Ein gewisser Klabund

Das Tagesgeschäft der Literatur hat es so an sich: es profitiert von Modetrends und zielt auf Gewinne ab, die einzig die Nachfrage bringen kann. So werden vortreffliche Auto­ren in die Dunkelkammern der Vergessenheit abgeschoben, wäh­rend oft weniger gute Schreiber den Markt beherrschen. Wer kennt heu­te noch Alfred Henschke aus dem heute polnischen Krähwinkel Cros­sen an der Oder? Er nannte sich Klabund und war in den zwanziger Jahren einer der bedeutenden Poe­ten. Er war ein Eigenbrötler, der Lyrik geradezu zelebrierte; ein Ko­met, der seine erstaunliche Bahn durch den Zenit einer kurzen Schaffensepoche zog. Mit 37 Jahren starb er an Tbc. Schon mit 16 war er von der bösen Krankheit, gezeich­net, er lebte mit ihr und besiegte sie immer wieder durch den Genius seiner Imaginationen. Oder richti­ger: Er brannte mit ihr so lange, bis er an ihr verbrannte.

Sein letztes Buch erschien 1928, in seinem Todesjahr: ,.Borgia — Ro­man einer Familie“. Es ist ein großartig improvisiertes Szenario, wie geschaffen für einen Superfilm von Metro Goldwyn Mayer. Das ruchlose Geschlecht der spanischen Borgia, die durch Arglist zwei Päp­ste auf den Stuhl Petri brachten, deren satanische Spur sich monströs und spektakulär durch das mittel­alterliche Rom zieht. Ein Clan, der sich in blutschänderischer Eigenlie­be verzehrte und in Verbrechen förmlich schwelgte. Die schaurige Parabel des Borgias wurde schon in vielerlei Varianten geschildert.

In diesem Roman von Klabund stellt sich das arge Geschehen auf eine chiffrenhafte Weise dar. In prägnan­ten Auftritten, dramatisch pointiert und auf reißerische Höhepunkte zu gesteigerten Kurzepisoden blät­tert sich die abgefeimte Familien­chronik auf. Man ahnt bei der Lektüre, zu welcher Souveränität der Dichter später gewiß noch in seinen historischen Durchdringun­gen gekommen wäre; denn diese dynamischen Bilderfolgen – „Pjotr“ und „Rasputin“, früher entstanden, beruhten bereits auf einer ähnlich suggestiven Dramaturgie – signali­sieren montagehaft die Umrisse hi­storischer Gestalten. Material, spon­tan hingeworfen und doch zu Kunstwerken gefügt.

Es war Zeit, „Legende und Wirk­lichkeit“ — so der Untertitel der Biographie, die der Autor Guido von Kaulla treffend „Brennendes Herz Klabund“ genannt hat — des Dich­ters darzustellen. Der Aufriß dieses Lebens mit meiner ungestümen Kraftentfaltung ist hier mit einer Gründlichkeit und Sorgfalt zu Pa­pier gebracht, wie sie gewiß nur jemand   aufbringt,   der   mit dem eigenen Herzen beteiligt ist. Der Verfasser erweist sich als ein Verehrer Klabunds; er besitzt selbst ein Archiv über den Poeten und gilt als bester Kenner der Materie. Das hat ihn freilich nicht dazu verleitet, eine schwärmerische Huldigung an­zustimmen. Er zeichnet die Indizien sachlich auf. Gesinnung, Lebens­taumel, äußere Umstände einer ex­zentrischen Existenz, die wuchernde Flora der Lyrik, deren Inhalte mit dem Dasein Klabunds identisch sind: Kaulla hat das alles „seelenwandlerisch“ nachempfunden. Man denkt dabei an einen Paul Zech, dessen Interpretation über das Le­ben Villons ebenso kongenial in Erinnerung geblieben ist. Die knappen 37 Jahre des Klabund sind in diesem Buch mehr als eine Reihe aus Daten und Ereignissen. Es ist ein gelungener „Wiederbelebungsversuch“ des Phänomens Kla­bund, dessen Sprache heute moder­ner anmutet als die mancher Neutöner, denen die Mode ihre Texte eingibt. Es gilt, Klabund zu ent­decken. Wird man es auch tun?

Peter Laregh