Von Heribert Menzel – geschrieben 1927
Man hat den Ostdeutschen verschlossen genannt und scheu, unzugänglich wünschenswerter äußerer Beeinflussung. Wie eine Schnecke in ihr Haus ziehe er sich schnell in sich selbst zurück. Und man hat recht damit, aber unrecht, wollte man ihn durchaus einen Vorwurf machen. Er hat nur eine feine Witterung dafür, was ihm frommt und was feindlich von außen her in ihn eindringen möchte. Es gehen seine Fühler von Osten weit ins Reich hinein, die von allem Weben und Sinnen da berührt werden, klar erkennen, was da Neues sich gestalten will, oft, ehe im Reich die Ahnung davon wach wird. Ja die Deutung dessen ist fast immer noch aus dem Osten gekommen und erst recht der Anstoß, die neuen schöpferischen Kräfte in Schwung zu bringen.
Wäre der Ostdeutsche nicht so bescheiden, man würde ihm längst schon mit der Achtung begegnen, die ihm gebührt. Aber die Zeit ist nicht mehr fern, da das geschehen wird. Die wirtschaftlichen Nöte des Landes heben endlich das allgemeine Interesse des deutschen Volkes mehr auch dem Osten zugewandt. Auch das Märchen von der Kulturarmut seiner Weite beginnt allmählich zu schwinden.
Die Namen der Ostdeutschen Kopernikus, Spitz. Johann Christian Günther, Hamann, Herder, Kant, E.T.A. Hoffmann, Eichendorff, Schopenhauer, Nietzsche, Leistikow, Corinth – man muss und soll sie immer wieder nennen – haben es doch endlich zuwege gebracht, dass man einsieht, wie fruchtbar auch gerade auf geistigem Gebiet der Osten sich erwies.
Dazu trägt denn auch letzten Endes die erstaunlich große Zahl bedeutender ostdeutscher Künstler der Gegenwart bei.
Einer der jüngsten von ihnen war der erst im vorigen Jahr gestorbene Klabund.
Wie ein Stern schwebt er auf, zog einen weiten Kreis hinaus und erlosch. Seine Flammenkraft entriss er ostdeutschem Boden Er hat das nie geleugnet. Freudig hat er zu seiner ostdeutschen Heimat sich bekannt und entnahm hauptsächlich ihr seine Stoffe.
Darum ist es uns Ostdeutschen Pflicht, ihm zu danken, auf ihn hinzuweisen. (Lasst mich dies nicht tun, wie mit dem Stock in der Hand auf ein Wundertier deutend)
Vor mir auf dem Tische steht sein Bild. Es soll sein, als wären wir wie einst zusammen. Und ich will fragen, schauen und erkennen.
Was warst du für ein Mensch, Klabund?
Aus deinen beiden Heimaten erklärte sich dein Wesen, aus Crossen an der oder und – aus Davos.
Crossen an der Oder, diese blühende, glühende, aufrauschend durchströmte, lebensvolle Stadt, an der du hingst wie selten ein Dichter an seiner Heimat. Und Davos, letzter Hafen im kreisenden, ziehenden All. Crossen an der Oder, geliebte, bejubelte Heimat, in der du. Alfred Henschke, als Mensch geboren wurdest Davos, schmerzlichst geflohen, schmerzlichst eilend immer wieder aufgesucht, um nicht fortgerissen zu werden aus dem blühenden Leben, Zwangsheimat mit dem Blick in Unermessliches, da du zum Dichter geschlagen wurdest.
Sehr zart wuchsest du auf, Klabund mit kluger, gütiger Stirn und großen dunklen Augen, die dein Schönstes widerspiegeln. Man muss deine noch zartere Mutter von deiner Kindheit erzählen gehört haben, und in der Adler-Apotheke, die heute noch dein umsichtiger, rüstiger Vater mit dem eindrucksvollen Gelehrtenhaupt verwaltet, in deinem kleinen Dachbodenzimmer gewesen sein und da den Spruch an der Wand gelesen haben: „Arbeiten und nicht verzweifeln“, um halbwegs ermessen zu können, welch heldenhafter Kämpfer du gewesen.
Zart, sehr zart bist du gewesen, Klabund. Siebenunddreißig Jahre wurdest du alt und sahst doch immer aus wie ein Jüngling: wie ein Primaner, so schrieb einmal einer. Und wer deine Verse kennt, die du schriebst, wenn du ganz einfach warst, dem müssen sie es ebenfalls sagen.
Und doch warst du stark in deiner Schwäche, Klabund. Ja, gerade wenn du am zartesten warst, übtest du die stärkste Wirkung auf uns auf. Von deinen Stücken beweisen „XYZ“ und dein Märchenspiel „Der kreidekreis“, das, seit es zum ersten male aufgeführt wurde, unentwegt auf den Brettern blieb, erst in Deutschland, nun im Ausland.
Aus dem Osten, aus China, holtest du dir Stoff dazu. Aber ein deutsches Märchen ist entstanden; die kleine Haitang in Elisabeth Bergner und Carola Neher, deiner Frau, aufs ergreifendste und zum Erlebnis geworden, wurde holdeste >Schwestergestalt dem Aschenputtel.
Und so schufst du auch keine Übersetzungen, Nachdichtungen, wie man sie sonst gewohnt ist, in deinen Liedern Litaipes und Hafis! Eigenstes gabst du, du Geistlicher, du Leidender, du von zweien Kräften, Leben und Tod, hin und her Geworfener.
Trunken von so viel Leben und Tod, zerrissen von so viel Kampf, warst du selbst die Welt, durftest du mit deinen Liedern ihren Gesang übertönen, durftest leuchten, neues Licht uns bringen.
Zart warst du, Klabund und schwach, aber dem Leben hingegeben wie keiner, eben weil so tief im Tod du standest, weil du immer zu verdursten wähntest. Wo es heißer lohte, als in dir, wo es lebendiger sprang, gabst du dich hin, immer aufs Neue.
Ein Rausch war dir das Leben, und so entsteht es im Rausch wieder in uns auf aus deinen Büchern.
Wer kennt sie nicht, deine Balladenromane, „Pjotr“, „Moreau“, „Mohamed“, „Bracke“, „Rasputin“ und „Borgia“? Wer kennt und liebt sie nicht? Glühend, rauschend braust durch sie der leidenschaftliche Atem einer Welt, eines Weltgeschicks. Lodern reißt es uns mit, mit empor ins Glühen. Ach, glühen und verglühen! So ist leben!
Und du lachtest, Klabund, der Eitelkeit und des ängstlichen Sichaufsparens, lachtest falscher Scham und sangst Spottlieder denen allen, die da logen.
Das hat dir Feinde gebracht, aber auch viele Freunde.
Zart warst du, Klabund, und schwach und hasstest deine Gebrechlichkeit, wie du all die Starken und Mächtigen, die Helden, Pjotr und Moreau liebtest. Und du wolltest es auch schaffen wie sie, mit einem Griff, mit einem Wurf. Und du hattest viel vor noch und wusstest, hinter dir stand schon der Tod und zählte. Da übernahmst du dich dann oft, überstürztest dich in deinem in deinem Werk, ließest nicht zur Reife kommen, was doch noch reifen musste, um ein Kunstwerk zu werden. So kam es denn oft zu auch zu Misserfolgen.
Und du verzweifeltes und wütetest mit deinem „kindlich-kümmerlichen Leib“, wie du ihn selbst nanntest, und wolltest nun erst recht keine Grenzen anerkennen, und beißend wurdest du, du Liebender, in Ironie.
„Gott hat uns leicht und schwer gemacht.
Du hast geweint. Ich hab gelacht.
Du hast gelacht. Ich hab geweint.
So Sonn und Mond am Himmel scheint“
„Klabund heißt Wandlung“, schriebst du einmal und nanntest dich so, weil du in Klabautermann und Vagabund dich wieder fandest.
Viele Wandlungen hast du an die erfahren, Klabund, Himmel Hölle hast du durchkostet, und da du es tatest, bliebst du dir treu: Du liebtest.
So gabst du dich allem hin:
„Ich küss, als on ich niemals wieder küßte,
und leb, als ob ich täglich sterben müsste.“
Und so arbeitest du auch. Als ob du täglich sterben müsstest. Und das danken wir die besonders, dass du stets deiner östlichen Heimat gedachtest, dass du deiner Heimat so oft ein Denkmal in deinen Werken setztest. So war dein erstes Buch schon, „Celestina“ deiner Heimatstadt gewidmet. Dein erster Gedichtband „Morgenrot, Klabund! die Tage dämmern!“ hob die Schönheit deiner Heimat in manchem Vers ins Licht. „Hannibals Brautfahrt“, dein erstes Stück und „Bracke“. Dein Selbstportrait in vielen Stücken, sind und darum besonders ans Herz gewachsen. Und nie werde ich die Stunde vergessen, da in deinem Jugendarbeitszimmer, in der Crossener Adler-Apotheke ich die „Ode an meine Jugend“ las.
Dann erloschest du fern. Aber Crossens Erde, wie du es wünschtest, deckt dich. Dumpf mussten die Schollen kollern übern Sarg, über kleinen, kümmerlichen Leib, den man der Erde wiedergab; die ihn gebar, „an der Grenze Schlesiens und der Mark, wo die Bober in die Oder, wo die >zeit mündet in die Ewigkeit.“
Hier auf Erden wirst du nicht vergessen werden. Die möge dein neues Leben, an das du immer glaubtest leicht sein.
Denn noch weit unser Weg, sagtest du und:
„Tod ist nur ein Wort, damit sich vergisst.
Weh Sterblicher, dass du unsterblich bist!“
Klabunds Werke sind in den verschiedensten Verlagen zunächst erschienen. Jetzt bringt sie der Phaidon-Verlag zu Wien allein heraus, in wunderschöner, vorbildlicher Weise. Daneben bringt der Fritz Heyder-Verlag zu Berlin Zehlendorf noch ein von dem Dichter und ihm zusammengestelltes „Klabund-Lesebuch“ heraus. Es enthält Prosa und Gedichte und ist vortrefflich geeignet, in die Art des Dichters einzuführen. „XYZ“ und „das kleine Klabund-Buch erscheinen im Reclam Verlag zu Leipzig.