgenscheine da…
Ich liebe ein Wassermädel vom Café Arkadia.

Münchner Sonette

1. Frühschoppen im Hofbräuhaus

Hier steht ein Faß – und an das Faß geschweißt,
Dem Fasse ähnlich, dick und rund gerollt:
Ein k.b. Rat… ein Dienstmann… und ein Bold,
Der sich (mit Gamsbart) als ein Preuß‘ erweist.

Derselbe überzeugt durch Witz und Geist,
Wenn er den Maßkrug im Komment erhebt
Und sich im boar’schen Dialekt bestrebt
Und seinen Radi samt dem Grünzeug speist.

Ein blütenzartbestaubter Lindenbaum
Steht zag im Duft von Bier und Rauch und Schweiß.
Ihn zieren keines Vogels holde Nester…

Ein schönes Mädchen, ganz in Blond und Weiß,
Geht wie verlassen durch den grauen Raum.
Da sagt sie zu der schönen Linde: Schwester…

2. Auf der Auer Dult

Hier ist viel Kram und Tand und Traum geschichtet…
Ein alter Stich, von Staub und Rost befleckt:
Prometheus, wie er seine Fackel reckt,
Hier Dante, wie er die Comedia dichtet.

Vor einer Süßigkeitenbude schleckt
Ein kleines Mädel für ein Zehnerl Süßes.
Sie hebt den Kinderblick. O sprich und grüß es,
Eh‘ ihre Seele sich mit Rost befleckt…

Laß sie um zwanzig Jahre älter sein…
Dann hat hier auf der Dult sie ihren Stand:
Feil hält sie ihres Lebens Lug und Tand –

Und es wird eine kleine Welt her sein,
Daß du sie dunkel einst erröten machtest,
Weil ihrem Kinderlächeln du entgegenlachtest…

Montreux

Hier sieht die Landschaft man nicht vor Hotels.
Es riecht nach Beefsteak und nach faulen Eiern.
Schloß Chillon steht betrübt auf einem Fels
Und ist berühmt durch Dichtungen von Byron.

Der Tag beginnt mit einem fetten Lunch,
Dann schiebt zum Liegestuhl man sacht den vollen
Geliebten Bauch. Und Wesen, die sich Mensch
(Mit Unrecht) nennen, hügelabwärts rollen.

Wer unter hundert Franken Rente hat,
(Pro Tag), der ist ein wüster Proletarier.
Man frißt an Hummer sich und Kaviar satt,
Und ist kein Kassenhaß von Jud‘ und Arier.

In tausend Meter Höhe erst ist Luft,
Dort findet man zwei ärmliche Narzissen.
Sie wachsen einer Jungfrau aus der Gruft
Und sind versehentlich nicht ausgerissen.

Theater

Wir heben unsre Beine wie an Schnüren,
Und unsre Herzen sind Papiermaché.
Woran wir auch mit unsren Worten rühren:
Sei’s Lust, sei’s Weh:
Gott wird uns schon das richtige Wort soufflieren.
Paß nur auf deinen Stich –
Denn im Parkett, da sitzt der Teufel,
Und ohne Zweifel,
Er amüsiert sich königlich…

Der Romanschriftsteller

Graugelb ist sein Gesicht. Die Nase
Steigt klippenspitz empor. Die Augen liegen fleckig
Mißtrauisch von den Wimpern tief beschattet,
Geduckt zum Sprung wie Panther in der Höhlung.
Der rechte Arm mit der Zigarre steht
Steif wie ein Schwert, als wolle er damit
Sich von den andern sondern, die ihm widerwärtig
Und dennoch so sympathisch sind.
Schlägt er die Asche ab,
So fällt wie Hohn sie aufs Gespräch.
Ein kurzes  „Ja“, ein scharfes „Nein“
Wirft er zuweilen in die Unterhaltung.
Mit diesem spitzen »Ja« und »Nein«
Spießt er die Leute wie auf Nadeln auf
Und nimmt sie mit nach Hause
Für seine Käfersammlung.
– – – Schlägt man das nächste Buch des Dichters auf.
O Gott! Schon ist man selber drin verzeichnet
Und wer sich in gerechter Selbsterkenntnis
Für ein libellenähnlich‘ Wesen hielt,
Der findet sich erstaunt als Mistbock wieder.

Der Lehrer

Meist war er klein und kroch am Boden hin
Wie eine Küchenschabe braun und eklig.
Er stak in abgeschabten Loden drin
Und stank nach Fusel und nach Schweiß unsäglich.

Doch manchmal wuchs er riesig in das Licht,
Wuchs übern Kirchturm, schattete die Erde.
Am Himmel brannte groß sein Angesicht,
Damit die Schöpfung seines Glanzes werde.

Er schlug das Aug‘ auf wie das Testament (mich graust,
Wenn ich dran denk‘), pfiff wie im Rohr die Dommeln, Ließ donnern, blitzte, hob die Sonnenfaust
Und ließ sie furchtbar auf uns niedertrommeln.

An die Natur

Natur! Natur! Du Götterwelt!
Wie bist du prächtig aufgestellt
Mit Bergen groß und Tälern klein,
Es hat wohl müssen also sein.

Und mittendrin in der Natur
Dehnt sich die grüne Wiesenflur,
Im Winter ist sie weiß beschneit,
So hat ein Jedes seine Zeit.

Auch du, auch du, o Menschenkind,
Bedenke, wie die Zeit verrinnt.
Heut rauscht sie mächtig noch daher
Und morgen sieht man sie nicht mehr.

Frisch auf, frisch auf, mit Hörnerklang
Durch das verschneite Tal entlang,
Die Glöckchen klingeln am Geläut:
Gestern war gestern, morgen wird morgen sein, heute ist heut.

Winterschlaf

Indem man sich nunmehr zum Winter wendet,
Hat es der Dichter schwer,
Der Sommer ist geendet,
Und eine Blume wächst nicht mehr.

Was soll man da besingen?
Die meisten Requisiten sind vereist.
Man muß schon in die eigene Seele dringen
– Jedoch, da haperts meist.

Man sitzt besorgt auf seinen Hintern,
Man sinnt und sitzt sich seine Hose durch,
– Da hilft das eben nichts, da muß man eben überwintern
Wie Frosch und Lurch.

Nach der Schlacht an der englischen Front

Die Totengräber haben schon
Die Schaufeln angesetzt, da naht sich holpernd
Ein Viererzug, und ihm entsteigen stolpernd
Die Reisenden der Firma Cook ‚
And Son.

Eifrig und ernst begibt man sich ans Sammeln
Leerer Patronenhülsen oder -taschen.
Indem die steifen Missis Kognakbohnen naschen,
Hört man Verwundete nach Wasser stammeln.

Ein toter Belgier… Man hätte beinah was verpaßt…
Ein Fußballspieler schätzt den grünen Rasen.
Ein leiser Knall… Trompetenblasen…
Und ein ergrauter Lord erblaßt.

Progrom

Am Sonntag fällt ein kleines Wort im Dom,
Am Montag rollt es wachsend durch die Gasse,
Am Dienstag spricht man schon vom Rassenhasse,
Am Mittwoch rauscht und raschelt es: Pogrom!

Am Donnerstag weiß man es ganz bestimmt:
Die Juden sind an Rußlands Elend schuldig!
Wir waren nur bis dato zu geduldig.
(Worauf man einige Schlucke Wodka nimmt…)

Der Freitag bringt die rituelle Leiche,
Man stößt den Juden Flüche in die Rippen
Mit festen Messern, daß sie rückwärts kippen.
Die Frauen wirft man in diverse Teiche.

Am Samstag liest man in der »guten« Presse:
Die kleine Rauferei sei schon behoben,
Man müsse Gott und die Regierung loben…
(Denn andernfalls kriegt man eins in die Fresse.)

Der neue Rattenfänger

Und Väterchen befiehlt den weißen Schimmel
Und ruft sein Heer.
Es schreiten Popen mit Gebimmel
Vor seinem Heiligenbildnis her.

Es flammt sein Blick in Fieberröten
Vor Furcht und Qual und Hohn.
Er bläst auf zwei geborstnen Flöten
Den alten Panslawistenton.

Er lockt sein Volk zum Berg der Millionen Knochen,
Sein Kopf bebt wie ein Schädel aus dem Pelz.
Am Boden zucken abertausend Mutterherzen gramzerbrochen,
Ein Fluß von Kindertränen rauscht vom Fels.

Es schlingen dürre Arme sich wie Algen
Um Nacken ihm und Rumpf,
Und riesenhaft entsteigt ein Galgen
Dem Sumpf.

Russische Revolution

Sind arm. Sind arm.
Kommen von weit her.
Aus Vologda. Aus Tomsk.
Aus tausend Orten,
Die keinen Namen haben.
Willst du an Gott glauben?
Glaube an uns!
Willst du fröhlich sein?
Sieh uns lächeln!
Wir tragen in unseren rissigen Bauern- Arbeiterfäusten
Wie eine Vase aus dem Petersburger exotischen Museum die Zukunft.

Freundchen, was soll das?
Einmal müssen wir doch alle sterben.
Reg dich nicht auf.
Eine Kugel im Kopf ist immer noch besser
Als ein Loch in der Hose.
Wenn du mir hundert Kerenskirubel gibst,
Laß ich deine Leiche
An der Mauer für deine Braut photographieren.
Was meinst du?

Rußland ist groß. Rußland ist groß.
Die Sonne hängt hoch – gottverdammt –
Wer hat sie so hoch gehängt?
General Wrangel hat sie an den Galgen gebracht.

Jeden Morgen begegne ich dem großen General.
Er steht am Newski-Prospekt
Und verkauft die Prawda.
So hat er einmal uns alle verkauft:
An seine Auftraggeber.
General, Weißbart, Weißgardist:
Deine Arbeit ist keine Schande.
Und du verdienst mehr, als du verdienst.

Wenn du Lenin sprichst,
Blühen die Zahlen wie Blumen,
Er hat eine Stierstirn, er rennt Wände ein,
Solche aus Papiermaché,
Solche aus Zeitungsballen,
Die dicksten Lügen der Welt,
Solche aus Steinquadern.
Seine Stirn ist ein Hammer.
Die Splitter stieben.

Manchmal in einsamen Nächten,
Wenn ein Schuß tönt,
Wenn der Gebärschrei einer Frau
Die dunklen Straßen zerreißt:
Weine ich über mich, über mein Vaterland, die Welt.

Im Anfang war das Wort,
Das Wort war der Anfang.
Nunmehr heißt es: fortschreiten.
Weitergehen! Nicht stehen bleiben! Circulez!
Wie die Clowns im Zirkus, so rufe ich euch zu:
Commencez! Travaillez!
In dem Willen liegt die Tat.
Sie sei groß!
So wird am Ende wieder das Wort sein,
Das große Wort, das sie beschreibt.

Darauf kommt es an:
Sich im kleinen Kreis seines Lebens so zu bewegen,
Planetarisch zu bewegen,
Daß man in der sphärischen Ellipse läuft,
Wie die Erde um die Sonne, der Mond um die Erde.
Darauf kommt es an:
Daß Sinn und Sein,
Wort und Werk,
Tat und Traum
Unauflöslich unentkettbar eins sind.

Die Karsavina vom russischen Ballett tanzt

Ach, wenn ich Engelszungen hätt‘!
Der Zar ist tot.
Es lebe sein Ballett!

Ich gäbe meiner Jahre zehn,
Hätt‘ ich die Pawlowa geseh’n.
(Nijinski sprach ich in der Schweiz:
Er war ein wenig blöd bereits
Und doch von stark barockem Reiz.)

Die Karsavina tanzt den Walzer von Chopin:
Glaube, liebe, hoff‘!
Verzweifelt hing ihr oft am Hals er,
Der Partner namens Gawriloff.

Die Karsavina war wie Schwäne
Auf schwarzen Weihern manchmal sind.
Sie stieg wie Anadyomene
Aus Schaum und Wolken, Licht und Wind.

Sie schwebte wie ein goldner Vogel
Hoch über Busch und Baum und Kogel.
Man sah im Himmel sie vergeh’n:
So hoch, so fern, ein blasser Stern…
(Auf Wiedersehn! Auf Wiedersehn!)

Ich hielt mich fest an meiner Lehne,
Sie floh, um auch sich selbst zu flieh’n.
Und mir ins Lid stieg eine Träne,
Und die war nicht von Glycerin.

Wer irdisch nur, kann also schweben,
So lächeln nur, wer viel erlitt.
Komm wieder, du geliebtes Leben,
Und bring‘ den andern Partner mit!

Lied der Zeitfreiwilligen

Ich bin ein Zeitfreiwilliger,
Und stehle dem lieben Gott die Zeit.
Es lebt sich billiger,
Wenn man: Nieder mit den verfluchten Spartakisten schreit.
Fuffzehn Märker den Tag. Daneben
Allens frei.
Es ist ein herrliches Leben.
Juchhei.

Ich verdiente mir meine Sporen
Bei Kapp.
Als dessen Sache verloren,
Zog ich ab.
Ich gehöre wieder zu den Regierungstreu’n
Und habe den Schutz der Verfassung erkoren.
Ich breche alle Eide von acht bis neun,
Die ich von sieben bis acht geschworen.

Neulich bei Mechterstädt: Pst…
Zeigten wir’s den Arbeiterlaffen.
Falls es irgendwo ruhig ist,
Muß man eben künstlich Unruhe schaffen.
Laßt die Maschinengewehre streichen!
Ins Kabuff.
Immer feste druff.
Unsre Anatomie braucht Leichen.

Vorfrühling 1923

Heute fing ich – Krieg ist Krieg – eine Maus in der Schlinge.
Frühlingswolken flattern rosig im Winde.
Emma schrieb mir von unserm gemeinsamen Kinde,
Daß es schon in die Schule ginge,
Daß – wie erhebend! – ein Einser Fritzchens Zensur im Rechnen ziere,
Weil er patriotisch (nebenbei gesagt: als Einziger der Klasse,
Der Idiot…) à la hausse der Mark spekuliere…

Heute begegnete ich den ersten Staren.
Zum erstenmal bin ich auch mit der Nord-Süd-Bahn gefahren.
Ich bildete mir ein, vom Nord- zum Südpol zu rasen.
Am Wedding sah ich Eskimos mit Tran handeln,
Pinguine durch die Chausseestraße wandeln,
Und am Halleschen Tor hörte ich die Kaurineger im Jandorfkraalzum Kampfe blasen.

Nur immer Mut! Die Front an der Ruhr steht fest.
Die Kohlen werden von Tag zu Tag billiger.
Die Nächte kürzer. Die Gesichter länger. Die Frauen williger.
Und wenn nicht Alles täuscht (es rüsten Russen und Polen,
Rumänen, Ungarn, Jugoslawen und Mongolen):
So wird uns spätestens mit den ersten Schoten
Der unwiderruflich letzte Krieg geboten.

Immer ran! Das darf keiner versäumen! Rassenkampf! Klassenkampf!
Wer geht mit? (Ich passe
Und offeriere für Kriegsberichterstatter fünftausend ungedruckte Stimmungsbilder
aus dem vorletzten Weltkrieg, sofort greifbar gegen Kasse.)

Nachruf auf Cuno

Cuno steigt in die Arena.
Mensch, wie er, so kann es keena.
Cuno wird das Tau schon ziehn.
Er drehts Ding nicht –
’s Dreht ihn.

Cuno stemmt mit Pappgewichten.
Cuno wird die Zwietracht schlichten.
Geht die Sache noch so schief:
Cuno ist und bleibt passiv.

Steigt der Dollar in die Puppen:
Cuno’n kann das nicht verschnuppen.
Er verschenkt zum Schleuderpreise
Pfund und Dollar scheffelweise.

Cuno, das ist unser Mann.
Cuno regt den Spartrieb an.
Jeder Arbeit wird ihr Lohn:
Eine Mark gleich ’ner Million.

Steuernstundung, Markkredite:
Alles für des Volks Elite.
Stinnes singt von steiler Höh‘ in den Alpen:
Safe qui peut.

Cuno pirscht auf Nietzsches Fährte:
Unterwertung aller Werte.
Cuno sagt aus Karten wahr.
Was er nicht zahlt, zahlt er bar.

Cuno spielt für uns Patience
Mit Kanonen, Gas und Tanks.
Treibts Poincaré idiotisch:
Cuno schafft es mehr auf gotisch.

Cuno ist für Alles gut,
Cuno hebt gesunknen Mut,
Senkt die Mark von Etsch bis Belt
Unter Alles in der Welt.

Steigt ins Walhall deutscher Geister
Cuno jetzt, der Währungsmeister –
Laßt’s nicht zur Verzweiflung treiben:
Helfferich, er wird uns bleiben!

Regenschirmparaden

Vor unserm Feldmarschall, dem Ruppert:
Wie manches Heldenherz da puppert.
Man sieht mit Schirmen und mit Stöcken
Vorbeimarschier’n die alten Recken.

Mit achtzig und mit neunzig Jahren
Sind sie von weitem hergefahren,
Um mit den wackeligen Gliedern
Den Königsgruß steif zu erwidern.

Ach, besser wär’s, ihr alten Knaben,
Ein Rückgrat überhaupt zu haben
Im Leben und daheim im Laden
Und nicht bei völkischen Paraden.

Wenn ihr im Feld spazieren tut,
Zieht ihr da euren Sonntagshut
Und reckt ihr euch aus den Gesträuchen
Vor den (zum Beispiel) Vogelscheuchen?
Der Landwirt Würstlein von Sebelsdorf

Patriotisches Gedicht

Der Landwirt Würstlein von Sebelsdorf,
Ein Mann von echtem Schrot und Schorf,
Der hat den rechten Fleck auf dem Mund,
Der lockt keinen Ofen vor den Hund.

Es fließt ein Bach durchs Bayernland,
Der Wittelsbach wird er genannt,
In seinem treuen Schoße kann
Sich bergen jedweder Untertan.

Und als das siebente Knäblein kam,
Er König Rupprecht zum Paten nahm,
Das ist ein Brauch von altem Korn,
Daran zerschellt des Feindbunds Zorn.

Trotz Gut und Blut hie schwarzweißrot,
Da hat es selbander keine Not!
Fest steht und treu der Rhein auf der Wacht.
Durch Sieg zum Tod! Durch Licht zur Nacht!

Oberammergau in Amerika

Was unsern Christus Lang betrifft,
So hatte er sich eingeschifft,
Um in atlantischen Bezirken
Für’s heilige Christentum zu wirken.

In Boston war er hinterm Zaun
Wie’n Gnu für’n Dollar anzuschau’n,
Mit ihm im feschen Dirndlkleid
Maria Magdala. All right.

Es wußten Mister, Miß und Missis
Bisher von Christus nichts gewisses,
Bis salbungsvoll und blondbehaart
Er sich leibhaftig offenbart.

Er kommt aus Bayerns Urwaldwildnis,
Verkauft für zwanzig Cents sein Bildnis
Mit Palme, Kreuz und Ölbaumreis.
(In Holz geschnitzt ein höherer Preis.)

Ach, manche Miß entbrannte schon
Für ihn in großer – yes – Passion.
Barnum erblaßt vor Neid und kläfft:
Weiß Gott, sein Sohn versteht’s Geschäft…

Gang durch den herbstlichen Wald

Es kommt der Herbst. Die Luft saust kalt.
Kein lieber Gott geht durch den Wald.
Ein alter Mann von siebenzig
Sucht Feuerung für den Winter sich.

Auch unser Herz ist ausgeloht
Und etwas Feuerung täte not.
Wie runzlig blickt das ganze Land
Und riecht nach Fäulnis penetrant.

Im Sand verrinnen allgemach
Der Wittels- und der Fechenbach.
Im Moor, dort, wo man stach den Torf,
Verfällt das alte Ludendorff.

Mit Halali und mit Geheil
Nimmt an der Ebertjagd man teil.
Wer jetzt nicht liebt Sang, Weib und Wein –
Fest steht und treu der Schacht am Rhein.

Man leert die Hosentaschen aus.
Kein Rentenpfennig drin, o Graus.
Versuchs und stell‘ dich auf den Kopf:
Ach, kein Gedanke drin, du Tropf!

Verdreckt, verreckt, verhurt, verlumpt
– Wer, der uns noch ’nen Taler pumpt?
Es bringt der allgemeine Dalles
Noch Deutschland, Deutschland unter alles.

Du kleines Köhlermädchen, sei
Im Moose meine Herbstesfei.
Der Regen rinnt. Es weint der Wind,
Weil wir so schrecklich einsam sind.

Es kommt der Herbst. Die Luft saust kalt.
Ein Schauer streicht durch Welt und Wald.
Gib mir den Mund. Komm zu mir her.
Umarme mich. Mich friert so sehr.

Die Ballade des Vergessens

In den Lüften schreien die Geier schon,
Lüstern nach neuem Aase.
Es hebt so mancher die Leier schon
Beim freibiergefüllten Glase,
Zu schlagen siegreich den alten bösen Feind,[
Tät er den Humpen pressen…
Habt ihr die Tränen, die ihr geweint,
Vergessen, vergessen, vergessen?

Habt ihr vergessen, was man euch tat,
Des Mordes Dengeln und Mähen?
Es läßt sich bei Gott der Geschichte Rad,
Beim Teufel nicht rückwärts drehen.
Der Feldherr, der Krieg und Nerven verlor,
Er trägt noch immer die Tressen.
Seine Niederlage erstrahlt in Glor
Und Glanz: Ihr habt sie vergessen.

Vergaßt ihr die gute alte Zeit,
Die schlechteste je im Lande?
Euer Herrscher hieß Narr, seine Tochter Leid,
Die Hofherren Feigheit und Schande.
Er führte euch in den Untergang
Mit heitern Mienen, mit kessen.
Längst habt ihr’s bei Wein, Weib und Gesang
Vergessen, vergessen, vergessen.

Wir haben Gott und Vaterland
Mit geifernden Mäulern geschändet,
Wir haben mit unsrer dreckigen Hand
Hemd und Meinung gewendet.
Es galt kein Wort mehr ehrlich und klar,
Nur Lügen unermessen…
Wir hatten die Wahrheit so ganz und gar
Vergessen, vergessen, vergessen.

Millionen krepierten in diesem Krieg,
Den nur ein paar Dutzend gewannen.
Sie schlichen nach ihrem teuflischen Sieg
Mit vollen Säcken von dannen.
Im Hauptquartier bei Wein und Sekt
Tät mancher sein Liebchen pressen.
An der Front lag der Kerl, verlaust und verdreckt
Und vergessen, vergessen, vergessen.

Es blühte noch nach dem Kriege der Mord,
Es war eine Lust, zu knallen.
Es zeigte in diesem traurigen Sport
Sich Deutschland über Allen.
Ein jeder Schurke hielt Gericht,
Die Erde mit Blut zu nässen.
Deutschland, du sollst die Ermordeten nicht
Und nicht die Mörder vergessen!

O Mutter, du opfertest deinen Sohn
Armeebefehlen und Ordern.
Er wird dich einst an Gottes Thron
Stürmisch zur Rechenschaft fordern.
Dein Sohn, der im Graben, im Grabe schrie
Nach dir, von Würmern zerfressen…
Mutter, Mutter, du solltest es nie
Vergessen, vergessen, vergessen!

Ihr heult von Kriegs- und Friedensschuld – hei:
Der Andern – Ihr wollt euch rächen:
Habt ihr den frechen Mut, euch frei
Von Schuld und Sühne zu sprechen?
Sieh deine Fratze im Spiegel hier
Von Haß und Raffgier besessen:
Du hast, war je eine Seele in dir,
Sie vergessen, vergessen, vergessen.

Einst war der Krieg noch ritterlich,
Als Friedrich die Seinen führte,
In der Faust die Fahne – nach Schweden nicht schlich
Und nicht nach Holland ‚chapierte.
Einst galt noch im Kampfe Kopf gegen Kopf
Und Mann gegen Mann – indessen
Heut drückt der Chemiker auf den Knopf,
Und der Held ist vergessen, vergessen.

Der neue Krieg kommt anders daher,
Als ihr ihn euch geträumt noch.
Er kommt nicht mit Säbel und Gewehr,
Zu heldischer Geste gebäumt noch:
Er kommt mit Gift und Gasen geballt,
Gebraut in des Teufels Essen.
Ihr werdet, ihr werdet ihn nicht so bald
Vergessen, vergessen, vergessen.

Ihr Trommler, trommelt, Trompeter, blast:
Keine Parteien gibts mehr, nur noch Leichen!
Berlin, Paris und München vergast,
Darüber die Geier streichen.
Und wer die Lanze zum Himmel streckt,
Sich mit wehenden Winden zu messen –
Der ist in einer Sekunde verreckt
Und vergessen, vergessen, vergessen.

Es fiel ein Schuß. Steif sitzen und tot
Kanoniere auf der Lafette.
Es liegen die Weiber im Morgenrot,
Die Kinder krepiert im Bette.
Am Potsdamer Platz Gesang und Applaus:
Freiwillige Bayern und Hessen…
Ein gelber Wind – das Lied ist aus
Und auf ewige Zeiten vergessen.

Ihr kämpft mit Dämonen, die keiner sieht,
Vor Bazillen gelten nicht Helden,
Es wird kein Nibelungenlied
Von eurem Untergang melden.
Zu spät ist’s dann, von der Erde zu fliehn
Mit etwa himmlischen Pässen.
Gott hat euch aus seinem Munde gespien
Und vergessen, vergessen, vergessen.

Ihr hetzt zum Krieg, frischfröhlichen Krieg,
Und treibt die Toren zu Paaren.
Ihr werdet nur einen einzigen Sieg:
Den Sieg des Todes gewahren.
Die euch gerufen zur Vernunft,
Sie schmachten in den Verlässen:
Christ wird sie bei seiner Wiederkunft
Nicht vergessen, vergessen, vergessen.

Gut Holz

Zum 17. Stiftungsfest des Verbandes
Deutscher Kegelsportvereine

Wer hat dich so hoch da droben –
Das Kegelspiel ist schon seit ewigen Zeiten eine kulturelle Macht.
Ursprünglich haben die Götter mit dem Mond nach den Sternen geschoben
Und erst später haben sie die Erfindung der Holzkugel gemacht.

Nämlich das kam so: Mit dem Holzkopf der Gott –
Wie hieß er doch gleich? jedenfalls wars kein christlicher –
Der heilige Geist trieb wieder einmal mit den heiligsten Dingen

seinen unwürdigen Spott,

Bezweifelte sich selbst, die unbefleckte Empfängnis – kurz und gut,
Der betreffende Gott war sprachlos und verlor seinen Kopf.
Aus Versehen schob Zeus mit ihm, und der Holzkopf erwies sich

als unverwüstlicher denn (bzw. als) der Mond.

Vom Holz zum Eisen, von der Holzkugel zur Kanonenkugel ist nur ein Schritt.
Und dann kam man auch von den Sternen ab und fand es netter,
Von nun an auf lebende Menschen zu schieben
(da, wie bekannt, die Götter den Menschen über alles lieben)
– Und so war der ganze Weltkrieg nur ein Preiskegeln der Götter.

Der rumänische Räuberhauptmann Terente

Ich bin Seine Majestät der Räuberhauptmann Terente
Und geruhe, im Donaudelta das Zepter eines knorrigen Eichenknüttels zu schwingen.
Ich bin der Herr der hundert Teiche
Und der Sklave der tausend Mädchen.

Eines Tages in Braila auf dem Markt
Sah ich zwei schöne Schwestern vom Erker auf mich herniederlächeln.
Eines Nachts in Braila auf dem Markt
Raubte ich sie zu ihren Geschwistern, den Wildenten, in den Donausumpf.

Ich liebe die armen Teufel, die armen Engel.
Ich habe zehn kriegsinvaliden Bettlern Leierkästen gekauft.
Sie spielen auf den Höfen in Bukarest und Konstanza
Das Lied vom Räuberhauptmann Terente.

Cojoccar und Cervusa sind Laffen gegen mich.
Man wird sie mit Recht oder Unrecht hängen.
Aber nicht hängen wird man mich, der ich hänge wild
Am Leben.

Aeroplane, kleine Kanonenboote, Maschinengewehre, Polizisten, Matrosen, Gendarmen, Soldaten sind gegen mich aufgeboten.
Ein ganzes Heer
Gegen einen.
Ich bin die Summe eurer Rechenkünste:
Ich bin euer Gesetz, das sich gegen euch wendet.
Ihr habt mich im Kriege rauben und morden gelehrt.
Ich bin euer gelehrigster Schüler, ich, Seine Majestät der Räuberhauptmann Terente.

Leiferde

Wir leben ganz im Dunkeln,
Uns blühen nicht Ranunkeln
Und Mädchen glühn uns nicht.
Wir sind von Gott verworfen
Und unter Schmutz und Schorfen
Ist unsre Brust mit Schwefel ausgepicht.

Der Rucksack, der ist leer,
Das Hirn von Plänen schwer,
Mit uns will’s niemand wagen.
Wir finden Stell‘ und Arbeit nicht,
Der Hunger wie mit Messern sticht
Den Magen.

Wir sind dahingezogen
Durch Not und Kot und Dreck.
Der Wind hat uns verbogen,
Das Leben uns belogen,
Die Menschheit warf uns weg.

Wir wateten im Schlamm,
Wir kamen an den Damm,
Ein Zug flog hell vorüber,
Ach, niemand rief: Hol über!
Hol über!

Es tranken Kavaliere
Im Speisewagen Mumm.
Wir sind nicht einmal Tiere,
Uns wandern Herz und Niere
Ziellos im Leib herum.

Den Klotz nun auf die Schienen,
Der Qualen ists genug,
Bald kommt der nächste Zug,
Wir wollen was verdienen
– Und sei’s auch nur das Hochgericht.
Wenn wir im Äther baumeln
Und zu den Sternen taumeln,
Sehn wir zum erstenmal das Licht –
Das Licht.

Abschiedswort an einen Nordpolfahrer

Lebe wohl, die Träne hängt am Blicke,
Welcher dich von dannen gleiten sieht.
Dir erfüllt der Horizont sich zum Geschicke,
Und der Möwenruf zum Lied.

Ewige Ewigkeiten bist du, Skage,
Die entmenschte Menschheit los.
Unser Rattennest scheint dir nur eine Sage,
Und die Zeitung dient als Brennstoff bloß.

Ach, der Nordpol ist die einzige Gegend,
Wo die Parze Friedensstoffe webt,
Wo man sich von hier nach dort bewegend
Seiner Seele schönster Regung lebt.

Weder daß man morgens zum Ersatztee
Den Ersatzgeist aufgetischt bekommt –
Nein, der Eiskaffee ist hier am Platze,
Und die kalte Schnauze ist’s, die frommt.

Denn der Eisbär ist ein edler Räuber,
Und ein stummer Bruder der Pinguin.
Möwen sind die leichten Zeitvertreiber,
Und ein biedrer Freund der Schneekamin.

Kehrst nach manchen Jahren dann zurück du –
Liegt Europa brach von Menschen leer.
Bleib in deinem weißen Nordpolglück –
Du findest eine goldne Welt nicht mehr.

Sonette des Spielers

Das erste Spiel

Wir liegen in der Welt. Das erste Spiel
Treibt wohl die Mutter mit den Brüsten leis.
Dann tritt die Amme in den krausen Kreis,
Sie weiß sehr wenig und sie lehrt uns viel.

Der Bleisoldat schießt nun nach seinem Ziel.
Beim Murmelschieben winkt manch schöner Preis.
Mit Reifen rennen freut den Buben. Sei’s
Für sich, sei’s mit dem zärtlichen Gespiel

Dem Mädchen, dem die erste Andacht gilt.
Bald spielt sie mit dem Knaben ganz allein.
Sie streichelt ihn. Sie schmollt. Sie lacht. Sie schilt.

Er flieht zu Würfel, Dirnenscherz und Wein.
Sie wendet schaudernd sich von seinem Bild
Und stößt unwissend ihn in Nacht hinein.

Die Caro-Dame

Ich bin kein Mensch, aus dem man Staaten macht,
Und keiner machte jemals Staat mit mir.
Ich bin von jedem Höckerweib verlacht,
Und man rangiert mich unter Stein und Tier.

Ich bin mit keinem Elternpaar bedacht.
Ich saufe als Assessor nicht mein Bier;
Ich ruf der Soldateska nicht: Habt Acht!
Und schlafe klein im dunkelsten Revier.

Oft aber schieß ich strahlend wie eine Blüte
Der Sonnenblume über Nacht ins Blau,
Und Sonne steht mir himmlisch im Gemüte.

Ich schlag die Volte wie sein Rad der Pfau
Und schwebe übersinnlich in die Mythe
Am Arm der engelgleichen Carofrau.

Poker (Damenvierling)

Wem je die Muse sich vervierfacht bot,
Der wandelt trunken über diese Auen.
Was dünken ihn die Haus- und Straßenfrauen
Und was Narzissenwind im Abendrot.

Er schlägt drei Könige bedeutsam tot.
Selbst eine volle Hand darf er beschauen.
Er schüttet in den Abgrund jenen lauen
Kübel voll Jammertum und Menschennot.

Melpomene, du mit der Maske Pik,
Thalia, Sterngelächter hell im Herzen,
Du Klio, trefflich, mit dem Zeichen Sieg –

Oft stand ich sumpfversunken tief in Schmerzen
Da winkte, daß die Seele mondwärts stieg,
Kalliope mit goldnen Hochzeitskerzen.

Bakkarat

Mir träumte einst von einer zarten Neun.
Ich hielt sie sicher gegen fünf und sieben.
Millionen waren in der Bank geblieben,
Nun durft ich sie in alle Winde streu’n

Ich schenkte einem Mädchen sich beim Heu’n
Ich ließ das Gold in goldnen Sieben sieben.
Ich wagte tausend Frau’n zugleich zu lieben,
Und brauchte keinen schlimmen Schutzmann scheu’n.

Ich kaufte mir die blanken Feldherrntressen,
Die Horizonte, die mein Auge sah,
Ließ meine Verse nur in Silber pressen.

Ich badete mich in Lavendel – ah –
Und kaufte für den Rest mir das Vergessen –
Doch dich vergaß ich nimmer, Bakkarat!

Das Glück im Spiel

Wenn Gold wie reifes Korn das Schicksal mäht:
O selig durch die späte Nacht zu streichen
Und einen Hunderter der ersten reichen
Die mir verhärmt und grau entgegenweht.

Ihr Dankesseufzer gilt mehr als Gebet.
Vor meinem Glücke muß ein jeder weichen.
Vor meinem Angesicht sind Menschen Leichen,
Um die, noch lebend, Hauch des Aases steht.

Ich stolpre funkelnd weiter auf der Wacht
Zum liebsten Mädchen, das am Fenster lauscht.
Ich hör sie huschen. Eine Lippe lacht.

Ich seh sie hinterm Vorhang, der sich bauscht,
Ich steig durchs Fenster, schüttle ihr die Pracht
Des Reichtums in den Schoß, der golden rauscht.

Skat

Sie hocken, ihre Socken schweißgetränkt,
Den Leib bedeckt mit braven Jägerhemden.
Sie dulden keinen zugereisten Fremden,
Und jeder Groschen wird verschämt gesenkt.

Der Blick am Blatt steil wie am Galgen hängt.
Man teilt. Ein scheuer Jude flüstert: „Wemm denn?“
Ein Turnvereinler preist den Kreuzer Emden,
Indem er feurig seine Röllchen schwenkt.

Zwei Herrn erbleichen, weil sie stark verlieren
(So zwei Mark achtzig, wenn ich richtig sah.
Mir geht das Spiel beträchtlich an die Nieren,

Beziehungsweise die es spielen…) „Tja“,
Strahlt der Herr Apotheker, „Grand mit Vieren“
Und fühlt als Sohn sich der Germania.

Der Tod im Bridge

Es spielen dreie mit verdeckten Karten.
Ein dummer Vierter findet sich zumeist,
Der ihre Heuchelei als Tugend preist
Und den sie mit erhab’nen Reden narrten.

Dieweil er sinnend in den Höhen reist
Und seine Sinne der Erfüllung harrten,
Lächeln die andern hönisch, und die karrten
Schutt auf sein Veilchenbeet, das Wehmut heißt.

Er nennt die Wahrheit Spiegel, Spiel und Pflicht.
Und offen will er seine Pfeile senden.
Sein Gegenspieler ist auf Mord erpicht.

Umsonst: er kann das Schicksal nicht mehr wenden.
Den andren demaskiert das Morgenlicht,
Und dreizehn Trümpfe hält er schwarz in Händen.

Die Farben

Ich habe, Jahr, dein Sinnbild bald erbeutet:
Du Cœur bist Frühlingsblut – und Blütenfarbe.
Du Caro bindest Sonnenschein zur Garbe,
Du Pik bist Glocke, die zum Herbste läutet.

Wenn Hund und Mensch sich dann im Winter häutet,
Und man begreift, daß man um alles darbe:
Fühlt man in seiner Brust die alte Narbe
Und sieht das schwarze Kreuz, das Treff bedeutet.

Ein kurzer Weg vom Herz voll Lenz und Blut
Zum schwarzen Kreuze, das man ächzend schleppt.
Einst war man Kind und spielte Kindheit gut.
Nun steht auf leichter Bühne man und steppt
In gelbem Frack und violettem Hut.
Man glaubt zu neppen – und man wird geneppt.

Der Kiebitz

Es geht wohl immer einer neben dir,
Er sieht dir in das aufgeschlagne Blatt,
Er läuft am Wagen als das fünfte Rad
Und trinkt mit dir aus einem Glase Bier.

Er ist dein Schatten, und du bist sein Tier.
Was du auch schlingst, er sagt sich niemals satt.
Dein ganzes Dasein scheint ihm schal und matt,
Und verlangt sein Leben, ach, von dir.

Wohin du auch die müden Schritte lenkst,
Wie eine Bremse schwirrt er stets um dich.
Und was du tust und was du auch bedenkst

Er zehrt von deinem Ansehn brüderlich.
Wenn du dich in des Todes Masse mengst:
Er bleibt am Leben: geil und lüderlich.

Das tanzende Terrarium

Ich widme diese Verse
Dem großen erhabenen Salamander.
Das heißt: Der zwanglosen Vereinigung
Jüngerer Terrarien- und Aquarienfreunde,
Deren Mitglied ich bin als Nummer 124.

Es soll mir niemand nachsagen,
Daß ich undankbar oder vergeßlich bin.
Ich bin imstande, für meine Freunde
(Und Freundinnen) alles zu tun.

Libellula Immaculata,
Über den Teichen schwebend im Juniglanze.
Ich liebe dich unsäglich.
Komm in mein Netz!
Behutsam will ich dich fassen,
Du Goldgeflügelte,
Verweile einen Augenblick auf meiner Hand!

Blutrote Posthornschnecke,
Nimm diesen Brief und bring‘ ihn meinem Mädchen!
Lauf, so schnell du kannst!
Nächsten Freitag (Karfreitag) veranstaltet
(Druckfehler: verunstaltet)
Die zwanglose Vereinigung
»Groß-Berliner Aquarienfreunde«
Eine Tümpeltour nach Finkenkrug.
Man bewaffne sich
(Nicht mit Handgranaten, sondern): Netzen, Gläsern:
Das Plankton der Zeit in seine Butte zu füllen.

Mein Barsch ist immer so barsch zu mir.
Mein Schlei hat sich gesteigert und wurde zum Schleier,
Im Komparativ silbrig hängend um eine schöne Stirn.
Der Karpfen vertauschte seinen zweiten und dritten Buchstaben
Und man speiste ihn zur Fastnachtsbowle.
Wohl bekomm’s! (Den neunstachligen Stichling
Wird man sich besser nicht in den Mund stecken.)

Der Chlysodaurus ist ein lustiger Kerl.
Den ganzen Tag tanzt er hin und her.
Er hat meiner Putzfrau schon Chlysodaurustrott beigebracht.
Wenn Sie wollen, unterrichtet er Sie gegen mäßiges Honorar
(Tausend Fliegen pro Stunde)
Im indischen Dschungeltanz (neueste Figuren).

Dorippa (was für ein süßer Mädchenname)
Lanata trägt Sommer und Winter denselben großen Muschelhut.
Es läßt sie so kalt wie Eispolarwasser,
Wenn Frau Assessor ihr begegnet, sich über die Unmodernität
Ihres Kopfschmuckes chockiert, moquiert:
Dorippchen, wie können Sie bloß! –
Dorippchen ist das ganz egal.
Bei den Krebsen wechselt die Mode bloß alle tausend Jahr.

Heute Nacht brannte es im Dorf.
Die Feuerwehr wurde alarmiert.
Ein Feuersalamander hatte sieben Scheunen angezündet.

Ein Tigerfisch sprang aus dem Teich
Und riß ein Kalb von einer Herde, die vorüberweidete.
O, wie erbleichte schier Nymphe alba, meine zarte Hirtin!

Zwei Basilisken tanzten im Abendrot.
Eine Erdkröte spielte Harmonium.
Ein paar Tritonenbengels lachten sich einen Ast,
Auf welchem eine Nachtigall saß
Und (eine Trommel) schlug.

Gordius, der gordische Knoten, zerhieb sich selbst.
Zu seiner (nicht geringen) Verwunderung bemerkte er:
Daß er ganz geheimnislos, unkompliziert,
Daß (gleichsam) er sich sinnlos, zwecklos, selbst zerspalten.

Von nun ab verschmähten die Gordii
Die rationelle Aufklärungsmethode.
Sie sagten jeglicher Wissenschaft ab
Und zerbrachen sich nicht den Kopf darüber,
Was vorn und hinten bei ihnen,
Und After und Maul, Kopf und Schwanz,
Solches war ihnen alles eins.

Der Strudelwurm hat’s gut.
Wenn er heiraten will, heiratet er einfach: Sich.
Er verliebt sich in sich,
Er verlobt sich mit sich.
Er geht mit sich schlafen.
Wie kringelt er sich (heissa!)
In der Brautnacht, der längst erwünschten!
Nach neun Monaten teilt er sich einfach mittendurch und ist: Zwei.
Mutter und Kind, Vater und Kind.

Wer liefert mir kleine Regen- und Sonnenwürmer?
Meine Molche hungern.
Ich bin ein armer terrarischer Prolet.
Einen Regenwurm, meine schöne Dame, im Vorüberwandeln!
Einen Sonnenwurm, mein feiner Herr,
Für meine armen hungernden Molche.

Falls Sie eine Lanze haben, so bitte ich Sie,
Dieselbe für die Kreuzotter zu brechen!
Selbige wird noch immer sehr mißverstanden.
Sie ist ein gutartiges, sanftes, zutrauliches Haustier.
Frißt aus der Hand und ihre possierlichen Bocksprünge erheitern jedermann.
Sie beansprucht nichts als freundliche Behandlung,
Sieht mehr auf Anschluß ans Familienleben als gute Bezahlung.
Und ist mit Butter zum Frühstück und einem Eierkognak
Nach dem Nachtmahl durchaus zufrieden.

Das Meer

Ich schwelle in meiner Flut über die Erde.
Es wirft meine wilde Welle Tang an den Strand,
Muscheln, violette Quallen und kleine Seepferde.

Aber der Ekel zischt, daß ich mich gezeigt.
Ich krieche in mich zurück,
Und der Nordwind schweigt.

Ebbe ist… Kinder gehen, sammeln, suchen
Und sehen Krabben, nasse Sterne,
Erstaunlichstes Getier.

Ich aber bin längst in der Ferne wieder bei mir.

Und was ich an den Strand warf, stirbt in der Luft
Oder in des Menschen Hand. –
Nur die Taschenkrebse graben sich
Mit ihren Scheren in den Sand.
Sechs Stunden warten sie bis zur nächsten Flut. –
Die Taschenkrebse kennen mich gut.

Die Mondsüchtige

Wandelnd auf des Daches First,
Auf der Mauer schmalem Rande,
Schreitet sie, die Hohe, Milde,
In des Mondes sanftem Licht.

Wie Musik ertönt ihr Schweben,
Ihre Füße gleiten gläsern.
Ihre Hände klingen leise,
Ihre Augen sind geschlossen.

Hinter ihr der treue Diener
Achtet ihrer Schritte, daß sie
Über einen Strahl nicht strauchle,
Sorglich hütet sie: ihr Schatten.

Gottgeheimnis, Götzenzauber,
Weiße Statue der Sehnsucht
Schreitet sie: ich streck‘ vergeblich
Meine Hände nach ihr aus.

O wie halt ich die Entschreitende,
O wie bann ich die Entgleitende,
Aber ruf‘ ich: stürzt sie nieder.
Aber schrei ich: ists ihr Tod.

Und so schreitet sie vorüber,
Ist auf ewig mir verloren.
Eine Wolke löscht den Mond aus.
Einsam stehe ich im Dunkeln.

Eifersucht

Vorzustellen: Michael Jaroschin –
Untertänigst – ist mein Name.
Wohlgeboren, Hochgeboren
Auf dem Berge Gaurisankar.
Sah von oben stets nach unten,
Von den Gletschern in die Täler,
Von den Wolken auf die Wipfel,
Von der Sonne auf die Erde.

Und so sah ich eines Tages –
Vorzustellen: Michael Jaroschin,
Sonnengott von Profession –
Sah ich eines Tages nachts
(Jaroschin scheint auch des Nachts),
Sah ich durch ein unverhangnes
Fenster… die geliebte Frau.

Sah die liebliche, die liebe,
Sah die Liebste, die Geliebte – – –
In den Armen eines andern –
Eines höheren Beamten,
Eines niederen Charakters.

Da erbleichte selbst die Sonne,
Vorzustellen: Michael Jaroschin,
Hob den goldnen Sonnendolch und
Stieß ihn strahlend durch das Fenster,
Stieß dem Mann ihn in den Nacken,
Fuhr der Dolch da durch den Nacken
Und dem Weibe in die Brust noch:
Also lagen auf dem Diwan
Beide hingestreckt, durchbohrt
Von dem Dolch des Sonnengottes,
Vorzustellen: Michael Jaroschin.

Hütet euch, ihr ungetreuen
Weiber vor dem Sonnengotte!
Ihn betrog die Sonnenfrau,
Und sie mußte darum sterben.
Vorzustellen: Michael Jaroschin
Hält die Wacht im Irrenhause
Als ein Rächer seiner Ehre,
Rächer jeder Mannesehre.
In ihm glüht die edle Flamme,
Heilige Flamme: Eifersucht.

Weihnacht

Ich bin der Tischler Josef,
Meine Frau, die heißet Marie.
Wir finden kein‘ Arbeit und Herberg‘
Im kalten Winter allhie.

Habens der Herr Wirt vom goldnen Stern
Nicht ein Unterkunft für mein Weib?
Einen halbeten Kreuzer zahlert ich gern,
Zu betten den schwangren Leib. –

Ich hab kein Bett für Bettelleut;
Doch scherts euch nur in den Stall.
Gevatter Ochs und Base Kuh
Werden empfangen euch wohl. –

Wir danken dem Herrn Wirt für seine Gnad
Und für die warme Stub.
Der Himmel lohns euch und unser Kind,
Seis Madel oder Bub.

Marie, Marie, was schreist du so sehr? –
Ach Josef, es sein die Wehn.
Bald wirst du den elfenbeinernen Turm,
Das süßeste Wunder sehn. –

Der Josef Hebamme und Bader war
Und hob den lieben Sohn
Aus seiner Mutter dunklem Reich
Auf seinen strohernen Thron.

Da lag er im Stroh. Die Mutter so froh
Sagt Vater Unserm den Dank.
Und Ochs und Esel und Pferd und Hund
Standen fromm dabei.

Aber die Katze sprang auf die Streu
Und wärmte zur Nacht das Kind. –
Davon die Katzen noch heutigen Tags
Maria die liebsten Tiere sind.

Ewige Ostern

Als sie warfen Gott in Banden,
Als sie ihn ans Kreuz geschlagen,
Ist der Herr nach dreien Tagen
Auferstanden.

Felder dorren. Nebel feuchten.
Wie auch hart der Winter wüte:
Einst wird wieder Blüt‘ bei Blüte
Leuchten.

Ganz Europa brach in Trümmer,
Und an Deutschland frißt der Geier, –
Doch der Frigga heiliger Schleier
Weht noch immer.

Leben, Liebe, Lenz und Lieder:
Mit der Erde mag’s vergehen.
Auf dem nächsten Sterne sehen
Wir uns wieder.

Mond und Mädchen

Es kriecht der kahle Mond durch Zweiggeäder,
Ob wo im Haus ein Mädchen wohnt,
Ein warmes Bett, ein daunenweicher Leib,
Es wärmt zur Winternacht sich gern ein jeder..
O Mädel, bleib, du schlanke Zeder!

Der Mond tastet am Fensterglase
Und zittert vor Begier und Frost…
Das Mädel schlägt ihm vor der Nase
Die Läden zu und höhnt: Gib ruh!
Alten Gliedern ziemt nicht junger Most!

Er aber hat den Finger in der Fensterspalte,
Ob ihrer Kissen eine Falte er nicht erspähe,
Er ihre Blicke, braune Rehe,
Über der Brüste Sommerhügel
Zärtlich schreiten sehe.

Nacht im Coupe

Sternschnuppen in der Nebelnacht?
Die Funken der Lokomotive,
Sie haben der Seele Reisig entfacht,
Der Liebe verstaubte Briefe.

Briefe, die ich lange trug,
Sie flammten im Funkenregen.
Da war ich frei – mein Herz, es schlug
Dem Morgenrot entgegen.

Kukuli

Kleiner Vogel Kukuli,
Flieh den grauen Norden, flieh,
Flieg nach Indien, nach Ägypten
Über Gräber, über Krypten,
Über Länder, über Meere,
Kleiner Vogel,
Laß die schwere Erde unter dir
Und wiege dich im Himmelsäther –
Fliege zwischen Monden, zwischen Sternen
Bis zum Sonnenthron, dem fernen,
Flieg zum Flammengott der Schmerzen
Und verbrenn‘ in seinem Herzen!

Als sie meine Stimme im Radio hörte

Du hörtest meine Stimme wie von fern.
Sprach ich von einem andern Stern?
Du griffst mit deinen Händen in das Leere,
Ob dort ein Leib nicht und ein Lächeln wäre.
Kein Leib. Nur Stimme. Lippe nicht. Nur Wort.
Und leise legtest du den Hörer fort.

Als sie zur Mittagszeit noch schlief

Zwar es ist schon Mittagszeit,
Sonne steht schon hell am Himmel –
In den Straßen: welch Gewimmel,
In den Herzen: welches Leid –
Manches Segel bauscht der Wind,
Mancher Kutter bleibt im Hafen –
Du sollst schlafen,
Du sollst schlafen,
Du sollst schlafen, liebes Kind.

Siebzigmal littst du Haitang,
Fünfzigmal starbst du Johanna –
Schmecktest Süßigkeit und Manna,
Wenn der Quell der Qualen sprang.
Süßes, junges Blut – es rinnt –
Küsse, Dolche flammten, trafen –
Du sollst schlafen,
Du sollst schlafen,
Du sollst schlafen, liebes Kind.

Einmal endet sich das Spiel,
Einmal endet sich das Grausen,
Und die Ewigkeit wird kühl
Dir um Brust und Schläfen sausen.
Sand deckt dich wie Wolle lind,
Und der Hirte bläst den Schafen –
Du sollst schlafen,
Du sollst schlafen,
Du sollst schlafen, liebes Kind.

Als sie die ihr geschenkte Kristallflasche in der Hand hielt

Brechen sich im Glas die Strahlen,
Bricht das Glas sich in den Strahlen?
Glänzt dein Auge in der Sonne,
Glänzt die Sonn‘ in deinem Auge?
Liebt dein Herz mich? Herzt mich deine
Liebe? Seliges Verdämmern:
Denn wir sterben unser Leben
Und wir leben unsren Tod.

Liebeslied

Dein Mund, der schön geschweifte,
Dein Lächeln, das mich streifte,
Dein Blick, der mich umarmte,
Dein Schoß, der mich erwarmte,
Dein Arm, der mich umschlungen,
Dein Wort, das mich umsungen,
Dein Haar, darein ich tauchte,
Dein Atem, der mich hauchte,
Dein Herz, das wilde Fohlen,
Die Seele unverhohlen,
Die Füße, welche liefen,
Als meine Lippen riefen –:
Gehört wohl mir, ist alles meins,
Wüßt‘ nicht, was mir das liebste wär‘,
Und Gäb‘ nicht Höll‘ noch Himmel her:
Eines und alles, all und eins.

Nachts

Ich bin erwacht in weißer Nacht,
Der weiße Mond, der weiße Schnee,
Und habe sacht an dich gedacht,
Du Höllenkind, du Himmelsfee.

In welchem Traum, in welchem Raum,
Schwebst du wohl jetzt, du Herzliche,
Und führst im Zaum am Erdensaum
Die Seele, ach, die schmerzliche –?

Du warst doch eben noch bei mir

Du warst doch eben noch bei mir,
Ich war doch eben noch bei dir –
Ging denn die Tür?
Sprang auf das Haus?
Und gingst du ohne Gruß hinaus?

Es ist so dunkel. Dämmert es?
Hier klopft ja was. Was hämmert es?
Klopft denn die Wand? Tropft denn die Kerz‘?
Es klopft und tropft und klopft mein Herz.

Zwiegespräch

Wie kommt es, Mädchen,
Daß du deine zarten, weißen Schuhe
Beim Tanzen nie beschmutzest? –
Weil ich auf zarten, roten Herzen tanze.

Sommerelegie

Sommer. Ich bin so müde.
Alles noch braun und leer.
Förster mit Büchse und Rüde.
Jagd über Moore und Meer.

Möwen in silbernen Binsen.
Alpen gezahnt und gezackt.
Sterbende Hasen linsen
In den Mondkatarakt.

Schöner Falter im Himmel,
Sieh, mir versagt der Blick,
Deiner Flüge Gewimmel
Fällt in sich selber zurück.

Kühe, die niemand melkte,
Mit dem Euter so fahl,
Und das verwölkte, verwelkte,
Göttliche Bacchanal –

Deutschland ist untergegangen
In einem Bad von Stahl.
Heraldische Drachen und Schlangen
Beten zum biblischen Baal.

Ein blühender Weidenstengel
Erschlägt diese ganze Welt.
Schlafe, mein Stahlbadeengel,
Schlaf, Nie-gelungen-Held.

Regen 1

Der Regen rinnt schon tausend Jahr,
Die Häuser sind voll Wasserspinnen,
Seekrebse nisten mir im Haar
Und Austern auf des Domes Zinnen.

Der Pfaff hier wurde eine Qualle,
Seepferdchen meine Nachbarin.
Der blonde Seestern streckt mir alle
Fünfhundert Fühler zärtlich hin.

Es ist so dunkel, kalt und feucht.
Das Wasser hat uns schon begraben.
Gib deinen warmen Mund – mich deucht,
Nichts bleibt uns als uns lieb zu haben.

Regen 2

Der Regen läuft an den Häusern entlang
Wie tausend silberne Käfer.
Fahles Licht fällt kupfern in mein Zimmer.
Ein Mann mit Holzbein singt auf dem Hinterhof:
Lang, lang ist’s her –

Wie währte kurz des Sommers heißes Glück.
So kurz wie zwischen Kuß und Kuß ein Hauch.
Wenn ich morgens meine Haare strähle,
Entdecke ich immer mehr weiße
Zwischen den schwarzen und grauen.
Leiser schlägt das Herz von Tag zu Tag:
Die Abendglocke hinter den Wäldern.

Wie war vergebens alles, was ich tat:
Im Traum der Nacht, im Anbeginn des Tags.
Ich traute, vertraute Gott, dem Bruder,
Der mir mein Gut stahl,
Mein Gutes und meine Güte.

Die Tenne dröhnt.
Sie dreschen volles Stroh und leere Worte.
Es riecht beim Bauern nach eingekochten Zwetschgen.
Abends nach des Tages Arbeit liest er in der Bibel:
Alles ist Liebe!
Und prügelt sein schwangeres Weib.

Der Briefbote bringt nur Verzweiflung ins Haus.
Meine alte Tante verkauft ihr letztes, ein rostiges Klavier.
Sie spielt noch einmal mit knöchrigen Fingern
Das Lied ihrer Jugend:
Lang, lang ist’s her –

Die letzte Kornblume

Sie ging, den Weg zu kürzen, übers Feld.
Es war gemäht. Die Ähren eingefahren.
Die braunen Stoppeln stachen in die Luft,
Als hätte sich der Erdgott schlecht rasiert.
Sie ging und ging. Und plötzlich traf sie
Auf die letzte blaue Blume dieses Sommers.
Sie sah die Blume an. Die Blume sie. Und beide dachten
(Sofern die Menschen denken können, dachte die Blume…)
Dachten ganz das gleiche:
Du bist die letzte Blüte dieses Sommers,
Du blühst, von lauter totem Gras umgeben.
Dich hat der Sensenmann verschont,
Damit ein letzter lauer Blütenduft
Über die abgestorbene Erde wehe –
Sie bückte sich. Und brach die blaue Blume.
Sie rupfte alle Blütenblätter einzeln:
Er liebt mich – liebt mich nicht – er liebt mich… nicht. –
Die blauen Blütenfetzen flatterten
Wie Himmelsfetzen über braune Stoppeln.
Ihr Auge glänzte feucht – vom Abendtau,
Der kühl und silbern auf die Felder fiel
Wie aus des Mondes Silberhorn geschüttet.

Zeesener Dreizeiler

Der See wirft Wellen
Aber nicht aus sich
Ihn peitscht – der Wind.

Die liebliche Libelle!
Sie liebt und wird geliebt
Im Fluge.

Immergrün
Steht die Tanne.
Der Ahorn steht schon
Nimmer

Ode an Zeesen

Aus Jupiters Hand geschleudert
Donnerkeil
Im Juligewitter
Mein steinernes Herz
Du glühst nicht mehr –

Aus den Sternen gestürzt
Aus den Wolken geschüttet
Bruch
Wolkenbruch
Blitz
Donner
Aufschlagend am Feldstein
Regenbogen
Verwirrt im Dorngesträuch
Du siebenfarbener Schleier
Zerfetzt
Ihr kleinen Heckenrosen
Ihr willigen Trösterinnen
Ihr haltet das flatternde Band der Tristitia.

Verwundet
Verwundert
Erblickt
Zwischen zwei ragenden Föhren
Das graue Auge
Den goldenen Tag
Blauer See
Blauer lauer See
Mückensingsong
Linde Ufer
Und der Winde Rufer
Springen durch das Korn
Unter ihren kühlen Sohlen
Beugen die heißen Halme sich zärtlich
Richten sich zärtlich auf
Und winken
Dem so herrlich taumelnden Mittagswinde nach.

Drüben vom Jenseits
Drüben vom Jenseits des Sees
Ruft der Kuckuck
Allen Lebenden ruft der Kuckuck
Tausend lebendige Jahre zu.

Hinein mit einem Hechtsprung
Zu den Hechten und Barschen
Hinaus aus den Binsen
In die schaumige Weite
Aufscheuchend die Frösche
Welche geblähter Kehle
Die Liebe locken die Liebste locken
Voll geiler Gier
Fische selbst und faulendes Holz bespringen
Denn es rast die Liebe in den Geschöpfen
Kitty die Hündin ist läufig
Und Bodo der Hund
Jault die Tage und Nächte nach ihr
Nimmt das Fressen nicht und magert bis auf die Rippen
Auf dem Dachfirch schnäbeln die Tauben
Im Wasser
Tanzt der Gründlinge silberner Reigen
Im Schilf
Jagen und jachtern blauschillernde Libellen
Und auf den Wogen des Sees
Sieh die Taucher schlank weißlichen Halses mit gelbem Kropf
Immer zu zweit
Segeln die Liebenden
Und auf dem Rücken trägt sorglich die Mutter
Die flaumige Zukunft das krächzende Kind.

Auch wir
Mädchen
Geliebte
Frau
Mensch
Immer zu zweit zu zweit seit zweien Jahren
Schwimmen wir auf den Wassern des Lebens
Auf den Zeesener Gewässern
Dahme Middelwede und großer Peetz.

Aus dem Luch
Erhebt sich ein Wind der wie Fuchs auf der Lauer lag
Zwischen Heidelbeerkraut und Moosen
Er springt dem See in den silbernen Nacken
Daß die Gischt aufspritzt wie weißes Blut
Es wogen die Wellen
Es wogen die Binsen
Es wogen die Felder
Es wogen die Wipfel der Bäume
Wir selber treiben auf den Wellen
Wie Wasser Gras und Buchenkrone
Auf und nieder
Auf und nieder
Auf und nieder.

Zurück an den Strand
Jetzt Sonne recke den feurigen Schild
Ueber unsre dampfenden Leiber
Zu heiß du flammender Ritter trifft uns dein roter Speer
Ihr schattenden Bäume
Vom Borkenkäfer durchwandert
Vom Specht beklopft
Ihr schattet mein müdes
Im Zittergras versinkendes Haupt
Ihr fächelt mit euren grünen Armen
Mit euren blättrigen Händen
Mir Trost und Vergessen zu
Sei bedankt
Geliebtes Geschwister
Akazie
Wie gerne starb ich den Schlaf
In deinen kühlen Armen
Wie gerne will ich den Tod
Einst in deinen Armen verschlafen
Will ich in deinem feuchten Schatten
Ach noch viele Ewigkeiten verschlafen
Wenn die grelle Mittagssommersonne
Die gemähte Stoppelwiese dörrt
Und zu meinen Füßen
Dämmert verdämmert Bodo der Hund.

He Bodo
Hierher Bodo
Wolfssohn
Willst du wohl die Gänse nicht scheuchen
Die heiligen Träger des Daunenschlafes
Die gütigen Behälter des Gänsefettes
Wackelnd mit den feisten dermaleinst gebratenen Gänsekeulen.

Ganz von fern wie ferner Krieg
Rollen
Auf der Königswusterhausener Bahn die Güterzüge.

Und ich sitze nackt auf der Veranda
Wie des Sommers Gott
Sitz ich nackt und faul auf der Veranda
Violett umblühen mich Bethulien
Mich umtanzen
Dicke Fliegen Filigran von Mücken
Pfauenauge und Zitronenfalter
Und ich hock und freß wie ein Kaninchen
Frischen mildesten Salat
Kohlrabi
Auch gezuckerte Johannisbeeren
Und danach ein Glas
Erdbeerbowle
Wie ein Mensch
Wie ein Gott
Und ich sitz und schwitz und freß und sauf
Und ich denk und träume
Nichts
Träum und denk das Nichts vom Nichts des Nichtses
Bin am Ende meiner Kräfte
Und am Anfang aller Seeligkeit.

Hochbeladen mit dem gelben Korn
Schwankt der Wagen in die Scheune
Und das brave Pferd umspringen bellend
Sieben schwarz und weiße Wolleknäuel
Sieben Terrier Bosko Fatty Step
Tipsy Kitty Bill und Fap
Aus dem offenen Stall fegt eine Schwalbe
Drin im Stalle säugt die Kuh das Kälbchen.

Zwischen Bäumen
Wachsen schlanke steile dünne Eisensäulen
In den Horizont
Die Funktürme von Königswusterhausen
Hier Königswusterhausen auf Welle 1300
Achtung Achtung Achtung
Der Dichter Klabund spricht eigene Verse.

Er spricht mit abgehackter blecherner Stimme
Dieweil er im Grase liegt – Das rechte Ohr an die Erde gepreßt
Horcht er auf den Herzschlag der Erde
Und auf den Wanderschritt des Maulwurfs
Er wirft die Worte in die Luft
Wie nicht entzündete Raketen
Sie brennen nicht
Sie leuchten nicht
Sie fallen zischend ins feuchte Gras
Achtung Achtung Achtung
Hochachtung Hochachtung Hochachtung
Ganz besondre Hochachtung
Ihm lauscht kein Mensch kein Wesen kein Tier
Die Luft spielt mit den Worten wie mit Brennesselsamen
Sie weht sie da und dorthin
Einige Participia bleiben in einer Koniphere hängen
Ein strahlendes Adjektiv treibt Bauch nach oben wie ein toter Fisch im See.

Aber ein liebliches Präpositum
Fiel in einen Baumritz
Einer Dryade in die Augenbrauen
Und kitzelte sie aus dem Schlaf
Zierlich trat sie aus dem dunklen Baumstamm ins grelle Licht
Und stand geblendet –
Da begannen die Grillen zu zirpen
Die Heuschrecken musikalisch ihre Hinterbeine zu reiben
Und der Jazz des Sommers rauschte auf
Meckernd fielen die Ziegen ein
Die Kuh blökte die Hunde bellten die Gänse schnatterten
In der Ferne Gewittergrollen
Die dumpfe Pauke des Donners
Gott sitzt am Schlagzeug
Yes Sir that’s my baby
Da stampfte die entfesselte Dryade den Charleston
Die braunen rötlich überkupferten Haare fielen ihr mähnig über die Stirn
Wie einem Pony.

Tanz stampf tritt den Boden
Tritt die Erde daß sie dir untertan sei
Die Erde dem Weibe
Wie seit Urbeginn
So heute
Zertritt die Butterblumen im Tanz
Was tuts
Zermalme die kleinen roten Käfer im tollsten Takt
Töte die dir aufspielen zum Tanz mit deinen tanzenden Sohlen
Töte Grille und Heupferd
Tanze tanze
Töte töte
Schon springst du mir in den Nacken
Puma
Und tanzest auf meinen Knabenschultern
Yes Sir yes Sir
Den Jazz des Sommers.

Genug genug wilde Nymphe
Zieh dir den schwarzrotgestreiften Bademantel an
Und komm auf den Tennisplatz
Henry der Trainer wartet schon auf die gnädige Frau
Du schlägst die Bälle
Zwei Dutzend Bälle
Zwei Dutzend Menschenköpfe
Haarscharf übers Netz
Keinen Liebesblick
Keinen Ball
Läßt du aus.

Abends nach dem Essen
Yes Sir yes Sir
Steppst du im blauen Pyjama
Blauer Pyjama blauer Himmel lauer See – Wie ein japanischer Ringer
Mit dem dicken gebräunten Sharakugesicht
Boxt der gewaltige Herr des Gutes
Rittergutes
Raubrittergutes
Zeesen
(Nach der Volkszählung von 1905 besaß der 352 Hektar umfassende Gutsbezirk Zeesen 25 Einwohner)
Boxt die erhabene märkische Majestät
Den Raum
Boxt mit Träumen mathematischen Reihen Börsenkursen und wilden Ziffern
Oberbedarf
Unterbedarf
Mannesmann
Weibesweib
Die Firmen Frisch Frank Fröhlich Frei haben Geschäftsaufsicht angemeldet
Yes Sir that’s my baby
Noch ein Glas Bowle
Elektrisches Licht überm Garten
Sommernachtstraum
Ein Gang noch mit den englischen Terriern
Kitty Bill Tipsy Bosko Fatty Step Fap
Licht aus
Happy-end
Week-end.

Nachts
Schlafe ich schlecht
Durch geöffnete Fenster
Wandert die ganze Unterwelt
Weiße Spinner kommen geflattert mit riesigen roten Augen
Spanische Fliegen mit fetten grünen Bäuchen
Braune Motten und kleine Perlmutterfalter
Summende Mücken sirrende Gnitzen
Ihnen nach die Königin des Dunkels
Ihre Herrin und Vertilgerin
Die gefräßige
Die Fledermaus
Und am Boden raschelts: schwarze Schwaben
Aus der Mauer kriechen Tausendfüßler
Alles lärmt und knackt und surrt und raschelt
Plötzlich trappt und trippelt’s auf den Bohlen
Wie ein Pony trappelt und ein weißes
Tier steht wie gebäumt im Rabenschwarzen
Wie ein Schimmel auf den Hinterbeinen
Hebt die Vorderhufe drohend
Schnaubt gar grimmig durch die Nüstern
Schreien will ich mir verschlägts die Sprache
Da – ein Sprung – das Tier hockt auf dem Bettrand
Und umschlingt mich mit den weißen Armen
Drückt die heißen Lippen auf die meinen
Yes Sir that
s my baby.

Mein steinernes Herz – – – – –
Du glühst noch –

Auf den Friedhof von Zeesen

Ich steig vom Rad.
Ein Grab im märkischen Sande.
Hier ruht ein Wesen:
Mädchen, Kind und Weib.
Sie wurde vierzehn Jahre alt –
Und tanzte im Takt des Pulsschlags in den Fiebertod.

Sie hatte Augen, um das Licht zu halten.
Das Auge brach.
Das Licht glänzt ungebrochen.
Sie hatte zarte Füße, auf der Erde zu schreiten –
Und die Erde rollt noch immer.

Sie hatte Hände, einen Zweig zu biegen.
Der Zweig weht immer noch im Sommerwinde.
Sie hatte Lippen, einen Mann zu küssen.
Sie ging hinab, eh‘ sie ein Jüngling küßte.

Wir werfen Netze, um den Wind zu fangen.
Wir stellen Schlingen für die Wolkenvögel.
Wir schreien, um an Gottes Ohr zu rühren. –
Gott hört am Sirius den Äther singen.

Wir steigen Berge, himmelstürmende,
Um jäh in einem feuchten Loch zu enden.
Libellen schaukelten um unsern Morgen,
Und unsere Nacht umschwirren Fledermäuse.

Mond überm Schwarzwald

Goldne Sichel des Monds!
Dich schwingt der ewige Schnitter
Und mäht Halme und Herzen.

Siehe, ich wandre auf steinichter Höhe
Über dem wolkigen Wald und neige
Willig den Nacken
Deinem erlösenden Streich.

Davoser Elegie

Wieder bricht ein Tag mit himbeerrotem Glanz über die verschneiten Berge.
Ich wache auf und erschrecke sanft.
Da bin ich wieder: zurückgekehrt aus dem warmen Sarge des Schlafs
Und muß schwer atmen, leicht lächeln, seufzen, erkennen, sein.

Die Kuckucksuhr schlägt neun.
Der Teller mit Früchten auf dem Nachtisch hat eine Musikmechanik in sich;
Hebt man ihn auf, spielt er Morgenrot, Morgenrot –
Es wird also Zeit, das Frühstück herbeizuklingeln.
Das rothaarige, morgenrothaarige, haarige Dienstmädchen erscheint,
Anzusehn wie Sankta Barbara, die Schutzheilige der Kanoniere.
Weil sie der erste frühe Bote Menschheit,
Ist sie mir höchlich verhaßt.

Es ist eine schöne Frau auf der Welt, die mich (vielleicht) liebt.
Weil ich nicht sprechen kann, verschweige ich mein Herz.
Man soll nicht zu große Worte und zu große Tiraden machen.
Sie werden leicht überheblich.
Kennen den Vater nicht mehr, nicht die Mutter.
Zum Beispiel Alexander der Große.
Lassen wir das humanistische Gymnasium.

Ein Vogel zwitschert.
Es wird ein Spatz sein,
Der auf dem Balkon in den steinharten, gefrorenen Kuchen pickt, den ich gestern stehen ließ.
Oder sollte es ein Geier sein, der seinen Prometheus sucht?
Wenn ich nach Zürich fahre,
Werden sich alle Leute in der Pension aufregen:
Kaum von den Toten auferstanden und schon wieder hehe.

Man modelliert mich, man zeichnet mich,
Man schneidet mich in Holz: Engel mit der Lyra.
Ich werde zurzeit von zwei Ärzten und drei Künstlern behandelt.
Der Bildhauer M. seziert mich ausgezeichnet.
Der Doktor R. hat mich (mit seinem glühenden Stahl) fabelhaft getroffen.
Sind Sie schwach auf der Lunge:
Kommen Sie, besuchen Sie mich hier oben im Tal des Friedens
(Den Prospekt sendet Ihnen der Kurverein auf Wunsch.)!
Sie werden zwar auch hier keine Ruhe finden, –
Aber Sie werden Liegekur machen, sich vollfressen,
Den Kehlkopf ausgebrannt bekommen, liebeln und pokern.
Sie werden einige Jahre länger leben.
Und wir hängen doch alle am Leben wie die Schächer am Kreuz.

Im Spiegel

Ich sehe in den Spiegel.
Was für ein unverschämter Blick mustert mich?
Jetzt zieht er sich schon in sich selbst zurück –
Pardon: ich habe mich fixiert.
Ich will mir nicht zu nahe treten.

Meine Freunde kann ich mir an den Fingern einer Hand abzählen.
Für meine Feinde brauch ich schon eine Rechenmaschine.
Was bedeuten diese tiefen Furchen auf meiner Stirn?
Ich werde Kresse und Vergißmeinnicht drein säen.

Im Berliner botanischen Garten, sah ich einen Negerschädel,
Aus dem eine Orchidee sproß.
So vornehm wollen wir’s gar nicht machen.
Bei uns genügt auch ein schlichtes deutsches Feldgewächs.

Wir wollen durch die Blume zu den Überlebenden sprechen,
Wie wir so oft zu den nunmehr verwesten sprachen.
Also, meine liebe Leibfüchsin:
Du kommst mir deine Blume – Prost! Blume!

Ich stehe nicht mehr ganz fest auf den Füßen.
Der Spiegel zittert.
Seine Oberfläche kräuselt sich, weil ich lache.
Da ist der Mond – er tritt aus dem Spiegel in feuriger Rüstung
Und legt seine weiße kühle Hand auf meine fieberheiße Stirn.

An einen Freund, der wegen einer ungetreuen, eitlen, verschwenderischen Frau Klage führte

Du kannst dem Frühling nicht Halt gebieten
Und nicht der ungetreuen Frau.
Der Nordwind saust um deine Stirn.
Geh, geh von dannen.

Hast du Geld, so stiehlt es deine Frau.
Sie braucht zu ihrem Maulwurfmantel noch ein Biberjackett.
Zu ihrem Biberjackett noch ein Hermelin-Cape.
Hast du kein Geld, so hast du auch nicht weniger.

Hast du kein Geld, so hungerst du zuweilen;
Hast du Geld, so hungerst du immer – nach Liebe.
Deine Frau liebt dein Scheckbuch.
Wirf es ihr vor die Füße – doch nicht dich selbst.

Es schneit – es schneit –
Einst in der Laube schneite es Birnblüten über euch.
Jetzt, jetzt schneit es unbezahlte Rechnungen.

Das Ende

Du hast die zarten Liebeskräfte
Im Trugkampf trotzig überspannt.
Nun sind zerklirrt die stolzen Schäfte,
Zerfetzt das rote Fahnenband.

Einst sand’st du Rosen, süße Spiele der Lust,
An jedem muntren Ort.
Der Blumen blühten dir zu viele,
Du warfst die kaum gepflückten fort.

Nun wanderst du die Pfade heute –
Zerflattert Rosenblatt und Kuß.
Wo einst die Blumen leichte Beute,
Klafft ekeltief der Tartarus.

Es ist genug

Es ist genug. Mein trübes Licht
Bereit‘ sich zu erlöschen.
Ich hab‘ vertan mein Recht und Pflicht
Und meiner Seel‘ vergessen.

Es ist genug. Es weht ein Wind,
Weht nicht von Ost noch Norden.
Auf der Milchstraße wandert ein weißes Kind,
Ist nicht geboren worden.

Du über den Häusern heller Schein,
Wovon bist du so helle?
Stehst du um die Stirn einer Jungfrau rein
Oder brennt ein Sünder zur Hölle?

Heimkehr

Ich bin geboren in einem Wäschekorb,
Aufgewachsen in einem kleinen grünen Garten.
Fünf Meter lang, fünf Meter breit –
Mein Sarg wird wohl noch enger sein.

Kohlrabi, Apfelreis, Radieschen,
Waren meine Lieblingsspeisen.
Das Mädchen, das mich wartete, hieß Berta Jaensch.
In den Johannisbeersträuchern am Gartenrand
Lebten gute Gnomen und böse Eschen.

Fünfzehn Jahre war ich, da ich von Hause wegging.
Hochtrabend trabte ich zu Roß aus dem Glog’schen Tor.
Dreiunddreißig Jahre bin ich, da ich nach Hause zurückkehre
Auf einem knatternden Motorrad.

Die alte hölzerne Zugbrücke ist niedergerissen.
Jetzt bezwingen die Oder Eisen und Beton.
Nur der Fluß darunter, er fließt wie vor tausend Jahren
So auch heute.

Ich gehe durch die Gassen und niemand kennt mich.
Ich trage Knickerbocker und man hält mich
Für einen reisenden Engländer.
An der Schmiede, wo ich als Kind ins lohende Feuer sah,
Bleibe ich stehn und starre in Asche und Ruß.

Oben auf dem Bergfriedhof bin ich nicht allein.
Hier liegen viele, die ich einst gekannt habe.
Der alte Professor,
Bei dem ich lateinischen Nachhilfeunterricht hatte,
Und mein kleiner Bruder.

Jetzt stehe ich am Grabmal eines Generals,
Der unter Friedrich dem Großen focht.
Seinen Namen verwitterte das Gestein.
Was wollte er, was konnte er?
Niemand weiß es.

Er führte in der Schlacht von Kunersdorf
Ein Grenadierregiment – und? –
Schritt mit dem Degen in der Faust voran. – Seine Pflicht. –
Er hatte außer dem preußischen Exerzierreglement
Nie ein Buch gelesen, und war stolz darauf. –

Wir haben alle Bücher gelesen und keine Schlacht geschlagen.
Es ist eines so wenig wert als das andere.
Einmal werden vor meinem Grab die Leute stehn.
Was wollte er, was konnte er?
Niemand weiß es.

Hoppla, Bruder, steh auf,
Du hast schon lange genug geschlafen.
Jetzt bin ich an der Reihe.
Da hast du meinen Stock, Esche, Natur, ungebeizt, Hornspitze.
Geh an meiner Stelle hinunter in die Stadt.

Es dämmert. Ehe die erste Gaslaterne aufflammt,
Wirst du am Marktplatz sein.
Dort steht die Königl. Preußische Adlerapotheke.
Bringe Vater und Mutter einen Gruß von mir.

Sag ihnen, ich hätte mich zur ewigen Ruh begeben
Und mich lebendig begraben.
Drei Hände Erde auf mein Grab,
Drei Seufzer, drei Tränen und damit basta.
Bitte, Vater, laß dich in der sachgemäßen Herstellung
Von Dr. A. Henschkes Restitutionsfluid nicht stören.

Ahasver

Ewig bist du Meer und rinnst ins Meer,
Quelle, Wolke, Regen – Ahasver…
Tor, wer um vertane Stunden träumt,
Weiser, wer die Jahre weit versäumt.
Trage so die ewige Last der Erde
Und den Dornenkranz mit Frohgebärde.
Schlägst du deine Welt und dich zusammen,
Aus den Trümmern brechen neue Flammen…
Tod ist nur ein Wort, damit man sich vergißt…
Weh, Sterblicher, daß du unsterblich bist!

Die Glocke

Die Glocke dröhnt
Und stöhnt
Die Stunden in die Welt.
O, wer sie dieses Zwangs entbände!
Sie ist bis an ihr Ende
Bestellt,
Daß klingend sie ihr Herz ins Nichts verschwende.